Abends auf dem Weg zur Fahrradwerkstatt begleitet mich der Franke, und wir irren heillos durch Ottensen. Ich neige ja, wie bereits erwähnt, zum augenblicklichen Verlaufen, sobald ich mich überhaupt in Bewegung setze. Und der Franke wirkt in dieser Hinsicht eher bestärkend als dämpfend.
Wir schlagen auf meinen Vorschlag hin eine Abkürzung ein, die ich unlängst durch bloßes Verirren entdeckt habe, und brauchen dadurch rund zehn Minuten länger als sonst. Auch der Stadtplan war unterwegs keinerlei Hilfe, da ich zwar die Straßen finde, allerdings auf die lustigen bunten Linien stiere wie ein Schimpanse auf ein Esperantowörterbuch.
Vorm Laden treffen wir überraschend auf den wunderbaren Wusel- und Wuschelkopf Ernst Kahl, der sich gerade damit vergnügt, einen schwarzen Pudel mithilfe eines kleinen Gummiballs zu foppen. Seit einem Interview vor neun Jahren sind wir lose befreundet (nein, ich meine nicht den Pudel).
Ernst erzählt von der Mühsal, die es für ihn als Nichtautofahrer bedeute, von seinem renovierten Privatbahnhof in Nordseenähe irgendwo hin zu kommen, etwa nach Kiel, wo er an der Uni ab und zu als Dozent erwünscht ist. Es wäre gleichwohl fatal, führt er weiter aus, erwürbe er den Führerschein. Denn sobald er am Steuer oder Lenker auch nur irgendeines Fahrzeuges säße, entwickele er sofort etwas Suizidales.
„Wenn am Straßenrand ein Baum steht“, sagt Ernst, „halte ich drauf zu und rummse rein. Das ist zu gefährlich, ich habe Familie.“ Wir beglückwünschen ihn zu seiner Entscheidung, unter diesen Umständen Fahrschulen strikt zu meiden, und empfehlen uns Richtung Bahnhof Altona.
Der Rückweg verläuft recht geradlinig. Jedenfalls für unsere Verhältnisse.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Ernst Kahl
1. „Ihr habt einen Freund“
2. „Den Drogen keine Macht“
3. „Im Kühlschrank brennt noch Licht“
(Kahls CDs, alle eingespielt mit Hardy Kayser, dem derzeitigen Arrangeur und Gitarristen von Annett Louisan, gibt es hier. Das abgebildete Kahl-Gemälde entstand ca. 1993)
Das haben dem Herrn Kahl bestimmt nahestehende Personen eingeredet, dass er keinen Führerschein machen soll. Auch ich habe ja bis heute keinen Führerschein, und jedesmal, wenn ich überlege, mir ein Auto samt der dazugehörigen fahrberechtigung zu kaufen, kommt meine Umgebung mir schrecklich kariert, und wird wiedr nichts draus.
AntwortenLöschenKahl, Ernst Kahl, goldenes Herz, Muskeln aus Stahl!
AntwortenLöschenLiebe Frau modeste, danke für den Link auf diesen sehr aussagekräftigen und wie immer brillant formulierten Text. Zumal er mir nach längerer Zeit mal wieder die Strahlkraft des Verbes „bramarbassieren“ vor Ohren führte, weshalb ich es alsbald einmal zu verwenden verspreche.
AntwortenLöschenandreas, ich bin begeistert: Du kennst dich ja sogar in den verstecktesten Winkeln der Populärmusik aus!
Ich muss übrigens ergänzen, dass die Kahlsche Behauptung, ein güldnes Herz sein eigen zu nennen, noch immer unbedingt richtig ist, indes die stählernen Muskeln weder einst noch heute eine offenkundige physische Ausprägung gewonnen haben. Was noch keine Widerlegung ist, nur ein Indiz.