21 Februar 2011

Where is my vote, Wahlleiter?



Gestern Mittag saßen wir angespannt in den Wahlkabinen im Ortsamt St. Pauli und studierten das Quartett der umfangreichen Broschüren, zu denen der gute, alte Stimmzettel in Hamburg inzwischen geworden ist (wahrscheinlich durch unkontrollierte Zellteilung).

Die vier verschiedenfarbigen Broschüren – es handelte sich parallel um eine Landtags- und eine Kommunalwahl – wirkten wie Mutationen. Statt dem bewährten Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“ weiter treu zu bleiben, konnten wir diesmal gleich 20 Stimmen vergeben, fünf in jeder dieser Broschüren. Und diese Stimmen durften wir beliebig aufteilen, auch querbeet.

Anfangs kam mir das vor wie eine bürokratische Blähung, doch jetzt, nach der (hoffentlich) unfallfreien Bewältigung des Parcours, sehe ich auch die Vorteile dieses Verfahrens. Immerhin kann ich nun erstmals in meiner Wahlgeschichte persönliche Koalitionswünsche signalisieren, indem ich zum Beispiel der Partei X drei Stimmen gebe und Partei Y zwei.

Die üblichen Statements in den Elefantenrunden à la „Der Wähler will Rot-Grün!“, nur weil das beliebige Zusammenzählen verschiedener Prozentzahlen eine parlamentarische Mehrheit ergäbe, war aus statistischer Sicht immer sinnlos, weil austauschbar. Beweis? Seit 1949 hätte man (mit Ausnahme von 1957) nach jeder Bundestagswahl unwiderlegbar argumentieren können, „der Wähler“ wünsche sich am innigsten eine Große Koalition – denn CDU und SPD waren stets die stärksten Parteien.

Doch was wir Kreuzchenmacher wirklich wollen, lässt sich erst mit dem neuen Hamburger Wahlsystem herausfinden. Ich hoffe, die Auswertung erfolgt denn auch derart detailliert, dass dies nachvollziehbar zutage tritt.

Eine solche Feinanalyse würde ich unter der Rubrik Trostpflaster verbuchen – nachdem sich all meine 20 mühsam aufgeteilten Stimmen gleichsam in Luft aufgelöst haben.

Dafür danke auch, lieber Scholzomat.


PS: Das Foto zeigt ein Graffito an einer Hausfassade in St. Pauli und hat keinerlei Bezug zum heutigen Blogtext.
Echt nicht.

20 Februar 2011

Tun Sie’s, verdammte Hacke!

Sehr geehrter Herr German Psycho,

heute habe ich ein zugegeben ungewöhnliches Anliegen an Sie, doch es ist sehr wichtig. So wichtig, dass ich gar die Form eines offenen Briefes wähle. Eingedenk der Befürchtung, mein Appell könnte Ihnen nicht behagen, ja sogar Ihren Ekel erregen, setze ich auf den öffentlichen Druck, den ein offener Brief gemeinhin auszulösen imstande ist. Und natürlich auf Ihre Vernunft und Einsichtsfähigkeit.

Hiermit also appelliere ich inständig an Sie: Wählen Sie heute bei der Hamburger Bürgerschaftswahl die FDP!

Wahrscheinlich verwundert Sie dieses Anliegen im höchsten Maße, war ich Ihnen doch bisher noch nie als Anhänger eines Westerwelle oder gar einer Suding aufgefallen. Und in der Tat, das ist auch weiterhin so. Doch manchmal muss man taktisch denken, und heute ist so ein Tag.

Denn nur, verehrter Herr German Psycho, wenn die Liberalen die 5-Prozent-Marke schnackeln, wird die Gefahr einer Alleinherrschaft von Olaf Scholz’ SPD sicher zu bannen sein – und bei diesem Unterfangen setze ich ganz und gar auf Sie.

Das liegt, wie Ihnen sicherlich bereits dämmert, an Ihrer staatsbürgerlichen Vergangenheit. Denn Sie haben bereits mehrfach bewiesen, im Bedarfsfall sowohl psychisch als auch physisch in der Lage zu sein, FDP zu wählen. Und deshalb erwarte ich nun diesen Dienst am hanseatischen Volk von Ihnen.

Klar, Sie sind, wie ich weiß, bitter enttäuscht von Schwarz-Gelb auf Bundesebene und wollten eigentlich keinesfalls mehr die Gelben wählen, auch nicht bei einer Landtagswahl. Wer könnte das besser verstehen als ich, und doch müssen Sie!

Wahrscheinlich wundern Sie sich nun, warum ich nicht selbst bereit bin, dieses beträchtliche Opfer zu bringen. Das will ich Ihnen gerne sagen: Ich kann nicht. Ich bin dazu schlicht nicht in der Lage. Meine Finger würden es in der Wahlkabine nicht schaffen, den Stift in Richtung der entsprechenden Felder zu führen. Ich habe es testweise auf dem Musterwahlzettel einmal ausprobiert, aber es geht einfach nicht, echt nicht.

Und das ist der Grund, sehr geehrter Herr German Psycho, weshalb Sie es tun müssen, nur einmal noch, bitte. Pro bono, contra Olaf, verstehen Sie?

Und jetzt tun Sie’s, verdammte Hacke!

Mit freundlichen Grüßen
Matt



19 Februar 2011

a mal vier

Und nun zu einem ganz anderen Thema.

In einem Wiener Bezirk gibt es eine Gemeinde namens Oberlaa. Durch Oberlaa fließt das Flüsschen Liesing. Gäbe es nun in diesem Gewässer Aale, und zwar welche, die sich auch noch im Laufe ihrer Evolution zu einer eigenen Oberlaaer Unterart entwickelt hätten, so dürfte – nein: müsste! – man mit Fug und Recht sprechen vom:


Oberlaaaal.

Das ergäbe das wohl einzige Wort in deutscher Sprache, welches mit vier identischen Vokalen in Folge auftrumpfen könnte. Nur dem Nachbarbezirk Unterlaa wäre es möglich, diese Spitzenleistung zu verwässern bzw. zu verdoppeln.

Allein schon aus diesem Grund ist es meines Erachtens dringend geboten, in der Liesing Aale anzusiedeln. Hiermit fordere ich die Gemeindeverwaltungen von Oberlaa und Unterlaa ultimativ dazu auf.


Und fragen Sie mich bitte nicht, wie ich auf diesen Blogbeitrag gekommen bin.

18 Februar 2011

Die Sollbruchstelle



Das Besondere und definitiv auch Schöne an der Architektur der sogenannten tanzenden Türme, die seit einigen Monaten eingangs der Reeperbahn entstehen, ist natürlich der deutlich hervortretende Knick in der Optik.

Vor allem deshalb, weil man schon jetzt genau sehen kann, wo dereinst die Sollbruchstelle bei der Abrisssprengung liegen wird.

PS: Übrigens sollte man als Blogger, wie mir gerade durch den Kopf schießt, den Ehrgeiz entwickeln, in jedem Beitrag ein Wort mit einem Tripelbuchstaben unterzubringen. Mal schauen, ob dieser Gedanke sich als tragfähiger erweist, als die tanzenden Türme aussehen.

16 Februar 2011

Derbysieg



Nach dem so glücklichen wie gloriosen Derbysieg des FC St. Pauli – welcher der Gegend rund um die Reeperbahn den größten Fußballtag seit 34 Jahren verschafft – ist es hier um kurz vor Mitternacht erstaunlich ruhig. Die mittwochsüblichen versprengten Sirenen aus der Ferne, das ist alles.

