02 Juli 2012

Die Traubennascherin



Weil ich keinen kleinen Schein hatte, um bei Ms. Columbo zehn Euro Schulden zu begleichen, schleppte ich sie zu Penny. Das ist der einzige Laden auf dem Kiez, der abends nach acht noch geöffnet hat – außer dem Notladen in der Davidstraße, dessen obszöne Geschäftszeiten sich allerdings auch adäquat in den Produktpreisen niederschlagen.

„Komm, wir gehen zu Penny, ich kaufe irgendwas Nützliches“, hatte ich ihr vorgeschlagen, „und vom Wechselgeld bezahle ich dann meine Schulden.“ Ein gewiefter Plan, und so schlenderten wir in linder Abendluft über die Reeperbahn zum Pennymarkt, der seit einem Umbau von vor einigen Monaten an Preis- wie Kundenniveau zugelegt hat, wobei das eine das andere wohl bedingt.

Am Obststand sahen wir eine junge schöne Schwarze in gepunkteten Leggings, die sich sorgsam umschaute und immer, wenn sie keinen Detektiv erspähte, in die offenen Traubentüten griff und naschte.

Unterhalb eines gewissen und noch zu definierenden Grundeinkommens sollte es meines Erachtens jedem gestattet sein, sich an offenen Obst- oder Gemüsepackungen zu laben, und anscheinend geht der deutsche Einzelhandel bereits von diesem Gebaren aus, denn warum sonst werden z. B. Erdbeeren immer an der Kasse gewogen?

Mir war diese Tatsache gar nicht bekannt, aber Ms. Columbo klärte mich auf, während die Leggingsfrau sich mit wach umherschweifendem Blick die nächste Traube in den Mund schob.

Nachdem ich Lollo Rosso, Rauke, Tomaten und Forellenbirnen mit einem Fünfziger gezahlt hatte, hielt ich beim Rausgehen zwei Zwanziger in der Hand, und Ms. Columbo konnte nicht rausgeben.

Ich hasse es, Schulden zu haben. Aber was soll ich machen.


PS: Der
oben scheinbar völlig zusammenhanglos abgebildete Mops lag zwar bei Edeka rum und nicht bei Penny, aber Einzelhandel ist Einzelhandel, Punkt.


14 Kommentare:

  1. Ich muss zu meiner Schande gestehen, daß ich mich seit ca. 19 Jahren (immer im gleichen Geschäft) an Trauben vergreife. Wobei meine kriminelle Energie sich als durchaus ausbaufähig erwiesen hat. Seit ca. eineinhalb Jahren sind selbst die Erdbeeren nicht mehr vor mir sicher. Genau wie die Trauben: eine zur Ankunft, eine zum Abschied.;-)

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  2. Gut, dann nehmen wir Ihr Einkommen als Definitionsgrundlage für die Legitimität dieses Vorgehens. Wenn ich um die genaue Höhe bitten dürfte.

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  3. Ich entdecke beim in-mich-horchen, dass mich die Vorstellung, ungewaschene, offen liegende und jedermann zum freihaendischen Teilverzehr dargebotene Trauben zu essen mehr abschreckt als ein moeglicherweise vorhandener Ladendetektiv, ganz zu schweigen von aufmerksamen Bloggern.

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  4. Wenn man sich nicht erwischen lässt, ist das sicherlich erlaubt.

    Früher hätte man gesagt, das ist Mundraub und der war nicht strafbar. Heute ist es Raub und das ist strafbar.

    Das wollte ich nur mal gesagt haben.

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  5. Unter Eheleuten ist doch eine gemeinsame Kasse auch etwas schönes.

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  6. Herr Matt,
    ich sage es nur ungern,
    aber das oben abgebildete Tier [Bouledogue français]gehört
    nicht zur Rasse des Mops.

    Ich hoffe ernsthaft Sie wissen trotzdem wie Möpse aussehen.

