11 Dezember 2013

Pareidolie (69–73)

Costa Pacifica, Deck 3

Olympia, Griechenland

Sankt Pauli, Schlachthofflohmarkt

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

 

07 Dezember 2013

Ein Jahr an Krückenstöcken


Käpt’n Angelo Basilikos sitzt bei null Grad Außentemperatur Beim Grünen Jäger und versucht seine Finger an den eisigen Stahlsaiten seiner Bouzouki warmzuspielen. Das klappt natürlich nicht, und deshalb will er auch gleich den Betrieb einstellen. 

Vorher aber gestattet der altehrwürdige Grieche mir noch mitzufilmen (s. unten), wie er den Pavarottis gibt. „Meine Stimme hat neun Oktaven!“, behauptet er kühn und nicht ohne Stolz. Nun, das wären ungefähr dreimal so viele wie Mariah Carey, aber Käpt’n Angelo hat ja auch ein paar Jährchen länger geübt. 

Seit 40 Jahren lebt er auf dem Kiez, „habe Kinder gemacht auch“; ein alter Seebär, den es in seiner Jugend nach San Francisco verschlagen hatte, weshalb er nach seiner Rückkehr nach Athen, wo er mit einer Sängerin und Orchester in Musikclubs auftrat, als „der Amerikaner“ galt. 

Zuletzt aber lief es echt schlecht. „Ich habe ein Jahr an Krückenstöcke gelebt“, erzählt Käpt’n Angelo zwischen zwei Songs in seinem wunderbar griechisch gefärbten Baritondeutsch, das ihm jederzeit einen Radiojob verschaffen dürfte, wenn es ihm doch mal zu kalt wird für Straßenmusik. 

Schuld an des Käpt’ns Krückenstöckenjahr war ein Unfall, der ihn alles kostete: seine Frau und die beiden Kneipen, die er auf dem Kiez mal führte, wie er erzählt. Eigentlich ein super Grund, um sich willenlos der Altersdepression hinzugeben, doch an so was hat ein Käpt’n Angelo keinerlei Interesse. 

Stattdessen blitzen seine 71-jährigen Kapitänsäuglein vor Freude, wenn er über sein bewegtes Leben erzählt, bei null Grad Außentemperatur die Finger an den eisigen Stahlsaiten seiner Bouzouki warmzuspielen versucht und vergnügt den Pavarottis gibt.

Wegen solcher Typen liebe ich St. Pauli. Sie wiegen tausend Eckenpinkler auf. 

Na gut: 500.






04 Dezember 2013

Es war echt subber


Nach fast 3.500 Seemeilen – das ist ein Sechstel des Erdumfangs – sind wir zurück von der Schiffsreise, und Hamburg feiert dieses Ereignis standesgemäß: mit Orkan und Sturmflut. Wir fühlen uns geschmeichelt – aber auch ein wenig fröstelig. 

Vergangene Woche noch schwitzten wir bei 29 Grad am Rand der Negevwüste, jetzt glaubt der Kiez uns mit Nieselregen nahe null bezirzen zu können. Aber das funktioniert nicht, Kiez! Immerhin bleiben uns schöne Erinnerungen, die uns niemand mehr nehmen kann. Zum Beispiel unser Vierertisch beim Abendessen. 

Unsere kleine Runde nämlich wurde von einem wunderbaren älteren Ehepaar komplettiert, das ausgerechnet woher kam? Aus FRANKEN! Die beiden aus einem Dörfchen nahe Schweinfurt unterhielten uns knapp zwei Wochen lang mit Anekdoten und Tragödien, mit Wärme, Witz und Bratenrezepten; es war das reinste Vergnügen. Und beim Abschied fanden die beiden uns ebenfalls „Subber! Gans subber!“

In Izmir erstaunte uns die geringe Kopftuchquote, die uns niedriger schien als in Hamburg; für Erdogan gibt es also noch viel zu tun. Ein Händler in der Altstadt rief uns zu: „Wir habbe eine Lade mit Originalkopie! Lederjacke, alles!“ So wird das schon rein urheberrechtlich schwer mit dem EU-Beitritt, liebe Izmirer, Ankararer etc. 

In Athen hatte es am Tag vor unserem Besuch geschüttet wie verrückt, Land und Luft waren blitzeblankgespült, und somit erblickten wir von der Akropolis aus etwas, was man sonst von dort aus niemals sieht: Athen!

In Rom war es so unglaublich kalt (16 Grad!), dass die Gladiatorendarsteller vorm Kolosseum Socken trugen. „Wenigstens schwarze“, versuchte Ms. Columbo das empörend Unhistorische dieser Situation zu beschönigen. In einer Kaffeebar dort tranken wir den teuersten Espresso unseres Lebens (3,30 Euro für eine extrakleine Pfütze) und versuchten uns zu rächen, indem wir keinen Cent Trinkgeld gaben, aber es wollte sich keinerlei Genugtuung einstellen.

In Jerusalem focht ich einen zähen Kampf mit einem Busfahrer aus. Er fuhr die Klimaanlage trotz meiner Interventionen immer wieder auf eisige 18 Grad runter, was eine deutlich zu große Differenz zu den tropischen Außentemperaturen darstellte, als dass ich mir keine Klimaanlagenerkältung hätte zuziehen können. Und so kam es, wie es kommen musste: Erst musste ich mich dem Busfahrer beugen und bereits am nächsten Tag dem Schnupfen.

