11 September 2012

(Fast) Ohne Worte (109)



Entdeckt in einem Fenster in einer Straße, an die ich mich nicht mehr genau erinnern kann. Wahrscheinlich auf dem Kiez.

Obwohl der schnippische Tonfall eher nach Eppendorf riecht.


09 September 2012

Mein kleiner Sonnenschein



Seit das Kleine da ist, hat sich mein Leben, mein Alltag, einfach alles total verändert.

Das Kleine war mit 2030 Gramm ein Leichtgewicht, ganz zart und filigran. Doch seit seiner Ankunft reißt es ununterbrochen die Klappe auf und schaufelt fröhlich in sich hinein, was man ihm auch anbietet. Erstaunlicherweise nimmt es trotzdem kein Gramm zu. Aber das sei normal, sagt Ms. Columbo.

In den ersten Nächten jedenfals bekamen ich und das Kleine kaum eine Stunde Schlaf, weil es immer mehr wollte, mehr, mehr. Aber wenn es mich dann anstrahlt mit diesem gleißend hellen, intensiven und hellwachen Blick, dann kann ich ihm einfach keinen Wunsch abschlagen. Und es gibt mir so viel zurück.

Außerdem ist es unglaublich leise. Echt wahr, das Kleine ist so leise, dass man nicht mal seinen Atem hören kann, das muss man sich mal vorstellen. Und allmählich kommt es auch nachts zur Ruhe. Mittlerweile schläft es manchmal sogar schon sechs Stunden durch, traumlos, wie es scheint.

Kurz: das Kleine ist einfach hinreißend, ich bin total vernarrt. Ich umhege und umsorge es, kann es den ganzen Tag verliebt anstarren, und wenn ich mal raus muss, fühle ich mich sofort unruhig, bin grundlos besorgt und denke nur an zu Hause. Und dann beeile ich mich, zu ihm zurückzukehren, um stundenlang mit ihm herumzuspielen.

Es scheint mich sogar bereits zu erkennen, denn immer, wenn ich ins Zimmer komme und es berühre, leuchtet es augenblicklich auf und strahlt mich hellwach an.

Das Kleine ist wirklich mein kleiner Sonnenschein, ich wüsste gar nicht mehr, wie ich ohne es leben könnte – ohne mein neues MacBook Pro 15" mit 2,6 Gigahertz und 512-SSD-Flashspeicher.

Ich glaube, ich taufe es auf den Namen Retina.


08 September 2012

Pareidolie (48): Terror im Treppenviertel



Wir haben das Blankeneser Treppenviertel von jeher als Oase der Ruhe in Erinnerung.

Man läuft durch umrankte Pfade, schaut Kapitänswitwen in die Rabatten und in der Ferne dem Fluss beim Fließen zu. Und wenn man dann auch noch ein Bänkchen findet zum Sinnieren Arm in Arm, dann ist das Paradies ganz nah.

So war es zumindest in all den Jahren immer, aber diesmal nicht. Nach wenigen Minuten flog eine startende Passagiermaschine über uns hinweg, fünf Minuten später die zweite, dann die dritte und immer so fort.

War das damals auch schon so, dass Blankenese in der Einflugschneise von Fuhlsbüttel liegt? Oder bauen sie gerade da oben eine Umgehungsstraße, und die Flugzeuge fliegen eine Umleitung? Sehr irritierend jedenfalls das alles, möglicherweise sogar schädlich für die traditionell atemberaubenden Immobilienpreise hier im Treppenviertel.

Und das befürchten wohl auch die aufgeregten pareidolischen Blankeneser Schilderfüße.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

05 September 2012

Bombige Erkenntnisse



Eins ist sicher: Das nächste Mal, wenn wir mitten in der Nacht irgendwohin evakuiert werden, legen wir uns sofort auf die dort parat stehenden Pritschen.

Gestern, bei unserem Evakuierungsdebüt wegen 750 Kilo übriggebliebenem Weltkriegssprengstoff, begingen wir nämlich den Fehler, nach dem Eintreffen in der Notunterkunft erst einmal anderthalb Stunden an einen Resopaltisch rumzusitzen und zu twittern und zu lesen, ehe wir uns dann doch endlich hinlegten – und prompt nur fünf Minuten später mit der Entwarnung behelligt wurden.

