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04 Juli 2012
Reiher in Gefahr
Nennen Sie mich ruhig pareidolid, aber mal ehrlich: Erinnert der Baumstamm, auf dem dieser Reiher so apart die Flügel spreizt, nicht fatal (ja geradezu letal) an ein Krokodil? Ich finde schon.
Gleichwohl rubriziere ich diesen Beitrag nicht unter der wahnsinnig beliebten Pareidolierubrik, weil das eherne Prinzip, nur Menschengesichter in Zufallsmustern zu entdecken, nicht von einer simplen Echse außer Kraft gesetzt werden sollte.
Ob der Reiher das alles überlebt hat, weiß übrigens nur der Gärtner von Planten un Blomen.
02 Juli 2012
Die Traubennascherin
Weil ich keinen kleinen Schein hatte, um bei Ms. Columbo zehn Euro Schulden zu begleichen, schleppte ich sie zu Penny. Das ist der einzige Laden auf dem Kiez, der abends nach acht noch geöffnet hat – außer dem Notladen in der Davidstraße, dessen obszöne Geschäftszeiten sich allerdings auch adäquat in den Produktpreisen niederschlagen.
„Komm, wir gehen zu Penny, ich kaufe irgendwas Nützliches“, hatte ich ihr vorgeschlagen, „und vom Wechselgeld bezahle ich dann meine Schulden.“ Ein gewiefter Plan, und so schlenderten wir in linder Abendluft über die Reeperbahn zum Pennymarkt, der seit einem Umbau von vor einigen Monaten an Preis- wie Kundenniveau zugelegt hat, wobei das eine das andere wohl bedingt.
Am Obststand sahen wir eine junge schöne Schwarze in gepunkteten Leggings, die sich sorgsam umschaute und immer, wenn sie keinen Detektiv erspähte, in die offenen Traubentüten griff und naschte.
Unterhalb eines gewissen und noch zu definierenden Grundeinkommens sollte es meines Erachtens jedem gestattet sein, sich an offenen Obst- oder Gemüsepackungen zu laben, und anscheinend geht der deutsche Einzelhandel bereits von diesem Gebaren aus, denn warum sonst werden z. B. Erdbeeren immer an der Kasse gewogen?
Mir war diese Tatsache gar nicht bekannt, aber Ms. Columbo klärte mich auf, während die Leggingsfrau sich mit wach umherschweifendem Blick die nächste Traube in den Mund schob.
Nachdem ich Lollo Rosso, Rauke, Tomaten und Forellenbirnen mit einem Fünfziger gezahlt hatte, hielt ich beim Rausgehen zwei Zwanziger in der Hand, und Ms. Columbo konnte nicht rausgeben.
Ich hasse es, Schulden zu haben. Aber was soll ich machen.
PS: Der oben scheinbar völlig zusammenhanglos abgebildete Mops lag zwar bei Edeka rum und nicht bei Penny, aber Einzelhandel ist Einzelhandel, Punkt.
30 Juni 2012
Pareidolie (47)
Unter den Blinden ist die einäugige iPhone-3GS-Handyhülle Königin.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
29 Juni 2012
27 Juni 2012
Ich wollte nur helfen
Gegen 22:15 Uhr Schreien und Weinen unten auf der Straße. Eine junge Frau lehnte krumm an einem Lieferwagen, als wäre sie verletzt. Leute gingen vorüber und kümmerten sich nicht. Samariter Matt war also gefragt.
Ich zog mich an, doch als ich runterkam, war sie bereits einige zehn Meter die Seilerstraße westwärts entlanggetaumelt. Man hörte aber immer noch gut, wo sie war. Ich holte sie vor der Musicalschule ein und fragte, ob ich helfen könne. Viel war nicht zu verstehen. Sie heulte Rotz und Wasser (keine Metapher) und lallte Wortfetzen wie „Herz gebrochen“, „belogen und betrogen“, „will sterben“.
Ihren Namen kriegte ich immerhin raus, nachdem ich mich zunächst selbst vorgestellt hatte, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie hieß Anja (zumindest nenne ich sie hier so). Nachfragen nach Freunden oder Verwandten, die ich hätte anrufen können, blieben fruchtlos.
Auf meinen Vorschlag, mit ihr zu Davidwache zu gehen, reagierte sie wie Dracula auf den Anblick eines knoblauchumrankten Kruzifixes. Stattdessen zog sie mich schluchzend und schreiend Richtung Hamburger Berg (Foto), weil dort irgendwo ihre Sachen lägen. Ich stützte sie halbwegs, während sie immer wieder auf ihren zu langen Schal trat, und versuchte uns Richtung Bürgersteig zu dirigieren, doch sie bestand in ihrem Elend auf einer Schlangenlinieroute straßenmittig.
