Schön zu wissen, dass drei Gläser Weißwein (2 x Riesling, 1 x Chardonnay) und bisweilen ebenso hitzige wie von halbgesundem Achtelwissen befeuerte Diskussionen über a) James Bond, b) Gott, c) Quantenphysik und d) Hartz IV mühelos ein komplettes Abendessen ersetzen können.
Letzteres vergaß ich nämlich glatt unter dem verderblichen segensreichen Einfluss der Bloggerkamarilla Cinema Noir, ramses101 und German Psycho an neutralem Ort, nämlich der Red Lounge in Ottensen.
Kurz nachdem ich heimgekommen war, nestelte plötzlich jemand am Knauf der Wohnungstür und lallte „Lass mich rein! Lass mich rein! Mach auf! Mach auf!“, was ich natürlich nicht tat, schließlich ist das hier der Kiez, da ist eine gewisse Vorsicht nicht die abwegigste aller Maßnahmen.
Der Mensch war gleichwohl nicht abzuschütteln und weder in der Lage, sein Anliegen artikuliert vorzutragen noch seinen Namen oder den Zeitpunkt seines ordnungsgemäßen Abdampfens zu nennen, so dass ich schon wieder gezwungen war, die Freunde und Helfer von der Davidwache um die Erfüllung ihrer ureigenen Pflichten zu ersuchen.
Der verhinderte Eindringling entpuppte sich schließlich als volltrunkener Nachbar aus der feierfreudigen Juristen-WG über uns – eine Enthüllung, die mir adäquat peinlich war, aber was hätte ich sonst tun sollen: aufmachen, und plötzlich marodiert der Reeperbahnaxtmörder durch die Wohnung? Ignorieren, und am nächsten Morgen versperrt eine ausgekühlte Leiche die Wohnungsür?
Nein, die Hilfe der netten Herren von der Davidwache war erneut opportun, das sehe ich auch im Nachhinein noch so. Ohne mich wüssten die wahrscheinlich gar nichts Rechtes mehr anzufangen mit ihren Tagen und Nächten.
Von daher schon ein gutes Gefühl: nützlich zu sein.
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Immer wenn ich vom Balkon aus den Notruf wähle (und das ist inzwischen schon circa ein Dutzend Mal vorgekommen), hoffe ich so paradoxerweise wie inständig, der Wahnsinn da unten hielte wenigstens so lange an, bis die Kavallerie da ist.
Schließlich muss es einen bei ihrer Ankunft sichtbaren Grund dafür geben, diese Maschinerie in Bewegung gesetzt zu haben, allein schon zu meiner Entlastung. Wären die Täter schon weg, erschiene mir mein eigener 110-Aktionismus irgendwie gesetzeswidrig.
Deshalb war ich auch neulich während einer Massenschlägerei vorm Haus durchaus betrübt darüber, dass sich noch während meines Gesprächs mit der 110 die Beteiligten zu zerstreuen begannen. „Sind die Täter noch vor Ort?“, fragte mich der (wie immer) betont kontrolliert-sachliche Mann vom Notruf, während ich in der Ferne, am anderen Ende der Seilerstraße, bereits die Blaulichter hektisch heranflackern sah.
Tja, schwer zu sagen, denn wer hier Täter war und wer Opfer, war kaum zu beurteilen. Schließlich kann auch ein Täter eins auf die Nuss kriegen und liegenbleiben, wie es unter der Leuchtreklame des Spielsalons gegenüber der Fall war. Schließlich können auch Opfer wild schreiend durch die Gegend rennen, wie es sich etwas weiter östlich gerade abspielte.
Und vielleicht ist die traditionelle Trennung zwischen Tätern und Opfern sowieso längst so gestrig wie die Illusion, man könnte die politische Landschaft im 21. Jahrhundert noch immer wohlgemut in links und rechts aufteilen.
Jedenfalls vermochte ich dem Notrufmann keine befriedigende Antwort zu geben – war aber heilfroh, dass die Kavallerie beim Eintreffen noch ein Vierergrüppchen vorfand, festhielt und scharf verhörte.
