Allsamstäglich ärgere ich mich über den Kiosk „Zafer Call Shop“ in der Clemens-Schulz-Straße. Trotzdem mache ich dort immer wieder Halt, um eine Morgenpost zu kaufen. Beides muss man mir unbedingt ankreiden: das Kaufen der Mopo, einer SPD-nahen Boulevardzeitung, deren inhaltliche und orthografische Fehlerquote so hoch ist wie die Regenneigung während eines Wirbelsturms; und das Aufsuchen von Zafers Call Shop, dessen Servicefreudigkeit so ausgeprägt ist wie Stoibers Liebe zu Berlin.
Trotzdem tauche ich dort immer wieder auf. Warum? Wahrscheinlich, weil der Laden so bequem auf dem Weg liegt und sporadisch aufflackernde Inkonsequenz zu meinen größten Schwächen gehört. Wenn ich samstags mit Frühstücksausstattung von Edeka zurückkehre, kann ich das Fahrrad an die Hauswand neben der Eingangstür lehnen, die Ladentür öffnen, sofort vorm Tresen stehen, aus unerfindlichen Gründen eine Mopo ordern – und ernte dafür beim Menschen hinter der Theke (Zafer?) nie das kleinste Fitzelchen Interesse.
Er ist stets mit Unaufschiebbarem beschäftigt. Zum Beispiel mit einem Telefonat, welches zu unterbrechen oder gar zu beenden ihm so absurd vorkommen muss wie Benedikt XVI eine Lobpreisung der Condomerie am Spielbudenplatz (Foto). Oder Zafer widmet sich mit der Aufmerksamkeit eines Examensprobanden einem fesselnden Computerspiel oder der Lektüre von Hürriyet. Ein Aufblicken, womit ja gleichsam eine Existenzbestätigung des verloren vorm Tresen herumstehenden Kunden verbunden wäre: nicht drin. Nie.
Ich gehe also, wo ich schon mal da bin, stets so vor: Eine Mopo vom Stapel nehmen und die Hand mit dem 50-Cent-Stück so weit über den Tresen schieben, dass sie in sein Sichtfeld gerät. Mit deutlichen Anzeichen des Ungehaltenseins – doch ohne den Blick von Hürriyet oder „Grand Theft Auto 4: Vice City“ zu wenden – greift er danach, tastet nach der Münze und murmelt etwas, das mit viel gutem Willen als Dankesbekundung deutbar ist.
Eine Verschärfung der Lage tritt ein, wenn ich zu meinen eigenen großen Ärger kein passendes Kleingeld dabeihabe und der Mann rausgeben muss. Er starrt weiter auf das Unterhaltungsmedium seiner Wahl, friemelt hinter sich in der Kasse herum, blickt für einen Sekundenbruchteil hinein, ruckt wieder herum, weil auf dem Bildschirm oder in der Hürriyet ja etwas Weltbewegendes passiert sein könnte, und drückt mir das Wechselgeld in die Hand.
Alle geschilderten Varianten führen regelmäßig dazu, dass ich kochend abziehe. Ich könnte mich ohrfeigen für den Automatismus meines freundlichen Abschiedsgrußes und schwöre mir innerlich, nie mehr hinzugehen. Nie mehr! Heute morgen war ich wieder da. Aber Zafer nicht. Der Laden war leer. Auf dem Bildschirm kein Computerspiel, sondern eine Warenliste. Eine von der Einkerbung des Aschenbechers in der Schwebe gehaltene und erst zu einem Viertel abgebrannte Zigarette genoss qualmend ihre seltene Ungestörtheit. Hinter dem Tresen sah ich die Kasse. Sie stand offen.
„Hallo?“ rief ich nach einer kleinen Anstandsweile, um niemanden allzusehr beim dringlichsten aller Geschäfte zu stören. Keine Reaktion. „Jemand da?“ rief ich lauter. Stille. Hm. An Kleingeld hatte ich drei 20-Cent-Stücke dabei. Einfach auf den Tresen legen, eine Mopo nehmen und gehen? Und Zafer zehn Cent mehr dalassen, als er verdient hätte? Aber für was? Für seinen überragenden Service an jedem verdammten Samstag? Pah.
