Alle möglichen klugen Köpfe haben sich diese Woche dieselben darüber zerbrochen, warum wohl Karl-Theodor zu Guttenberg sich als Soundtrack zum Rausschmiss ausgerechnet den uralten Deep-Purple-Song „Smoke on the Water“ vorspielen ließ.
Natürlich, als Heimstatt des totgerittensten Gitarrenriffs aller Zeiten hat das Stück bereits mehrere Schnittmengen mit Guttenberg: Jeder kennt es (wie ihn), und man hat es selbst als Gitarrennovize schon nach 30 Minuten drauf (wie er einen x-beliebigen Ministerjob).
Doch das wahre Geheimnis dieser Songwahl liegt in einigen beziehungsreichen Textzeilen, und mit denen hat sich bis jetzt keiner aus der Journaille beschäftigt. Dabei beginnt der Song schon mit einem Knaller:
„We all came out to Montreux
on the Lake Geneva shoreline“,
singt Ian Gillan, und bei der Erwähnung des Genfer Sees müsste es eigentlich auch beim belämmertsten Spiegel-Praktikanten klingeling in der Birne machen.
Hier nämlich lässt Guttenberg überdeutlich Assoziationen ans Schicksal eines seiner politischen Vorgänger aufscheinen. Hauchte denn nicht Uwe Barschel (CDU) nach einem die Republik auf ähnliche Weise erschütternden Skandal in einem Genfer Hotel sein Leben aus?
Mit dieser Zeile watscht Guttenberg seine Kritiker aufs Heftigste ab. Sein kaum verhohlener Vorwurf: Die Meute habe ihn in eine existenzielle Notlage gehetzt, quasi bis an den Rand der Badewanne. Der Begriff „Genf“ wird hier im Rahmen des Zapfenstreiches mit perfider Raffinesse umgedeutet zur Möglichkeit eines in der Tat finalen Ausgangs dieser Affäre, die weit über einen Rücktritt hätte hinausgehen können.
Der Song beginnt also mit der schaurigen Ahnung eines letalen Endes, doch Guttenberg wäre nicht Guttenberg, wenn er mit Hilfe Deep Purples nicht weitere kaum verschlüsselte Botschaften an seine Fantastilliarden Fans übermittelt hätte. Nehmen wir die Zeile
„But some stupid with a flare gun
burned the place to the ground“.
Ein Vollhorst mit Leuchtpistole hat also alles niedergebrannt. Ganz klar: Damit ist der Bremer Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano gemeint, der mit seiner Rezension von Guttenbergs Doktorarbeit die Tricksereien des Freiherrn grell ausleuchtete und so dessen Karriere in Schutt und Asche legte. Wenn wir diesen feinen Vers aus „Smoke on the Water“ richtig deuten, ist nach Guttenbergs Gusto also „stupid“ Fischer-Lescano schuld an allem; ohne den wäre alles immer noch supi, und darauf darf man im Rahmen eines Zapfenstreichs ja schon mal hinweisen.
Dann wird es versöhnlicher, Guttenberg blickt nach vorne, in die Zukunft:
„When it was all over
we had to find another place“.
Er wird also nicht aufgeben, im Gegenteil, er wird zurückkommen, es gibt auch für Guttenberg wieder einen Platz in dieser Gesellschaft, er muss ihn nur finden, und deshalb sucht er schon mal.
An Kampfeslust jedenfalls, auch das lässt der Baron durch den Song verkünden, mangelt es ihm nicht:
„No matter what we get out of this“, heißt es nämlich am Ende, „I know, I know we’ll never forget“.
Zum einen gelingt es Guttenberg hier aufs Eleganteste, das eher volkstümliche „Ich“ wie nebenbei mit dem royalen Plural („We“) zu verbinden. Zum andern stößt er mit dem letzten Satz eine kaum verhohlene Drohung aus.
„Niemals vergessen“ wird er also, was ihm zugefügt wurde – gleichsam wie ein Elefant, der auch nach Jahrzehnten noch jenen identifiziert, der ihm Leid zufügte, und ihn genüsslich mit seinem Rüssel erwürgt. Okay, das ist jetzt vielleicht keine so gute Allegorie, weil wir nichts wissen (wollen) über Guttenbergs Rüssel, aber es ist ja wohl glasklar, was gemeint ist: Der Tag seiner Rache wird kommen, und dann wird er Würsten wie Fischer-Lescano, der Journaille, Bloggern und Twitterern schon zeigen, wo der Adel den Most holt.
