23 Februar 2009

Pleiten, Pech und (doch nicht) Annen

Neulich, als der Hamburger SPD-Mann Niels Annen von seiner Partei nicht wiedergewählt wurde, plante ich eigentlich einen Blogeintrag mit dem Titel „Pleiten, Pech und Annen“. Hab ich verpasst – und darf zur Strafe jetzt über eigene Pannen bloggen.

Starten wir mit einer Frage: Wieso muss man bloß wegen einer popeligen LP, die man in den USA für lausige 10 Dollar ersteigert hat, zum Zollamt? Sinnlosigkeit, ick hör dir trapsen.

Vor der Arbeit breche ich also missmutig auf via Hauptbahnhof (Foto) gen Hamburger Osten. Fünf vor 9 schiebe ich mein Fahrrad in die U-Bahn, nicht ohne vorher eine Fahrkarte gelöst zu haben. Denn mein Abo gilt erst ab 9, und sicher ist sicher.

Mit mir steigen drei Herren in Zivil ein, die sich auffällig unauffällig über den ganzen Waggon verteilen. Kontrolleure, natürlich. Ich zeige gelassen mein Kurzstreckenticket.

Der Kontrolleur nickt und sagt: „Jetzt haben wir ein Problem. Ihr Fahrrad.“

Man darf nämlich sein Rad nicht vor 9 in der U-Bahn transportieren. Dass der Waggon halbleer ist, dass die Kontrolleure mich kaltlächelnd haben einsteigen lassen, statt mich auf dieses Verbot hinzuweisen, dass es inzwischen nur noch 60 Sekunden bis 9 sind: Alles egal. 10 Euro sind fällig.

„Ich habe sogar ein Abo!“, versuche ich einen Gnadenakt für Stammkunden zu erwirken, doch was ich ernte, ist nur ungerührtes Schweigen. Das fällt beim HVV wohl unter Kundenpflege.

Entsprechend blendend gelaunt schlage ich im Zollamt auf. Der Beamte legt mir das abzuholende Päckchen auf den Tresen und fragt: „Was ist da drin?“ „Nur eine olle Langspielplatte“, sage ich. „Eine Brandsatzplatte?“, scherzt er, ein Verhören heuchelnd. Haha.

Wortlos zerhacke ich mit dem Paketmesser die Verpackung. Das macht mehr Spaß, als es machen dürfte. Ich hole die LP heraus und reiche sie dem Beamten. „Mir ist völig schleierhaft“, eröffne ich ihm, „warum inzwischen schon 10-Dollar-LPs erkennungsdienstlich behandelt werden müssen.“

Er mustert mich mit dem Blick des erfahrenen Funktionärs. „Erkennungsdienstlich? So weit sind wir noch nicht.“ Schwingt Bedauern mit in seiner Stimme? Oh ja. Er nimmt die Platte und meine Ebayrechnung und verzieht sich in die rückwärtigen Gemächer.

Nach zehn Minuten kehrt er zurück. „Der Warenwert liegt unter 20 Euro“, präsentiert er mir eine Binsenweisheit sondergleichen, „Sie können die Platte mitnehmen.“ Das hätte ich ihm auch schon vor drei Wochen sagen können, als ich die LP ersteigert hatte – und bevor ich eine Minute vor 9 Uhr 10 Euro Strafe für die Fahrradmitnahme zahlen musste.

Tagsüber geht alles halbwegs gut, doch abends treffe ich mich mit einer Freundin auf einen Wein und schütte mir rund hundert Milliliter Chardonnay über Hemd und Hose.

Manche Tage dürften nie zu Ende gehen, doch dieser gehört definitiv zur gegenteiligen Kategorie.

22 Februar 2009

Unter Trophäenblondinen



Echo-Aftershowparty. Hier lässt die untergehende Musikbranche noch mal alles raushängen, was sie eigentlich nicht mehr hat.

4000 Gäste im Berliner Postbahnhof, und jeder von ihnen könnte ein Star sein – oder bloß ein Schreiberling wie ich. Alles ist möglich, alles denkbar, alles ist vollkommen unsicher.

Die Gäste mustern sich verstohlen. Kenne ich den neben mir an der Dessertbar persönlich oder doch nur aus dem Fernsehen? Und wenn ja: aus welcher Sendung? Welchem Film/Clip/Dschungelcamp? Ist der, er mich gerade angerempelt hat, ein FDP-Generalsekretär oder ein lustiger Volksmutant? Man weiß es (oft) nicht.