Vielleicht kloppen sie sich auch nur woanders (was man aus Anwohnersicht nur begrüßen kann). Die St. Paulianer, das zurzeit glücklichste Volk der Welt, wenn nicht ganz Hamburgs, feiern anscheinend alle drinnen, und die HSVler sind mental wohl viel zu zerbröselt, um noch die Energie für einen Kiezbesuch aufzubringen, wo sie im besten Fall verhöhnt, im schlimmsten getröstet würden.

„Wenn ich sehe, wie die Paulianer hier in unserem Stadion feiern, könnte ich kotzen", sagte vorhin Bastian Reinhardt, der Sportdirektor des HSV, im Fernsehinterview. Und mal ehrlich: Das sind die schönsten Worte, seit ich mir damals
zitternd vor Ergriffenheit Rainer Maria Rilkes „Duineser Elegien“ laut vorgelesen habe.

Man sollte sie sich auf ein T-Shirt drucken lassen und es dann nie mehr waschen. Reinhardt, nicht Rilke.


Obwohl: den auch.

Foto: Spiegel online


Mit links



Wenn man bereits ein krankes Knie sein eigen nennt und legt sich dann auch noch blitzeisbedingt mit dem Fahrrad lang hin:

Ist es dann eigentlich besser, aufs lädierte Knie zu donnern oder doch lieber aufs andere, bisher gesunde – mit der Konsequenz, somit überhaupt kein voll funktionsfähiges Gelenk mehr verfügbar zu haben?

Das sind Fragen, mit denen ich mir zurzeit das Hirn martere. Jedenfalls knallte ich aufs rechte, das jetzt noch malader ist als vorher. Mein linkes hingegen funktioniert astrein, dafür könnte ich es knutschen.

Das ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Handgelenk hätte hingegen besser nicht ausgerechnet das rechte sein sollen. Es ist nämlich, wie sich herausgestellt hat, von erstaunlicher Diffizilität, sich mit links ein Brot zu schmieren. Das sollte man in guten Zeiten öfter üben – nur so als Tipp.

Doch das ist eh alles pillepalle, es gibt zurzeit Wichtigeres in der Stadt: Das vorletzte Woche dem Wetter zum Opfer gefallene Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli steht endlich an. Prompt schneit es sei heute wieder aus allen Löchern, als fände Frau Holle den Termin erneut nicht dolle.

Die Stadt aber ist nicht nur wetterbedingt im Ausnahmezustand: Wie es heißt, soll die Polizei vorsorglich schon mal den größten verfügbaren Wasserwerfer betankt haben.

Wohnten wir im Erdgeschoss, ich würde alle Fenster verrammeln – mit der gleichen Anmut und Eleganz übrigens, wie ich mir zurzeit ein Butterbrot schmiere.


15 Februar 2011

Ausnahmesituation



Wann immer ich in den vergangenen Jahren das Obdachlosenlager an der Simon-von-Utrecht fotografierte, gewann das Motiv seinen widersprüchlichen Reiz aus einer ganz speziellen Wechselwirkung zwischen Reklame und Elend.

Meist schien das Werbemotiv auf geradezu absichtlich zynische Weise das Schicksal der Heimatlosen zu seinen Füßen zu kommentieren (zum Beispiel hier, hier und hier). Heute aber motivierte mich erstmals genau das Gegenteil zur fotografischen Dokumentation der Szenerie.

Denn ausgerechnet die Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt hat diesen Werbeplatz gebucht, und endlich ist die Gesamtsituation dort harmonisch und homogen. Kein Hintersinn, kein Sarkasmus, keine Bösartigkeit lädt die Lage mit Symbolik und Sozialkritik auf. Man sieht nur eine Werbung, die von der Realität bestätigt wird und umgekehrt.

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.

Der polnische Obdachlose – nennen wir ihn Jaczek A. – war übrigens damit einverstanden, fotografiert zu werden. Trotzdem war es mir sehr unangenehm, die Linse auf ihn zu richten. Sie verwandelte sich dabei unversehens in eine Waffe, die auf einen Schutz- und Wehrlosen gerichtet war.

Trotzdem schien mir das Motiv wichtig genug, um mich über die Obszönität der Situation hinwegzusetzen. Denn wenn Jaczek A. schon mal nicht von einem Werbeslogan für Wohlstandsbürger düpiert und veralbert wird, dann sollte das ebenfalls dokumentiert werden.

Es wird eh die Ausnahme bleiben, so viel ist sicher. Demnächst wirbt an dieser Stelle wieder irgendjemand für „Kokowääh“, Flatratetarife oder den Heidepark Soltau.

Vielleicht auch für wahnsinnig günstige Baukredite.

14 Februar 2011

So weit ist es in Deutschland schon gekommen



Vor der Postfiliale steht ein falsch geparkter Pinneberger Nissan Micra mit eingeworfener Heckscheibe. Der dazu missbrauchte Pflasterstein liegt noch auf der Rückbank.

Vorn auf der Ablage macht sich ein Exemplar der BILD-Zeitung breit, auf dem Beifahrersitz ein roter Mantel. Man muss sich Sorgen machen.

Plötzlich tapst ein älterer kleiner Herr mit Hut heran. Sein Gesicht ist grau und geprägt von faltigen Hautlappen. Ihn umschlottert ein Trenchcoat, der erstaunlich treffsicher seiner Gesichtsfarbe entspricht. Der Mann stellt eine leere Limonadenflasche auf dem Dach ab und kramt nach dem Autoschlüssel.

„Ist das Ihr Wagen?“, frage ich. „Das ist meine Strafe“, sagt er mit dem Anflug eines bitteren Lächelns und schließt die Fahrertür auf. Ich schaue wohl irritiert, denn er sieht sich zu einer Erklärung veranlasst.

„Das waren Jugendliche, denen ich die Wahrheit gesagt habe über die Sexualität von Männern“, salbadert er mit leiser, fast tonloser Stimme und schiebt nach kurzem Zögern „und Frauen“ nach. „Man darf ja in diesem Land“, ergänzt er, „nicht mehr die Wahrheit sagen, sonst wird man bestraft.“

Himmel hilf, ein Schwätzer. Ich hätte ihn gar nicht erst ansprechen sollen. Und ich werde ihn keinesfalls fragen, was denn die Wahrheit sei über die Sexualität von Männern (und Frauen), obwohl das ja ein Rätsel ist, welches noch keine befriedigende Erklärung gefunden hat im Lauf der letzten 200.000 Jahre.

Ob ich eine Werkstatt wüsste, wo er seine Autobatterie wieder aufladen könne, fragt er. Ich empfehle ihm die Tankstelle am Spielbudenplatz, keine 100 Meter entfernt. „Ach, die Esso“, winkt er ab. „Dort hat neulich ein Ausländer einen Deutschen rausgeworfen. Soweit sind wir in Deutschland schon gekommen, dass ein Ausländer einen Deutschen rauswerfen kann“, klagt er mit seinem leisen Stimmchen.

Mit einem barschen „So ein Quatsch“ lasse ich ihn stehen. Ich hätte ihn wirklich gar nicht erst ansprechen sollen. Wer in Deutschland einen Satz beginnt mit „Soweit sind wir in Deutschland schon gekommen, dass …“, der bewirbt sich damit jedenfalls inniglich um das Recht, kostenlos die Heckscheibe seines Nissan Micra eingeworfen zu bekommen.

