Es gibt bisher zwei Alben der hochmelancholischen Songwriterin Katja Werker, und beide habe ich rezensiert: „Contact myself“ von 2000 und das ganz aktuelle „Leave that thing behind“. Außerdem traf ich sie schon zweimal zum Interview, doch live sehe ich sie jetzt zum ersten Mal.
Schauplatz: der Stage Club an der Alsenstraße, eine in Fußweite vom Kiez gelegene und heimelig illuminierte Kaminbar. Für Konzerte ist sie allerdings denkbar ungeeignet. Die Bühne nämlich liegt versteckt im hinteren Bereich, und als ob das die auftretenden Künstler noch nicht genügend vor den Blicken des Publikums schützte, hat der sardonische Architekt auch noch an beiden Seiten der Bühne zwei monströse Pfeiler platziert, die selbst ein vollgelockter Samson – der berüchtigste Säulenumstürzer aller Zeiten – nicht aus der Verankerung gerissen hätte.
Als wir eintreffen, sind bereits alle Clubsessel belegt, was zugleich die Zahl der Stehplätze immens minimiert: Das Blickfeld der Sitzenden schafft unsichtbare Tabuzonen im Raum. Wir quetschen uns also an die Theke, Ms. Columbo ergattert sogar noch einen Barhocker. Zufriedenheit macht sich breit, zumal ich das Mikrofon von Frau Werker gerade so eben erspähen kann. Auf einem zweidimensionalen Foto wird es später so aussehen, als sänge sie unmittelbar einen der beiden Pfeiler an. Immerhin werde ich sie von hier aus überhaupt halbwegs sehen (nur ihre Nasenspitze nicht immer), was man von den meisten Besuchern des Stage Club keineswegs sagen kann.
Ich beschließe, mir einen eigenen Barhocker zu organisieren und werde fündig am anderen Ende der Theke. Das Teil ist bleischwer, hat aber auch noch den zunächst verborgenen Nachteil, über unzureichend verbundene Komponenten zu verfügen. Als ich den Trumm nämlich am Sitz durch den Raum schleppe, löst sich der metallene Fuß, rummst mit einer im Vergleich zur Fallhöhe erstaunlichen Gewalt auf meinen rechten Spann und holpert dann fröhlich scheppernd durch den halben Stage Club. So fühlt es sich also an, wenn du dir gerade den Fuß gebrochen hast, während dich alle Welt schreckstarr anglotzt. Na, danke.
Meine Schmerzen ebenso ignorierend wie das gebannte Publikum, schraube ich den Hocker unter Mühen wieder zusammen und zerre ihn ächzend und humpelnd hinüber zu Ms. Columbo. Mit Weißwein betäube ich den brüllenden Schmerz im Spann, und dann kommt auch schon Katja Werker auf die Bühne.
Während ihre Alben Musterbeispiele für gazehafte Zerbrechlichkeit sind und mindestens ein Interview mit ihr den unheilvollen Gedanken nahelegte, sie könne bei der nächsten falschen Frage in Tränen ausbrechen und sich aus dem Fenster stürzen, ist sie live ganz anders. Ihre burschikose Art, Witze zu reißen, passt nicht zu den heiser geraunten Wehklagen. Und ihr grober Ruhrpottslang gemahnt eher an Currywurstexzesse als an Todessehnsucht und produktive Depressionen. Schön für sie, natürlich, doch der Wirkung ihrer weiterhin spatzenhaft verletzlichen Leidenslieder tut das gar nicht gut.
Den Heimweg bewältige ich ganz leidlich, wozu die Stützkraft von Ms. Columbo nicht unwesentlich beiträgt. Ein zufällig verfügbares Pony wäre mir allerdings noch lieber gewesen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Katja Werker
1. „The first wind of the dawn“
2. „Pony ride on“
3. „No more prisoner“
Beste Genesungswünsche und danke für den Reitunterricht!
AntwortenLöschen"pony ride on" läuft hier bereits seit einer stunde in dauerschleife.
AntwortenLöschendanke für den tipp! die scheiben sind bereits bestellt, ist genau mein geschmack, wenn meine dämonen manchmal ruhen und nicht gerade napalm death verlangen... ;-)
gute besserung!
Ad
Danke, ich hoppel schon wieder über die Weide. Dass beide Herren von der Musik angetan sind, dürfte Frau Werker erfreuen – und Freude kann sie gut gebrauchen, weiterhin.
AntwortenLöschenDu bist wieder Deiner hier oft beschriebenen grausamen Leidenschaft nach gegangen :-). Songwriting - sehr atmosphärisch, ich hörte einen leicht "Japan-esischen" Klangteppich und sogar ne Lloyd´sche Gitarre zwischendurch. Gefällt mir ausgezeichnet und wurde auf meine "love to listen more" Liste gesetzt. Vor allem als kultureller Kontrast in Zeiten einer imvho zu sehr überschätzten Katie Melua (Mike does it).
AntwortenLöschenGut, zu hören, dass keine chirurgischen Eingriffe bei Dir nötig waren... Ich erinnere mich, früher konnte man beim Konzert auch mal 2 Stunden stehen, ohne gleich nach einem Hocker zu greifen ;-).
Stimmt, aber bei einem Metallica-Konzert wäre ich auch nicht auf die Hockeridee verfallen … ;-)
AntwortenLöschenTrotzdem war die Strafe wahrscheinlich gerecht.
Was die atmosphärischen Klangteppiche auf Werkers neuem Album angeht: Auch der Vergleich mit der Single „Don't give up“ von Peter Gabriel und Kate Bush liegt nahe.
Nachtrag: Hab mich grade in die Klänge des frei "downloadbaren" Teils von "I`m not blind" verliebt ... wundervoll - What a Voice! Für jemanden, der neben dem Sound auch fragile Vocals liebt (á la Sinéad), ein Leckerbissen!
AntwortenLöschenJa, auch Gabriel spielt da mit. Ich las gerade, sie wurde von ihm eingeladen.
Verlinkt.
AntwortenLöschenSehr nett, danke!
AntwortenLöschenAuch von mir ein kleines Dankeschön für einen weiteren sehr lesenswerten Beitrag. Und auch von mir wird das folgerichtig verlinkt, ganz so wie sich das gehört...
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