Die Werbeagentur Jung von Matt, verantwortlich für die Kampagne „Du bist Deutschland“, hat sieben Leitsätze. Einer davon lautet: „Wir glauben an die Kraft von Kommunikation.“
Nun, auch eine Abmahnung ist irgendwie Kommunikation. Damit ging die Agentur gegen „Du bist Deutschland“-Kritiker vor und gilt seither als Spaßbremse erster Kajüte. Seit gestern aber ist alles noch viel, viel schlimmer. Eine offenbar interne Mail von Agenturchef Jean-Remy von Matt geriet an die Öffentlichkeit. Super-GAU!
Denn ein anderer JvM-Leitsatz lautet: „Wir sind kritischer mit uns als mit anderen.“ Nach Lektüre dieser Mail muss man bezweifeln, ob der Satz agenturintern bekannt ist. Denn miesepetrig wirft von Matt darin seinen Kritikern Miesepetrigkeit vor; verkniffen bis zur Larmoyanz beschimpft er Klein-Bloggersdorf als einzige große Klowand.
Besonders widerlich für ihn: Jeder dahergelaufene Blogger „sondert eine Meinung ab“, einfach so. Nein, so hat sich von Matt Deutschland nun wirklich nicht vorgestellt. Sondern irgendwie als riesige schlafende Herde von Jubelpersern, die nur den richtigen Slogan braucht, um aufzuwachen und strahlend Deutschland (Foto) zu preisen.
Stattdessen greift die Republik zum Griffel und beschmiert Klowände.
Nein, du bist nicht Deutschland, Deutschland. Du hast Herrn von Matt enttäuscht. Er muss sich ein anderes Volk suchen.
Ein dritter Leitsatz seiner Agentur heißt übrigens: „Wir bleiben unzufrieden.“
Alle Beiträge zum Thema:
– Du bist nicht Deutschland, Deutschland!
– Die Jungs von Matt
– Die matte Entschuldigung
– Der missbrauchte Gerald Asamoah
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Exodus damage“ von John Vanderslice, „Deep down“ von Calexico und „Jet samba“ von Marcos Valle.
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
19 Januar 2006
18 Januar 2006
Die sardische Verwandtschaft
Heute kam mal wieder eine umfangreiche Käselieferung, geschickt von den sardischdeutschen Schwiegereltern aus Wolfsburg. Prompt erinnere ich mich daran, wie Ms. Columbo mir damals süffisant lächelnd das Buch „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ überreichte. Darin beschreibt der Autor Jan Weiler, wie haarsträubend lustig es ist, in eine italienische Sippe einzuheiraten. „Nun hast du selbst in eine italienische Sippe eingeheiratet“, begann Ms. Columbo ihre muntere Widmung, „und du wirst sie nie wieder los!“
Das Buch, stellte sich bald heraus, hätte eindeutig ich geschrieben haben sollen. Aber Jan Weiler tat’s und wurde reich damit. Wenn ich es geschrieben hätte, bloggte ich jetzt vielleicht aus dem Bergdörfchen Montresta, wo Onkel Lino wohnt. Lino ist ein sardischer Pascha, und er glüht vor Stolz auf seine klimatisierte Villa, seinen Weinkeller und seine recht undezent herausgeputzte Frau.
Ich erinnere mich noch: Es war Vormittag, draußen brüllten 40 Grad im Schatten, und Lino kredenzte mir auf eine Weise, die mein jovial abwehrendes Grinsen pulverisierte, einen Süßwein namens Mavasia. Lino persönlich hatte ihn mit irgendeiner Methode, für die man im Rheingau wahrscheinlich in Handschellen aus dem Weinberg geholt worden wäre, auf mehr als 16 Prozent Volumenalkohol hochgepeitscht. Nach leider erst zwei Gläsern gelang es mir unter bereits großen Mühen, die Zufuhr zu drosseln. Lino lachte barock, und zwar so, dass die Botschaft „Weichei“ subtil mittransportiert wurde.
Nun hielt er die Zeit für gekommen, der deutschen Filiale der sardischen Sippe ein gewaltiges Menü zu offerieren. Ein die einzelnen Gänge zuverlässig verschmelzendes Element war der von Lino persönlich hergestellte Rotwein aus der Cannonau-Traube, den er – wie mir begeistert übersetzt wurde – ebenfalls über die 16-Prozent-Grenze gejubelt hatte, weiß der Teufel wie.
Mein höfliches Mitnippen fatal missinterpretierend, ernannte Lino mich unter deutlichen Anzeichen der Neubewertung meiner Person („Matteo: sommeliere!”) zu seinem offiziellen Leibschenk. Meine vordringlichste Pflicht bestand nach Linos Vorstellungen hinfort aus zweierlei: a) ihm bei der inbrünstig hervorgestoßenen Doppelsilbe „Vino!“ sofort das Glas mit dem 16-Prozent-Monster randhoch zu füllen und b) bei meinem eigenen Glas in exakt gleicher Weise zu verfahren. Versteckt in der Arbeitsplatzbeschreibung lauerte zudem die Lino’sche Erwartung, sein Leibschenk dürfe beim Trinktempo nur unwesentlich hinter ihm zurückbleiben. Eigentlich gar nicht.