    Ja und zu den Trauben habe ich nichts zu sagen.
    Mehr Sorge mache ich mir über die gepunkteten Leggings,
    aber das wäre ja wieder ein anderes Thema
    und dafür bin ich heute zu kleinkariert.

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  7. Mundraub war, als er noch nicht abgeschafft war, eben ein eigener Straftatbestand. Er wurde auch verfolgt; das Strafmaß war aber geringer.

    Mittlerweile (seit 1975) ist der Mundraub aufgegangen im § 248a StGB (Diebstahl geringwertiger Sachen). Er wird nur noch auf Antrag verfolgt.

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  8. @ein Fräulein
    Genau! Das Tier ist kein Mops! *weil der liegt ja nicht im Einzelhandel rum, sondern ist in der Küche und stiehlt dem Koch ein Ei*

    @Herr Matt
    Sie halten Lollo Rosso, Rauke, Tomaten und Forellenbirnen für was nützliches? Ich dachte immer das sind Lebensmittel!
    Frau-Irgendwas-ist-immer

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  9. @ menzeline 09:35,

    es wäre allenfalls ein (Bagatell-)Diebstahl und kein Raub (das wäre Wegnahem unter Gewaltanwendung), eventuell wäre das vielleicht hausverbotsfähig. So etwas würde im Rahmen eines Strafverfahrens sicherlich einstellungsfähig.
    Sollten Sie einmal erwischt werden, müßte man Ihnen nachweisen, daß Sie gerade auf einer Weintraube des Hauses kauen und nicht auf einem Knorpel Ihres vorherigen Mahles oder gar Ihres Lebens ("Grissle of life").
    Außerdem könnte hilfsweise eine "Warenprobe zur Kaufentscheidung" geltend gemacht werden, wie sie bei einem souveränen türkichen Gemüsehändler nicht unüblich ist. Sollte der Ladendetektiv vorzeitig und zu früh zugeschlagen haben: Sie hätten an der Kasse bestimmt davon berichtet oder erst nach dem Wiegen am Obststand die Traube(n) in freudlicher Erwartung probiert.
    Das wären so die ersten Interventions- und Problembewältigungsstrategien, die man empfehlen könnte im Fall eines Falles.

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  10. Da der Einzelhandel selbst angegammeltes Obst durch Speziallicht noch gut aus sehen läßt, muß man doch testen was man kaufen möchte, also ist es für mich eine Degustation und kein Mundraub.

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  11. Also bitte, werte Damen, Herren und (Nicht)Möpse, wahren Sie die Contenance !
    Hätte ich auch nur im leisesten erahnt, welche Lawine ich hier mit meinem Outing als gewohnheitsmäßigem Degusteurverbrecher losgetreten habe, hm... ach wissen Sie... sehr wahrscheinlich hätte ich mich trotzdem geoutet.
    Es wirkt irgendwie befreiend.
    In diesem Zusammenhang einen besonderen Dank @Anonym 19:10, DEGUSTATION war die -von Ihnen gelieferte- Steilvorlage, die ich noch benötigte um mein schändliches Tun wenigstens halbwegs zu rechtfertigen.
    Weiterhin bitte ich strafmildernd zu berücksichtigen, daß ich in den fast zwei Jahrzehnten niemals dem Verkaufspersonal Gewalt androhen noch gar ausüben musste.
    Im Gegenteil, ich wurde vom (vermutlich korrupten) Personal noch ermutigt zu degustieren.
    Also kein Raub, gell ?

    Ach, Übrigens...
    Ich habe es vor ein paar Stunden schon wieder getan ! ;-)

    mea culpa, mea maxima culpa !

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  12. Frau Fräulein, Ihre Korrektur bez. der Hunderasse bestürzt und beschämt mich zugleich. Denn in der Tat schrieb ich mir bisher nicht ohne Selbstgefälligkeit zu, mich mit Möpsen aller Art bestens auszukennen. Und jetzt das.

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  13. @anonym 9:33
    Und wie gehts Ihnen beim Hot Dog Essen bei Ikea? Oder ekeln Sie sich gar davor?

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