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20 März 2011
Moraltest mit Sitzkissen
Wenn man bei überschaubaren neun Grad Außentemperatur die Bundesligapartie Hamburger Sportverein gegen den 1. FC Köln besuchen will, sollte man unbedingt ein Sitzkissen mitnehmen. Die Plastikschalen im Stadion sind nämlich kälter als Eisbärschnauzen, sogar im Sommer.
Zum Glück stehen mir standardmäßig zwei entsprechende Polsterunterlagen zur Verfügung: eine mit dem Emblem des FC St. Pauli drauf (= taktisch womöglich unklug) und eine von der WM 2006 (= perfekt).
In der S-Bahn stelle ich allerdings fest, keine der beiden eingesteckt zu haben.
Eine Erkenntnis, die mir liebend gern den Nachmittag vergällen möchte; allerdings weiß ich da noch nicht, dass mich droben in Stellingen noch erheblich Vergällenderes erwarten wird. Doch dazu später.
Als ich im Stadion sitzkissenlos und missmutig Richtung Block 21B unterwegs bin, fällt plötzlich einer eislutschenden Frau vor mir etwas runter, ohne dass sie es bemerkt.
Es ist – ungelogen, vallah! – ein Sitzkissen.
Das Prachtexemplar seiner Art ist zwar mit allen Insignien des HSV versehen, doch andererseits auch verführerische fünf Zentimeter dick und anscheinend aufs Funktionalste gepolstert und gedämmt – von so etwas, sagen wir es rundheraus, träumt bei neun Grad Außentemperatur jeder Arsch.
Und es liegt vor meinen Füßen. Ich brauche es nur aufzuheben.
Das Spiel entwickelt sich sehr schnell sehr unschön. Die Kölner Spieler scheinen alle spontan an Narkolepsie erkrankt zu sein. Sie wachen erst auf, als sie 0:4 hinten liegen. Immerhin geht das zerschmetternde 2:6 als torreichstes Livespiel meiner Bundesligakarriere in die Geschichte ein. Na super.
Das verlorene Sitzkissen hatte ich übrigens dann doch der Frau hinterhergetragen. Zwei Stunden lang ein kalter Hintern: Das muss einem das Karma schon wert sein.
(Verdammt.)
19 März 2011
Keinesfalls ein Biber
Normalerweise jagt die Polizei auf St. Pauli Schläger und Messerstecher, manchmal auch Diebe, Mörder oder Hurenlohnpreller. Heute aber mal nicht, sondern einen kapitalen Nager.
Das Tier flitzte in der Seilerstraße über den Bürgersteig, entwischte zwischen Bänkenbeinen, brachte Frauen zum Kreischen und beschäftigte so summa summarum ein Dutzend Menschen.
Gleich mehrere Polizisten waren darunter, auch Passanten halfen. Irgendwann war das Tier im Käfig, und die Beamten wurden belobigend abgeklatscht – eine auf dem obrigkeitsskeptischen Kiez eher seltene Szene.
Doch um was für einen Faunavertreter handelte es sich bloß? „Ein Biber“, vermutete Ms. Columbo, die Stadtpflanze. Allerdings fehlte der charakteristische abgeplattete Schuppenschwanz.
Irgendeiner der Schaulustigen warf ein inkompetentes „Iltis!“ in die Runde, doch auch das war grundfalsch, denn ein Iltis endet (laut Google-Bildersuche) enorm buschig. Dieses praktisch hühnergroße pelzige Etwas, welches das ganze Tohuwabohu mit geradezu Dalai-Lama-esker Gelassenheit ertrug, begnügte sich indes mit einem langen dünnen Schwanz.
War es vielleicht eine Beutelratte? Eine Rüsselmaus? Ein dank Brokdorf mutierter Hamster gar? Die Sache blieb letztlich ungeklärt. Und die Polizisten zogen zufrieden und käfigschwenkend ab, um sich hinfort wieder den angestammten Tätigkeiten zu widmen – nämlich der Jagd auf Schläger und Messerstecher, Diebe, Mörder oder Hurenlohnpreller.
18 März 2011
Ein Griff ins Klo
Manchmal schäme ich mich schon ein wenig für die Stadt, in der ich lebe. Zum Beispiel neulich, als wir am abgebildeten Straßenschild vorbeikamen.
Irgendwann muss irgendjemand im Hamburger Senat gesagt haben: Gut, dieser Hahnemann hatte zwar die klapsmühlenkompatible Idee, Wasser habe eine Erinnerung, was ja bedeuten würde, dass alles, was jemals die Toilette runtergespült wurde, in jedem Tropfen, den wir trinken, nachwirkt; aber lasst uns diesem Volksverdummer trotzdem einen Straßennamen widmen.
Natürlich hätte man diesen Senator einfach auslachen können oder ihn alternativ belobigen für diesen gelungenen Witz. Doch der Senat tat nichts dergleichen, sondern sagte: klar, machen wir.
Und so kam es, dass ich mich wieder mal ein bisschen schämen muss für die Stadt, in der ich lebe. Aber das ist ja nicht in Stein gemeißelt, sondern nur in Emaille; es kann korrigiert werden. Hiermit möchte ich daher eine Blamageneliminierungskampagne anregen, die Peinlichkeiten aus dem Stadtbild entfernt.
Olaf, wie wär’s?