Um kurz vor 3 Uhr in der Früh lagen wir wieder in unserem Bett auf St. Pauli. Den Stadtteil prägte auch bei unserer Rückkunft noch jene gespenstische Leere, wie sie sonst nur an Weihnachten herrscht und selbst dann nicht.

Es ist übrigens interessant, was man so zusammenrafft, wenn es kurz vor Mitternacht plötzlich heißt: Alle Mann raus hier, in zehn Minuten könnte das Viertel in Schutt und Asche liegen. Meine Wahl fiel auf Folgendes:

– die zum Glück stets reisefertig bestückte Toilettentasche
– eine Haushose
– die Geldbörse
– das iPhone
– den Kindle
– die externe Festplatte mit den jüngsten Time-Machine-Sicherungen
– die Digitalkamera (die ich allerdings versehentlich doch liegen ließ)

Diese Auswahl zeigt eins ganz deutlich: einen erschreckenden Hang zu Gadgets. Und wissen Sie was? Je ne regrette rien. Ich würde es wieder tun.

Obwohl sich mir der Sinn der Haushose gerade nicht mehr so recht erschließen will.

04 September 2012

Ein Königreich für einen Bunker



Typisch: Wir kriegen mal wieder ü-b-e-r-h-a-u-p-t nichts mit. Erst dank einer besorgten SMS von German Psycho aus Mallorca (!) erfahren wir soeben vom Fund zweier Weltkriegsbomben auf dem Heiligengeistfeld, das dummerweise um die Ecke liegt.

Ein Schnellcheck auf Spiegel online ergibt nichts, und just als ich eine Antwort à la „Wovon reden Sie überhaupt?“ tippen will, kommt von draußen auch schon eine polizeiliche Lautsprecherdurchsage – Inhalt: alle pronto ab nach Hause, Fenster und Türen schließen, ab Mitternacht wird zurückentschärft. „Irgendwas ist hier immer“, mault Ms. Columbo.

Seit dieser Durchsage können wir zusehen, wie der Kiez allmählich zur Ruhe kommt. Das übliche Gepöbel wird rar, kaum noch ein Auto fährt durch die Seilerstraße, nur das ewige Surren der Klimaanlage der Spielothek gegenüber hält die Stellung.

Dieses Surren übrigens wird nicht nur zwei Weltkriegsbomben auf dem Heiligengeistfeld überleben, sondern auch die Apokalypse. Wie die Kakerlaken und Chuck Norris.

Ich glaube, ich nutze diese präexplosive Stille und lege mich heute einfach mal früh schla (bummmm)


02 September 2012

Was ist schon normal?



„8 Euro 10 für ESSEN??? Spinnst du?“

Die kompakte Struwwelblonde mit Sonnenbrille fasst es einfach nicht. Ihr Freund, ein schlaksiger Softie mit Brille und Zopf, steht peinlich berührt vorm Kiezbäckertresen im Silbersack und will dem Verkäufer gerade einen Zehner rüberreichen.

„NEIN! Das! Tust! Du! Nicht!“, schreit sie, springt vor, entreißt ihm den Schein, springt zurück und bleibt kampfeslustig im Ladeneingang stehen. Der Kiezbäcker schaut ungerührt. Die Brötchentüte liegt auf dem Tresen.

Halb dreht sich der Schlaks zu seiner Herzallerliebsten um, in einer unschlüssigen Bewegung, die alles sagt über die Machtverhältnisse ihrer Beziehung. „Hör mal …“, setzt er an mit mausgrauem Stimmchen, doch sie unterbricht ihn mit einem bestechenden Argument: „8 Euro 10 für BRÖTCHEN??? Bist du BESCHEUERT?“

Er lächelt schmerzlich. „Es sind ja nicht nur Bröt…“ „NEIN!“, schreit sie, „NEIN!“ Er blickt sich entschuldigend um, doch ich erwidere seinen Blick nicht. Ich käme halt nur gerne bald dran.

Allerdings ist sonntagsmorgens beim Kiezbäcker meine Langmut groß, schon aus Sicherheitsgründen: Man weiß nie, wer von der Nacht übrigblieb und in welchem mentalen Aggregatzustand. Man weiß nie, welche Handlungsoptionen den von all dem eventuell beträchtlich geschädigten Hirnen im Eskalationsfall plausibel erscheinen.