Vorm italienischen Restaurant Don Camillo & Peppone saß eine Gruppe Gäste, die rübergafften. Hätte ich an ihrer Stelle auch getan, denn auf sie wirkten wir bestimmt wie ein Lude mit seiner durchgeknallten Hure. „Was guckt ihr denn so blöde?“, schrie Anja. Dann griff sie so schnell, dass ich überhaupt nichts mehr machen konnte, nach einem metallenen Sektkübel, der auf einem unbesetzten Tisch stand, und schleuderte ihn mit der Treffsicherheit eines Dirk Nowitzki auf die Gruppe.
Der Kübel traf eine Frau, die sich im Aufspringen drehte, am Rücken; von seinem Inhalt hatten aber alle was. Entgeistert zog ich die weiter schreiende Anja am Arm zurück und versuchte gleichzeitig deeskalierend auf den gorillaartigen Vierschröter einzuwirken, der brüllend vor Wut und Rachlust auf uns zustürzte, um die Ehre seiner triefenden Begleiterinnen wiederherzustellen.
Ich schleifte Anja in rasender Eile weg von der Szenerie, auch im eigenen Interesse, denn eigentlich war ich mental lediglich darauf eingestellt gewesen, einem Menschen in Not beizustehen, keineswegs aber, an seiner Statt eine Tracht Prügel einzustecken.
Der Gorilla blieb zu meiner großen Erleichterung stehen und beließ es bei einer Schimpfkanonade. „Fotze!“, schrie Anja, während ich sie anschrie, sie solle verdammt noch mal aufhören mit dem Scheiß.
An einem Hauseingang vorm Sexkino am Hamburger Berg lagen ihre ganzen Sachen: mehrere Taschen mit Kleiderzeugs, auch ihre Handtasche. Inzwischen war sie wieder im Rotz-und-Wasser-Modus, brach halb zusammen, fiel aber nie um.
Mühsam schaffte ich es, sie auf einen Plastikstuhl zu setzen. Ich wollte ihr ein Taxi nach Hause spendieren, denn in ihrem erbärmlichen Zustand konnte sie diese arktische Juninacht unmöglich überstehen. Doch belastbare Angaben zu ihrer Adresse waren keine aus ihr rauszubekommen, stattdessen fiel sie im Sitzen in sich zusammen wie eine Narkoleptikerin, mit dem Kopf zwischen den Knien.
Ich rief die 112 an, nach fünf Minuten kam ein Notarztwagen. „Sie heißt Anja und wohnt in Wilhelmsburg“, informierte ich die Sanitäter. „Wir übernehmen“, sagte einer der beiden jovial. Erleichtert ging ich nach Hause.
„Matthias!“, hörte ich es plötzlich hinter mir schreien. Ich drehte mich um und sah Anja auf mich zutaumeln wie ein Zombie aus „The walking Dead“: der Körper x-förmig abgeknickt, das rechte Bein nachziehend, die Arme wie willenlos baumelnd, ihr Schal schleifte über die Straße.
Als sie mich erreicht hatte und sich an mich hängte wie ein Wäschesack, bog der Krankenwagen um die Ecke und hielt an. Der Sanitäter auf der Beifahrerseite hatte das Fenster runtergekurbelt. Er grinste mir zu, zuckte mit den Schultern – und dann fuhren sie davon. WTF?
„Warn großer Fehler, n Kranknwan’g zu rufn!“, lallte Anja und begann wieder zu weinen. Herz gebrochen, belogen und betrogen, sie will sterben. Ich begleitete sie zurück zu ihren Sachen, als plötzlich wie aus dem Boden gewachsen zwei Polizisten vor uns standen.
„Alles in Ordnung?“, fragte mich der mit dem Unterlippenbart, den ich aus diversen Spiegel-TV-Reportagen über die Davidwache kannte. Ich verneinte und beschrieb kurz Anjas Zustand. Den Zwischenfall mit dem Sektkübel behielt ich für mich.
Anja, deren Artikulationsrepertoire bisher nur in Lallen, Schluchzen, Schreien, Weinen und Lamentieren bestanden hatte, ratterte wie ferngesteuert Namen und Adresse runter. Der Unterlippenbart wandte sich an mich und flüsterte: „Die ist total auf Crack.“
Auf so was wäre ich Naivling wieder mal alleine nicht gekommen. „Haben Sie noch all ihre Sachen?“, fragte er. Ich tastete mich ab, alles noch da. „Kümmern Sie sich um sie?“, fragte ich ihn. Er nickte. Ich winkte der zuckenden, winselnden Anja zum Abschied unsicher zu und ging nach Hause.