Alle vier waren Opfer, logisch, und alle vier erhoben lautstark Vorwürfe gegen Abwesende. Zum Glück: Denn damit verifizierten sie immerhin glorreich die Legitimation meines Notrufs, und allein das reichte aus, um mir anschließend einen seligen Schlummer zu bescheren.
110 – besser als Schäfchen zählen, vallah!
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Entdeckt in der Boutique Bizarre, Reeperbahn
Auf dem Flohmarkt verramscht ein Händler kistenweise Trinkgläser, darunter auch schöne massive Digestifmodelle.
Pro Stück will der Mann 50 Cent. Das ist günstig. Ich brauche vier und wage einen kleinen Aufmerksamkeitstest.
„Vier für drei Euro?“, werfe ich ihm einen Brocken hin. „Nein, zwei!“, kommt es wie aus der (vollautomatischen) Pistole geschossen.
Hätte er ja gesagt, wäre ich um ein Problem reicher gewesen. So aber gebe ich sofort auf – und ihm zwei Euro.
Grappa schmeckt übrigens sehr gut aus diesen Gläsern. Wodka auch.
1. Das Blog mit dem selbstkritischen Namen „Quatsch mit Soße“ hat den noch selbstkritischeren Untertitel „Geistige Ergüsse, die die Welt nicht braucht“. Kein Wunder also, dass der verantwortliche Betreiber ausgerechnet mich mit vielen warmen Worten für den Wettbewerb „Faved Blogger des Jahres 2010“ nominiert. Danke, Lucky Jack! Man kann sogar abstimmen.
2. Am verwaisten Bahnhof von Sagard ist es kein Spaß, eine Stunde lang auf den Zug warten zu müssen, vor allem, wenn es still und stoisch regnet. Irgendeiner unserer Vorgänger kratzte die logische emotionale Folge dieser Situation in den Sagarder Beton (Foto). Zeit genug hatte er ja.
3. Im Hafen von Sassnitz liegen mehrere Fischkutter, die zugleich Imbisse sind. Zehn Stunden lang stehen die Verkäuferinnen auf schwankendem Grund und reichen Aal, Lachs und Butterfisch rüber ans Ufer. Und wäre einer dieser kleinen Kutter futschneu, so könnte man sagen: Wir kauften Fischbrötchen vom Frischbötchen. Wenigstens Ms. Columbo findet es lustig, wenn ich so was daherbrabble.
4. Das Komet auf St. Pauli wirbt für seine traditionelle Vinylauktion mit folgendem schönen Satz: „Wer 20 Platten ersteigert, bekommt ein Bier. Wer 20 Bier trinkt, bekommt eine Platte.“
Ich habe auf Rügen einige neue Wörter gelernt, „anlandig“ zum Beispiel oder „Tarifwabe“. Ich begegnete dem „Fischkombinat 24“ und seinen Killerclaim, mit dem es uns zu sich locken wollte: „Fisch fetzt!“.
Überhaupt, Werbung: eine schwierige Sache im Osten. In Stagard hat sich ein Friseurladen als Reklame ein Frauenporträt an die Fassade pinseln lassen, in dessen Antlitz sich die Spuren der Behandlung tief eingegraben haben. Die Frau sieht aus wie eine scream queen aus einem Horrorfilm der 60er.
Da zuckt man schon mal heftig zusammen. Aber noch heftiger während der Busfahrt, als oben an der Anzeigetafel als nächste Station „Auschwitz“ aufleuchtet. Aber es ist bei näherem Hinsehen doch nur „Ruschvitz“.
Nun geht es wieder zurück nach St. Pauli. Zumindest, wenn wir unfallfrei hier wegkommen – denn ein Taxi, eröffnet man uns bedauernd, hätten wir zwei Tage vorher anmelden müssen.