Geduld, unbeteiligtes Herumstehen, leises „La Paloma“-Pfeifen: Das sind Strategien, um den frühmorgendlichen Brötchenkauf mit hoher Wahrscheinlichkeit unfallfrei zu absolvieren. Und live bei öffentlichen Konflitklösungsstrategien dabei zu sein, ist ja auch von wissenschaftlichem Interesse (ich hatte Soziologie im Nebenfach).

„Komm, gib mir die zehn Euro wieder“, fleht er sie leise an. „Du bist BESCHEUERT!“, ruft die Blonde aus sicherer Entfernung. Er begreift, hier ist verbal kein Weiterkommen. Erneut kramt er in seiner Börse. Dort findet er noch einen Zehner, den er dem Kiezbäcker rüberreicht.

„NEEEIIIN!“, schreit es von der Tür her. Nach Kassieren des Wechselgeldes kostet ihn die Tüte jetzt schon 18 Euro 10, denn von der Blonden kriegt er den entwendeten Zehner mit Sicherheit nicht wieder zurück, schon aus Prinzip nicht.

Der Kiezbäcker hat das alles mit der stoischen Gelassenheit eines Streetworkers bzw. Kriegsreporters verfolgt. Wahrscheinlich denkt er das Gleiche wie vergangenen Sonntag, als er die Kundenorder „Drei normale und ein Franzbrötchen“ mit der abgeklärten Gegenfrage „Was ist schon normal?“ beseufzte.

Und dann bin ich auch schon dran.

PS: Das Bild ist übrigens nur ein Symbolfoto. Der Kiezbäcker hat viel bessere Brötchen. Viel bessere!

31 August 2012

Noch eine undichte Stelle



Heute feierten die Zeitschrift Titanic sowie ihr politischer Arm, die Partei DIE PARTEI, ihren juristischen Sieg über den Papst (vgl. Blogeintrag von gestern) auf dem Gehsteig vorm Hamburger Landgericht.

Die Juliausgabe des Heftes mit dem Slogan „Die undichte Stelle ist gefunden!“ darf jetzt wieder frei verkauft und somit auch abgebildet werden (siehe oben links). Allerdings musste ich vor Ort feststellen, dass zumindest ein Mitglied der Partei DIE PARTEI dem Papst auf allzu authentische Weise nacheifert (siehe oben rechts).

Und ich meine damit nicht, dass sein Anzug beschissen sitzt.

30 August 2012

Geplatzt



Er hätte so schön werden können, mein Tag morgen im Landgericht. Minutiös war alles durchgeplant.

Zum Aufwärmen um 9:55 Uhr wäre entschieden worden, wie viel Kohle Günther Jauch dem Gong-Verlag entwringen darf. Um 10:30 dann die Unterlassungsklage der Volksmusikerin Stefanie Hertel gegen den Klambt-Verlag, ehe in der gleichen Sache um 12 Uhr erneut Günther Jauch tätig geworden wäre.

Alles natürlich nur Geplänkel vorm Hauptkampf um 13:30 Uhr: Papst Benedikt XVI. gegen die Titanic. Gut gegen Böse, Soutane gegen Satire: Das war mein Ziel, deshalb wäre ich hingegangen, hätte mich durch Jauch, Hertel & Co. gekämpft, heimlich nicht nur Hasenbrote reingeschmuggelt, sondern möglichst auch das iPhone zum Livetwittern aus dem Gerichtssaal.

Doch zu meiner namenlosen Enttäuschung ließ Gottes Stellvertreter hienieden heute Nachmittag den Prozess platzen. Er kniff den Schwanz ein, was natürlich nur im übertragenen Sinne gemeint ist.

Was mach ich jetzt morgen an meinem freien Freitag – nur Jauch und Hertel ohne Ratzinger? Immerhin bleibt mir das oben zu sehende Bild. Es zeigt die außergewöhnlich schlecht getroffene Wachsfigurenversion des Papstes und lag neulich auf der Reeperbahn, flankiert von einem toten Ast.

