
Unter den Fans des FC St. Pauli gibt es eine Fraktion, die sich „Sozialromantiker“ nennt. Sie wendet sich gegen die Kommerzialisierung des Vereins, gegen dauerblinkende LED-Werbebanden, gegen Stripshows in den VIP-Logen und markenkernfremdes Marketing.
Ihr selbstironischer Name soll sie präventiv schützen vorm unweigerlichen Vorwurf, von gestern zu sein, die Mechanismen des modernen Fußballs nicht zu verstehen. Ihr Name reißt diese Tür einfach sperrangelweit auf, so dass sie erst gar niemand mehr einzutreten braucht.
Doch es kann sein, dass die selbstironischen Sozialromantiker des FC St. Pauli einer Zeit nachtrauern, die leider nicht so war, wie sie glauben.
Denn 2008, zu Zweitligazeiten, sollen nach Aussage des Hauptangeklagten im Fußballwettskandal bei mehreren Partien insgesamt fünf Spieler des FC St. Pauli bestochen gewesen sein.
Bisher wusste man von einem, und so etwas kann vorkommen, auch in der besten Familie. Ein schwarzes Schaf kann es immer geben, dagegen ist kein Verein, kein Unternehmen, keine noch so verschworene Gemeinschaft gefeit.
Aber fünf? Das wäre fast die halbe Mannschaft. Das wäre ein GAU für meinen kleinen Stadtteilverein, das würde ihn in den Grundfesten erschüttern.
Der FC St. Pauli konnte zwar noch nie mit Meisterschaften wuchern, aber immer mit Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut. So schaffte es der Club, die Fanszene gleichsam zu verschmelzen mit dem Verein. Bei keinem anderen deutschen Proficlub nehmen die Anhänger so viel Einfluss auf die Vereinspolitik, und nirgendwo werden sie so ernstgenommen von der sportlichen und betriebswirtschaftlichen Führung.
Sie weiß einfach, dass die Fans die Außenwirkung des Clubs mehr prägen, als es ein Vorstand oder gar die Mannschaft selbst je könnte. Ihr Antirassismus, ihr Kampf gegen Neonazis, ihr Engagement gegen die Yuppiefizierung dieses kleinen Stadtteils: Ohne diese politische Homogenität und ihre Rückwirkung auf das Image des FC St. Pauli wäre der Club nur eine kleine graue Fahrstuhlmannschaft unter vielen.
So aber hat er Fans auf der ganzen Welt, und das Stadion ist dauerausverkauft, so dass man selbst als Vereinsmitglied praktisch niemals Karten bekommt. Und die Fußballprofimannschaft ausgerechnet dieses unvergleichlichen Clubs soll 2008 fünf Verräter in ihren Reihen gehabt haben, die auf sämtliche Werte, die der FC St. Pauli verkörpert – Glaubwürdigkeit, Integrität und Herzblut –, geschissen haben …?
Undenkbar. Doch warum sollte Sapina lügen, warum Anschuldigungen frei erfinden?
Noch sind keine Namen bekannt, noch ist alles in der Schwebe. Und dennoch geht man momentan anders durch St. Pauli – so, als veränderte sich nicht nur die Architektur dieses Stadtteils radikal, sondern auch sein wahres Herz.
Und ich meine nicht die Reeperbahn.
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