26 Februar 2006

Der Kinskiglücksgriff

Als kopfschüttelnder Verehrer des Talentverschwenders Klaus Kinski suchte ich jahrelang nach Filmen und Devotionalien des durchgeknallten Mimen. Vor allem die gebundene 1975er Erstauflage seiner vor Saft, Kraft, Potenzprotzerei und allgemeiner Egozentrik platzenden Autobiografie „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ war ein begehrtes Objekt meiner Begierde.

Allerdings ist das Skandalbuch immens schwer aufzutreiben. Das liegt an Kinskis Brüdern, die sich damals davon schwer diffamiert fühlten und es schon nach wenigen Wochen per einstweiliger Verfügung vom Markt nehmen ließen. Die späteren Auflagen (z. B. „Ich brauche Liebe“) waren für mich nicht mehr so interessant; jede geschwärzte oder entfernte Stelle nimmt einem Original eben weit mehr als nur ein paar Sätze.

Ich streifte also allwöchentlich über Hamburger Flohmärkte, auch über den in der Neuen Großen Bergstraße, der alle paar Monate sonntags stattfindet. Mit der üblichen gelangweilten Wachsamkeit wühlte ich eines Tages wieder mal in der Bücherkiste eines jener professionellen Händler, die Nachlässe en gros für Winzbeträge aufkaufen oder Erben gar zur kostenlosen Abgabe bequatschen („Dann sind Sie ihn los, den Krempel, ist eh nichts mehr wert“) – und bingo: Da. War. Es.

Wer weder jagt noch sammelt, kann kaum ermessen, wie es sich anfühlt, nach Jahren der Suche endlich dem Jagdobjekt Aug in Aug gegenüberzustehen. Eine Begegnung, die mit deutlichen körperlichen Symptomen einhergeht. Wärme läuft dir über den Körper wie eine Armada Ameisen, im Nacken kribbelt es, deine Hände beginnen leicht zu zittern, und du atmest – nach kurzem schockartigem Stocken der Lungenmuskulatur – plötzlich so rasch, als seist du ein, zwei Etagen treppauf gelaufen. Puh.

Das Problem in dieser Sekunde: Der Händler darf nullkommanichts merken von deiner Veränderung. Du nimmst das Buch also äußerlich ruhig aus der Kiste, befühlst es, registrierst mit mikroskopischer Enttäuschung das Fehlen des Schutzumschlags (egal, egal …), schlägst es mit ostentativer Uninteressiertheit auf – und erstarrst. Schon wieder stockt dir der Atem, dann japst du, denn … denn … das Buch ist SIGNIERT.

Von. Klaus. Kinski. Persönlich.

Jetzt wird dir allmählich das ganze Ausmaß dieses Fundes klar. Jahrelang hast du gesucht, und dein Glück schien vollkommen, als du das Buch endlich entdecktest; das ist erst zehn Sekunden her, und jetzt muss dein Adrenalinhaushalt mit der Verzehnfachung deines Glücks zurechtkommen, während du äußerlich den angeödeten Allesschongesehenhaber mimen musst.

Bei diesem Buch nämlich – um das noch einmal in aller Deutlichkeit herauszustellen – handelt es sich nicht nur um die verbotene gebundene Erstauflage, sondern um ein Exemplar, welches dein gebrochener Held höchstpersönlich – per Hautkontakt! – mit seiner Aura, seinem Fluidum imprägniert hat.

„Wieviel willsten haben für das Kinskibuch?“ frage ich den Händler mit perfide erzwungener
Ruhe. Er blickt kurz auf und sagt: „Fünf Mark.“ (Es war vor der Währungsumstellung.) Fünf Mark. Ich habe mich nicht verhört. Eine unmenschliche Willensanstrengung, auf die ich noch heute stolz bin, erlaubt mir, nicht laut loszuprusten. Ich krame wortlos in der Tasche, fingere das Geld hervor, drücke es ihm in die Hand.

Und dann, ich weiß selbst nicht mehr genau warum, schlage ich das Buch auf, halte ihm die signierte Seite hin und frage: „Ist das echt?“ Er wird sehr bleich. Und während ich abdampfe, ist meine Seligkeit zu groß,
um mich für diese kleine Fiesheit zu schämen. Das kommt erst später.