17 März 2011
Duo wider Willen
Ich hatte mein Fahrrad an einen bereits von einem weiteren Fahrrad benutzten Pfosten vorm Mercado angeschlossen. Als ich zurückkam, war meins plötzlich ans Nachbarrad angekettet, und ich konnte nicht mehr weg.
Noch ehe ich empört zu Maßnahmen greifen konnte, die ich später gewiss bereut hätte, stand unversehens ein massiger Mann vor mir, dessen körperliche Fülle durch babyhaft weiche, wenngleich grobporige Gesichtszüge noch unterstrichen wurde. Zudem umspielte exakt jenes bittere Lächeln seine Mundwinkel, welches weniger von Amüsiertheit als mühsam unterdrücktem Ärger herrührte.
„Sie haben mein Fahrrad an Ihres angeschlossen“, sagte er überraschend genau jenen Satz, der mir ebenfalls auf der Zunge lag und mir nun ein beschämend defensives „Wie bitte?“ aufzwang.
Zweifellos, vor mir stand der Fremdfahrradlenker, mein unbekannter Nachbar am Pfosten. Und in der Tat hatte ich, wie eine für mich wenig schmeichelhafte Beweisaufnahme ergab, versehentlich mein Kettenschloss durch jenen Halbkreis geführt, den sein überdünner, quasi unsichtbarer Bremszug in die Luft zwischen Lenker und Vorderrad malte. Das alles lag auf der Hand, auch jetzt noch, es war die berühmte smoking gun, und dadurch geriet ich natürlich sofort entscheidend in die Defensive.
Nachdem der Mann jedenfalls bei seiner Rückkehr das Malheur entdeckt hatte, beschloss er, den Spieß umzudrehen und mein Fahrrad nun auch mit seinem zu verbinden. Doppelt hält halt besser; jeder zufällig vorüberflanierende Gelegenheitsfahrraddieb hätte verzweifelt von diesem aneinandergeschmiedeten Drahteselduo abgelassen.
Anschließend hatte sich der zum Verweilen verdammte Mann verärgert ins Bistro gegenüber ans Fenster gesetzt und die Lage im Blick behalten, bis ich auftauchte. Nun, da er mich in flagranti gestellt hatte, war eine für mich durchaus peinliche Situation entstanden, von der ich sofort wusste, dass sie heute Abend – also jetzt – verbloggt und mit dem Etikett „Panne“ versehen werden würde.
Ich entschuldigte mich wortreich und versuchte abschließend, mit einem mitfühlenden „Haben Sie lange gewartet?“ sein bitteres Lächeln in ein nachsichtiges zu verwandeln. Was allerdings nur unzulänglich gelang.
„Ich habe einen Kaffee getrunken“, antwortete er so schmallippig, wie es seinem übergroßen Babymund möglich war, während er sein Fahrrad abschnallte und ich meins. „Darf ich Ihnen den bezahlen?“, charmierte ich. „Gut“, sagte er.
Und so kam es, dass ich mitten auf der Straße einem Wildfremden eine Zwei-Euro-Münze in die Hand drückte, ohne dass der Mann ein Bettler war.
Wahrscheinlich muss ich nicht erwähnen, dass der Franke sich im Hintergrund beömmelte bis an den Rand des Schließmuskelversagens.
Und deshalb tu ich’s auch nicht.
PS: Das abgebildete Rad zeigt natürlich nicht meins, sondern ein ganz anderes, dem es erheblich schlechter ergangen ist, als nur aus detektivischen Gründen angekettet zu werden. Man muss schließlich immer die Relationen sehen.
16 März 2011
Ha(a)r, ha(a)r
15 März 2011
13 März 2011
Oskar und KT haben was gemeinsam
Klar, wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung, und wer andern eine Grube gräbt, ist selbst ein Schwein – trotzdem würde ich mich als Verantwortlicher des Stellenanzeigenblattes JOBS-KOMPAKT NORD nicht wundern, wenn das Testimonial auf der aktuellen Titelseite wenig amüsiert wäre über seinen unfreiwiligen Einsatz als Coverboy.
Vielleicht setzt Herausgeber Sven Wolter-Rousseaux auch darauf, von Exminister Guttenberg belangt zu werden, was dem Blättchen sicher einen erheblichen Bekanntheitszuwachs einbrächte. Und die Chancen von JOBS-KOMPAKT NORD, damit vor Gericht durchzukommen, wären nicht schlecht, wenn man den Fall Lafontaine gegen Sixt zugrunde legt.
Der damals (1999) ebenfalls gerade zurückgetretene Minister war vom Autoverleiher ohne Genehmigung parodistisch als Werbefigur missbraucht worden und klagte auf 100 000 Euro Schadenersatz, weil er seine Persönlichkeitsrechte verletzt sah. In der zweiten Instanz verlor er, weil das Gericht das Ganze unter Meinungsfreiheit verbuchte.
Guttenberg und seinen Fans allerdings ist wahrscheinlich eh längst alles wurst, Hauptsache, es wächst ENDLICH Gras über die Sache. Und mit einer Klage würde KT ja gleichsam den Rasenmäher anwerfen.
Prognose: Sie kommen damit durch.
PS: Jaja, ich weiß, die Guttbye-Frequenz ist hier noch immer hoch. Aber sie wird sinken, versprochen. Wie sein Stern.
