So rum ist es immer besser: erst den Film sehen, dann die Vorlage lesen. Nach dem Kinobesuch von Ang Lees bewegendem „Brokeback Mountain“ vertiefte ich mich heute in Annie Proulx’ gleichnamige Kurzgeschichte von 1997. Eine verschmitzt lächelnde Ms. Columbo hatte mich gestern mit dem Buch überrascht.
Die gedruckte Story ist für mich nun, nach dem Film, unweigerlich bevölkert mit seinen Gesichtern, auch wenn die geschilderten körperlichen Merkmale der Figuren abweichen von den Physiognomien der Schauspieler. Das ist aber nicht weiter schlimm. Tauscht man dagegen die Reihenfolge, sieht man eine Verfilmung also erst nach der Lektüre, steigt die Gefahr, enttäuscht zu werden von der Diskrepanz zwischen eigener Imagination und filmischer Umsetzung.
Nachdem ich nun diese kleine, dichte und lakonisch erzählte Story gelesen habe, frage ich mich, warum Proulx damals nicht das epische Potenzial ihrer Idee erkannt hatte. Ihre Geschichte vom ungelebten Lebensglück zweier einfacher Männer vom Land, die sich über zwei Dekaden lieben, aber nie ein gemeinsames Leben wagen, hätte eher 400 als 40 Seiten vertragen.
Ang Lee muss das erkannt haben. Er schuf nun jenes unpathetische Epos, nach dem die Idee von Anfang an strebte. Die Tragik, die in einem existenziellen Versäumnis steckt, in einer unwiederbringlich verpassten Chance, hat mich beim Sehen des Films mit voller Wucht getroffen. Aber hätte Proulx’ Story die gleiche Wirkung entfaltet, wenn ich sie 1997 im New Yorker gelesen hätte?
Nein, wir haben hier den seltenen Fall der filmischen Vollendung eines literarischen Stoffes – das eine Medium lieferte ein schlafendes Epos, das andere weckte und entfaltete es.
„We are shadows / shadows in the alley“, raunt mir Anna Ternheim gerade während des Schreibens ins Ohr, und diese Verse scheinen einen dunklen Kommentar abzugeben zu „Brokeback Mountain“. Sie scheinen zu sagen: Tu, was du tun musst; denn du weißt nie, ob du es dir leisten kannst, bis morgen zu warten. Schatten sind flüchtig.
Heute Abend spielt Ternheim im Knust. Wer weiß, ob du es dir leisten kannst, sie zu verpassen.
Ex cathedra: Die Top 3 der größten Songs von Anna Ternheim
1. „Shoreline“
2. „I say no“
3. „Follow you tonight“
Annie Proulx ist hochgehypt worden und ich bin brav die Bücher kaufen gegangen. Die Geschichten blieben für mich seltsam blass. Das mag durchaus daran liegen, dass ich ich keine Ader für A.P. entwickeln kann oder mag. Bei verfilmten Romanen bin ich auch eher skeptisch. "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" hat mich ziemlich begeistert, aber ich glaube, es hatte damit zu tun, dass ich die Vorlage sehr spät entdeckte und der Film meiner Phantasiewelt ziemlich nah kam. Vielleicht habe ich auch nur ein Faible für die Geschichten von Peter Hoeg.
AntwortenLöschenIch kann zumindest bestätigen, dass Ang Lees Film in puncto emotionaler Tiefe der Kurzgeschichte von Proulx überlegen war (was du als „seltsam blass“ bezeichnest). Dennoch werde ich ihre Storys erst einmal weiterlesen; mal schauen, was sie sonst noch so drauf hat.
AntwortenLöschen@rabe: Gerdae die Verfilmung von Hoeg fand ich eher traurig: Erstens ist das Ende der Geschichte ein ganz anderes als in der Vorlage. Und Frau Ormond entspricht so garnicht meiner Smilla im Kopf uns spielt eher hölzern.
AntwortenLöschenEin berührender Film, keine Frage, allerdings habe ich in Vertrauen auf meine Englisch-Kenntnisse die Orginalversion gewählt, und mich gefühlt wie jener Japaner, der nach Jahren intensiven Studiums der deutschen Sprache frustriert von vergeblichen Kommunikationsversuchen aus der Oberpfalz nach Hause zurückkehrte.
AntwortenLöschenMeine Erfahrung beruht auf der deutschen Synchronfassung – offenbar zufällig die bessere Wahl. Das Original werde ich aber nachholen, hoffentlich nun gut präpariert.
AntwortenLöschenIch bin mir nicht ganz sicher, ob das Sehen der Verfilmung eines Buches generell dem vorherigen Lesen des Lesestoffs vorzuziehen ist.
AntwortenLöschen"Homo Faber" sehe ich imho als beeindruckendes Buch und als Film neben dem Buch. Kundera/Kaufman schafften mit der "Unerträglichkeit des Seins" eine für mich beeindruckende Symbiose von Story/Inhalt/Charakter/bildlicher Umsetzung.
Zu diesem Thema kann es aber nur subjektive Einschätzungen geben. Aber schön, daß es sie gibt.
Den Filmen "Brokeback Mountain" und "Wie im Himmel" laufe ich gerade zeitlich hinterher. Die Anfangszeiten der Programmkinos (15:30 ?) sind leider nicht kompatibel zu meinen Lebenswelten.
Danke für die Appetitanregung anyway!