10 Januar 2011

Ups!



Ein Laden in der Talstraße offeriert „INTERNETcoffee“. Wahrscheinlich bestellen sie ihn online bei Tchibo, und dann tröpfelt er direkt durch die Ethernetleitung in die schnell bereitgestellte Tasse.

Warum geht das eigentlich mit Bier noch nicht? Dann wäre mir das im letzten Blogbeitrag bereits angedeutete UPS-Desaster erspart geblieben. Am 20. Dezember nämlich, das ist jetzt fast drei Wochen her, bestellte ich über einen Onlineversand einige Kisten eines raren oberbayerischen Gerstensaftes, doch ich habe sie immer noch nicht. Weil die Brauerei fatalerweise UPS mit der Lieferung betraute.

Zunächst passierte das Übliche: UPS kam vorbei, als bei uns niemand zu Hause war. Der hinterlassene Zettel verhieß einen erneuten Zustellversuch am nächsten Tag zwischen 12 und 14 Uhr. Ich rief dort an und erklärte, es sei erst ab 14 Uhr jemand zu Hause, ob man sich darauf einstellen könne.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, bedauerte die UPS-Dame aus dem Callcenter, doch sie könne dem Fahrer mitteilen, er möge doch versuchen, seine Tour entsprechend zu planen. „Wenn er nicht ab 14 Uhr kommen kann“, sagte ich, „dann braucht er gar nicht erst zu kommen.“

Am nächsten Tag fanden wir einen Zettel von 12:37 Uhr vor, auf dem UPS bedauerte, uns nicht angetroffen zu haben. Ich rief an und beklagte mich bitterlich über diese Verschwendung von Arbeitszeit.

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner“, sagte mir eine andere UPS-Dame. Sie bot an, das Bier bei Nachbarn abzustellen. Tagsüber sei selten jemand im Haus, gab ich zu bedenken. „Können wir es denn vor die Haustür stellen?“, fragte diese fraugewordene Naivität.

„Wie bitte?“, prustete es augenblicklich aus mir heraus, „ich wohne auf St. Pauli!“ Für das Schicksal eines herrenlos auf dem Gehweg herumstehenden Kartons gibt es hier keine zwei Optionen, vor allem nicht, wenn sich erst einmal herausgestellt hat, dass sich Bierflaschen darin befinden, und zwar volle.

Meine inständige Bitte, es irgendwie zu ermöglichen, die oberbayerische Rarität erst ab 14 Uhr nachmittags zu liefern, stieß auf ingesamt kühle Ablehnung. „Nur zwischen 9 und 18 Uhr, Herr Wagner. Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

„Na gut“, gab ich schließlich nach – und bot UPS an, den kommenden Freitag (der inzwischen der vergangene ist) ganz und gar dem Warten auf Godot zu widmen, und zwar exakt zwischen 9 und 18 Uhr.

Am fraglichen Freitag traute ich mich nicht einmal zu duschen, aus Angst, ich könnte das Klingeln des UPS-Manns verpassen. Es wurde Mittag, es wurde 15, 16, 17 und schließlich 18 Uhr – kein Bier aus Oberbayern.

Mein Anruf bei UPS war von mühsam unterdrückter vulkanischer Aktivität geprägt. Wo mein Bier bliebe, fragte ich. Bis 19 Uhr würde ausgeliefert, sagte eine neue UPS-Dame. „Jetzt also bis 19 Uhr? Sie hatten mir gesagt, zwischen 9 und 18 Uhr!“

„Eine Zustellung zu einer bestimmten Uhrzeit können wir leider …“ „… nicht garantieren, ich weiß“, fiel ich ihr ins Wort, aber genau aus diesem Grund mache man doch einen ZEITRAUM aus, der in diesem Fall von den Uhrzeiten 9 und 18 begrenzt worden sei. „BEGRENZT, verstehen Sie!“

Sie könne im System leider die Hamburger Touren nicht sehen, sei aber gerne bereit, dort meine Bitte um Rückruf vorzutragen; wie denn meine Nummer sei. Ich verlangte meinerseits die Nummer der Hamburger Filiale, um selbst dort telefonisch vorstellig zu werden; das stellte ich mir lustig vor in meiner derzeitigen Gemütsverfassung, die inzwischen auf einem Sky-esken Level angekommen war.

Die dürfe sie nicht rausgeben, sagte sie. Plötzlich fühlte ich mich müde, zerbröselt und zerschreddert von UPS, versuchte sie aber dennoch darauf festzunageln, wenigstens eine heutige Lieferung zuzusagen, egal wie spät. „Das können wir leider nicht garantieren, Herr Wagner.“

Waaaaaaah!

Eine Stunde später klingelte das Telefon, die Rufnummer war unterdrückt. Es war die Hamburger UPS-Filiale, und sie hatte schlechte Nachrichten, ganz schlechte. Leider sei das Paket unauffindbar, ob ich Größe, Form und Inhalt beschreiben könne.


Unauffindbar.


Inzwischen war ich längst soweit, das Kürzel UPS als „Unfassbar Planloser Saftladen“ zu dechiffrieren und das auch jederzeit zu beeiden. „Das kann ich verstehen, Herr Wagner“, sagte der UPS-Mann, „aus Kundensicht.“ Doch leider könne er nichts machen und schon gar nichts zusagen, so lange das Paket verschwunden sei.

Gegen 21 Uhr rief ein Kollege von ihm an und bestätigte den anhaltenden Status quo. UPS hatte es also geschafft, ein fast 30 Kilo schweres Paket mit mehreren Kisten Bier darin spurlos zu verbaseln. Wahrscheinlich gab es dafür zum Ausgleich einen lallenden, sehr gut gelaunten UPS-Fahrer mehr.

Somit, fuhr der Mann fort, sei auch eine Lieferung am Samstag ausgeschlossen. Erst Montag wieder. Mein Ärger steckte inzwischen in einem dicken wollenen Kokon aus Gleichmut, und so bat ich höflich darum, den Zeitpunkt eines weiteren Zustellversuchs unbedingt vorher mit mir abzustimmen. Der Mann beruhigte mich: Klar, kein Problem.

Samstagmittag hatte sich noch niemand bei mir gemeldet. Ich rief die Hotline an. „Die Sendung“, sagte eine muntere UPS-Dame namens Reuter, „wird am Montag zwischen 9 und 18 Uhr zugestellt, Herr Wagner.“

Waaaaah!, schrie ich auf. Nur ab 14 Uhr! Nicht früher! Es wird niemand zu Hause sein vor 14 Uhr! Niemand! Das war schon zweimal so, bevor Sie beim dritten Mal das Paket verbaselt haben!

Die Frau schien beeindruckt von meinem Ausbruch. „Ich sehe mir den bisherigen Verlauf einmal an“, flüsterte sie, „aha … ach so … hmm … ah, ich sehe … ojeoje … ts … uiuiui …“

Und dann sagte sie die schönsten Worte, die ich je von einer UPS-Stimme gehört habe: „Natürlich machen wir das, Herr Wagner. Ich trage das sofort ein: erst ab 14 Uhr.“

Der heutige Montag wird also der spannendste seit dem 2. November 2004, als sich Bush und Kerry ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft lieferten.

Und das war nicht mal ein Montag.

