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24 Januar 2011
Das Herz von St. Pauli
Unter den Fans des FC St. Pauli gibt es eine Fraktion, die sich „Sozialromantiker“ nennt. Sie wendet sich gegen die Kommerzialisierung des Vereins, gegen dauerblinkende LED-Werbebanden, gegen Stripshows in den VIP-Logen und markenkernfremdes Marketing.
Ihr selbstironischer Name soll sie präventiv schützen vorm unweigerlichen Vorwurf, von gestern zu sein, die Mechanismen des modernen Fußballs nicht zu verstehen. Ihr Name reißt diese Tür einfach sperrangelweit auf, so dass sie erst gar niemand mehr einzutreten braucht.
Doch es kann sein, dass die selbstironischen Sozialromantiker des FC St. Pauli einer Zeit nachtrauern, die leider nicht so war, wie sie glauben.
Denn 2008, zu Zweitligazeiten, sollen nach Aussage des Hauptangeklagten im Fußballwettskandal bei mehreren Partien insgesamt fünf Spieler des FC St. Pauli bestochen gewesen sein.
Bisher wusste man von einem, und so etwas kann vorkommen, auch in der besten Familie. Ein schwarzes Schaf kann es immer geben, dagegen ist kein Verein, kein Unternehmen, keine noch so verschworene Gemeinschaft gefeit.
Aber fünf? Das wäre fast die halbe Mannschaft. Das wäre ein GAU für meinen kleinen Stadtteilverein, das würde ihn in den Grundfesten erschüttern.
Der FC St. Pauli konnte zwar noch nie mit Meisterschaften wuchern, aber immer mit Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut. So schaffte es der Club, die Fanszene gleichsam zu verschmelzen mit dem Verein. Bei keinem anderen deutschen Proficlub nehmen die Anhänger so viel Einfluss auf die Vereinspolitik, und nirgendwo werden sie so ernstgenommen von der sportlichen und betriebswirtschaftlichen Führung.
Sie weiß einfach, dass die Fans die Außenwirkung des Clubs mehr prägen, als es ein Vorstand oder gar die Mannschaft selbst je könnte. Ihr Antirassismus, ihr Kampf gegen Neonazis, ihr Engagement gegen die Yuppiefizierung dieses kleinen Stadtteils: Ohne diese politische Homogenität und ihre Rückwirkung auf das Image des FC St. Pauli wäre der Club nur eine kleine graue Fahrstuhlmannschaft unter vielen.
So aber hat er Fans auf der ganzen Welt, und das Stadion ist dauerausverkauft, so dass man selbst als Vereinsmitglied praktisch niemals Karten bekommt. Und die Fußballprofimannschaft ausgerechnet dieses unvergleichlichen Clubs soll 2008 fünf Verräter in ihren Reihen gehabt haben, die auf sämtliche Werte, die der FC St. Pauli verkörpert – Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut –, geschissen haben …?
Undenkbar. Doch warum sollte Sapina lügen, warum Anschuldigungen frei erfinden?
Noch sind keine Namen bekannt, noch ist alles in der Schwebe. Und dennoch geht man momentan anders durch St. Pauli – so, als veränderte sich nicht nur die Architektur dieses Stadtteils radikal, sondern auch sein wahres Herz.
Und ich meine nicht die Reeperbahn.
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Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles. Und auch die edelsten Gemüter leben leider nicht von der Liebe der Mannschaft. Vor allem nicht wenn sie spielsüchtig sind oder andere charakterliche Verfehlungen haben.
AntwortenLöschenGruß,
Tom
wenn das stimmen sollte...
AntwortenLöschenarmes st.pauli...
armer fc...
Was den FC St. Pauli ausmacht, sind die Fans und das, was sie erreicht/geschaffen haben - das hast du richtig beschrieben. Nicht die Spieler, die sind auch nicht viel weniger austauschbar als bei anderen Clubs, und das war "früher" auch nicht anders. Insofern erschüttert mich diese angebliche Bestechungs-Geschichte Null. Jedenfalls weniger, als den derzeitigen Ausverkauf von Identität und Idealen seitens der Führung des Vereins.