Als ich bei Don Camillo & Peppone vorbeikam, war der Tisch leer, an dem vorhin die Gruppe gesessen hatte. Um ihn herum war der Boden nass. Plötzlich hörte ich hinter mir, wie sie meinen Namen schrie.
Ich beschleunigte meinen Schritt.
Ich zog mich an, doch als ich runterkam, war sie bereits einige zehn Meter die Seilerstraße westwärts entlanggetaumelt. Man hörte aber immer noch gut, wo sie war. Ich holte sie vor der Musicalschule ein und fragte, ob ich helfen könne. Viel war nicht zu verstehen. Sie heulte Rotz und Wasser (keine Metapher) und lallte Wortfetzen wie „Herz gebrochen“, „belogen und betrogen“, „will sterben“.
Ihren Namen kriegte ich immerhin raus, nachdem ich mich zunächst selbst vorgestellt hatte, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie hieß Anja (zumindest nenne ich sie hier so). Nachfragen nach Freunden oder Verwandten, die ich hätte anrufen können, blieben fruchtlos.
Auf meinen Vorschlag, mit ihr zu Davidwache zu gehen, reagierte sie wie Dracula auf den Anblick eines knoblauchumrankten Kruzifixes. Stattdessen zog sie mich schluchzend und schreiend Richtung Hamburger Berg (Foto), weil dort irgendwo ihre Sachen lägen. Ich stützte sie halbwegs, während sie immer wieder auf ihren zu langen Schal trat, und versuchte uns Richtung Bürgersteig zu dirigieren, doch sie bestand in ihrem Elend auf einer Schlangenlinieroute straßenmittig.
Vorm italienischen Restaurant Don Camillo & Peppone saß eine Gruppe Gäste, die rübergafften. Hätte ich an ihrer Stelle auch getan, denn auf sie wirkten wir bestimmt wie ein Lude mit seiner durchgeknallten Hure. „Was guckt ihr denn so blöde?“, schrie Anja. Dann griff sie so schnell, dass ich überhaupt nichts mehr machen konnte, nach einem metallenen Sektkübel, der auf einem unbesetzten Tisch stand, und schleuderte ihn mit der Treffsicherheit eines Dirk Nowitzki auf die Gruppe.
Der Kübel traf eine Frau, die sich im Aufspringen drehte, am Rücken; von seinem Inhalt hatten aber alle was. Entgeistert zog ich die weiter schreiende Anja am Arm zurück und versuchte gleichzeitig deeskalierend auf den gorillaartigen Vierschröter einzuwirken, der brüllend vor Wut und Rachlust auf uns zustürzte, um die Ehre seiner triefenden Begleiterinnen wiederherzustellen.
Ich schleifte Anja in rasender Eile weg von der Szenerie, auch im eigenen Interesse, denn eigentlich war ich mental lediglich darauf eingestellt gewesen, einem Menschen in Not beizustehen, keineswegs aber, an seiner Statt eine Tracht Prügel einzustecken.
Der Gorilla blieb zu meiner großen Erleichterung stehen und beließ es bei einer Schimpfkanonade. „Fotze!“, schrie Anja, während ich sie anschrie, sie solle verdammt noch mal aufhören mit dem Scheiß.
An einem Hauseingang vorm Sexkino am Hamburger Berg lagen ihre ganzen Sachen: mehrere Taschen mit Kleiderzeugs, auch ihre Handtasche. Inzwischen war sie wieder im Rotz-und-Wasser-Modus, brach halb zusammen, fiel aber nie um.
Mühsam schaffte ich es, sie auf einen Plastikstuhl zu setzen. Ich wollte ihr ein Taxi nach Hause spendieren, denn in ihrem erbärmlichen Zustand konnte sie diese arktische Juninacht unmöglich überstehen. Doch belastbare Angaben zu ihrer Adresse waren keine aus ihr rauszubekommen, stattdessen fiel sie im Sitzen in sich zusammen wie eine Narkoleptikerin, mit dem Kopf zwischen den Knien.
Ich rief die 112 an, nach fünf Minuten kam ein Notarztwagen. „Sie heißt Anja und wohnt in Wilhelmsburg“, informierte ich die Sanitäter. „Wir übernehmen“, sagte einer der beiden jovial. Erleichtert ging ich nach Hause.
