04 April 2007

Die lange und jämmerliche Geschichte meiner Versuche, Bob Dylan zu fotografieren

Ich versuche in der Color Line Arena den offenen Kasten zu knipsen, in dem die Gitarren von Bob Dylans Begleitband aufbewahrt werden; er trägt die Aufschrift „Beware of DOG“. Und diese Warnung war berechtigt, denn sofort walzt eine Security-Bulldogge heran und verbietet mir das Knipsen.

Der Typ ist unfassbar dick und so wulstig rund wie das Michelin-Männchen, sein kahler Schädel mündet am Kinn unmittelbar in den Schlips. Ein Hals, an dem das Kleidungsstück festgebunden sein könnte, ist nicht zu sehen, nicht einmal im Ansatz.

„Beware of DOG!“, halte ich ihm die Trivialität meines Motivs kommentarlos vor und versuche ihm so die Lachhaftigkeit seines Ansinnens vor Augen zu führen. Was auch funktioniert. Allerdings lacht er nicht. „Danach ist sofort Schluss“, sagt er.


Im weiteren Verlauf des Abends versuche ich mehrfach heimlich Bob Dylan zu fotografieren, gerate jedoch immer wieder ins Visier der argwöhnischen Bulldogge. Dass letztlich kein einziges Bild entsteht, welches das Manko des Dilettantischen abzustreifen vermag, will ich gleichwohl nicht dem Dicken anlasten, sondern einer langen persönlichen Tradition vergeblicher Versuche, Bob Dylan zu fotografieren.

Sie reicht zurück bis in die frühen 80er Jahre, als ich erstmals der Gnade anteilig wurde, einen Ort auf dieser Erde mit dem auratischen Künstler teilen zu dürfen, was mir seither weitere fünf Male vergönnt war. Es war auf der Loreley am Rhein, das Gelände war so riesig wie meine Pocketkamera klein, und ich kam kaum näher als fünfzig Meter an die Bühne heran.

Dennoch wagte ich einen Schuss, der – zusätzlich beeinträchtigt durch ein ehrfurchtsvolles Zittern meiner Hände – einen verwischten rotweißen Fliegenschiss in der Mitte des Fotos ergab, und das war Bob Dylan. Dass ich der Einzige weltweit war, der diese Bilddeutung zu leisten imstande war, steigerte meine gedämpfte Freude über den Beweis meiner Begegnung allerdings kaum. (Übrigens habe ich heute Abend alle Schubladen nach diesem Foto durchwühlt, um diese Schilderung zu dokumentieren, konnte es aber nicht finden.).

Danach passierte dekadenlang nichts, doch vor zwei Jahren traf ich wieder einmal kamerabewehrt auf Dylan, und zwar im CCH. Der Versuch, in die Nähe der Bühne zu gelangen, schien zunächst von Erfolg gekrönt, doch kaum zückte ich die Kamera zum finalen Schuss, vertrieb mich ein menschlicher Panzerschrank, der mich jetzt, im Rückblick, frappant an jenes Monstrum erinnert, welches mich heute Abend vom „Beware of DOG“-Schild fernhalten wollte.

Aus der Deckung der letzten Reihe versuchte ich noch mal mein Glück und erzeugte jenes oben zu sehende wirre Gewische aus Rot- und Gelbklecksen, in dessen Mitte mit viel gutem Willen eine Art Hut zu erkennen ist, und der gehört Bob Dylan. Das tut er, ich schwör’s!

Heute Abend nun gelang mir unter den argwöhnischen Schweinsäuglein der Bulldogge jenes oben gleichfalls dokumentierte blaugrundierte Werk, in dessen Bildmitte ein verwackelter weißer Hut zu erkennen ist, worunter sich wer versteckt? Bob Dylan.

Diesmal – soviel kann ich stolz behaupten – habe aber nicht ich gewackelt, sondern Bob. Insofern bedeutet das einen kleinen Höhepunkt in der langen Geschichte meiner jämmerlichen Versuche, Bob Dylan zu fotografieren.

Na ja, wirklich wichtig sind ja eh nur die Bilder, die man im Kopf hat. Leider scheitere ich aber immer wieder daran, davon Abzüge fertigen zu lassen.

03 April 2007

Das Farb-Mäuse-Rätsel

In den Ottenser Zeisehallen findet ab und zu ein Flohmarkt statt. Er ist stets eine Sammelstelle für Wollsocken, Kräuterteefreaks und Atomkraft-nein-danke-Buttonträger. Nichts gegen Leute, die gegen Atomkraft sind, keineswegs, das bin ich ja selbst, aber optisch und mental geht mit ihnen oft einiges einher, das mich nicht gerade dazu bewegt, auf Deibel komm raus ihre Freundschaft zu suchen.

Im Kontext dieser spezifisch gestrickten Flohmarktbevölkerung muss man auch die zahlreichen Aushänge bewerten, die sich an einem als schwarzes Brett missbrauchten Gitterkonstrukt am Seitenausgang den vorüberziehenden Zeisehallenbesucherströmen präsentieren. Zum Beispiel das heute abgebildete.

