17 Oktober 2007

Gelegenheit macht „Diebe“

Eigentlich will ich im Supermarkt nur ein paar Strauchtomaten kaufen, doch als ich diesen herrenlosen Einkaufswagen im Gang herumstehen sehe, schreit die Situation unversehens auch nach dem Auffüllen unserer Direktsaftbestände.

Zunächst aber versuche ich schweifenden Blicks den Besitzer des Wagens zu ermitteln, zumal eine rote Pfandmarke aus dem Schloss hervorlugt. Doch niemand ist zu sehen. Derweil klingelt mein Handy, und während ich das Gespräch annehme, führe ich halb unbewusst den Wagen zum Saftregal.

Aus dem Augenwinkel sehe ich noch ein älteres Paar, das plötzlich um die Ecke kommt und sich ratlos umschaut. Ich habe sofort einen Verdacht – doch auch das Telefon in der einen Hand und den Wagen in der anderen. Ach, belassen wir’s dabei, denke ich im Stillen beim Multitasking (Labern links, Beladen rechts).

Eine Viertelstunde später passiere ich die Kasse, schiebe den Wagen in die -schlange, löse das Schloss und lasse die rote Pfandmarke offen drin liegen; schließlich gehört sie mir ja nicht, und ein Wagenentleiher bin ich schon, aber kein Dieb.

Im Weggehen höre ich plötzlich eine verärgerte männliche Stimme. „Sie haben Ihre Marke vergessen!“, ruft sie im deutlichen Bemühen, dieser Aussage eine sarkastische Färbung zu geben. Ich drehe mich um, und mir wird sofort alles klar. Vor der Wagenschlange steht das Paar von vorhin. Es hat hier die ganze Zeit gelauert auf den unbekannten Entwender. Die rote Marke musste ihn irgendwann entlarven, das war logisch; Nick Knatterton wäre stolz auf sie.

„Nein, schon gut“, sage ich unschuldig zu dem Mann, der eine typisch hanseatische Schiebermütze trägt und vor Ärger eine rote Gesichtsfarbe angenommen hat, „ich habe die Marke sowieso nicht bezahlt.“ Er nickt heftig und verbittert. „Das weiß ich!“, ruft er, „Sie haben nämlich unseren Wagen genommen!“

Jetzt ist der Moment gekommen, wo sich seine Frau in der Pflicht sieht, mäßigend auf die Situation einzuwirken. Ja, es sind immer die Frauen, die Frieden stiften, immer die Frauen.

„Sie sind gut erzogen“, schmeichelt sie mir und lächelt entschuldigend, doch eine Spur zu breit. „Ja, ja, von wegen!“, schimpft die Schiebermütze aus dem Hintergrund. Seine Frau dreht sich kurz zu ihm um, wendet sich aber sogleich wieder mir zu.

„Dann hat sich ja alles geklärt“, lächelt sie noch breiter und schiebt ihren beträchtlichen Umfang zwischen mich und ihren Mann. Jetzt kann ich ihn nicht mehr sehen. „Dann haben wir die Marke ja wieder“, sagt sie, „dann ist alles gut.“

Sie bemüht sich wirklich sehr, sie könnte im UN-Sicherheitsrat anheuern. „Entschuldigung“, sage ich, „mir schien der Wagen herrenlos.“ „Alles hat sich geklärt“, wiederholt sie, „alles ist gut.“

Sie möchte mich auf jeden Fall fernhalten von ihrem Mann. Allerdings weiß ich nicht, wen sie im Konfrontationsfall für gefährdeter hielte. Schließlich kann sie ja nicht ahnen, womit sie es bei mir zu tun hat: nämlich mit einem der harmlosesten Menschen zwischen hier und Hyderabad. Auf der Bösartigkeitsskala rangiere ich genau gegenüber von Osama Bin Laden.

All das weiß sie nicht, und deshalb verabschiede ich mich. Sie beeilt sich, die Verabschiedung zu erwidern, und lächelt sehr, sehr breit. Im Hintergrund grummelt die Schiebermütze. Dann gehe ich.

Noch eine ganze Weile lang muss ich schmunzeln bei der Vorstellung, wie das Rentnerpaar vor der Wagenschlange lauert, während ich ahnungslos und seelenruhig ihre Pfandmarke durch die Gänge schiebe. Eine Viertelstunde lang haben die zwei argwöhnisch jeden Kunden gemustert, und dann: Bingo! Irgendwie rührend.