12 März 2011
Warum Guttenberg „Smoke on the Water“ wählte
Alle möglichen klugen Köpfe haben sich diese Woche dieselben darüber zerbrochen, warum wohl Karl-Theodor zu Guttenberg sich als Soundtrack zum Rausschmiss ausgerechnet den uralten Deep-Purple-Song „Smoke on the Water“ vorspielen ließ.
Natürlich, als Heimstatt des totgerittensten Gitarrenriffs aller Zeiten hat das Stück bereits mehrere Schnittmengen mit Guttenberg: Jeder kennt es (wie ihn), und man hat es selbst als Gitarrennovize schon nach 30 Minuten drauf (wie er einen x-beliebigen Ministerjob).
Doch das wahre Geheimnis dieser Songwahl liegt in einigen beziehungsreichen Textzeilen, und mit denen hat sich bis jetzt keiner aus der Journaille beschäftigt. Dabei beginnt der Song schon mit einem Knaller:
Hier nämlich lässt Guttenberg überdeutlich Assoziationen ans Schicksal eines seiner politischen Vorgänger aufscheinen. Hauchte denn nicht Uwe Barschel (CDU) nach einem die Republik auf ähnliche Weise erschütternden Skandal in einem Genfer Hotel sein Leben aus?
Mit dieser Zeile watscht Guttenberg seine Kritiker aufs Heftigste ab. Sein kaum verhohlener Vorwurf: Die Meute habe ihn in eine existenzielle Notlage gehetzt, quasi bis an den Rand der Badewanne. Der Begriff „Genf“ wird hier im Rahmen des Zapfenstreiches mit perfider Raffinesse umgedeutet zur Möglichkeit eines in der Tat finalen Ausgangs dieser Affäre, die weit über einen Rücktritt hätte hinausgehen können.
Der Song beginnt also mit der schaurigen Ahnung eines letalen Endes, doch Guttenberg wäre nicht Guttenberg, wenn er mit Hilfe Deep Purples nicht weitere kaum verschlüsselte Botschaften an seine Fantastilliarden Fans übermittelt hätte. Nehmen wir die Zeile
Dann wird es versöhnlicher, Guttenberg blickt nach vorne, in die Zukunft:
An Kampfeslust jedenfalls, auch das lässt der Baron durch den Song verkünden, mangelt es ihm nicht:
„Niemals vergessen“ wird er also, was ihm zugefügt wurde – gleichsam wie ein Elefant, der auch nach Jahrzehnten noch jenen identifiziert, der ihm Leid zufügte, und ihn genüsslich mit seinem Rüssel erwürgt. Okay, das ist jetzt vielleicht keine so gute Allegorie, weil wir nichts wissen (wollen) über Guttenbergs Rüssel, aber es ist ja wohl glasklar, was gemeint ist: Der Tag seiner Rache wird kommen, und dann wird er Würsten wie Fischer-Lescano, der Journaille, Bloggern und Twitterern schon zeigen, wo der Adel den Most holt.
Übrigens wurde Guttenberg am 5. 12. 1971 geboren – am Tag nach dem Brand, den Deep Purple in „Smoke on the Water“ so poetisch wie prophetisch verewigten. Eine letzte feinsinnige Hommage an ein Lied, das schier platzt vor geradezu nostradamischen Anspielungen auf Guttenbergs Schicksal.
Der Mann wusste eben genau, was er tat, als er sich diesen Song zum Zapfenstreich wünschte. Und ja, wir haben verstanden.
Foto: www.zuguttenberg.de. Mit freundlicher Genehmigung des Dingens.
Natürlich, als Heimstatt des totgerittensten Gitarrenriffs aller Zeiten hat das Stück bereits mehrere Schnittmengen mit Guttenberg: Jeder kennt es (wie ihn), und man hat es selbst als Gitarrennovize schon nach 30 Minuten drauf (wie er einen x-beliebigen Ministerjob).
Doch das wahre Geheimnis dieser Songwahl liegt in einigen beziehungsreichen Textzeilen, und mit denen hat sich bis jetzt keiner aus der Journaille beschäftigt. Dabei beginnt der Song schon mit einem Knaller:
„We all came out to Montreuxsingt Ian Gillan, und bei der Erwähnung des Genfer Sees müsste es eigentlich auch beim belämmertsten Spiegel-Praktikanten klingeling in der Birne machen.
on the Lake Geneva shoreline“,
Hier nämlich lässt Guttenberg überdeutlich Assoziationen ans Schicksal eines seiner politischen Vorgänger aufscheinen. Hauchte denn nicht Uwe Barschel (CDU) nach einem die Republik auf ähnliche Weise erschütternden Skandal in einem Genfer Hotel sein Leben aus?
Mit dieser Zeile watscht Guttenberg seine Kritiker aufs Heftigste ab. Sein kaum verhohlener Vorwurf: Die Meute habe ihn in eine existenzielle Notlage gehetzt, quasi bis an den Rand der Badewanne. Der Begriff „Genf“ wird hier im Rahmen des Zapfenstreiches mit perfider Raffinesse umgedeutet zur Möglichkeit eines in der Tat finalen Ausgangs dieser Affäre, die weit über einen Rücktritt hätte hinausgehen können.