Was will der explizit handylose Mensch überhaupt? Was zum Beispiel sind „FARB-MÄUSE“? Und warum fragt er, der FARB-MÄUSE-Anbieter, selbst irritiert nach dem Warum? Woran überhaupt soll man „Interresse“ haben?

Sind das etwa alles Chiffren, die jeder sofort versteht, der Wollsocken trägt und einen Atomkraft-nein-danke-Button? Und warum hat der Aushangkreateur „noch kein Handy“?

Vielleicht hat ja jemand Lust, das mithilfe seiner hinterlassenen Adresse zu klären, wozu man natürlich warten muss, bis der FARB-MÄUSE-Freak wieder mal vorbeikommt, sie sich notiert und dann von sich aus den Kontakt herstellt.

Ach, vielleicht mach ich das morgen selbst. Was tut man nicht alles, um auch in Zukunft was zum Bloggen zu haben.

Welches Tier ich am liebsten wäre:

Ein Geier in Patagonien. Aus vier Gründen:

a) Keine natürlichen Feinde.
b) Nette Landschaft.
b) Fliegen können.
c) Jeden Tag stellt dir jemand das Essen hin. (Gut: Es ist Aas. Aber ich esse ja auch Sushi.)

01 April 2007

Marilyn

Vorm Edeka-Markt stellt sich ein kleines Mädchen auf die Lüftungschlitze an der Hauswand, lässt sich das Röckchen von der Abluft hochpusten und schleckt dazu ein Eis.

Ich grinse popkulturhistorisch und sehe, wie eine Frau in meinem Alter, die gerade ihr Fahrrad abschließt, ebenfalls grinst, und zwar genauso. „Marilyn“, sagen wir synchron – und grinsen noch breiter.

Das Mädchen ist zu jung, um irgendetwas zu wissen von der überzeitlichen Wucht seines ikonografischen Verhaltens; es fragt sich bestimmt, warum zwei fremde Erwachsene sich wissend angrinsen, darum geht es lieber weg, die Sache ist ihm unheimlich.

Auch wenn es dageblieben wäre, hätte ich es natürlich nicht fotografiert; die Zeiten sind nicht danach, als Erwachsener kleine Mädchen zu fotografieren, deren Röckchen gerade hochgepustet werden. Deshalb gibt es an dieser Stelle nur ein Stilleben der verwaisten Lüftung.

Marilyn muss (und kann) man sich einfach dazudenken. Immerhin liegt sogar ihr Eisbecher noch da.

30 März 2007

Be my teddybear!

In meinem neuen Spreadshirt-Shop gibt es ab sofort nicht nur hinreißend hübsche Hemdchen mit dem Bloglogo, sondern auch ebenso verzierte Teddys (aber keine Eisbärbabys, leider …).

Oben in der Navigation findet sich von nun an auch der direkte Link zu dieser Goldgrube, die mich binnen weniger Monate derart duftendreich machen wird, dass die Hamburger Steuerfahndung auf ein Auslieferungsabkommen mit den Seychellen drängen dürfte.

Sei’s drum – ich riskier’s.

29 März 2007

Peng, du bist blöd!

Einst schoss er scharf in Wimbledon, inzwischen kämpft Ex-Tennisstar Michael Stich mit allen verfügbaren Waffen gegen Aids.

Ein Plakat seiner neuen Kampagne zeigt das abgebildete Motiv: Einem nackten Mann wächst statt des besten Stücks eine Pis(s)tole aus dem Bauch, vor ihm kniet eine halbnackte Frau und hat die Wumme im Mund. Daneben steht: „Zwischen Leben und Tod liegen nur 0,003 mm Latex.“

Wie
aber eine hauchdünne Gummischicht, welche der Pistole eventuell übergezogen ist (das kann man nicht erkennen), jene Kugel aufhalten soll, die Madames Daumen unzweifelhaft in der nächsten Sekunde abfeuern wird, das weiß nur der Stich.

Metaphern, soviel ist sicher, sind Glückssache.

28 März 2007

Beunruhigende Zeichen

In Peter Weirs 30 Jahre altem Filmklassiker „Die letzte Flut“ häufen sich mitten in einer australischen Großstadt seltsame Vorzeichen einer großen Katastrophe, von der die düster schweigenden Aboriginies längst wissen.

Dieser Film fiel mir heute ein, als ich abends vorm Dorinthotel auf den Bus wartete und neben dem Gehweg den abgebildeten Steinhaufen auf blauer Plastikscheibe entdeckte.

Ein beunruhigendes Ritual scheint ihm zugrunde zu liegen. Mir kommt er vor wie eine Art Schrein, der sich hermetisch abkapselt; mit ihm scheint etwas Archaisches einzubrechen in die ganz normale Hamburger Welt der Ampelphasen und Abfahrtzeiten.

