Aus der Mopo fällt mir am Montag der neue Medimaxprospekt entgegen. Er offeriert die Blu-ray-Version des zauberhaften Pixarfilms „Oben“ für noch zauberhaftere 12 Euro, und ich begebe mich schnurstracks ins Mercado nach Ottensen, um ihn zu erwerben.
Im Laden finde ich ihn nicht und wende mich an den Kassenmann. Beim Stichwort „Oben“ sackt er merklich in sich zusammen – wie jemand, dem man diese Frage heute nicht zum ersten, sondern zum hundertsten Mal stellt.
„Leider schon ausverkauft“, antwortet er erschöpft. „Dienstag oder Mittwoch kommt er wieder rein.“ Zeit für eine Belehrung. „Aber Sie bewerben das Produkt doch in Ihrem Prospekt“, sage ich, „dann sollten Sie ihn auch in ausreichenden Mengen vorrätig haben. Andernfalls“, demonstriere ich gesundes Halbwissen im Wettbewerbsrecht, „wäre das ein Lockvogelangebot.“
Der Medimaxmann sackt noch tiefer in sich zusammen, was bei seiner hageren Statur und dem farblosen Teint beinah mitleiderregend wirkt. Doch mir gelingt es ganz gut, die aufkeimende Empathie niederzukämpfen. „Wie gesagt“, seufzt er, „Dienstag oder Mittwoch.“
Na gut, dann eben nicht. Also gehe ich mal schauen, was der Mediamarkt um die Ecke zur „Oben“-Frage sagt. Unter O ist die Blu-ray aber nicht zu finden. Ich spreche einen Verkäufer an. Er sucht, blättert und findet „Oben“ schließlich ganz hinten unter P.
„Hier“, sagt er und reicht mir die Scheibe mit der gelangweilten Lässigkeit desjenigen, der einen anderen zur eigenen Freude bei einer lässlichen Dummheit ertappt hat. Ich schaue aufs Preisschild. Dort steht 22,99 Euro. Zweiundzwanzigneunundneunzig.
„Bei Medimax“, trumpfe ich unter geflissentlichem Verschweigen ihres dortigen Ausverkauftseins auf, „gibt’s die für 12.“ Weiterhin erstaunlich gelangweilt schaut mich der Verkäufer an. „Kein Problem“, sagt er, „dann eben 12.“
Ich bin sturzverblüfft und reiche ihm den Film, als er mir wortlos fordernd die Hand entgegenstreckt. Wir gehen zu Kasse. „Wissen Sie“, erläutert er beim Klappern auf der Tastatur, „wir sind da sehr kulant. Sobald die den Prospekt rausbringen, passen wir sofort die Preise an.“
Er zuppelt das 22,99-Schild vom Cover und reicht mir die Disc. „Im System ist der neue Preis auch schon drin. Kein Problem.“ Ich trotte zur Kasse, der Scanner blinzelt über den Strichcode, und das Display zeigt wahrhaftig 12 Euro an, nicht 22,99.
Medimax legt der Mopo also für einen wahrscheinlich fünfstelligen Betrag ein Riesenfaltblatt bei – und generiert damit wegen dilettantischer Einkaufspolitik Umsätze beim größten örtlichen Konkurrenten.
Manchmal liebe ich den Kapitalismus.
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„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
06 Mai 2010
05 Mai 2010
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (26)
Dies möge als erster Versuch einer Frühlingsbeschwörung gelten. Und hoffentlich als letzter.
Zu sehen: der Palmenplatz am Pinnasberg mit Blick auf die Docks.
Zu sehen: der Palmenplatz am Pinnasberg mit Blick auf die Docks.
04 Mai 2010
Die richtige Entscheidung
Am Samstag wollte ich in Köln die Chance nutzen und spontan das letzte Saisonheimspiel des 1. FC gegen Freiburg besuchen. Dem Geißbockverein nämlich hänge ich seit Jahrzehnten bedingungslos an, in guten wie in bösen Zeiten. (Kölnfans wissen, welche Zeiten zuletzt überwogen; sie wissen aber auch, wie charakterbildend es sich auswirkt, in diesem Schicksal gefangen zu sein. Bayernfans werde das niemals begreifen.)
Das Maritim hatte für die Teilnehmer der Pressereise zwar eine Führung durch den Dom (Foto) organisiert, doch ich dachte mir, in einer Stadt mit genau zwei überzeitlichen Kulturdenkmälern – dem Dom und dem 1. FC – sei es im Grunde egal, für welches ich mich entschiede. Also schwänzte ich den Dom, schlich mich stattdessen in die Straßenbahn und landete kurz vorm Anpfiff an der Haltestelle Rhein-Energie-Stadion, wo mich nach menschlichem Ermessen bereits eine Armada Schwarzhändler mit Offerten hätte behelligen müssen.
Der Maritim-Rezeptionist hatte mir noch geraten, nicht direkt an der Haltestelle zu kaufen, sondern eher am Stadion: „Ist billijer.“ Doch hier standen nirgends konspirativ dreinschauende Dunkelmänner mit hervorblitzenden Ticketbündeln herum, mit denen ich in Last-Minute-Verhandlungen hätte eintreten können.