Eines aber stellt sich schnell heraus: 2009 sind immer noch oder schon wieder Trophäenblondinen angesagt. Je unansehnlicher/älter/schmerbäuchiger der Star/Plattenboss/Bandmanager, desto 90/60/90er das hellhaarige Babe an seiner Seite.

Und das Babe lächelt beseelt. Warum auch nicht: Es hat schließlich einen fetten Fisch geangelt. Jetzt darf es auf Partys mit 4000 Leuten und wird verstohlen gemustert, weil man es ja aus dem Fernsehen kennen könnte.

Der Typ am Sushibuffet, der mich von hinten fragt: „Ist das frisch?“, sieht aus wie Max Mutzke, und wahrscheinlich ist er es auch. Er sieht erbarmungswürdig hungrig aus, er will ein „Ja“ hören, und er kriegt ein „Ja“.

Hoffentlich habe ich jetzt nicht seine Karriere beendet, denn er kann ja singen, der Mutzke, das kann er wirklich. Ein dicker Klempner aus England fotografiert das sensationelle Dekolletee seiner noch dickeren Gattin. Vorhin stand er noch auf der Echo-Bühne und gab an, ein gewisser Paul Potts zu sein und eine Million Alben verkauft zu haben.

Mit dieser Quote bist du ein Star in der Musikbranche, du könntest dir eine beliebige 90/60/90er Trophäenblondine aus dem Sortiment auswählen. Nur wem sie wegnehmen – Dieter Gorny? Christian Neander?

Ach, das Leben ist kompliziert auf der Echo-Aftershowparty. Die beste Beschäftigung ist deshalb verstohlenes Mustern, während man Sushi möfelt und mittelmäßigen Weißwein von Gallo trinkt, dessen Mittelmäßigkeit man ihm niemals vorwerfen würde, denn er ist ja kostenlos.

Auch den abgebildeten Herrn mit der komischen Tätowierung habe ich ausgiebig gemustert und bin sicher, ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben.

Aber ich weiß einfach nicht, wo ich ihn hinstecken soll.


19 Februar 2009

Quizfrage



Preisfrage: Auf was bezieht sich die abgebildete Bedienungsanleitung?

a) echten persischen Safran
b) den Erstdruck des Evangeliars Heinrichs des Löwen
c) einen x-beliebigen Aldi-Kassenzettel

Na? …
Ganz genau.


18 Februar 2009

Ein Trampel namens Trümpler

Die Weltregierung hat’s entdeckt und beurteilt es recht nachsichtig als „unbedarft“. Man könnte aber auch von rumpeldumm sprechen.

Der Nixmehrmerker Erik Trümpler von der Hamburger Morgenpost erkor nämlich heute einen komplett hirnlosen Kalauer zur Überschrift seines HSV-Artikels.

Im Text geht es um Gras, genauer gesagt: um etwas so Bedeutendes wie die schlechten Platzverhältnisse im holländischen Nijmegen.

Und obendrüber steht allen Ernstes: „Rasen-Schande“ …

Nur ein kleines s unterscheidet also des Trampels Trümplers Überschrift von einem der fürchterlichsten Nazipropagandabegriffe überhaupt. Er sollte sexuelle Kontakte zwischen Deutschen und Juden als verderblich verdammen. Diese Nazihetze namens „Rassenschande“ schien Trümpler gleichwohl bestens geeignet, um damit launig herumzukalauern.

Oder wollte er so subtil auf die jüngsten rassistischen Ausfälle von HSV-Fans anspielen? Dann nähme ich das „rumpeldumm“ zurück.

Das „hirnlos“ trotzdem nicht.


Ohne Worte (30): Buddha im Halteverbot



Entdeckt an der Van-der-Smissen-Straße.



17 Februar 2009

Tannenzapfenzupfen (10): Zweifels ohne Käse Füße

(Foto via FHS Holztechnik)


Von Zeit zu Zeit gibt es hier kleine gruselige Einblicke in den Alltag eines Musikjournalisten. Denn ich werde nicht nur mit immer neuen grottigen Bandnamen behelligt, die einem das Messer in der Tasche aufgehen lassen (z. B. „Monsters of Liedermaching“ oder „Hasenscheisse“), sondern auch mit grässlich verunglücktem Promosprech, das dir sogar die Klappsense in der Tasche aufgehen lässt.

Neulich zum Beispiel sprach einer von „vauöhen“, obwohl er „releasen“ meinte – das geht doch nicht!