08 Januar 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (40)



Ungefähr ein halbes Dutzend mal im Jahr laufe ich im Dunkeln über den nassen Teer des Spielbudenplatzs, in dem sich die LED-Wand aufs Urbanste spiegelt, und denke: Mensch, das sieht ja hübsch aus. Das sollte ich mal fotografieren.

Und dann fotografiere ich das. Das sieht dann meistens ähnlich hübsch aus wie in Wirklichkeit, und ich denke: Mensch, das Bild solltest du verbloggen, zumal dir heute eh nichts Interessanteres passiert ist, als dass du neun Stunden am Stück auf eine UPS-Lieferung gewartet hast, ehe sie dir am Telefon zerknirscht gestehen mussten, das Paket irgendwie, irgendwo verloren zu haben.

Aber das ist eine andere Geschichte, die noch nicht (ganz) zu Ende ist, und deshalb gewinnt das Spielbudenplatzbild mit der im nassen Asphalt aufs Urbanste sich spiegelnden LED-Wand die nötige Blogrelevanz. Selbst wenn ich fast identische Fotos schon mehrfach verbloggt habe.

Rechts von der Leuchtwand die Reeperbahn, links Schmidt-Theater und Davidwache, dahinter die Huren. Wenn die wirklich zu sehen wären, gäbe es übrigens dieses Foto gar nicht.

Und die Kamera natürlich auch nicht mehr.


07 Januar 2011

David Bowies Gespür für Wurst



In einem mehrtägigen nächtlichen Gewaltakt habe ich es nun endlich geschafft, das Gesamtwerk von David Bowie nach den mir genehmsten Songs zu durchforsten und diese auf den iPod zu laden.


Den so destillierten zufällig exakt 100 Stücken entwrang ich in einem zweiten, noch härteren Durchgang die nach meinem Gusto allerallerbesten. Der entsprechende iPod-Ordner umfasst nun diese 29 Tracks (in chronologischer Reihenfolge):

Space Oddity 1969
Memory Of A Free Festival Part 2 1969
The Man Who Sold The World 1970
Life On Mars? 1971
Starman 1972
The Jean Genie 1972
Ziggy Stardust 1972
Rock & Roll Suicide 1972
See Emily Play 1973
Sorrow 1973
Rebel Rebel 1974
Young Americans 1975
Wild Is The Wind 1976
Heroes (english/deutsch) 1977
Sound And Vision 1977
Ashes To Ashes 1980
China Girl 1983
Blue Jean 1984
This Is Not America 1985
Absolute Beginners 1986
Velvet Goldmine 1990
Jump They Say 1993
Thursday's Child 1999
Seven 1999
Conversation Piece 2002
Days 2003
Waterloo Sunset 2003
Nite Flights 2005
The Wedding 2005

Ein Rausch, dieser Ordner. Heute bin ich vom Büro im Regen nach Hause gelaufen, nur um ihn länger am Stück durchhören zu können. Was mir während des Ausschlachtens der Bowie-Alben wieder einfiel (und das ist auch der Anlass für diesen Blogeintrag), war eine Geschichte, die mir der Countrysänger Gunter Gabriel während eines
Interviews erzählte.

Der damals noch schwer erfolgreiche Gunter teilte sich 1976/77 das Berliner Hansastudio mit Bowie, der am inzwischen legendären Album „Heroes“ arbeitete. Gabriel saß oben, Bowie im Keller. Täglich brachte Gunters damalige Freundin ihrem Liebsten herzhafte Verpflegung ins Studio, und irgendwann bürgerte es sich ein, dass sie auch für Bowie Brote schmierte.

Und zwar Wurstbrote.


Verstehen Sie? Die damals mit Abstand coolste androgyne Sau der Welt, der mondäne thin white duke, der Glamourjunkie David Bowie ließ sich von Gunter Gabriels Freundin Wurstbrote schmieren.


Seit ich das weiß, klingt „Heroes“ (die – nebenbei bemerkt – beste 45er-Single der Welt) irgendwie anders.

06 Januar 2011

Die abgelaufene Alufolie



Es begann alles mit einem spontanen Scherz in der Küche. Ms. Columbo hatte eine Packung Alufolie aus der Einkaufstasche geholt, und ich fragte sie: „Hast du auch aufs Mindesthaltbarkeitsdatum geachtet?“
Ihr baffer Blick, ehe sie mich pantomimisch mit der Rolle verprügelte: einfach unbezahlbar.

Daraus entwickelte ich die ebenso bescheuerte wie vermeintlich interessante Idee, das Mindesthaltbarkeitsproblem von Alufolie doch einmal vor Ort zu thematisieren, nämlich bei den Einzelhandelsketten.

Also schrieb ich an PENNY, REWE
, EDEKA, toom und Lidl folgende Mail (wobei ich die Verortung der jeweiligen Filiale natürlich an die Realität anpasste):

Sehr geehrte Damen und Herren,

unlängst kaufte ich in Ihrer Filiale an der Reeperbahn in Hamburg eine Packung Alufolie. Als ich sie nach einigen Tagen benutzen wollte, musste ich zu meiner Bestürzung feststellen, dass das Haltbarkeitsdatum schon seit Monaten abgelaufen war.

Jetzt wüsste ich gerne, wie wir die Sache regeln können. Ich bin an einer gütlichen Einigung interessiert. Den Kassenzettel habe ich allerdings inzwischen nicht mehr.

Für konstruktive Vorschläge bin ich dankbar.

Mit besten Grüßen
Matt

Als erstes rührte sich REWE, und zwar noch am selben Tag:

Sehr geehrter Herr Wagner,

in Beantwortung Ihrer E-Mail teilen wir Ihnen mit, dass es bei "Alufolie" kein Mindesthaltbarkeitsdatum gibt - es ist doch kein Lebensmittel.

Die auf der Verpackung aufgedruckte Nummer ist eine Seriennummer.

Mit freundlichen Grüßen
Barbara B.
REWE Kundenservice

Barbara B. legt zwar sehr bürokratenmäßig los („in Beantwortung Ihrer Mail“), doch dann wird sie gestochen präzise. Vor allem zweierlei erfreute mich an dieser Mail: zum einen die Tüdelchen, mit denen sich REWE von seiner Alufolie distanziert, zum anderen die gegenüber einem Rumpeldenker wie mir angemessene Schnippischkeit im Ton: „es ist doch kein Lebensmittel“ … Ein angefügtes Ausrufezeichen hätte indes die pädagogische Attitüde noch deutlicher unterstrichen. Da könnte Barbara B. noch an sich arbeiten.

Nur wenige Stunden später schlug EDEKA im Posteingang auf:

Sehr geehrter Herr Wagner,

danke schön für Ihre Mitteilung zu der Alufolie.

Alufolie hat kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Bei dem auf der Verpackung aufgedruckten Datum handelt es sich um das Produktionsdatum. Sie können die Alufolie also ohne Bedenken verwenden.

Bitte wenden Sie sich mit Fragen und Anregungen gerne wieder an uns. Sie erreichen uns von Montag bis Samstag zwischen 8 und 20 Uhr unter 01803 333 520.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr EDEKA Kundenservice

Da ging mir natürlich das Herz auf. Schon das einleitende „danke schön“ ist ein emotionaler Volltreffer, und in der Folge vermeidet es das sensible EDEKA sorgsam, mir und meiner offenkundigen geistigen Armut zu nahe zu treten. Sachlich werden die Fakten genannt, man tätschelt mir beruhigend die Schultern und freut sich auf weiteren Kontakt. Kurz: EDEKAs Schreiben ist – trotz einer gewissen Unpersönlichkeit dank der fehlenden Unterschrift – eine mailgewordene Kuschelecke.