Übrigens wurde Guttenberg am 5. 12. 1971 geboren – am Tag nach dem Brand, den Deep Purple in „Smoke on the Water“ so poetisch wie prophetisch verewigten. Eine letzte feinsinnige Hommage an ein Lied, das schier platzt vor geradezu nostradamischen Anspielungen auf Guttenbergs Schicksal.
Der Mann wusste eben genau, was er tat, als er sich diesen Song zum Zapfenstreich wünschte. Und ja, wir haben verstanden.
Foto: www.zuguttenberg.de. Mit freundlicher Genehmigung des Dingens.
Entdeckt auf Facebook.
Der Franke will abnehmen. Sieben Kilo trennen ihn von seinem Kampfgewicht mit 20, da will er wieder hin.
Zur Erinnerung: Der Mann wurde in ganz Ottensen weltberühmt dank seiner unübertrefflichen Verzehrmengen pro Sekunde, eine Fähigkeit, welche ihn zum Schrecken der lokalen Büffetgastronomie machte.
Er steht nur deshalb bis heute nicht im Guinness-Buch der Rekorde, weil die Prüfer den Verdacht nicht loswurden, der Franke arbeite mit illegalen Tricks. Mit den Naturgesetzen war sein Essverhalten jedenfalls noch nie kompatibel, aber nur scheinbar.
Und jetzt erzählt der Mann mir plötzlich irgendwelche Sachen von schnellen und langsamen Kohlehydraten. Und wenn man ihm Glauben schenken darf (was ich niemals auch nur als Gedankenspiel in Erwägung zöge), dann gehört zu einer erfolgsversprechenden Diät auch etwas völlig Skurriles: ausgiebiges Schlafen.
Neulich, erzählte er mir heute stolz, will er im Schlaf mal eben anderthalb Kilo abgenommen haben. „Franke“, weise ich ihn seufzend zurecht, „du schwitzt im Schlaf. Was du verlierst, ist alles Wasser. Und hättest du einen stinknormalen Metabolismus wie der Rest der Menschheit, dann müsstest du im Schlaf mindestens zwei bis drei Kilo abnehmen und nicht lediglich anderthalb. Nur durch schwitzen.“
Aber nein, beharrt er, es sei keinesfalls Schweiß, der ihm nächtens abhanden komme, sondern echte Körpersubstanz. Sie bilde sich im komatösen Zustand automatisch zurück, im besten Falle handele es sich dabei um Fett. Meines Erachtens aber sind bei längerer Verweildauer in Matratzien allenfalls Muskeln von Schwund betroffen, aber was weiß ich schon.
Der Franke jedenfalls will jetzt viel mehr und länger schlafen und in den seltenen Wachphasen nur noch schnelle Kohlehydrate essen, keine langsamen. Und natürlich mehr Fleisch (Foto).
Hat er wirklich mehr Fleisch gesagt? Meine Güte, der Typ steht nur deshalb bis heute nicht im Guinness-Buch der Rekorde für Fleischverzehr pro Sekunde in Kilo, weil die Prüfer dachten, er arbeite mit einer geschickt versteckten Vertilgungsmaschine. Und jetzt will er mehr Fleisch essen, um abzunehmen?
Meinen Rat, das doch am besten als Schlafwandler zu tun, werde ich lieber nicht anbringen; am Ende versteht er die Ironie nicht und setzt ihn noch um.
Nirgends in Hamburg liefert Fischers Fritze frischere Fische ab als an der Großen Elbstraße, die vom Fischmarkt aus nach Westen führt.
Dort reiht sich ein Verarbeitungsbetrieb an den nächsten, und die Lücken dazwischen füllen unzählige maritim orientierte Bistros und Restaurants. Ein Biotop für das beste Sushi diesseits von Yokohama.
Zum Beispiel im Buddha’s Kitchen, wo es heute Abend Sushi satt gab für 30 Euro pro Nase, und wer war mittendrin? Ms. Columbo und meine Wenigkeit. Man lieferte zum Auftakt erst einmal eine Sushiplatte mit ungefähr 30 Röllchen, welche der Orientierung über die Vielfalt des Angebots dienen sollte.