Dieses heute auf Rügen entdeckte Schild erlaubt mehrere Deutungen. Zum Beispiel die, dass das komplette Team des Aquamaris-Hotels aus Hunden besteht.
Gut, diese Säugetiere sind intelligent, aber m. E. nicht geeignet, den ordnungsgemäßen Betrieb eines Hotels sicherzustellen. Schon aus kommunikativen Gründen.
Sofern es sich beim Aquamaris-Team hingegen nicht um Hunde handelt, sondern um Ossis, also Menschen, wird die ganze Sache noch befremdlicher. Denn all seine Mitglieder möchten offensichtlich angeleint werden – und sagen das sogar öffentlich.
Zwar war der hiesige Menschenschlag, wie wir alle aus alten Super-8-Filmen wissen, schon zu DDR-Zeiten gar nicht prüde. Dennoch finde ich dieses stolze Bekenntnis zum Masochismus richtig mutig.
Warum das Schild dann allerdings mit Hundebildern dekoriert wurde, weiß wohl nur der Grafikgott.
Taxifahren ist für mich die reinste Folter.
Wie großartig die Landschaft auch sein mag, an der wir vorüberfahren (und sei es – wie heute – der Greifswalder Bodden), ich muss die ganze Zeit wie paralysiert aufs Taxameter starren und dabei ununterbrochen denken: ogottogottogott …
Und womit? Mit Recht, denn die Fahrt vom Bahnhof zum 16 Kilometer entfernten Hotel auf der pittoresk abgelegenen Halbinsel kostete 29 Euro – drei mehr als die gesamte viereinhalbstündige Tour von Hamburg durch Mecklenburg-Vorpommern bis nach Rügen.
Ja, ich mag Grubes Bahn. Und ich würde mich auf den Südflügel des Stuttgarter Bahnhofs stellen und das wiederholen.
Sogar mit MEGAFON!
Manche Leute glauben ja, es sei völlig in Ordnung, wenn sie ihren Müll einfach auf die Straße stellen, sofern sie nur ein Schild draufpappen, welches den Müll zu etwas vermeintlich Nützlichem umdeklariert.
Diese pavianarschrote Klappliege oder Sitzbank oder was weiß ich in der Hein-Hoyer-Straße gehört zur geschilderten Kategorie. Drauf klebte ein weißer Zettel mit dem Text: „Zu verschenken! (auch prima als Gästebett!)“, und schon fühlte sich der Entsorger exkulpiert.
Doch selbst die obdachlosen Polen in der Simon-von-Utrecht-Straße rührten das Ding nicht an – und bestimmt nicht nur deshalb nicht, weil auf dem Sockel unten links das genaue Gegenteil stand: „Bitte stehen lassen!“
Eine Weile trotzte die Klappliege Wind, Wetter, Betrunkenen und Inkontinenten, doch jetzt ist sie weg.
Wer immer sie gerade als Gästebett nutzt: Mein Beileid hat er.
Auf der Suche nach der Champions-League-Konferenz strande ich im Lehmitz auf der Reeperbahn, wo mich sofort ein etwa 40-jähriger Parkatyp mit lichtem Haar, Bartflaum und sanften Augen in Beschlag nimmt.
„Ich bin Psychotiker“, gibt er zur grundsätzlichen Verbesserung der Gesprächsatmosphäre bekannt, während er abwechselnd an Kippe und Astra nuckelt. „Psyche heißt nämlich Seele, verstehen Sie?“ Nun ja, höchstens halb.
Er will alles von mir wissen, Sternzeichen, chinesisches Sternzeichen, was und wo ich arbeite, Geburtsjahr, ob ich schon mal LSD genommen hätte. Ach nein? Und Pilze? Nein.
Er hat sich blöderweise zwischen mir und der Leinwand platziert, was den Fußballkonsum zusätzlich erschwert. Denn im Lehmitz läuft auch keineswegs der Kommentar über die Boxen, sondern lauthals Wishbone Ash. Natürlich: eine bahnbrechende Band für den Bluesrock, die mehrstimmigen Harmonien, die zwei Leadgitarren, alles neu, alles großartig, völlig klar. Zumindest 1972 – und nicht unbedingt während einer Livekonferenz der Champions League 2010.