Fünf Tage zogen ins Land, ehe sich an der Alufolienfront wieder etwas tat. Lidl war dran:

Sehr geehrter Herr Wagner,

der Artikel Alufolie besitzt grundsätzlich kein Mindesthaltbarkeitsdatum.

Je nach Lieferant kann die Ware mit einem Produktionsdatum versehen sein, damit im Falle von möglichen Mängeln eine Nachvollziehbarkeit der Produktionslinie gewährleistet ist.

Die derzeit in unserem Markt befindliche Ware ist aber mit keinem Datum versehen. Sollten Ihrerseits noch Fragen bestehen, wenden Sie sich sonst gerne direkt mit der Verpackung an die Filiale.

Wir hoffen Ihnen hiermit geholfen zu haben und Sie weiterhin als Kunden bei uns begrüßen zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen

i.A. Julia K.
Sekretariat Vertrieb

Ein tadelloser Brief, wenngleich mit schlingernder Interpunktion. Meine Sorge wird aufgegriffen, aber zerstreut. Lidls Sorge hingegen, mich trotz meiner Selbstenttarnung als Denkschnecke durch diese leidige Affäre vielleicht als Kunden zu verlieren, wird geschickt verpackt in die ausgangs formulierte Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Gut gelöst, Lidl, aber langsam wie eine Wanderdüne. Zum Ausgleich erhielt ich diese Mail zweimal innerhalb von 17 Minuten, und zwar von verschiedenen Absendern.

Auf Rang 4 landete – sechs Tage nach Eingang meiner Mail – der toom-Markt. Er schrieb Folgendes:

Guten Tag Herr Wagner,

vielen Dank für Ihre Mitteilung an unser Haus. Dem Thema Haltbarkeitsdatum von Alufolie haben wir uns gerne angenommen und können Sie beruhigen und Ihnen versichern, dass es kein Mindesthaltbarkeitsdatum bei Alufolien gibt. Die verschiedenen Hersteller drucken zum Teil interne kodierte Produktionsnummern auf ihre Produkte und einige Hersteller versehen ihre Ware mit einem Produktionsdatum. Dieses wird wahrscheinlich bei der von Ihnen gekauften Alufolie der Fall sein. Also, es besteht kein Grund zur Sorge. Sollten Sie noch Fragen haben rufen Sie mich gerne an.

Mit freundlichen Grüßen

Lars R.
Marktmanager
toom Verbrauchermarkt

Bei toom fühle ich mich blendend aufgehoben. Gut, auch hier könnte man an der Kommasetzung noch schrauben, doch inhaltlich gibt es nichts zu mäkeln. toom signalisiert Recherchetiefe, zerstreut behutsam meine Ängste und hält mir, obwohl ich ganz offensichtlich plemplem bin, die Tür offen für Rückfragen; die Telefonnummer des Marktmanagers himself stand wirklich drunter.

PENNY gehört zwar zur REWE-Gruppe, was aber nicht heißt, dass sie sich um ihre Kunden nicht selbst kümmern können. Wenn auch mit Verzögerung, denn ich musste eine knappe Woche auf diese Antwort warten:

Sehr geehrter Herr Wagner,


es tut uns leid, dass Sie Grund zur Beanstandung hatten, umso mehr, da die Zufriedenheit der Kunden im Mittelpunkt unserer unternehmerischen Aktivität steht.

Wie Sie sicher verstehen, liegt es sehr in unserem Interesse, Ihrem Beschwerdegrund nachzugehen.

Da Alufolie kein Mindesthaltbarkeitsdatum haben dürfte, bitten wir Sie, uns die Umverpackung zur näheren Überprüfung zur Verfügung zu stellen und an folgende Adresse zu schicken:

PENNY Markt, Qualitätssicherung (…)

Die Portokosten werden wir Ihnen in Form eines Warengutscheins erstatten.

Sollten Sie die Verpackung bereits verworfen haben, geben Sie uns bitte eine kurze Rückinformation.

Für Ihre Unterstützung im Voraus vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Kundenservice - PENNY Markt
Nadine B.

PENNY geizt nun wirklich nicht mit Entgegenkommen; sie sollten sich in EURO umbenennen, haha … Bereits die defensive Formulierung, Alufolie „dürfte kein Mindesthaltbarkeitsdatum“ haben, kommt einem Volldeppen wie mir allerdings viel zu weit entgegen. Da lobe ich mir die taffe Barbara B.

Doch PENNY scheint wirklich ein wenig verunsichert zu sein. Der übliche Verweis auf das Produktionsdatum, welches ich wohl missgedeutet hätte, fehlt komplett; stattdessen will man dieser Hirnrissigkeit Merkwürdigkeit auf den Grund gehen und bittet ums Corpus delicti.

Damit aber konnte ich leider nicht dienen. Denn ich hatte natürlich in keinem dieser Läden auch nur das kleinste Fitzelchen Alufolie gekauft. Eine geradezu mikroskopische Basis also für den längsten hiesigen Blogtext aller Zeiten – was leider auch für die Länge Ihrer beim Lesen verschwendeten Lebenszeit gilt, in der Sie viel sinnvollere Dinge hätten tun können.


Zum Beispiel die Welt retten.

05 Januar 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (39)



So, Weihnachten und Silvester sind glücklich bewältigt. Vor dem nächsten Großereignis wird es also Zeit, der Welt endlich zu verraten, wo in Wahrheit die Osterhasen herkommen.

Genauso wie Domenica, Hans Albers oder die Beatles nämlich aus: St. Pauli.

Entdeckt am Bahnhof Landungsbrücken.

04 Januar 2011

Ein frohes neues …



Um am ersten Bürotag nicht unzählige Male Neujahrsgrüße austauschen zu müssen, war ich auf die Idee gekommen, mir einen gelben Klebezettel auf die Stirn zu kleben, auf dem stand: „Das wünsch ich dir auch!“

Als Testpersonen für die Effizienz und Wirksamkeit dieser Maßnahme sollten der Franke und Kramer herhalten. Ich betrat also frühmorgens stirnbeklebt ihr Büro und traf Kramer alleine an.

Stumm stellte ich mich vor ihn hin und starrte ihn an. „Was wünschst du mir auch?“, brummte er, „versteh ich nicht.“ Dabei schaute er mich an wie ein lernschwacher Koboldmaki.

„Ein frohes neues Jahr, du lernschwacher Koboldmaki!“, rief ich, ohne die aufflammende Empörung angesichts seiner Begriffstutzigkeit auch nur im Mindesten zu verhehlen.

Unversehens betrat der Franke den Raum, und ich wandte mich ihm vielsagend zu. „Was steht da?“, fragte er, „ich habe meine Brille nicht auf.“

Mein Versuch, dem Jahr 2011 gleich zu Beginn eine entscheidende Redundanzreduzierung aufzuzwingen, war damit bereits an den ersten beiden Klippen final zerschellt. Kramer scheiterte an intellektuellen, der Franke an körperlichen Defiziten.

Ich brach das Experiment sofort ab und wünschte hinfort allem und jedem ein frohes neues Jahr, und zwar durchweg verbal.

Ihnen allen übrigens auch.