Zumal seine Vaterlandsliebe so tief wohl doch nicht ist – sonst hätte er sich ein deutsches Auto zugelegt, nicht wahr.


13 Februar 2011

Wahlkampf absurd

Der federführend an der neulich in diesem Blog aufgedeckten Römerverschwörung in der CDU beteiligte Dennis Gladiator (Wahlkreis Bergedorf) sieht seinem Altonaer Konkurrenten Ploetz von der Piratenpartei verdächtig, ja geradezu alarmierend ähnlich …



… während die homöopathiegläubige Grünenchefin Renate Künast
sich erschreckenderweise nicht mal mehr selber ähnelt:



Was macht die Politik nur aus den Menschen?
Es ist erschütternd.

12 Februar 2011

Endlich mal nicht grundlos verdächtig



An der Max-Brauer-Allee husche ich im letzten Moment mit dem Fahrrad über die Fußgängerampel, obwohl sie, wie ich zugeben muss, bereits die Farbe von Draculas Lieblingsgetränk angenommen hatte.

Auf der Verkehrsinsel in der Mitte der Straße stoppe ich daher; die zweite Hälfte will ich angesichts des bereits losgerollten Verkehrs lieber bei Grün absolvieren. Als ich so dastehe, bemerke ich, wie hinter mir ein Wagen auf die Insel fährt und anhält.

Ein Streifenwagen, um genau zu sein.

Anscheinend stand er in der ersten Reihe, als ich illegal die Straße querte. Er hatte also einen Logenplatz. Gleich drei Uniformierte steigen aus, eine Frau und zwei Männer.

Der Fahrer, ein muskulöser Typ mit Aknenarben und ohne Zweifel Anführer der Besatzung, stützt sich auf die Wagentür, beugt sich aus der lichten Höhe von knapp zwei Metern zu mir herab und sagt: „Steigen Sie bitte mal vom Rad.“

Ich zittere ja sowieso schon, wenn ich der Polizei begegne, und signalisiere so stets ein grundlos schlechtes Gewissen, was mich, wie ich befürchte, generell verdächtig wirken lässt. (Übrigens die einzige Eigenschaft, die ich mit Alfred Hitchcock teile.) Nun auch noch wirklich und wahrhaftig etwas verbrochen zu haben, macht mich keineswegs ruhiger.

Kurz: Ich bin ein Nervenbündel.

„Warum haben Sie das gerade gemacht?“, fragt der Anführer. „Das war … spontan und … unbedacht“, stammle ich. „Sie haben sicher schon öfter Ärger mit der Polizei gehabt deswegen“, sagt der Riese. „Äh, nein … warum?“, frage ich, nun vollends in der Defensive, und das mitten im Nieselregen auf einer Verkehrsinsel in Altona, unter den Augen der interessierten Öffentlichkeit.

„Weil Sie sagen: ,spontan und unbedacht’“, analysiert er. „Nein, wirklich nicht, noch nie“, flüstere ich und schaue hilfesuchend die Polizistin an. Sie lächelt mir aufmunternd zu. Wahrscheinlich ein automatisiert aufflammender Mutterinstinkt. Dabei ist sie mindestens 20 Jahre jünger als ich.

Jetzt verlang schon endlich meinen Personalausweis, barme ich innerlich, verpass mir den Bußgeldbescheid, und dann lass mich laufen. Tut Mr. Akne aber nicht.

„Machen Sie das nie wieder“, sagt er, „ich möchte Sie nämlich nicht unter meinem Wagen hervorkratzen müssen.“ Verständiges Nicken scheint mir die Situation weiter zu kalmieren, deshalb nicke ich verständig. „Und ich“, ergänze ich mit brüchiger Stimme, „möchte erst recht nicht unter Ihrem Wagen hervorgekratzt werden.“

Die Polizistin nickt erneut lächelnd und nun sogar mit geschlossenen Augen; ich habe also zweifellos den richtigen Ton getroffen. Ich schaue wieder den Riesen an. „Noch einen schönen Abend“, sagt er und steigt in den Wagen. Die anderen folgen ihm, und dann fahren sie davon.

Ich auch, mit zittrigen Knien – um 62,50 Euro reicher und einen Punkt in Flensburg ärmer.

Danke. (Auch wenn ich nicht weiß warum.)

Foto: Matthias Wiechmann, Polizei Hamburg


11 Februar 2011

Die Kommunikation der Zukunft

Ms. Columbo und ich hatten soeben eine großartige Idee, welche nicht nur die zwischenmenschliche Kommunikation revolutionieren wird, sondern zugleich auch die individuelle Sicherheit von uns allen: ein Telefon mit Schnur!

Gegenüber der derzeitig gebräuchlichen Krückentechnologie hätte ein solches Gerät unzählige Vorteile. Zum Beispiel wäre man dadurch völlig unabhängig von der Willkür schwankender Funknetze, Irrwege wie „WLAN“, „WI-FI“ oder „UMTS“ gehörten schlagartig der Vergangenheit an.

Außerdem würde uns das fest mit einem stabilen Wandanschluss verbundene Schnurtelefon™ zuverlässig daran hindern, als blinde, kopflose Plapperhühner durch die Gegend zu karriolen und mit Passanten zusammenzustoßen oder unter einen Lkw zu geraten.

Doch wir planen noch mehr. Wir werden das revolutionäre Schnurtelefon™ mit einem absoluten Killerfeature ausstatten – einem eigens abnehmbaren Hörer™! Dadurch bräuchte man sich bei einem Gespräch künftig nicht mehr das komplette Gerät an den Kopf zu klatschen, wie es heutzutage gang und gäbe ist, sondern nur noch das zur direkten Kommunikation gerade eben Notwendigste, nämlich Mikrofon und Lautsprecher.

Das Großartigste aber wäre – festhalten! – ein von uns so bezeichnetes Drehrad™ zum Wählen am Basisgerät. Dieses Ausstattungsmerkmal des Schnurtelefons™ würde das irrlichternde Anvisieren von Tasten (oder gar ihrer optischen Simulation wie auf lachhaft altmodischen Smartphones) völlig überflüssig machen. Und durch das Eintauchen des Fingers in die entsprechend groß dimensionierten Ausbuchtungen der einzelnen Zahlen des Drehrades™ wäre ein Verwählen hinfort praktisch unmöglich.

Ich glaube, unsere Idee wird den Telekommunikationsmarkt komplett durcheinanderwirbeln. Wir haben die Zukunft gesehen – und müssen uns das Gesamtkonzept jetzt nur noch schützen lassen.

Hat das Patentamt eigentlich freitags geöffnet?

10 Februar 2011

Bleibt bitte weg!



Die Zeitschrift Merian mag die Reeperbahn nicht. Sie nennt sie „norddeutschen Ballermann“ und fordert Touristen auf, sie tunlichst zu meiden.

Dem kann ich nur beipflichten. Ja, tut das, Touristen: Meidet die Reeperbahn!

Die allwochenendlichen Pinneberger Partyprolls (Beispielfoto) dürfen sich diesen Rat ebenfalls gern zu Herzen nehmen. Auch ihr Herren Hooligans: Lest Merian! Und du, schwarzer Block: Willst du nicht lieber Pöseldorf kurz und klein hauen als den Kiez?

Ja, ihr Lieben, hört auf Merian, bleibt weg. Und wenn ihr schon da seid, dann geht weiter.

Denn hier gibt es nichts zu sehen.