Immer wieder luge ich über den Kopf des Psychotikers, um die ganzen Eigentore des CFR Cluj zugunsten des FC Bayern mitzukriegen, doch er erwehrt sich meines halbherzig demonstrierten Desinteresses mit sanfter Beharrlichkeit.
„Kennste den Spruch von George Lukas: ,Möge die Macht mit dir sein’?“, fragt er. Ronaldo versemmelt gerade für Real Madrid einen Freistoß. „Ja, ein Klassiker“, murmle ich und schiele hoch zur Leinwand. „Willst du den dritten Weltkrieg subventionieren?“, fragt er. „Was hat das mit George Lukas zu tun?“, antworte ich. „Mit dieser Frage“, sagt er mit bedeutunsschwangerem Psychotikerblick, „lass ich dich jetzt mal alleine.“
Eine super, super Idee. Leider hält sie nicht lange vor. „Jedem Menschen seine Realität besteht ausm Stapel von Illusionen“, präsentiert er mir, bewaffnet mit einem neuen Astra, nur wenig später seine Lieblingsweisheit.
Vielleicht ist das gar nicht mal so blöd, aber ich habe keine Lust, ernsthaft darüber nachzudenken, während Mourinho gerade Özil auswechselt. Inzwischen laufen Hendrix-Coverversionen.
„Beschäftige dich mit der Wellentheorie von McCannon!“, rät er mir inzwischen mit der Dringlichkeit eines Missionars und mich längst nassforsch duzend, schließlich kennen wir uns ja bereits sehr gut.
„Ja, google ich mal“, sage ich, und dann schießt Cluj das fünfte Tor, endlich mal wieder auf eigene Rechnung. Bei Google finde ich aber keinen Eintrag zur McCannon’schen Wellentheorie, deshalb werde ich das Thema vorläufig fallen lassen.
Und morgen Abend suche ich mir einen anderen Champions-League-Laden auf der Reeperbahn, das ist mal sicher. Aber so was von.
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Eigentlich bin ich überhaupt kein Vereinstyp, bin nirgends drin, nur in der Gewerkschaft – und seit einigen Jahren in der Fußballabteilung des FC St. Pauli 1910.
Die Gründe dafür, damals Mitglied zu werden, lagen nicht nur in der stillen Hoffnung, so mein Karma beim Ergattern einer Dauerkarte zu verbessern (wenn nicht in diesem, dann wenigstens im nächsten Leben – und darauf wird es wohl hinauslaufen), sondern auch in der festen Verwurzelung des Vereins in meinem Viertel.
Das Stadion des FC liegt unweit unserer Wohnung mitten auf St. Pauli, es ist umgeben von Miet- und Bürohäusern, von Schwimmbad, Schule, Kneipen und dem Heiligengeistfeld, wo dreimal im Jahr ein Rummel namens Dom stattfindet, was bei Heimspielen zu einem wunderbaren Durch- und Miteinander der verschiedensten Besucherströme führt.
Doch nicht nur das Stadion fühlt sich sauwohl im Viertel und denkt nicht mal im Traum daran, wegzuziehen, auch die Spieler des FC St. Pauli wohnen in der Regel nicht in einer Alstervilla, sondern durchaus auch mal hier, in unserer Nachbarschaft.
Neulich zum Beispiel fuhr ich mit dem Fahrrad durch die *****straße in Stadionnähe, als ein Mann gerade die Haustür eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses aufschloss, im Arm eine Einkaufstüte und an der Seite einen kleinen Jungen, der ihm ungefähr bis an die Hüfte reichte.