Tja, und in Tel Aviv schwebte ein Baum in der Luft.

01 Dezember 2013

Todsünde Toast Hawaii

Oh Mann, wer hätte gedacht, dass ich mitten im Garten Gethsemane, wo Judas Jesus einst den römischen Häschern auslieferte, an die Reeperbahn erinnert werde …?! 

In Gethsemane jedenfalls ist noch mehr verboten als auf dem Kiez, sogar Essen, Rauchen, Gassigehen, Sommerkleidung und Fahrradfahren. Dafür stuft man – im Gegensatz zu St. Pauli – Messer, Baseballschläger und Pfefferspray offensichtlich als unbedenklich ein. 

Israel ist sowieso reich an Kuriosiäten, vor allem kulinarisch. An Meeresgetier zum Beispiel wird nur das verzehrt, was Schuppen hat. Ein Riesenglücksfall für Krabben, Hummer, Tintenfische oder Aale. An Landtieren hingegen kommt dem Israeli nur das auf den Tisch, was wiederkäut. Alle anderen haben Schwein gehabt. 

Niemals dürfen zudem Milch- und Fleischprodukte zusammen gegessen werden. Ein Käse-Schinken-Sandwich? Der Horror! In israelischen McDonald’s-Filialen gibt es selbstverständlich keine Cheeseburger. Somit darf auch die vielköpfige Zielgruppe der Orthodoxen dort essen – weil sie sicher sein kann, kein Besteck vorgesetzt zu bekommen, das irgendwann mal mit Milch UND Fleisch in Berührung gekommen ist. Das wäre dann nämlich nicht mehr koscher, und eine Nutzung würde ihr ewiges Seelenheil gefährden.

Diese Verzehrvorschriften sind durchaus nicht nur unter gläubigen Juden verbreitet, sondern gleichsam zur allgemeinen Esskultur geworden.

Wenn sich also am Ende aller Tage herausstellen sollte, dass dummerweise doch der Gott der Juden der einzig wahre war, dann sind alle am Arsch, die mal einen Toast Hawaii gegessen haben. Willkommen im Club, meine Lieben.

Und damit zurück ins gute, alte Europa.

29 November 2013

Mitten im Religionsoverkill

An der Klagemauer werden die Betenden nach Geschlechtern getrennt. Männer links, Frauen rechts – inoffizielle Begründung: damit die Schläfenlockenträger beim Gebet nicht hormonell herausgefordert werden. 

So etwas entlarvt auf hübsche Weise, für wie wenig kraftspendend die Gläubigen letztlich ihren Schöpfer halten, der ja auch ihre Hormone schuf. Überhaupt wirkt Jerusalem, obwohl es bis obenhin vollgestopft ist mit monotheistischem Religionsoverkill, wie eine gewaltige Säkularisierungsmaschine. 

Denn der Kitsch allenthalben ist zum Weglaufen. An der Stelle in der Grabeskirche, wo Jesus gekreuzigt worden sein soll, glimmt und glitzert es wie am Wochenende in Las Vegas. „Sieht aus wie ein Lampengeschäft“, kommentiert Ms. Columbo das große Baumeln von der Decke. 

Alle halten ihre Handys und Tablets hoch, um zu fotografieren, manche kriechen untern Steintisch, der vorm Kreuz steht, um knieend zu beten. Andere breiten ihre PVC-Rosenkränze und strassbesetzten Plastikkreuze auf der Platte aus, wo ihr Heiland angeblich vor der Beerdigung präpariert wurde, und küssen und streicheln den Stein. 

Wer nicht spätestens hier begreift, dass Religionen nur mehr oder weniger geschickt konzipierte Produkte verkaufen, während sie parallel Ängste schüren, vor denen ebenjene Produkte die zitternden Kunden dann wieder erlösen sollen, der begreift es nimmermehr. 

In einem christlichen Nippesladen in Bethlehem, den wir vorher besucht hatten, verkaufen sie ein sehr europäisch wirkendes Jesusbaby aus Holz oder Plastik, das anscheinend bereits betend dem Mutterleib entschlüpft ist. Kitsch as Kitsch can. 

Dennoch duschen die jahrtausendealten Jerusalemer Mauern und Steine uns mit einem wahren Aurawasserfall. Schließlich hätte sich ein Großteil der orientalischen und abendländischen Politik, Geschichte und Kultur ohne diese Stadt und die Region komplett anders entwickelt. 

Was hier gedacht und getan wurde, beeinflusst weltweit Milliarden Menschen in ihrem Denken und Tun. Abermillionen wurden im Lauf von rund fünf Jahrtausenden gefoltert, getötet, verachtet, geschnitten und vertrieben, nur weil hier ein paar Mythen mit Moral ausgetüftelt und von zwölf Göttern elf gestrichen wurden. Eine unfassbar langlebige, uns dadurch durchweg alle betreffende und beeinflussende Wirkungsgeschichte – und genau deshalb so faszinierend. 