Diese Serie trägt den Namen ihres ersten Eintrags (nämlich „Tannenzapfenzupfen“) und soll hier und heute fortgesetzt werden, da auf dem Kiez gerade nichts Wesentliches passiert ist. Zumindest mir nicht.

Wie immer gilt dabei das bewährte Motto: Ohren zu und durch.

1. „Gerne attache ich Ihnen die Short Infos“, „toller typ, womanizer, charmeur, handsome looks“, „Den dritten Floor hosten die Onlinecommunity VIRTUAL NIGHTS und das Musikdownloadportal DJtunes.com“ – alltägliche Beispiele für eigentlich kriminelles Denglishkauderwelsch; aber fast schon so normal, dass der Brechreiz allmählich nachlässt. Nein, eigentlich doch noch nicht – bläärch …

2. „Wie ein würdiger, bedachtsamer, in einer Höhle gereifter Käse riechen THE FREEKS auch nach wahrer Klasse und verheißen einen verdrehten Höhepunkt des Geschmacks. … Als sich schließlich alle diese Zutaten spontan vermischten, stand am Ende ein bizarres, stark riechendes Milchprodukt, das die Geschmacksnerven zu verzücken weiß. Schon die großen Köche sind sich seit langem darüber einig, dass Dinge, die so verdächtig riechen, als seien sie bereits schlecht geworden, meist genau die Dinge sind, die perfekt schmecken. THE FREEKS haben dieses Konzept noch ein wenig weiter getrieben und Geschmacksnerven durch Trommelfelle ersetzt. Wenn Ohren nur ansatzweise einen in Trüffeln gerollten Boschetto schmecken könnten, dann würden sie den stinkig-coolen Sound der FREEKS vernehmen.“ Selten begnet einem eine solche Armada schiefer und zugleich ekelerregender, uns geradezu olfaktorisch belästigender Sprachbilder. Aber wenn, dann muss man sie unbedingt verewigen; vielleicht hat man ja nie wieder so ein Glück.

3. „Wir trauern um den ehemaligen Schlagzeuger der Band One Foot In The Grave, Gino Costa, der im Alter von 91 Jahren in Arizona gestorben ist.“ So traurig das auch ist, so ist es doch auch lustig. Ja, tut mir Leid.

4. „Denn uns ist immer noch eine zweitklassige Black Flag Kopie aus Moers lieber, die in ihrem Ort was reißt, als eine Band, die für astronomische Gagen einmal im Jahr rüber kommt und hier auf Koks Star macht! Dieser Newsletter entsteht unter extrem lauter Anhörung der Eating Glass Platte von den Spermbirds - zweifels ohne ihre Beste!“ Der bisherige Deppenleerzeichenrekord des Jahres. Aber da kommt noch was, ich hab es im U Rin.

Zum Schluss ein Bonustrack aus einer verwandten Sphäre, der ergiebigen Gammelsprechquelle namens Spammail:

5. „Ich suche Ihre Zusammenarbeit, um Sie meiner firmer als die folgende von der Verwandtschaft/Begünstigten meinem Verstorben-Kunden zu präsentieren, der im Flugzeugabsturz mit seiner Familie vor seinem Tod starb, er lässt eine firmer mit meiner firmer zur Melodie (von 18.5 Millionen $), verstorbenem Dr George Brumley, einer Amerikanischen Staatsbürgerschaft, einem Unternehmer erwägen, der am Flugzeugabsturz zusammen mit seiner Familie einschloß.“ Ruhe sanft. Und möglichst lange.


Was bisher geschah: 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1





16 Februar 2009

Domenicas traurige Augen

Bitter auf Twitter: Lance Armstrong beklagt sich über den Klau seines Fahrrads (ein Gefühl, das ich sehr gut kenne). Zugleich lobt er eine Belohnung in unbekannter Höhe für die Wiederbeschaffung aus; das heutige Foto soll unterstützend wirken.

Meine vertiefend gemeinte Frage, ob die Diebe außer dem Fahrrad vielleicht auch noch seine … ähm … Medizin mitgenommen hätten, ließ Lance bislang unbeantwortet.

Der Kiez hat gewichtigere Probleme als Armstrong, so viel steht fest. Momentan trauert er um Domenica. Die berühmteste Ex-Domina Deutschlands hieß übrigens wirklich so und lebte nach einem Intermezzo in der Eifel zuletzt wieder in der Talstraße. Von ihrer Loggia aus konnte sie, wie es in der Boulevardpresse heißt, den Transenstrich sehen.