Wahrscheinlich war es aber nur ein Kind, das, als der Bus kam, von seiner Mutter unwirsch aus der Botanik gezerrt wurde, sich plärrend hinwarf auf den nächstbesten Sitz hinterm Fahrer und mitansehen musste, wie sein kleines Kunstwerk aus Plastik und Kieseln zurückblieb, um bald darauf einen vergrübelten Blogger an eine Filmapokalypse aus ferner Zeit zu erinnern.

Ähnlich verwirrt war ich im vergangenen Mai, als ich in St. Pauli ein sorgsam geometrisch auf einem Randsteineck drapiertes Baguette entdeckte. Es liegt nahe, mir außer „Die letzte Flut“ auch „23 – Nichts ist so, wie es scheint“ noch mal anzuschauen.

Oder vielleicht lieber doch nicht.

27 März 2007

Zwischen Bach und Nutella

Beim Konzert von Ragna Schirmer in der stuck- und goldtrunkenen Laeiszhalle (Foto) kämpfe ich öfter mit dem Schlaf, was aber nicht an ihr liegt.

Schirmer durcheilt Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen mit tausendfüßlerhafter Fingerfertigkeit; die eine Hand hüpft über die andere und umgekehrt, und zu verdanken hat sie diese grotesken Grifffolgen einem ebenso optimistischen wie sardonischen Komponisten, der den ganzen Irrwitz ausgerechnet für Klavierschüler komponiert hatte. Sehr witzig, Herr Bach.

Nach dem Konzert treffen wir Mark. Ich ulke herum: „Ich habe keine Fehler gehört. Nur in Variation 18 war mir die Quinte etwas zu terzig.“
„Stimmt“, sagt Mark, „aber das lag nur an Glenn Gould, der bei seinem Konzert in San Francisco 1964 die Quinte als Terze gespielt hat …“
„… aber doppelt so schnell“, werfe ich eifrig ein.
„Genau“, sagt Mark, „und Schirmer zitiert das nur – genau wie den Tschaikowsky-Triller in Variation 23.“

Dilettanten in Aktion. Gut, dass der Backstage-Termin mit Schirmer platzt. Ich hätte eh nichts zu fragen gewusst. Außer vielleicht: Warum hüpfen die Hände eigentlich die ganze Zeit übereinander wie Grundschüler beim Bockspringen – hätten sie sich die einzelnen Parts nicht einfach übergeben könne wie Staffelstäbe?

Wahrscheinlich hätte die Schirmer mich angestarrt wie der Küster der Lübecker Jakobikirche einen Amerikaner, der ihn fragt, ob es sich beim dort ausgestellten Rettungsboot der Pamir um die Arche Noah handele. Oder sie hätte angefangen zu weinen. Beides wäre unschön gewesen.

Mark gelüstet es – trotz Bach – nach einer Wurst, und weil dieser Wunsch nicht stantepede in Erfüllung geht, packt er ein mit Nutella bestrichenes Knäckebrot aus. Er hat es die ganze Zeit dabei gehabt, während der Goldberg-Variationen. Diese Welt, das wird mir plötzlich glasklar, ist unweigerlich dem Untergang geweiht.

Danach gehen wir ins La Provencale und essen Fischsuppe. Ich auch, obwohl ich mir bereits die Zähne geputzt hatte.

Die uninteressanten Päckchen

Gegenüber auf dem Flachdach turnen plötzlich zwei Jungs herum. Sie laufen hin und her, gehen dann zur Dachkante am Innenhof und werfen zwei weiße, offenbar gewichtige Päckchen hinunter. Schätzgewicht: vier Kilogramm.

Das ist der Moment, wo ich mich entschließe, wieder mal bei der Davidwache durchzuklingeln. Während ich auf die Streife warte, klettern die Jungs über Feuerleitern höher und höher. Jetzt stehen sie ungesichert auf dem Dach von Reeperbahn Nr. 35. Sie posieren, fotografieren sich gegenseitig mit ihren Handys. Immer hart an der Kante – ein gefährliches Spiel.

Zwei bullige Polizisten betreten unsere Wohnung, ein Mann und eine Frau. Ich zeige ihnen die Extremkletterer gegenüber und erzähle von den zwei weißen Päckchen. Letzteres stößt komischerweise kaum auf Interesse. Stattdessen verlangen sie meinen Personalausweis und treten sehr präsent auf unseren Balkon. Das finde ich merkwürdig. Lernt man das etwa auf der Polizeischule: Wenn dich ein mutmaßlicher Täter noch nicht entdeckt hat, dann werfe ihm den Überraschungseffekt per Selbstenttarnung vor die Füße?

Natürlich erblicken die Jungs die Polizisten sofort und verschwinden über den Dachgiebel auf die Reeperbahnseite. Die Polizisten geben das per Funk an die Verstärkung durch. „Auf der anderen Seite kommen die nicht runter“, theoretisiere ich und versuche noch einmal die Aufmerksamkeit auf die zwei weißen Päckchen zu lenken. Vergeblich.