Die Situation hatte aus meiner Sicht einige nachteilige Aspekte. Ich versuchte sie durch kleine taktische Manöver abzufedern. So begab ich mich etwa wie zufällig eine Etage tiefer, wo ein Baby herumkrabbelte, und versuchte den Eindruck zu erwecken, der kleine Racker (oder waren es zwei? Drei?) würde ganz Sardinien zusammenbrüllen, fände er nicht augenblicks einen Spielkameraden. Doch vergebens. Sogleich erscholl ein barocker Bass aus dem ersten Stock: „Matteo, vino!“
Es gibt Tage in meinem Leben, an die ich mich besser erinnere. Im September fahren wir wieder hin.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Dandys lungern durch die Nacht“ von Bohren & Der Club of Gore, „King of the road“ von Rufus Wainwright & Teddy Thompson und „Thrasher“ von Neil Young.
Das Buch, stellte sich bald heraus, hätte eindeutig ich geschrieben haben sollen. Aber Jan Weiler tat’s und wurde reich damit. Wenn ich es geschrieben hätte, bloggte ich jetzt vielleicht aus dem Bergdörfchen Montresta, wo Onkel Lino wohnt. Lino ist ein sardischer Pascha, und er glüht vor Stolz auf seine klimatisierte Villa, seinen Weinkeller und seine recht undezent herausgeputzte Frau.
Ich erinnere mich noch: Es war Vormittag, draußen brüllten 40 Grad im Schatten, und Lino kredenzte mir auf eine Weise, die mein jovial abwehrendes Grinsen pulverisierte, einen Süßwein namens Mavasia. Lino persönlich hatte ihn mit irgendeiner Methode, für die man im Rheingau wahrscheinlich in Handschellen aus dem Weinberg geholt worden wäre, auf mehr als 16 Prozent Volumenalkohol hochgepeitscht. Nach leider erst zwei Gläsern gelang es mir unter bereits großen Mühen, die Zufuhr zu drosseln. Lino lachte barock, und zwar so, dass die Botschaft „Weichei“ subtil mittransportiert wurde.
Nun hielt er die Zeit für gekommen, der deutschen Filiale der sardischen Sippe ein gewaltiges Menü zu offerieren. Ein die einzelnen Gänge zuverlässig verschmelzendes Element war der von Lino persönlich hergestellte Rotwein aus der Cannonau-Traube, den er – wie mir begeistert übersetzt wurde – ebenfalls über die 16-Prozent-Grenze gejubelt hatte, weiß der Teufel wie.
Mein höfliches Mitnippen fatal missinterpretierend, ernannte Lino mich unter deutlichen Anzeichen der Neubewertung meiner Person („Matteo: sommeliere!”) zu seinem offiziellen Leibschenk. Meine vordringlichste Pflicht bestand nach Linos Vorstellungen hinfort aus zweierlei: a) ihm bei der inbrünstig hervorgestoßenen Doppelsilbe „Vino!“ sofort das Glas mit dem 16-Prozent-Monster randhoch zu füllen und b) bei meinem eigenen Glas in exakt gleicher Weise zu verfahren. Versteckt in der Arbeitsplatzbeschreibung lauerte zudem die Lino’sche Erwartung, sein Leibschenk dürfe beim Trinktempo nur unwesentlich hinter ihm zurückbleiben. Eigentlich gar nicht.
Die Situation hatte aus meiner Sicht einige nachteilige Aspekte. Ich versuchte sie durch kleine taktische Manöver abzufedern. So begab ich mich etwa wie zufällig eine Etage tiefer, wo ein Baby herumkrabbelte, und versuchte den Eindruck zu erwecken, der kleine Racker (oder waren es zwei? Drei?) würde ganz Sardinien zusammenbrüllen, fände er nicht augenblicks einen Spielkameraden. Doch vergebens. Sogleich erscholl ein barocker Bass aus dem ersten Stock: „Matteo, vino!“
Es gibt Tage in meinem Leben, an die ich mich besser erinnere. Im September fahren wir wieder hin.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Dandys lungern durch die Nacht“ von Bohren & Der Club of Gore, „King of the road“ von Rufus Wainwright & Teddy Thompson und „Thrasher“ von Neil Young.
17 Januar 2006
Der Walabend
Schon wieder ins Aurel, auf ein Feierabendbier. Der Dude ist nicht da. Wir warten zwei Runden, doch er kommt einfach nicht. Außer dem Franken ist diesmal auch Kollege Kramer an Bord. Da er erst noch zur Bank muss, gehen der Franke und ich schon mal vor und ordern zwei Große Freiheit.
Der endlich geldschwer dazustoßende Kramer beschwert sich sofort, weil wir ihm kein Bier mitbestellt haben. Ich erkläre ihm, wir hätten ihm schlicht ein Glas mit geschrumpfter Schaumkrone ersparen wollen. „Du hast mir also kein Bier bestellt, um mir einen Gefallen zu tun?“, argwöhnt Kramer.
Kramer ist einer jener Typen, die erheblich mehr gps (= Gedanken pro Sekunde) produzieren, als ihre Stimmbänder zu formen in der Lage sind. Entsprechend überfordert reagiert oft seine Umwelt, also meistens der Franke und ich. Eine logisch aufgebaute Argumentationskette zu entwickeln, ist in Kramers Gegenwart unmöglich. Nach dem ersten Halbsatz meint er bereits den kompletten Strang vorwegzuahnen und haut in Highspeed die vermeintliche Widerlegung raus, bei der er sich allerdings vokal völlig verfranst, weil seine Zunge einfach dem Takt seiner Synapsenexplosionen nicht folgen kann.