All das steckt in den Steinen von Jerusalem. Am Sockel der Klagemauer ist das sogar sichtbar. Bis in ungefähr 1,80 Meter Höhe hat die Patina von zweitausend Jahren ihn dunkel eingefärbt. Es ist das hinterlassene Körperfett von fast hundert Generationen von Menschen, die mit ihren Köpfen und Händen die Mauer berührten.

Auch ich fasse sie an – und erwäge sogar, irgendetwas (genauer gesagt: meine Visitenkarte, weil ich sonst überhaupt nichts Zettelähnliches dabeihabe) in eine der Ritzen zu stopfen. Zugleich bekämpfe ich mühsam den Impuls, zum Ausgleich eine der zahlreichen bereits dort steckenden Botschaften an mich zu nehmen. 

Gut, dass ich widerstand, denn es hätte sich sowieso nicht gelohnt. Zum einen könnte ich die Sprache nicht lesen, zum andern enthalten diese Zettel mit hoher Wahrscheinlichkeit nur lauter kleine lächerliche egoistische Bitten an eine Schimäre. Die der Männer links, jene der Frauen rechts.

In der Via Dolorosa, dem Kreuzweg, gibt es übrigens seit mindestens zweitausend Jahren kein offenes WLAN. Nicht mal ein verschlüsseltes. 

28 November 2013

Wenn Israel dir tief in die Augen schaut



Bereits hunderte Kilometer vor der Ankunft im Hafen von Ashdod (Foto) kommen israelische Grenzer an Bord und nehmen jeden einzelnen Passagier unter die Lupe, selbst wenn er gar nicht vorhat, in Ashdod an Land zu gehen. 

Über 3000 Leute müssen also nach und nach zur Gesichtskontrolle. Ms. Columbo und ich haben Massel und werden unbeanstandet durchgewinkt. Puh. 

Die Paranoia der Israelis ist nachvollziehbar. Als einzigem Land der Welt wird ihnen unverhohlen mit Auslöschung gedroht (Iran), sie werden von Nachbarn mit Raketen beschossen (Hamas et. al.) und seit Jahrhunderten von Antisemiten aus aller Welt für sämtliche globalen Probleme verantwortlich gemacht. Da kann man (= weiblich, blond, Mitte 20) schon mal Matt Wagners Reisepass aufklappen und ihm tief in die Augen schauen.

Immerhin lässt Israel uns ohne Visum ins Land – aber nur, weil wir nach 1928 geboren sind. Wer bei Kriegsende mindestens 17 war, muss mit einem intensiveren Vergangenheitscheck rechnen, ehe er willkommen geheißen wird. Ein Verfahren, das allerdings über kurz oder lang auch den letzten Rest Relevanz verlieren wird. Die Methode Demjanjuk.

Übrigens drückt Israel uns dankenswerterweise keinen Einreisestempel in den Reisepass, sondern händigt uns eine lose Besuchsgenehmigung aus. Nur so können wir künftig, wenn wir möchten, auch gewisse andere Länder der Region besuchen, die uns mit einem jüdischen Stempel im Pass den Einlass strikt verwehren würden. 

Diese israelische Kulanz finde ich rührend, denn eigentlich müsste es ihnen ja egal sein, ob wir irgendwann mal Ärger mit Meschuggen bekommen oder nicht. So aber könnten wir uns auch künftig nach Herzenslust in Teheran oder Damaskus vom Staatsfernsehen mit antisemitischer Propaganda berieseln lassen.

Ja, so eine Demokratie hat schon was für sich. Trotz zweifellos rumpeldummer Siedlungspolitik.

27 November 2013

Schon zwei weniger

Schon zum zweiten Mal mussten wir den Kurs wegen eines angeblichen „medizinischen Notfalls“ ändern, neulich vor Sizilien und gestern vor der Insel Chios. Jedesmal kam ein kleines Boot herangeeilt und transportierte jemand weg. 

In der Hauptstadt der nicht gerade weltallweit berühmten Insel Chios leben 23 000 Menschen, und gerade diese Tatsache weckt Skepsis. „Wahrscheinlich“, raunte Ms. Columbo düster, „handelt es sich gar nicht um medizinische Not-, sondern um Todesfälle.“ 

In der Tat klingt diese Theorie beunruhigend plausibel. Denn ist es wirklich denkbar, dass eine Insel im ägäischen Meer über eine bessere medizinische Ausrüstung verfügt als ein kleinstadtgroßes Kreuzfahrtschiff? Ist es nicht normalerweise genau umgekehrt, nämlich dass medizinische Notfälle von dünn besiedelten Inseln weg- statt hingebracht werden? 

Wie auch immer: Momentan sind zwei Passagiere weniger an Bord als nach der Einschiffung in Savona, und ich wünsche ihnen alles Gute. Andere Mitfahrer tragen ebenfalls ihr Päckchen bzw. unerfüllte Sehnsüchte mit sich herum. Eine ältere Dame offenbarte im Gespräch ihren Lebenstraum: einmal, nur ein einziges Mal Sascha Hehn treffen. Sascha Hehn.

Ob Butler Alan wohl beliebigen Personen links und rechts Watschen verpassen würde, sofern man ihn darum bäte? Es ist bestimmt einen Versuch wert. Schließlich fiebert er Aufträgen entgegen. 