„Matthias!“, hörte ich es plötzlich hinter mir schreien. Ich drehte mich um und sah Anja auf mich zutaumeln wie ein Zombie aus „The walking Dead“: der Körper x-förmig abgeknickt, das rechte Bein nachziehend, die Arme wie willenlos baumelnd, ihr Schal schleifte über die Straße.
Als sie mich erreicht hatte und sich an mich hängte wie ein Wäschesack, bog der Krankenwagen um die Ecke und hielt an. Der Sanitäter auf der Beifahrerseite hatte das Fenster runtergekurbelt. Er grinste mir zu, zuckte mit den Schultern – und dann fuhren sie davon. WTF?
„Warn großer Fehler, n Kranknwan’g zu rufn!“, lallte Anja und begann wieder zu weinen. Herz gebrochen, belogen und betrogen, sie will sterben. Ich begleitete sie zurück zu ihren Sachen, als plötzlich wie aus dem Boden gewachsen zwei Polizisten vor uns standen.
„Alles in Ordnung?“, fragte mich der mit dem Unterlippenbart, den ich aus diversen Spiegel-TV-Reportagen über die Davidwache kannte. Ich verneinte und beschrieb kurz Anjas Zustand. Den Zwischenfall mit dem Sektkübel behielt ich für mich.
Anja, deren Artikulationsrepertoire bisher nur in Lallen, Schluchzen, Schreien, Weinen und Lamentieren bestanden hatte, ratterte wie ferngesteuert Namen und Adresse runter. Der Unterlippenbart wandte sich an mich und flüsterte: „Die ist total auf Crack.“
Auf so was wäre ich Naivling wieder mal alleine nicht gekommen. „Haben Sie noch all ihre Sachen?“, fragte er. Ich tastete mich ab, alles noch da. „Kümmern Sie sich um sie?“, fragte ich ihn. Er nickte. Ich winkte der zuckenden, winselnden Anja zum Abschied unsicher zu und ging nach Hause.
Als ich bei Don Camillo & Peppone vorbeikam, war der Tisch leer, an dem vorhin die Gruppe gesessen hatte. Um ihn herum war der Boden nass. Plötzlich hörte ich hinter mir, wie sie meinen Namen schrie.
Ich beschleunigte meinen Schritt.
26 Juni 2012
Ente in Schweißsoße
Vor der Pressevorstellung im Streit’s-Kino (das schreibt sich wirklich so) gönnte ich mir bei „Essen & Trinken“ am Gänsemarkt auf die Schnelle ein Lunch.
Ich hatte leider nichts zu lesen dabei und musste aufs iPhone zurückgreifen. Auf dem Display eines 3GS Mommsens „Geschichte des Römischen Reiches“ zu lesen, gehört zweifellos zu den Erfahrungen, die man mal gemacht haben muss.
Während ich erfuhr, dass im Jahr 636 v. Chr. oder so in Rom die Musik generell verboten wurde (ein bedenkenswerter Ansatz in Zeiten des Leistungsschutzrechtes), wovon lediglich Flöte und Gesang ausgenommen waren – was Ian Anderson extrem entgegengekommen wäre –, setzten sich zwei Männer in roten Latzhosen an den übernächsten Tisch.
Das erste, was ich von ihnen wahrnahm, war ein intensiver Mischgeruch aus Schweiß und Rasierwasser. Er umwölkte die beiden Männer dunstglockenförmig mit einem Radius von mindestens zwei Metern und legte sich unschön über die Sensorik meiner Ente in Chilisoße.
Ich registrierte aufsteigenden Missmut. Doch das war nur die Gefühlsebene, und ich verfüge ja auch noch über eine Ratio, obgleich an dieser Stelle scheinbar schon Gegenbeweise sonder Zahl geführt wurden.
Die Ratio jedenfalls sagte: Diese Männer sind Arbeiter, sie strengen sich an, sie schwitzen rechtschaffen, und das riecht man halt.
Gäbe es sie nicht, fuhr sie fort, müsstest du möglicherweise selbst Mauern mauern, Löcher ausheben, Paletten stapeln und Kisten schleppen, statt bei einer Ente in Chilisoße auf den Beginn einer Pressevorstellung im Streit’s-Kino zu warten. Und dann lieber eine Dunstglocke, ehrlich. Danke, Männer.
Dass ich einen Tuck schneller aß als gewöhnlich, hat ja keinem geschadet außer eventuell meiner Verdauung. Aber das ist noch nicht … äh … raus.
24 Juni 2012
Überall ist es schlechter, wo wir nicht sind
Hamburg sollte uns wirklich dafür bezahlen, dass wir die Stadt nicht verlassen. Denn bereits mehrfach, wenn wir das taten, passierte irgendetwas, das besser nicht geschehen wäre – oder dem man besser fernbleiben sollte, was wir ja auch in intuitiver Voraussicht manchmal tun.