Den Mann kennst du doch, dachte ich, das ist doch … der Torwart des FC St. Pauli. Mathias Hain heißt er, er hat also ein t weniger als ich und ist zurzeit verletzt. Sein Bewegungsablauf hier an der Haustür in der *****straße gab in seiner Eleganz und Geschmeidigkeit jedoch zu den schönsten Rekonvaleszenzhoffnungen Anlass.
Zwecks Verifikatiion meiner Beobachtung drehte ich um, stieg vom Rad und schaute nach einer gewissen Karenzzeit rückversichernd aufs Klingelschild. Und in der Tat: Da stand: „Hain“.
Keine große Sache, natürlich nicht. Sondern nur weiteres Detail eines schillerndbunten Mosaiks, das sich – trotz aller zwangsläufigen Kommerzialisierung, ohne die kein Verein in der Bundesliga bestehen könnte – verdichtet zur großen Sympathieträgerschaft eines kleinen Stadtteilclubs. Da kann man schon mal mit Mitglied werden, verdammt. Auch als Vereinsmuffel.
Vielleicht hätte ich die Gelegenheit nutzen, bei Hain klingeln und ihm klagen sollen von der Vergeblichkeit meines jahrelangen strebenden Bemühens um eine Dauerkarte. Doch zweifellos wäre es unfein gewesen, ihn beim Auspacken seiner Einkaufstüte zu stören.
Na ja, immerhin weiß ich jetzt, wo er wohnt, der Hain.
Manches Flohmarktfundstück verlangt dir schier übermenschliche Kraft ab, um dem von ihm ausgelösten Kaufzwang zu widerstehen.
Heute jedenfalls wurde ich zum Superhelden.
Gegen 14 Uhr streunte ich hoffnungsfroh über den Stadionvorplatz, um eventuell noch kurzfristig eine Schwarzmarktkarte für das St.-Pauli-Heimspiel gegen Nürnberg zu ergattern.
Doch ich bekam nicht mal die Chance, mich über Mondpreise aufzuregen, weil niemand, der ein Ticket besaß, auch nur im Traum daran dachte, es mir kurzfristig zu verhökern.
Also schlich ich mich frustriert nach Hause und schaute trübe und verdüstert der Alternative Fitnesstraining bei Chris, dem Schlächter, entgegen, als das Telefon klingelte und Andreas mich fragte, was ich heute Nachmittag vorhätte.
„Habe gerade vergeblich versucht, vorm Stadion eine Schwarzmarktkarte zu kaufen“, maulte ich. „Gut so“, sagte er, „ich schenk dir eine.“
Tja, und dann wachte ich auf und fand mich in der Wirklichkeit wieder, wo so etwas nun mal nicht geschieht, es sei denn, ein GZSZ-Autor schriebe das Drehbuch …
Der letzte Satz ist allerdings erstunken und erlogen, denn die Geschichte stimmt wirklich, sie trug sich genauso zu, und eine Stunde später stand ich mit Andreas und seiner Clique in der Gegengerade unten am Zaun, was ich allerdings nicht lange durchhielt, weil man dort nichts sieht außer Gitterstangen und die Rücken glücklicher Kinder, die in zwei Meter Höhe drankleben, weil ihre Papas sie dort hingehängt haben.
Also stieg ich rempelnd und quetschend ein paar Stufen höher. Hinter mir erzählte ein Fan seinem Kumpel, er sei seit 40 Jahren Vereinsmitglied. „Stell dir das ma vor, Mönsch“, sagte er, „seit vierzich Jahren! Verstehst du? Viiieeeeeerzich! Was ’n das für ’ne Zahl, sach ma?“
Das konnte sein Kumpel auch nicht so genau sagen. Der altgediente Fan wurde daher nicht müde, sich an dieser Wahnsinnszahl zu berauschen. Er knautschte und dehnte sie, kaute darauf herum, beschmeckte sie von allen Seiten, deklinierte all ihre phonetischen Varianten durch, und ganz zum Schluss sagt er die 40 so blitzgeschwind, dass sie klang wie „Ftzch“.