Ich bin Domenica nur ein einziges Mal begegnet, und zwar auf dem Postamt gegenüber unserer Wohnung. Am auffälligsten an ihr waren keineswegs die voluminösen Wölbungen an ihrer Vorderseite, obwohl sie zweifellos den Status eines Naturwunders beanspruchen konnten, sondern Domenicas traurige Augen.


Zur Beerdigung werden sie alle kommen: Promis und Luden, Politiker und Freier, wahrscheinlich der halbe Kiez. Denn hier schämt man sich seiner Huren nicht, im Gegenteil.


14 Februar 2009

Ohne Worte (29): Ein seltsames Paar



Entdeckt auf dem Schlachthofflohmarkt.

Aus Liebe Zwiebeln



Manchmal erfährt man unverhofft etwas über seine Nachbarschaft.

Zum Beispiel glaube ich seit heute Nachmittag, dass hinter dem Hauseingang (r.), den „Sabrina“ flächendeckend mit einem Liebesbrief (l.) zugepflastert hat, welcher in der fragwürdigen Drohung „FÜR DICH ESS ICH ZWIEBELN“ gipfelt, ein gewisser Christian wohnt.

Gut zu wissen. Wenn ich auch nicht weiß, wofür.


13 Februar 2009

Ich, Muse der Dichter

Schon komisch, in einem Roman plötzlich auf sich selbst zu stoßen. Besser gesagt: auf eine Figur, die genauso heißt wie man selbst, sogar mit Doppel-t und h.

In Daniel Kehlmanns Roman „Ruhm“ passiert es. Dort stolpere ich auf Seite 84 unversehens über einen „Matthias Wagner“.

Na gut, eigentlich ist es nicht mal eine Figur, sondern nur das Pseudonym einer Figur. Trotzdem ändert das nichts an der Leseverblüffung – ein Gefühl, das ich allerdings schon kenne.

Als Jugendlicher nämlich war ich, wie mir dank Kehlmann wieder einfällt, bereits in einem Karl-May-Roman auf mich gestoßen. Damals eine irgendwie schmeichelhafte Sache für einen pubertierenden Hosenscheißer.

Ich glaubte bislang, May hätte mich in der „Winnetou“-Trilogie untergebracht, doch der Hort meines Namens befindet sich – wie mir das Internet folgsam meldet – in „Die Sklavenkarawane“.

Ähnlich wie der feine Herr Kehlmann gestand mir allerdings auch der Radebeuler keine tragende Rolle zu, ganz im Gegenteil. Lediglich Gegenstand eines Gespräch bin ich, man erinnert sich meiner als Ungar aus dem „Eisenstädter Komitat“ (wtf?), der immerhin über einen Diener verfügte, bisweilen mit Straußenfedern handelte und schließlich im Ostsudan seiner Lebendigkeit abhanden kam.

Kehlmann hätte diese doch recht enttäuschende Ausgestaltung durch May endlich wieder wettmachen können, ja müssen, doch nein: Ich bin ihm nichts mehr als ein Pseudonym. Der zweite Genickschlag für mich in der Literaturgeschichte.

Immerhin passt das zu diesem Autor, der auch sonst recht schludrig ist. Eine der anderen Figuren in „Ruhm“ arbeitet nämlich mitten im YouTube-Zeitalter bei Mannesmann, einer Firma, die schon doppelt so lange tot ist wie YouTube lebendig. Und ausgerechnet ein Techniker, der es viel besser wissen müsste, glaubt bei Kehlmann noch immer an die Schimäre aggressiver Handystrahlen, die einem angeblich das Hirn wegkochen.

Wer so liederlich recherchiert, sollte mich auch keinesfalls vom Pseudonym zur Figur aufwerten, das möchte ich gar nicht. Zur Ehrenrettung meines Namens muss ich daher wohl irgendwann anfangen, meine Autobiografie zu schreiben.

Jetzt muss mir
nur noch was Berichtenswertes passieren.

PS: Die Domain www.danielkehlmann.de ist übrigens noch frei. Jemand sollte sie sich sichern und dem Autor teuer weiterverkaufen. Meinen Segen habt ihr.



10 Februar 2009

Der düpierte Sternmull

Esstechnisch gehören meine Begleiter – der Franke und der Syrer – zu den bizarrsten Lebewesen, die je diesen Erdball bevölkerten.