Als sie behaglich verputzt war, waren wir bereits satt – der Kellner aber schon mit der nächsten Platte im Anmarsch, die einen weiteren hochinteressanten Einblick ins Sushispektrum von Buddha’s Kitchen erlaubte.
Wir schafften auch das. Danach aber waren wir derart geschwächt, dass wir uns nicht mehr mit der nötigen Vehemenz gegen die Lieferung einer dritten Platte zu wehren vermochten. Irgendwie war es mir allerdings gelungen, den Kellner dazu zu bewegen, sie nur halb zu bestücken. Von dieser Hälfte schafften wir – inzwischen dreiviertel komatös – immerhin noch die Hälfte. Eine Energieleistung, die nur zu schätzen weiß, wer dabei war.
Als der Kellner abräumte, fand er zwei müde abwinkende, schwer atmende Gestalten vor, deren Kommunikationsfähigkeit praktisch aufs Vegetative heruntergedimmt war. „Ach“, lächelte der Kellner, „wir hatten hier auch schon Gäste, die haben sechs Platten geschafft.“ „Zu viert?“, fragte Ms. Columbo matt.
„Nein“, sagte der Kellner, „zu zweit. Wie Sie.“
Der abschließende Grappa aufs Haus verschlechterte die Gesamtlage dann noch mal deutlich, was ich allerdings erst zu Hause in seiner ganzen Tragweite feststellen musste, leider.
Entdeckt an der Alster.
Am Bahnhof Stelliingen finden wir einen mit HSV-Flaggen dekorierten Bierstand vor. Das freilich wäre noch nichts Erstaunliches, doch hinterm Tresen stehen zwei circa zwölfjährige Pimpfe und verticken Holsten in Dosen. Zwölfjährige!
Vielleicht ist so was sogar irgendwie legal, denn immerhin trinken die Jungs nichts davon. Als ich zur Dokumentation dieses segensreichen kindlichen Wirkens am Bruttosozialprodukt die Kamera zücke, fällt mir der Franke in den Arm. Ich solle das lassen, argumentiert er, um keine behördliche Aufmerksamkeit auf den Schwarzmarkt zu lenken.
Dieser bauernschlaue Mitallenwasserngewaschene – auf so eine Idee wäre ich gar nicht gekommen! Als bekanntermaßen gut Belehrbarer gebe ich seinem Einwand aber sofort statt. Ersatzweise muss er sich allerdings dazu verdingen, mir höchstpersönlich eine der erstandenen Bierdosen ins Bild zu halten (Foto).
Ein Beweis für einen Bierstand mit zwei circa zwölfjährigen Pimpfen, die Holsten in Dosen verkaufen, ist das allerdings nicht, Herr Staatsanwalt!
Vorm Spiel hatte ich getwittert „Auf dem Weg nach Stellingen, dem HSV Pech bringen“, und was soll ich sagen … Wir sitzen zufällig auch noch hinterm jenem Tor, das fünf der insgesamt sechs Treffer des Nachmittags für sich verbuchen darf. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich, und zwar ausdrücklich bei beiden Teams.
Außer bei Mladen Petric; der traf gegenüber.
Esso-Tankstelle, Spielbudenplatz. Die sogenannte „Kulttanke“ also, über die Spiegel TV alle zwei Wochen irgendeine Reportage dreht, weil dort Betrunkene drollige Sachen machen.
„Tut mir furchtbar Leid, wirklich“, sage ich möglichst kleinlaut zum Kassierer, „aber ich habe nur einen Fünfziger. Ist das schlimm?“ Ich halte dem unglaublich sanftmütig wirkenden anatolischen Glatzkopf die Mopo samt großem Schein hin und versuche zu gucken wie eine Dackelwelpe.
Schließlich muss ich ihm ja nicht erzählen, dass ich gerade das letzte Kleingeld im Backhus für Walnussbrötchen hergab. Er würde mich bestimmt fragen, womit er es verdient habe, kleingeldtechnisch schlechter behandelt zu werden als das Backhus, und darauf wäre mir nur eine Antwort eingefallen: Gedankenlosigkeit. Ignoranz. Geistige Trägheit. (Na gut: Das waren drei Antworten.)
„Ja, das ist schlimm“, sagt er mit dem bittersten Lächeln seit Erfindung der Oberlippe. Kopschüttelnd sucht der Mann (es handelt sich wahrscheinlich genau um jenen „Ausländer“, der neulich angeblich „einen Deutschen“ rausgeschmissen hat) das Wechselgeld zusammen und blättert es mir mit vorwurfsvoller Melancholie hin.