Dann endlich hatte der ganze Block es begriffen, was diese Zahl bedeutete. Und am Ende auch, was ein 3:2 gegen Nürnberg bedeutet: nämlich Jubel, Trubel, Heimsiegseligkeit – plus Bierdusche für alle.
Und ich meine alle.
Entdeckt in der Simon-von-Utrecht-Straße
In den Zeisehallen (hier ein beschwichtigendes Foto vom Gehweg am Hintereingang) tobt wieder mal ein lautstarker Streit zwischen drei Pennern und einem Sicherheitsmann.
Plötzlich brüllt einer der Penner dem Sicherheitsmann ins Gesicht: „Du Penner!“
Ich bin mir nicht sicher, ob ihm die Ironie der Situation sofort bewusst war. Dem Sicherheitsmann aber schon: Er lächelte fein.
Die vom Künstler offensichtlich mit Sandstrahler aufgebrachte Grundierung in Handke’schem Andersgelb (eine Technik übrigens, die als „desertoider Texturalismus“ in die Kulturtechnik einging) gibt seinem metaironisch „Kampf der Krustentiere“ betitelten Meisterwerk eine subtile Räumlichkeit, von der sich die atemberaubende Martialität der Szenerie noch einmal schattig abhebt.
Die mittig angesetzte, distanzierende Lücke zwischen den Kontrahenten, die sich lediglich drohen, jedoch nie den final-destruktiven Kontakt wagen, ist eine gelungene Metapher für die soziopathologische Atmosphäre während des Kalten Krieges der 80er Jahre – eine Ära, die hier geschickt antinostalgisch zitiert und zugleich mit kalmierendem Impetus negiert wird.
Das monochrome Gelb des Bildes verweist zudem auf den im Kern gar nicht vorhandenen Dissens der Duellanten, ja gar auf ihre ihnen selbst unbewusste Identität. Ihr „Konflikt“ wird damit als bloße Schimäre entlarvt. So gelingt es dem Künstler, geschickt eine chromatisch-gedankliche Brücke zur Gegenwart der Guttenbergs und Westerwelles zu schlagen – was „Kampf der Krustentiere“ zweifellos zum Meilenstein moderner Politkunst macht.
(Den Schaden am Putz entdeckte ich im UCI-Kino Mundsburg.)
Das Restaurant Freudenhaus in unserer Straße arbeitet weiter überaus emsig an einer komplett kiezkompatiblen Corporate Identity.
Nicht nur, dass der überraschte Gast automatisch auf höchst vertrauliche Weise bereits beim Eintritt geduzt wird wie sonst nur in der Herbertstraße, nein: Die ausnahmslos weiblichen Servicekräfte tragen nun auch alle schwarze Blusen mit der rückwärtigen Aufschrift „Freudenspender“.
Dabei sind die Damen wirklich nur fürs Duzen und Servieren zuständig. Denke ich mal. Ihre Blusen jedenfalls legen etwas anderes nahe und sind auch noch durchweg – wahrscheinlich aufgrund einer bedingungslos zu befolgenden Dienstanweisung – aufgeknöpft bis zur Diademrinne. Und das, obwohl nicht alle Bedienungsdamen gleichermaßen dekolleteegeeignet sind.
Kein Wunder also, dass der dermaßen aufgesexte Esslusttempel selbst an einem stinkoralen stinknormalen Montagabend brummt wie das Reeperbahnlaufhaus am Tag der offenen Tür. (… den es meines Wissens übrigens noch nie gegeben hat. Wäre doch mal eine Promotionidee, liebe Hells Angels!)
Zurück zum Wesentlichen, dem Essen: Ms. Columbo orderte Spanferkelbraten „Corny“, geschmort im eigenen Saft, während ich mich für die Roulade „Lilo Wanders“ entschied, die sich selbstverständlich an einer beziehungsreichen Füllung mit Gurken erfreute.
Der ausgewiesene Foodpornspezi Don Alphonso hätte hier sicherlich seine helle Freude, vielleicht am meisten an den groben Schweinswürstchen oder den Röhrennudeln mit Scampischwänzen.