Übrigens ist es vielleicht gar nicht mal so schlecht für die deutsche Außenpolitik, dass wir von einer Frau regiert werden. Müsste man mal drüber nachdenken.


25 Kommentare:

  1. Mit Angie statt Gerd wären meine Enkel jetzt im Irak, schon vergessen?

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  2. Sie haben völlig recht. Ich nehme alles zurück, sogar die Aufforderung zum Nachdenken. Bzw. fange selber endlich damit an.

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  3. Nichts gegen Angie*, aber Maggie Thatcher ist in den Krieg gezogen und Condoleezza Rice wirkt auch nicht sehr friedensstiftend. Und Rice bezeichnet sich sogar noch als gläubige Christin. Das zu diesem Thema.

    *Dass ich Angie mal lobend erwähnen würde, hätte ich mir vor zwei Jahren nicht mal im Traum vorstellen können.

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  4. Vielleicht haben Sie dennoch recht, werter Matt, denn wir sind nicht im Irak, Angie betreibt keine Kriegshetze und außenpolitisch scheint sie ein hohes Ansehen zu genießen. Dafür ist sie halt innenpolitisch nicht so der große Bringer.

    Stefan: Sie haben doch nicht etwa Angst davor, Ihre Männlichkeit zu verlieren, nur weil Frauen nun auch Männerdinge tun, oder? ;-)

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  5. Schön :) Aber Du könntest langsam mal wieder eine Flohmarkt-Story rüberwachsen lassen ... ;-)

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  6. Das ist nichtmal das Ignorieren wert, Herr Architekt. Schnarch!

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  7. Sie haben sich da tatsächlich einen kleinen Troll-Fan eingefangen, lieber Matt! Das sollte Sie mit Freude erfüllen. Kleiner Tip: Sammeln Sie das alles! Sie werden später viel Spaß daran haben.

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  8. Und wie waren die Strauchtomaten, werter Herr Matt?

    Herzlich
    Ihre FrauvonWelt

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  9. *lol es gibt sie eben die Opelfahrer mit Hut und diese Geschichten, die sich immer wieder zutragen...

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  10. Na! Ich hätte keine Lust gehabt so lange auf den bösen Dieb zu warten. Aber sehr amüsante Story! Wobei ich anmerken muss, dass ich persönlich durchaus mit mulmigem Gefühl im Magen meine Einkaufsfahrt mit entführtem Einkaufs-Chip fortgesetzt hätte. Vor Allem, wenn mir der Anblick der zwei suchenden Alten immer wieder im Kopf umher geschwirrt wäre. Wirklich Böse Böse, Matt! Tz tz ;-)

    PS: http://www.suedwest-aktiv.de/region/neuekreisrundschau/rundschau_lokal/3145343/artikel.php?SWAID=31ff53087920b593282f978820e05443

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  11. geile story; das ist noch ne Generation. Die kämpfen selbst um ein Stück Plastik.....

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  12. Ich habe gerade an einer Umfrage des Spiegel teilgenommen und die Frage, ob Frau Merkel unser Ansehen in der Welt erhöht, mit "Ja" beantwortet.

    Es ist ja noch einmal gut gegangen. Außerdem verzeihe ich (fast) alles, meine Liebe ist nicht von dieser Welt. Das habe ich heute bereits beim MC ex cathedrall verkündigt.

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  13. Die Spiegel-Umfrage war natürlich in erster Linie eine schlecht verkappte Werbeaktion.

    Herr Matt, war der geklaute Einkaufswagen eigentlich leer?

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  14. Opa Razzi, selbst wenn er nicht leer gewesen wäre, so hätte das mein Vergehen nicht vergrößert. Immerhin passierte das alles diesseits des Strichcodescanners.

    Torsten, wenn Sie mit Ihrem Link nahelegen wollen, ich triebe mein Supermarktunwesen auch in Süddeutschland, so muss ich das abstreiten, und zwar empört.