„Mit Taxifahrern könnten Sie das nicht machen“, mahnt er, noch immer bitter lächelnd. „Wenn die zwei Fünfziger hintereinander bekommen, werden die sauer.“
Ich nehme die 49,40 Euro entgegen und verstaue sie in meiner Börse. „Sie sind aber kein Taxifahrer“, kontere ich. Ein schlagfertiger Einfall, wie mir scheint, denn in Verbindung mit meinem frühlingshaften Strahlen baue ich so eine gummiartige wall of charme auf, an der seine Enttäuschung, seine Bitterkeit, seine Melancholie nicht nur abprallen, sondern sich sogar verwandeln werden in eine Art Vorfrühlingsglück, welches sein ganzes Wochenende prägen wird.
Und genau so kam es dann auch.
(Foto: www.reeperbahn-garagen.de)
Arzt (weht eindrucksvoll herein, setzt sich an den Rechner): Guten Tag. Was ist denn mit Ihrem Knie?
Matt: Es schwillt immer wieder an und …
Arzt (zur Sprechstundenhilfe, die den Raum betritt): Ja?
Sprechstundenhilfe: Frau Thomsen* am Apparat wegen der nichtzugelassenen Medikamente.
Arzt (zu mir): Augenblick. (nimmt Hörer ab) Frau Thomsen? … Ja … Kein Problem, die kann ich Ihnen besorgen. Sind aber nur in den USA zugelassen. Aber Ihr Vater wird mich ja kaum verklagen … Genau … So machen wir’s … Ja … Gut … Ich rufe Sie an, wenn die Mittel da sind. (legt auf, schaut wieder auf den Monitor)
Matt: Wie gesagt, die Schwellung kommt immer wieder. Die Einlagen haben nicht geholfen. Dr. X. hat das Knie damals geröntgt und gesagt, er hätte da …
Arzt (ohne mich anzuschauen): Hat er denn keine Kernspin veranlasst?
Matt: Nein.
Arzt (schüttelt missbilligend den Kopf, kommt zu mir rum): Wo tut es denn weh?
Matt (wickelt Hosenbein hoch)
Arzt (drückt am Knie herum): Hier? Hier?
Matt: Es wechselt. Manchmal gibt es einen punktuellen Bewegungsschmerz links, besonders wenn …
Arzt (steht abrupt auf): Also überall. (zur Schwester) Einmal Überweisung Kernspin. (zu mir) Lassen Sie sich einen Termin geben und kommen Sie mit den Aufnahmen wieder. (weht eindrucksvoll hinaus)
Matt: Äh …
Sprechstundenhilfe (setzt sich an den Rechner, klackert los, der Drucker surrt): Hier, Ihre Überweisung. (klackert weiter)
Matt (nimmt den Zettel, bleibt unschlüssig sitzen): Hm … kann ich jetzt gehen?
Sprechstundenhilfe (nickt ohne aufzublicken)
Matt (packt seine Sachen und geht ab)
Allmählich dämmert mir, warum manche Leute allen Ernstes Homöopathen aufsuchen.
* Name geändert
Die Berliner Sängerin Julia A. Noack in der Astrastube, Max-Brauer-Allee
Wie der Rest der Welt aus einem hiesigen Blogbeitrag erfuhr, hatten wir am 20. Februar eine Bürgerschaftswahl, was anderswo einer Landtagswahl entspricht.
Erst jetzt bin ich dazu gekommen, mir die Wahlstatistik von St. Pauli in mühevollster Kleinarbeit als relativ junger Nichtfamilienvater einmal näher anzuschauen. Und siehe da: Sie ist nicht gerade repräsentativ für unsere Stadt. Hätten alle Hamburger so gewählt wie wir, wäre zum Beispiel die CDU nur gerade so eben noch in die Bürgerschaft gerutscht.
5,5 Prozent sind kein Ruhmesblatt, CDU, irgendwas macht ihr falsch, ihr sprecht St. Pauli nicht korrekt an, ihr habt den Rotlichtsound nicht drauf. Vielleicht habt ihr aber auch einfach nur zu viele Baugenehmigungen für leerstehende Bürotürme erteilt, wer weiß das schon. Zur Strafe fuhren düpierenderweise sogar Exoten wie die Piraten eine doppelt so hohe Ernte ein wie die CDU.