Plötzlich öffnet sich die Tür, ein weiterer Kunde betritt den Laden. Und direkt hinter ihm stürzt Zafer herein. Er entschuldigt sich, sein Blick streift mich, ich beschließe, mich mitgemeint zu fühlen. „Eine Mopo“, sage ich aus unerfindlichen Gründen und halte ihm die drei Zwanzigerstücke hin. Er huscht um den Tresen, greift in die offene Kasse und händigt mir eine Zehnermünze aus.
Ich gehe. Und bin wahrscheinlich nächstes Wochenende wieder da. Aber warum?
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, in den Printmedien vorkommen
1. „A day in the life“ von The Beatles
2. „The cover of the Rolling Stone“ von Dr. Hook & The Medicine Show
3. „Wild west end“ von Dire Straits
Verbindlichsten Dank für die beiden Geschäftsempfehlungen. Da geh ich künftig auch hin, vielleicht steht die Kasse ja öfter offen. Das muß den Umweg wert sein.
AntwortenLöschenIch habe da so meine eigene Methode und werde ggf. berichten.
Die Condomerie führt sicher auch Opa compatible Ausrüstungsgegenstände für unsere österliche Hasi-Party.
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,364727,00.html
AntwortenLöschenHier findest Du etwas, was Zafer sicher sehr glücklich und Dich damit zum seinem beliebtesten Kunden aufsteigen lassen wird ...
@ opa: Gern geschehen. Ihre Methode kann ich mir ganz gut vorstellen. Vergessen Sie bitte nicht, alles zu verbloggen - natürlich auch die österliche Party, ausgestattet von der Condomerie.
AntwortenLöschen@ joshuatree: Danke für den Tipp, aber der Vorschlag ist kontraproduktiv! Für Zafer werden doch nach Installation des „Sex Mod“ Kunden VÖLLIG uninteressant.
Es ehrt Dich, dass (ß) Du Zafers Partei ergreifst und Dich um sein Einkommen kümmerst (max. 20 Cent pro HaMopo).
AntwortenLöschenWahrscheinlich liegst Du richtig, er wird bald abgelöst und Du wirst zur HaMopo zusätzlich ein Wrigley`s plus der BamS vom letzten Sonntag zu einem Komplettpreis verkauft bekommen ... inkl. McDonald`s Gutschein über 50 Cent auf die nächsten Pommes im Riesen-Big Mac Meal. Das wiederum könnte den Franken auf den Plan rufen.
Egal, was Du machst... halt Dich wacker.
Keine Ahnung, worum es in "Wild Wild West" geht, aber die Dire Straits sollten m. E. nach wie vor und bis in alle Ewigkeit totgeschwiegen werden. Deshalb hier drei weitere Nominierungen für den 3. Platz:
AntwortenLöschen"Yesterday's Paper" von den Rolling Stones (Naja, vielleicht etwas zu naheliegend)
"Five Foot One" von Iggy Pop ("I wish life could be Swedish magazines.")
und schließlich, quasi als definitives Statement zum Thema, "Sabotage" von John Cale:
"Read and destroy everything you read in the press
Read and destroy everything you read in books
It’s a waste of time
It’s a waste of energy
It’s a waste of paper
And it’s a waste of ink
Whatever you read in the books, leave it there
The word for it is:
Sabotage, sabotage
Sabotage, sabotage"
Andreas, wie so oft hast du die weit bessere Auswahl getroffen. Möchtest du nicht mein BJ (= Blogjockey) werden? Ich gebe das Thema vor, und du lieferst mir (natürlich ex cathedra) die Top 3?
AntwortenLöschenSo sehr Herr Cale auch zur Rubrik passt, so entschieden möchte ich doch seine Grundthese zurückweisen. So geht es mir bei ihm aber öfter. Auch bei „Fear is a man's best friend“ regte sich, wie ich mich erinnere, spontaner Widerspruch. Mein Lieblingssong von ihm ist übrigens mit weitem Abstand „Buffalo ballet“. Ex cathedra.
Vielen Dank für das nette Angebot! Grundsätzlich glaube ich ja, dass es meinem Naturell eher entspricht, andere besserwisserisch zu kritisieren, als selbst kreativ zu werden - nicht umsonst habe ich den Beruf des Dokumentars gewählt -, aber ich will es gerne einmal versuchen.
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