Dessen ungeachtet lässt Kramer verbale Interventionen keineswegs zu; zur Not bringt er mich einfach zum Schweigen, indem er mir aus nächster Nähe ein langgezogenes „Thoeeeeeeeeeeelke!“ ins Ohr blökt. Die Älteren unter uns werden sich jetzt an die Fernsehsendung „Der Große Preis“ erinnert fühlen, und sie liegen richtig. Ein von Loriot erfundener Zeichentrickhund namens Wum pflegte sein Herrchen Wim exakt so zu begrüßen – mit „Thoeeeeeeeeeeelke!“. Ich ertrage also Kramers Blöken gelassen, weil der hierarchich deutbare Subtext mir schmeichelt.
Draußen schneit inzwischen Hamburg zu. Bevor wir gehen, suche ich die karmesinrot getünchten Aurel-Toiletten auf. Walgesänge empfangen mich. Manche klingen so, wie man es von esoterischen Wohngemeinschaften oder weihrauchdurchwaberten Heilsteinläden kennt: irgendwie quiekend. Andere sind deutlich tieffrequenter und gemahnen unschön an Flatulenzen sehr großer Säugetiere. Für Toiletten ein kongenialer Sound. Und in seiner schier riechbaren Bräsigkeit ein erholsamer Ausgleich zu Kramers hibbeligem Silbenstakkato. Vorm Toiletteneingang passiert man übrigens bemalte Kirchenfenster, warum auch immer.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „You are my sister“ von Antony & The Johnsons, „All I have to do is dream“ von The Everly Brothers und „Trouble“ von Tortoise.
Der endlich geldschwer dazustoßende Kramer beschwert sich sofort, weil wir ihm kein Bier mitbestellt haben. Ich erkläre ihm, wir hätten ihm schlicht ein Glas mit geschrumpfter Schaumkrone ersparen wollen. „Du hast mir also kein Bier bestellt, um mir einen Gefallen zu tun?“, argwöhnt Kramer.
Kramer ist einer jener Typen, die erheblich mehr gps (= Gedanken pro Sekunde) produzieren, als ihre Stimmbänder zu formen in der Lage sind. Entsprechend überfordert reagiert oft seine Umwelt, also meistens der Franke und ich. Eine logisch aufgebaute Argumentationskette zu entwickeln, ist in Kramers Gegenwart unmöglich. Nach dem ersten Halbsatz meint er bereits den kompletten Strang vorwegzuahnen und haut in Highspeed die vermeintliche Widerlegung raus, bei der er sich allerdings vokal völlig verfranst, weil seine Zunge einfach dem Takt seiner Synapsenexplosionen nicht folgen kann.
Dessen ungeachtet lässt Kramer verbale Interventionen keineswegs zu; zur Not bringt er mich einfach zum Schweigen, indem er mir aus nächster Nähe ein langgezogenes „Thoeeeeeeeeeeelke!“ ins Ohr blökt. Die Älteren unter uns werden sich jetzt an die Fernsehsendung „Der Große Preis“ erinnert fühlen, und sie liegen richtig. Ein von Loriot erfundener Zeichentrickhund namens Wum pflegte sein Herrchen Wim exakt so zu begrüßen – mit „Thoeeeeeeeeeeelke!“. Ich ertrage also Kramers Blöken gelassen, weil der hierarchich deutbare Subtext mir schmeichelt.
Draußen schneit inzwischen Hamburg zu. Bevor wir gehen, suche ich die karmesinrot getünchten Aurel-Toiletten auf. Walgesänge empfangen mich. Manche klingen so, wie man es von esoterischen Wohngemeinschaften oder weihrauchdurchwaberten Heilsteinläden kennt: irgendwie quiekend. Andere sind deutlich tieffrequenter und gemahnen unschön an Flatulenzen sehr großer Säugetiere. Für Toiletten ein kongenialer Sound. Und in seiner schier riechbaren Bräsigkeit ein erholsamer Ausgleich zu Kramers hibbeligem Silbenstakkato. Vorm Toiletteneingang passiert man übrigens bemalte Kirchenfenster, warum auch immer.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „You are my sister“ von Antony & The Johnsons, „All I have to do is dream“ von The Everly Brothers und „Trouble“ von Tortoise.
16 Januar 2006
Die Jungs von Matt
Die Werbeagentur Jung von Matt, Erfinder der „Du bist Deutschland“-Kampagne, geht juristisch gegen ihren eigenen Erfolg vor. Klingt irre, ist es auch.
Es gibt ja bekanntlich unzählige Satiren, Witze und Verballhornungen dieser Ermutigungsanzeigen, und da ja jede Werbung gute Werbung ist, nützt der Kampagne auch jede Veräppelung; schließlich wird darüber diskutiert, gelacht, gejuxt, und die Bekanntheit von „Du bist Deutschland“ steigt.
Also toll für die Jungs von Matt. Denkt man. Dort aber sind solche Wirkungszusammenhänge kurioserweise unbekannt: Die Agentur nämlich ließ gestern die Website mit dem hübschen Hundelogo, www.wieder-deutschland.de, für ihre ätzenden Persiflagen abmahnen. Argument: Markenmissbrauch.
Das erinnert deutlich an den gerade erst verebbten Fall Heidi Klum – und ist ungefähr so intelligent, als würde der FC Bayern München bundesweite Stadionverbote für gegnerische Fans erwirken.
Du, Jung von Matt, bist wirklich Deutschland – nämlich verbissen und ziemlich zipfelmützig. Also genau das, was flotte, coole Werbejungs auf keinen Fall sein dürfen.
Alle Beiträge zum Thema:
– Du bist nicht Deutschland, Deutschland!