03 Januar 2011

Fundstücke (122): Von Klosteinen und anderen Merkwürdigkeiten

Vor einigen Tagen suchte ich (wie alle Jahre wieder) nach einem neuen Stromlieferanten, weil der aktuelle sich nicht entblödete, eine unangemessene Preiserhöhung anzukündigen.

Beim Recherchieren entdeckte ich folgendes extrem aussagekräftiges Werturteil über einen Konkurrenzanbieter: „Könnte Besser sein! Aber sonst O.K.!!!“

Das half weiter.

Ich liebe auch Weinrezensentenlyrik. Zum Beispiel diese: „Schubert, einer der ganz großen an der Ruwer, überzeugt mit seinen alten Reben. Sehr intensives Zitrusaroma, fast Erinnerung an einen Klostein.“

So steht es im empfehlenswerten brandneuen Blog der Weinbar St. Pauli. Der Schubert-Wein interessiert mich übrigens trotzdem. Besser gesagt: gerade deshalb.

Auch die Bahn ist, wie wir alle wissen, stets für Unterhaltung gut. Was zum Beispiel macht sie, wenn sie den Fahrplan geändert hat und irgendwo noch eine alte Übersicht hängt – einfach abhängen und gegen eine neue austauschen? Klänge logisch, zumindest in der Welt diesseits des Paralleluniversums Bahn, ist aber viel zu simpel gedacht. Wie es wirklich geht, zeigt das heutige Foto.

Könnte besser sein, ist aber sonst O.K.

02 Januar 2011

Gefährlich still



Seit Tagen schon steht ein für die abwesende Nachbarin angenommenes DHL-Paket im Flur. Es trägt Schwarz auf Signalrot eine panisch brüllende Aufschrift: „ACHTUNG: LEBENDE FUTTERINSEKTEN!“.

Nachdem ich diese Warnung gelesen hatte, überprüfte ich das Paket zunächst einmal rundum auf seine Dichtigkeit. Der Test verlief sehr zufriedenstellend. Keine Ritzen, keine Löcher, nirgends Spalten. Vor allem Ms. Columbo zeigte sich davon beruhigt.

Nach etwa drei, vier Tagen allerdings begann mich das stumm im Flur herumstehende Paket mit einer neuen Fragestellung zu bedrängen. Nämlich der, ob nicht auch lebende Futterinsekten ihrerseits irgendwann einmal Futter bräuchten.

Immerhin sollen sie nach der (weiterhin in den Sternen stehenden) Aushändigung noch verfütterungsfähig sein. Und verhungerte Futterinsekten könnten möglicherweise die ihnen zugedachte Aufgabe nach Rückkehr der Nachbarin gar nicht mehr erfüllen.

Wer weiß, was damit überhaupt gefüttert werden soll; denkbar sind Fische, Frösche, Molche, Schlangen, Spinnen, im günstigsten Fall Wellensittiche. Doch selbst einem Grottenolm wäre es kaum zu verdenken, wenn er die dargereichten Futterinsekten in postmortalem Zustand vorsorglich verschmähen würde.

Wie auch immer: Ein soeben vorgenommener Hörtest am Paket ergab jedenfalls keinerlei Lebenszeichen. Es müsste darin nach menschlichem Ermessen doch herzhaft summen, sirren oder surren, nicht wahr, oder wenigstens schaben, rascheln, krabbeln, knabbern oder knistern.

Doch nichts dergleichen. Die lebenden Futterinsekten verhalten sich still. Gefährlich still.

Neulich habe ich übrigens mal versehentlich ein ebenso geräuscharmes Paket aus Potsdam angenommen, und zwar für einen Nachbarn, der gar nicht mehr hier wohnt, sondern längst in München.

Wer von St. Pauli dorthin zieht, sollte eigentlich zur Strafe keine Pakete nachgeschickt bekommen, aber was tut man nicht alles, wenn man ein gutes Herz hat.

Hat es vielleicht doch gerade gesummt oder gesurrt im Flur?
Na ja, ich kann mich auch verhört haben.


30 Dezember 2010

Auf Friseusenpirsch (integriert: Offener Brief zu Silvester, 5)



A. wohnt noch nicht ganz so lange auf St. Pauli wie ich, doch er hat dank jahrelanger Besuche von Schmuddelclubs und schmierigen Tabledancebars interessante Tipps parat, die mir völlig neu sind.

Sonntagsabends zum Beispiel, sagt er, sei die ideale Zeit, um auf dem Kiez Friseusen abzuschleppen. Wie das? Weil montags die Salons Ruhetag hätten und Friseusen sich deshalb bevorzugt sonntagsabends von A. oder anderen Interessenten abschleppen ließen bis in die Puppen.

Eine solch hochbrisante Insiderinformation stößt bei einem Bruce-Willis-Typen wie mir natürlich auf frappiertes Staunen. Würde mein Friseurladenbesuchsverhalten (das vergleichbar ist mit meinen Ausflügen ins Weltall) bundesweit Schule machen, gingen nämlich all diese Läden binnen weniger Wochen pleite. Und die Friseusen natürlich mit, was es ihnen aber immerhin erlauben würde, sich auch an allen anderen Wochentagen von A. oder anderen Interessenten abschleppen zu lassen bis in die Puppen.

Doch soweit ist es ja noch nicht, und deshalb bleibt der Sonntagabend der bevorzugte Friseusenabschlepptag. Montags ist dann total tote Hose auf dem Kiez. In den Stripclubs gibt es weniger Gäste als Tänzerinnen, kleine Tröpfchen von Tristesse hüpfen von Tisch zu Tisch und finden trotzdem keinen teuren Billigschampus, den sie kontaminieren könnten.

Auch der Dienstag erinnert an die Ruhe nach der Apokalypse, mittwochs zieht es dann allmählich an, der Donnerstag läuft sich schon mal warm, und freitags und samstags tobt schließlich der Wirbelsturm über St. Pauli, was A. gewöhnlich davon abhält, das Haus zu verlassen (und mich in der Regel auch, es sei denn, German Psycho zwingt mich mit einschlägigen „Argumenten“ in irgendeinen Siffladen auf dem Hamburger Berg).

Am Sonntag schließlich geht es wieder auf Friseusenpirsch – ein ewiger Kreislauf. Zum Glück fällt Silvester diesmal auf einen Freitag; dadurch werden quasi zwei Wirbelstürme zusammengelegt, obwohl der an Silvester natürlich mit erheblich größerer Zerstörungskraft durchs Viertel fegt als jeder andere des Jahres. Das täte er allerdings auch an einem Montag, daher will ich nicht meckern.

Apropos Silvester: Obwohl meine bereits drei Appelle in den vergangenen Jahren jeweils verpufften wie jene Hand, die den Chinaböller partout nicht loslassen wollte, möchte ich es doch erneut nicht versäumen, ihn zu wiederholen, wenngleich nur in Form einer Verlinkung.

Irgendwann muss irgendwer doch mal anfangen, auf mich zu hören. Und wenn es nur die Friseusen sind.


PS: Das heutige Foto eines Graffitos auf St. Pauli hat nur partiell mit dem Beitrag zu tun, doch in der Not frisst der Teufel Fitschen.



27 Dezember 2010

Neuigkeiten vom Rauchen



In der Clemens-Schultz-Straße schwingt eine rauchende Domina in Lederkorsage die Peitsche, um für einen Auftragsmaler zu werben. Diese Idee funktioniert wohl nur auf dem Kiez.