Der Song beginnt also mit der schaurigen Ahnung eines letalen Endes, doch Guttenberg wäre nicht Guttenberg, wenn er mit Hilfe Deep Purples nicht weitere kaum verschlüsselte Botschaften an seine Fantastilliarden Fans übermittelt hätte. Nehmen wir die Zeile
„But some stupid with a flare gunEin Vollhorst mit Leuchtpistole hat also alles niedergebrannt. Ganz klar: Damit ist der Bremer Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano gemeint, der mit seiner Rezension von Guttenbergs Doktorarbeit die Tricksereien des Freiherrn grell ausleuchtete und so dessen Karriere in Schutt und Asche legte. Wenn wir diesen feinen Vers aus „Smoke on the Water“ richtig deuten, ist nach Guttenbergs Gusto also „stupid“ Fischer-Lescano schuld an allem; ohne den wäre alles immer noch supi, und darauf darf man im Rahmen eines Zapfenstreichs ja schon mal hinweisen.
burned the place to the ground“.
Dann wird es versöhnlicher, Guttenberg blickt nach vorne, in die Zukunft:
„When it was all overEr wird also nicht aufgeben, im Gegenteil, er wird zurückkommen, es gibt auch für Guttenberg wieder einen Platz in dieser Gesellschaft, er muss ihn nur finden, und deshalb sucht er schon mal.
we had to find another place“.
An Kampfeslust jedenfalls, auch das lässt der Baron durch den Song verkünden, mangelt es ihm nicht:
„No matter what we get out of this“, heißt es nämlich am Ende, „I know, I know we’ll never forget“.Zum einen gelingt es Guttenberg hier aufs Eleganteste, das eher volkstümliche „Ich“ wie nebenbei mit dem royalen Plural („We“) zu verbinden. Zum andern stößt er mit dem letzten Satz eine kaum verhohlene Drohung aus.
„Niemals vergessen“ wird er also, was ihm zugefügt wurde – gleichsam wie ein Elefant, der auch nach Jahrzehnten noch jenen identifiziert, der ihm Leid zufügte, und ihn genüsslich mit seinem Rüssel erwürgt. Okay, das ist jetzt vielleicht keine so gute Allegorie, weil wir nichts wissen (wollen) über Guttenbergs Rüssel, aber es ist ja wohl glasklar, was gemeint ist: Der Tag seiner Rache wird kommen, und dann wird er Würsten wie Fischer-Lescano, der Journaille, Bloggern und Twitterern schon zeigen, wo der Adel den Most holt.
Übrigens wurde Guttenberg am 5. 12. 1971 geboren – am Tag nach dem Brand, den Deep Purple in „Smoke on the Water“ so poetisch wie prophetisch verewigten. Eine letzte feinsinnige Hommage an ein Lied, das schier platzt vor geradezu nostradamischen Anspielungen auf Guttenbergs Schicksal.
Der Mann wusste eben genau, was er tat, als er sich diesen Song zum Zapfenstreich wünschte. Und ja, wir haben verstanden.
Foto: www.zuguttenberg.de. Mit freundlicher Genehmigung des Dingens.
11 März 2011
10 März 2011
Die revolutionäre Schlaf- und Fressdiät
Der Franke will abnehmen. Sieben Kilo trennen ihn von seinem Kampfgewicht mit 20, da will er wieder hin.
Zur Erinnerung: Der Mann wurde in ganz Ottensen weltberühmt dank seiner unübertrefflichen Verzehrmengen pro Sekunde, eine Fähigkeit, welche ihn zum Schrecken der lokalen Büffetgastronomie machte.
Er steht nur deshalb bis heute nicht im Guinness-Buch der Rekorde, weil die Prüfer den Verdacht nicht loswurden, der Franke arbeite mit illegalen Tricks. Mit den Naturgesetzen war sein Essverhalten jedenfalls noch nie kompatibel, aber nur scheinbar.
Und jetzt erzählt der Mann mir plötzlich irgendwelche Sachen von schnellen und langsamen Kohlehydraten. Und wenn man ihm Glauben schenken darf (was ich niemals auch nur als Gedankenspiel in Erwägung zöge), dann gehört zu einer erfolgsversprechenden Diät auch etwas völlig Skurriles: ausgiebiges Schlafen.
Neulich, erzählte er mir heute stolz, will er im Schlaf mal eben anderthalb Kilo abgenommen haben. „Franke“, weise ich ihn seufzend zurecht, „du schwitzt im Schlaf. Was du verlierst, ist alles Wasser. Und hättest du einen stinknormalen Metabolismus wie der Rest der Menschheit, dann müsstest du im Schlaf mindestens zwei bis drei Kilo abnehmen und nicht lediglich anderthalb. Nur durch schwitzen.“
Aber nein, beharrt er, es sei keinesfalls Schweiß, der ihm nächtens abhanden komme, sondern echte Körpersubstanz. Sie bilde sich im komatösen Zustand automatisch zurück, im besten Falle handele es sich dabei um Fett. Meines Erachtens aber sind bei längerer Verweildauer in Matratzien allenfalls Muskeln von Schwund betroffen, aber was weiß ich schon.
Der Franke jedenfalls will jetzt viel mehr und länger schlafen und in den seltenen Wachphasen nur noch schnelle Kohlehydrate essen, keine langsamen. Und natürlich mehr Fleisch (Foto).
Hat er wirklich mehr Fleisch gesagt? Meine Güte, der Typ steht nur deshalb bis heute nicht im Guinness-Buch der Rekorde für Fleischverzehr pro Sekunde in Kilo, weil die Prüfer dachten, er arbeite mit einer geschickt versteckten Vertilgungsmaschine. Und jetzt will er mehr Fleisch essen, um abzunehmen?