Was immer das zu bedeuten hat.

27 August 2012

Der alte Kacker



Vor der Postfiliale unten an der Ecke zieht ein betagter Raucher öffentlich die Hosen runter, um den Straßenbaum zu düngen – und zwar nicht flüssig, wie es alle tun, sondern fest, was zwar seltener, doch nach meinem Geschmack noch immer erheblich zu oft vorkommt.

Danach steht er auf, zieht – ohne sich in irgendeiner Form zu säubern – die Hosen wieder hoch und durchwühlt unverzüglich einen nahen Mülleimer nach leeren Flaschen. Er findet drei.

Diese doch recht betrübliche Beobachtung dokumentiere ich nur der Fairness halber für alle jene, die erwägen, auf dem Kiez für 14 €/qm aufwärts eine Wohnung zu beziehen, weil es hier ja so wahnsinnig „hip“ ist.

Übrigens wüsste ich auf die Schnelle auch nicht, wo der alte Kacker sein Geschäft sonst hätte halbwegs sozialkompatibel verrichten sollen. In den zahllosen umliegenden Kneipen wäre er keinesfalls unbeschadet bis zu den Sanitäranlagen vorgedrungen, und das öffentliche Pissoir auf der Reeperbahn ist für die Aufnahme von Feststoffen gar nicht ausgerüstet.

Insofern imitierte er lediglich das von breiten Bevölkerungsschichten fatalistisch tolerierte Verhalten hiesiger Hunde, an deren Aa Herr- und Frauchen ebenfalls jegliches Interesse verlieren, wenn es erst einmal das Licht dieser deprimierenden Welt erblickt hat.

Sonst war es aber ein schönes Wochenende.



26 August 2012

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (76)



Was Hamburg von Paris unterscheidet.

Entdeckt auf der Reeperbahn.


PS: Wer es nicht entziffern kann: Auf dem Schild stand mal „Moulin Rouge“.


24 August 2012

Diese dummen Diebe



Die beiden schwarzen Plastikbänder da rechts am Fahrradlenker baumeln nutzlos in der Luft. Aus gutem Grund: Sie hielten bislang meinen Tacho in Position, und der wurde mir gerade geklaut.


Erstaunlicherweise
geschah das erst ein halbes Jahr nach seiner Befestigung, was nur einen Schluss zulässt: Die Hamburger Diebe leiden unter bestürzender Formschwäche.

Dafür spricht auch, dass der fürs Abmontieren Verantwortliche das Tachopendant am Vorderrad unangetastet ließ. Das ist ungefähr so clever, als klaute man nur einen Schuh.

Doch vielleicht, lieber Dieb, kann ich Sie über Ihr Versäumnis hinwegtrösten, indem ich Ihnen nachrufe, dass das Ensemble sich eh von Anfang an tapfer jedweder Inbetriebnahme gesperrt hatte. Vulgo: Die beiden blödsinnigen Billigteile (von Aldi, glaub ich) haben nie auch nur eine Sekunde lang funktioniert.

Und wozu überhaupt ein Tacho? Dafür habe ich schließlich Google Latitude. Kurz: Ich bin froh, dass er weg ist, der Schamott.

Leider nur zur Hälfte.


21 August 2012

Der Schrank des Schreckens



Neulich im überfüllten ICE. Wir sitzen im Gang auf dem Boden, gemeinsam mit einer Polizistin, die einen Roman liest, wahrscheinlich von Stieg Larsson.

Plötzlich, in einer Kurve, schwingt der verglaste Schrank mit den Werbedisplays auf und donnert volley gegen die Klotür. Hätte gerade jemand das Örtchen verlassen wollen, läge er jetzt mit Schädelbasisbruch unter der Vakuumschüssel.

Ich versuche den wieder zurückschwingenden Schrank – übrigens ein circa zentnerschwerer Trumm – wieder zuzudrücken, doch nirgends rastet etwas ein. Bei der nächsten Kurve schwingt er wieder auf und gefährdet Menschenleben.

Ich kämpfe mich durch den Zug und erkläre drei Wagen weiter einer Schaffnerin das Problem. „Isch kümmär misch“, sagt sie ohne hochzuschauen, ihr Akzent ist frankophil, der ICE kommt ja auch aus der Schweiz. Wieder zurück stelle ich mich an den Schrank, damit er nicht aufschwingt. Nach einer Viertelstunde wechsle ich mich mit der Polizistin ab, die im Stehen weiterliest.