Zum Beispiel schlug mal der Blitz in unser Haus ein, als wir gerade auf der Ostsee herumschipperten. Statt wie unsere Nachbarn im Nachthemd, Regen und Blaulicht zitternd auf dem Bürgersteig vorm Haus herumzustehen, flanierten wir elegisch durch St. Petersburg. Die weitaus bessere Wahl.
Das gilt seit neuestem auch für dieses Wochenende, welches wir in Wolfsburg (Foto) statt in Hamburg verbringen. Nicht nur, dass wir so wie durch ein Wunder dem Horror der Harley Days entgehen, nein, auch die am Samstagnachmittag in der Großen Freiheit entdeckte Weltkriegsbombe, von der uns die segensreiche App „Katwarn“ per SMS warnte, tangierte uns buchstäblich nur peripher.
Kurz überlegte ich, was alles verlorenginge, wenn der Kiez komplettemang in die Luft flöge, während wir in Wolfsburg weilten – und merkte: Alles Wichtige ist sicherheitskopiert. Und das Materielle – CD-Sammlung, Plasmafernseher, Benjaminus, Weinklimaschrank – wäre zu ersetzen. Außer der letzten verbliebenen Flasche Chateau D’Yquem natürlich.
Ein guter Grund, schnellstmöglich nach Hamburg zurückzukehren. Denn wie gesagt: Wenn wir dort sind, passiert ja nichts. Außer manchmal der Schlagermove, wogegen eine Weltkriegsbombe übrigens nur Pipifax ist.
22 Juni 2012
Pareidolie (46)
Da steht man arglos an Gleis 8 des Berliner Hauptbahnhofs (tief) und wird plötzlich blöde von der Wand angestarrt. Kein Wunder, dass man da in den nächstbesten ICE einsteigt.
Vor allem, wenn er nach Hamburg fährt.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
20 Juni 2012
Die Krux mit der Kiste
Morgens stehe ich meistens ein, zwei Minuten an der Fußgängerampel am Ende der Großen Bergstraße und lehne mich, um nicht vom Fahrrad absteigen zu müssen, an den Ampelmast. Seit neuestem hängt daran eine sogenannte Pfandkiste, die meine Aufmerksamkeit während der Rotphase in Beschlag nimmt.
Dort hinein soll man Flaschen stellen. Aufgedruckte Begründung: „Mülleimer zu durchsuchen ist gefährlich und demütigend. Stellt Eure Pfandflaschen deshalb daneben. Oder in diese Kiste. Danke!“
Eine sinnvolle Sache. Doch die Verwirrung, welche die Pfandkiste auslöst, übersteigt deutlich meine Fähigkeit, ihr Wirkungsprinzip hinreichend zu lobpreisen. Denn ich kapiere einfach nicht, wie sie dahinkommt.
Der Ampelmast – oben durch die Signalanlage erheblich verbreitert und unten festgemauert in der Erden – durchstößt die Pfandkiste widersinnigerweise mittig, und ich konnte bisher bei meinem je ein- bis zweiminütigen Aufenthalt keine Nahtstellen an der Kiste entdecken.
Und das wäre doch die einzig logische Vorgehensweise, die Pfandkiste so zu befestigen, wie sie nun mal befestigt ist: Man müsste sie symmetrisch in zwei Hälften zersägen, in ihrer Mitte ein Loch vom Durchmesser des Mastes herstellen, sie dann um den Ampelmast herumlegen und wieder zusammenkleben.
Höchstens Harry Potter traute ich die Schilderung und Umsetzung einer Alternativmethode zu. Oder einem meiner Blogleser, in den Kommentaren.
18 Juni 2012
Von Brötchen, Büchen und Benzin
Sonntagmorgens um halb neun ist beim Kiezbäcker die Schwankungsbreite vor allem der männlichen Kundschaft immens groß – und ich meine das nicht im übertragenen Sinne. Dennoch gelang es mir auch diesmal, dort unbeschadet Brötchen zu ergattern.
Nach dem Frühstück fuhren wir nach Ratzeburg, was – wie Dr. K. mir neulich vorschwärmte – eine schöne Inselstadt mitten im See sein sollte, und siehe da: Das stimmt auffällig.
Die Ratzeburger haben neben viel Kopfsteinpflaster auch einen schönen Klinkerdom mit urgemütlicher Aura, der zudem beweist: Auch in vormodernen Zeiten gab es schon das Deppenleerzeichen. Ein Gemälde im Seitenschiff (Foto) versorgte uns mit dieser bestürzenden Erkenntnis.