Alle linken oder linksorientierten Parteien (SPD, GAL, Linke, Piraten) zusammen kommen in St. Pauli übrigens auf einen Stimmenanteil von stattlichen 91,6 Prozent. Das ist ja fast schon honneckeresk, meine Lieben!
Angesichts dieser gewaltigen Übermacht dürfte den ungefähr 150 Kieznazis ziemlich die Muffe gehen, nicht nur auf der Reeperbahn nachts um halb eins, sondern ganz generell. Mein Vorschlag zur Güte: wegziehen.
Noch jemand vergessen? Ach ja, die FDP. Passable 1,6 Prozent vermochte jene Partei zu verbuchen, die mit einer gelben Regenjacke als Testimonial an den Start gegangen war. Doch St. Pauli sehnt sich nach Sonne; somit war das einfach das falsche Signal für einen Februar.
Wie überall in Hamburg stellten übrigens auch bei uns die Nichtwähler mit Abstand die stärkste Partei. Sie kamen auf über 55 Prozent.
Würde man sie ebenfalls in die Wahlstatistik einfließen lassen, käme die CDU auf eine Zahl, die sogar mich schockiert.
(Grafik: Statistik-Nord, E. Hyra und S. Kehne)
Nachdem Dr. Angela Merkel gestern erwartungsgemäß meinem Gesuch stattgab, darf man nun leicht beruhigt die Aufmerksamkeit wieder dem Kiez zuwenden.
Dort, an üblicher Stelle in der Simon-von-Utrecht-Straße, hängt seit neuestem ein am Mauergitter aufgeknüpfter Bettelbär. Er hält tapfer die Stellung, wenn die polnischen Obdachlosen gerade woanders sind.
Ich weiß nicht, wie weit es gewöhnlich her ist mit Selbstdisziplin und Anstand zufällig vorbeikommender Bettelkonkurrenten, doch ich könnte mir schon vorstellen, dass man in einer solch prekären Situation dem Bären en passant eher was aus dem Becher nimmt, als etwas mühsam Selbsterbetteltes hineinzuwerfen.
Kurz: Obgleich sein mitleiderregendes Aufgeknüpftsein an der Simon-von-Utrecht-Straße durchaus die Herzen von Passanten zu rühren imstande sein dürfte, zweifle ich doch aus geschilderten Gründen an seinem Nettoerfolg am Ende des Tages.
Als ich abends erneut dort vorbeikam, war er denn auch verärgert abgehängt worden und saß jetzt schmollend abseits der zurückgekehrten Polengruppe an der Mauer.
Mehr ist übrigens auch nicht dran an dieser Pseudogeschichte. Aber das haben Sie sicher schon geahnt.
Vorbands sind die Parias des Konzertbetriebes. Das wurde heute mal wieder auf brutalstmögliche Weise klar.
Wir waren zum Kylie-Minogue-Konzert in die o2-World-Arena eingeladen worden, als Auftakt des Abends spielte die Newcomerband Frida Gold.
Nachmittags schon, das erfuhren wir in der Loge, wo wir u. a. mit Champagner (Foto) empfangen wurden, war der Vorband nur ein zehnminütiger Soundcheck gestattet worden. Und jetzt standen die Jungs samt Mädel auf der Bühne, und alles ging plangemäß schief.
Der verantwortliche Mischpultsaboteur, der ohne jeden Hehl den Auftrag hatte, Kylie Minogue durchs akustische Niedermachen der Vorband umso heller erstrahlen zu lassen, sorgte erst einmal dafür, dass Frida Gold so leise rüberkamen wie ein Küken nach dem Schlüpfen.
Außerdem eliminierte er alle hohen Frequenzen; der E-Gitarrist weiß wahrscheinlich noch immer nicht, dass die 10 000 Leute in der o2 World ihn bloß für einen komischen Vogel mit Gitarrenattrappe hielten – und die Keyboarder für Pling-Pling-Clowns.
Bis zu unseren Plätzen drangen lediglich Basedrum und Bass durch – sowie ein fernes Kieksen, das anscheinend die Stimme der Sängerin darstellen sollte. Genauso muss perfekt inszenierte Mischpultsabotage klingen, und in dieser Hinsicht erledigte Kylies Agent an den Reglern seinen Job fantastisch.