Und vor der Bar Christiansen’s am Pinnasberg ist das Ein- und Ausatmen multipler Giftstoffe anscheinend mit intensiver Geräuschentwicklung verbunden – wobei es sich ja nur um Sachen wie Krächzen, Röcheln und Rasseln handeln kann.

Irgendwie habe ich das Gefühl, die rauchende Peitschendomina würde auf dieses Schild ungehalten reagieren. Aber was weiß ich schon von Dominas.

(Foto 2 mit freundlicher Genehmigung von A.)

25 Dezember 2010

24 Dezember 2010

Friede auf Erden (aber nicht im Bus)



Verträumt sitze ich im Bus, als plötzlich eine Stimme von rechts blafft: „Fass mal an!“

Vor der mittleren Tür steht ein alter Herr mit Schiebermütze, der seine Gehhilfe nicht allein die Stufe hochhieven kann. Ich springe eilfertig herbei und hebe sie in den Bus.

Der Mann, verkrümmt von Missmut und Betagtheit, steigt ächzend hinterher. „Da rüber! Da rüber!“, schreit er mich an, womit er mir auf seine herzliche Art bedeuten möchte, die Gehhilfe am Rollstuhlplatz zu verankern.

Das tue ich wortlos, während er sich auf einen freien Sitz fallen lässt, ohne mich anzuschauen oder gar eines weiteren Wortes zu würdigen.

„Bitte“, denke ich und nehme meinen Platz wieder ein. Mir gegenüber, auf der anderen Seite des Gangs, sitzt ein weiterer Rentner. Als der Bus losfährt, schaut er zu mir herüber und ruft so laut, dass der Gehhilfenbesitzer es unweigerlich hören muss: „Was war denn das eben für ein Ton, sach ma!“

Ich grinse ihn schief an, was er, wenn kommunikativ alles gutgeht, als mit Nachsicht umflortes „Tja“ interpretieren sollte.

Weiter passiert nichts. Der Blaffer hat nichts gehört, der Rentner muffelt, weil seine Rüge verpufft, und mir ist eh alles egal.

Denn es ist Weihnachten in Hamburg, meine Damen und Herren, die Fleete sind weiß wie mein Gewissen, und die Boote träumen still vom großen, weiten Meer.

Amen.

23 Dezember 2010

Man gab mir die Kugel

Heute Mittag im Restaurant Marinehof biss ich beim Verzehren des Wildschweinragouts auf etwas Hartes, Metallenes.

Es war keine Plombe. Sondern die Kugel, die das Wildschwein getötet hatte.

Sie lag plötzlich kupferfarben und verbogen auf meinem Teller und sorgte fürs schlagartige Ende des üblichen enfremdeten Essens.

Delektiert man sich an einem Durchschnittskotelett, passiert einem so etwas nicht. Die Methode, wie das kotelettliefernde Hausschwein ums Leben kam, bleibt immer unsichtbar. Das Fleisch verweist nie auf seine Herkunft: ein atmendes, lebendes Wesen; ein Tier an einem Stück.

Die verbogene Kugel auf meinem Teller ließ hingegen keine Distanzierung, keine Ausflüchte, kein Schönreden mehr zu. Ich aß ein totes Tier. Punkt.

Natürlich war die Kugel kein Grund, das köstliche Ragout zu monieren. Und der Ober kam auch mit Recht nicht auf die Idee, mir Rabatt anzubieten.


21 Dezember 2010

Die die Mails ausdruckt

Unsere Hausverwaltung ist die Pest. Wenn man ein Problem hat, stellt sie sich reflexhaft tot. Keine Antwort auf Mails, keine Reaktion auf Faxe, schwer erreichbar per Telefon.

Heute morgen endlich rief mal einer zurück, nachdem wir wochenlang vergeblich auf inzwischen drei essenzielle Probleme aufmerksam gemacht hatten.

Der Mann war nicht der, mit dem wir sonst immer (nicht) zu tun hatten, sondern ein anderer, ein durchaus verbindlicher, freundlicher, zuvorkommender. Kurz: ein Mann aus einem Paralleluniversum.

An einer Stelle im Gespräch sprach er von einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung, einer Frau S. „Frau S.“, sagte er, „ist die, die morgens immer die Mails ausdruckt.“

Die morgens immer die Mails ausdruckt.

In diesem Moment wurde mir die ganze Dimension des Problems klar. Und die Zukunft erschien mir trist und grau.



20 Dezember 2010

Kurz vorm Kommen



Entschieden verwahren muss ich mich als Anwohner gegen die Beschmutzung meines Viertels durch „Santa Pauli – den geilsten Weihnachtsmarkt Deutschlands“.

Wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit treibt er auch jetzt wieder sein ekles Unwesen auf dem Spielbudenplatz. Gipfel der ethisch-moralischen Verwahrlosung, mit der dieser häretische Markt offensichtlich mit städtischer Duldung die Adventszeit kontaminieren darf, ist das hier zu sehende mannshohe Bild auf der Einzäunung.

Es zeigt Unfassliches: einen vor Geilheit schwitzenden Weihnachtsmann mit heruntergelassenen Hosen, der sich vorderseitig ganz offenkundig lüstern befingert, während ein unrasierter Bullmastiff vorsorglich ein Taschentuch bereithält, um Santas demnächst unweigerlich hervorschießende Säfte wenigstens wieder ordnungsgemäß vom Zaun abzuwischen.

Zu seinem unstandesgemäßen Tun, welches jeder Heilsgeschichte Hohn spricht, ließ sich der notgeile Zipfelmützenmasturbator wohl von etwas inspirieren, das er zuvor durch ein Loch im Zaun erspähte, wobei es sich hundertprozentig um die notorische Liebeskugelvirtuosin Biggi Bardot handeln muss.

Um dem für jeden anständigen St. Paulianer bis zum Brechreiz anstößigen Bild – einer skandalösen Entweihung von allem, was Sarrazin heilig ist – den letzten gottlosen Schliff zu verleihen, ließ sich der für den Entwurf unzweifelhaft zuständige Antichrist auch noch einen Spruch einfallen, der an empörend widerlicher Doppeldeutigkeit seinesgleichen sucht: „Santa Pauli is coming soon“ …

Ich kann gar nicht hingucken. Wobei ich das Schlimmste noch gar nicht erwähnt habe: des fetten Onanisten Arschhaarstoppeln. Wenigstens dagegen könnte doch die Kirche mal protestieren oder meinetwegen auch ein bibeltreuer Selbstmordattentäter. Benedikt, Käßmann: Wo seid ihr, wenn man euch mal braucht?

Abstoßend rätselhaft bleibt zudem, warum Blut aus dem verbogenen Mülleimer läuft. Aber diesen Deckel mache ich nicht auch noch auf.

18 Dezember 2010

Lieblingsorte (6): Diesmal von jemand anderem



Der angestammte Lagerplatz der obdachlosen Polen, die hier im Blog schon mehrfach Erwähnung fanden (1, 2, 3), ist zurzeit verwaist und eingeschneit.

Nur ein Koffer mit Utensilien, den vorsorglich niemand anrührt oder gar wegräumt, hält einsam die Stellung. Somit verpassen die polnischen Gesellen den ganz speziellen Sarkasmus der ihren Lagerplatz von jeher dominierenden Werbefläche.