Auf dem Rückweg statteten wir der Eulenspiegelstadt Mölln noch einen Besuch ab (toller Marktplatz!), und als wir zurück nach Hamburg aufbrechen wollten, fiel der Zug aus. Notarzteinsatz. Also nahmen wir den Bus, der außer uns niemand an Bord hatte, und krochen gemütlich über die Dörfer bis zum Büchener Bahnhof (2. Foto).
„Stell dir vor, wir haben eine Panne“, sagte ich irgendwo mitten im Wald zwischen Nestern wie Benzin, Göttin und Besitz (sic! sic! sic!) zu Ms. Columbo, „es wird allmählich dunkel, und dann kommen die Hillbillys.“ Sie bekam sofort eine Gänsehaut.
Kurz: Diese Busfahrt möchten wir hiermit wärmstes empfehlen. Auch ohne Notarzteinsatz.
15 Juni 2012
Alle Wege führen nach …
„Nicht streiten, nicht streiten“, murmelt Kramer (l.) ohne hochzuschauen mantraesk vor sich hin, als der Franke (r.) und ich (m.) heftig diskutierend sein Büro betreten. „Nicht streiten.“
Wir gucken erst uns, dann ihn an, als habe der Papst öffentlich gestanden, er träume von einer Karriere als Strapsmodell bei Victoria’s Secret. Was ist bloß los mit dem Großcholeriker Kramer, der normalerweise hochgeht wie ein Chinaböller, selbst wenn gar niemand seine Zündschnur unter Feuer gesetzt hat? Ist er vielleicht nach dem Besuch eines Splatterfilms zum Pazifisten geworden?
Der Franke hat eine bessere Theorie. „Ich glaube, seine Freundin hat ihm was in den Kaffee getan“, sagt er. „Ja“, sekundiere ich nickend, „vielleicht Brom.“ Der Franke giggelt.
Kramer aber schaut mild hoch, als sei er jener Enkel, den Ghandi sich immer gewünscht hat. „Alle Wege“, sagt er leise, „führen nach Brom.“
Keine Pointe.
13 Juni 2012
Pareidolie (45)
Ich dachte heute, ich schau nicht richtig, als mich aus meiner Espressotasse im Ottenser Café Vero mein eigener Avatar (l.) anstarrte.
Ehe ich aber dieses verblüffende Dokument des Zufalls in Kunstharz gießen und für acht Millionen Euro auf Ebay versteigern konnte, hatte ich es schon ausgetrunken.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
12 Juni 2012
Bigos wurde gar nicht aufgestellt
Kia-Fanfest, Heiligengeistfeld. Die Partie Ukraine-Schweden erweist sich nicht als der ganz große Bringer.
Ein paar hundert junge Leute hängen herum, träge umhegt von Sicherheitsleuten, gelangweilten Polizisten und vorüberschlurfenden Rotkreuzlerinnen in unvorteilhaft bauschenden Diensthosen.
Anders als bei den letzten Weltmeisterschaften wollte man bei der Lizenzvergabe diesmal nicht die kulinarische Vielfalt der Teilnehmerländer abbilden. Schade, denn was war das schön, 2010 am südafrikanischen Fressstand Gnu zu knabbern wie ein König der Löwen!
Und jetzt? Ein Pizzastand beargwöhnt den nächsten, Schwenkgrills, Kartoffelchipshöker und immer wieder Wurst mit Pommes. Dazwischen Bier- und Cocktailbuden. Aber wo, Kia, ist der Wein? Der Espresso? Wo ein französischer Stand mit Rohmilchcamembert und Knusperbaguette? Wo wenigstens die Pirogi?
Nein, dieses Fanfest will mich nicht. Es will geschminktes Facebookpartyvolk in Landesflaggen, das zwischen dem Torjubel die vertilgten Pommes Frites mit Bier spült und Bigos für einen portugiesischen Ersatzspieler hält.
Die zweite Halbzeit verbrachte ich zu Hause vorm Plasma. Und die Ukrainer und Schweden drehten auf, als seien sie gottfroh darüber.
09 Juni 2012
Nicht (gut) fürn Arsch
Ein Wochenende in Berlin. Dr. K., immer für originelle Vorschläge gut, regt eine Tandemfahrt durch Kreuz- und Schöneberg an.
Zunächst müssen wir zwei Sechsjährige auf einem Kindergeburtstag abliefern und packen sie in den Anhänger. „Ihr werdet wirken wie ein schwules Paar mit Adoptivkindern“, schmunzelt Frau Dr. K. But so what?