08 Februar 2011

Der rätselhafte Sticker



Hier auf dem Kiez nimmt man oftmals die Eigenschaften jener an, deren Pendant man eigentlich zu sein glaubt.

Neulich in der Haspafiliale an der Reeperbahn zum Beispiel sollte ich etwas unterschreiben. Der Haspamitarbeiter machte mich mit den Worten „Das müssen Sie noch unterschreiben“ auf diesen Umstand aufmerksam.

Ich schaute etwas ratlos auf das Dokument. „Wo denn?“, fragte ich. Und der Haspamann mit seinem Anzug, seiner Krawatte und der sorgfältigen Scheitelakkuratesse auf dem Schädel antwortete nur mühsam beherrscht: „Wo man halt unterschreibt.“

Da sieht man mal, wie die raue Herzlichkeit unseres Viertels auch vor traditionell förmlichen Bankangestellten nicht Halt macht. Nein, sie sickert Tröpfchen für Tröpfchen auch in die Herzen jener ein, die sich eigentlich in einer anderen Sphäre wähnen.

Manche betreiben die Mimikry möglicherweise auch ganz bewusst – wie jener Anonymus, der den oben abgebildeten Aufkleber an die Fassade eines Hauses klebte, das einst, in den 80ern, zu den hart umkämpften besetzten Häusern der Hafenstraße gehörte.

Damals riefen Besetzer und Sympathisanten der Polizei den Schlachtruf „Hafenstraße bleibt!“ entgegen. (Sie hatten übrigens Recht: Die Hafenstraße ist noch immer genau an der gleichen Stelle wie damals.) Und heute parodiert jemand mit sticheliger Häme diesen Klassiker, indem er ihn zu „Hafen city bleibt!“ verballhornt.

Bei der HafenCity (übrigens nur echt mit Binnenmajuskel!) handelt es sich, wie man in – sagen wir – Kornwestheim vielleicht nicht ganz so genau weiß, um die größte Baustelle Europas. Dort entstehen überwiegend Luxusbüros und -wohnungen für Menschen, die auch mal 10.000 Euro pro Quadratmeter auf den Tisch legen können, um vor Gästen mit einem unverbaubaren Wasserblick prunken zu können.

Dieses Megaprojekt nun per Sticker mit den damaligen Bruchbuden der Hafenstraße in Verbindung zu bringen, hat durchaus einen gewissen Pfiff. Aber wer steckt dahinter? Eine klandestine Yuppiebruderschaft, die sich nun beömmelt über ihre zynische Persiflage des linken Aktivistenjargons? Oder die Hafenstraßenbewohner selbst, die uns damit die Absurdität eines künstlich geschaffenen Luxusrefugiums mitten im Hafen vor Augen führen wollen?

Beides ist denkbar, beides möglich. Der Sticker jedenfalls wird bislang toleriert unter all den sich harmonisch in den Sound der Hafenstraße einfügenden Konkurrenzslogans. Das spricht eigentlich dafür, dass ihn doch jene erfunden haben, die so tun wollen, als seien sie die anderen, die jene persiflieren.

Vielleicht ist es aber auch genau andersrum.

07 Februar 2011

Das große dunkle Loch im Nachmittag



Wenn so ein Derby ausfällt wie gerade das in der Wie-auch-immer-Arena an der Müllverbrennungsanlage, dann fühlt man sich um wesentliche Gefühle betrogen. Um die Vorfreude, das Entgegenfiebern, das Kribbeln. Um die Angstlust in der Magengegend.

Zwischen 15:30 und 17:15 Uhr klaffte jedenfalls ein großes dunkles Loch im Nachmittag, derweil draußen Hamburg weiterhin im Regen ertrank, wie seit Tagen schon.

Nur kurz war ich daher morgens draußen gewesen zum Brötchen- und Zeitungsholen und fand dabei Gelegenheit, die Überreste des gestern von HSV-Hools zerlegten Streifenwagens zu fotografieren.

Auch unsere gläserne Haustür hatte trotz ihrer generellen Passivität den Zorn dieser Menschen erregt und wies nun strahlenkranzförmige Splitterspuren von beeindruckender Länge auf.

Eine gläserne Haustür auf St. Pauli: Das ist aber auch wirklich eine tolle Idee.



06 Februar 2011

Neuigkeiten aus dem Szeneviertel


00:40 Uhr. Unten an der Postfiliale hat eine große Gruppe „Hooligans!“-brüllender Hooligans einen geparkten Streifenwagen entdeckt. Das bekommt dem Ärmsten nicht gut.

Sie ziehen ihm alles mögliche über, darunter jene Sperrgitter, die erst vorgestern vom schwarzen Block als Barrikaden missbraucht wurden.

Dann zünden sie Feuerwerkskörper. Immerhin illuminieren sie so mein bis dahin arg dusteres Video. Vielleicht tun sie das aber auch, weil das eigentlich für heute Nachmittag angesetzte Derby zwischen HSV und dem FC St. Pauli kurzfristig abgesagt wurde und sie enttäuscht darüber sind, die Feuerwerkskörper nicht im Stadion hochjagen zu können.

Die Seilerstraße füllt sich jedenfalls rasend schnell mit Rauch. Dann kommt die Kavallerie mit Blaulicht und Getöse, die Hools verflüchtigen sich wie böse Geister in die Detlev-Bremer-Straße, die Streife jagt hinterher.

Übrigens begründet unsere Hausverwaltung die neuesten Mieterhöhungen damit, St. Pauli sei ja inzwischen ein Szeneviertel geworden.

Arschlecken.


05 Februar 2011

Wo der Kiez im Kitsch ersäuft



Für einen Sänger wie Nathaniel Rateliff ist die Prinzenbar um die Ecke des Spielbudenplatzes ein Traumort der Widersprüche.

Ein kleiner Raum, der mit großem, komplett unpassendem und natürlich nicht ernstgemeintem Kitsch prunkt.

Ein Folksänger zwischen Stuckengeln. Americana in der Ästhetik des Feudalen. Hier passt nichts zusammen – und deshalb ist alles perfekt.

Zumindest wenn man von diesem Besoffenen absieht, der sich mit dem Ellenbogen auf meiner Schulter abstützt, als ich an der Theke ein Bier bestelle, und – als ich mich vorwurfsvoll schauend umdrehe – grinsend „Oh, schulligung!“ lallt.

Neulich bei Aldi gab es übrigens Spalthämmer im Sonderangebot.
Fällt mir nur gerade ein.


04 Februar 2011

In den Fängen einer Brillenschlange

Auf der Post. Ich möchte eine alte (und doppelte) Neil-Young-Langspielplatte verschicken, und zwar als Warensendung für 1,65 Euro.

Die Postbedienstete wiegt erst mal nach und dann bedauernd den Kopf: „Hm, 525 Gramm. Das sind leider 25 zu viel für eine Warensendung“, sagt sie. Die Alternative ist furchterregend: eine Verschickung als Päckchen für die utopische Summe von 4,10 Euro.

„Das ist ja nicht mal versichert“, maule ich. Die Frau nickt mitfühlend. „Sie wollen mich wieder mal in die Arme von Hermes treiben, nicht wahr?“, unterstelle ich ihr einfach mal betriebsschädigendes Verhalten.

