Auf dem Kiez wird das Jammern über den Niedergang des Rotlichtmilieus immer lauter. Es käme nur noch Pinneberger Partyvolk, heißt es, doch keiner wolle mehr zu den Huren; die Koberer quatschten sich vergeblich die Münder fusslig; es herrsche tote Hose beim Tabledance.
Alles bestimmt richtig. Doch woran liegt’s? Vielleicht, lieber Kiez, nicht nur an den leeren Taschen des Zielpublikums; vielleicht hast du ja auch ein selbstgemachtes Problem mit deiner Außenwirkung.
Nehmen wir doch mal paradigmatisch diese Oben-ohne-Bar an der Reeperbahn, die uns mithilfe der abgebildeten Auslage von den unwiderstehlichen Reizen ihres Angebotes überzeugen möchte.
Was draußen versprochen wird, muss drinnen mindestens zur Hälfte zu einem Drittel gehalten werden, das weiß hier jeder. Doch die Strumpfhose hat maximal die erotische Strahlkraft eines Nacktmulls mit Neurodermitis. Wie müsste wohl eine Stripperin beschaffen sein, die weniger als halb so rattenscharf ist wie dieses Stück Reiz(los)wäsche …?
Es trägt auch nicht zu ihrer Wirkung bei, dass sie offenbar seit Uwe Seelers Abschiedsspiel nicht mehr gewaschen wurde. Und auch die Idee, sie an allen vier Enden mit Reißzwecken zu fixieren und diese dann dekadenlang dem gemütlichen Verrosten anheimzustellen, wirkt nur eingeschränkt aufgeilend.
Natürlich: Nicht alle Erotikangebote auf der Reeperbahn wissen so erschütternd wenig über die männliche Libido. Doch die Mehrzahl hat vermarktungstechnisch enorm Luft nach oben.
In unserer Oben-ohne-Bar ginge wahrscheinlich schon die Sonne auf, wenn man das erbarmungswürdige Strumpfhöschen rausnähme und der Leihstellerin zurückgäbe.
Vielleicht wird man dabei ja ganz in der Nähe fündig, etwa in der Seniorenwohnanlage Am Elbpark – und muss nicht mal hoch bis zum Ohlsdorfer Friedhof.
Erst vor kurzem sind mir die zwei Stolpersteine in der Seilerstraße aufgefallen. Das liegt wohl daran, dass ich beim Gang zur U-Bahn fast immer unsere, also die gegenüberliegende Straßenseite bevorzuge.
Die Stolpersteine sind vor der Hausnummer 17 ins Pflaster eingelassen. Sie erinnern an Bruno Müller und Werner Schmidt, zwei Männer, deren Verbrechen es war, zur falschen Zeit schwul zu sein.
Heute gibt es in der Seilerstraße eine Schwulenvideothek mit der Chance auf Vollkontakt. Ein paar Hundert Meter weiter floriert der Transenstrich, und wenn ein Freier zickt, gehen die Huren zur Davidwache und vertrauen auf die Rechtssicherheit dieses Staates.
Vor 70 Jahren wären sie dafür ins KZ gekommen, während Bruno Müller und Werner Schmidt heute im normalen Figurenensemble des Kiez nicht weiter auffielen.
Die Hausnummer 17 belegt momentan eine Diskothek: der türkische Bodrum Club.
Gestern erzählte mir ein Bekannter, er habe seit sieben Jahren keine Erkältung mehr gehabt. Sein Arzt sei davon aber wenig begeistert gewesen. Denn von Zeit zu Zeit müsse „der ganze Schnodder mal raus“.
Dabei bedachte Äskulaps unwürdiger Nachfahr anscheinend nicht, dass ohne Erkältung erst gar kein Schnodder entsteht, der rausmüsste. Da sieht man doch mal, was eine Existenz im Schatten der Kassenärztlichen Vereinigung für erschütternde Folgen haben kann.
Mein Dreisiebtelwissen über diese ganze Problematik hingegen hat – ohne Quellenangabe – folgende Weisheit im Langzeitgedächtnis verankert:
Jede Erkältung verkürzt das Leben um drei Monate.