Meinen Rat, das doch am besten als Schlafwandler zu tun, werde ich lieber nicht anbringen; am Ende versteht er die Ironie nicht und setzt ihn noch um.
09 März 2011
Im Sushikoma
Nirgends in Hamburg liefert Fischers Fritze frischere Fische ab als an der Großen Elbstraße, die vom Fischmarkt aus nach Westen führt.
Dort reiht sich ein Verarbeitungsbetrieb an den nächsten, und die Lücken dazwischen füllen unzählige maritim orientierte Bistros und Restaurants. Ein Biotop für das beste Sushi diesseits von Yokohama.
Zum Beispiel im Buddha’s Kitchen, wo es heute Abend Sushi satt gab für 30 Euro pro Nase, und wer war mittendrin? Ms. Columbo und meine Wenigkeit. Man lieferte zum Auftakt erst einmal eine Sushiplatte mit ungefähr 30 Röllchen, welche der Orientierung über die Vielfalt des Angebots dienen sollte.
Als sie behaglich verputzt war, waren wir bereits satt – der Kellner aber schon mit der nächsten Platte im Anmarsch, die einen weiteren hochinteressanten Einblick ins Sushispektrum von Buddha’s Kitchen erlaubte.
Wir schafften auch das. Danach aber waren wir derart geschwächt, dass wir uns nicht mehr mit der nötigen Vehemenz gegen die Lieferung einer dritten Platte zu wehren vermochten. Irgendwie war es mir allerdings gelungen, den Kellner dazu zu bewegen, sie nur halb zu bestücken. Von dieser Hälfte schafften wir – inzwischen dreiviertel komatös – immerhin noch die Hälfte. Eine Energieleistung, die nur zu schätzen weiß, wer dabei war.
Als der Kellner abräumte, fand er zwei müde abwinkende, schwer atmende Gestalten vor, deren Kommunikationsfähigkeit praktisch aufs Vegetative heruntergedimmt war. „Ach“, lächelte der Kellner, „wir hatten hier auch schon Gäste, die haben sechs Platten geschafft.“ „Zu viert?“, fragte Ms. Columbo matt.
„Nein“, sagte der Kellner, „zu zweit. Wie Sie.“
Der abschließende Grappa aufs Haus verschlechterte die Gesamtlage dann noch mal deutlich, was ich allerdings erst zu Hause in seiner ganzen Tragweite feststellen musste, leider.
08 März 2011
07 März 2011
HSV gegen Mainz = 5:1 für uns
Am Bahnhof Stelliingen finden wir einen mit HSV-Flaggen dekorierten Bierstand vor. Das freilich wäre noch nichts Erstaunliches, doch hinterm Tresen stehen zwei circa zwölfjährige Pimpfe und verticken Holsten in Dosen. Zwölfjährige!
Vielleicht ist so was sogar irgendwie legal, denn immerhin trinken die Jungs nichts davon. Als ich zur Dokumentation dieses segensreichen kindlichen Wirkens am Bruttosozialprodukt die Kamera zücke, fällt mir der Franke in den Arm. Ich solle das lassen, argumentiert er, um keine behördliche Aufmerksamkeit auf den Schwarzmarkt zu lenken.
Dieser bauernschlaue Mitallenwasserngewaschene – auf so eine Idee wäre ich gar nicht gekommen! Als bekanntermaßen gut Belehrbarer gebe ich seinem Einwand aber sofort statt. Ersatzweise muss er sich allerdings dazu verdingen, mir höchstpersönlich eine der erstandenen Bierdosen ins Bild zu halten (Foto).
Ein Beweis für einen Bierstand mit zwei circa zwölfjährigen Pimpfen, die Holsten in Dosen verkaufen, ist das allerdings nicht, Herr Staatsanwalt!
Vorm Spiel hatte ich getwittert „Auf dem Weg nach Stellingen, dem HSV Pech bringen“, und was soll ich sagen … Wir sitzen zufällig auch noch hinterm jenem Tor, das fünf der insgesamt sechs Treffer des Nachmittags für sich verbuchen darf. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich, und zwar ausdrücklich bei beiden Teams.
Außer bei Mladen Petric; der traf gegenüber.
06 März 2011
Ein echter Fuffziger
Esso-Tankstelle, Spielbudenplatz. Die sogenannte „Kulttanke“ also, über die Spiegel TV alle zwei Wochen irgendeine Reportage dreht, weil dort Betrunkene drollige Sachen machen.
„Tut mir furchtbar Leid, wirklich“, sage ich möglichst kleinlaut zum Kassierer, „aber ich habe nur einen Fünfziger. Ist das schlimm?“ Ich halte dem unglaublich sanftmütig wirkenden anatolischen Glatzkopf die Mopo samt großem Schein hin und versuche zu gucken wie eine Dackelwelpe.
Schließlich muss ich ihm ja nicht erzählen, dass ich gerade das letzte Kleingeld im Backhus für Walnussbrötchen hergab. Er würde mich bestimmt fragen, womit er es verdient habe, kleingeldtechnisch schlechter behandelt zu werden als das Backhus, und darauf wäre mir nur eine Antwort eingefallen: Gedankenlosigkeit. Ignoranz. Geistige Trägheit. (Na gut: Das waren drei Antworten.)