– Die Jungs von Matt
– Die matte Entschuldigung
– Der missbrauchte Gerald Asamoah
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Hello sun“ von Amber Smith, „Alleluja“ von Christian Kjellvander und „Quite alright“ von Dusty Fingers.
Es gibt ja bekanntlich unzählige Satiren, Witze und Verballhornungen dieser Ermutigungsanzeigen, und da ja jede Werbung gute Werbung ist, nützt der Kampagne auch jede Veräppelung; schließlich wird darüber diskutiert, gelacht, gejuxt, und die Bekanntheit von „Du bist Deutschland“ steigt.
Also toll für die Jungs von Matt. Denkt man. Dort aber sind solche Wirkungszusammenhänge kurioserweise unbekannt: Die Agentur nämlich ließ gestern die Website mit dem hübschen Hundelogo, www.wieder-deutschland.de, für ihre ätzenden Persiflagen abmahnen. Argument: Markenmissbrauch.
Das erinnert deutlich an den gerade erst verebbten Fall Heidi Klum – und ist ungefähr so intelligent, als würde der FC Bayern München bundesweite Stadionverbote für gegnerische Fans erwirken.
Du, Jung von Matt, bist wirklich Deutschland – nämlich verbissen und ziemlich zipfelmützig. Also genau das, was flotte, coole Werbejungs auf keinen Fall sein dürfen.
Alle Beiträge zum Thema:
– Du bist nicht Deutschland, Deutschland!
– Die Jungs von Matt
– Die matte Entschuldigung
– Der missbrauchte Gerald Asamoah
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Hello sun“ von Amber Smith, „Alleluja“ von Christian Kjellvander und „Quite alright“ von Dusty Fingers.
15 Januar 2006
Der Schmerzensmann
In 15 Minuten Fußentfernung von der Seilerstraße liegt das Restaurant Bok. Dort hängen Neonröhren an den Wänden, Tische und Stühle wirken kahl und mensahaft, doch das Essen ist gut und erschwinglich.
Das Bok kocht asiatisch. Ehe man mir jetzt kulturelle Hybris entgegenhält und ausführt, das sei ja mal wieder typisch, den fernen Osten einfach als „asiatisch“ glattzubügeln, wo doch hunderte von spezifischen Kulturen und Gesellschaften … schon klar. Aber mit nachsichtigem Lächeln beharre ich im Fall des Bok auf „asiatisch“, denn die Karte offeriert Diverses: japanische, koreanische und thailändische Gerichte.
Wir ordern thailändisch. Ein junger Mann mit gewagter Frisur – an den Seiten kurz, hinten mit spitz zulaufender Strähne bis zum Kragen – serviert zunächst die Getränke. Er tut das mit Grazie und Verve. Nach meiner schwach ausgeprägten Kenntnis asiatischer Physiognomien zählt er wohl zum japanischen Kulturkreis.
Als er Ms. Columbo Wasser einschenkt, schwebt seine Hand plötzlich nur Zentimeter über der offenen Kerzenflamme. Ich schaue entsetzt zu ihm hoch, doch er gießt ungerührt weiter. An seinem rechten Kiefer ist eine wulstigrunde Narbe zu sehen, groß wie ein 2-Euro-Stück. Zackig und mit tänzerisch anmutender Übertreibung stellt er die Wasserflasche wieder ab, nachdem er auch mein Glas gefüllt hat. Ich suche nach Anzeichen des Schmerzes in seinem Gesicht oder nach einer schwarzen Stelle an seiner rechten Daumenwurzel. Vergebens.
Immer, wenn dieser Ober im Lauf des Abends in der Nähe ist, betrachte ich verstohlen seine Hände. Vielleicht ist er ja ein Yakuza, einer, der sich bereits ein Fingerglied abtrennen musste, um einen Fehler zu begleichen, und der darüber gelernt hat, wie man Schmerzen ignoriert.
Doch ich finde es nicht heraus. Die Rechnung bringt dann ein anderer.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Better version of me“ von Fiona Apple, „Lost highway“ von Hank Wilson und „Barbarellas“ von Stephen Duffy.
Das Bok kocht asiatisch. Ehe man mir jetzt kulturelle Hybris entgegenhält und ausführt, das sei ja mal wieder typisch, den fernen Osten einfach als „asiatisch“ glattzubügeln, wo doch hunderte von spezifischen Kulturen und Gesellschaften … schon klar. Aber mit nachsichtigem Lächeln beharre ich im Fall des Bok auf „asiatisch“, denn die Karte offeriert Diverses: japanische, koreanische und thailändische Gerichte.
Wir ordern thailändisch. Ein junger Mann mit gewagter Frisur – an den Seiten kurz, hinten mit spitz zulaufender Strähne bis zum Kragen – serviert zunächst die Getränke. Er tut das mit Grazie und Verve. Nach meiner schwach ausgeprägten Kenntnis asiatischer Physiognomien zählt er wohl zum japanischen Kulturkreis.
Als er Ms. Columbo Wasser einschenkt, schwebt seine Hand plötzlich nur Zentimeter über der offenen Kerzenflamme. Ich schaue entsetzt zu ihm hoch, doch er gießt ungerührt weiter. An seinem rechten Kiefer ist eine wulstigrunde Narbe zu sehen, groß wie ein 2-Euro-Stück. Zackig und mit tänzerisch anmutender Übertreibung stellt er die Wasserflasche wieder ab, nachdem er auch mein Glas gefüllt hat. Ich suche nach Anzeichen des Schmerzes in seinem Gesicht oder nach einer schwarzen Stelle an seiner rechten Daumenwurzel. Vergebens.