Am Stadion allerdings auch nicht, aber dafür Markus, ein FC-Fan von Mitte 20, dessen Blick bereits jetzt, um 15:25 Uhr, kölschvernebelt war. Er wollte ebenfalls auf den letzten Drücker noch Karten, und wir wurden sofort ein Team. Markus erzählte mir mit einer Stimme, die seinem Blick kongenial enstprach, so was hätte er noch nie erlebt. Normalerweise stünden hier immer Schwarzhändler, und 20, 25 Euro hätte er auch ausgegeben. So aber bliebe uns nur noch eine Sky-Kneipe.
Als er hörte, ich sei aus Hamburg, steigerte sich seine Begeisterung ins Unermessliche. „Aus Hamburg?“, jubelte er lauthals, „dat jibt’s nit: Meine Freundin is aus Hamburg!“ Wie sich herausstellte, stimmte das geografisch nicht ganz, sie kommt nämlich aus Ahrensburg, und das liegt in Schleswig-Holstein. Vom Rhein aus betrachtet ist das aber wahrscheinlich alles Südschweden.
Wie auch immer: Von nun an hatte ich bei Markus mindestens so viel Steine im Brett, wie der FC diese Saison Auswärtspunkte geholt hat. „Dat jibt’s nit: Du kommst aus Hamburg? Wie meine Freundin!“
Wir schlingerten zur Kneipe, wo bereits einige Dutzend Kölnfans vorm Flachbildfernseher standen, Kölsch tranken und auf ihre Mannschaft schimpften. Natürlich lief nicht die Konferenz, sondern das Kölnspiel. Bald nach unserer Ankunft fiel das 1:1 für Freiburg, was die Stimmung insgesamt verschlechterte.
Nicht so bei Markus. „Wat han wir ’n Glück, dat wir die 20, 25 Euro jespart han!“, grölte er mir freudestrahlend ins Ohr. „Dat is doch viel schönor, hier jemütlich Kölsch zu schlabborn!“ Wo er Recht hat.
Vom Spiel bekam ich nicht viel mit, denn immer wieder musste Markus seiner Begeisterung über meine Herkunft ekstatisch Ausdruck verleihen. „Dat jibt et nit, aus Hamburg!“, rief er, als müsse er eine halbe Fußballplatzlänge sonisch überbrücken, dabei sorgte er während des kompletten Spiels für eine maximale Distanz von acht Zentimetern zwischen seinem Mund und meinem Ohr.
Dann orderte er noch zwei Kölsch. „Aus Hamburg!“ Er schüttelte fassungslos den Kopf und umarmte mich ungelenk, während im Hintergrund das 1:2 fiel und das Schimpfen der Fans kurz aufwogte, um alsbald paralytisch zu verebben.
Kurz vor Schluss schoss Freis den Ausgleich. Jubel, Trubel, noch ’n Kölsch. Zwischendurch wurde ich immer wieder von Markus’ Beileidsbekundungen wegen des Ausscheidens des HSV aus der Europa League überschüttet. „Dat tut mir soooo leid, ächt“, sprühnebelte Markus.
Ich hatte es nach drei vergeblichen Versuchen aufgegeben, ihm noch einmal zu erklären, dass man als St.-Pauli-Fan auf eine HSV-Niederlage nicht gerade mit äußerster Bestürzung reagiert. „Aber für den deutschen Fußball ist dat schlächt“, hatte Markus beharrlich eingewandt, und natürlich hatte er Recht.
„Aus Hamburg, wie meine Freundin, dat jibt’s nit!“, sagte er plötzlich wieder und wollte das wiederholt mit einer Runde Kölsch begießen, doch ich wand mich aus der allmählich bedrohlichen Promillespirale mit dem wahrheitsgemäßen Argument, ich müsse abends noch auf eine Weinprobe.
„Eine Weinprobe! Is dat jeil!“, schrie Markus mir aus acht Zentimetern ins Ohr. Er hingegen, gelang es mir semantisch aus seinen weiteren Ausführungen herauszudestillieren, werde jetzt auf eine Tour durch die Brauhäuser der Altstadt gehen. Kösch schlabborn.
Im Hotel war die Weinprobe zum Glück nur eine Option. Ich entschied mich stattdessen kölschvernebelt dafür, dem Koch dabei zuzusehen, wie er 30 lebende Flusskrebse in siedendes Wasser warf.
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03 Mai 2010
Erblasser gesucht
Unfassbar wahr: Mein FC St. Pauli steigt nach dem Sieg in Fürth in die erste Liga auf! Das ist da, wo die Bayern spielen und nicht Paderborn.
Ab August werden unsere Stadtteilkicker also nun Robben an die Kette legen, Lahm live aufm Platz erklären, was Nomen est Omen übersetzt bedeutet, und Ribéry vorm Spiel aus teuflisch-taktischen Gründen die Standorte der attraktivsten scheinbar 17-jährigen Huren stecken (Davidstraße; aber nicht petzen).
