Nach dem Jena-Flop vom Samstag (0:1) ist der Aufstieg endgültig perdu für meinen kleinen Stadtteilclub. Alle Kräfte kann er jetzt bündeln. Denn am Mittwoch geht es im DFB-Pokal-Halbfinale (in Worten: HALBFINALE!) gegen den FC Bayern München. Also gegen Oliver Kahn, den zweitbesten deutschen Torwart. Gegen das Titanchen.
Als die Bayern das letzte Mal in einem Pflichtspiel hier antraten (nämlich am 6. Februar 2002), war St. Pauli noch in der ersten Liga, wenngleich auf Platz 18, gewann gleichwohl 2:1 und wurde so zum Weltpokalsiegerbesieger. Inzwischen liegen zwei Klassen dazwischen, und wir werden 0:5 verlieren. Genau wie im Viertelfinale gegen Bremen.
Vor einigen Jahren eilte ich mal über die Reeperbahn nach Hause, als ich gegenüber vom Herz von St. Pauli auf die Bayernspieler Mehmet Scholl und Thorsten Fink stieß. Beide schlenderten gelassen übers Trottoir, und ich verlangsamte ebenfalls meinen Schritt auf Schlenderniveau, um ihre Körpersprache besser studieren zu können. Beide waren winzig, Bübchen geradezu. Zum Umpusten. Wie hatten sie je den Weg in die Nationalmannschaft finden können? Lässig die Hände in den Jeanstaschen vergraben, die Freizeithemden locker überm Gürtel, schnackten sie miteinander, ohne den sündigen Verlockungen mehr als flüchtige Blicke zu schenken.
Dabei hat Fink durchaus Bedürfnisse. Als er mal gefragt wurde, warum er seinen Gegenspieler soeben auf den Mund geküsst habe, sagte er: „Ich war wohl zu lange im Trainingslager.“ Eine Andeutung, die zugleich den sprunghaften Anstieg homosexueller Aktivitäten in Gefängnissen zu erklären in der Lage ist. Fußballer sind eben doch nicht zwangsläufig grenzdebil, und der alte Spruch „Dumm kickt gut“ stimmt längst nicht mehr.
Mittwoch. Noch zwei Tage. Leider wird es für mich und Ms. Columbo – im Gegensatz zu Andreas – nur ein Fernsehabend. Wenn es warm genug ist, öffnen wir aber die Balkontür, damit ab und zu ein „You’ll never walk alone“ hereinweht. Mal sehen, ob der Franke es wagt, sich zu uns zu gesellen. Er verficht nämlich die Theorie, zweierlei brächte seinen Bayern Unglück: wenn er sich a) während des Spiels kaubare Nahrungsmittel zuführe und b) eine Liveübertragung in unserem Wohnzimmer verfolge.
Es gibt in der Tat mehrere empirische Indizien für die Stichhaltigkeit dieser These, so dass ich alles daransetzen werde, ihn nach vergangenem Samstag (Bayern verlor 0:3 in Bremen) erneut auf den Kiez zu lotsen.
Sein Dilemma: Wenn er nicht käme, sähe es so aus, als plagten ihn echte Zweifel an einem klaren Sieg seiner Goliaths (inklusive Titanchen) gegen meinen kleinen Stadtteilclub. Und das wäre ja wirklich zu peinlich.
Prognose: Er wird kommen – aber zur Sicherheit während des Spiels nichts essen. Nicht mal das mit vorsorglicher Heimtücke in Frankennähe platzierte Studentenfutter.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit Verbindung zum FC St. Pauli
1. „Song 2“ von Blur
2. „Hells bells“ von AC/DC
3. „You’ll never walk alone“ von Gerry & The Pacemakers
Ähnlich wird mein Fernsehabend auch aussehen, zwar ohne Franken aber mit Live-Geräuschkulisse im Hintergrund. Aber es geht wohl vielen so. Trotzdem am überlegen, ob ich vor dem Spiel einen Versuch machen sollte noch vor dem Stadion Karten zu erwerben. Aber auch das denken wohl viele. Oder doch den ganzen Abend im Riesenrad auf dem Dom verbringen??? Genau wie Bayern München noch nie live gesehen, noch nie im Riesenrad gesessen…. Grüße an die Glücklichen mit Ticket!
AntwortenLöschenLiebe Frau Nachbarin, wenn man Ebay zum Maßstab nimmt, muss man wohl dreistellige Summen für ein Ticket hinblättern.
AntwortenLöschenRiesenrad ist auf jeden Fall billiger, und weniger als auf manchem Stehplatz sieht man auch nicht … ;-)
Matthias, Du willst doch mit Deiner letzten Bemerkung nicht etwa schon wieder unseren Standort am Zaun kritisieren? Na egal, als glücklicher Besitzer einer Karte fürs Pokalspiel stehe ich heute über solchen Sticheleien. Dass Du mir aber am Mittwoch den Franken ordentlich abfütterst! Nach dem Sieg geht's natürlich wieder in die Domschänke. Und schöne Grüße zurück an Frau Nachbarin. Ich habe auch schon oft daran gedacht, mal aus dem Riesenrad einen Blick auf ein Spiel im Millerntorstadion zu werfen. Scheiterte allerdings bislang daran, dass ich mich zum betreffenden Zeitpunkt jedes Mal in besagtem Stadion befunden habe ...
AntwortenLöschenKleiner Nachtrag: Nicht unerwähnt bleiben sollte die offizielle Stadionhymne unseres FCs: "Das Herz von St. Pauli" in der Version von Phantastix.
AntwortenLöschen… was nicht IMMER ein reines Vergnügen war, wie ich stichhaltig vermute … ;-)
AntwortenLöschenAber am Mittwoch ist dir der Neid der Republik sicher.
Mein Kommentar bezieht sich auf Andreas' ersten; nur zur Sicherheit.
AntwortenLöschenDer Link zu „You'll Never Walk Alone" ist übrigens falsch. Er führt zum Wiki-Eintrag über die größte europäische Jugendmesse "You".
AntwortenLöschenDanke, korrigiert!
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