18 Januar 2011

Attentat auf der Reeperbahn



Im Herzblut an der Reeperbahn treffe ich mich mit dem Einheitskanzler und German Psycho zum Afterworkdrink, was man heutzutage, glaube ich, bereits wieder „Feierabendbier“ nennen darf, ohne als komplett unkühl zu gelten.

Zunächst aber – und zwar noch bevor wir bestellt haben – zaubert der Einheitskanzler einen Mirabellenschnaps aus Familienproduktion hervor, den er mir als verspätetes Weihnachtsgeschenk überreicht.

Ein ebenso rührendes wie merkwürdiges Gebaren, denn er und ich liegen in fast allen Belangen über Kreuz, aber ich finde ihn gleichwohl sehr sympathisch (seine Einschätzung vermag ich nicht einzuschätzen – erst recht nicht nach dem Mirabellenschnaps, denn den bezeichnet er noch während des Überreichens als „ungenießbar“).

Nun ja, jedenfalls steht plötzlich diese private Flasche Schnaps auf dem Tisch des reeperbahnöffentlichen Herzblut, und ich sage zu German Psycho, eigentlich bräuchten wir ja jetzt nur drei leere Gläser zu bestellen und hätten den ganzen Abend Spaß, aber keinerlei Kosten.

Er und der Einheitskanzler finden das durchaus einsichtig und leicht nachvollziehbar. Schon kommt die Bedienung, und ich sage zu ihr, drei leere Gläser bitte, das reicht, wir haben nämlich unseren eigenen Schnaps mitgebracht.

Natürlich reagiert die Frau trotz ihrer von einem engen schwarzen T-Shirt sogar noch betonten Winzigkeit so, wie man wohl reagieren muss, wenn man in einem Laden an der Reeperbahn arbeitet, der jährlich Zehntausende von Touristen in allen Aggregatzuständen ertragen und durchschleusen muss: Sie ignoriert diesen geradezu touristischen Quatsch mit stoischer Miene, rollt nicht mal mit den Augen, sagt auch nicht „Höhö“, sondern erwartet mit routiniert gezücktem Notizblock unsere Bestellungen.


Wir geben sofort auf und ordern zwei Astra und einen (verdammt teuren) Grauburgunder.

Der Mirabellenschnaps – das stellte sich hinterher zu Hause heraus – eignet sich übrigens hervorragend zum Wegätzen einer Zahnentzündung. Man sollte nur tunlichst vermeiden, ihn zu trinken, da lagen sowohl der Einheitskanzler (aus Erfahrung) als auch die Menschen- und Schnapskennerin vom Herzblut, die meine Bitte nach drei leeren Gläsern nicht mal ignorierte, völlig richtig.

Warum der Einheitskanzler mir den Mirabellenschnaps trotz alledem als Weihnachtsgeschenk überreichte, bleibt allerdings noch im Dunkeln.

Ich interpretiere das vorerst einmal als ungeschickt ausgeführtes Attentat; dann kann ich schließlich nur noch positiv überrascht werden.

5 Kommentare:

  1. Unkühl wäre ja ... äh ... warm. Neeeee!

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  2. Also kommt der Schnaps in den Medizinschrank und in Ihrem trauten Heim hat nie wieder jemand Zahnentzündung - ist doch nett!!
    Und vll hilft einreiben mit dem Teufelszeug auch gegen Rücken ...
    Wer würde schon auf Sie ein Attentat verüben, Sie sind doch so ein Netter! *schleim*
    Grüße von Frau-Irgendwas-ist-immer

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  3. äh, ja, also trinkbar ist er schon (und blind macht er auch nicht - das weiss ich aus erfahrung - wenn auch die sehleistung zumindest temporär nach dem 3. gläschen rapide abnimmt).

    es ist auch weniger als anschlag denn als geste des neffenstolzes und für die erweiterung ihrer häuslichen bar (und meinetwegen auch des apothekenschranks) zu verstehen. schliesslich hatten sie seinerzeit beim österreicher den (industriell destillierten) mirabellenschnaps bestellt.

    die praktischen einsatzgebiete dieses händischen hobbyerzeugnisses sind (tatsächlich):
    -unmenschliche zahnschmerzen betäuben
    -biologische festplatten formattieren und
    -hartnäckige gäste implizit zum gehen auffordern (funktioniert nicht bei russen und natürlich - wenn auch aus anderen gründen - bei GP und mir).

    übrigens, auch eine tischlackierung ätzt er mühelos weg, was mich als renitenten teenager seinerzeit schon in erklärungsnöte brachte, als der elterliche wohnzimmertisch leiden müsste, weil man immer nur das mittlere der vermeintlichen drei verschwommenen gläser befüllen sollte. ich selbst nutze ihn eigentlich nur selten und dann, um leute zum schweigen zu bringen.

    angesichts dieser praktischen anwendungsfälle erklärt sich auch der sympathiegrad, denn wenn ich sie wirklich nicht mögen würde, dann hätte ich ihnen einen spätburgundischen "hex vom dasenstein" mitgebracht. den mag ich nämlich überhaupt nicht und er hat auch keinen praktischen wert.

    andererseits, angesichts ihres fetisches für deutsche weine könnte das vllt. eine option sein, um sie davon zu überzeugen, dass es sich nicht um einen anschlag gehandelt hat.

    erinnern sie mich dran, wenn sie das nächste mal beim GP zu besuch sind...

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  4. Wenn Sie vor Attentätern Angst hätten, lieber Matt, tränken Sie ja wohl kaum ein Bier mit mir...

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  5. GP, das klingt verdammt … räusper … STICHhaltig.

    Herr Einheitskanzler, danke für den Tipp mit der Tischlackierung. Ich kann Ihr Geschenk inzwischen auch zur Endreinigung von Badkacheln empfehlen. Man spart sich bei der Kaffeemaschine zudem den Entkalker, das ist total praktisch. Kurz: Ein Geschenk, für das ich ob seiner vielseitigen Verwendbarkeit total dankbar bin. Die Attentatsvermutung ist mir inzwischen total peinlich.

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