Das will sie allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Ihre Stimme wird ziemlich leise, und sie beugt sich leicht über den Tresen. „Wir können es“, raunt sie, „trotz der 25 Gramm zu viel als Warensendung frankieren. Aber wenn irgendjemand nachwiegt, dann kommt es zurück.“

Ich begreife sofort die Raffinesse ihres Vorschlags. Dabei handelt es sich um eine Art Wette. Da ich ein natural born Zocker bin, schlage ich ein.

Die Rahmendaten sind demnach folgende: Mein Einsatz beträgt 1,65 Euro, und wenn es klappt, gewinne ich die Differenz zum Päckchen, das sind immerhin 2,45 Euro, wenn auch nur virtuell, denn natürlich zahlt mir den Betrag niemand aus.

Geht es indes schief, und die Platte kommt zurück, ist der Einsatz von 1,65 Euro einfach so verloren, und ich muss die Neil-Young-LP erneut versenden, diesmal zum utopischen Preis – aber dann natürlich mithilfe von Hermes, da ist das Ganze für 4 Euro wenigstens versichert.

Erst als ich die Post schon wieder verlassen habe, dämmert mir plötzlich, dass die Postbedienstete das alles schon mitbedacht haben muss, als sie mir die Wette vorschlug.

Denn statt mich einfach so zu Hermes davonziehen zu lassen, machte sie mir spontan diesen kleinen konspirativen Betrug schmackhaft. So hat sie für die Post wenigstens sicher 1,65 eingenommen, anstatt gar nichts.

Jetzt fühle ich mich ein wenig übers Ohr gehauen, komme aber nicht umhin, dieser raffinierten Brillenschlange Respekt zu zollen.

Ich wette übrigens, dass niemand nachwiegt und die LP einfach so zugestellt wird.

Wer hält dagegen?

03 Februar 2011

Die Kiezpolizei räumt auf



Draußen herrscht ungewöhnlicher Krach. Ein Schaben und Klirren, ein Rutschen und Reißen, ein Donnern und (metallisches) Kreischen.

Alles dabei, nur keine Stimmen. Alles passiert stumm. Also heißt es mal wieder nachschauen.

Vom Balkon aus sieht man, wie etwa ein Dutzend schwarzvermummter Gestalten in höchster Eile die dank eines Gentrifizierungsneubaus überall herumstehenden Baustellenabsperrungen mitten auf die Straße zerrt und sich dann im Laufschritt Richtung Osten dünn macht.

En passant nimmt einer der Herren die von mir gerade erst am Straßenrand drapierten beiden gelben Säcke und wirft sie auf die Fahrbahn. Im Hintergrund dazu der Sound der Stadt: Polizeisirenen.

Die Seilerstraße ist also jetzt vollgesperrt, augenblicklich kehrt paradiesische Ruhe ein (wenn man vom Hintergrundsound absieht, aber der ist ja quasi immer da, nur gerade ein bisschen intensiver, aufgeregter, vielstimmiger).

Nach ein paar genussvoll ausgekosteten Minuten der kompletten Autolosigkeit keimt gleichwohl das Bedürfnis, etwas gegen diesen Zustand dort unten tun zu müssen. Es scheint mir allmählich sehr opportun, kräftige junge Männer in der Blüte ihrer Jahre herbeizurufen, welche die Hindernisse wieder wegräumen.

Denn Straßensperren widersprechen einfach meiner Auffassung von Bewegungsfreiheit. Ausnahmen brauchen meines Erachtens schon sehr gute Argumente; die Ägypter haben zum Beispiel gerade welche. Wie auch immer: ein Anruf bei der Davidwache bringt einen Herrn Friese an den Apparat, der atemlos wirkt, obwohl er doch nur Telefondienst hat.

Ich schildere ihm die Fakten. Seilerstraße, schwarzvermummte Gestalten, eigenmächtige Vollsperrung. Herr Friese bedankt sich seufzend, und nur wenige Minuten später tauchen sie auf, die kräftigen jungen Männer in der Blüte ihrer Jahre.

In meinem kleinen Film sehen wir, wie sie dem Aufräumen der Seilerstraße mit jener stillen Verachtung nachgehen, die man nur Tätigkeiten entgegenbringt, für die man sich überqualifiziert fühlt.

Das tun sie unter ähnlicher Krachentwicklung wie ihre Pendants, die Schwarzvermummten, und auch ähnlich wortlos. Wenn man es genau nimmt, gäbe es von hier oben kaum Unterscheidungskriterien, nur die Helme, die im Licht der Straßenlampen gelblich glänzen.

Meine Sympathien jedenfalls sind klar verteilt. Sie können einfach keinen Menschen gehören, die meine gelben Säcke auf die Straße werfen.

02 Februar 2011

Leider ohne Akü

Es gibt einige türkische Ramschläden rund um die Reeperbahn. Sie sind auf dem ganzen Kiez weltberühmt. Man betritt sie mit einem Gefühlsmix aus Faszination und Grusel. Hier gibt es definitiv ALLES, sofern es nur drei Kriterien erfüllt: Es muss komplett geschmacklos sein, saubillig und von erschütternder Qualität.

Zu türkischem Dudelradio begegnen wir blinkenden Madonnen, Handyschalen aus den frühen Neunzigern, Plastikbesteck, Porzellanschäferhunden in Lebensgröße oder Taschenradios, die von dreijährigen Taiwanesen zusammengetackert wurden, und zwar in wochenlangen 24-Stunden-Schichten.

Mit einem Gefühlsmix aus Faszination und Grusel betrat ich daher – von der zusätzlichen Verlockung eines „Wir ziehen um“-Schildes wie magisch hineingezogen – den türkischen Ramschladen am Ende der Reeperbahn, kurz hinterm Beatles-Platz.

Hier vermochte ich heimlich für die Welt jenseits des Kiezes zu dokumentieren, was sie mir ohne diese Fotos nicht glauben würde. Es folgt eine kleine Galerie des Schreckens.



In Läden wie diesen – und in diesem ganz besonders – hat die legendäre Compact Cassette ihre traurige letzte Zuflucht gefunden. In vielhundertfacher Anzahl dämmert sie in schlichten Drahtverhauen ihrer endgültigen Entmagnetisierung entgegen. Natürlich dominiert dabei der 0815-Türkpop, doch unfasslicherweise steht auch Michael Holm dazwischen. Michael Holm! Das zeigt, seit wann das Sortiment nur noch ergänzt, aber nicht mehr komplett ausgetauscht wurde. Schätzung: 1978.



Dieses Spielzeugauto hat die Größe eines Kinderwagens – aber leider keinen Akü mehr. Pech. Dafür aber büllüg.



Türkische Ramschläden vermögen oftmals mit kühnen Drapierungsideen zu verblüffen. Dieses Arrangement aus Billig-DVD-Spieler, Plastikschaufel und Kartonmüll ist dafür ein guter Beleg.



Wenn sich für letztklassiges Sortiment partout kein Käufer mehr finden will, dann zuckt der Ladeninhaber halt lässig mit den Schultern und verschenkt den ganzen Schamott en bloc. Zum Beispiel diese „Battari“-Schachteln. Ich habe mir die Packungen mal angeschaut. Aus den meisten Batterien war schon Säure ausgeapert und an den Rändern wieder weißlich kondensiert. Herstellungsjahr wohl noch in diesem Jahrtausend, trotzdem eindeutig Sondermüll.



Regale? „Was das?“, lacht da der Verramscher von Welt herzlich auf. Ein paar grobe Holzpaletten auf den Boden gepfeffert, dann mit dem Gabelstapler hundert Rucksäcke und Polyestertaschen draufgekippt: fertig ist die Abteilung für Sport- und Outdoorausrüstung. Hier könnte selbst Aldi noch was lernen.