Der Franke ist, wie geplagte Leser dieses Blogs seit langem wissen, einer der schnellsten Vertilger im Weltall, allenfalls noch überboten vom Sternmull.

Für den Syrer hingegen sind 99 Prozent aller weltweit zur Verfügung stehenden Lebensmittel völlig ungeeignet. Entweder ist er allergisch dagegen, oder er mag sie nicht.

Als fatale Erschwernis negiert er auch noch sein Wesen als Raubtier und besteht auf pflanzlicher Kost. Aber hat man je von einem Vegetarier gehört, der weder Rohkost noch Tofu verknusen kann …? Ich hoffe, das verdeutlicht die Lage, mit der ich mich alltäglich beim Lunch konfrontiert sehe.

Beim Franken kommt zum Essrasertum noch eine spezielle Eigenart hinzu: Mengenmäßig gibt es für ihn praktisch keine Deckelung. Wenn in den Hamburger Hafen die komplette Stadt Köln passt, dann passt in seinen Magen der komplette Hamburger Hafen – und zusätzlich der Rotterdamer.

Diese Nährstoffvernichtungsmaschinerie auf zwei Beinen bewegt sich auf einer nach oben offenen Frankenskala, die nur für ihn erfunden wurde. Daran mag es auch liegen, dass er heute bei Holli und Toddi (Foto: Bertucio/Qype) meine Anregung, doch die offerierten Hühnerbeinchen zu präferieren, mit den Worten zurückwies: „Das ,chen’ schreckt mich ab.“

Jede Verniedlichung wertet er eben als Gefahr kommenden Unterversorgtseins und daher als Affront. Schließlich entscheidet er sich für Kasseler mit Püree und Sauerkraut – was er schneller aufsaugt, als ein Sternmull „Hmpf“ machen kann.

Mein Essen hingegen glänzt mit unvereinbaren Komponenten. Spinat mit Spiegelei, Kartoffeln und Fischstäbchen – wer denkt sich so etwas aus? Für den Syrer indes schnurrt alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammen, einen mit Rauke belegten Flammkuchen. Allerdings ist da auch Quark drauf, und morgen feiert er mit Sicherheit krank.

Manchmal – und nicht nur im Darwinjahr – frage ich mich schon, wie der Mensch derart passabel evolvieren konnte.



Uns geht’s gut, aber so was von

Im Gemüseladen meines bedingungslosen Vertrauens in der Paul-Roosen-Straße (Foto) herrscht mal wieder Bombenstimmung.

Während ich in der Schlange warte und versonnen den Blick schweifen lasse von Kräutersaitlingen über sizilianische Kirschtomaten bis hin zum Biosauerkrauteimer, entspinnt sich vor mir ein Dialog, der meine Aufmerksamkeit schlagartig vom Obst und Gemüse abzieht.

Kundin: Wie geht es euch eigentlich?
Gemüsehändler: Uns geht's gut.
Kundin: Find ich gut.
Gemüsehändler: Find ich auch gut! (lacht schallend über seinen großartigen Witz) Und wie geht es dir?
Kundin: Mir geht es auch gut.
Gemüsehändler: Sehr gut!
Kundin
(ernst): Finde ich auch.

Hier auf St. Pauli sind wir eben alle eine große kuschelige Familie – und substituieren Substanz manchmal durch brutalstmögliche Herzlichkeit.

Jetzt bitte zwei Bund Rauke und 160 Gramm Feldsalat.
Dann geht’s mir auch gut, aber so was von.

08 Februar 2009

Leder, Lack und Labradudel



Ein sehr lehrreiches Wochenende. Ich erfuhr zunächst von einem mir bisher unbekannten Hundemix namens Labradudel (Labrador vs. Pudel).

Später überraschte ich mich selbst, indem es mir in einer Diskussion mit Ms. Columbo gelang, unversehens meine aktuelle politische Grundorientierung herauszuarbeiten.


Ich bin nämlich, wie sich herausstellte, ein undogmatischer linksliberal-skeptischer Ökohedonist.

Insofern betrachte ich den Lacklederanzug mit Gasmaske im Schaufenster der Boutique Bizarre auf der Reeperbahn mit nachsichtiger Neugierde. Selbst wenn ich der Funktion des Schlauches, der von einer zweiten Gasmaske ausgehend im Schritt des Ledermanns verschwindet, noch immer nicht ganz auf die Schliche gekommen bin.

Irgendwer wird’s mir aber bestimmt erklären können. Fetischisten, wo seid ihr?