Das pseudoschwule Pseudotandemfamilienidyll scheitert allerdings schon nach wenigen Kilometern an einem kapitalen Nagel, der den rechten Anhängerreifen zerfetzt und uns zum Laufen zwingt. Wir liefern die Mädchen ab, lassen den invaliden Anhänger an eine Stange gekettet zurück und radeln weiter.
Tandemfahren ist für Novizen etwas gewöhnungsbedürftig, auch als Beifahrer. Wenn ich mich auf den starren Handgriffen abstütze, sehe ich von der Gegend kaum mehr als den breiten Rücken eines Solarforschers. Und wenn ich mich zwecks besserer Aussicht freihändig aufrichte, leidet recht bald der Glutaeus maximus unter unschönen Verschleißerscheinungen.
Die Lösung: häufige Pausen. Espressotrinken. Eisessen. Über Flohmärkte schlendern. Auf einem davon die ersten beiden „Seinfeld“-Staffeln für 2,50 € erwischen und aus lauter schlechtem Schnäppchengewissen 50 Cent Trinkgeld drauflegen.
Nachts sitzen wir auf dem Balkon und sehen träge ein Ufo über den Himmel ziehen, während sich in der Ferne der Mercedesstern auf dem Europacenter dreht wie immer seit „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.
Von drei Solarlampen in den Blumenkästen funktioniert nur eine – was wir beide als untolerables Manko im Haushalt eines Solarforschers einstufen. Mir tut dafür der Hintern weh. Ein Tribut ans Tandem. Ein lohnenswertes.
06 Juni 2012
Niemand hat den Kopf verloren
Heute verbrachte ich den ganzen Abend auf der Frau Hedi, was außerhalb Hamburgs wahrscheinlich anzüglicher klingt als innerhalb, denn die Frau Hedi ist – wie Stammleser wissen – eine hochanständige Barkasse.
Sie tuckerte heute Abend drei Stunden lang kreuz und quer durch den Hafen, und nicht nur ich war an Bord, sondern auch zwei Bands, die sogenannte Showcases spielen sollten. Das sind Konzerte speziell für Journalisten, damit sie warm werden mit den Künstlern und vielleicht geneigter sind, ein Interview zu führen. Die Konkurrenz um die raren Artikelplätze ist schließlich groß.
Einer der Künstler war Stefan Dettl, der bayerische Frontmann von La Brass Banda, der vehement eine Solokarriere anstrebt. Wie so vielen vor ihm war ihm aber die Spezifik eines Showcases nicht ganz klar. Ich zum Beispiel gehöre zu jenen spezifisch gestrickten Menschen, die sich von Aufforderungen, mitzuklatschen oder gar zu -singen, gänzlich unbeeindruckt zeigen. Sie sind mir sogar zuwider.
Schließlich bin ich nicht automatisch Fan, sondern im Dienst, warum also sollte ich Euphorie heucheln? Er tat jedenfalls alles, der Dettl, und das ist wirklich viel, doch die Journaille inklusive mir verließ nie das Terrain der höflichen Akklamation, und das war auch gut so.
In der Kloschlange bekam ich Kontakt zu einer Frau, die sich als frühere Produktmanagerin der Toten Hosen herausstellte. Eine gute Gelegenheit, um ihr Vorhaltungen zu machen. Sie konnte sich ja nicht wehren, wir standen in der Kloschlange.
„Sie sind also dafür mitverantwortlich“, schimpfte ich, „dass die Toten Hosen zwar immer um Rezensionen gebettelt, aber ihr Label innerhalb von 20 Jahren niemals eine einzige Anzeige in den Medien geschaltet haben, für die ich arbeite.“
Sie verkrampfte, das war deutlich zu sehen, doch noch ehe sie zur Verteidigungsrede ansetzen konnte, fuhr ich die zweite Angriffswelle. „Tickten alle so wie die Toten Hosen“, erläuterte ich ihr mit bitterem Hohnlächeln, „dann wären wir längst Pleite – und ich arbeitslos.“
Immerhin stünden wir dann jetzt nicht in der gleichen Kloschlange, schoss mir durch den Kopf; das Ganze hätte also auch Vorteile. „Ich war ja immer nur die Botin mit der schlechten Nachricht“, piepste sie verunsichert. Dann ging zu ihrer (doppelten) Erleichterung die Toilettentür auf, was sie zur Flucht nutzte.
In absolutistischen Zeiten, fiel mir ein, hat man Boten, die schlechte Nachrichten überbrachten, geköpft. Ob das auch für Botinnen galt, weiß ich allerdings nicht.