Dieser Aufstieg ist praktisch noch schöner als das längst legendäre 3:1 im Schnee gegen Bremen. Prophylaktisch wurde daher heute Abend die Reeperbahn gesperrt, dabei weilt die Mannschaft noch in Franken. Was am kommenden Sonntag ab 17 Uhr nach dem letzten Heimspiel hier los sein wird, mag man sich gar nicht ausmalen. Für Kiezbewohner gibt nur zwei Möglichkeiten: fliehen oder mitfeiern. Mal sehen, was Ms. Columbo zu dieser Auswahl sagt.
Für mich allerdings tropft ins Meer der Euphorie der seit Jahren übliche Wermutstropfen: Ich werde auch für die kommende Saison keine Dauerkarte bekommen.
Wer also vererbt mir eine? Bitte nur ernstgemeinte Angebote.
Foto: FC St. Pauli
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02 Mai 2010
Das Beinahende der Oliver-Pocher-Show
Erbte ich zufällig eine Hotelkette, so böte ich direkt nach Bett, Klo und Dusche als viertes Killerfeature jedes Zimmers freies WLAN an, und zwar noch vor Minibar und Pornos.
Da ich die Maritim-Kette zufällig noch nicht geerbt habe, ist das hier aber anders, und das Hotel räumt T-Mobile die Lizenz zum Schröpfen ein. Acht Euro pro Stunde will der rosa Wucherer fürs drahtlose Web – und kriegt sie natürlich nicht, zumindest nicht von mir.
Beim Maritim hat man schlicht noch nicht begriffen, dass viele Gäste ihr Hotel danach aussuchen, ob sie nach Lust und Laune im Internet surfen können. Doch auch dieses altehrwürdige Familienunternehmen wird irgendwann im 21. Jahrhundert ankommen, da bin ich mir sicher.
Lautsprecher neben dem Bett gibt es jedenfalls längst, und die wurden vergangene Nacht gegen halb 3 hochaktiv. Zunächt gab es einen Alarmton, der uns aus dem Tiefschlaf unvermittelt in eine kerzengerade Sitzhaltung zwang. Dann sagte eine Stimme ungefähr das:
„Es gibt ein technisches Problem, bitte verlassen Sie SOFORT das Hotel. Benutzen Sie NICHT die Aufzüge.“
Wortlos zogen wir uns an, trotteten raus auf den Flur und folgten schweigend einem vierschrötigen HipHop-Fan mit Kapuzensweatshirt, weil er den Weg zum Treppenhaus zu kennen schien.
Draußen röhrten die Sirenen. Als wir ins Atrium kamen, wo die Leute zusammenströmten, rasten drei Feuerwehrautos im vollen Ornat heran. Vorm Hotel versammelten sich die Gäste in illustren Kombinationen. Manche (die von der Tanz-in-den-Mai-Party) im kleinen Schwarzen, andere (die dem Tiefschlaf entrissenen) im Bademantel.
Die Feuerwehr stürmte das Hotel, lief mal hier-, mal dorthin, beriet sich flüsternd mit Sicherheitsleuten und kam schließlich zu dem Schluss: Fehlalarm. Ein übereifriger Feuermelder, der auch mal was sagen wollte.
Die mit dem kleinen Schwarzen trollten sich, die mit den Bademänteln auch, und wir erst recht. Als wir die Rolltreppe nach oben betraten, kam uns Oliver Pocher samt Entourage entgegen. Reichlich spät, Junge, dachte ich. Wäre es kein Fehlalarm gewesen, gäbe es im deutschen Fernsehen jetzt eine Lateshow weniger.
Ob das ein Verlust wäre, müssen andere entscheiden.
PS: Das Foto zeigt ein dekoratives Spargelfeld in der Umgebung – am Morgen, nachdem das Maritim Köln doch nicht abgebrannt ist.
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01 Mai 2010
Unter Vollprolls gen Köln
Als das knappe Dutzend Jungs lautstark unser Zugabteil entert, weiß ich sofort, dass die Fahrt gelaufen ist.
Schon beim Einsteigen balancieren sie ihr Gepäck aus – mit Bierflaschen. Alles was sie sagen, tun sie so, als müssten sie sich gegen eine Armada Presslufthämmer durchsetzen.
Wenn sie singen (was sie oft tun), handelt es sich um Lyrik à la „Whiskey und Kümmer-/ling-e-ling-e-ling“, und wenn sie nicht singen, dann grölen sie, und zwar „Olic! Olic! Olic!“.
In Osnabrück registrieren die Jungs durchs Fenster vergnügt eine Gruppe Mädchen mit Instrumenten auf dem Bahnsteig. „Boah“, staunt einer, als müsste er einen Presslufthammer übertönen, „die können Geige spielen!“ „Besser wäre Flöte“, ruft einer seiner Kumpel. So viel schlüpfrige Schlagfertigkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut, ehrlich gesagt.
Nach etwa der Hälfte der Strecke hat der Säugling auf dem Sitz vor uns genug vom Vollprollterror – und hält mit Schreien dagegen. Alles kein Ambiente, um unterm Kopfhörer ein Album von Owen Pallett zu hören oder einen Roman von Michel Houllebecq zu lesen (oder wie immer der geschrieben wird).