„Ja, das ist schlimm“, sagt er mit dem bittersten Lächeln seit Erfindung der Oberlippe. Kopschüttelnd sucht der Mann (es handelt sich wahrscheinlich genau um jenen „Ausländer“, der neulich angeblich „einen Deutschen“ rausgeschmissen hat) das Wechselgeld zusammen und blättert es mir mit vorwurfsvoller Melancholie hin.
„Mit Taxifahrern könnten Sie das nicht machen“, mahnt er, noch immer bitter lächelnd. „Wenn die zwei Fünfziger hintereinander bekommen, werden die sauer.“
Ich nehme die 49,40 Euro entgegen und verstaue sie in meiner Börse. „Sie sind aber kein Taxifahrer“, kontere ich. Ein schlagfertiger Einfall, wie mir scheint, denn in Verbindung mit meinem frühlingshaften Strahlen baue ich so eine gummiartige wall of charme auf, an der seine Enttäuschung, seine Bitterkeit, seine Melancholie nicht nur abprallen, sondern sich sogar verwandeln werden in eine Art Vorfrühlingsglück, welches sein ganzes Wochenende prägen wird.
Und genau so kam es dann auch.
(Foto: www.reeperbahn-garagen.de)
05 März 2011
Dreieinhalb Minuten beim Orthopäden
Arzt (weht eindrucksvoll herein, setzt sich an den Rechner): Guten Tag. Was ist denn mit Ihrem Knie?
Matt: Es schwillt immer wieder an und …
Arzt (zur Sprechstundenhilfe, die den Raum betritt): Ja?
Sprechstundenhilfe: Frau Thomsen* am Apparat wegen der nichtzugelassenen Medikamente.
Arzt (zu mir): Augenblick. (nimmt Hörer ab) Frau Thomsen? … Ja … Kein Problem, die kann ich Ihnen besorgen. Sind aber nur in den USA zugelassen. Aber Ihr Vater wird mich ja kaum verklagen … Genau … So machen wir’s … Ja … Gut … Ich rufe Sie an, wenn die Mittel da sind. (legt auf, schaut wieder auf den Monitor)
Matt: Wie gesagt, die Schwellung kommt immer wieder. Die Einlagen haben nicht geholfen. Dr. X. hat das Knie damals geröntgt und gesagt, er hätte da …
Arzt (ohne mich anzuschauen): Hat er denn keine Kernspin veranlasst?
Matt: Nein.
Arzt (schüttelt missbilligend den Kopf, kommt zu mir rum): Wo tut es denn weh?
Matt (wickelt Hosenbein hoch)
Arzt (drückt am Knie herum): Hier? Hier?
Matt: Es wechselt. Manchmal gibt es einen punktuellen Bewegungsschmerz links, besonders wenn …
Arzt (steht abrupt auf): Also überall. (zur Schwester) Einmal Überweisung Kernspin. (zu mir) Lassen Sie sich einen Termin geben und kommen Sie mit den Aufnahmen wieder. (weht eindrucksvoll hinaus)
Matt: Äh …
Sprechstundenhilfe (setzt sich an den Rechner, klackert los, der Drucker surrt): Hier, Ihre Überweisung. (klackert weiter)
Matt (nimmt den Zettel, bleibt unschlüssig sitzen): Hm … kann ich jetzt gehen?
Sprechstundenhilfe (nickt ohne aufzublicken)
Matt (packt seine Sachen und geht ab)
Allmählich dämmert mir, warum manche Leute allen Ernstes Homöopathen aufsuchen.
* Name geändert
04 März 2011
03 März 2011
St. Pauli hat gewählt – und wie!
Wie der Rest der Welt aus einem hiesigen Blogbeitrag erfuhr, hatten wir am 20. Februar eine Bürgerschaftswahl, was anderswo einer Landtagswahl entspricht.
Erst jetzt bin ich dazu gekommen, mir die Wahlstatistik von St. Pauli in mühevollster Kleinarbeit als relativ junger Nichtfamilienvater einmal näher anzuschauen. Und siehe da: Sie ist nicht gerade repräsentativ für unsere Stadt. Hätten alle Hamburger so gewählt wie wir, wäre zum Beispiel die CDU nur gerade so eben noch in die Bürgerschaft gerutscht.
5,5 Prozent sind kein Ruhmesblatt, CDU, irgendwas macht ihr falsch, ihr sprecht St. Pauli nicht korrekt an, ihr habt den Rotlichtsound nicht drauf. Vielleicht habt ihr aber auch einfach nur zu viele Baugenehmigungen für leerstehende Bürotürme erteilt, wer weiß das schon. Zur Strafe fuhren düpierenderweise sogar Exoten wie die Piraten eine doppelt so hohe Ernte ein wie die CDU.
Alle linken oder linksorientierten Parteien (SPD, GAL, Linke, Piraten) zusammen kommen in St. Pauli übrigens auf einen Stimmenanteil von stattlichen 91,6 Prozent. Das ist ja fast schon honneckeresk, meine Lieben!
Angesichts dieser gewaltigen Übermacht dürfte den ungefähr 150 Kieznazis ziemlich die Muffe gehen, nicht nur auf der Reeperbahn nachts um halb eins, sondern ganz generell. Mein Vorschlag zur Güte: wegziehen.