06 Februar 2009

Der Euro ist uns zu neumodisch



In Hohenschönhausen im Osten Berlins hat man die Währungsumstellung noch nicht mitbekommen.

Wahrscheinlich war ihnen das einfach zu viel, zum zweiten Mal nach 89 mit so ’nem Quatsch konfrontiert zu werden.

Andererseits: „Centwelt“ klänge echt dämlich.



05 Februar 2009

Galgenhumor bei der Bahn

Wie man weiß, hat die Deutsche Bahn mindestens 173 000 Mitarbeiter samt Angehörige überwachen lassen. Wahrscheinlich waren es sogar alle, also ungefähr eine Viertelmillion.

Somit auch die Zugbegleiterin, die heute auf der Fahrt nach Berlin meine Fahrkarte kontrollierte. Die gute Frau war darob bester Stimmung, und es entspann sich folgender Dialog.

Zugbegleiterin: „So, Herr … (mustert meine Bahncard) … Wagner, dann wollen wir das mal alles überprüfen.“
Matt: „Tja, muss wohl sein.“
Zugbegleiterin (süffisant): „Sie werden jetzt komplett durchleuchtet.“
Matt
(schlagfertig): „Und dann gehen die Daten direkt an Schäuble, nicht wahr?“
Zugbegleiterin: „Genau. Und alles wird zehn Jahre lang gespeichert.“
Matt: „Angemessen.“
Zugbegleiterin: „Ja, dann wissen wir immer, wo Sie hingefahren sind.“

Wie man sieht, hat sich Bahnboss Mehdorns Stasimaßnahme enorm motivierend auf seine Schäfchen ausgewirkt.

Und ich muss sagen: Sarkasmus passt perfekt zu blauen Uniformen.



No go area



Gleich das erste Tragen meines „THERE'S PROBABLY NO GOD“
-Hemdchens ist ein großer Erfolg.

Nicht nur, dass man darin tadellos trainieren kann; später im Duschraum spricht mich auch noch ein Mann darauf an.

Er sagt mit dem offenen, herzlichen Lächeln des Co-Agnostikers: „Cooles T-Shirt“. Dabei bin ich splitternackt – tja, das Wunder des menschlichen Erinnerungsvermögens.

Die Schrift auf dem Hemd zieht sich übrigens derart breit über die Brust, dass man bei einer bestimmten ungünstigen Körper- und Armhaltung einen ganz anderen Slogan erzeugt, nämlich:

„HERE'S PROBABLY NO GO“.

Vielleicht hat Gott diese textile Blasphemie deshalb nicht verhindert: Weil er Humor hat.


03 Februar 2009

Die verpasste Engtanzchance



Wir sind in der Fabrik beim Konzert der Poplegende 10cc. Natürlich warte ich den ganzen Abend auf „I’m not in Love“, um Ms. Columbo mit einem spontanen Engtanzwunsch überfallen zu können.

Doch zunächst einmal muss ich „für kleine Königstiger“, wie Mark seit Jahren im Bedarfsfall zu sagen pflegt; auch heute sagt er es wieder, und warum auch nicht.

Als ich die Örtlichkeit betrete, steht am Pissoir ein gepflegter Glatzkopf mit (schätzungsweise) Kaschmirmantel und -schal. Er parliert auf italiano. In der rechten Hand hält er sein Handy, in der linken … nun ja … etwas anderes.

Wie Leser dieses Blogs wissen, ist mein Ort auf dem Örtchen stets die Kabine, und als ich sie wieder verlasse, hat sich an der Szenerie nichts geändert. Maestro spricht und pieselt parallel; bei ihm handelt es sich wohl um einen großen Königstiger.

Ich begebe mich zurück zu Ms. Columbo und warte auf „I’m not in Love“. Wenig später taucht auch Signore wieder auf. Er telefoniert immer noch. Irgendetwas sagt mir, dass er sein Gespräch seit unserer ersten Begegnung nicht unterbrochen hat, mit allen Konsequenzen für seine Körperhygiene.

10cc haben inzwischen „Art for Art’s sake“ genauso gespielt wie „Dreadlock Holiday“, doch „I’m not in Love“ noch immer nicht. Ms. Columbo sagt: „Ich hol mir mal ein Wasser.“

Kaum ist sie weg, spielen 10cc „I’m not in Love“.

Das Stück ist von 1975. Da sieht man, wie lange ich eventuell auf die nächste Engtanzchance warten muss.