Man sieht von unserem Balkon aus nur einen Teil des Innenhofs, doch das reicht, um dort frisch eingetroffene Menschen zu erkennen, und es sind keine Polizisten. Möglicherweise wollten die beiden Jungs ihre Fracht nicht verstecken, sondern übergeben. Eile scheint geboten, doch die beiden Uniformierten auf unserem Balkon geben sich gelassen. Das Funkgerät meldet sich. „Seht ihr die beiden noch?“, krächzt es. „Negativ“, sagt der Mann.

Beide Polizisten meine ich zu kennen, ich weiß auch woher: Aus den vielen Spiegel-TV-Dokus über den Kiez. Alle enden immer mit einem Einsatz der Leute von der Davidwache. Gehört zum Drehbuch. Das hier, denke ich bei mir, ist wie im richtigen Leben, also wie im Fernsehen.

Die Polizisten verlassen den Balkon und verharren im Wohnzimmer. Sie sind kurzärmlig, und ihnen ist kalt. Ich biete eine Jacke an, sie lehnen ab. Kaum ist unser Balkon menschenleer und die Luft scheinbar rein, klettern die Jungs wieder über den Giebel und beginnen den Abstieg. Natürlich haben sie keine Chance. Die Verstärkung wird per Funk informiert, dann gehen die beiden Polizisten runter, wo ihnen die Jungs in die Arme laufen.

Verstärkung trifft ein, Verhaftung mit allen Schikanen wird abgespult. Abgang alle. Auch im Innenhof sind keine Menschen mehr zu sehen, erst recht keine Polizisten.

Und auch keine weißen Päckchen mehr. Jede Wette.

26 März 2007

Am Gefängnis

Im Park Planten un Blomen blüht die Kirsche, Eichhörnchen turnen durchs Gehölz, und die Schilder an den Bäumen, die transsaisonal vor brüchigen Eisflächen auf den Teichen warnen, wirken wie ein schlechter Witz, über den wir trotzdem schmunzeln müssen an einem Strahletag wie diesem.

Der Park drängt an seiner Nordseite gegen die Mauern des Untersuchungsgefängnisses, und all das – Kirschblüte, Eichhörnchen, Teiche – können auch die Gefangenen sehen, wenn sie an den Zellenfenstern stehen.

Manche stecken die Unterarme durch die Gitterstäbe, lassen sie baumeln im Freien, in Freiheit. Unten, auf dem Parkweg, der sich an den Mauern des Gefängnisses entlangschlängelt, stehen die Angehörigen und schreien Grüße hoch, und von oben schallt es tieffrequent zurück; hier werden wichtige Dinge geklärt, meist auf türkisch oder kurdisch, es ist wie in diesem Raubkopiererspot, nur dass die Gefangenen mit dem Blick auf Kirschblüten, Eichhörnchen und Teiche noch nicht wissen, was sie erwartet, denn es ist ja ein Untersuchungsgefängnis.

Nennt uns Spaziergänger schadenfroh, doch das Gefangensein derer, die den Park nur anschmachten dürfen aus der Höhe, trübt unsere Stimmung keineswegs – im Gegenteil: Die Freiheit wird uns gar doppelt bewusst.


Und ohne schlechtes Gewissen fotografieren wir Kirschblüten, Eichhörnchen, Teiche und uns selber – und beschließen insgeheim, nichts zu unternehmen, was uns je dazu zwänge, den Park aus jener speziellen Perspektive anschmachten zu müssen.

24 März 2007

Salto mortale

Den Gehweg am U-Bahnhof Feldstraße (Foto: Bildarchiv Hamburg) nutzen zwei Obdachlose als Spielplatz. Der eine ist ein junger Kerl mit verlottertem Irokesenschnitt; sein Gesicht ist aufgedunsen von Schnaps und Sorgen, und er hat sich über Jahre ernst und konzentriert einen Biafrabauch angetrunken.

Plötzlich stürzt er sich nach vorne und absolviert einen tadellosen Salto. Seine stämmigen Beine krachen auf den Gehweg, kleine Staubwolken stieben hoch, vielleicht vom Asphalt, vielleicht auch von seinen verdreckten Stiefeln. Sein Kumpel, sicher 30 Jahre älter als er, sitzt auf dem Boden mit dem Rücken am Gehweggeländer. Er grinst zahnlos, während er langsam und ohne Enthusiasmus Beifall klatscht.

Erstaunlich fit, der Saltokünstler, denke ich im Vorüberfahren. Ich biege ab zum Recyclinghof, wo ich Druckerpatronen abgeben will. „Woher haben sie die?“, fragt mich eine Mitarbeiterin, die mir den korrekten Entsorgungsbehälter zeigt. „Na, gekauft“, antworte ich unsicher. Keine Ahnung, worauf sie hinauswill.

„Nein, woher haben Sie die?“, lässt sie nicht locker. „Aus dem Internet …?“, schlage ich zaghaft vor. „Ich meine: privat oder gewerblich?“, schnappt sie ungeduldig. „Ach so – privat“, sage ich. Ihre Frage war aber auch ziemlich unkonkret.