Zum Abschluss noch ein erhellender Panoramablick. Wir sehen Ständer mit Klamotten, die wahrscheinlich bei kik aus Qualitätsgründen aussortiert wurden. Und wir sehen einen historischen Röhrenfernseher, der sehr gut dadurch zur Geltung kommt, dass er liebevoll kopfüber in einen Einkaufswagen gewuchtet wurde.

Wäre ich nicht schon dagewesen, ich ginge schnell noch mal hin.
Ehe es zu spät ist.

01 Februar 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (44)



Also bitte, ja: Ich kann ja auch nichts dafür, dass der Hafen sich ausgerechnet nach Südwesten erstreckt und die Sonne deshalb abends oft aufs Postkartigste die Kräne illuminiert.

Ein Schlaumeier könnte mir natürlich jetzt entgegenhalten, ich müsse ein solch abgeschmacktes Schauspiel ja nicht auch noch fotografieren, doch da bin ich anderer Meinung.

Denn hier in diesem Blog wird die Wahrheit dokumentiert und nichts als die Wahrheit, selbst (und gerade) wenn sie so aussieht wie auf diesem Foto.

Wollte ich nur mal gesagt haben.

31 Januar 2011

Die CDU wird usurpiert



Im Wahlkreis Rinteln tritt seit Jahren Cajus Julius Cäsar so höchstpersönlich wie erfolgreich für die CDU an. Das schien mir bisher nichts weiter zu sein als ein Ausrutscher von geradezu spätrömischer Dekadenz.

Doch als wir heute durch Bergedorf schlenderten, wurden wir eines Besseren belehrt. Dort kandidiert für die Christdemokraten ein gewisser Dennis Gladiator. Zwar wirkt der Mann eher wie der nette Moppelnerd von nebenan und nicht wie Russell Crowe; gleichwohl gibt diese Affinität der CDU für Kandidaten römischer Provenienz zu denken.

Das Volk jedenfalls nutzt dieses nomen est omen bereits feinsinnig, um seinen Fragen an den Abgeordneten Anspielungen auf jene spektakuläre Ära einzuweben. In Gladiators Gästebuch, welches bereits 24 Einträge in sieben Jahren aufweist, gibt es zum Beispiel einen Herrn von Schnabelewopski, dem besonders die Problematik der in Bergedorf nur schwierig zu verrichtenden Notdurft auf der Blase brennt.

Ein logisches Ansinnen, denn seien wir doch mal ehrlich: War es etwa nicht das alte Rom, das erstmals in der Menschheitsgeschichte ein gescheites Abwassersystem installierte? War es. Und wer anders als ein Dennis Gladiator könnte nun eine ähnliche Aufgabe in Bergedorf wuppen?

Cajus Julius Cäsar und Dennis Gladiator jedenfalls erregten meinen Verdacht. Was steckt dahinter – eine Verschwörung? Ich recherchierte fieberhaft. Und siehe da: Bundesweit gehen einem unzählige weitere CDU-Römer ins Schleppnetz.

Etwa Emmanuele Cicero aus dem sächsischen Leisnig, der Stadt der Baumblüte, beschaulich gelegen zwischen Meuselwitz und Bockelwitz. Oder Marc-Aurel von Dewitz (Berlin). Zudem Tiberius Fundel, der legendäre Müllermeister aus Indelhausen. Auch Bernd Antonius, stellvertretender Vorsitzender des CDU-Gemeindeverbands Wendeburg. Und bei weitem nicht zuletzt Claudius Hennig, jener scheinbar sympathische Kurzhaarträger aus Pfullendorf.

Es nimmt und nimmt kein Ende. Nur Eva-Maria Römer (Karben) sei noch stellvertretend genannt für all jene weiteren CDUler, die anscheindend angetreten sind, diese einstmals so bodenständig-deutsche Partei von innen umzukrempeln.

Wie sehr diese Taktik bereits verfängt, ist in Dennis Gladiators Onlinegästebuch nachzulesen; es sind erschreckende Dokumente. „Hast auch Du Ochs und Kuh“, hinterlässt beispielsweise Bauer Piepenbrinck aus Reinbek, „wähle CDU!!!“

Es ist übrigens eine wunderbare Zungenübung, den Namen S-c-h-n-a-b-e-l-e-w-o-p-s-k-i mehrfach hintereinander auszuspechen. Macht Spaß! Zumindest ab dem achten Mal, wenn man qua Übung schon kräftig aufs Tempo drücken kann.

Hier der Beweis.


30 Januar 2011

Liebe auf den ersten Kick



Meine Eltern vergötterten die Berge und alles, was damit zusammenhing, also Trenker, Trachten, Sissi, Edelweiß, Urlaub am Königssee, Maria Hellwig und die Oberkrainer.

All das trieb mich später zuverlässig in die Arme der Sex Pistols, aber das ist eine andere Geschichte. In der hier geht es um Fußball.

Da meine Eltern die Berge vergötterten und damit logischerweie auch das alpenreichste Bundesland, war mein Vater von jeher ein Fan des FC Bayern München. Und als ich 9 war, beschloss er, ich müsse nun auch einer Mannschaft anhängen, am besten natürlich (das dachte er jedenfalls insgeheim) dem FC Bayern.

Statt das einfach ex cathedra zu verkünden, was in seiner väterlichen Macht gelegen hätte, stellte er eine todsichere Falle auf, in die der naive kleine Junge tappen sollte. Ein Samstag sollte die Entscheidung bringen.

Der FC Bayern München spielte damals zu Hause gegen den 1. FC Köln, und mein Vater verkündete sardonisch, wer dieses Spiel gewänne, solle meine Mannschaft werden. Ich war 9 und nickte eifrig. Ich konnte natürlich nicht wissen, dass der FC Bayern als haushoher Favorit ins Spiel ging. Ich hätte nicht einmal definieren können, was genau eine Falle ist.

Wir sahen die Zusammenfassung gemeinsam in der Sportschau, in Schwarz-Weiß. In der 14. Minute ging Köln überraschend in Führung, Torschütze war Carl-Heinz Rühl. Kurz nach der Halbzeit gelang zwar Gerd Müller (wem sonst?) der Ausgleich. Doch dann die Sensation: Heinz Simmet köpfte in der 60. den Siegtreffer, und dabei blieb es. Der erste Erfolg der Kölner in München überhaupt.

Mein Vater war danach sehr still. „Köln hat gewonnen, Papa! Köln ist jetzt meine Mannschaft, nicht wahr, Papa?“, rief ich begeistert und zupfte ihm am Ärmel. Er brummelte irgendetwas, das ein Erwachsener als mit Widerwillen kontaminierte Zustimmung gedeutet hätte.

Wie auch immer: Damit war es besiegelt. Der 1. FC Köln war fortan meine Mannschaft. Dieser entscheidende Samstag ist schon Jahrzehnte her, doch so blieb es seither, und so wird es immer bleiben.

Die Erwählung der Lieblingsmannschaft ist schließlich kein Spaß, keine Ehe oder so ein Pipifax, sondern eine Lebensentscheidung – und zwar ganz egal, unter welchen Umständen sie zustande kam, und sei es durchs zufällige Nichttappen in eine sorgfältig aufgestellte Falle.