Unsere gemeinsame Fahrt mit den Jungs und dem Säugling dauert drei Stunden. Danach wanken wir aus dem Zug wie nach dem Ironman oder zwei schlaflosen Nächten oder beidem. Jetzt muss Köln uns retten, wo wir auf Einladung der Maritim-Kette das Wochenende verbringen.
Das Hotel liegt praktisch am Rhein und in Fußweite zum Dom. Verurteilte man mich zufällig zu lebenslänglich und dürfte ich mir aussuchen, wo ich die Strafe absitzen wollte, so wäre diese Mischung aus lichtdurchflutetem Atrium mit Mall (Foto) und Hotel drumherum gewiss nicht die letzte Wahl.
Da wir beide bisher noch nicht zu lebenslänglich verurteilt wurden, gehen wir nach dem Einchecken gleich mal die Gegend erkunden – und landen in einer Eisdiele, wo eine Frau zu einer anderen sagt: „Ich geh kurz bei Schlecker!“.
„Kölsch“, wird ein paar Stunden später der Maritim-Marketingdirektor Thomas Schüpstuhl uns mit einem Glas in der Hand erläutern, „ist die einzige Sprache, die man trinken kann.“ Und was soll ich sagen: Der Mann hat Recht.
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30 April 2010
Auf der Bundesbankfiliale (Honeckers Heiermann)
Matt: „Ich habe hier auch noch 5 Ostmark. Was kann ich damit machen?“
Bundesbankmann: „In ein Fotoalbum kleben?“
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29 April 2010
Ein Idiot mit Schüttellähmung
Seit einiger Zeit kappe ich immer mehr Taue zu den Netzwerken im Web. Kein „Wer-kennt-wen“ mehr, Schluss mit „Stayfriends“.
Ich will wieder mehr auf meine Daten achten. Was natürlich witzig klingt bei einem Blogger, der mit Klarnamen aus seinem Leben berichtet, das gebe ich zu; doch hier auf der Rückseite der Reeperbahn kann ich wenigstens der Illusion frönen, alles unter Kontrolle zu haben.
Es wäre im Lichte dieser Rückzugsstrategie natürlich höchst inkonsequent, mir nach dem baldigen Ablauf meines Personalausweises eins von diesen neuen Chipdingern aufdrücken zu lassen. Deshalb besuche ich das Ortsamt St. Pauli, um mich für acht Euro Gebühr noch mal mit einer guten, alten Plastikkarte zu versorgen – das sind zehn Jahre Aufschub!
Auf dem Antrag ist ein schwarzumrahmtes Rechteck, in das ich unterschreiben soll. Ein aufregender Akt, denn regelmäßig missrät mir meine Unterschrift. Außerdem sieht sie jedesmal anders aus. Doch diesmal gelingt sie mir, ich bin erleichtert und auch ein wenig stolz.
„Hm“, macht die Ortsamtsdame, als sie den Antrag inspiziert, „ist Ihnen die Unterschrift da unten nicht ein wenig ins Schwarze geraten?“ Na ja, könnte schon sein, gerade so. Aber wenn’s nach mir ginge, dann …
Zu spät: Sie hat den Antrag bereits zerrissen und zerknüllt und druckt einen neuen aus. Jetzt bin ich enorm unter Druck, und Druck wirkt sich auf meine Testierfähigkeit aus wie eine mutierte Vogelspinne auf Arachnophobiker.
Zittrig setze ich an, verkrampfe augenblicklich, versuche das Debakel mit adrenalingepeitschtem Aktionismus in letzter Sekunde abzuwenden – und gerate diesmal ins Schwarze oben. Deutlich sogar. „Meine Unterschrift“, werfe ich kleinlaut ein, „ist eben sehr vertikal.“
Das mache nichts, antwortet die einfühlsame Ortsamtsfrau, während sie mich über ihre Lesebrille hinweg mustert, den Antrag zerreißt und einen neuen ausdruckt. Diesmal gelingt mir ein Gekrakel, als hätte Picasso einen epileptischen Anfall. Und obwohl dieses Gebilde nirgendwo ins Schwarze lappt, ist uns beiden stillschweigend klar, dass es keinesfalls die nächsten zehn Jahre auf einem nichtelektronischen Ausweis von sekundenlanger Schreibinkontinenz künden sollte.
Sie knüllt und zerreißt mit zunehmender Professionalität, Gleiches gilt für die Routine ihres Ausdruckens. Ihr Blick über die Lesebrille ist dabei weiterhin von Gelassenheit und Milde geprägt, ganz so, als hielte sie mich gar nicht für einen Idioten mit Schüttellähmung. Sie sollte auf Seelsorgerin umschulen.
Also Antrag Nr. 4 – und es klappt! Ich habe mich ins Ziel gerettet! Sie ist nicht schön, diese Unterschrift, zumindest nicht so schön wie die erste, die gewiss bei genauerem Hinsehen gar nicht ins untere Schwarze gelappt und deshalb eigentlich eine Chance verdient hatte. Aber immerhin.
„So“, sagt die Ortsamtsfrau sehr sanft, „das macht dann vier mal acht Euro. Also 32.“ Ich starre sie entgeistert an.
