05 März 2006

Auf Rügen zwischen Baum und Borke

Zwar leben wir auf dem Kiez, und das ist auch schön und gut, doch manchmal müssen selbst wir der heimeligen Gesellschaft der Bordelle und Bordsteinschwalben, der Luden, Freaks und bayerischen Kegelvereine entsagen. Vom Urlaub auf Sardinien berichete ich ja bereits mehrfach, nämlich hier und da; doch nicht immer zieht es uns weit in die Ferne. Denn das Gute liegt so nah.

Als Beispiel für diese These möchte ich das auf immer und ewig „neue“ Bundesland Mecklenburg-Vorpommern anführen. Dort gibt es viel flaches Land sowie die kaum weniger flache Ostsee, und weil die schöne Insel Rügen zurzeit aus wenig schönen Gründen im Gespräch ist, möchte ich mit einem kleinen Reiserückblick an jene selige Zeit erinnern, als dort weder Menschen vor den Vögeln zittern mussten noch umgekehrt.

In jener Zeit waren keine toten Schwäne, sondern Schlaglöcher das große Ding. Wenn ich mal Millionär werden will, denke ich von Zeit zu Zeit immer noch versonnnen, dann verkaufe ich Stoßdämpfer auf Rügen. Ein todsicheres Geschäft, sofern es gelänge, eine Stammkundschaft zu gewinnen. Doch genau das ist die Schwierigkeit. Der gemeine Meckpommer hat nämlich die kürzeste Lebenswerwartung in der ganzen vereinigten Republik. Warum? Aus mehreren Gründen.

Zum einen säuft er wie ein Rügener Schlagloch; mit der guten alten Leberzirrhose steht der Meckpommer zeitlebens auf du und du. Darüberhinaus hat er weitere Techniken entwickelt, um seine Zeit hienieden zielgerichtet zu begrenzen. Dabei spielen Automobile als Hilfsmittel eine wichtige Rolle. Gerne misst der Insulaner zum Beispiel die Kräfte seines BMW mit jenen der wunderschönen Alleebäume, wobei ihm die sichtbaren Ergebnisse bisheriger Wettkämpfe dieser Art (nämlich je ein Kreuz mit Blumengebinde vor einem Baum mit Borkenschaden) nicht im mindesten vom Glauben abbringen, er werde der erste sein in der ruhmarmen Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns, der diesen Tort gewänne.

Während seiner knapp bemessenen Zeit auf der Rügener Krume kümmert sich der Bewohner derselben also vor allem um dreierlei: das Verhindern von Straßenbauarbeiten, das Zusammennageln eines Kreuzes für Kumpel Perry (das Gebinde steckt die Verlobte) sowie das Erfinden allerwunderlichster Wörter. So begegneten uns auf Schritt und Tritt so skurrile Gesellen wie „Herrenhalbarmhemden“, „Fusselrasierer“, „Pachttoilette“ und „Superstimmungstag“. Wer nach all diesen inseltypischen Tätigkeiten noch Kapazitäten übrig hat, stellt sich an die Ostsee und wirft Angeln aus, ohne je etwas zu fangen, zumindest in meinem Beisein nicht.

Der Rügener ist also enorm ausgelastet, so dass er es natürlich nicht schaffen kann, auch noch tote Schwäne vom Strand zu klauben. Wobei damals, als wir dort waren, überhaupt keine Schwäne zu sehen waren, nicht mal lebendige.

Wer nun aber denkt, den Meckpommer bekümmerte sein statistisch kurzes Leben und all die anderen Umstände, die ihm das Inselleben vermiesen, der täuscht sich. Solange er seine Pulle knuddeln und mit dem Nachfolger von Kumpel Perry anstoßen kann, solange geht’s ihm prächtig. Außerdem bleibt ihm ja noch die Vorfreude auf anständige Schlaglöcher nachher auf der Heimfahrt, die er unbeschwert von Fischmorden und kräftig bedüdelt antritt. Oftmals entwickelt der Rügener, während er so durch die Alleen bollert, spontan die Idee, mal anzutesten, wer stärker ist, BMW oder Baum. Ergebnis: ein Kreuz mit Blumengebinde plus Borkenschaden – und ein Kunde weniger, der mich als Stoßdämpfermagnaten zum Millionär machen könnte.