Immer, wenn dieser Ober im Lauf des Abends in der Nähe ist, betrachte ich verstohlen seine Hände. Vielleicht ist er ja ein Yakuza, einer, der sich bereits ein Fingerglied abtrennen musste, um einen Fehler zu begleichen, und der darüber gelernt hat, wie man Schmerzen ignoriert.
Doch ich finde es nicht heraus. Die Rechnung bringt dann ein anderer.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Better version of me“ von Fiona Apple, „Lost highway“ von Hank Wilson und „Barbarellas“ von Stephen Duffy.
14 Januar 2006
Die Enttarnung
Wenn es wintert in Hamburg und die Teiche sich einen Mantel aus Eis überziehen, dann sieht man sie erstaunlich oft: festgefrorene Einkaufswagen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Irgendwer muss die mobilen Drahtgestelle aus dem Supermarkt entführen, die Einkäufe daheim ausleeren und sogleich von derart immenser Trägheit übermannt werden, dass er völlig unfähig wird, die Wagen wieder zurückzubringen.
Zum Glück reicht die Kraft noch bis zum zuverlässig in der Nähe liegenden Teich, der auch noch justament am Zufrieren ist. Also rein damit. Das passiert allwinterlich, woraufhin ich auf den Plan trete und die Metallskulptur auf Eis fotografiere, nach Möglichkeit im Gegenlicht. Das heutige Exemplar wird von seiner Rolle als stoischer Lastesel bis zum Frühjahr entbunden sein. Und auch wenn die Hamburger Stadtreinigung es aus seiner Kontemplation befreit haben wird, muss es kaum noch mit einer Wal-Mart-Einberufung rechnen. Nein, ihm droht direkt die Schrottpresse.
Ich entdeckte den Wagen im Von-Melle-Park, wo heute Flohmarkt war und ich ein paar seltene Country- und Songwriterplatten erstehen konnte (Guy Clark, Ian Matthews, Neil Young, Dianne Davidson, Hank Wilson).
Um die Ecke, in der Grindelallee, plärrt mir der Bücherramschladen Wohlthat schwarz auf knallgelb ein „Alles muss raus!“ ins Gesicht. Natürlich denkt man, hier sei der große Ausverkauf ausgebrochen. Halb Hamburg wühlt also hektisch nach Schnäppchen wie „1000 Nudes“ für 9,95 statt 428 Euro oder so. (Übrigens prangt auf dem Cover von „1000 Nudes“ nicht mal eine Nackte, sondern eine offenbar in den 20er Jahren abgelichtete Dame im Mieder. Was soll man davon halten?)
Das lautlose „Alles muss raus!“-Geplärre ist aber nur ein Trick. Natürlich muss alles raus, klar – aber nur, damit Wohlthat richtig Reibach macht. Die Schilder hängen nämlich schon länger da, und nicht nur in der Grindelallee, sondern auch in der Bahrenfelder Straße; und nicht nur in Hamburg, sondern auch in Marburg – und wahrscheinlich überall dort, wo Wohltat rumpeldumme Blödiane vermutet.
Das Ganze ist einfach ein fieser kleiner Marketingfake, mit dem man an unsere dumpfe Gier nach billig appelliert. Aber der Fake funktioniert jetzt nicht mehr, Wohlthat, denn er ist enttarnt – hier in diesem Blog. Ha.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Twilight“ von Neil Young, „Dead flowers“ von Townes van Zandt und „Lookin’ out my back door“ von Creedence Clearwater Revival.
Zum Glück reicht die Kraft noch bis zum zuverlässig in der Nähe liegenden Teich, der auch noch justament am Zufrieren ist. Also rein damit. Das passiert allwinterlich, woraufhin ich auf den Plan trete und die Metallskulptur auf Eis fotografiere, nach Möglichkeit im Gegenlicht. Das heutige Exemplar wird von seiner Rolle als stoischer Lastesel bis zum Frühjahr entbunden sein. Und auch wenn die Hamburger Stadtreinigung es aus seiner Kontemplation befreit haben wird, muss es kaum noch mit einer Wal-Mart-Einberufung rechnen. Nein, ihm droht direkt die Schrottpresse.
Ich entdeckte den Wagen im Von-Melle-Park, wo heute Flohmarkt war und ich ein paar seltene Country- und Songwriterplatten erstehen konnte (Guy Clark, Ian Matthews, Neil Young, Dianne Davidson, Hank Wilson).
Um die Ecke, in der Grindelallee, plärrt mir der Bücherramschladen Wohlthat schwarz auf knallgelb ein „Alles muss raus!“ ins Gesicht. Natürlich denkt man, hier sei der große Ausverkauf ausgebrochen. Halb Hamburg wühlt also hektisch nach Schnäppchen wie „1000 Nudes“ für 9,95 statt 428 Euro oder so. (Übrigens prangt auf dem Cover von „1000 Nudes“ nicht mal eine Nackte, sondern eine offenbar in den 20er Jahren abgelichtete Dame im Mieder. Was soll man davon halten?)
Das lautlose „Alles muss raus!“-Geplärre ist aber nur ein Trick. Natürlich muss alles raus, klar – aber nur, damit Wohlthat richtig Reibach macht. Die Schilder hängen nämlich schon länger da, und nicht nur in der Grindelallee, sondern auch in der Bahrenfelder Straße; und nicht nur in Hamburg, sondern auch in Marburg – und wahrscheinlich überall dort, wo Wohltat rumpeldumme Blödiane vermutet.