„Nur ’n Scherz“, sagt die Ortsamtsfrau.
Hoffentlich sitzt sie in zehn Jahren noch da, wenn meine neue gute, alte Plastikkarte ablaufen wird. Irgendwie sind wir ein gutes Team.
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Ich will wieder mehr auf meine Daten achten. Was natürlich witzig klingt bei einem Blogger, der mit Klarnamen aus seinem Leben berichtet, das gebe ich zu; doch hier auf der Rückseite der Reeperbahn kann ich wenigstens der Illusion frönen, alles unter Kontrolle zu haben.
Es wäre im Lichte dieser Rückzugsstrategie natürlich höchst inkonsequent, mir nach dem baldigen Ablauf meines Personalausweises eins von diesen neuen Chipdingern aufdrücken zu lassen. Deshalb besuche ich das Ortsamt St. Pauli, um mich für acht Euro Gebühr noch mal mit einer guten, alten Plastikkarte zu versorgen – das sind zehn Jahre Aufschub!
Auf dem Antrag ist ein schwarzumrahmtes Rechteck, in das ich unterschreiben soll. Ein aufregender Akt, denn regelmäßig missrät mir meine Unterschrift. Außerdem sieht sie jedesmal anders aus. Doch diesmal gelingt sie mir, ich bin erleichtert und auch ein wenig stolz.
„Hm“, macht die Ortsamtsdame, als sie den Antrag inspiziert, „ist Ihnen die Unterschrift da unten nicht ein wenig ins Schwarze geraten?“ Na ja, könnte schon sein, gerade so. Aber wenn’s nach mir ginge, dann …
Zu spät: Sie hat den Antrag bereits zerrissen und zerknüllt und druckt einen neuen aus. Jetzt bin ich enorm unter Druck, und Druck wirkt sich auf meine Testierfähigkeit aus wie eine mutierte Vogelspinne auf Arachnophobiker.
Zittrig setze ich an, verkrampfe augenblicklich, versuche das Debakel mit adrenalingepeitschtem Aktionismus in letzter Sekunde abzuwenden – und gerate diesmal ins Schwarze oben. Deutlich sogar. „Meine Unterschrift“, werfe ich kleinlaut ein, „ist eben sehr vertikal.“
Das mache nichts, antwortet die einfühlsame Ortsamtsfrau, während sie mich über ihre Lesebrille hinweg mustert, den Antrag zerreißt und einen neuen ausdruckt. Diesmal gelingt mir ein Gekrakel, als hätte Picasso einen epileptischen Anfall. Und obwohl dieses Gebilde nirgendwo ins Schwarze lappt, ist uns beiden stillschweigend klar, dass es keinesfalls die nächsten zehn Jahre auf einem nichtelektronischen Ausweis von sekundenlanger Schreibinkontinenz künden sollte.
Sie knüllt und zerreißt mit zunehmender Professionalität, Gleiches gilt für die Routine ihres Ausdruckens. Ihr Blick über die Lesebrille ist dabei weiterhin von Gelassenheit und Milde geprägt, ganz so, als hielte sie mich gar nicht für einen Idioten mit Schüttellähmung. Sie sollte auf Seelsorgerin umschulen.
Also Antrag Nr. 4 – und es klappt! Ich habe mich ins Ziel gerettet! Sie ist nicht schön, diese Unterschrift, zumindest nicht so schön wie die erste, die gewiss bei genauerem Hinsehen gar nicht ins untere Schwarze gelappt und deshalb eigentlich eine Chance verdient hatte. Aber immerhin.
„So“, sagt die Ortsamtsfrau sehr sanft, „das macht dann vier mal acht Euro. Also 32.“ Ich starre sie entgeistert an.
„Nur ’n Scherz“, sagt die Ortsamtsfrau.
Hoffentlich sitzt sie in zehn Jahren noch da, wenn meine neue gute, alte Plastikkarte ablaufen wird. Irgendwie sind wir ein gutes Team.
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28 April 2010
Ohne Worte (75): Irgendwie inkonsequent
Entdeckt am Pinnasberg, St. Pauli
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27 April 2010
Manche Leute verstehe ich einfach nicht (3)
Lieber Unbekannter,
der Sie neulich unter vermeintlicher Berücksichtigung meiner kulinarischen Vorlieben am Empfang eine silbermetallene (!) Tafel Ritter-Sport-Schokolade sowie eine offenkundig essbare „Voll-Nuss“ für mich abgegeben und mit einem Klebezettel samt der Botschaft „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ versehen haben:
a) danke.
b) Ich esse nur „DUNKLE Voll-Nuss“! Muss man denn alles dreimal sagen?
Jetzt benötige ich
a) eine Rücksendeadresse für die unzumutbare Nichtdunkle und
b) Ihre Zusicherung, von derlei Aktionen künftig rückstandlos abzusehen.
Der metallene Schokotrumm macht sich davon abgesehen ganz gut als Buch- und Briefbeschwerer, den behalte ich.
Mit noch immer irritierten Grüßen
Matt
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26 April 2010
Fundstücke (78)
Wer auch immer dieses … Ding vor unserer Haustür abgestellt hat: Mach das wieder weg!