Er ist unser Butler.



25 November 2013

„I don’t need sex“

Griechenland, ouha … Werden wir Blitzableiter spielen müssen für die hiesige Wut auf Merkel? 

Ein Taxifahrer soll heute Mitreisenden befohlen haben, nur englisch zu sprechen, weil er ihnen – obzwar des Deutschen mächtig – ansonsten nicht antworten würde. Wir hingegen kamen sowohl in Olympia als auch in Athen (Foto: Akropolis) ungeschoren davon. 

Man bediente uns sogar in Bars, der frischgepresste Orangensaft war nicht vergiftet, und in den griechischen Kaffee hatte kein Koch reingepinkelt. Zumindet schmeckte man es nicht raus. 

Die gereizte Stimmung im Land spiegelt sich eher in den T-Shirt-Aufdrucken in der Altstadt Plaka wider. „I don’t need sex“, stand auf einem, „the governement fucks me everyday.“ Und damit war mal NICHT Merkel gemeint. 

Ein anderes T-Shirt schlug sogar versöhnliche Töne an – und eine Kommunikationsmethode vor, die auch wir als Deutsche sofort unterschreiben können: „OUZO. Connecting people.“

Ab morgen heißt der Ouzo dann Raki: Auf nach Izmir!

23 November 2013

Das Butlerproblem

Wir können wirklich nichts dafür. Echt nicht.

Eigentlich hatten wir auf dieser Schiffsreise Richtung Israel nur eine einfache Balkonkabine gebucht. Einige Wochen vor Antritt des Urlaubs aber rief mich das Reisebüro an und offerierte ein recht günstiges Upgrade in eine Suite. Größer, breiter, weiter – nach kurzem Überlegen sagte ich erfreut zu. 

Bereits einen Tag später rief der Mann vom Reisebüro wieder an und sagte, er könne uns nunmehr sogar  hochbuchen in eine Grand Suite. Ohne Aufpreis. Das war gewissermaßen ein Pferdekopf im Bett; wie hätte ich dazu nein sagen können? 

Wir können also wirklich nix dafür. Echt nicht. 
Aber jetzt haben wir einen Butler. 

Er ist anscheinend ostasiatischer Herkunft, nennt sich Alan und wartet auf Aufträge. Allerdings haben wir als linksorientierte Verfechter der Überwindung der Klassengesellschaft überhaupt keine Erfahrungen im Aufträgeerteilen an Butler. 

Ratlos betrachten wir seine Telefonnummer (6666). Was soll Alan für uns tun? Und was tut er, wenn er mal nichts für uns tun muss, was praktisch ununterbrochen der Fall ist? Andererseits ist er nun mal ein Dienstleister in Habachtstellung, das kennt er, das weiß er, vielleicht will er das sogar. Möglicherweise ist Alan sehr gerne Butler, und unser typisch linksorientiertes deutsches bedenkenträgerisches Rumhadern würde bei ihm nur Kopfschütteln auslösen. 

Wahrscheinlich verdient er zehnmal so viel wie sein Bruder, der in Manila eine Suppenküche betreibt, wenn das Land gerade mal nicht von Erdbeben, Tsunamis oder Wirbelstürmen in Schutt und Asche gelegt wird. Wahrscheinlich fühlt Alan sich, als hätte er es geschafft. Denn er ist Butler der Gäste einer Grand Suite. Doch grau ist alle Theorie; wir wissen’s nicht, und es wäre unhöflich, ihn zu fragen. 

Es klopft, wir öffnen die Tür unserer Grand Suite. Davor steht ein Mann, der sich als Freddy vorstellt. Unser zweiter Butler.

20 November 2013

So nah und doch so fern


Ungefähr einmal die Woche kehren der Franke und ich mittags beim Büffetinder ein, füllen uns zwei-, dreimal die Teller und wechseln danach pappsatt ins benachbarte Torrefaktum, um mit einem Espresso der drohenden nachmittäglichen Verdauungsträgheit präventiv entgegenzuwirken. 

Das Torrefaktum gibt Bonuskarten aus. Wenn man zehn Espressi getrunken hat, bekommt man den elften umsonst. So weit die Theorie. Die Praxis vor Ort erwies sich nun als erheblich trüber: Handwerker statt Barista, Leitern statt Kaffeemühlen, Leere statt Espresso.

Mein elfter also verfällt ersatzlos. Und ich war sooo nah dran. Aus Frust gehe ich jetzt auf eine Schiffsreise – mit Ms. Columbo und vorab gebuchter Espressoflatrate.

Bitte lassen Sie Ihr Gerät eingeschaltet.

19 November 2013

Ja, ich war einmal ein One-Hit-Wonder!

Jetzt, wo sie wieder mal um die Weltmeisterschaft im Schach ringen, fällt mir ein, dass ich diesem Spiel auch einmal verfallen war. Vor allem während des Studiums lieferte es mir willkommene Ausreden, um nicht lernen zu müssen. Stattdessen komponierte ich Schachprobleme, also künstliche Stellungen, in denen der einzige existierende Weg zum Matt in einer vorgegebenen Maximalzahl von Zügen gefunden werden muss.