Das Ganze ist einfach ein fieser kleiner Marketingfake, mit dem man an unsere dumpfe Gier nach billig appelliert. Aber der Fake funktioniert jetzt nicht mehr, Wohlthat, denn er ist enttarnt – hier in diesem Blog. Ha.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Twilight“ von Neil Young, „Dead flowers“ von Townes van Zandt und „Lookin’ out my back door“ von Creedence Clearwater Revival.
13 Januar 2006
Die Fundstücke des Tages (3)
1. Robert Wyatt, Drummer der Band Softmachine, fiel 1973 (und nicht 1970, wie hier ursprünglich stand – danke, Andreas!) während einer Party aus dem Fenster und ist seither querschnittgelähmt. Seine Schilderung des Unfalls ist lakonisch: „Wein, Whisky, Southern Comfort, Fenstersturz. In dieser Reihenfolge.“ Interessant daran ist folgendes Detail: Für Wyatt ist Southern Comfort kein Whisk(e)y. Und das ist völlig in Ordnung so. Wer einmal schottischen Single Malt getrunken hat, wird das Maisgebräu Bourbon nicht mehr als Whisky bezeichnen. Wyatt weiß das genau. Auch noch nach dem Fenstersturz.
2. Meine Bank schickte mir heute eine Lobeshymne – auf sich selbst. Ständig besiegt sie die Konkurrenz, unablässig erhält sie Urkunden für Jahressiege (Foto). Sogar schon die für 2006. Das nenne ich Selbstbewusstsein. Oder Prophetie. Oder Quatsch.
3. Ein neues Best-of der Suchabfragen, die verirrte Schäfchen via Google zu meinem Blog führten (wo sie wahrscheinlich von verirrten zu verwirrten Schäfchen wurden): „scheiß kapitalismus aufkleber“, „lockenpuff“ (ich bin das EINZIGE Suchergebns bei Google!), „nacktbilder veröffentlichen“ und „Hannovers dickste Huren“. Unangefochtener Spitzenreiter diesen Monat: „mit koks wichsen“ (ein Bedürftiger aus dem schwäbischen Hugstetten!). Von manchen wünsche ich mir NICHT, dass sie Stammleser bleiben. Ratet, von welchen.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Hey dude“ von Adam Green, „The ghost of Tom Joad" von Junip und „Bad horse“ von The Lancaster Orchestra.
2. Meine Bank schickte mir heute eine Lobeshymne – auf sich selbst. Ständig besiegt sie die Konkurrenz, unablässig erhält sie Urkunden für Jahressiege (Foto). Sogar schon die für 2006. Das nenne ich Selbstbewusstsein. Oder Prophetie. Oder Quatsch.
3. Ein neues Best-of der Suchabfragen, die verirrte Schäfchen via Google zu meinem Blog führten (wo sie wahrscheinlich von verirrten zu verwirrten Schäfchen wurden): „scheiß kapitalismus aufkleber“, „lockenpuff“ (ich bin das EINZIGE Suchergebns bei Google!), „nacktbilder veröffentlichen“ und „Hannovers dickste Huren“. Unangefochtener Spitzenreiter diesen Monat: „mit koks wichsen“ (ein Bedürftiger aus dem schwäbischen Hugstetten!). Von manchen wünsche ich mir NICHT, dass sie Stammleser bleiben. Ratet, von welchen.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Hey dude“ von Adam Green, „The ghost of Tom Joad" von Junip und „Bad horse“ von The Lancaster Orchestra.
12 Januar 2006
Der kleine Trick
Die Schlange an einer der zwei besetzen Aldi-Kassen reicht beinah bis zur Kühltruhe. An der anderen stehen hingegen nur drei Kunden – doch am Anfang des Laufbands auch das Schild „Kasse geschlossen!“ Mit nur einer 200-gr-Tafel Aldi Chateau Feinherb Nuss in der Hand und erschreckend schnell entschwindender Mittagspausenrestzeit stehe ich beidem unwirsch gegenüber.
Also nutze ich die Deckung der Dreierschlange und schleiche mich am Verbotsschild vorbei wie ein Apache bei Nacht. In meinem Kielwasser nutzt auch eine Kundin ihre Chance und tut unschuldig.
Vorn erwartet er mich schon, der Kassierer. „,Kasse geschlossen!'“, zitiert er völlig korrekt, „haben Sie das Schild nicht gesehen?“ Ich gestehe sofort alles, ich bin kein Typ für Verhöre. „Habe ich – aber mit nur einer Tafel Schokolade …?“ appelliere ich mit hinreißend verlegenem Lächeln und leicht schiefgelegtem Kopf an Menschlichkeit und Mitgefühl.
„Und Sie“, wendet er sich an die Frau hinter mir, während er meine Süßspeise ohne weiteren Kommentar abzieht, „haben Sie nicht das Schild gesehen?“ Sie schüttelt den Kopf.
„Er war wenigstens ehrlich“, versucht er sich an einer Hebung der allgemeinen Weltmoral und zeigt mir, dass meine Strategie die absolut richtige war: Ich bin schneller draußen und dennoch mit relativ unbeschadetem Leumund aus der Sache rausgekommen.
Auf dem Rückweg fällt mir das abgebildete Arrangement an der Zeisehallenfassade auf: leere Kinoschaukästen, einer davon seltsamerweise beschriftet mit dem Filmtitel eines Louis-Malle-Klassikers, darüber ein Schuh vor einem Rundfenster. Eine Freiluftskulptur mit schillernden Bedeutungsebenen.