AntwortenLöschenDie Fans müssen aber in der Lage sein, sich mit der Mannschaft zu identifizieren, um hinter ihr stehen und die nötige Unterstützung geben zu können. Jede Woche hat ihren Höhepunkt nun mal in der Partie des Spieltages; die Spieler sind das Gesicht des Vereins. Wenn dieses Gesicht nicht mehr deckungsgleich ist mit den Idealen der Fankultur, dann erodiert über kurz oder lang der Verein. (Womit ich den Anteil der Vereinsführung nicht kleinreden will.)
AntwortenLöschen"Bei keinem anderen deutschen Proficlub nehmen die Anhänger so viel Einfluss auf die Vereinspolitik, und nirgendwo werden sie so ernstgenommen von der sportlichen und betriebswirtschaftlichen Führung."
AntwortenLöschenGlauben Sie das wirklich?
Jep. Aber Sie können mich gerne mit einem Gegenbeispiel zu überzeugen versuchen.
AntwortenLöschen«Der FC St. Pauli konnte zwar noch nie mit Meisterschaften wuchern, aber immer mit Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut.»
AntwortenLöschenWir können nur hoffen, dass das so bleibt.
"Nicht die Spieler, die sind auch nicht viel weniger austauschbar als bei anderen Clubs, und das war "früher" auch nicht anders."
AntwortenLöschenstimmt so nicht ganz. was ist mit boller, schulle, bene, morena, hain... alles gestandene st.pauli-recken, die eben nicht austauschbar sind und deshalb (teilweise) schon in der dritten liga bei uns spielten und auch heute in der ersten liga noch im kader stehen. scheiss auf die schnitzlers und wie sie alle heissen... die sind nicht umsonst nach zwei jahren wieder weg...
Oh! Mein Fehler. Ich dachte, SIE wollten irgendjemanden überzeugen.
AntwortenLöschenPassen Yuppiefizierung des Stadtteils und LED-Werbebanden nicht prima zu den Mechanismen des modernen Fussballs?
Hier in Brasilien, gibt es übrigens auch keinen Rassismus. Sagen die Brasilianer. Nur haben die meisten Farbigen schlechter bezahlte Jobs.
Und wie viele Farbige spielen noch mal bei St. Pauli? Und wie viele St. Paulifans setzen sich für die Rechte der Stripperinnen in der Vip-Lounge ein?
Ich kann mir nicht helfen, aber bei mir erzeugen radikale Überzeugungen, Glaubensbekenntnisse und Selbsthypnose in Form unbewiesener Behauptungen, deren Heftigkeit im Gleichschritt mit ihrer Haltlosigkeit (oder sind Sie wirklich mit den zig Profiklubs in D vertraut?) zunehmen, unweigerlich eine Gänsehaut.
„Passen Yuppiefizierung des Stadtteils und LED-Werbebanden nicht prima zu den Mechanismen des modernen Fussballs?“, fragen Sie. Die Antwort ist: selbstverständlich. Und genau DESHALB bezeichnen sich die Fans, die sich gegen die Mechanismen des modernen Fußballs wehren, als „Sozialromantiker“.
AntwortenLöschenIch werde übrigens jetzt nicht anfangen, „Farbige“ zu zählen, was Sie offenbar gerne hätten. Denn wenigstens das muss man dem modernen Fußball zugutehalten: Wer klasse ist, spielt und wird zum Star – ob er nun bleich, rot, gelb oder naturgebräunt ist.
Nö, gar nicht mal, aber öfter mal ein ironisches Augenzwinkern sich selbst und den Werbeslogans der Pulliverkäufer gegenüber könnte nicht schaden. Und das täte der Begeisterung der Fans und ihrer Lebensphilosophie sicher keinen Abbruch. Finde ich.
AntwortenLöschenDer FC St. Pauli will doch immer anders sein. Damit ist er es, sollte sich die Behauptung bewahrheiten. *fg*
AntwortenLöschen"Kein anderer Bundesliga-Verein gesteht seiner Basis so viel Einfluss zu wie der HSV. Der Aufsichtsrat ist mit zwölf Delegierten ungewöhnlich groß. Und 70.279 (Stand: 1. Februar 2011) Vereinsmitglieder bestimmen nicht nur, wer im Aufsichtsrat sitzt, sondern wählen sogar einen von maximal fünf Vorständen direkt."
AntwortenLöschenDas jedenfalls meinen Herr Hacke und Herr Wulzinger bei spiegel online ... wo Sie mich ja schon um ein Gegenbeispiel ersucht hatten...