Mein damaliger WG-Mitbewohner musste es oftmals ertragen, mich fiebrig an seiner Tür kratzen zu hören, in der Hand den neusten Zweizüger, den er bitte zu lösen bzw. auf Fehler abzuklopfen habe. Wie in den meisten Disziplinen, in denen ich mich zeitlebens betätigte, erreichte ich beim Komponieren von Schachaufgaben ein höchstens mittelmäßiges Niveau, wohingegen die Begeisterung, mit der ich mich diesem Sujet widmete, bisweilen ins Weltmeisterliche lappte. 

Jedenfalls musste ich irgendwann erkennen, dass meine Zwei- und Dreizüger allesamt in der Regionalliga anzusiedeln waren – bis auf einen. Ich weiß nicht, woher mir dieser kleine Geniestreich zugeflogen war; vielleicht war die Hausarbeit, die es an jenem Tag wegzuprokastinieren galt, besonders lästig, und das führte Motivation und Geistesblitz womöglich auf ausnehmend effiziente Weise zusammen. Was weiß ich. 

Am Ende der Komposition ging mir schlagartig auf, dass dieser Dreizüger alle meine vorherigen Versuche bei weitem übertraf. Sein Aufbau, die Ästhetik seines Ablaufs, die Wege der Figuren auf dem Brett: All das hatte eine Schönheit, die man einfach in der Regionalliga nicht findet. 

Damals gab es in der Zeitschrift Stern noch eine entsprechende Rubrik. Wöchentlich wurde ein Schachproblem veröffentlicht, und befeuert von meiner Heureka-Euphorie hatte ich die Chuzpe, meinen Dreizüger – von dem ich ahnte, dass er den Gipfel und Endpunkt meines Schaffens darstellte, also jenen einen Ausrutscher nach oben, der nicht mehr zu egalisieren, geschweige denn zu übertreffen war – an den Stern zu schicken. 

Leiter der Rubrik Schachprobleme war zu jener Zeit der große Schachkomponist Hans Klüver, und man kann sich mein Entzücken vorstellen, als ich eine postalische Antwort von ihm erhielt. Allerdings handelt es sich dabei erst mal nicht um eine Abdruckbestätigung, sondern um eine Rückfrage.

Klüver hatte eine kleine Unsauberkeit in der Komposition entdeckt, wodurch ein zweiter Weg zum Matt in drei Zügen möglich wurde, und das darf natürlich keinesfalls sein. Es war allerdings nicht sonderlich schwer, dieses Schlupfloch zu schließen. Ich schickte Klüver die modifizierte Version – und was soll ich sagen: Er druckte sie!

Am 21. Juli 1988 erschien mein Dreizüger im Stern, der damals, fünf Jahre nach den „Hitler-Tagebüchern“, zwar auch keine Fantastilliarde Hefte pro Woche mehr verkaufte, aber schon noch ein Dickschiff der deutschen Medienlandschaft war. Ich fühlte mich wie die Nummer eins der Singlecharts. 

Gleichwohl blieb ich ein One-Hit-Wonder, ohne damit zu hadern. Dieser Dreizüger war gewissermaßen mein „Vom Winde verweht“. Margaret Mitchell hat ja auch nichts weiter mehr zustande gebracht – oder zumindest nichts mehr, von dem sie glaubte, es könne mithalten mit jenem einen Roman, der ihr auf so wundersame Weise geglückt war. 

Auch ich erkannte, dass mir ein solcher Streich nie mehr gelingen würde. Deshalb vermochte ich zufrieden und gelassen auf dem Höhepunkt meines Ruhms zurückzutreten. Ich tat also genau das, was Otto Rehhagel 16 Jahre später nach dem Gewinn der Europameisterschaft mit Griechenland versäumen sollte. Hätte der Otto anno 88 besser mal Stern gelesen! 

Na ja, wie auch immer: Hier ist er jedenfalls, der Dreizüger von damals. 

Lösungsvorschläge bitte in den Kommentaren. Wie gesagt: Es gibt nur einen einzigen Weg, wie Weiß den Gegner in drei Zügen matt setzen kann. Wer einen zweiten finden sollte, wird mich in Melancholie und Irrsinn stürzen und zum No-Hit-Wonder degradieren, das nur zur Info. Und als Anreiz.

PS: Ich hoffe inständig, dass ich das alles hier nicht schon mal verbloggt habe. Wenn ja, dann vergessen Sie bitte diesen Eintrag rückstandslos. Burn after reading! (Und bitte den desavouierenden Link mailen, danke.)

17 November 2013

Fundstücke (184)















1. Das skurrile Vincent-Gallo-Vehikel „The Legend of Kaspar Hauser“ glänzt mit vielen Schwächen und Pannen, darunter einem versehentlich im Bild baumelnden Mikrofon. Ein Fauxpas ist allerdings erst auf den zweiten Blick zu sehen: In der Anfangssequenz werfen zwei Figuren Schatten in verschiedene Richtungen. Liegt wohl daran, dass Vincent Gallo hier in zwei Rollen gleichzeitig zu sehen ist, die Szene also vorm gleichen Hintergrund zweimal gedreht und am Ende zusammengeschnitten werden musste. Dass die doofe Sonne derweil den Naturgesetzen folgt und einfach weiterwandert, konnte der Regisseur ja nun wirklich nicht ahnen.  