„Das kannst du nicht fotografieren“, moniert der Franke, „das sieht ja aus wie arrangiert.“ Vielleicht hat er Recht, aber „truth is always strange, stranger than fiction“, fand Lord Byron. So steht es geschrieben, in Lyssas Lounge.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Next to be lowered“ von Mando Diao, „Another imperial day“ von New Model Army und „Make up“ von Popsicle.
Also nutze ich die Deckung der Dreierschlange und schleiche mich am Verbotsschild vorbei wie ein Apache bei Nacht. In meinem Kielwasser nutzt auch eine Kundin ihre Chance und tut unschuldig.
Vorn erwartet er mich schon, der Kassierer. „,Kasse geschlossen!'“, zitiert er völlig korrekt, „haben Sie das Schild nicht gesehen?“ Ich gestehe sofort alles, ich bin kein Typ für Verhöre. „Habe ich – aber mit nur einer Tafel Schokolade …?“ appelliere ich mit hinreißend verlegenem Lächeln und leicht schiefgelegtem Kopf an Menschlichkeit und Mitgefühl.
„Und Sie“, wendet er sich an die Frau hinter mir, während er meine Süßspeise ohne weiteren Kommentar abzieht, „haben Sie nicht das Schild gesehen?“ Sie schüttelt den Kopf.
„Er war wenigstens ehrlich“, versucht er sich an einer Hebung der allgemeinen Weltmoral und zeigt mir, dass meine Strategie die absolut richtige war: Ich bin schneller draußen und dennoch mit relativ unbeschadetem Leumund aus der Sache rausgekommen.
Auf dem Rückweg fällt mir das abgebildete Arrangement an der Zeisehallenfassade auf: leere Kinoschaukästen, einer davon seltsamerweise beschriftet mit dem Filmtitel eines Louis-Malle-Klassikers, darüber ein Schuh vor einem Rundfenster. Eine Freiluftskulptur mit schillernden Bedeutungsebenen.
„Das kannst du nicht fotografieren“, moniert der Franke, „das sieht ja aus wie arrangiert.“ Vielleicht hat er Recht, aber „truth is always strange, stranger than fiction“, fand Lord Byron. So steht es geschrieben, in Lyssas Lounge.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Next to be lowered“ von Mando Diao, „Another imperial day“ von New Model Army und „Make up“ von Popsicle.
11 Januar 2006
Die Platinparty
Arme, glückliche Annett! Heute Abend werden der kleinen Louisan im Stage-Club Gold- und Platinplatten verliehen, sie wird tausendmal fotografiert und hat nicht mal Zeit für einen Piccolosekt.
Derweil delektieren wir geladenen Gäste uns an Getränken beliebiger Couleur, laben uns an gedünsteten Brokkolilollies und Ziegenkäseblinis mit Honig. G., die Freundin von Mark, kokettiert parodistisch mit der Bestellung einer „Passionsfruchtschorle“, doch da muss der Service passen. Ihr Sonderwunsch zur Schorlenveredelung – ein Tröpfchen Kiwisaft – bleibt unartikuliert.
Mark und ich fotografieren uns gegenseitig heimlich in möglichst unvorteilhaften Posen, wobei jedes Bild die Unveröffentlichbarkeit seines Pendants sicherstellen soll. Das Konstrukt ähnelt dem Gleichgewicht des Schreckens im Kalten Krieg: Wirfst du die Atombombe zuerst, kriegst du sie als zweiter ab. Also wirft sie keiner. Verstanden, Mark!?
Dieses Spielchen scheint seine Konzentration zu stören, denn zweimal versagt er kläglich, als er die unbedingte Pflicht und auch Gelegenheit gehabt hätte, seine Sitzposition zum Beinstellen zu nutzen: einmal, als ein Ober mit einem Tablett voller Krabbenschwänze unseren Tisch übersieht, und dann, als sein Ex-Chef vorbeiläuft.
Kurioserweise folgt die Rache des Schicksals, die normalerweise Jahre oder Jahrzehnte auf sich warten lässt (sofern sie überhaupt so gnädig ist, ihren Job zu tun), nur Minuten später. Als Mark zur Bar gehen will, stolpert er über die Lederschaftstiefel einer Tischnachbarin. Keiner verletzt sich.
Annett wird noch immer fotografiert. Klick, klick. Sie schaut schon ganz verkrampft. „Halt durch!“ raune ich ihr zu beim Händeschütteln, und sie verdreht komplizenhaft die Augen. Ja, klar: Sie hält durch. Annetts Taffness verhält sich umgekehrt proportional zu ihrer Größe.
Der Abend ist schon fast schadlos überstanden, als Ms. Columbo noch eine Bierdusche verpasst bekommt. Der Verursacher versucht mit einem seltsamen „Es ist nichts passiert!“ die Lage zu beruhigen, doch Ms. Columbo ist deutlich anderer Meinung, zumal Jacke, Hose und Handtasche beredte Indizien liefern für ihre Sicht der Dinge.
Wir laufen nach Hause, der Kiez ist nicht fern. Hoffentlich, denke ich, hat die arme, glückliche Annett noch einen Sekt abgekriegt.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Bergkönig“ von Kolbe & Illenberger, „Poison heart“ von The Ramones und „Neighbours“ von Quantum Jump.