„Ihre Frage“, sage ich mit versöhnlichem Lächeln, „war aber auch ziemlich unkonkret.“ Sie schaut mich grinsend an durch ihre schwarze Hornbrille, ihre gefärbte Dauerwelle wippt im Frühlingswind, und dann sagt sie: „Sie sind mir aber ein ganz schöner Naseweis!“

Dieses Wort habe ich schon lange nicht mehr gehört, vor allem nicht auf mich gemünzt. Als ich den Hof verlasse, stoße ich wieder auf den obdachlosen Sportler. Ihm ist eine Zigarette heruntergefallen. Er bückt sich wacklig, doch ein kleiner Windstoß bläst sie ihm außer Griffweite. Er taumelt ihr zwei Schritte hinterher, bückt sich wieder, grabscht über seinen Biafrabauch ungelenk nach ihr und erwischt sie dann doch, beim dritten Versuch.

Und der, wundere ich mich, hat eben auf dem Gehweg einen Salto absolviert, ohne sich das Genick zu brechen oder wenigstens den Schädel? Und dann fällt mir noch ein, dass das anstehende totale Rauchverbot in Hamburg einer Bevölkerungsgruppe nun wirklich völlig schnuppe sein dürfte: den Obdachlosen.

22 März 2007

Ich glaub, es hackt

Eine der schönsten Preziosen im SZ-Magazin ist die Anagrammrubrik „Gemischtes Doppel“. Dort werden Worte bebildert, die bei vertauschten Silbenanlauten einen neuen Sinn ergeben, wenn auch oft einen recht absurden.

Beispiel: Ein Bild zeigt ein Stück Gras, darunter steht „Rasenheizung“; das Nachbarwort dreht die Silben um zu „Hasenreizung“, und man sieht einen genervten Mümmelmann, der durchs Käfiggitter mit einem Stock gepiesackt wird.

Das war selbstkreiert, nur um das Prinzip zu verdeutlichen, denn ich habe gerade kein SZ-Magazin zur Hand, und online enthält uns das Blatt die illustrierten Anagramme leider vor.

Egal, mir fallen eh ständig selber welche auf und ein: Gerade wird wie von selbst aus einer „Hackfresse“ (links) schwuppdiwupp ein „Frackhesse“ (rechts).

Und wenn mir jetzt irgendein beckmessernder Armanischlaumeier mit dem Einwand kommt, das, was Roland Koch da trägt, sei gar kein Frack, dann halte ich ihm entgegen: Mir doch egal! – und verwandle aus Trotz Beißschienen in Scheißbienen.
So.

21 März 2007

Betrug an Renate

Einmal die Reeperbahn überquert, und schon stoßen wir auf etwas, das uns wirklich noch gefehlt hat: einen Wochenmarkt. Überall Ökogemüse (Foto), Obst, Eier, Käse – und St.Pauli-Trikots, klar.

Das Erstaunliche am neuen Mittwochsmarkt auf dem Spielbudenplatz ist aber nicht nur die Sichtnähe zum Straßenstrich, sondern seine Öffnungszeit: von nachmittags 16 bis abends 23 Uhr. Ein Traum! Auch ganz normale Arbeitnehmer können dort einkaufen! Also wir!

Das nutzen wir heute Abend gegen 22 Uhr genüsslich aus und schreiten frohgemut durch den Regen rüber. Allerdings plagt mich schon auf dem Weg dorthin ein schlechtes Gewissen. Ich plane nämlich den Käsestand aufzusuchen, sehe vor meinem geistigen Auge aber schon jetzt eine verzweifelt in ihre Pestokaraffen weinende Renate, deren Käseladen ich allfreitäglich seit was weiß ich wie vielen Jahren frequentiere, wenn nicht noch länger.

„Es ist wie Fremdgehen, stimmt’s?“, sagt Ms. Columbo mitfühlend. Ganz genau. Ganz genau!

Allerdings habe ich zwar vor fremdzugehen, plane aber die Beziehung zu Renate gleichwohl aufrechzuerhalten. Und mal ehrlich: Könnte ich nicht hier, auf dem Markt, ein bisschen Käse kaufen und am Freitag bei Renate ein anderes bisschen? Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert, und es ist ein liberales Jahrhundert, nicht wahr, da muss so etwas doch ohne größeres Trara möglich sein.

Wenn mir nur endlich dieses Bild einer in ihre Pestokaraffen weinenden Renate aus dem Kopf ginge. Davon geplagt trete ich mannhaft heran an den Käsestand auf dem Nachtmarkt. Ein Blick, ein Check, ein Fazit: gutes Angebot. Geradezu toll. Ein wenig Ziegencamenbert darf es ja wohl sein, davon geht Renate nicht pleite. Und dieser originelle Bierkäse mit der Lage Rosinen obendrauf – interessant. Den habe ich bei Renate noch nie gesehen. Damit kann ich ihr also gar nicht schaden.