PS: Ja, ich weiß, dass es in Wahrheit die Erde ist, die weiterwandert – und ich mich mit dieser Bemerkung um 99 Prozent aller potenziellen Kommentare bringe.

PS: Der Film wurde übrigens auf Sardinien gedreht. Anhand dieser Information kann man sogar herausfinden, welche der beiden Szenen – die linke oder die rechte – zuerst im Kasten war, sofern die Prämisse stimmt, dass beide am gleichen Tag entstanden sind. Na, wer führt den Beweis?

 





2. Diese Definition sicherer Dateien, die mir von einem Programm angeboten wurde, finde ich recht weitgehend. Genauer gesagt: allumfassend. Leider verschweigt es, welche Dateien es als unsicher einstuft. Das wäre die wirklich interessante Info gewesen.


3. Mit dem abgebildeten Photoshopfopp wollte mich Groupon zu einem „frischen Schnitt“ ermuntern. Meine Haarpracht reicht dafür leider knapp nicht mehr aus, aber wahrscheinlich gilt das für ungefähr sechs Milliarden Menschen weltweit. Und dem Rest fehlt mit Sicherheit zumindest der Giraffenhals, der ihn zum Kauf dieses Groupon-Gutscheins berechtigt hätte. 

Noch viel schönere Photoshopkatastrophen gibt es in Hülle und Fülle hier.


15 November 2013

Ach, St. Pauli …

Zwei russisch daherblökende Kieztaumler stellen sich gegenüber an die Hauswand, um zu pinkeln. Einer der beiden trägt eine Lidl-Tüte.

Um sein bestes Stück ans Tageslicht zu befördern, braucht er beide Hände. Also legt er die Tüte neben sich auf den Boden – genau in die Ablaufrinne, wie sich nur Sekunden später herausstellt. Ihm aber egal.

Nachdem dieser herausragende Vertreter menschlicher Zivilisation ausgiebig abgeschüttelt hat, nimmt er die tropfende Lidl-Tüte wieder an sich und taumelt mit seinem Kumpel davon.

Ihm wird wohl niemals dämmern, wie deprimierend das alles ist, und diese Tatsache ist fast noch trauriger als eine vollgepinkelte Lidl-Tüte, die allmählich im Herbstwind trocknet.


PS: Die Abbildung ist nur ein Symbolbild. Sie zeigt einen ganz anderen Fleck als den oben beschriebenen.


11 November 2013

Im Gottesdienst



Volbeat-Konzert, o2-Arena, Hamburg, heute Abend.

Nachwehen einer Ehe


 „The next song is dedicated to my former wife number … eh … It’s called ,Jack the ripper’.“

Nichts für Feministinnen: Nick Cave gestern Abend in der Alsterdorfer Sporthalle.


10 November 2013

Der gescheiterte Rettungsversuch

Heute wollte ich einen bei Amazon entdeckten Digital/Analog-Wandler offline kaufen, um den Einzelhandel zu unterstützen – und vor allem, weil ich generell das, was ich gern hätte, augenblicklich haben möchte und nicht erst in drei Tagen. Die liebe Ungeduld, eine alte Schwäche.

Bei Amazon kostet das Ding 15,89 €. Ich druckte also Bild und Beschreibung aus, radelte zuversichtlich nach Altona zum Media Markt (der – ich weiß, ich weiß – die ganzen kleinen Läden auf dem Gewissen hat) und zeigte dort beides illustrationshalber vor. Dieses Modell, sagte man mir, sei gerade nicht vorrätig, aber dafür ein anderes. Der Preis betrage allerdings … räusper, hüstel … 69,99 €. 

„Bitte …?“, japste ich so erschrocken, als hätte man mir allen Ernstes erzählt, der Franke habe sich in den Veganismus verliebt. „Das ist 55 Euro teurer als online!“ Die Frage, die zudem unausgesprochen im Raum stand, lautete: Kann man Digitales derart viel besser in Analoges verwandeln, dass es einen Preisunterschied von zwei DVD-Rekordern rechtfertigt? Die standen nämlich stapelweise überall rum bei Media Markt, für schmale 25 Tacken das Stück.

„Sie schicken mich zu Amazon!“, warnte ich den Verkäufer. Der fühlte sich jedoch dadurch keinesfalls unter Rabattierungsdruck gesetzt, sondern sah seine Beratertätigkeit, was mich betraf, als beendet an und wandte sich der nächsten Kundin zu.

Meine Ankündigung war eh nicht ganz ernst gemeint, denn statt zu Amazon ging ich lieber rüber zu Conrad schräg gegenüber. Wieder zeigte ich den Ausdruck meines online entdeckten Digital/Analog-Wandlers vor. 

„Ja, den haben wir da“, sagte der Verkäufer mit bereits verdächtig kleinlautem Timbre, „aber für 41,95.“

„Wie bitte?“, keuchte ich, „26 Euro teurer? Allein für die Ersparnis kriege ich bei Media Markt ja einen kompletten DVD-Spieler!“ Der Mann zuckte mit den Schultern. „Sie schicken mich schnurstracks zu Amazon!“, rief ich mit nur halb gespielter Fassungslosigkeit nun schon zum zweiten Mal binnen einer Viertelstunde aus. 

