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20 Oktober 2008

Aufstieg und Fall des Pennerbären

Das obdachlose Pärchen an der Simon-von-Utrecht-Straße hatte Zuwachs bekommen: einen riesenhaften Plüschbären. Genauer gesagt den größten Plüschbären, den der Kiez je gesehen hat.

Insgesamt kam der Trumm circa auf einen Kubikmeter Volumen. Im gleichen Maße förderte er auch die Heimeligkeit dieser traditionell tristen Stelle an der Simon-von-Utrecht-Straße, die geprägt ist von einer großen Werbefläche in der Vertikalen und einem wärmespendenden Abluftgitter in der Horizontalen, wobei Letzteres für die Obdachlosen gewiss die Killerapplikation dieses Standortes liefert.

Der Riesenbär jedenfalls gab der Szenerie schlagartig eine rührende Pseudoidylle. Finanzkrise hin oder her: Hier unten, auf dem Abluftgitter an der Simon-von-Utrecht-Straße, konnte es eh nicht mehr schlimmer kommen, sondern nur besser, und dafür sorgte nun dieser Plüschbär unbekannter Herkunft.

Das musste fotografiert werden, so viel war mir schnell klar, schon aus Gründen der Sozialromantik. Also radelte ich hin, um das Trio um Erlaubnis zu bitten – und fand mich prompt in einer Warteschlange wieder.

Denn wer stand fotografierend vor dem Trio? Zwei Streifenpolizisten in gedecktem Schillblau. Er mit Handy, sie mit einem Lächeln und das Pärchen samt Bärchen entspannt posierend – ähnlich wie einst John Lennon und Yoko Ono beim Bed-in in New York City, nur ohne deren Bankkonto.

Ein Gefühl sagte mir gleich: So was gibt es nur auf dem Kiez. Woanders – sagen wir in Rostock-Lichtenhagen oder Castrop-Rauxel – hätten die Polizisten wohl eher auf sofortige Entsorgung des Plüschbärmonsters gedrungen, statt grinsend das Handy zu zücken.

Wie auch immer: Ich kam, sah und stellte mich hinten an. Als ich dran war, erhielt ich umstandslos die zweckgebundene Fotoerlaubnis. Mein Obolus in den hingestellten Porzellanteller war keineswegs Bedingung, doch hellte er die eh gelöste Stimmung zusätzlich auf.

Das ist erst ein paar Tage her. Danach sah ich den Bären noch einmal allein im Regen sitzen, mit Plastikplane überm Quadratschädel und aufgestecktem Regenschirm. Ein surreales Bild. Und jetzt ist er plötzlich ganz verschwunden, der Pennerbär von der Utrecht.

Alles ist wieder so, wie es dort immer war und immer sein muss, Finanzkrise hin oder her: sozial ziemlich unromantisch.



02 Juli 2013

Bettenbattle auf St. Pauli

Wie im April hier im Blog mit Befremden vermerkt, hat jemand Befugtes, wahrscheinlich die Stadt, überm Abluftschacht an der Simon-von-Utrecht-Straße einen großen Blechkasten platziert.

Damit sollten Obdachlose vergrämt werden, was auch ausgezeichnet gelang. Nun hatten zwei unbekannte Jungs eine hübsche, von zivilem Ungehorsam und sozialem Engagement gleichermaßen inspirierte Idee. Sie hebelten, wie in einem Bekennervideo zu sehen ist, die Frontseite des Kastens ab (Sachbeschädigung! Diebstahl!) und bauten zwei fabrikneue Betten rein (illegale Sperrmüllentsorgung!).

Allerdings waren die Betten nicht lange dort. Irgendwer hat sie inzwischen wieder mitgenommen, vielleicht die Stadt. Wenn ja, hätte sie aber bestimmt auch das Frontblech wieder angeschraubt, so dass alles wieder von vorne hätte losgehen können.

Jedenfalls: Seit der Kasten offen und damit das Warmluftgitter erneut zugänglich ist, sitzen jetzt manchmal auch wieder Obdachlose drin. Nur die Querstangen knapp überm Boden stören.


Eine Eisensäge könnte hier Wunder wirken.

15 Februar 2011

Ausnahmesituation



Wann immer ich in den vergangenen Jahren das Obdachlosenlager an der Simon-von-Utrecht fotografierte, gewann das Motiv seinen widersprüchlichen Reiz aus einer ganz speziellen Wechselwirkung zwischen Reklame und Elend.

Meist schien das Werbemotiv auf geradezu absichtlich zynische Weise das Schicksal der Heimatlosen zu seinen Füßen zu kommentieren (zum Beispiel hier, hier und hier). Heute aber motivierte mich erstmals genau das Gegenteil zur fotografischen Dokumentation der Szenerie.

Denn ausgerechnet die Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt hat diesen Werbeplatz gebucht, und endlich ist die Gesamtsituation dort harmonisch und homogen. Kein Hintersinn, kein Sarkasmus, keine Bösartigkeit lädt die Lage mit Symbolik und Sozialkritik auf. Man sieht nur eine Werbung, die von der Realität bestätigt wird und umgekehrt.

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.

Der polnische Obdachlose – nennen wir ihn Jaczek A. – war übrigens damit einverstanden, fotografiert zu werden. Trotzdem war es mir sehr unangenehm, die Linse auf ihn zu richten. Sie verwandelte sich dabei unversehens in eine Waffe, die auf einen Schutz- und Wehrlosen gerichtet war.