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  15. Herr Matt,
    dem Kommissar käme noch die Frage nach der Herkunft dieser Pfandmarke auf dem Bild in den Sinn... (Na ?)
    Und dem geneigten Leser die interessante Überlegung, welchen Altmetallwert Einkaufswagen im Schrotthandel hätten. Kupferbleche von Dächern, Rohre, Kabel und Gullideckel sind ja zur Zeit en vogue. Und die muß der Mensch auch noch tragen.
    Optimal für die Rückenmuskulatur wäre es vielleicht, Gullideckel in Einkaufswagen zum Schrotthändler zu schieben.
    Mal sehen, wann der erste auf diese Idee und damit in die Zeitung kommt.
    Wohlan - allen ein kreatives Wochenende.

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  16. Das ist mir schon klar, verehrter Herr Matt. Aber die Handtasche der alten Dame z.B. hat sicher keinen Barcode, nicht wahr?

    Unpräzise Berichterstattung :-(

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  17. @ Olaf:

    Bei Lidl unten im Nuttenturm wäre Ihre Methode allerdings ein vergebliches Unterfangen. Sobald Sie mit dem Wagen eine rote Linie im Pflaster überschreiten, blockieren die Räder der Karren, jedenfalls der meisten.

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  18. Olaf, die habe ich wirklich geklaut - als JPG aus dem Internet.

    Oparazzi, Sie haben mich ertappt. Man sollte einfach keine Superagenten unter seinen Lesern dulden. Aber was will ich machen?

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  19. Ober p.e.n.n. er, Im Real (ehemals Wallmart) blockieren die Räder so mancher Karren sogar quer durch die Regale und zurück zum Fahrstuhl, wegen den blöden verkackten schiefen Rädern! Vom Einkaufswagen-Spender bis hin zum Fahrstuhl merkt man’s leider nicht immer auf Anhieb.

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  20. @ Matt:

    Eine Anti-Blogroll mit Deppenstrich vielleicht? ;-)

    @ Torsten Schwarz:

    Ich shoppe nur mit Rucksack und Sackkarre für Bierkisten. Immer fein raus. :-)

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  21. Herr Matt,
    ein Geständnis wirkt in der Regel strafmildernd - insofern haben Sie beste Aussichten.

    Herr ober p.e.n.n.,

    Sie haben es - so deute ich Ihren Kommentar - also auch schon versucht ??
    In was für eine Umgebung bin ich hier bloß geraten ? Vermutlich wird Ihnen jenes höhere Wesen, das wir alle verehren, verzeihen.
    Und müßte es nicht statt "Anti-Blogroll" besser "Anti-Rollblog (bzw. -block)" heißen ?

    Fragen
    über
    Fragen,
    das alte kantianische Prinzip.

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  22. Über die Kante mit allen Prinzipien.

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  23. Von mir aus - dennoch wirft jede Antwort neue Fragen auf...
    Das haben die Hydra und das kantianische Prinzip gemeinsam.
    Es ist fast ein Fluch, wir werden niemals sagen können, daß wir alles wissen. Das, was wir für Wissen halten, ist stets der letzte Stand unwiderlegten menschlichen Irrtums.
    Was eine Plastikmarke alles auslösen kann...

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  24. blogspargel14.08.10, 12:12

    Darf man hier auch noch nach ein paar Tagen einen Kommentar platzieren?

    Falls ja,fällt mir dazu meine Geschichte ein, dass ich beim Einkaufen in einem etwas größeren Supermarkt auf dem Weg zur Kasse plötzlich eine Durchsage hörte: "Es wird ein Einkaufswagen gesucht, der in der Fleischabteilung abgestellt wurde. Es wird gebeten, den Wagen dort wieder hinzubringen."
    Die Leute haben Probleme, dachte ich mir, sollen sie doch besser aufpassen, wo sie ihren Wagen abstellen und nicht mehr finden und wer nimmt schon einen falschen Einkaufswagen und schiebt ihn durch fast den ganzen Supermarkt. Grins, amüsier, mein Gott, sind die Leute doof.

    Als ich die Artikel auf das Kassenband legen wollte, fiel mir auf, dass mir die meisten Sachen in dem Wagen gänzlich unbekannt sind und ich diese auch gar nicht brauche.

    Mmmhhh, roten Kopf gekriegt, Wagen unauffällig in einem nahen Gang platziert und den eigenen Einkaufswagen suchen gegangen.

    Man wird alt ...

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