„Ja, was soll ich sagen?“, sagte er, „kann ich verstehen.“

Und dann fuhr ich nach Hause, bestellte bei Amazon für 15,89 den Digital/Analog-Wandler, obwohl ich darauf nun rund drei Tage warten muss – und werde in diesem Leben den Einzelhandel wohl nicht mehr retten, sorry.

08 November 2013

Das Positive an einem Kapselriss

Im Grunde hat ja alles sein Gutes, sogar so was wie Pofalla, obwohl das ungefähr das schlechteste Beispiel ist, das mir einfallen konnte. 

Was Gutes hat es hingegen definitiv, im feierabendlichen Dämmerlicht auf der Wendeltreppe der Zeisehallen eine Stufe zu übersehen. Hätte ich das nicht getan, könnte ich nämlich überhaupt nicht mitreden, wenn Leute mal wieder über einen Kapselriss im Fuß diskutieren. So aber kann ich das problemlos. 

Wer seine Wissenslücken diesbezüglich schließen möchte, sollte einfach mal im Dämmerlicht eine Stufe übersehen. Das geht nicht nur in den Zeisehallen hervorragend, sondern praktisch überall, wo eine Treppe herumsteht. Nur Mut, Bildung ist wichtig! 

In der Nacht danach hatte sich der Bluterguss im inzwischen kürbisähnlich verformten Fuß bis zu den Zehen vorgekämpft, wo er lustige Farbenspiele inszenierte (im Foto rechts), die ich hier aus Gründen der Pietät aber nur in Graustufen abbilde. Jedenfalls ein ästhetischer Hochgenuss, wenn man nicht gerade Hegelianer ist. 

Der Arzt hatte mir am folgenden Morgen mit beruhigenden Worten („Es ist kein Bruch. Auch kein Bänderriss.“) eine elastische Bandage umgewickelt und mich gebeten, ihm in der Apotheke gegenüber auf Rezept eine neue zu besorgen und kommende Woche beim Kontrollbesuch mitzubringen. Pfiffig. 

In der Apotheke fragte mich die Apothekerin: „Sollen wir die Bandage für Sie rüberbringen in die Praxis?“ Erfreut von so viel Dienstleistungsgesellschaft bejahte ich. „Dann bekomme ich fünf Euro“, sagte sie. „Fürs Rüberbringen??? Dann geh ich lieber selbst!“ 

Die fünf Euro waren in Wahrheit natürlich nur der Selbstbehalt, der die Milliardenüberschüsse der Krankenkassen finanzieren hilft. Gleichwohl kam mein kleiner Scherz gut an, wie ich dem glockenhellen Auflachen der Apothekerin entnehmen konnte. 

Wie Sie sehen, hat das Übersehen einer Treppenstufe im Dämmerlicht vielerlei Gutes. Es erhöht sogar die Quantität des Lachens in der Welt, und mehr kann man von einem stinknormalen Kapselriss nun wirklich nicht verlangen.

02 November 2013

Fundstücke (183): Makaber Rhabarber

1. Ms. Columbo und ich wundern uns ja immer über Fernsehmagazine wie „Explosiv“ oder „Brisant“, die trotz ihrer vielversprechenden Titel doch nichts anderes behandeln als das Schicksal eines Soapsternchens, dessen Hamster Blähungen hat. Mit dieser Schlagzeile auf web.de verhält es sich ähnlich, wenngleich genau andersrum: Die Rubrik verheißt Leichtes, und der Hammer untendrunter macht das Ganze unfreiwillig tragikomisch. Merkbefreite gibt es halt nicht nur beim Fernsehen.


2. Immer wieder für Klopfer gut ist, wie wir alle nur zu gut wissen, auch die Hamburger Morgenpost (z. B. hier oder hier). Aber wie sie uns in dieser Schlagzeile etwas außerordentlich Begrüßenswertes (niemand stirbt mehr!) mit „Walking Dead“-artigem Raunen als Horrorszenario unterjubelt, das hat schon eine besondere Chuzpe. Respekt.


3. Wo wir schon beim Thema sind, bleiben wir doch gleich dabei. Die hier zu sehende Aufschrift entdeckte ich unlängst auf einem Transporter in Lokstedt. Dass sich ausgerechnet ein Seniorenzentrum einen Namen gibt, in dem das Wort „sterbe“ vorkommt, ist unter Marketinggesichtspunkten durchaus gewagt. Auch „erbe“ steckt (zwangsläufig) drin, was selbst durch das finale „anal“ nicht mehr richtig rausgerissen wird. Ratschlag: Die Hamburger Friedhöfe sollten dringend mit dem Seniorenzentrum Am Osterbekkanal kooperieren. Es soll ihr Schaden nicht sein.

29 Oktober 2013

Gerettet vom Franken (ich geb’s ja zu)


Eine perfekt choreografierte Pannenserie verhinderte heute Abend das Feierabendbier und sorgte ersatzweise für den wissenschaftlichen Nachweis, dass mein „neuer“ Flohmarkttrenchcoat doch nicht wasserdicht ist. Aber der Reihe nach.