Vom Zugpersonal lässt sich niemand blicken. Eine halbe Stunde nach der Erstmeldung kämpfe ich mich erneut durch den Zug, um zu erfahren, was denn jetzt Sache sei in Sachen Kundenleben retten. Im Zugbegleiterabteil finde ich alle Bediensteten in trauter Runde, auch die Frankophone.

Wo sie denn bliebe, frage ich ob der lässigen Herumlungerei mit unverhohlener Erregung. „Isch bin seit Basäl an Bord“, sagt sie müde aufschauend, „isch ’abe auch nur swei Füßö!“

Das regt mich noch mehr auf, ich zetere herum, schimpfe, blöke, aber alle schauen mich nur mit halb heruntergelassenen Jalousienlidern derart öde an, als wäre ich ein Film mit Adam Sandler.

Ich dampfe zornschnaubend ab, die Polizistin lächelt bei meiner Rückkehr weise ob meiner Schilderung. Eine weitere Viertelstunde später kommt endlich ein Offizieller und erschrickt beim Anblick der Polizistin. Wahrscheinlich denkt er, sie sei inzwischen alarmiert worden und sichere den Tatort. Mit grimmigem Vergnügen lasse ich ihn in dem Glauben.

Eilfertig untersucht er den Displayschrank.
„Völlisch richtisch, was Se sache“, wendet er sich dann beifallheischend an mich, während er mit einem Auge die Polizistin im Blick behält, „ä Sichäheidsrisigo. Mer müsse de Waache ewwaguiere.“

Meint er „evakuieren“? Haben Sie das auch gehört? Erst eine Stunde lang unbeeindruckt die eigene Kundschaft der Gefahr, nach dem Toilettengang zügig erschlagen zu werden, anheimstellen, und dann auf einmal ewaguiere wollen?? Eine unkalkulierbare Verspätung in Kauf nehmen? Auf Spiegel online landen? Nein, nein, so haben wir nicht gewettet, ICE-Begleiter!

Haben wir auch nicht, denn mit einem Schraubendreher schafft der Mann es doch, den Schrank des Schreckens irgendwie zu fixieren. Er evakuiert nicht, und es gibt auch keine Toten. Wir sitzen wieder im Gang, außer Gefahr.

Die Polizistin schaut mich an und lächelt mit jenem spöttischen Fatalismus, den jeder regelmäßige Bahnnutzer im Lauf der Zeit mimisch virtuos zu beherrschen lernt. „Er hätte uns ja wenigstens“, sagt sie, „ein Freigetränk spendieren können.“

Aber man darf nicht zu viel verlangen. Immerhin haben wir überlebt.

19 August 2012

Blau gemacht



Überseebrücke mit Elbphilharmonie im Hintergrund



Hafen, Schaufelraddampfer



Cap San Diego, 90-Grad-Blick über die Reling aufs Wasser



Michel



Reste des Cruise-Days-Feuerwerks über der Reeperbahn



Hafencity, ein weiteres neues Architektenschelmenstück



Seilerstraße, nach einem Windstoß


16 August 2012

Eine Frage von Leben und Tod



Heute morgen plötzlich saß dieses Insekt an der Badezimmerdecke. Die Decke ist ziemlich hoch, da kommt man ohne Leiter nicht ran. Es sei denn, man stellte sich auf den Badewannenrand, aber einen Oberschenkelhalsbruch riskieren wegen eines Insekts?

Entscheidend ist eh, um was genau es sich handelt. Ist es eine Motte oder ein Schmetterling? Diese Frage entscheidet über Leben und Tod.

Wir beschlossen, erst einmal abzuwarten. Das Tier sollte selbst über sein Schicksal entscheiden – egal, ob es nun Motte war oder Schmetterling. Also öffneten wir morgens, bevor wir die Wohnung verließen, das Badezimmerfenster sperrangelweit. Eine Option. Eine Chance.