Bei statistisch zwei bis drei Schnodderphasen pro Jahr hat mein Bekannter also schon 54 Monate mehr Lebenszeit aufgehäuft. Trotz seines Arztes.
Das alles hier ist übrigens meine Art zu sagen: bin gerade erkältet. Aber nur ein derart kleines Bisschen, dass ich mir dafür maximal einen Monat abziehen lasse. Und das ist nicht verhandelbar.
PS: Sakra, schon wieder ein Hundefoto!? Ja, weil diese Tiere sehr empfindliche Nasen haben.
Herr Bosch hat es schon vor einem Jahr prophezeiht, doch erst jetzt ist das Phänomen auch in Ottensen angekommen: ein komplettes „Cafe to go“.
Das verblüffend immobile Angebot macht die Bäckerei H. von Allwörden. Mich würde echt mal die Einkaufstüte interessieren – und natürlich, ob das alles von einem x-beliebigen Stammkunden überhaupt zu wuppen wäre, transporttechnisch und vor allem finanziell.
Immerhin gilt die Bäckerei laut Aufkleber als „BILD Top-Händler“, und man weiß ja, an welche Schichten Kai Diekmann sein Blatt vorwiegend verkloppt: an die so bildungs- wie einkommensfernen. Kurz: Das Verkaufsangebot müsste noch mal überarbeitet werden.
Vielleicht versucht Allwörden es einfach erst mal mit Kaffee zum Mitnehmen.
Es hat etwas von einem Naturgesetz à la „Morgens geht die Sonne auf“, dass man sich beim Wechseln einer Druckerpatrone besudelt.
Zu den spezifischen Extras gehört es hingegen, sich hinterher beim Säubern blutig zu rubbeln und jetzt ein Flüssigpflaster auf dem Fingergelenk tragen zu müssen.
Statt zu funktionieren, suppen jedenfalls die billigen Nachbaupatronen, und ich zockele per Bus zum Mediamarkt, weil man dort gerade jeden zehnten Einkauf qua Lotterie rückerstattet – und wie man weiß, sind Druckerpatronen, die keine Nachbauten sind (von denen ich seit dem Blutigrubbeln die Nase voll habe), vom Preis-Leistungsverhältnis her so ziemlich das Ungünstigte diesseits von Kokain. Eine gewonnene Rückerstattung würde sich also lohnen.
Bei Mediamarkt erstehe ich ein Set neuer teurer Druckerpatronen und stelle mich in die durch die anscheinend sehr erfolgreiche Aktion, jeden zehnten Einkauf rückzuerstatten, meterlange Schlange. Danach zockle ich wieder nach Hause, wo ich beim Auspacken feststelle, dass eine der neuen Druckerpatronen nicht mehr originalversiegelt und zudem bereits teilweise ausgelaufen ist.
Schreckliche Erinnerungen ans Michbesudeln, Blutigrubbeln und Flüssigpflaster bedrängen mich augenblicklich, und ich begebe mich postwendend wieder in Daisy-kompatible Winterkleidung, um erneut den Weg per Bus gen Mediamarkt anzutreten.
In der Druckerpatronenabteilung ist man bestürzt. Man übernimmt umstandslos die volle Schuld und bietet einen Umtausch an. „Dann geben Sie mir einfach eine unversehrte Patrone, und die Sache ist geritzt“, schlage ich Naivling vor, und zwar im Rhythmus des Pochens unterm Flüssigpflaster.
„Dafür brauchen Sie einen Eigentumsschein“, sagt die Mediamarkt-Frau. „Hier, der Kassenzettel“, sage ich und zeige ihr den Kassenzettel.