Vorbands wissen das. Aber sie können nichts tun. Wer in den Genuss kommt, von Label oder Management für einen saftigen Betrag ins Vorprogramm eines Stars eingekauft zu werden (offiziell heißt das: „Superstar XY persönlich hat die Band ausgesucht“), wird sabbern vor Glück, endlich mal eine fünf- statt dreistellige Zahl von Leuten beschallen zu dürfen.
Der Preis dafür ist vergleichbar mit dem Einzug ins Dschungelcamp: Man wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Und man wird zum hässlichen Entlein gemacht, um den Kontrast zum schwanengleichen Star zu maximieren.
Vorbands sind die Watschenpuppen des Konzertbetriebes, die Crashtestdummys, sie kriegen Klamotten aus Altkleidersammlungen übergeworfen. Die akustische Botschaft des Mischpultsaboteurs ans Publikum ist eindeutig: Seht her, wie klein sie sind, wie hässlich.
Frida Gold werden vielleicht trotzdem berühmt. An ihrem Job als Vorband von Kylie Minogue wird es aber nicht gelegen haben, so viel ist sicher.
Wenn man seit 16 Jahren auf dem Kiez Konzerte besucht, weiß man genau, was man keinesfalls tun darf: pünktlich kommen, also zu dem Zeitpunkt, an dem das Konzert offiziell angesetzt ist.
Pünktlich kommen bedeutet nämlich – vor allem, wenn die Begleitung kurzfristig abgesagt hat – dumm rumstehen und vor lauter Langeweile vor der Zeit das erste Bier bestellen.
Wer auf dem Kiez pünktlich kommt, kommt auf alle Fälle viel zu früh. Die Band ist wahrscheinlich gerade auf dem Weg ins Restaurant und wird erst nach dem gemütlichen Gelage plus obergemütlichem Absacker plus Kurzmalfrischmachen im Hotel ganz allmählich eintrudeln, während man selbst vor Langeweile schon drei Bier getrunken hat. Oder vier.
Einmal wollte ich – was ich wahrscheinlich hier schon mal erzählt habe – zu einem um 22 Uhr angesetzten Konzert ins Molotow, welches dann um 0:30 Uhr endlich anfing. Das waren irgendwelche Dänen, und sie waren verdammt gut. Aber auch verdammt spät dran, und das an einem Donnerstag.
Wenn man also seit 16 Jahren auf dem Kiez Konzerte besucht, kommt man später, so Pi mal Daumen eine Stunde. Schon oft gelang es mir mit dieser ausgefeilten Methode, exakt zur Ansage oder während des ersten Stücks den Club zu betreten, während ich umgeben war von aus bekannten Gründen glasig dreinschauenden Leuten, deren Konzertbesuche keinen empirischen Gesetzmäßigkeiten folgten.
Gestern Abend spielten In Extremo im Grünspan, eine Band, die ich zwar schon mehrfach getroffen, aber noch nie live gesehen hatte. Offizieller Konzertbeginn war 20 Uhr, also machte ich mich gemäß des Optimalverspätungsgesetzes um 21 Uhr auf den kurzen Weg ins Grünspan.
Der Mann an der Kasse glotzte mich verwundert an, als ich Einlass begehrte, und rief mir gegen den herüberbrandenen In-Extremo-Lärm zu: „Die sind aber gleich fertig.“ Ich erwiderte etwas im Sinne von „Wie bitte? Aber gab es denn keine Vorband?“, doch er drückte mir den Stempel auf den Daumenballen und brüllte: „Die haben pünktlich angefangen“ – ein Satz, der mir genauso realistisch vorkam, als hätte er gerade gesagt (nein: gebrüllt), der Papst habe heute eine Bank in Stockholm überfallen.
Doch es stimmte. In Extremo hatten pünktlich um 8 angefangen. Sie spielten nach meiner Ankunft noch drei Stücke, sperrten sich gegen den ausdrücklichen Wunsch des Publikums nach Zugaben und entließen uns alle noch vor halb 10 hinaus in die linde Nacht.
So erlebte ich das wahrscheinlich kürzeste Kiezkonzert meines Lebens, das zudem mit der geringsten persönlichen Biervertilgungsquote seit Erfindung der Gerste in die Annalen einging: null.
Also fragen Sie mich bitte nicht, wie es war. Auskunft geben kann ich höchstens über die Laserlichtspiele überm Toiletteneingang, aber auch das am liebsten nur visuell.