Als wir abends zurückkamen, saß das Insekt noch immer an der exakt gleichen Stelle. Ein Beharrungsvermögen, das mir Respekt abnötigt. Langweilt es sich nicht, so ohne In- und Output? Hat es nichts zu tun? Keine Verpflichtungen? Was sagt die Familie dazu? Hat sie schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben?

Fragen, auf die das Insekt keine Antwort wusste. Oder jedenfalls keine gab. Ms. Columbo richtete einen Fön auf das Tier. Seine Flügel flatterten im heißen Luftstrom, doch bewegte es sich keinen Millimeter. Es blieb sitzen, wie angewurzelt.

Abends verließen wir das Haus. Vorher hatten wir erneut das Badezimmerfenster offengelassen. Als wir nach Hause kamen, saß der geflügelte Stoiker noch immer an der gleichen Stelle. Muss er denn nicht fressen? Und wenn ja, was – meine bügelfreien Oberhemden?

Dieses da an der Decke sitzende Tier verändert das Klima in der Wohnung. Wir fühlen uns wenn nicht bedroht, so doch stumm belagert. Dabei tut es nichts, gar nichts. Es sitzt nur da, als hätte es alle Zeit der Welt. Als lauerte es auf seine Chance.

Sicherlich weiß es nicht, dass ich eine Waffe in der Hinterhand habe, bei der ihm auch die Deckenhöhe nichts mehr nützte: einen Staubsauger. Aber ich würde natürlich nur eine Motte dieser letalen Behandlung unterziehen, keinen Schmetterling.

Ist vielleicht ein Zoologe anwesend? Das wäre super. Bis zur gerichtsfesten Identifikation der Spezies belassen wir es erst mal weiter bei einem sperrangelweit offenen Badezimmerfenster.

Der Staubsauger scharrt allerdings schon mit den Hufen. Nur dass Sie’s wissen.



14 August 2012

Lattentreffer



Nach der Schreibtischfron begab sich abends eine Truppe fideler Gesellen gen Adolf-Jäger-Kampfbahn (welch ein Name!), um ebenda dem Vorbereitungsspiel des HSV bei den Amateuren von Altona 93 beizuwohnen.

Was als gepflegtes Beiprogramm eines linden Sommerabends geplant war, wurde phasenweise schier historisch. Der Fünftligist nämlich führte nach nur 19 Minuten 2:0 und zur Halbzeit noch immer 2:1 – ein Zwischenstand, den spontan auf ein Trikot zu drucken wohl jeder FC-St.-Pauli-Fan im Stadion kurz erwog.

Zu Beginn der zweiten Hälfte traf Son die Latte, kurz darauf rannte ein blitzeblanker Flitzer übern Platz. „Umgekehrt“, sagte Ms. Columbo, als ich ihr davon erzählte, „wäre es interessanter gewesen.“

Ich wusste sofort, was sie meinte.

12 August 2012

Albern an der Trave



Am Strand von Travemünde sah es heute wirklich prachtvoll aus. Den für diese Jahreszeit erheblich zu kühlen Wind in ostseeunüblicher Stärke, der uns ungemein zusetzte, sieht man auf diesem Foto freilich nicht.

Wir versuchten ihm mit Fußballspielen im Sand, Frisbee im Wasser und erheblichem Rotweinkonsum auf den nur mühsam zu bändigenden Sitzdecken zu trotzen, doch er war letztlich stärker. Morgen werden wir wahrscheinlich alle in jenem niesintensiven Zustand sein, in dem der arme Einheitskanzler bereits anreiste.

Dem Franken flog ein Insekt mit Tigerstreifen in den 2009er Saint Chinian, was eine gute Gelegenheit bot, den bereits getwitterten Kalauer von der „schusssicheren Wespe“ auch verbal noch einmal anzubrigen. Vorher hatte ich Ms. Columbo bereits erheitert mit diesem hier: „Kräuterdiplom bestanden – mit Basili cum laude“.

Wie man sieht, schafft es auch der schärfste Travemündener Wind nicht, uns die Albernheit aus den Hirnen zu blasen.


10 August 2012

Ein Wutbürger



Der Mittdreißiger, der drahtig und wirrhaarig durch die Seilerstraße (Foto) stampft, schreit, schimpft und brüllt vor sich hin. Dabei ist er ganz alleine. Nirgends ein konkreter Adressat für seine fäkalverbalen Wutkanonaden.