Noch jemand vergessen? Ach ja, die FDP. Passable 1,6 Prozent vermochte jene Partei zu verbuchen, die mit einer gelben Regenjacke als Testimonial an den Start gegangen war. Doch St. Pauli sehnt sich nach Sonne; somit war das einfach das falsche Signal für einen Februar.
Wie überall in Hamburg stellten übrigens auch bei uns die Nichtwähler mit Abstand die stärkste Partei. Sie kamen auf über 55 Prozent.
Würde man sie ebenfalls in die Wahlstatistik einfließen lassen, käme die CDU auf eine Zahl, die sogar mich schockiert.
(Grafik: Statistik-Nord, E. Hyra und S. Kehne)
02 März 2011
Der Bettelbär
Nachdem Dr. Angela Merkel gestern erwartungsgemäß meinem Gesuch stattgab, darf man nun leicht beruhigt die Aufmerksamkeit wieder dem Kiez zuwenden.
Dort, an üblicher Stelle in der Simon-von-Utrecht-Straße, hängt seit neuestem ein am Mauergitter aufgeknüpfter Bettelbär. Er hält tapfer die Stellung, wenn die polnischen Obdachlosen gerade woanders sind.
Ich weiß nicht, wie weit es gewöhnlich her ist mit Selbstdisziplin und Anstand zufällig vorbeikommender Bettelkonkurrenten, doch ich könnte mir schon vorstellen, dass man in einer solch prekären Situation dem Bären en passant eher was aus dem Becher nimmt, als etwas mühsam Selbsterbetteltes hineinzuwerfen.
Kurz: Obgleich sein mitleiderregendes Aufgeknüpftsein an der Simon-von-Utrecht-Straße durchaus die Herzen von Passanten zu rühren imstande sein dürfte, zweifle ich doch aus geschilderten Gründen an seinem Nettoerfolg am Ende des Tages.
Als ich abends erneut dort vorbeikam, war er denn auch verärgert abgehängt worden und saß jetzt schmollend abseits der zurückgekehrten Polengruppe an der Mauer.
Mehr ist übrigens auch nicht dran an dieser Pseudogeschichte. Aber das haben Sie sicher schon geahnt.
01 März 2011
Wie ein Küken nach dem Schlüpfen
Vorbands sind die Parias des Konzertbetriebes. Das wurde heute mal wieder auf brutalstmögliche Weise klar.
Wir waren zum Kylie-Minogue-Konzert in die o2-World-Arena eingeladen worden, als Auftakt des Abends spielte die Newcomerband Frida Gold.
Nachmittags schon, das erfuhren wir in der Loge, wo wir u. a. mit Champagner (Foto) empfangen wurden, war der Vorband nur ein zehnminütiger Soundcheck gestattet worden. Und jetzt standen die Jungs samt Mädel auf der Bühne, und alles ging plangemäß schief.
Der verantwortliche Mischpultsaboteur, der ohne jeden Hehl den Auftrag hatte, Kylie Minogue durchs akustische Niedermachen der Vorband umso heller erstrahlen zu lassen, sorgte erst einmal dafür, dass Frida Gold so leise rüberkamen wie ein Küken nach dem Schlüpfen.
Außerdem eliminierte er alle hohen Frequenzen; der E-Gitarrist weiß wahrscheinlich noch immer nicht, dass die 10 000 Leute in der o2 World ihn bloß für einen komischen Vogel mit Gitarrenattrappe hielten – und die Keyboarder für Pling-Pling-Clowns.
Bis zu unseren Plätzen drangen lediglich Basedrum und Bass durch – sowie ein fernes Kieksen, das anscheinend die Stimme der Sängerin darstellen sollte. Genauso muss perfekt inszenierte Mischpultsabotage klingen, und in dieser Hinsicht erledigte Kylies Agent an den Reglern seinen Job fantastisch.
Vorbands wissen das. Aber sie können nichts tun. Wer in den Genuss kommt, von Label oder Management für einen saftigen Betrag ins Vorprogramm eines Stars eingekauft zu werden (offiziell heißt das: „Superstar XY persönlich hat die Band ausgesucht“), wird sabbern vor Glück, endlich mal eine fünf- statt dreistellige Zahl von Leuten beschallen zu dürfen.
Der Preis dafür ist vergleichbar mit dem Einzug ins Dschungelcamp: Man wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Und man wird zum hässlichen Entlein gemacht, um den Kontrast zum schwanengleichen Star zu maximieren.
Vorbands sind die Watschenpuppen des Konzertbetriebes, die Crashtestdummys, sie kriegen Klamotten aus Altkleidersammlungen übergeworfen. Die akustische Botschaft des Mischpultsaboteurs ans Publikum ist eindeutig: Seht her, wie klein sie sind, wie hässlich.
Frida Gold werden vielleicht trotzdem berühmt. An ihrem Job als Vorband von Kylie Minogue wird es aber nicht gelegen haben, so viel ist sicher.
Wir waren zum Kylie-Minogue-Konzert in die o2-World-Arena eingeladen worden, als Auftakt des Abends spielte die Newcomerband Frida Gold.
Nachmittags schon, das erfuhren wir in der Loge, wo wir u. a. mit Champagner (Foto) empfangen wurden, war der Vorband nur ein zehnminütiger Soundcheck gestattet worden. Und jetzt standen die Jungs samt Mädel auf der Bühne, und alles ging plangemäß schief.