„So geht das nicht“, erläutert sie mit dem kalten Lächeln derjenigen, die vom Sinn einer bürokratischen Maßnahme, welche das Leben hierzulande auf sinnlose Weise verlangsamt, voll überzeugt ist. „Mit dem Kassenbeleg gehen Sie jetzt zum Service. Dort lassen Sie sich einen Eigentumsschein geben. Dann kommen Sie wieder hierher, und wir geben Ihnen eine neue Patrone.“
Na gut. Ich dackle zum Service und betrete den Raum. Sofort stürzt sich ein Sicherheitsmann auf mich, denn ich hatte die Schlange vor der Tür übersehen. Sie ist mehrere Meter lang. Zum Glück habe ich etwas zu lesen dabei.
Irgendwann später bin ich dran, man stellt mir aufgrund des Kassenzettels einen Eigentumsschein aus und konfisziert die Patrone. Danach steige ich wieder hoch in den zweiten Stock, wo man mir eine eine neue Druckerpatrone aushändigt.
„Damit“, sagt die Mediamarkt-Frau, „gehen Sie jetzt an die Kasse, und das war’s.“ „An die Kasse?“, sage ich mit geweiteten Augen, „aber …“ „Nur so läuft das“, sagt die Frau und wendet sich einem Kunden zu, der ratlos vor der Canon-Druckerpatronenpalette steht.
Die Schlange vor der Kasse ist meterlang. Irgendwann später. Im Tausch gegen den Eigentumsschein erhalte ich einen neuen Kassenzettel und darf die Patrone ohne weitere Hindernisse mit auf die Busfahrt nach Hause nehmen.
Damit verfüge ich nun unverhofft über zwei Kassenzettel, und sofort erwacht meine Spielernatur. Habe ich jetzt bei der abendlichen Mediamarkt-Lotterie, die jeden zehnten Kassenbeleg erstattet, sofern man die richtige Endziffer trifft, nicht die doppelte Chance? Natürlich! Alles könnte ein gutes Ende nehmen.
Fiebrig überprüfe ich die Endziffern: zweimal die 9. Gezogen wird die 3.
Immerhin funktioniert die neue Patrone. Und das Pochen im Fingergelenk spüre ich nur noch, wenn ich lache.
Man hätte der Einfachheit halber auch sagen können: Egal, welche extravagant gefärbte Flasche Sie Flasche sich glaubten kaufen zu müssen – schmeißen Sie sie einfach in den Grünglascontainer.
Entdeckt in einer Infobroschüre der Hamburger Stadtreinigung.
Nach einer einvernehmlich begangenen, angesichts des Weltganzen gewiss lässlichen Rechtsverletzung, für die wir zwar in die Hölle, aber nicht in den Knast kämen, und die ich hier aus naheliegenden Gründen nicht en detail ausführen möchte, rufe ich aus:
„Wir sind Schweine! Wir sind so unmoralisch!“
„Nein“, antwortet Ms. Columbo, „wir haben nur begriffen, wie’s geht.“
Schon war der Tag wieder mal gerettet.
PS: Der abgebildete Hund in der Paul-Roosen-Straße ist das perfekte Pendant zu uns, denn er hält sich, wie man sieht, penibelst an die Vorschriften.
Heute fiel mir ein schier genialischer Aphorismus ein, den ich sogleich vertwittern wollte. Plötzlich aber erschien er mir viel zu großartig, um als 140-Zeichen-Marginalie ein paar Hundert Followern vor die Füße geworfen und somit in den Internetorkus des baldigen Vergessens getreten zu werden.
Also hob ich ihn mir zwecks literarischer Verwendung auf. Und jetzt habe ich ihn vergessen.
Vielleicht lag das an der amnesischen Wirkung des Krustenbratens, den der Franke und ich mittags an einem einschlägigen Stand im Mercado zu uns nahmen. Ich machte die Verkäuferin explizit auf meine Krustenfixierung aufmerksam und betonte, ich nähme auch gern ausschließlich die Kruste, ohne weitere Fleischbeilage.
Sie lächelte ablehnend und schnitt mir kopfschüttelnd ein Stück ab, dessen Krustenanteil ich als eher suboptimal empfand, doch was war dagegen zu tun? Nichts. Der Kunde ist vielleicht König, doch eine Krustenbratenverkäuferin Gott. Mindestens.