Seit ich auf dem Kiez lebe, liebe ich außerdem den FC St. Pauli, und immer, wenn er gegen den 1. FC Köln spielt, stürzt mich diese Partie in eine widersprüchliche Gefühlslage.

Als heute Mittag Andreas anrief und mich fragte, ob ich die Dauerkarte einer erkrankten Freundin übernehmen und zur Partie gegen den 1. FC Köln ins Millerntorstadion gehen könne, wechselten die eigentlich konkurrierenden Drüsen für Dopamin und Adrenalin parallel in den Akkordmodus. Kurz vor 3 holte ich die Karte bei Andreas ab. „Für wen bist du heute eigentlich?“, fragte er.

Und dann sagte ich es ihm.

28 Januar 2011

Rügen haben kurze Beine



In einer Vorverkaufsstelle im Mercado möchte ich auf den letzten Drücker – nämlich nur wenige Stunden vor der Veranstaltung – noch eine Karte für eine Lesung im Literaturhaus erwerben.

Die Frau am Vorverkaufscomputer klackert ein wenig herum und sagt dann: „Ja, das geht noch. Möchten Sie eine Versicherung abschließen für den Fall, dass Sie krank werden bis heute Abend?“

Die Frage erwischt mich kalt. Sehe ich etwa derart moribund aus, dass mein Besuch der Lesung offensichtlich gefährdet scheint? Die Frau verneint das; es handele sich lediglich um eine Routinefrage. Das erleichtert mich, und ich verzichte.

Ich fühle mich sowieso leicht überversichert – Rente, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Rechtsschutz, Riester, Leben, Haftpflicht, Hausrat, Fahrraddiebstahl, Krankenhauseinzelbettzimmer, Chefarztbehandlung: Da brauche ich nun wirklich nicht noch eine Lesungsbesuchsverhinderungsversicherung für heute Abend, zumal ich mich komplett beschwerdefrei fühle bis auf ein bisschen Rücken. Und wäre das auf bedenkliche Weise anders, dann erwürbe ich keinesfalls eine Eintrittskarte für eine Lesung, sondern kuschelte mich prophylaktisch in die Laken.

Für die Versicherung hätte ich übrigens, wie mir die Vorverkäuferin auf Nachfrage bereitwillig erläuterte, einen Euro und 80 Cent berappen müssen. Das sind 18 Prozent des Kartenpreises – eine Rendite, mit der sich auch Josef Ackermann zufrieden gäbe. Vielleicht sogar Carsten Maschmeyer.

Egal, alles ging gut, ich erreichte unfallfrei die Lesung, und die war ganz großartig – vor allem, weil der unvergleichliche Titanic-Autor Pit Knorr Stargast war. Er las unter anderem die Kalauereske „Der Inselpfarrer“, in der unzählige Inselnamen aufs Furioseste zu einer Geschichte verbogen, verzahnt, verknotet und verhackstückt werden. Auszug:

„Da ist doch nichts Hawaii. Ich bin Künstler und Malediven.“ „Du malst Diven? Bahamas doch! Rügen haben kurze Beine. Gestehe: Du willst dich mit ihr auf der Sumatratze wälzen, denn dich erregt der Anblick ihrer entblößten Spitzbergen und ihrer rasierten Formosa. Was regt sich denn da in deiner Helgoländen Gegend?“ „Ach", sagte er, „das ist doch nur mein kleiner Bornholm.“ „Das sieht mir aber mehr aus wie eine ausgefahrene Lanzarote!“ Und er wurde ganz Rhodos.
Viele glauben, dieser Irrwitz sei original von Otto Waalkes, weil der die Nummer im Programm hatte, und das leichtgläubige Internet denkt das mehrheitlich auch, doch nein: Es war Pit Knorr, der sich das Stück für Otto aus den Hirnwindungen wrang, und dafür sollte man ihm auf Knien danken.

Ich täte es jedenfalls sofort, wenn ich nicht auch ein bisschen Knie hätte – aber nicht so stark, dass ich heute Abend nicht die Lesung hätte besucht haben können.

Das Foto zeigt übrigens Rügen, zumindest einen Teil davon.


26 Januar 2011

Was Draculina wirklich will



Diese Werbung hängt zurzeit in Hamburger U-Bahnen.

Ich habe auf dilettantische, doch wirkungsvolle Weise den restlichen Text abgedeckt, so dass man nicht mehr sofort sehen kann, in wessen Dienst uns diese liebreizende Dekolleteevampirin da so ultraböse anfaucht.

Wofür also wirbt Draculina bloß – ist sie vielleicht das neue Testimonial eines radikalen FDP-Flügels, der den Liberalismus ruchlos bis zum blutrünstigen Liberalizismus übergeigt?

Oder vertritt die strengfrisierte Furie mit den Spockohren etwa einen Sado-Maso-Swingerclub, aus dem man frühmorgens glückselig mit blutenden Bisswunden heraustaumelt?

Beides nicht, nein: Die Dame wirbt für eine Senioreneinrichtung, die „vielseitig interessierte und engagierte examinierte Altenpfleger/innen“ sucht.

Statt auf ein wildes, gefährliches Leben in der Twilightzone läuft also alles auf Windelnwechseln in Wechselschichten hinaus.

Wer sich bewerben will: Ich habe die Telefonnummer.



25 Januar 2011

Ist ER wieder da?



Die abgebildete Tonne scheint mir das bisher wichtigste Indiz für die Wiederkehr des Herrn zu sein, zu dessen bevorzugten Hobbys es bekanntlich schon immer gehörte, Lahme wieder gehend zu machen.

Anders jedenfalls ist das erstaunliche Krückenkonglomerat im Recyclinghof von St. Pauli kaum schlüssig zu erklären.



24 Januar 2011

Das Herz von St. Pauli



Unter den Fans des FC St. Pauli gibt es eine Fraktion, die sich „Sozialromantiker“ nennt. Sie wendet sich gegen die Kommerzialisierung des Vereins, gegen dauerblinkende LED-Werbebanden, gegen Stripshows in den VIP-Logen und markenkernfremdes Marketing.

Ihr selbstironischer Name soll sie präventiv schützen vorm unweigerlichen Vorwurf, von gestern zu sein, die Mechanismen des modernen Fußballs nicht zu verstehen. Ihr Name reißt diese Tür einfach sperrangelweit auf, so dass sie erst gar niemand mehr einzutreten braucht.

Doch es kann sein, dass die selbstironischen Sozialromantiker des FC St. Pauli einer Zeit nachtrauern, die leider nicht so war, wie sie glauben.

Denn 2008, zu Zweitligazeiten, sollen nach Aussage des Hauptangeklagten im Fußballwettskandal bei mehreren Partien insgesamt fünf Spieler des FC St. Pauli bestochen gewesen sein.

Bisher wusste man von einem, und so etwas kann vorkommen, auch in der besten Familie. Ein schwarzes Schaf kann es immer geben, dagegen ist kein Verein, kein Unternehmen, keine noch so verschworene Gemeinschaft gefeit.

Aber fünf? Das wäre fast die halbe Mannschaft. Das wäre ein GAU für meinen kleinen Stadtteilverein, das würde ihn in den Grundfesten erschüttern.

Der FC St. Pauli konnte zwar noch nie mit Meisterschaften wuchern, aber immer mit Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut. So schaffte es der Club, die Fanszene gleichsam zu verschmelzen mit dem Verein. Bei keinem anderen deutschen Proficlub nehmen die Anhänger so viel Einfluss auf die Vereinspolitik, und nirgendwo werden sie so ernstgenommen von der sportlichen und betriebswirtschaftlichen Führung.