Trotzdem schien mir das Motiv wichtig genug, um mich über die Obszönität der Situation hinwegzusetzen. Denn wenn Jaczek A. schon mal nicht von einem Werbeslogan für Wohlstandsbürger düpiert und veralbert wird, dann sollte das ebenfalls dokumentiert werden.

Es wird eh die Ausnahme bleiben, so viel ist sicher. Demnächst wirbt an dieser Stelle wieder irgendjemand für „Kokowääh“, Flatratetarife oder den Heidepark Soltau.

Vielleicht auch für wahnsinnig günstige Baukredite.

21 April 2010

Das Stäbchendesaster



Bei der Plünderung eines Sushibüffets, das nur sporadisch aufgefüllt und deshalb immer wieder Opfer kollektiver Spontanattacken wird, ist es ein ernster Nachteil, kein Stäbchenvirtuose zu sein.

Wie ich.

Besteck als Alternative hätte natürlich geholfen, doch das stellte das gastgebende und durchweg dekorativ illuminierte Luxushotel East (Foto) in der Simon-von-Utrecht-Straße leider nicht zur Verfügung. So geriet ich bei der heißen Schlacht am kalten Büffet schon früh in Rückstand.

Die Handhabung von Stäbchen, dieser fürs Augenausstechen sicherlich hocheffektiven, für jede Form der Nahrungsaufnahme jedoch ganz und gar disfunktionalen Werkzeuge, mag für über eine Milliarde merkwürdiger Menschen das Selbstverständlichste der Welt sein, für mich aber ist das etwa so, als müsste ich die 100 Meter in Taucherflossen laufen, während die Konkurrenz in luftgepolsterten Turnschuhen mit Sprungfedern unterwegs ist.

Zu meiner wenig schmeichelhaften Erleichterung rutschte auch Ms. Columbo der ein oder andere Tun vom Hölzchen. „Ich fühle mich wie ein Neandertaler“, murrte sie unamüsiert, während ich versuchte, ein Stück Wassermelone wenigstens durch einen Durchstich zum Wechsel auf meinen Teller zu überreden. Geteiltes Unglück macht übrigens nicht halb so unglücklich, sondern lediglich halb so satt. Soviel zu schlauen Sprichwörtern.

Anlass des Rohfischdesasters war die Präsentation eines neuen East-CD-Samplers, zu dem ich den zuständigen DJ Ping derart interessiert befragte, dass er mir bereits nach zehn Minuten das Du plus Visitenkartenaustausch anbot. Nun muss ich meinerseits ihm einen Sampler aufnehmen; das habe ich jetzt davon.

Satt geworden sind Ms. Columbo und ich am Ende dann doch noch. Das ist halt auch unter solchen Extrembedingungen immer nur eine Frage der Zeit – obwohl man beim Stäbchendilettieren sogar länger dazu braucht, weil die ständig misslingende Benutzung dieser Teufelsdinger erheblich mehr Kalorien verbrennt als die traditionelle Messer-Gabel-Variante.

Zum Glück gab es begleitend aber ausreichend Riesling, und im Gebrauch von Weißweingläsern bin ich, wie ich nicht unstolz behaupten kann, ein kiezweit bekannter Virtuose.

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29 September 2008

Zurück im echten Leben

Der blonde obdachlose Russe vor Budni an der Simon-von-Utrecht-Straße hat den rechten Arm komplett in Gips, zur Entschädigung aber auch neuerdings eine dunkelhäutige Obdachlose im Schlafsack.

Vor unserem Hauseingang hinterließ wieder mal jemand einen Haufen, und der Jemand war allem Anschein nach kein Hund.

An der Bushaltestelle Davidstraße ist eine riesige Pfütze strahlenförmig eingetrocknet, von der ich keinesfalls Quelle und chemische Zusammensetzung erfahren möchte, und auf das Halteverbotsschild am Millerntorplatz hat jemand einen „Na toll“-Sticker gepappt.

Kurz, wir haben Skagerrak und Kattegat wieder gegen den Kiez eingetauscht. Und verdammt: Wir lieben es!



17 April 2013

Ade Warmluft

Seit Jahren lagern mutmaßlich polnische Obdachlose vor den Plakatwänden an der Simon-von-Utrecht-Straße.

Natürlich sind es nicht die konsumistischen Jubelsprüche, die diesem Ort seine Anziehungskraft für Berber verleihen. Nein, es sind die vergitterten Abluftschächte an der Mauer, aus denen stets wohligwarme Luft strömt.

Im Winter ist das für die Polen eine ganz feine Sache. Denn die Lungenentzündungsgefahr wird sicher nicht höher, wenn man mitten im Frost von Warmluft umfächelt wird. Doch diese beliebte Komfortzone für Wohnsitzlose ist seit neuestem Geschichte.

Irgendwer nämlich hat einen riesigen Blechkasten auf die Schächte gestellt. Ade Warmluft.

Heute waren prompt auch keinerlei Polen mehr zugegen, nur ein paar muffige Klamotten, Taschen und Stützkissen verdämmerten dort still den Frühlingstag. Wer für die Baumaßnahme verantwortlich ist, ob die Stadt oder der Eigentümer der Abluftschächte, entzieht sich meiner Kenntnis.

Dass der Blechkasten aber erst aufgestellt wurde, als der härteste Winter vorbei war, muss man wohl unter Feinfühligkeit verbuchen.