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25 April 2010
Fünf mal eins ist nicht achtzehn
Bei meinem Streifzug über den Schlachthofflohmarkt ließ ich trotz aller offenkundigen Qualitäten die 45-Single „Bier, Bier, Bier ist die Seele vom Klavier“ von Paul Kuhn links liegen, wohl wegen der thematisch enttäuschend gleichförmigen B-Seite („Es gibt kein Bier auf Hawaii“).
Bei einem anderen Händler stieß ich allerdings auf eine Plattenkiste mit lauter mir unbekannten Songwriteralben aus den 70ern. Eine herumsitzende Frau ermunterte mich mit merkantilen Argumenten („Alles billiger! Alles nur ein Euro!“) zur näheren Inaugenscheinnahme.
Und in der Tat: Am Ende hatte ich fünf mir interessant vorkommende Objekte herausgefischt, deren erstaunlich guter vinyler Zustand die ramponierten Cover nicht gerade nahegelegt hatten. Inzwischen war die Frau verschwunden, dafür hielt ein etwa zwei Meter langer älterer Herr nun die Stellung. Er trug merkwürdigerweise eine hochgeschobene Affenmaske auf dem Kopf, ähnlich wie es die hiesigen Luden mit ihren stets bedingungslos blickdichten Sonnenbrillen tun.
„Entschuldigen Sie“, wandte ich mich an ihn, „machen Sie mir ein Angebot für die fünf LPs hier?“ Er schaute gutgelaunt unter seiner Affenmaske hervor und sagte: „No jo, saachen wir achtzehn.“ Ein überraschend erschreckendes Angebot.
„Ihre Kollegin hat vorhin gesagt, das Stück kostet nur einen Euro“, versuchte ich die beiden gegeneinander auszuspielen, was meist in Abwesenheit einer Partei ganz gut gelingt. „Na gut“, gab er sich versöhnlich, „saachen wir acht.“
Mit Mathe hatte er’s offenber nicht so. „Fünf mal eins“, belehrte ich ihn, „ist aber fünf.“ Er winkte lässig ab, während man durch das gewaltige Gebiss der Affenmaske seine Haare sehen konnte. „Na gut, fünf.“
Aus Scham beendete ich das Spiel an dieser Stelle. Sonst wäre ich wohl nicht nur mit fünf Platten, sondern auch mit zwei Euro mehr nach Hause gegangen.
Doof nur: Ich hatte vor Monaten bereits geschworen (allerdings ohne Zeugen), keine weiteren LPs mehr zu kaufen. Jetzt fühle ich mich reingelegt.
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24 April 2010
Stani raus!
So, nach dem heutigen gloriosen 6:1 meines bald 100-jährigen FC St. Pauli gegen Koblenz halte sogar ich Fußballpessimist und -schisser den Aufstieg unter gewissen, genau zu definierenden Umständen sowie Hinzuziehung von Zufall, Glück, Voodoo und Massenbeinbrüchen beim Gegner für nicht vollkommen ausgeschlossen.
Nach dem Spiel skandierte das ganze Stadion in fröhlicher Euphorie: „Stani raus!“ und „Wir ham die Schnauze voll!“. Stani(slawski) wurde gerade von Sky interviewt, als die paradoxen Sprechchöre hereinschwappten, und grinste: „Wahrscheinlich liegt’s am Gegentor.“
„Stani raus“ heißt natürlich nichts weiter als: raus aus der zweiten Liga. Das wünsche auch ich mir sehnlichst – und das trotz des peinsam denglischen Jubiläumsslogans „OUR WORLD is braunweiß“.
Doch mein Fremdschämpotenzial habe ich diesen Monat zum Glück schon komplett aufgebraucht.
Foto: FC St. Pauli
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Nach dem Spiel skandierte das ganze Stadion in fröhlicher Euphorie: „Stani raus!“ und „Wir ham die Schnauze voll!“. Stani(slawski) wurde gerade von Sky interviewt, als die paradoxen Sprechchöre hereinschwappten, und grinste: „Wahrscheinlich liegt’s am Gegentor.“
„Stani raus“ heißt natürlich nichts weiter als: raus aus der zweiten Liga. Das wünsche auch ich mir sehnlichst – und das trotz des peinsam denglischen Jubiläumsslogans „OUR WORLD is braunweiß“.
Doch mein Fremdschämpotenzial habe ich diesen Monat zum Glück schon komplett aufgebraucht.
Foto: FC St. Pauli
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23 April 2010
Wie das Partybild auf die Bahncard kam
Nein, nicht alle Kollegen sind eine Zierde meines Standes.
Manche scheinen sich trotz eines IQs, der Lothar Matthäus’ Lebensalter entspricht, geradezu verirrt zu haben in diese Welt des Denkens und Schreibens, ohne allerdings – und das ist das besonders Merkwürdige – sogleich zügig wieder hinausexpediert worden zu sein.
Zu diesen Journalisten gehört Regina.
Regina beklagt sich in einem Forum öffentlich über die Bahn. Die nämlich, schimpft sie am 3. 11. 2009, habe ihrer Bahncard statt des üblichen Passfotos etwas ganz anderes eingeschweißt: nämlich ein seltsames Partybild von ihr.