Sie weiß einfach, dass die Fans die Außenwirkung des Clubs mehr prägen, als es ein Vorstand oder gar die Mannschaft selbst je könnte. Ihr Antirassismus, ihr Kampf gegen Neonazis, ihr Engagement gegen die Yuppiefizierung dieses kleinen Stadtteils: Ohne diese politische Homogenität und ihre Rückwirkung auf das Image des FC St. Pauli wäre der Club nur eine kleine graue Fahrstuhlmannschaft unter vielen.

So aber hat er Fans auf der ganzen Welt, und das Stadion ist dauerausverkauft, so dass man selbst als Vereinsmitglied praktisch niemals Karten bekommt. Und die Fußballprofimannschaft ausgerechnet dieses unvergleichlichen Clubs soll 2008 fünf Verräter in ihren Reihen gehabt haben, die auf sämtliche Werte, die der FC St. Pauli verkörpert – Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut –, geschissen haben …?

Undenkbar. Doch warum sollte Sapina lügen, warum Anschuldigungen frei erfinden?

Noch sind keine Namen bekannt, noch ist alles in der Schwebe. Und dennoch geht man momentan anders durch St. Pauli – so, als veränderte sich nicht nur die Architektur dieses Stadtteils radikal, sondern auch sein wahres Herz.

Und ich meine nicht die Reeperbahn.

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23 Januar 2011

Fundstücke (125)



Dass ausgerechnet eine „magische Kohlsuppe“ von einer Firma namens No Wonder angeboten wird, zeugt von einem erfrischenden Hang zur Selbstentlarvung.

So etwas sollte Schule machen. Ein Hersteller von Homöopathika zum Beispiel käme unter dem Firmennamen „Echtnixdrin“ erheblich authentischer rüber.

Aber auf mich hört ja mal wieder niemand.



22 Januar 2011

Fundstücke (124)



Eine wunderbare Hommage an den Hamburger Hafen, ohne jemals Hamburg zu erwähnen – aber unter Verwendung des bisher noch nie in einem Popsong aufgetauchten Wortes „Massengutfrachter“.

Mit Dank an Axel für den Tipp.



21 Januar 2011

Ganz schön extremo



Vielleicht hätte ich Micha Rhein, den Sänger von In Extremo (Foto), heute Abend besser nicht daran erinnern sollen, wie er und seine Band uns vor knapp drei Jahren bei einer ähnlichen Veranstaltung mit Wodka abgefüllt hatten.

„Ja, stimmt!“, rief er, „du hast Recht!“ Dabei blitzten seine schmalen, konsequent kleingefeierten Äuglein auf vor Dankbarkeit, und schon huschte er davon, um nur wenige Minuten später mit einem Tablett außergewöhnlich gut befüllter Wodkagläser zurückzukehren.

So nahm alles seinen Lauf im abgeranzten Kleinclub King Calavera mitten auf dem Kiez.

Über uns hinweg brauste das neue Album „Sterneneisen“ dieser Berliner Dudelsackrocker (eine sichere Nr. 1), Rhein spendierte mit blitzenden Äuglein Wodka, und praktisch alle außer Ms. Columbo und mir pafften, quarzten und qualmten, dass sich ihre Lungenlappen bogen – und wir das Gefühl hatten, zurückgekehrt zu sein in die Achtziger, als wir uns noch gedanken- und bewusstlos in den dicksten Nikotinwolken aufgehalten hatten, ohne dass uns auch nur irgendetwas daran falsch oder wenigstens merkwürdig vorgekommen war.

Heute Abend, im King Calavera, war es wieder so wie in jenen guten, alten Zeiten. Der Rauch schaute sich überall neugierig um und drang dann bevorzugt tief ein in die Hackfleisch-, Roastbeef- und Ziegenkäseschnittchen, die auf der Theke herumstanden und sich am Anfang ihrer Karriere bestimmt eine mondäneres Verspeistwerden erträumt hatten als unter den gegebenen Umständen in einem abgeranzten Kleinclub mitten auf dem Kiez.

Egal, es ist jedes Mal nett mit In Extremo. Auch wenn unsere komplette Garderobe danach immer genauso laut nach der Waschmaschine schreit wie die Fischverkäuferin in „Atlantic City“ nach der Dusche.

(Kann es eigentlich sein, dass auch meine Kamera nach Rauch stinkt, oder bilde ich mir das nur ein? Ich meine: Sie ist aus METALL!)

20 Januar 2011

Fundstücke (123)



Gegen den hiesigen Fluss, die Elbe, scheint das Monster von Loch Ness geradezu eine Miezekatze zu sein.

Entdeckt in Blankenese (zumindest das rechte Schild).

Von wegen ruchlos!

Der freundliche Freund der Nachbarin hat eine Weinsendung für uns angenommen und zwischengelagert.

Nachmittags, als Ms. Columbo die Benachrichtigung vorgefunden hat und drüben klingelt, trägt er den zwölf Flaschen schweren Trumm netterweise in unsere Wohnung. Dabei erblickt er das abgebildete Tryptichon des Hamburger Malers 4000 an der Flurwand und sagt:

„Das ist von mir.“

Der Freund der Nachbarin ist 4000.
Klar, die Welt ist klein – aber so klein?

Auf 4000s Webseite schreibt ein Interpret:

„… Gleichwohl fühlt man sich angesichts der Werke frontal angeschnaubt. Es ist das nervöse Schnauben, das typisch ist für ein gewisses Popmenschentum. Er selbst wirkt in seiner cäsarenhaften Großartigkeit mitunter durchaus ruchlos.“
Und er kann hervorragend Weinkisten schleppen. Das hat der Exeget zu erwähnen vergessen.

19 Januar 2011

Der verschwundene Parmesan



Zu Hause, beim Auspacken der Einkaufstasche, stellte ich fest, dass der Parmesan im Wert von 3,82 Euro fehlte. Ich musste ihn im Wagen liegengelassen haben.

Nur fünf Minuten nach der Heimkehr hatte ich bereits wieder die Reeperbahn überquert und kniete im Supermarkt vor der Phalanx der Einkaufswagen und linste durch die Gitterwaben.

Nichts, kein Parmesan.

Ich lief zu den Kassen und nervte das Personal mit der Frage nach einem abgegebenen Stück Käse, doch niemand wollte eins entgegengenommen haben. Ein Blick in den Laden selbst ergab grob überschlagen mindestens 20 Kunden mit Einkaufswagen im Einsatz, und das war mir dann doch etwas zu kleinkariert: Jedem davon in den Wagen zu starren und ggflls. sogar die Herausgabe eines dort herumliegenden Stücks Parmesan zu fordern.

Also frustriert wieder heim. Kurz vor der Haustür begegnete ich einem Handytelefonierer, der die ganze Straße beschallte. „Weißt du, was du gemacht hast?“, schrie er erregt in sein unschuldiges Telefon, „du hast Leute bespuckt und bepöbelt, in aller Öffentlichkeit!“

Betont langsam schloss ich mein Fahrrad an, um dem interessanten Monolog noch etwas folgen zu können. „Das hast du gemacht!“, brüllte der Mann, „und weißt du was? Das machst du nicht nur in der Kneipe, wenn du getrunken hast, das machst du auch PRIVAT!“

Und plötzlich schrumpfte der Parmesan in meiner Erinnerung derart zusammen, als hätte es ihn nie gegeben.

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