
Pünktlich kommen bedeutet nämlich – vor allem, wenn die Begleitung kurzfristig abgesagt hat – dumm rumstehen und vor lauter Langeweile vor der Zeit das erste Bier bestellen.
Wer auf dem Kiez pünktlich kommt, kommt auf alle Fälle viel zu früh. Die Band ist wahrscheinlich gerade auf dem Weg ins Restaurant und wird erst nach dem gemütlichen Gelage plus obergemütlichem Absacker plus Kurzmalfrischmachen im Hotel ganz allmählich eintrudeln, während man selbst vor Langeweile schon drei Bier getrunken hat. Oder vier.
Einmal wollte ich – was ich wahrscheinlich hier schon mal erzählt habe – zu einem um 22 Uhr angesetzten Konzert ins Molotow, welches dann um 0:30 Uhr endlich anfing. Das waren irgendwelche Dänen, und sie waren verdammt gut. Aber auch verdammt spät dran, und das an einem Donnerstag.
Wenn man also seit 16 Jahren auf dem Kiez Konzerte besucht, kommt man später, so Pi mal Daumen eine Stunde. Schon oft gelang es mir mit dieser ausgefeilten Methode, exakt zur Ansage oder während des ersten Stücks den Club zu betreten, während ich umgeben war von aus bekannten Gründen glasig dreinschauenden Leuten, deren Konzertbesuche keinen empirischen Gesetzmäßigkeiten folgten.
Gestern Abend spielten In Extremo im Grünspan, eine Band, die ich zwar schon mehrfach getroffen, aber noch nie live gesehen hatte. Offizieller Konzertbeginn war 20 Uhr, also machte ich mich gemäß des Optimalverspätungsgesetzes um 21 Uhr auf den kurzen Weg ins Grünspan.
Der Mann an der Kasse glotzte mich verwundert an, als ich Einlass begehrte, und rief mir gegen den herüberbrandenen In-Extremo-Lärm zu: „Die sind aber gleich fertig.“ Ich erwiderte etwas im Sinne von „Wie bitte? Aber gab es denn keine Vorband?“, doch er drückte mir den Stempel auf den Daumenballen und brüllte: „Die haben pünktlich angefangen“ – ein Satz, der mir genauso realistisch vorkam, als hätte er gerade gesagt (nein: gebrüllt), der Papst habe heute eine Bank in Stockholm überfallen.
Doch es stimmte. In Extremo hatten pünktlich um 8 angefangen. Sie spielten nach meiner Ankunft noch drei Stücke, sperrten sich gegen den ausdrücklichen Wunsch des Publikums nach Zugaben und entließen uns alle noch vor halb 10 hinaus in die linde Nacht.
So erlebte ich das wahrscheinlich kürzeste Kiezkonzert meines Lebens, das zudem mit der geringsten persönlichen Biervertilgungsquote seit Erfindung der Gerste in die Annalen einging: null.
Also fragen Sie mich bitte nicht, wie es war. Auskunft geben kann ich höchstens über die Laserlichtspiele überm Toiletteneingang, aber auch das am liebsten nur visuell.