Doch wahrscheinlich würde sie diesen Claim genauso stolz und stoisch ignorieren wie alle anderen, die bisher von desinteressierten Plakatieren dort hingepappt wurden.

Selbst wenn sie ihn lesen könnten.


17 Dezember 2010

Einfach mal still sein



„Blöde Ziege“, sagte ich heute zur Bedienung im Eisenstein, als sie mich fragte, was ich zu bestellen gedächte.

Statt mir augenblicklich eine zu scheuern, blieb die tapfere Frau ruhig wie ein Eisblock und schrieb „Blöde Ziege“ in ihren Notizblock.

Es handelt sich dabei um eine 13 Euro teure Pizzakomposition mit Rosmarintomatensauce, krossem Speck und Ziegenkäse im Aschemantel – und wäre, sofern man die Bedienung für eine blöde Ziege hielte, eine risikoarme Variante, ihr das nonchalant mitzuteilen.

Nun zu etwas ganz anderem. In England versuchen sie gerade wieder einmal, den handelsüblich öden Weihnachtshit (Doppelbedeutung auf der Schlusssilbe beabsichtigt) à la „Last Christmas“ zu verhindern, indem sie massenhaft ein möglichst abgelegenes Stück runterladen.

Diesmal soll eine Coverversion von John Cage zum Nummer-1-Hit downgeloadet werden, und zwar seine legendäre Komposition „4:33“. Sie besteht aus vier Minuten und 33 Sekunden Stille. Ein Dutzend britischer Musiker hat sich für die Neueinspielung ins Studio begeben, um dort gemeinsam still zu sein – natürlich auf eine spezielle Weise, die sich deutlich unterscheidet von John Cages Stille aus den 40er Jahren.

Übrigens hat unlängst auch Harald Schmidt das Stück mal live in der ARD aufgeführt, und zwar mit Helge Schneider (Klavier), Katrin Bauerfeind (Geige) und der kompletten untätigen Helmut-Zerlett-Band. Aber das nur am Rande.

Sollte der Massendownload jedenfalls das beabsichtigte Ergebnis zeitigen, müssten auch die britischen Hitradios „4:33“ spielen, weil sie um die Nummer 1 der Charts nun mal nicht herumkommen.

Das wären großartige Momente inmitten der Weihnachtskakofonie, und all das klang in meinen Ohren derart überzeugend und unterstützenswert, dass ich mich solidarisch erklären und augenblicklich die Neufassung von „4:33“ bei Amazon.co.uk runterladen wollte.

49 Pence ist ja auch ein – gerade im Verhältnis zu Eisensteinpizzen – moderater Preis. Doch als ich zur Tat schritt, erschien oben abgebildete Warnmeldung: Als Deutscher darf ich in England keine MP3s kaufen – „geographical restrictions“.

Amazon ist halt eine blöde Ziege, und nicht nur wegen Wikileaks.

15 Dezember 2010

Erwischtwerden macht glücklich



Eine sogenannte CC-Karte berechtigt in Hamburg zur Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel innerhalb des gewählten Bereichs, nur weder vor 9 noch zwischen 16 und 18 Uhr.

So eine CC-Karte habe ich im Abonnement. Allerdings bleibt sie meist ungenutzt, da ich praktisch das ganze Jahr über Fahrrad fahre. Nur vor Regen schrecke ich zurück. Und vor Glatteis.

Wenn ich also mal wetterbedingt ohne Fahrrad unterwegs bin und um 17 Uhr das Büro verlasse, müsste ich eigentlich Bahn oder Bus in Anspruch nehmen; allerdings befinde ich mich dann mitten in der Tabuzeit.

Der Kauf einer Kurzstreckenkarte für 1,30 enthöbe mich dieses Problems, doch davor scheue ich zurück, da mein Monatsabo bereits bezahlt ist, aber dank meiner Fahrradphilie sowieso viel zu selten genutzt wird. Ein Dilemma, geboren aus Relikten einer protestantisch-askestischen Erziehung und selbsterworbenem Geiz.

Neulich verfiel ich auf den Gedanken, die Stunde, die meine CC-Karte nach Feierabend noch ausgesetzt ist, bei ein, zwei Bier im Aurel abzubummeln, um so den Kauf der Kurzstreckenkarte zu vermeiden. Eine Kosten-Nutzen-Abwägung beider Varianten ergab allerdings eine insgesamt betrübliche Gesamtbilanz.

Wenn es richtig schüttet, kaufe ich also meist die elende Kurzstreckenkarte. Gestern nun war ich morgens mit dem Fahrrad ins Büro gefahren, musste nachmittags aber feststellen, dass Hamburg inzwischen zu einem komplett radeluntauglichen Wintermärchen verkommen war, mit Glatteis, verunglückten Autos, unästhetisch herumeiernden Taumlern und allem Drum und Dran.

Kein Fahrradwetter, oh nein! Also schob ich das Gefährt zum Bahnhof Altona, löste eine blödsinnige Kurzstreckenkarte und fuhr nach Hause. Am Ausgang des Bahnhofs Reeperbahn stoppte mich eine Phalanx blauuniformierter HVV-Männer.

Ich zeigte müde meine Kurzstreckenkarte vor und begehrte Durchlass, als einer von ihnen sagte: „Wir haben ein Problem: das Fahrrad.“

In Sekundenbruchteilen ersetzte mein Lymphsystem das kursierende Feierabenddopamin komplett durch eine volle Dröhnung Adrenalin – denn der Mann hatte verdammt recht: In der CC-Tabuzeit darf man auf gar keinen Fall Fahrräder mit in die Bahn nehmen.

Ausladende Drilliingskinderwagen mit 48 Reifen, Anhängerkupplung und aufgepflanztem Baukran: jederzeit erlaubt. Aber keine Fahrräder. Lebensgefahr durch Glatteis reicht aus blauuniformierter Sicht als Entschuldigung nicht aus, denn ich hätte das Rad ja auch in Altona anketten können.

Knurrend überreichte ich dem fein lächelnden Kontrolleur den verlangten 10-Euro-Schein. „Wenn es Sie tröstet“, sagte er, „das ist eine unserer niedrigsten Strafgebühren überhaupt.“

Komischerweise tat es das wirklich. Ich schlitterte nach Hause mit dem recht beschwingten Gefühl, ein Schnäppchen gemacht zu haben.

Versteh einer die Kapriolen der Körperchemie.

14 Dezember 2010

Fundstücke (119)

Ein sagenhafter Flohmarktfang vom Wochenende!

Ehe ich den Preis verrate: Hat irgendjemand eine Ahnung, was dieser Wein auf dem freien Markt wert sein könnte? Die Füllhöhe ist im Lauf des halben Jahrhunderts natürlich zurückgegangen, etwa bis auf Schulterhöhe.

Übrigens wird dieser Tropfen keinesfalls das kommende Wochenende überstehen. Entweder er wird verkostet oder entsorgt.

Und zwar mit Dr. K., das ist ja klar.

13 Dezember 2010

„Denkst du, ich bin Sozialamt?“



Auf dem Fischmarkt morgens um zehn. Das ist die Zeit, um tabula rasa zu machen.

Alles muss raus, definitiv, und wer jetzt noch hier herumläuft, weil er auf Ausverkaufspreise spekuliert, der ist garantiert Kiezianer.