Gegen 17 Uhr schiffte es wie aus Kieztouristenblasen samstagsmorgens um zwei, weshalb ich dem Franken vorschlug, das Schietwetter bei einem Ratsherrenpils im vorzüglichen Restaurant Lila Nashorn auszusitzen. Als bester Freund herzhafter Genüsse fester wie flüssiger Provenienz war er, wie nicht anders zu erwarten, sofort einverstanden.

Keinen Widerstand gegen einen meiner Vorschläge zu leisten, bedeutet übrigens in der Frankenwelt bereits höchstes Lob, weshalb ich mich geradezu geschmeichelt fühlte von seinem grummelig hingemuffelten Ja. Er nahm die Wendeltreppe, ich schob das oben am Balustradengeländer angekettete „neue“ gebrauchte Fahrrad in den legehennenkäfigengen Fahrstuhl, quetschte mich dazu und drückte E für Erdgeschoss. 

Nach wenigen Sekunden blieb der Aufzug stecken. Ich fingerte an den Knöpfen herum, nichts tat sich.  „Franke!“, rief ich, keine Antwort. Handy raus – kein Netz. „FRANKE!!!“ Da plötzlich, gedämpft und von ferne: seine Stimme. Sie klang – und ich schäme mich nicht, das zu sagen – schalmeiengleich in meinen Ohren, denn dadurch war die Chance, hier doch nicht die Nacht verbringen zu dürfen, deutlich gestiegen, es sei denn, der Franke beschlösse, sich für all die als Demütigungen getarnten Hommagen der letzten Jahre (vgl. „Die Frankensaga“) zu rächen und mich meinem Schicksal zu überlassen. 

Tat er aber nicht, dieser raue herzensgute Sohn eines bewundernswert bier-, wurst- und weinorientierten Volksstamms, sondern versuchte Hilfe zu alarmieren. Der Monteur, der bereits den ganzen Tag über am unwilligen Lift herumgeschraubt hatte, sei leider vor wenigen Minuten gegangen, hieß es von einer Passantin, wie mir der Franke, der mich mittlerweile zwischen erstem Stock und Erdgeschoss lokalisiert hatte, zurief. 

Ich drückte derweil einfach mal interessiert den gelben Notknopf des Fahrstuhls, dessen Baujahr man nur mit der Radiokarbonmethode ermitteln könnte. Es machte „MÖÖÖÖÖP!!!“, und zwar in der Kabine. Mir fielen fast die Ohren ab. Das Prinzip Gegensprechanlage war zum Zeitpunkt des Einbaus anscheinend noch fernste Zukunftsmusik gewesen. 

Was nun? Monteur weg, Franke ratlos, Notknopf ohne Außenwirkung – was täte Bruce Willis in solch einer Lage?

Er würde Gewalt anwenden. Ich probierte die Finger am Rand der Tür in den Schlitz zu zwängen. Der Franke auf der anderen Seite kam auf dieselbe Idee – und siehe da, uns zwei vom mittäglichen Roastbeef wohlgestärkten Kraftbolzen gelang es gemeinsam, die heftig widerstrebende Fahrstuhltür brutal aufzuwuchten. 

Ich war frei! Frei! Und inzwischen reif für mindestens zwei Feierabendbier. Doch das Lila Nashorn hatte noch nicht auf und es zudem draußen aufgehört zu regnen – weshalb wir spontan beschlossen, die unverhoffte Trockenphase zu nutzen und doch rasch nach Hause zu huschen. 

Kurz hinterm Lessingtunnel freilich öffnete der Himmel alle Schleusen. Den Überresten des Orkans Christian gefiel es, Regen in horizontalen Fontänen durch Altona und St. Pauli zu peitschen. Und als ich zu Hause auf dem Kiez ankam, hätte man mit dem Auswringwasser meines Trenchcoats ein algerisches Dromedar drei Monate lang vorm Verdursten bewahren können. 

Der Trench freilich trocknet von selber wieder. Das geplante Feierabendbier mit dem Franken aber ist perdu für immer. Es ist so traurig.

28 Oktober 2013

Christian war da

Windstärke zwölf bei wolkenlosem Himmel: So was haben wir in Hamburg auch noch nicht erlebt. 

Dass die Tanzenden Türme dieses Wirbelmonster namens Christian unbeschadet überstanden haben, spricht für die Fachkompetenz der beteiligten Statiker. Der Schöpfer des abgebildeten Reeperbahnbaums indes hat in dieser Hinsicht schwer geschlampt. 

Obgleich man, wie jedes Kind weiß, auf dem Kiez stets geschmeidig, flexibel und fluchtbereit sein muss, beharrte dieser trotzige Vertreter der heimischen Flora auf Standorttreue – und liegt nun dumm rum. 

Was der Sturm auf der Reeperbahn an Chaos anzurichten wusste, glich er allerdings nur wenige hundert Meter weiter schamhaft wieder aus. Am Nobistor nämlich wirbelte Christian die vorher völlig unsortiert herumliegenden Blätter derart sorgsam zu einem kompakten Haufen zusammen, dass es fast nach Wiedergutmachung aussah. 

Der juvenile Impuls, in einem solchen Blätterhaufen wie blöd rumzuspringen, ist übrigens unbezwingbar. Ähem.