An der Theke des Knust (im Bild: die Flurdecke) nehme ich drei bestellte Bier und einen Rotwein in Empfang. Der freundlich lächelnde und generell sehr kommunikative Herr von Mitte 50, der hinterm Tresem kregle Aktivitäten entfacht, trägt lässig ein Handtuch über der linken Schulter. Das ist sein Markenzeichen, wie ich aus der Summe meiner Besuche rückschließen kann.
Als ich ihm das Geld passgenau überreiche, sagt er: „Das Rotweinglas ist nicht ganz voll, war ein Flaschenrest. Das rechne ich nicht ab.“ Ein kurzer Blick aufs Glas ergibt: Eichstrich wirklich knapp verpasst. Freudig überrascht sage ich danke und wende mich mit den Getränken meinen Freunden zu.
Während ich Gläser und Flaschen an K. und die Umstehenden verteile, höre ich, wie K. flüsternd erzählt, der Mann hinterm Tresen sei der Exwirt der Kiezkneipe Roschinsky's, und zwar sei er deswegen nunmehr Exwirt, weil sein Umgang mit Freigetränken ein allzu laxer gewesen sei und er nicht zuletzt mit dieser in der gesamten deutschen, wenn nicht gar globalen Kneipenszene praktisch überhaupt nicht anzutreffenden Eigenart den Laden stracks an die Wand gefahren habe.
Quod erat demonstrandum, weiß ich sofort sinngemäß beizusteuern und erstatte K.s Freundin unter Preisgabe der eben erlebten Geschichte den Rotweinpreis zurück. K. fühlt sich voll bestätigt; mein kleines Erlebnis war gleichsam die zweite unabhängige Quelle, die jede Story nach Woodward & Bernstein braucht, um als wasserdicht gelten zu dürfen.
Der ältere Herr mit dem Handtuch über der Schulter wuselt derweil weiter energetisch hin und her, den ganzen Abend lang, und sein Lächeln erstirbt so wenig wie sein Kommunikationseifer. Sehr viel später stehe ich noch immer an der Bar, vor mir gähnt traurig die Bierflasche. Der Mann kommt zu mir, lächelt und sagt: „Mein Herr, was kann ich denn noch Gutes für Sie tun?“ Nichts mehr, danke, erwidere ich müde, ich habe genug. Er strahlt auf: „Dann spendiere ich uns einen Schnaps! Einen besonderen!“
Ich habe keine Ahnung, wie meine Ablehnung zu dieser spontanen Offerte führen konnte. Doch sein Vorschlag ist entwaffnend, zumal jeder Versuch der Gegenwehr an seiner Eilfertigkeit scheitern würde, mit der er eine Flasche speziellen Rums aus der Vitrine fischt und daraus zwei wie aus dem Nichts materialisierte Gläser befüllt, und das nicht zu knapp.
Eigentlich mag ich keinen Rum, aber sein verschwörerisches Zwinkern weckt meine Neugier. In der Tat geriert sich der (spanische) Stoff zu meiner Überraschung fast so fein wie ein schottischer Single-Malt-Whiskey, was ich mit deutlich artikuliertem Dank und Trinkgenuss kommentiere.
Auf dem Nachhauseweg gibt mir die ganze Sache aber doch zu denken. Mehrere Faktoren müssen nämlich gegeneinander abgewogen werden, um die Sachlage richtig beurteilen zu können. Meine Herzlichkeit der Danksagung, die dem Spender auch durchaus willkommen und wichtig schien, wird ihn nämlich zweifellos ermuntern, auch künftig in ähnlicher Weise mit Gästen zu verfahren. Für den Einzelnen ist das zweifellos ein Umstand, der freudiges und hochfrequentes Wiederkommen fördern wird; das Knust aber dürfte diese Politik möglicherweise mit Karacho auf jenen Kurs bringen, der auch dem Roschinsky’s letztlich einen neuen Wirt einbrachte.
Soll ich also nun einen Besuch des Knust empfehlen und es damit auf lange Sicht dem Ruin ausliefern – oder ist es meine Pflicht, vor jedwedem Betreten dieser gastlichen Stätte zu warnen, was allerdings das Gleiche bewirkte?
Erstaunlich, dass man auch in den gemütlichsten Ecken des Lebens mit moralischen Dilemmata behelligt wird.
Ex cathedra: Die Top 3 der Zwangslagen
1. „Classical dilemma“ von Chris de Burgh
2. „Should I stay or should I go?“ von Robbie Williams
3. „I'd rather go blind“ von Chicken Shack
Should I pay or should I go? Sie denken zuviel, hier kommt schon wieder der reuige Toilettenzechpreller zum Vorschein!
AntwortenLöschenIch habe das Gefühl, der lässige Herr mit dem Handtuch über der linken Schulter weiß schon, was er tut. Alt und erfahren genug ist er ja. Ich würde ihn mal zu 'nem Drink einladen beim nächsten Mal.
Ja, ich möchte diese Seite verlassen. Ja, auch wenn einige Änderungen noch nicht gespeichert sind. Und heute nacht um Zwei ging gar nichts mehr hier mit den Kommentaren.
Selbst auf die Gefahr hin, als Besserwisser zu gelten, selbst auf die Gefahr hin, dass mein Latein nicht ausreicht, die Doppeldeutigkeit in deinem (wahrscheinlich gewollten) Rechtschreibfehler zu entdecken: Solltest du "Was zu beweisen war" sagen wollen, so lautet der Satz "Quod erat demonstrandum", nicht "Quod errat ..." Keine Ursache, Grundwissen im Mathestudium.
AntwortenLöschenDanke, wird sogleich korrigiert! (Habe nicht mal das kleine Latinum, sondern nur Asterix gelesen.)
AntwortenLöschenIch bin mir ziemlich sicher, daß die Art des Wirtes eher zu mehr als zu weniger Umsatz führen, schließlich ist die Marge bei alkoholischen Getränken hoch und ein Gast, der aufgrund des netten Kellners zum Stammgast wird, bringt deutlich mehr, als ein einzelner Schnaps kostet.
AntwortenLöschenImmer noch unklar ist mir allerdings Ihr Satz „ich habe keine Ahnung, wie meine Ablehnung zu dieser spontanen Offerte führen konnte" zu deuten ist. Helfen Sie mir?
Außerdem haben Sie soeben einen neuen Gast für diesen Laden geworben. Sagen Sie das dem Herrn und holen Sie sich Ihr Freigetränk ab!
Natürlich helfe ich gerne, verehrter GP. Auf seine Frage „Mein Herr, was kann ich denn noch Gutes für Sie tun?“ reagierte ich abwehrend, woraufhin er mir sofort einen Schnaps anbot – meine Ablehnung und seine Offerte schienen in einem reziproken Verhältnis zu stehen; daher meine empfundene Schleierhaftigkeit.
AntwortenLöschenIch muss allerdings zugeben, dass es nicht Sinn eines Blogeintrages sein sollte, ihn passagenweise mithilfe von Fußnoten erklären zu müssen. Daher gelobe ich, mich künftig unmissverständlicher auszudrücken.
Nein nein, es war nicht Ihr Fehler, sich falsch ausgedrückt zu haben. Es war in der Tat ausschließlich meines nicht besonders funktionsfähigen Hirns anzulasten, diesen Satz nicht entschlüsseln zu können.
AntwortenLöschenDennoch danke ich Ihnen für die Aufklärung und so.