Die Busladungen Touristen, die um fünf Uhr im Halbschlaf hierhergekarrt wurden, sind dagegen längst wieder zurück im Hotel. Sie haben den überteuerten Nippes und den Aal für 30 Euro das Kilo in ihren Zimmern abgeladen und sitzen jetzt zerschlagen im Frühstückssaal, mit den Augen auf Halbmast.

Hier auf dem Fischmarkt aber hat die Marktleitung inzwischen schon dreimal die Beschicker per Lautsprecherdurchsage zum sofortigen Schließen ihrer Stände aufgefordert. Allmählich wird es also ernst. Und das ist eine Situation wie gemalt für Schnäppchenjäger, die sich mit Wochenrationen an Obst und Gemüse eindecken wollen. Für Leute wie mich.

Händler (brüllt heiser): „KISTE SECHS MANGO NUR DREI E-URO! SECHS MANGO NUR DREI E-URO!“
Matt: „In dieser Kiste liegen sieben, können wir …“
Händler (sofort aufgebracht): „DENKST DU, ICH BIN SOZIALAMT? DENKST DU?“
Matt: „Na ja, ich dachte, ich frage …“
Händler: „Du denkst, ich BIN Sozialamt!“
Matt: „Na gut, also … ich nehme die sechs für drei.“ (reicht 10-Euro-Schein rüber)
Händler (nimmt den Schein und pfeffert ihn zu Boden): „WAS REDEST DU FÜR SCHEISSE! WIR MÜSSE AUCH LEBE!“
Matt: „Das bezweifle ich keineswegs. Aber sieben statt sechs, jetzt kurz vor Ende …“
Händler (gibt mir mit verächtlicher Geste sieben Euro zurück): „So ein Scheiße redest du! Du denkst, ich bin SOZIALAMT!“
Die Diskussion erscheint mir irgendwie festgefahren. Deshalb verstaue ich verschreckt meine sechs Mangos und trolle mich Richtung Seilerstraße.


Falls du das hier also liest, lieber Fischmarkthändler: Nein, ich glaube nicht, dass du Sozialamt bist, echt nicht.

Nur für den Fall, dass es mir heute Morgen nicht gelungen ist, dies hinreichend zu verdeutlichen.

12 Dezember 2010

Die mutierte Ananas



Als es noch keine Codenummern für Waren gab, ist es bestimmt niemals vorgekommen, dass eine Ananas als MP3-Soundsystem auf dem Kassenbon landete.

Andererseits gab es in jenen seligen Zeiten auch noch gar keine MP3-Soundsysteme. Und wahrscheinlich nicht mal Ananas, sondern nur Melonen im Netz.

Na ja, jedenfalls bongte die Aldifrau heute statt der Ananasnummer versehentlich eine MP3-Soundsystem-Nummer ein. Der Preisunterschied lag bei knapp 79 Euro, was zuerst mich stutzig machte und dann auch die Aldifrau.

Nach einem hochkomplexen deduktiven Verfahren (Kassiererin verliest postenweise den Kassenbon, Ms. Columbo separiert die aufgerufenen Waren im Einkaufswagen) konnte die Südfrucht schließlich als Schuldige identifiziert werden.
„Ist nur eine Ziffer Unterschied“, grinste die Aldifrau schief.

Bald darauf eilte eine Vorgesetzte mit Schlüssel herbei. „Die Ananas“, rief ihr die Kassiererin kreuzfidel zu, „ist ein MP3-Soundsystem!“ Ganz guter Witz eigentlich, im Rahmen eines Alditages. Frau Vorgesetzte lachte aber kein bisschen, sondern schaute aus der Wäsche, als sei so ein Tippfehler bei Aldi ein kapitaler Kündigungsgrund.

Also mal schauen, ob die Kassiererin nächste Woche überhaupt noch da ist. Wenn nicht, dann werde ich mich aus Protest an den Gitterwagen ketten, wo immer die MP3-Soundsysteme drin sind, und antikapitalistische Slogans brüllen. (Wenn diese Drohung der Kassiererin den Job nicht rettet, dann weiß ich auch nicht.)

Zurzeit habe ich ja Rücken, und deshalb ist mein temporär bester Freund ein extralanger Schuhlöffel mit Schlaufe oben dran. Das sage ich vor allem deshalb, um das heutige Foto zu rechtfertigen, aber auch aus tief empfundener Dankbarkeit gegenüber dem menschlichen Erfindungsgeist.

Ja, wir haben das Rad erfunden, die Raumfähre, den Kassenbon und den extralangen Schuhlöffel mit Schlaufe oben dran. Eigentlich sind wir bestens qualifiziert, die Welt zu retten, daran habe ich überhaupt keine Zweifel mehr, seit ich Rücken habe.

10 Dezember 2010

Fundstücke (118)



Die Lockmethoden auf St. Pauli sind von schillernder, durchaus auch widersprüchlicher Vielfalt, und es ist nicht auszuschließen, dass sich jemand ausgerechnet von den Verheißungen dieses Schildes zum Betreten der verantwortlichen Spelunke hinreißen lässt.

Wobei vorsorglich noch zu klären wäre, ob man selbst einen Tritt ausführen oder nur einen einstecken darf. Im Gegensatz zu den schlampigen Bedienungen ist diese Sache jedenfalls ein Alleinstellungsmerkmal auf St. Pauli (soweit ich informiert bin).

Entdeckt an einer Kneipenfassade in der Talstraße.

Der Kontaminator

Es verbessert die durch einen grippalen Infekt eh angespannte Gesamtlage keineswegs, sondern – im Gegenteil – macht sie vollends entwürdigend, wenn man dazu auch noch Rücken hat.

Wie ich.

Ein sogenannter Wärmegürtel linderte heute die schlimmsten Qualen, doch allein schon in den Räumen einer Apotheke die Beratung des einschlägig erfahrenen Franken in Anspruch nehmen zu müssen, vergällt rückblickend die ganze Woche.

„Ich weiß, wie das ist“, feixt der Franke Mitleid. Immerhin springt er nicht beiseite, als ich mich – beim Aufstehen wieder mal von Thors Blitz durchzuckt – entsetzt auf seiner Schulter abstützen muss. Braver Franke.

Neulich aber war er nicht brav. Während einer gemeinsamen mittäglichen Flanage durch den Pennymarkt in Ottensen hatte ich vier Tafeln „Ritter Sport Dunkle Voll-Nuss“ erstanden. Zurück im Büro stand bereits nach wenigen Minuten Kramer in der Tür.

Er habe aus gewöhnlich zuverlässiger Quelle gehört, hub er an, ich hätte fünf Tafeln „Ritter Sport Dunkle Voll-Nuss“ in egoistischer Verwahrung. „Franke, ich verfluche dich und deine Nachkommen bis in die siebte Generation!“, wollte ich gerade brüllen, doch da stand Kramer schon vorm Bisley und nestelte gierig wie ein Zombie an den Schubladen.

„Vier! Es waren nur vier!“, schrie ich, während ich verzweifelt mit ihm rang, doch er glaubte mir kein Wort und wollte, wie jeder stinknormale Mafiaboss, seinen Anteil. Wie es mir freilich im Verlauf unseres Kampfes um die territoriale Unversehrtheit meiner Bisleyschubladen gelang, ihn von der Schokolade abzulenken und seine Aufmerksamkeit stattdessen mit Mentholbonbons von Ricola zu fesseln, vermag ich nicht mehr stichhaltig zu rekonstruieren.