Der Franke orderte sabbernd vor Verlangen das gleiche Mahl, und als er damit an den Tisch trat, fiel mir sofort eins auf: Er hatte mehr Kruste abgekriegt als ich. „Du hast mehr Kruste abgekriegt als ich!“, greinte ich empört. „Und das, obwohl ich meine Krustenfixierung doch wohl klar und deutlich verbalisiert hatte!“
„Ja-ha“, feixte der Franke, während er den ersten Bissen bereits zufrieden mümmelte. „Und weißt du, was die Verkäuferin zu mir gesagt hat: ,Tun Sie mir einen Gefallen: Zeigen Sie’s ihm nicht.’“
Manchmal hasse ich die ganze Welt, aber manchmal auch nur Krustenbratenverkäuferinnen. Insofern ein hassarmer Tag.
PS: Da ich vor lauter empörtem Greinen das Fotografieren vergaß, gibt es heute mal wieder ein Bild, das nur sehr partiell etwas mit dem Eintrag zu tun hat. Aufnahmeort: Zeisehallen, vorm großen Wintereinbruch.
1. Im Mercado, Ottensen: Bei Bürobedarf Jürgensen liegt eine tote Maus zwischen den Regalen. Beim Nudelitaliener hingegen wieseln ihre Artgenossen den Angestellten fröhlich zwischen den Beinen rum. Papier ist anscheinend weniger nahrhaft als Pasta.
2. Meine berüchtigte Sammlung ekliger Bandnamen habe ich in der Vergangenheit aus Pietät über mehrere Einträge verstreut (nämlich hier, hier, hier und hier). Heute gibt es mal wieder Nachschub. Zuletzt nämlich kamen mir folgende absolut ekelerregende Bandnamen unter: „Feuerschwanz“, „Knochenfabrik“, „Casanovas Schwule Seite“, „Angeschissen“, „Blumen am Arsch der Hölle“ sowie „Oma Hans“. Der Musikantentruppe „Kommando Sonne-Nmilch“ (sic!) habe ich hingegen die Aufnahme in die Liste verwehrt. Nicht eklig genug.
3. Flohmarktdialog. Kundin (irritiert, mit vorwurfsvollem Unterton): „Darf man hier denn rauchen?“ Händler (rauchend): „Weiß ich nicht. Ich rauche. Nicht so viel fragen – machen.“
4.Segals Gesetz besagt: „Ein Mensch mit einer Uhr weiß, wie spät es ist. Ein Mensch mit zwei Uhren ist sich nie ganz sicher.“ Mir ist der mit den zwei Uhren näher – obwohl ich keine einzige besitze.
Stammleser Joshuatree wollte auch während seines Aufenthaltes in Salzburg nicht auf die Lektüre dieses Blogs verzichten, wofür ich ihn sehr mag.
Doch als er vom Terminal des Hotels Goldenes Theater aus hier vorbeischauen wollte, verwehrte ihm das der hoteleigene prüde Browser. Begründung: „Die Rückseite der Reeperbahn“ sei pornografisch.
Keine Ahnung, was genau man in der Stadt Mozarts unter Pornografie versteht, doch es scheint sich weitgehend zu decken mit der Definition von Mahmud Ahmadinedschad. Und wenn das so ist, dann verhängte das Goldene Theater die Sperre natürlich völlig zu Recht.
Ich habe derweil mal im Fotoarchiv gekramt, um wenigstens einen Grund nachzuliefern. Und fand doch wahrhaftig was mit – festhalten! – VÖGELN.
Manche werden sich noch an den rattenscharfen Eintrag „Simsalabim“ erinnern, in dem ich ernsthafte Zweifel an der Natürlichkeit der Brüste von Biggi Bardot äußerte (es fielen Formulierungen wie „Kunstbusenwunder“ etc.).
Nun ist Frau Bardot bei mir vorstellig geworden, um die Echtheit ihres Vorbaus zu bestätigen. Sagen kann man allerdings viel, wenn der Tag lang ist (bzw. die Nacht kurz).
