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01 Dezember 2010
Das entscheidende Steak
Im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt sind auf St. Pauli viele Leute nicht gut bei Kasse. Und im Supermarkt wird das manchmal evident.
Neulich bei Edeka steht einer in der Kassenschlange vor mir, der von dem Rechnungsbetrag, den die Kassiererin ihm für seine Einkäufe nennt, nicht sehr erbaut ist. 21,55 Euro? So viel hat er einfach nicht dabei. Höchstens so um die 15.
Der Mann ist ein kleiner südländischer Typ mit Baskenmütze, zwischen Unterlippe und Kinnspitze trägt er einen vertikalen Bartstreifen. Ansonsten guckt er stoisch. In aller Supermarktöffentlichkeit der temporären Zahlungsunfähigkeit überführt zu werden, scheint ihm nicht peinlich zu sein, eher zum innerlichen Seufzen.
Jedenfalls rührt sich nichts in seinem Gesicht. Stattdessen mustert er kurz die Einkäufe und entscheidet sich für einen Fünfkilosack Kartoffeln. Den gibt er zurück. Die Kassiererin storniert den Sack und schüttelt den Kopf.
Der Mann entscheidet sich jetzt für Tomatenketchup, allerdings verfehlt er erneut die Zielvorgabe, die Kassiererin lächelt bedauernd. Nun erwischt es eine Riesenflasche Limonade, doch es ist immer noch zu wenig.
Sei froh, dass du die ungesunde Zuckerplörre los bist, höre ich mich denken. Der Unmut in der Kassenschlange hält sich derweil in Grenzen, obwohl Mr. Vertikalbart den Betrieb auf unzulässige Weise aufhält. Denn mal ehrlich: Mit ein wenig angewandtem Kopfrechnen während des Einkaufs wäre die missliche Lage, welche durch unsere unfreiwillige Zeugenschaft keineswegs verbessert wird, leicht zu vermeiden gewesen.
Doch stillschweigend scheinen alle anstehenden St. Paulianer Verständnis zu hegen für seine Situation. Zu wenig Geld: Das kennen hier viele. Man guckt nur sparsam, man grinst nicht mal, und keiner spricht.
Nach einer kleinen Beratungspause, nach einigem inneren Hin und Her hat sich der Mann nun für ein eingeschweißtes Schweinesteak mit schneeweißen Fettadern entschieden, dessen vermeintliches Schicksal es noch vor wenigen Minuten war, einen Teller mit Kartoffeln und Tomatenketchup zu teilen und mit ungesunder Zuckerplörre hinuntergespült zu werden.
Und endlich klappt es. Er ist unter 15 Euro Gesamtrechnung, sein Budget vermag den Rest der Einkäufe abzudecken. Hätte ich genauer hingeschaut, würde ich jetzt die absoluten Prioritäten der Baskenmütze kennen. Ich wüsste, was wirklich unverzichtbar für ihn ist, wenn es schon das Steak mit den schneeweißen Fettstreifen nicht war.
So aber werden wir es nie erfahren.
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So etwas passiert inzwischen auch außerhalb von St. Pauli, meistens sind es dann ein paar Flaschen Oettinger die Priorität genießen. Also das Brot.
AntwortenLöschenSie scheinen genauer hinzuschauen als ich. Bei der Baskenmütze war es stattdessen eventuell Lambrusco oder Selbstdrehtabak. Aber das sind alles nur Spekulationen.
AntwortenLöschenDie etwas schnellere Variante erlebte ich vor ein paar Tagen im gleichen Laden.
AntwortenLöschenDas Mädel legte die Sachen mit höchster Priorität als erstes auf das Band und sagte zur Kassiererin: "Bongen sie so lange ein, bis wir bei 17 Ois sind, mehr Geld habe ich nicht."
Das erste Produkt, welches nicht berücksichtigt wurde, waren übrigens eine Tüte Äpfel.
Vielleicht schlagen sie beim nächsten Mal diese Vorgehensweise dem beschriebenen Herren vor, sollten sie ihn noch einmal treffen...
17 „Ois“? Wo sagt man das denn?
AntwortenLöschenAnsonsten: eine pragmatische Vorgehensweise. Werde ich weiterempfehlen.
Als Chefeinkäufer meines Einpersonenhaushaltes
AntwortenLöschenstolpere ich über etwas ganz anderes.
Meerrettichsalat - Kilopreis € 8.90.
Welche Zutaten mögen da Hauptsalatbestandteile sein? Rinderfiletcarpaccio?
Bei Edeka!
Ist das teuer? Als Meerettichverächter bin ich nicht auf dem Laufenden.
AntwortenLöschenDieser Meerettich wurde von barfüßigen, singenden Nonnen morgens um halb fünf im zartesten Morgentau gepflückt. Dann wurde er einzeln bei Kerzenschein ins Tal getragen und unter Aufsicht eines Hohepriesters behutsam in Weidekörbe gelegt, deren Ästchen am Ufer des Nil wuchsen. Vor 2000 Jahren.
AntwortenLöschenDeshalb der Preis.
Der Merrettichsalat geht doch. Einen absurden Kilopreis haben Smint Bonbons, etwas künstliches Aroma in etwas künstlichem Süssstoff für ca. 130 Euro pro kg.
AntwortenLöschenAnna, Verehrteste, ich glaube, Sie verwechseln gerade Meerettich mit Safran. Ihr Beurteilungsvermögen leidet anscheinend unter den zurzeit zugegebenermaßen harten Bedingungen im Bloggarten. Fazit: Sie müssen an sich arbeiten!
AntwortenLöschenIch brauche diese komische Fußbodenheizung! Mit Hypokausten oder wie die Dinger heißen. Unterirdische Gänge, in denen ölglänzende Bodybuilder mit Holzscheiten ein ewig loderndes Feuer in Gang halten. Ich kann so nicht arbeiten!
AntwortenLöschenOh, Hilfe. Ich hab mich gerade selbst mit Caligula verwechselt und die "Rückseite der Reeperbahn" mit der "Rückseite des Circus Maximus"!
Ein kleiner Heizlüfter täte es aber auch..
Wie Sie wissen, baue ich eher auf die Kraft natürlicher Vorgänge. So setzt verfaulendes organisches Material wie Laub oder Haseninnereien automatisch Wärme frei, so dass Ihre Schlafkuhle mindestens fünf Grad über Außentemperatur erhitzt wird. Dass dies mit olfaktorischen Misslichkeiten verbunden ist, will ich nicht bestreiten. Eine nützliche Nasenklammer finden Sie daher im Spechtloch an der zweiten Fichte rechts.
AntwortenLöschenTja, ich habe kein Problem mit all diesen Gerüchen auf Pressekonferenzen zu gehen. Immerhin vertrete ich ja SIE und nicht mich selbst.
AntwortenLöschenHahahahaha...
Mooooment: Auf Pressekonferenzen schicke ich doch immer German Psycho – weil der einen Anzug hat.
AntwortenLöschenLieber Matt, wir sollten über das Konzept der Pressekonferenzen nochmal reden. Ist Ihnen schon aufgefallen, daß immer weniger Reporter zu uns kommen? Und noch viel weniger wieder gehen? Irgendwie ist da der Wurm drin.
AntwortenLöschenAußerdem: Was reden Sie nur immer von Merrettich? Das heißt ja wohl Kren!
Sie meinen sicher die Beißwurzel. Wie auch immer: Das mit den PKs ist mir natürlich aufgefallen. Doch das alles hat Methode: Je weniger Journalisten es gibt, desto sicherer ist mein Job. Sie tun also ein gutes Werk.
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