Als ich heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit war, sah ich an der Reeperbahn einen ältlichen Punk, der dort – also auffe Arbeit – schon angekommen war.
Er setzte sich vors Sexy Devil (Foto: ein Auslagebeispiel) an die Hauswand; sein Schneidersitz sah routiniert aus, oft geübt, doch sein Rücken bildete einen bedenklichen Bogen, der ihm dereinst noch viel orthopädische Unbill bescheren wird, das sage ich jetzt schon mal unwiderlegbar voraus.
Aus seinem speckigen Rucksack fischte der Punk mit vegetativ sicherem Handgriff einen Plastikbecher, den er vor sich auf den Gehweg stellte. Dann kramte er in der Jackentasche – und warf zu meiner Überraschung eine nicht geringe Anzahl eigener Münzen in seinen Becher.
Ganz klar: Das war Anfixgeld – für jene, die beim Anblick eines vollkommen leeren Bechers erleichtert dächten, das Verweigern eines Obolus sei mehrheitsfähig und somit gerechtfertigt. So aber hielten sie das mitgebrachte Geld des Punks zwangsläufig für bereits erfolgte (und erstaunlich üppige) Spenden, was ja wohl irgendeinen guten Grund gehabt haben musste – und sie daher unter Druck setzte, selbst etwas hineinzuwerfen.
Dieser kleine Psychotrick verlangte mir Bewunderung ab, denn er legte eine präventive Askese des ältlichen Punks nahe, die ich ihm so ohne weiteres nicht zugetraut hätte. Gestern bereits hatte er sich offensichtlich bewusst in Konsumverzicht geübt, um heute ausreichend aufgespartes Anfixgeld in den Becher kippen zu können.
Mehr als diesen Köder, der unsereins qua schlechtem Gewissen zum Befüllen des Behältnisses verführen sollte, hatte der Straßenpsychologe allerdings nicht zu bieten.
Hätte er wenigstens einen Hund dabeigehabt; aber nein.
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Vielleicht ein Profibettler. Noch ein Trick: Der Becher darf nie mehr als zu einem zehntel gefüllt sein. Ein Hund – auch leihweise – wäre natürlich hilfreich gewesen. Messerscharf festgestellt. Schließlich lässt der Gedanke, dass Fiffi nichts zum Kauen hat den geneigten Tierfreund vielleicht schlechter schlafen als der Gedanke an einen Obdachlosen unter einer Brücke im Winter. Es soll ja modernen Sagen zufolge Leute geben, die sich tagsüber mit Klamotten aus der Altkleidersammlung und einem zerfetzten Strohhut ausstaffieren, um nach getaner Arbeit mit dem Mercedes nach Hause zu fahren... Witzig (aber nicht verwunderlich) mal wieder das Gedankengut der Dichter und Denker in diesem Lande, wenn man bei Google „betteln mercedes“ eingibt (wie komme ich da jetzt überhaupt drauf?). Kleine Kostprobe: Anfrage bei gutefrage.net „kann-ich-als-penner-reich-werden-wenn-ich-jeden-tag-8-stunden-bettel-ist-doch-steuerfrei“
AntwortenLöschenAu weia. Schönen Tag noch.
So abwegig ist das mit manchen Outfits an den richtigen Stellen gar nicht. Mehr als Hartz IV dürfte manchmal durchaus dabei rauskommen – und Hartz IV gibt’s ja zusätzlich.
AntwortenLöschenIn einer Obdachlosen-Zeitung stand einmal zu lesen, dass es ein Bettler auf umgerechnet 9 Euro die Stunde gebracht hatte.
AntwortenLöschenAuch wenn es mehr ist, als ich durch Zeitarbeit bekam, käme mir nie in den Sinn, geschweige könnte ich mich überwinden, andere Leute derart um Geld anzubetteln.
Ich unterscheide dabei immer, ob es jüngere Gestalten sind, die sich bewußt für diesen Weg entschieden haben, oder ältere, die mitunter nur eine katastrophal unglückliche Aneinanderreihung von Schicksalsschlägen zu beklagen hatten.
Das mit den Münzen im Becher kann auch noch einen anderen Grund haben. Ein leerer Plastikbecher würde vom Wind andauernd weggepustet werden, und die kleine Grundlage von Münzen dient schlicht als Gewicht.
AntwortenLöschenDas denken auch nur Sie. Ich bin mir sicher, dass er auch einen massiven Teepott mit Kleingeld vorgefüllt hätte. Wird nach Möglichkeit demnächst verifiziert.
AntwortenLöschenWenn es nur ums Gewicht ginge, hätten ja auch ein paar Kiesel gereicht.
AntwortenLöschenWar der Becher eigentlich durchsichtig oder nicht? Und was ist psychologisch sinnvoller?
(Ich als Küchenpsychologe würde ja zu undurchsichtig tendieren: schließlich will jeder(TM) wissen, wieviel schon drin ist, und beim blickdichten Becher muss man schonmal näher ran ...)
Wäre nett gewesen, wenn er noch gesungen hätte. Oder wahlweise jongliert.
AntwortenLöschenBetteln geht einfach nicht. Eine Gegenleistung muss schon sein, wenn man dazu fähig ist.
Meine Mutter hatte uns immmer angehalten, Bettlern etwas zu geben. Aber das war zu anderen Zeiten. Damals saßen die Kriegsversehrten mit Blindenarmband oder abenem Bein am Hauptbahnhof.
Und die hatten wirklisch nüschd, garnüschd.
Dass er keinen Hund dabei hatte, zeigt dass unser Punk wohl tatsächlich ein Profi war. Die Hundemasche ist mittlerweile einfach zu plump (außer man hat wenige Tage alte Welpen dabei, das zieht immer.) Zudem gibt es, wie ich letzter Zeit feststellen konnte, immer mehr Hundephobiker und -hasser unter unseren Mitbürgern. Geholfen hätte es ihm in meinem Fall allerdings nicht - ich bin hartherzig und gebe nichts ...
AntwortenLöschenWar mal der Punk der bettelte mir aber nicht gegen Geld helfen wollte eine Holzkiste von meinem Schieber in den PKW zu tragen. Kein Bock hatta!
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