„Rätsel DB!“, schlägt sich Regina vor den überforderten Kopf – ohne auch nur ansatzweise zu begreifen, dass weltweit nur ein Mensch das Partybild beim Antragstellen versehentlich hochgeladen haben muss, und zwar sie höchstselbst: Regina.
Denn woher in Mehdorns Namen sollte die Bahn das Bildchen sonst wohl haben?
Ach, es ist ein Kreuz. Da lobe ich mir doch die Bauernschläue der Pennyfiliale in Ottensen, die einfach einen Aushang macht, wenn sie mal ein paar Ls billig loswerden will. (Sowie ein Deppenleerzeichen.)
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Manche scheinen sich trotz eines IQs, der Lothar Matthäus’ Lebensalter entspricht, geradezu verirrt zu haben in diese Welt des Denkens und Schreibens, ohne allerdings – und das ist das besonders Merkwürdige – sogleich zügig wieder hinausexpediert worden zu sein.
Zu diesen Journalisten gehört Regina.
Regina beklagt sich in einem Forum öffentlich über die Bahn. Die nämlich, schimpft sie am 3. 11. 2009, habe ihrer Bahncard statt des üblichen Passfotos etwas ganz anderes eingeschweißt: nämlich ein seltsames Partybild von ihr.
„Rätsel DB!“, schlägt sich Regina vor den überforderten Kopf – ohne auch nur ansatzweise zu begreifen, dass weltweit nur ein Mensch das Partybild beim Antragstellen versehentlich hochgeladen haben muss, und zwar sie höchstselbst: Regina.
Denn woher in Mehdorns Namen sollte die Bahn das Bildchen sonst wohl haben?
Ach, es ist ein Kreuz. Da lobe ich mir doch die Bauernschläue der Pennyfiliale in Ottensen, die einfach einen Aushang macht, wenn sie mal ein paar Ls billig loswerden will. (Sowie ein Deppenleerzeichen.)
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22 April 2010
Fundstücke (77)
21 April 2010
Das Stäbchendesaster
Bei der Plünderung eines Sushibüffets, das nur sporadisch aufgefüllt und deshalb immer wieder Opfer kollektiver Spontanattacken wird, ist es ein ernster Nachteil, kein Stäbchenvirtuose zu sein.
Wie ich.
Besteck als Alternative hätte natürlich geholfen, doch das stellte das gastgebende und durchweg dekorativ illuminierte Luxushotel East (Foto) in der Simon-von-Utrecht-Straße leider nicht zur Verfügung. So geriet ich bei der heißen Schlacht am kalten Büffet schon früh in Rückstand.
Die Handhabung von Stäbchen, dieser fürs Augenausstechen sicherlich hocheffektiven, für jede Form der Nahrungsaufnahme jedoch ganz und gar disfunktionalen Werkzeuge, mag für über eine Milliarde merkwürdiger Menschen das Selbstverständlichste der Welt sein, für mich aber ist das etwa so, als müsste ich die 100 Meter in Taucherflossen laufen, während die Konkurrenz in luftgepolsterten Turnschuhen mit Sprungfedern unterwegs ist.
Zu meiner wenig schmeichelhaften Erleichterung rutschte auch Ms. Columbo der ein oder andere Tun vom Hölzchen. „Ich fühle mich wie ein Neandertaler“, murrte sie unamüsiert, während ich versuchte, ein Stück Wassermelone wenigstens durch einen Durchstich zum Wechsel auf meinen Teller zu überreden. Geteiltes Unglück macht übrigens nicht halb so unglücklich, sondern lediglich halb so satt. Soviel zu schlauen Sprichwörtern.
Anlass des Rohfischdesasters war die Präsentation eines neuen East-CD-Samplers, zu dem ich den zuständigen DJ Ping derart interessiert befragte, dass er mir bereits nach zehn Minuten das Du plus Visitenkartenaustausch anbot. Nun muss ich meinerseits ihm einen Sampler aufnehmen; das habe ich jetzt davon.
Satt geworden sind Ms. Columbo und ich am Ende dann doch noch. Das ist halt auch unter solchen Extrembedingungen immer nur eine Frage der Zeit – obwohl man beim Stäbchendilettieren sogar länger dazu braucht, weil die ständig misslingende Benutzung dieser Teufelsdinger erheblich mehr Kalorien verbrennt als die traditionelle Messer-Gabel-Variante.
Zum Glück gab es begleitend aber ausreichend Riesling, und im Gebrauch von Weißweingläsern bin ich, wie ich nicht unstolz behaupten kann, ein kiezweit bekannter Virtuose.
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20 April 2010
Vulgo: Raus jetzt, aber pronto!
Als der Bus 36 am Rathausmarkt ankommt, sagt die Stimme aus dem Lautsprecher natürlich wieder was. Sogar mehr als an anderen Stationen.
Sie sagt: „Please exit here for town hall.“
Ich bin ja zugegebenermaßen weniger der native als der naive speaker – aber müsste die Stimme nicht eher „You MAY exit here …“ sagen, statt mich kaum kaschiert hinauszukomplimentieren?