Tatsache jedenfalls ist: Beim ungelenken Herausschütteln aus der Dose fielen mir versehentlich gleich drei Bonbons in seine geöffnete Handfläche. Eine Katastrophe, denn damit waren sie alle schlagartig Kramer-kontaminiert, und wer diesen vierschrötigen Allesbegrabscher je in manueller Aktion erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.

Er bestand darauf, die zwei Mentholbonbons zurück in die Dose zu befördern, ich verweigerte das mit brutalstmöglicher Verbissenheit. Aus Rache betatschte er daraufhin minutenlang wahllos alle erreichbaren Gegenstände im Zimmer, er kontaminierte buchstäblich handstreichartig Nachschlagewerke, Monitor, Tastatur, Terminkalender, Teppichboden (!) und die Oberfläche meines Schreibtisches.

Den Griff der Bürotür natürlich auch – wie sollte ich nun je wieder aus meinem Büro hinauskommen!? Und an allem war natürlich nur einer schuld: der Franke.

Ich sollte ihn mit einem Wärmegürtel knebeln.
Einen habe ich ja noch übrig.

09 Dezember 2010

Fundstücke (117): … und cut!



Selbst wenn man dringend einen Relaunch seines Schädelbewuchses nötig hätte: Nach dem Anblick dieser hinreißend gestalteten schildgewordenen Verlockung flöhe man wahrscheinlich augenblicks zur Konkurrenz – oder verabschiedete sich sogar komplett von diesem überholten Konzept namens „Frisur“.

Gut, dass ich solche Sorgen nicht mehr habe. Wobei mir allerdings schon das fehlende Genitiv-s gereicht hätte, um beim „Hair Image“ auch auf anderen Gebieten heillos waltenden Dilettantismus zu vermuten.

Entdeckt in der Großen Bergstraße.

08 Dezember 2010

Der Tag, an dem John Lennon starb



Es war heute vor 30 Jahren. Wir saßen gerade am Mittagstisch, meine Eltern und ich. Das Radio lief, die Nachrichten begannen, und die erste Meldung war die von John Lennons Ermordung.

Mich traf das wie eine Dampframme. Lennon war immer dagewesen. Zwar hatte ich die Beatles durch die Gnade der späten Geburt erst nach ihrer Auflösung kennengelernt, doch seither gehörten sie unverrückbar zur Belegschaft meines persönlichen Olymps. Und Lennon war ich – im Gegensatz zu McCartney – auch nach dem Ende der Beatles treu geblieben.

Songs wie „Mother“ oder „God“ gehörten (und gehören) fest zum Kanon meiner Lieblingslieder, von Lennon lernte ich, was Entzugserscheinung auf Englisch heißt („Cold turkey“) und wie man mit pseudonaiven Slogans („Give peace a chance“) derart die Welt rocken kann, dass sich sogar der Geheimdienst für einen interessiert.

Sicher, die Welt erschien mir ziemlich trübe Ende der 70er, doch so lange Lennon da war, war sie zumindest ein kleines bisschen besser als völlig schlecht. Und plötzlich sagt irgend so ein dahergelaufener Nachrichtensprecher, John Lennon sei erschossen worden.

Meine Eltern aßen weiter, als sei nichts passiert. Für sie war ja auch nichts passiert. Der mit diesem „Yeah, yeah, yeah!“, das sie immer so verachtet hatten, war jetzt tot. Ihr ungerührtes Weiteressen war ein einziges „so what?“, während ich dasaß und mit einem Gefühlswirrwarr aus Schockstarre und der Empörung über fehlende elterliche Schockstarre zurechtkommen musste.

Die innerfamiliäre Entfremdung begann zwar nicht erst an jenem 8. Dezember 1980, doch im fernen New York City hatte sie ein Psychopath namens Mark Chapman gerade nicht unwesentlich
beschleunigt.

16 Jahre später zog ich dorthin, wo John Lennon sich das Handwerkszeug zum Superstar geholt hatte: nach Hamburg St. Pauli. Heute, an seinem 30. Todestag, würde ich liebend gerne sagen können, dass es da einen Zusammenhang gibt.

Und deswegen sage ich es einfach mal.

Nachtrag vom 8. 12. 2010, 19:27 Uhr: Man hat mich zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Szene am Küchentisch nur am 9. Dezember 1980 stattgefunden haben kann, und das stimmt. Die Tat geschah am 8. Dezember abends nach New Yorker Zeit, da war bei uns schon Mitternacht vorbei.

07 Dezember 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (38): Unser Treppenhaus



Morgens auf der Straße Blutspuren vorzufinden, ist ja schön und gut.
Aber im Haus, vor der Wohnungstür …?

Danke auch, St. Pauli.

06 Dezember 2010

Ein narrensicheres Geschäftsmodell



„Wir sind gleich für Sie da“, flötet mir die lenorgespülte Frauenstimme der Alice-Hotline ins Ohr, und ich übe mich mit der mir eigenen buddhaesken Gelassenheit in Geduld.

Wie oft wiederholt sich diese Vertröstungsflöterei eigentlich im Lauf von drei Minuten? Dummerweise habe ich nicht mitgezählt, aber jetzt würde es mich interessieren.

Plötzlich etwas Überraschendes: ein Freizeichen! Wie aus dem Nichts ist eine Frau Orff oder so dran, die mir augenblicklich erklärt, wegen Wartungsarbeiten könne sie gerade meine Daten nicht aufrufen, ich möge mich doch zu einem späteren Zeitpunkt wieder melden – und klick! legt die Orff auf.

Vielleicht handelte es nicht mal um eine reale Frau, sondern um eine weitere Stimme vom Band, doch das ist nicht weiter wichtig. Denn das dahintersteckende Geschäftsmodell ist einfach elektrisierend. Hier das Szenario.

Ich könnte – die Basisfinanzierung vorausgesetzt – Alice mitsamt Kundenstamm aufkaufen und ein automatisiertes Callcenter ohne Beschäftigte aufbauen. Computer mit lenorgespülten Vertröstungsflöten hielten jeden Anrufer drei Minuten in der Warteschleife (= 42 Cent Gesamtertrag pro Anruf), ehe sie ihn bitten, später noch einmal anzurufen – und auflegen.

Eine todsichere Sache. Wenn ich unzufrieden wäre mit der Höhe der monatlichen Erlöse, verlängerte ich die Warteschleife einfach auf fünf Minuten (= 70 Cent). Da ich bei diesem genialen Modell nur Server-, aber keinerlei Personalkosten hätte, dürfte innerhalb weniger Monate ein hübsches Sümmchen rumkommen.

Sobald der unweigerliche Flamewar gegen diese Methode in den einschlägigen Foren allzu sehr hochkochte, würde ich Alice schnell weiterverkaufen, zum Beispiel an Vodafone.

Zurück zur Realität, in der jemand anderes dieses Geschäftsmodell bereits praktiziert, nämlich Alice. Vorher hatte ich versucht, mein Problem per Mail zu lösen. Es dauerte nur eine Woche bis zur Antwort. Sie lautete: „Besuchen Sie unseren FAQ-Bereich im Internet.“

Na ja, es gibt sowieso schönere Dinge im Leben als den „Dialog“ mit Telefonunternehmen. Zum Beispiel St. Pauli im Winter. Im Vordergrund: der mitleiderregendste Schneemann der Welt.