Will sagen: Bisher bleibt es bei einer wenig handfesten Behauptung, und es steht Aussage gegen Aussage. Updates folgen, sobald neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten.
Die hätte ich auch gern hinsichtlich des abgebildeten Stuhls, der unter gewiss nicht geringen Mühen an einem Wegweiser in Fischmarktnähe befestigt wurde.
Doch sicherlich wird auch in dieser Sache hier bald jemand vorstellig, um alles aufzuklären. In diesem Sinne: ein frohes neues JA.
PS: Einen dem letzten Satz verblüffend ähnlichen Tweet habe ich wieder entfernt, damit es nicht so aussieht, als kupferte ich von mir selber ab.
Unten am Fischmarkt herrschte heute Nachmittag die Ruhe vor dem Sturm. Doch wer weiß, ob der einsame Anhänger die Nacht unbeschadet überstehen wird.
Ein sorgenvoller Gedanke, der mich übrigens alljährlich an Silvester heimsucht und stets zu einem warnenden Appell in Form eines Blogeintrags gerinnt.
In diesem Jahr formuliere ich ihn allerdings nicht neu, sondern verweise auf die insgesamt bereits drei inständigen Vorgängereinträge, deren kassandrische Prophetie bisher noch jedes Jahr am Neujahrstag die Welt verblüffte. Außer mir natürlich.
Man sieht sich 2010, hoffentlich noch mit allen Körperteilen – und zwar am besten genau dort, wo sie naturgemäß hingehören.
Sie sieht aus wie 90 plus, und wahrscheinlich ist sie das auch. Hutzelig, krumm und ohne Gebiss sitzt sie im Rollstuhl vor der Postfiliale an der Ecke, vor der die Fenster der parkenden Autos hübsch mit Schnee gepudert sind.
Gerade war sie am Geldautomaten, jetzt kommt sie zentimeterweise auf mich zugeruckelt. In der linken Hand, die auf ihrem Bauch liegt, hält sie die komplette Januarrente, und zwar in Form einer unbestimmten Anzahl von 50-Euro-Scheinen.
Das Geld leuchtet rot im weißen Licht des Kiezwinters. Ich weiß nicht genau, ob die Gefahr, an der Reeperbahn ausgeraubt zu werden, statistisch signifikant größer ist als in Altenmark an der Alz. Aber ich weiß, dass eine circa 90-Jährige im Rollstuhl mit einem Bündel rötlich leuchtender 50-Euro-Scheine vorm Bauch nicht gerade entmutigende Signale an potenzielle Diebe sendet.
„Sie sollten Ihr Geld lieber wegstecken“, empfehle ich. Ihr Rollstuhl ist inzwischen zum Stillstand gekommen. „Ich weiß“, sagt sie mit zahnarmem Lächeln und brüchiger Uromastimme, „das ist gefährlich.“
Sie beginnt mit zittrigen Fingern die Scheine in die Börse zu friemeln. Es klappt nicht, man müsste ihr tatkräftig helfen. Man müsste ihr die Börse und die Scheine abnehmen und …
Ich bin aber dann doch lieber Brötchenholen gefahren. Schließlich will ich Silvester auf German Psychos Party verbringen – und nicht auf der Davidwache.
Vom Weihnachtsbesuch im elterlichen Heimatdorf (Detailfoto) mit unverändertem Körpergewicht zurückzukehren, ist eigentlich kein Anlass, um gleich montags wieder im Fitnessstudio einzukehren.