Erstaunlicherweise schaffen es übrigens einige Inselbewohner dennoch bis zur wohlverdienten Zirrhose. Aber das soll ja auch auf dem Kiez vorkommen, wohin wir damals erleichtert, aber um viele Erfahrungen reicher zurückkehrten. Das Foto zeigt übrigens keine strandbummelnden Rügener, sondern Usedomer, weil ich auf Rügen keine Kamera dabeihatte, aber auf Usedom.

Wie man sieht, steht Mecklenburg-Vorpommern immer wieder auf unserem Reiseprogramm. Obwohl es uns beim Millionärwerden wahrscheinlich doch nicht entscheidend helfen kann.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs für den Strand
1. „On the beach“ von Neil Young
2. „Surfin’ USA“ von The Beach Boys
3. „Rockaway beach“ von The Ramones

11 Kommentare:

  1. Sehr depressiv, lieber Matt. Zuviel BMW, deren Fahrer, deren Insassen. Zuviel Zirrhose, Kreuze am Straßenrand. Dazu der Müll um den Kiez und um Dich herum.

    3 depressive songs:

    "Raining in Baltimore": Counting Crows.

    "Looks like Spencer Tracy now": Deacon Blue.

    "Floating world": King Swamp

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  2. Ach, gar nicht. Der Müll ist weg, und die Rügenstory wurde mit einem Lächeln geschrieben.

    Trotzdem danke. Depressive Songs kann man immer gebrauchen.

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  3. Der hinreißende Terminus "ewig neues Bundesland" ist eine wahre Perle zeitgenössischer Textgenese. Köstlich!

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  4. Was den statistischen Alkoholverbrauch anbelangt, da haben natürlich die Schweden maßgeblichen Anteil dran! Die kaufen hier in den einschlägigen Supermärkten die Regale LEER, LEER, LEER.
    Schwedisch ist hier die zweite Landessprache.
    Und außerdem haben bei uns ja auch die Läden und Supermärkte am Sonntag geöffnet (call it Bäderregelung), so dass die Schweden am Wochenende ganz in Ruhe mit den Bussen alle Flaschen abholen können. ;-)

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  5. Alter Schwede: Dann seid ihr also ein Volk der Abstinenzler, Kerstin? ;-)

    Aber warum trefft ihr dann immer so zielgenau die Alleebäume …?

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  6. ...implizierte meine Anmerkung, die Nasen hier auf der Insel würden Alkohol doof finden? Die Antwort kennst Du selbst.
    Außerdem waren wir zu Ostszeiten schon dem Grunde nach Südschweden.
    Was die Bäume anbelangt: ich nenne es natürliche Auslese

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  7. Um Darwins Willen: Der war gut! Chapeau.

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  8. das geht ja hier wie PING PONG
    sleeples in HH?
    "senile Bettflucht" ;-)

    Ich sage jetzt zum Abschied leise servus.

    Demnächst in diesem Theater :o)

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  9. Ist doch noch früh in HH …
    Gute Nacht – bis bald.

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  10. Nicht schlecht der Beitrag. Kann ich nur voll und ganz zustimmen, jedenfalls teilweise.

    Bin gestern übrigens mal nüchtern Auto gefahren. Das ist aber auch gefährlich - da bekommt man es mit der Angst zu tun, trinkt lieber was dagegen.

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  11. „Kann ich nur voll und ganz zustimmen, jedenfalls teilweise“ – sehr schön, hakasuro, dieser Satz hat meinen Nachmittag gerettet … ;-))

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