Diese Begebenheit fällt mir wieder ein, weil ich just im Web auf einen Kinski-Clip von 1971 stieß. Der durchgeknallte Mime verwandelt sich während eines Interviews in einem Pariser Park ohne großes Zutun der braven Befragerin in einen Wüterich, der alle Anzeichen von Paranoia zeigt. Es ist witzig und traurig zugleich; und am liebsten würde man ihn sedierend knuddeln.


Vier Jahre nach der Pöbelei im Park hielt er mein Buch in den Händen, er schlug es auf, nahm einen schwarzen Filzstift und krakelte wild sein Autogramm hinein.

Fünf Mark!


Ex cathedra: Die Top 3 der geistreichsten Songtitel
1. „The law is an anagram of wealth“ von Ann Clark
2. „Je t'aime (moi non plus)“ von Serge Gainsbourg
3. „It takes a lot to laugh, but it takes a train to cry“ von Bob Dylan


20 Kommentare:

  1. Genialer Fund eines Kunstwerks. Wahrscheinlich stammt das Buch aus dem Fundus von Werner Herzog ...

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  2. btw.: der Titel des legendären Gainsbourg-Songs endet mit: "(moi non plus)", oder?

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  3. Danke für den Hinweis – schon verbessert!

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  4. Sie sind ein Glücksschwein, Herr Matt Wagner, ich beneide Sie!

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  5. Das nenn ich mal ein Objekt der Begierde. Meinen, zugegebenermaßen leicht neidvoll angehauchten, Glückwunsch zu diesem langersehntem Fund.

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  6. Mein Freund Conny aus Schwalmstadt hat das vor einiger Zeit, angefixt durch meinen Erfolg, sogar auf einem Flohmarkt in Marburg noch getoppt: das gleiche Buch, auch signiert – und sogar noch im Schutzumschlag!

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  7. Du Glückspilz!
    Ich hätte gerne eine originale Erstausgabe, erster Druck, von William Goldman, "The Princess Bride". Bei der ZVAB gibt's ein Exemplar, für 1200 Dollar. *schluck*.
    Ich sollte öfter in Flohmarktbücherkisten wühlen.

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  8. Ups! Bei ebay USA sehe ich eine Erstausgabe für 20 Dollar. Nicht die richtige? Es ist eine „Sofort kaufen“-Auktion …

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  9. Auch sehr geistreich: „A Carrot Is As Close As A Rabbit Gets To A Diamond“ von Captain Beefheart. Und natürlich "Everybody's Got Something To Hide Except For Me And My Monkey" von den Fab Four.

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  10. In Berlin gibt es eine hübsche Bar namens Kinski. In Neukölln, gut, ist uncool, aber die Bar selbst ist ganz nett und die Bezirksgrenze nicht weit.

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  11. Außerdem heißt der Song von Anne Clark auch "The law is an anagram of wealth", nicht "The law is an anagram of health". Macht ja auch Sinn, weil "law" ja überhaupt kein Anagram von "health" ist.

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  12. Oh, wie peinlich … Schon verbessert.

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  13. Danke für die Erinnerung! Irgendwo ganz unten in Umzugskisten liegt meine abgegriffene Ausgabe des 'Erdbeermunds' - leider nicht signiert...

    Aber was mir fehlt ist eine eindeutige Warnung vor Kinskis expliziter Schrift. Unvorbereitet auf Inzest und Verführung Minderjähriger zu stoßen könnte, ähm, verstörend wirken.

    Gutes Blog - seit längerem mitlesend - nun nicht mehr anonym...

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  14. Ja, du hast Recht. Also: Kinski ist definitiv ab 18!

    tuttle, du bist trotzdem noch anonym. Selbst ein Blogschreiber?

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  15. die Unterschrift ist sehr wahrscheinlich nicht echt. Habe selbe etliche und die weicht sehr stark ab...

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  16. Ich hoffe mir gehts mit Ernst Jünger's "In Stahlgewittern" auch so.

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  17. Jetzt nicht mehr: Der Deppenapostroph hat Sie disqualifiziert.

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  18. Kann man das zufällig abkaufen?????? natürlich mit weit höherem Preis für einen echten Kinski-Liebhaber?????

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  19. Tja, dann unterbreiten Sie mir doch mal ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann … ;-)

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