Jedenfalls trotzte ich tapfer diesem als Bitte getarnten Befehl und kam daher doch noch nach St. Pauli.
Dort wird gerade das Riesenrad abgebaut, was ein ausgesprochen hübscher Anblick ist.
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Sie sagt: „Please exit here for town hall.“
Ich bin ja zugegebenermaßen weniger der native als der naive speaker – aber müsste die Stimme nicht eher „You MAY exit here …“ sagen, statt mich kaum kaschiert hinauszukomplimentieren?
Jedenfalls trotzte ich tapfer diesem als Bitte getarnten Befehl und kam daher doch noch nach St. Pauli.
Dort wird gerade das Riesenrad abgebaut, was ein ausgesprochen hübscher Anblick ist.
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19 April 2010
Danke, Eyjafjallajökull!
Schade, jetzt gehen sie bald wieder zuende, die kondensstreifenlosen Tage. Der Himmel über Hamburg war makellos am Wochenende; er zeigte ein hinreißend ungetrübtes Blau wie zuletzt wahrscheinlich gegen Ende der Weimarer Republik.
Irgendwo unsichtbar dort oben schwebte allerdings die Aschewolke des Eyjafjallajökull; sie sollte nach Medienberichten angeblich den Sonnenuntergang blutrot kolorieren. Deshalb brachen wir gestern Abend auf gen Hafen, um das Schauspiel fotografisch zu dokumentieren.
Allerdings waren wir etwas zu spät dran, die Sonne spiegelte sich nur noch blass im Glasbau der Kehrwiederspitze. Milde enttäuscht spazierten wir alternativ in der Dämmerung durch die Hafencity, sahen die Aida Blu auslaufen und verschoben den Sonnenuntergangscumshot auf Sonntag.
Rechtzeitig gegen 20 Uhr liefen wir also los. Es ging taktisch klug durch den alten Elbtunnel auf die südliche Flußseite, weil dort die Chance größer schien, den Blick weit genug nach Westen zu richten, um das Eyjafjallajökull-induzierte Schauspiel genießen zu können.
Und wirklich: Die Sonne glühte kokett durch die Sträucher, allerdings gewohnt gelblich. Als ich gleichwohl – wo wir schon mal da waren – die Kamera zur Dokumentation des Nullachtfuffzehnsonnenuntergangs zückte, sprach mich ihr Display ausgesucht höflich an.
Es sagte: „Bitte wechseln Sie den Akku.“
Und daher gibt es heute nur ein Foto aus der Hafencity. Allerdings ausgesucht kondensstreifenlos – dank Eyjafjallajökull.
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18 April 2010
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (25)
Schon lang nicht mehr verbloggt: Kräne.
Entdeckt gestern Abend beim Sonnenuntergang an Dock 17.
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17 April 2010
Fremdschämen am Schulterblatt
Eins vorweg: Ich fühle mich grundsätzlich wohl unter Menschen, die so alt sind, wie ich mich fühle. Doch gestern Abend im Haus 73 am Schulterblatt war das anders.
Das Haus 73 ist ein Veranstaltungszentrum mitten auf der Schanze, wo Autonome und Hausbesetzer regelmäßig der Polizei überdeutlich guten Tag sagen, wo sich Studenten, Werber, Veganer, Gentrifizierungsgegner und Bachblütenblödis an schönen Tagen auf dem Galaostrich gemeinsam die Sonne auf Designerbrillen, Palästinensertücher und Batikhemden scheinen lassen.
Dort also, im Haus 73, spielten gestern Abend bei kostenlosem Eintritt drei Songwriter, darunter die wunderbare Berliner Folksängerin Julia A. Noack – und alle wurden sie von einer schambefreiten Schanzenmischpoke gnadenlos niedergequatscht.
Einer blökte so lange in sein Headset, bis German Psycho ihn die Kellertreppe hinabstieß – doch leider konnte der so tapfere wie gnadenlose Kämpfer für höfliche Ruhe beim Konzert nicht überall sein. Ein Frauentrupp mit normierter Kurzhaarfrisur etwa erörterte über drei Sesselreihen hinweg, wer wie viel Milch in seinen Latte Macchiato haben möchte; ein Schlabbertyp mit am Kopf festgewachsener Kapuze laberte zurücklabernde Studentinnen an, ein Hornbrillenhornochse kickte Astraflaschen über den Steinfußboden.
Derweil wälzte sich eine unablässige Schlange von Leuten zum Rauchen raus und begegnete an der Tür neben der Bühne einer unablässigen Schlange von Leuten, die gerade vom Rauchen zurückkamen.
Und in diesem heillosen Tollhaustohuwabohu – verursacht von dumpfbräsigen Ignoranten, die sich für die urbane Avantgarde halten – versuchte Julia A. Noack aus Berlin kleine feine Zupfgeschichten von Grizzlymädchen und angelehnten Türen zu Gehör zu bringen. Vergeblich.
Kurzum, Schanze: Ich habe mich selten so fremdgeschämt wie gestern Abend. Und jetzt bin ich irgendwie doch froh, dass du seit dem 1. März 2008 nicht mehr zu St. Pauli gehörst.
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