Ms. Columbo möchte Manchego, Cremoulin haben wir schon länger nicht gegessen, und plötzlich habe ich a) eine Tüte voller Käse, b) 16 Euro zu bezahlen und c) absehbar am Freitag keinen Bedarf mehr.

Ach, Renate … Vielleicht besuche ich dich übermorgen doch und kaufe was fürs Eisfach.

Ich bin einfach noch zu ungeübt im Fremdgehen.

Möpö statt BILD

Auf der Verkehrsinsel zwischen Holsten- und Simon-von-Utrecht-Straße steht morgens ein Zeitungsverkäufer. Der Mann ist Mitte 60, er trägt stets eine Umhängetasche über dem leuchtend roten Poncho.

Als ich ihn das erste Mal von nahem sah, fiel mir sein Walter-Ulbricht-Kinnbart auf (Foto: das Original), der dank seines fortgeschrittenen Alters weiß gefärbt war. Und wie sich rasch herausstellte, teilte der Zeitungsmann auch den Zungenschlag mit dem einstigen SED-Chef.

„Was für ein Ess-zeh-hoa-Weddor!“, begrüßte er mich gestern so fröhlich wie trefflich mit einer gleichwohl schamhaften Umschreibung der meteorologischen Gesamtlage. Heute hingegen lachte nicht nur er, sondern uns beiden auch die Frühlingssonne. „Eine Mopo bitte“, sagte ich.

„Eine Möpö!“, juchzte der Sachse erfreut auf, „un ich dochde schön, eine BILD. BILD is nämlich aus. Viele forgässen: Mir läh’m im Kombjuderzeidaldor“, führte er weltläufig aus, „wenn mor orwends zu viele Exemblore zerügggibd, grischd mor am nägsde Doach ’s Gönding’gend gegörzd. Vom Gombjudor. Döshalb is de BILD aus.“

„Ich brauche sowieso keine BILD“, beruhigte ich ihn, „sondern die Mopo.“ „Eine Möpö“, strahlte der Sachse mit im Morgenlicht tanzenden Ulbricht-Bart, „hier, bidde sähr.“

Ich zahlte 60 Cent und fuhr weiter – in der Gewissheit, einen Menschen kennengelernt zu haben, der einst die DDR überlebt hatte und jetzt, im Westen, wegen stockender Verkäufe das BILD-Kontingent gekürzt bekommt.

Was kann es Schönres gäh’m?

19 März 2007

Matt vs. HSV 2:1 (kurz vor Ende der Verlängerung)

Wir erinnern uns: Ich versuche seit einiger Zeit, ein überschüssiges HSV-Ticket loszuwerden. Bei Ebay geriet ich allerdings sofort ins Visier des argusäugigen HSV, der eine Stornierung der Auktion erwirkte.

Ich rief aufgebracht in der Geschäftstelle an und verlangte ersatzweise eine Rücknahme und Erstattung der Karte, was mir unter deutlichen Anzeichen großer Erheiterung verweigert wurde. Dagegen protestierte ich in einem Schreiben ohne amüsierte Untertöne, woraufhin mir der HSV kühl beschied, ich habe mit der Auktion gegen Urheberrechte verstoßen.

Nun gut, dachte ich, vielleicht hätte ich einfach deutlicher herausstellen sollen, kein Schwarzhändler zu sein. Also startete ich – und das ist jetzt die neue Entwicklung – erneut eine Ebay-Auktion und bot die Karte explizit zum Selbstkostenpreis als Sofortkauf an. Keine zwei Tage später wurde der Bundesliga-Abstiegskandidat, der offenbar sonst nichts zu tun hat, schon wieder bei Ebay vorstellig.

Folge: Meine Auktion wurde zum zweiten Mal storniert, und nicht nur das: Ebay schmiss mich raus. Jetzt hatte ich also immer noch ein Ticket zu viel, dafür aber ein Ebay-Konto zu wenig – nicht mal mehr unsere Mingvasen dürfte ich seither versteigern, sofern wir welche besäßen.

Meine nächste Mail an den HSV war kein Liebesbrief, o nein. „Warum tun Sie das?“, erkundigte ich mich und deklarierte mich wahrheitsgemäß als „ehrlicher Ticketkäufer, den Sie ohne Gegenleistung um 48 Euro bringen wollen“. Heute nun erhielt ich folgende Antwort:

„Sehr geehrter Herr Wagner, eine Verletzung des Urheberrechts erfolgt in der Regel durch Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Bildmaterial, wie z. B. eines Stadionplans der AOL Arena. Sofern Ihrerseits keine Verwendung für das besagte Ticket besteht, bieten wir gerne eine Rückgabe gegen eine Stornogebühr von € 2,00 an.“

Wow: Sie nehmen meine Karte also plötzlich doch zurück! Und was für die Zukunft noch wichtiger ist: Nicht die Auktion als solche war offenbar illegal, sondern nur meine Illustration derselben mit dem Stadionplan. Habt ihr das gehört, Schwarzhändler?