Wir stehen auf dem Balkon und schauen ihm sinnierend nach. „Wahrscheinlich Tourette“, vermute ich. „Ja“, sagt Ms. Columbo, „auch wegen der Bewegungen.“ „Tourette – oder einfach Kiez“, ergänze ich.

Kurz: Das Wochenende hat begonnen.

08 August 2012

Fundstücke (163)



1. Der am Holstenplatz entdeckte Volldeppenapostroph erfüllt bereits den Tatbestand der Selbstverstümmelung. Es sei denn, der Namensgeber des Restaurants hieße in der Tat „Alfon“. Dann will ich kaum was gesagt haben.
 

2. Als wir in Frankreich waren, habe ich sie schon ein bisschen vermisst, gloriose Mopo-Sätze wie diese: „Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul machte sie sich unsterblich, daran änderte auch ihre Beerdigung 1998 nichts.“ Oder der hier: „Sie könnte seine Enkelin sein, wenn sie ein Mensch wäre – oder er ein Pferd, je nachdem.“ Na ja, jetzt werden wir ja wieder versorgt mit solchen Meisterstücken, aber nur zweimal die Woche. Jede Dosis darüber hinaus könnte sich auf unser Artikulationsvermögen auswirken, und das wollen wir nicht riskieren.



3. Keine Ahnung, warum die Verbreitung dieses lobenswerten sanitären Einrichtungsgegenstandes rückläufig ist, denn der Bedarf scheint mir seit Jahren eher zu wachsen. Das Marburger Restaurant Zur Sonne jedenfalls widersteht dem Zeitgeist und lässt es trotzig drin: das altehrwürdige Kotzbecken.



2. An diesem Freud’schen Verschreiber auf immonet.de kann man gut erkennen, auf welch fruchtbaren Boden das Denken der Occupybewegung schon längst gefallen ist. Prognose: Die Reichensteuer kommt durch.

07 August 2012

Im Pokalfieber



Ein Abend mit (der gertenschlanken) Lena Meyer-Landrut, die uns ihr neues Album vorstellen will.

Sie hat den berühmten Pokal mitgebracht, den sie 2010 als Sensationssiegerin des Eurovision Song Contest in Oslo ergatterte. Ich kenne ihn aus dem Fernsehen. Jetzt allerdings steht er einsam auf der Fensterbank, und ich beginne mit der Kollegin D. Pläne zu schmieden, wie wir das Ding unauffällig außer Haus bugsieren könnten.

„Schließlich brauchen wir was fürs Alter“, begründet D. sehr nachvollziehbar, „das Ding können wir irgendwann auf Ebay versteigern.“ „Nein, bei Sotheby’s“, korrigiere ich. „Bringt mehr.“

Der Pokal ist ziemlich groß und außerdem schwer, wie ich nach einem Hebetest feststellen muss. Eindeutig massives Kristallglas. Und in D.s Handtasche passt er nicht rein.

In Frauenhandtaschen – winzigkleiner Exkurs – passt übrigens nie was rein, wahrscheinlich nicht mal ein Nanopartikel, den man zufällig auf der Straße gefunden haben könnte, sofern er groß genug wäre, dass man ihn ohne Mikroskop sähe. Ein ESC-Siegerpokal jedenfalls passt schon mal gar nicht in eine Frauenhandtasche.

Ich bin gänzlich ohne mobilen Stauraum da, erwäge aber findigerweise meine mitgebrachte Jacke zur Pokaleinwicklungsdecke umzuwidmen und D. zwecks Absicherung als bewegliche Camouflage zu benutzen.

Doch dann gibt es auch schon das Menü; wir ergeben uns augenblicklich willig der Befriedigung elementarer Bedürfnisse und verwerfen alle Pläne hinsichtlich unserer Altersversorgung.

Zum Nachtisch schneidet Lena auch noch Käsekuchen für uns, und so einer fürsorglichen jungen Frau kann man – auch wenn sie gertenschlank ist – unmöglich einen Kristallglaspokal stibitzen, das sieht auch die zunächst murrende D. ein.

Das Album kommt übrigens Mitte Oktober.