Dort saß ein Typ Marke Hell’s-Angels-Türsteher am Bizepstrainer: Glatze bis zum Stammhirn, schwarzes Muskelshirt mit Runenzeichen und tätowiert bis zur Poritze. Sein Nachbar am Adduktorengerät, ein deutlich schmaleres Hemd, fragte den Trumm: „Machst du Zirkel?“
„Nee“, antwortete der (mit einer erstaunlich dünnen Stimme, ähnlich der von Hänschen Rosenthal, falls sich an den noch jemand erinnert). „Das ist gut“, atmete der Schmale hörbar auf, „ich will nämlich zwischen unseren beiden Geräten wechseln.“
„Kein Problem“, kam es zurück. Allerdings blieb der Brocken dessen ungeachtet weiter sitzen. Ab und zu wuppte er ein paar Züge (natürlich einarmig), dann ruhte er wieder in sich wie ein Buddha des Bösen, und zwischendurch schnackte er mit Inkasso-Henry, der ihm pumpend und ächzend gegenüber saß.
Der Schmale trippelte derweil unruhig hin und her, setzte sich mal links und mal rechts neben den Tätowierten, stellte sich in die Nähe an den Tisch, tat, als müsste er was trinken, lief auf und ab – und traute sich bis zu seinem frustrierten Abgang nicht mehr, den Muskelmann an seine Zusage zu erinnern.
Zu Hause vertrimmt er wahrscheinlich ersatzweise seinen Hamster.
Die automatische Damenstimme in der U3 betont unsere Haltestelle irgendwie komisch.
„Nächste Station: Sankt P…AU…li“, flötet sie. Beim Diphtong hebt sie die Stimme, und zwar anzüglich. „Als wenn sie sagen wollte: ,Sie wissen schon …'“, analysiert Ms. Columbo. Ganz genau. Ein vokales Augenzwinkern. Die Hochbahn weiß eben, was sie dem Kiez schuldig ist.
Rund um die Reeperbahn herrschte heute überwiegend Feiertagsruhe. Allerdings haben wir die Herbertstraße dahingehend nicht überprüft. Allweihnachtlich sollen sich dort ja die Entrechteten und Geknechteten besonders ballen, um sich für – sagen wir – 150 Euro temporär die Einsamkeit abkaufen zu lassen.
Wir hingegen taperten quer durch die Stadt, um im Mundsburgkino Fatih Akins „Soul Kitchen“ zu gucken. Ein Film, der wirkt, als hätte er sich an einem Aufputschmittel verschluckt, so penetrant ballert er uns mit bedeutsam gemeinter Musik zu, so überdreht ramentert das Ensemble durch die Kulissen; vor allem Adam Bousdoukos als bandscheibenvorfallgeschädigter Gastronom.
Übrigens war Bousdoukos am Dienstag, als ich mit dem Franken und Kramer beim Mercadoitaliener speiste, ebenfalls aufgetaucht und goutierte mit ein paar Freunden die hervorragenden (weil selbstgemachten) Nudeln. Allerdings machte er privat weit weniger Krach als im Film, und wäre mir „Soul Kitchen“ am Dienstag bereits bekannt gewesen, so hätte ich Bousdoukos dafür sicher ausdrücklich belobigt.
Denn kaum etwas ist mir unangenehmer, als wenn man mich beim Lasagneessen mit Deppenleerzeichen (Foto) oder Lärm behelligt, der über das eh schon dezibelintensive Geplapper und Gelaber Kramers und des Franken hinausgeht.
Zusätzlich erträglich wäre höchstens eine Damenstimme, die „Sankt P…AU…li“ flötet, doch in der U-Bahn esse ich so gut wie nie Lasagene, vor allem keine selbstgemachte.
An anderer Stelle habe ich es schon einmal betont: Wer von Anhängern monotheistischer Religionen nicht mit Hass, Empörung oder Mitleid bedacht wird, sollte seine Außenwirkung ernsthaft hinterfragen.
Doch auch die Außenwirkung manch monotheistischer Religion ist bisweilen dazu angetan, Gefühlswallungen negativer Art bei uns Nichtkontaminierten hervorzurufen. Der hüftsteife Santa-Claus-Roboter ist dafür ein gutes Beispiel.
Was bloß bewegt einen Altonaer Pizzeriachef mit wahrscheinlich römisch-katholischem Hintergrund, so etwas vor seiner Tür aufzustellen und leeren Blicks „Ho ho ho“ brummen zu lassen? Sänge das … Ding … wenigstens Verdi!