Warum man mir dieses entscheidende Detail erst nach zwei Wochen zäher Auseinandersetzungen und dem vorläufigen Ende meiner Ebay-Karriere mitgeteilt hat, das weiß wohl nicht mal Didi Beiersdorfer.

Heute habe ich die Karte zurückgeschickt. Natürlich per Einschreiben.

Nachtrag vom 31.3.2007: Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Gestern wurde die Rücküberweisung des HSV auf meinem Konto verbucht.

18 März 2007

Ganz viel Gouda – aber wozu?

Manchem hier missfallen ja meine sonntäglichen Ausflüge zum Penny-Markt an der Reeperbahn, doch auch heute habe ich es wieder getan. Und immer erlebt man was.

Der Mann trägt Siebentagebart und Pferdeschwanz, und er wuchtet nur ein einziges Produkt aufs Kassenband, das aber reichlich: Gouda. Das holländische Exportgut, welches im Alter durchaus zu einem genussreichen Lebensmittel heranzureifen in der Lage ist, was man ihm in der bedrückenden Mittelmäßigkeit seiner jungen Jahre kaum zugetraut hätte, ist abgepackt in etwa halbpfündige Portionen keilförmigen Zuschnitts.

Es sind genau 22 Stück. Ich weiß es deshalb so genau, weil ich hinter ihm stehe und die Kassiererin sie durchzählt. 22 Packungen Gouda. Macht mehr als fünf Kilo.

„Bestimmt“, theoretisiert Ms. Columbo später zu Hause, „gab es die im Sonderangebot, und er friert sie ein.“ Mir hingegen schweben spontan – keine Ahnung warum – sexuelle Verwendungsarten vor, alternativ auch ein Fondue. Wahrscheinlich aber stimmt das alles nicht.

Gegen das Sonderangebot zum Beispiel spricht eine Beobachtung auf dem Heimweg. Ich sehe den Goudamann noch mal am Hamburger Berg, wie er die Käsemasse in den Kofferaum seines Kleinwagens packt. Nummernschild: Winsen an der Luhe.

Das widerlegt Ms. Columbos Theorie: Niemand fährt 40 Kilometer von Winsen an der Luhe nach Hamburg, um auf St. Pauli billigen Gouda zu kaufen. Abgehakt. Einen genauen sexuellen Verwendungszweck für 22 Päckchen Gouda vermag ich allerdings auch nicht anzugeben; selbst eine imaginierte Verflüssigung des Milchproduktes hilft meiner Fantasie nicht entscheidend auf die Sprünge.

Und Fondue? Nein, falscher Käse. Jedenfalls fährt er davon, der bezopfte Siebentagebart, um in Winsen an der Luhe irgendwas zu veranstalten mit ganz viel Gouda.

Der Fall wird ein Rätsel bleiben. Auf ewig.

17 März 2007

Die Totenkopfbluse


Link: sevenload.com

„Berlin Mitte“ heißt jetzt „Maybrit Illner“ – na, hoffentlich bleiben wenigstens die Postleitzahlen gleich. Mit solchen Gedanken radle ich mit A. von St. Pauli aus nach Westen Richtung Fabrik, wo der amerikanische Songwriter Bonnie Prince Billy spielt. Jeder nennt ihn einen Schrat, deshalb tue ich das nicht.

Zumal Billy, der eigentlich Will Oldham heißt, sich nicht als schrullige trübe Tasse, sondern als Witzbold entpuppt, der nach zwei Stunden seine letzte Zugabe, die wir ihm diktatorisch akklamierend abnötigen, mit dem Countryklassiker „On the Road again“ beschließt.

Dann, gegen 12, pesen wir zurück durch die Nacht im Nieselregen, preschen furios durch die Fußgängerzonen und über Bürgersteige, donnern über rote Ampeln, fahren keinen um und landen in der Domschänke, wo die (relativ neue) blonde Bedienung eine Bluse mit lauter Totenköpfen trägt.

„Hübsches Hemd“, lobe ich, während aus der Musikbox Simon & Garfunkels „Scarborough fair“ den melancholischen Glanz vergangener Jahrhunderte heraufbeschwört (und das in Mörderlautstärke). „Danke“, sagt sie und lächelt kein bisschen.

Später, als ich auf dem Weg zur Toilette versehentlich eine Tür öffne, auf der „Privat“ steht, höre ich hinter mir ein schneidendes „Halt!“. Sie ist es, die Blonde mit der Totenkopfbluse, und sie lächelt noch immer nicht. Ich glaube, für die Domschänke, wo sich nach St.Pauli-Spielen die Decke wölbt unterm Druck des hervorplatzenden Adrenalins, ist sie die Bestbesetzung.

Plötzlich ist es halb drei morgens, und meine Trinkkumpane überschütten mich lallend mit Spott, weil ich mich schon trolle – „on the road again“ für höchstens eine Minute, dann parke ich das Rad vorm Haus, und die Nacht nach dem fünften Konzert diese Woche erlischt wie eine Kerze, die man im Sturm auf den Balkon gestellt hat.