Mal Google fragen.
05 Juni 2012
Und nun zu etwas ganz anderem
03 Juni 2012
02 Juni 2012
Die doppelbedeutende Wurst
Passant (unterwegs mit Bratwurst auf der kommunikativen Seite der Davidstraße): isst
Hure (tritt ihm in den Weg): Hallo Süßer, darf ich mal in deine Wurst beissen?
Passant (hält ihr die Wurst hin): Gerne – hier, bitte sehr.
Hure: So war das aber nicht gemeint ...
Erlebt vom Einheitskanzler, als er noch neu war in Hamburg.
PS: Er war übrigens der Passant.
31 Mai 2012
„Ahhhhhhh!“
An der Endoklinik (Foto von 2008), wo St. Pauli friedfertig an Altona grenzt, ist schon seit langem eine Großbaustelle. Wir Radler müssen uns den Radweg seither mit den Fußgängern teilen, was immer wieder zu Konflikten führt.
Gestern auf dem feierabendlichen Heimweg passierte ich dort einen älteren Zausel, den ich nicht mal wegklingeln musste, weil er mir entgegenkam und mich heranrollen sah, als der urplötzlich auf mich zusprang, die Arme ausbreitete wie die Jesusstatue über Rio und „Ahhhhhhh!“ brüllte.
Dieses überraschend atavistische Verhalten hatte binnen einer Hundertstelsekunde eine fatale Wirkung auf meine Körperchemie. In meiner vollkommenen Arglosigkeit erschreckte ich mich derart, dass ich beinah rechts in den Bauzaun gebrettert wäre, und ich wette, der Zausel hat genau das beabsichtigt. Nach kurzem Schlingern vermochte ich mich allerdings auf dem Rad zu halten.
Ganz ohne das Zutun meiner Ratio, die sicherlich korrigierend eingegriffen hätte, murmelte ich im Weiterfahren übrigens ein unflätiges Wort aus der Sphäre des Fäkalen, für das ich mich als zivilisierter Mensch ordnungsgemäß schäme.
Falls der Primat hier mitliest: WAS IN DREITEUFELSNAMEN SOLLTE DAS?
29 Mai 2012
Ein weißer Schimmel
Bei Aldi im Gemüsefach gibt es nur noch eine einzige Packung Strauchtomaten, und die ist großflächig verschimmelt.
Da ich zwar einen Einkaufswagen dabeihabe, aber nichts weiter einkaufen möchte, also sowieso den Weg durch den Kassengang wählen muss, um den Laden wieder verlassen zu können, nehme ich die Tomaten mit und reihe mich in die Schlange ein.
Die Schimmeltomaten ruckeln gelassen übers Band Richtung Kasse. Währenddessen überlege ich, was ich zur Kassiererin sagen soll. Immerhin behauptet Aldi, bei niedrigsten Preisen höchste Qualität anzubieten. Allerdings kommt es dafür doch etwas zu oft zu Schimmelbefall. Schon einmal trug ich eine verdorbene Tomatenschale zur Kasse, wo sie ein junger Mann mit den fröhlichen Worten „Ach, die waren auf dem Lieferwagen schon verschimmelt!“ entgegennahm und wegschmiss.
Jedenfalls plane ich den Satz: „Diese Tomaten sind verschimmelt, lassen Sie sie mir etwas billiger?“ Ein guter Satz. Ein sarkastischer, provokanter Satz. Und ein schwer zu sagender, wenn man so sehr auf Konfliktvermeidung getrimmt ist wie ich.
Als ich dran komme mit meinem leeren Einkaufswagen und dem in weißliche Fäden gehüllten Gemüse, überfällt mich die übliche Feigheit, und ich sage: „Diese Tomaten sind verschimmelt. Ich möchte Sie Ihnen gerne zwecks Entsorgung zurückgeben.“
Die Verkäuferin stutzt nur einen winzigen Moment, dann nimmt sie wortlos die Packung und wirft sie neben sich in einen Mülleimer.
„Sonst habe ich nichts“, ergänze ich entschuldigend, weil ich meinen leeren Wagen einfach durchschiebe und nicht einen Cent Aldi-Umsatz generiere. Sie sagt noch immer kein Wort. Keins des Bedauerns, keins der Entschuldigung, einfach nichts. Sie scheint Routine in so etwas zu haben, und das sagt ja letztlich genug.
Die ersatzweise besorgten Rispentomaten von Edeka (Foto) sahen übrigens toll aus. Vielleicht eine Spur zu makel- und schimmellos, aber ich will nicht kleinlich sein.
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