Zu all dem passt übrigens perfekt „Gabi die Gabi“, jene original Freudenhaus Cuvèe 2006 vom einschlägig berühmten Weingut Stiefel & Lecken.
Den finalen Grapscha Grappa zum Runterkommen haben wir trotz aller Dessertversuchungen, welche das Freudenhaus noch in verführerischer Vielfalt aufbot, lieber zu Hause getrunken.
Ich schreibe also wie Rainald Goetz. Das sagt zumindest die FAZ, nachdem ich ihr probeweise den damals beifällig aufgenommenen Text zur Tabascowette vorgesetzt habe.
Dabei kenne ich kein einziges Buch von Goetz. Es kann also auch genauso gut andersrum sein, dass nämlich Rainald Goetz so schreibt wie ich. Ein irgendwie amorphes Gefühl.
Beim nächsten Versuch bescheinigte mir die FAZ übrigens, zu schreiben wie Uwe Johnson, von dem ich dummerweise ebenfalls kein komplettes Werk kenne.
Im Grunde schriebe ich sowieso viel lieber wie Vladimir Nabokov. Aber das bescheinigt mir leider keiner, nicht mal die FAZ.
Auf dem Docks-Flohmarkt stöbere ich versonnen in CDs, als sich der Verkäufer konspirativ zu mir rüberbeugt und raunt: „Ein Euro für die ganze Kiste!“
Drin sind rund 50 Scheiben in Jewelcases, nur ein paar stecken in einfachen Papier- oder Stofftaschen. Die faltbare Einkaufskiste selbst ist aus stabilem Plastik, wenngleich am Boden mit einem klebrigem Schmier verschmutzt, wie ich erst auf dem kurzen Heimweg merke, als ich voll reinfasse in den Schmodder.
Zu Hause separiere ich den Inhalt sorgfältig nach folgenden verallgemeinerbaren Kriterien: „sofort in den Müll damit“ (Verkratztes, Selbstgebranntes, Böhse Onkelz), „erst mal reinhören“ (Manu Chao, Roxy Music, Barry White) und „zu skurril, um es sofort wegzuwerfen“.
Zur letzten Kategorie gehört zum Beispiel „Sergej Barbarez liest Erich Kästner“. Was soll man davon bloß halten? Wird sich Kästner jetzt vielleicht anhören wie: „An allen Unfuck, derr passirt, sint nickt etwa nurr die schult, die in tunn, sonderrn auk die, die in nickt verrinderrn“?
Gut, das war jetzt eventuell keine treffsichere Phonetisierung des Idioms von Sergej Barbarez, und ich entschuldige mich in aller Form dafür. An die Platte habe ich mich jedenfalls noch nicht rangetraut.
Eine CD-R mit der Krakelaufschrift „super geile fahrmusik“ legte ich aber interessehalber mal ein. War aber nur Trancescheiß drauf. Dennoch: Die Kiste ist den Euro wert, wenn nicht noch mehr.
Vor diesem Flohmarktschnäppchen waren wir auf Fahrradtour im Alten Land. Ich holte mir neben einem Sonnenbrand die wichtige Erkenntnis, dass hinterm Königreich die Welt zu Ende ist. Dabei kamen wir doch verwirrenderweise gerade da her – und kehrten nachmittags sogar wieder dorthin zurück.
Traue also keinem Ortsschild, das du nicht selbst gefälscht hast.
Nach langer, langer Zeit gibt es mal wieder Zuwachs in meiner Blogrolle, und zwar das Blog von Fräulein Krise.
Sie ist genau dort, wo Sarrazin nicht hingehen konnte (oder wollte), weil er zu sehr mit dem Wälzen von Statistiken beschäftigt war – in der Schule nämlich. Ein überaus lustiges, realistisches und empathisches Blog mit gewaltigem Migrationshintergrund, aber leider ohne RSS-Feed.
Mussdu also immer selber hinsurfen, Digga.