15 März 2007

Beim Showcase

Ein Showcase unterscheidet sich grundsätzlich von einem normalen Konzert. Beim Showcase zahlt niemand Eintritt, alle sind eingeladen. Anwesend sind Journalisten, die auf Häppchen und kostenlosen Wein hoffen, sowie Angehörige der zuständigen Plattenfirma.

Wenn die Journalisten genug Häppchen und kostenlosen Wein intus haben, tritt der zu promotende Künstler auf. Der träge Beifall der Journalisten wird übertönt vom enthemmten Juchzen einer homogenen Gruppe, die sich zentral vor der Bühne ballt: Es ist die Belegschaft der Plattenfirma.

Man erkennt sie vor allem daran, dass ihre Mitglieder wippen und klatschen und in rasch wiederkehrenden Intervallen schier epileptisch Begeisterung und Fassungslosigkeit heucheln, weil sie ihrem Chef, der lässig in Jeans und Jacket wippend und klatschend in ihrer Mitte steht, keinen Kündigungsgrund liefern wollen.

Dem Chef glost derweil die Panik im Auge, denn wenn sein Künstler, den er hier verzweifelt vorbildlich bewippt und beklatscht, nicht durchstartet, dann muss er die schon lang beäugte Villa auf Fehmarn abhaken und mindestens 80 Prozent dieser epileptischen Idioten um sich herum feuern.

Ja, man kann sagen: Die Jubelorgie dieser zentral vor der Bühne platzierten Gruppe steht in einem reziprok proportionalen Verhältnis zu ihren wahren Gefühlen – meistens jedenfalls, denn wann hat man schon mal einen Künstler im Portfolio, der dich wirklich zu schier epileptischer Begeisterung zwingt?

Insofern haben es die Journalisten viel leichter. Ihr stilles Sichlaben an Häppchen und Wein ist von großer Aufrichtigkeit, ihr schlaffes Applaudieren kaum minder. Und wenn sie dann heimwärts schlendern über Herbert- und Davidstraße, dank einer Begleiterin am Arm unbelästigt von allen Avancen, vorbei an Pornokinos, über Spielbudenplatz und Reeperbahn, dann stellen sie zufrieden fest: Alles ist an seinem richtigen Platz.

Das Leben ist schön.

Die depressive Garderobe

Sicher, St. Pauli hat viele Nachteile: Hundedreck, verhaltensgestörte Menschen, der verzweifelte Lärm temporärer Lebenslust. Doch es hat auch Vorteile: Manchmal fällt man gleichsam aus der Haustür in den richtigen Konzertsaal.

Heute Abend spielt die kanadische Zeitlupenband Cowboy Junkies in unserer, also der Seilerstraße, genauer gesagt im Imperial Theater, und weil ich die richtigen Freunde dabei habe, darf ich die Band vorm Konzert in der Garderobe aufsuchen.

Wären die Cowboy Junkies nicht eh eine der melancholischsten Bands der Welt (ich meine: Sie LIEBEN die Musik von Townes Van Zandt!), so wären sie es spätestens in diesem Kabuff geworden.

Fassungslos gewahre ich einen etwa drei Meter langen und kaum mehr als einen Meter breiten Schlauch im Bauch des Gebäudes, erleuchtet von einer trüben Deckenlampe, ohne Platz für einen Tisch oder Stühle und mit einer traurigen Anrichte, auf der ein paar Teller stehen mit Obst, das sich am Anfang seiner Karriere am Baum gewiss ein anderes Schicksal erträumt hatte, als in einer Art Computertomograf mit eingebauter Dusche zu enden.

Denn in der Tat: Das hintere Ende des Schlauches wird von einer Dusche begrenzt. Die Cowboy Junkies stehen dennoch keineswegs weinend und wehklagend, sondern eher ein wenig unschlüssig herum. Gitarrist und Songschreiber Mike Timmins hockt sogar auf einer undefinierbaren bodennahen Sitzgelegenheit (es ist die einzige), während die paradoxerweise nicht einmal missgelaunte Sängerin Margo – eine Frau, auf die endlich mal das aus-, leer- und abgedroschene Klischee der „engelsgleichen Stimme“ tausendprozentig zutrifft, was einen ernsthaft überlegen lässt, zu jener Religion zu konvertieren, die solche Engel hervorbringt –, während also Margo an der Wand lehnt und dem unmittelbar bevorstehenden Konzert mit einer Gelassenheit entgegenblickt, die nur durch das jahrzehntelange Umkleiden in Garderobenparodien wie dieser stalaktitenartig entstehen kann.

Das Konzert ist natürlich trotzdem traumhaft – eine Art magische Meditation, die ich, auch wenn es paradox klingt, hochkonzentriert im Halbdämmer erlebe. Dennoch wird sich der Eindruck dieser Garderobe nun auf symbiotische Weise mit der Erinnerung an die hochzerbrechliche Version von Neil Youngs „Powderfinger“ verbinden; ja, so wird es kommen, und ich und mein Gedächtnis werden nichts dagegen tun können, nichts.