Betreff: z. Hdn. Frau Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Von: Matt Wagner
Datum: 26.2.2011, 20:09:57 MEZ
An: internetpost@bpa.bund.de
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
als Staatsbürger, Demokrat und glühender Anhänger unseres Grundgesetzes möchte ich nicht von einem Betrüger und Hochstapler regiert werden. Ich hoffe, Sie können das nachvollziehen. Es ist nicht nur für mich unzumutbar, sondern auch unserer Republik unwürdig.
Betrug und Hochstapelei sind Charakterfragen. Entweder man ist dazu fähig oder nicht. Man kann eine solche Charakterschwäche nicht ablegen, nur weil man Minister ist.
Daher bitte ich Sie inständig, als Staatsbürger, Demokrat und glühender Anhänger unseres Grundgesetzes: Entlassen Sie den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.
Ich möchte mich nicht mehr schämen müssen für diese Republik.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Wagner
Foto: REGIERUNGonline/Bergmann
Wir sehen hier einen kurzen Ausschnitt aus einem bemerkenswerten Imagefilm des Fachbereichs Jura der Uni Bayreuth. Die Produzenten gewannen dafür ehemalige Absolventen, darunter auch den Verteidigungsminister „Dr.“ Karl-Theodor zu Guttenberg.
Auf die selbstgestellte Frage, was man in Bayreuth am besten studieren solle, sagt er: „Jura. Es lohnt sich.“ Quod erat demonstrandum.
Der komplette Film enthält neben Guttenberg übrigens eine ganze Menge vollbusiger, stets tiefdekolletierter Studentenschnitten – und ist hier zu sehen.
Was für ein todtrauriger Tag für unsere parlamentarische Demokratie.
Ein Lügner und Betrüger, ein Mann von offenkundig verrotteter Moral darf weiterhin eine hochgerüstete Armee von 250 000 Soldaten befehligen. Ein Lügner und Betrüger, ein Mann von offenkundig verrotteter Moral darf weiter oberster Dienstherr zweier deutscher Universitäten bleiben.
Es ist einfach nicht zu glauben, aber es lief in der Tagesschau. Also muss es wahr sein.
Es gäbe unzählige Gründe für diesen vermeintlichen Superstar, der sich als armseliger Guttenzwerg entpuppt hat, tief beschämt das Weite zu suchen. Allein schon deshalb, weil es unsagbar peinlich ist, auf so entwürdigende Weise beim plumpen Tricksen und Täuschen erwischt zu werden, würde sich jeder Mensch mit Restehre freiwillig für Jahre in ein hochalpines Kloster verkriechen. Oder gleich nach Goa.
Wahrscheinlich würden das sogar die meisten Kiezluden freiwillig tun. Aber er nicht.
Wie eitel muss man sein, um selbst eine solche Schmach wegignorieren zu können? Und wie machtgeil müssen jene sein, die einem solchen Mann bedingungslos beispringen?
Da saß heute eine Forschungsministerin im Bundestag, die unlängst erfolgreich die sogenannte Exzellenzinitiative angeschoben hat, welche die Qualität der Wissenschaft in Deutschland steigern soll – und forderte mit keinem einzigen Wort, den Betrüger, der sich einen wissenschaftlichen Doktortitel erschleichen wollte, unverzüglich aus dem Kollegenkreis zu entfernen. Es ist einfach nicht zu glauben.
Heute ist mir jedenfalls die Lust auf irgendeine launige Geschichte vom Kiez genauso gründlich vergangen wie das Lachen; selbst die Sammlung von Guttenberg-Witzen, die Ms. Columbo mir zur Kenntnisnahme mailte, konnte daran nichts ändern. Denn das alles ist einfach nicht mehr witzig.
Es ist nur eins: todtraurig.
Foto: www.zuguttenberg.de. Mit freundlicher Genehmigung des Ministers.
Heimlich fotografiert im Mercado, Ottensen.
Ein etwa 17-jähriges Mädchen marschiert telefonierend bei Rot über die vierspurige Stresemannstraße, ohne den Verkehr auch nur eines Blickes zu würdigen.
Es gibt schließlich Wichtigeres als eine Tonne heranrauschendes Todesblech, und das Wichtigere kommt gerade aus einem kleinen Kästchen mit SIM-Karte, welches das Mädchen fest ans Ohr presst. Auch als das ignorante Teenie mitten auf der Straße empört angehupt wird, zeigt es keine Reaktion, sondern schlurft weiter, über die nächsten zwei Spuren.