Der verantwortliche Mischpultsaboteur, der ohne jeden Hehl den Auftrag hatte, Kylie Minogue durchs akustische Niedermachen der Vorband umso heller erstrahlen zu lassen, sorgte erst einmal dafür, dass Frida Gold so leise rüberkamen wie ein Küken nach dem Schlüpfen.
Außerdem eliminierte er alle hohen Frequenzen; der E-Gitarrist weiß wahrscheinlich noch immer nicht, dass die 10 000 Leute in der o2 World ihn bloß für einen komischen Vogel mit Gitarrenattrappe hielten – und die Keyboarder für Pling-Pling-Clowns.
Bis zu unseren Plätzen drangen lediglich Basedrum und Bass durch – sowie ein fernes Kieksen, das anscheinend die Stimme der Sängerin darstellen sollte. Genauso muss perfekt inszenierte Mischpultsabotage klingen, und in dieser Hinsicht erledigte Kylies Agent an den Reglern seinen Job fantastisch.
Vorbands wissen das. Aber sie können nichts tun. Wer in den Genuss kommt, von Label oder Management für einen saftigen Betrag ins Vorprogramm eines Stars eingekauft zu werden (offiziell heißt das: „Superstar XY persönlich hat die Band ausgesucht“), wird sabbern vor Glück, endlich mal eine fünf- statt dreistellige Zahl von Leuten beschallen zu dürfen.
Der Preis dafür ist vergleichbar mit dem Einzug ins Dschungelcamp: Man wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Und man wird zum hässlichen Entlein gemacht, um den Kontrast zum schwanengleichen Star zu maximieren.
Vorbands sind die Watschenpuppen des Konzertbetriebes, die Crashtestdummys, sie kriegen Klamotten aus Altkleidersammlungen übergeworfen. Die akustische Botschaft des Mischpultsaboteurs ans Publikum ist eindeutig: Seht her, wie klein sie sind, wie hässlich.
Frida Gold werden vielleicht trotzdem berühmt. An ihrem Job als Vorband von Kylie Minogue wird es aber nicht gelegen haben, so viel ist sicher.
28 Februar 2011
In Extremo widerlegen das Optimalverspätungsgesetz
Wenn man seit 16 Jahren auf dem Kiez Konzerte besucht, weiß man genau, was man keinesfalls tun darf: pünktlich kommen, also zu dem Zeitpunkt, an dem das Konzert offiziell angesetzt ist.
Pünktlich kommen bedeutet nämlich – vor allem, wenn die Begleitung kurzfristig abgesagt hat – dumm rumstehen und vor lauter Langeweile vor der Zeit das erste Bier bestellen.
Wer auf dem Kiez pünktlich kommt, kommt auf alle Fälle viel zu früh. Die Band ist wahrscheinlich gerade auf dem Weg ins Restaurant und wird erst nach dem gemütlichen Gelage plus obergemütlichem Absacker plus Kurzmalfrischmachen im Hotel ganz allmählich eintrudeln, während man selbst vor Langeweile schon drei Bier getrunken hat. Oder vier.
Einmal wollte ich – was ich wahrscheinlich hier schon mal erzählt habe – zu einem um 22 Uhr angesetzten Konzert ins Molotow, welches dann um 0:30 Uhr endlich anfing. Das waren irgendwelche Dänen, und sie waren verdammt gut. Aber auch verdammt spät dran, und das an einem Donnerstag.
Wenn man also seit 16 Jahren auf dem Kiez Konzerte besucht, kommt man später, so Pi mal Daumen eine Stunde. Schon oft gelang es mir mit dieser ausgefeilten Methode, exakt zur Ansage oder während des ersten Stücks den Club zu betreten, während ich umgeben war von aus bekannten Gründen glasig dreinschauenden Leuten, deren Konzertbesuche keinen empirischen Gesetzmäßigkeiten folgten.
Gestern Abend spielten In Extremo im Grünspan, eine Band, die ich zwar schon mehrfach getroffen, aber noch nie live gesehen hatte. Offizieller Konzertbeginn war 20 Uhr, also machte ich mich gemäß des Optimalverspätungsgesetzes um 21 Uhr auf den kurzen Weg ins Grünspan.
Der Mann an der Kasse glotzte mich verwundert an, als ich Einlass begehrte, und rief mir gegen den herüberbrandenen In-Extremo-Lärm zu: „Die sind aber gleich fertig.“ Ich erwiderte etwas im Sinne von „Wie bitte? Aber gab es denn keine Vorband?“, doch er drückte mir den Stempel auf den Daumenballen und brüllte: „Die haben pünktlich angefangen“ – ein Satz, der mir genauso realistisch vorkam, als hätte er gerade gesagt (nein: gebrüllt), der Papst habe heute eine Bank in Stockholm überfallen.
Doch es stimmte. In Extremo hatten pünktlich um 8 angefangen. Sie spielten nach meiner Ankunft noch drei Stücke, sperrten sich gegen den ausdrücklichen Wunsch des Publikums nach Zugaben und entließen uns alle noch vor halb 10 hinaus in die linde Nacht.
So erlebte ich das wahrscheinlich kürzeste Kiezkonzert meines Lebens, das zudem mit der geringsten persönlichen Biervertilgungsquote seit Erfindung der Gerste in die Annalen einging: null.
Also fragen Sie mich bitte nicht, wie es war. Auskunft geben kann ich höchstens über die Laserlichtspiele überm Toiletteneingang, aber auch das am liebsten nur visuell.
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