Echt cool, die Kleine. Und entschieden suizidal, freilich ohne es zu ahnen.
Das hupende Auto verfehlt das Mädchen knapp. Wir schauen fasziniert zu. „Solchen Leuten“, moniert Ms. Columbo mit einer Mischung aus Genervtheit und Bewunderung, „passiert immer nichts.“ „Nun“, erwidere ich, „das würde ja einen Gott voraussetzen, der sich als eine Art Kontraindikator versteht.“ „Genau!“, pflichtet mir Ms. Columbo bei, „ein Ätschi-bätschi-Gott!“
So verwunderlich wäre das freilich gar nicht, denn schon in der Bibel wird von einer eingehenden Psychoanalyse berichtet, die zu dem beunruhigenden Ergebnis kommt, die Wege des Herrn seien unergründlich. Und zur Unergründlichkeit gehört es unbedingt dazu, auch mal optional die Verdammenswerten zu hätscheln und die Folgsamen zu vierteilen.
Das Mädchen, das da so sinnierend und in sich gekehrt über die vierspurige Stresemannstraße stapfte, kam jedenfalls mit dem Leben davon. Wohl bald schon wird es seinen fragwürdigen Genpool wider alle Vernunft reproduzieren, vielleicht sogar mithilfe seines Gesprächspartners am anderen Ende der Handyverbindung, wer weiß das schon.
Als wir Zeuge dieses Vorfalls wurden, kamen wir übrigens gerade aus einem mit bröckeligen Kacheln verkleideten Café namens Herr Max (Foto) in der Schanze, wo es den definitiv besten Espresso gibt, den man für einen Euro kaufen kann.
Ich würde mich übrigens auf die Theke des Caffe Latte stellen und das wiederholen. Aber dort ist der Espresso eh teurer.
Gestern Mittag saßen wir angespannt in den Wahlkabinen im Ortsamt St. Pauli und studierten das Quartett der umfangreichen Broschüren, zu denen der gute, alte Stimmzettel in Hamburg inzwischen geworden ist (wahrscheinlich durch unkontrollierte Zellteilung).
Die vier verschiedenfarbigen Broschüren – es handelte sich parallel um eine Landtags- und eine Kommunalwahl – wirkten wie Mutationen. Statt dem bewährten Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“ weiter treu zu bleiben, konnten wir diesmal gleich 20 Stimmen vergeben, fünf in jeder dieser Broschüren. Und diese Stimmen durften wir beliebig aufteilen, auch querbeet.
Anfangs kam mir das vor wie eine bürokratische Blähung, doch jetzt, nach der (hoffentlich) unfallfreien Bewältigung des Parcours, sehe ich auch die Vorteile dieses Verfahrens. Immerhin kann ich nun erstmals in meiner Wahlgeschichte persönliche Koalitionswünsche signalisieren, indem ich zum Beispiel der Partei X drei Stimmen gebe und Partei Y zwei.
Die üblichen Statements in den Elefantenrunden à la „Der Wähler will Rot-Grün!“, nur weil das beliebige Zusammenzählen verschiedener Prozentzahlen eine parlamentarische Mehrheit ergäbe, war aus statistischer Sicht immer sinnlos, weil austauschbar. Beweis? Seit 1949 hätte man (mit Ausnahme von 1957) nach jeder Bundestagswahl unwiderlegbar argumentieren können, „der Wähler“ wünsche sich am innigsten eine Große Koalition – denn CDU und SPD waren stets die stärksten Parteien.
Doch was wir Kreuzchenmacher wirklich wollen, lässt sich erst mit dem neuen Hamburger Wahlsystem herausfinden. Ich hoffe, die Auswertung erfolgt denn auch derart detailliert, dass dies nachvollziehbar zutage tritt.
Eine solche Feinanalyse würde ich unter der Rubrik Trostpflaster verbuchen – nachdem sich all meine 20 mühsam aufgeteilten Stimmen gleichsam in Luft aufgelöst haben.
Dafür danke auch, lieber Scholzomat.
PS: Das Foto zeigt ein Graffito an einer Hausfassade in St. Pauli und hat keinerlei Bezug zum heutigen Blogtext. Echt nicht.