Derweil delektieren wir geladenen Gäste uns an Getränken beliebiger Couleur, laben uns an gedünsteten Brokkolilollies und Ziegenkäseblinis mit Honig. G., die Freundin von Mark, kokettiert parodistisch mit der Bestellung einer „Passionsfruchtschorle“, doch da muss der Service passen. Ihr Sonderwunsch zur Schorlenveredelung – ein Tröpfchen Kiwisaft – bleibt unartikuliert.
Mark und ich fotografieren uns gegenseitig heimlich in möglichst unvorteilhaften Posen, wobei jedes Bild die Unveröffentlichbarkeit seines Pendants sicherstellen soll. Das Konstrukt ähnelt dem Gleichgewicht des Schreckens im Kalten Krieg: Wirfst du die Atombombe zuerst, kriegst du sie als zweiter ab. Also wirft sie keiner. Verstanden, Mark!?
Dieses Spielchen scheint seine Konzentration zu stören, denn zweimal versagt er kläglich, als er die unbedingte Pflicht und auch Gelegenheit gehabt hätte, seine Sitzposition zum Beinstellen zu nutzen: einmal, als ein Ober mit einem Tablett voller Krabbenschwänze unseren Tisch übersieht, und dann, als sein Ex-Chef vorbeiläuft.
Kurioserweise folgt die Rache des Schicksals, die normalerweise Jahre oder Jahrzehnte auf sich warten lässt (sofern sie überhaupt so gnädig ist, ihren Job zu tun), nur Minuten später. Als Mark zur Bar gehen will, stolpert er über die Lederschaftstiefel einer Tischnachbarin. Keiner verletzt sich.
Annett wird noch immer fotografiert. Klick, klick. Sie schaut schon ganz verkrampft. „Halt durch!“ raune ich ihr zu beim Händeschütteln, und sie verdreht komplizenhaft die Augen. Ja, klar: Sie hält durch. Annetts Taffness verhält sich umgekehrt proportional zu ihrer Größe.
Der Abend ist schon fast schadlos überstanden, als Ms. Columbo noch eine Bierdusche verpasst bekommt. Der Verursacher versucht mit einem seltsamen „Es ist nichts passiert!“ die Lage zu beruhigen, doch Ms. Columbo ist deutlich anderer Meinung, zumal Jacke, Hose und Handtasche beredte Indizien liefern für ihre Sicht der Dinge.
Wir laufen nach Hause, der Kiez ist nicht fern. Hoffentlich, denke ich, hat die arme, glückliche Annett noch einen Sekt abgekriegt.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Bergkönig“ von Kolbe & Illenberger, „Poison heart“ von The Ramones und „Neighbours“ von Quantum Jump.
10 Januar 2006
Die Bym
Ein lachsrosa Morgen zieht auf überm Rotlichtviertel. Sodann folgt der Tag, an dem aus der Zeitschrift „Brigitte Young Miss“ endgültig eine neue wird: „Bym“. Es ist ein Akronym, das sich aus der Abkürzung des bisherigen Titels ergibt. Gesprochen wird das ungefähr „Bümm“, wie ich aus innersten Gruner&Jahr-Zirkeln erfahren musste.
Wer jetzt meint, das überwältigende Ausmaß dieser Peinlichkeit sei nur erklärlich durch brutalen äußeren Zwang, ausgeübt etwa von einer des Deutschen unkundigen ostsibirischen Investorengruppe („Heuschreckominsk“), die heimlich den Verlag geentert hat und nun aus dem Off dilettiert, dem sei gesagt: Das ist nicht so.
Denn aus freien Stücken kam es zu „Bym“. Chefredakteur Andreas Lebert tut sogar so, als glaube er wirklich, der Name sei toll. Er gibt sich überzeugt, die junge deutsche Frau werde von nun an regelmäßig forschen Schritts an die Kioske der Republik herantreten und ohne ihre Stimme zu dämpfen den sich duckenden Fischeinwickelpapierverkäufern ein selbstbewusstes: „Bitte eine Bym!“ zurufen.
Aber warum sollte sie das tun, warum? „Bym“, erläutert Lebert, „Bym ist lässig an der Oberfläche und mutig in der Tiefe.“ Das sagt wirklich er: Lebert. Und nicht Berti Vogts, der seine Unsterblichkeit wesentlich diesem Satz verdankt: „Die Breite an der Spitze ist dichter geworden.“
Und vielleicht ist sie das sogar in der Tiefe, in die wir nur lässig und mutig vorstoßen müssen – um völlig dicht und breit unten anzukommen.
Übrigens gibt es auch ein Schweizer Plattenlabel, das sich BYM abkürzt; ausgeschrieben „Blow Your Mind“. Frei übersetzt heißt das ungefähr: „Blas dir das Hirn weg.“
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Farmer's hotel“ von Silver Jews, „Fat boy“ von Marah und „Give something else away“ von Magnolia Electric Co.
Wer jetzt meint, das überwältigende Ausmaß dieser Peinlichkeit sei nur erklärlich durch brutalen äußeren Zwang, ausgeübt etwa von einer des Deutschen unkundigen ostsibirischen Investorengruppe („Heuschreckominsk“), die heimlich den Verlag geentert hat und nun aus dem Off dilettiert, dem sei gesagt: Das ist nicht so.
Denn aus freien Stücken kam es zu „Bym“. Chefredakteur Andreas Lebert tut sogar so, als glaube er wirklich, der Name sei toll. Er gibt sich überzeugt, die junge deutsche Frau werde von nun an regelmäßig forschen Schritts an die Kioske der Republik herantreten und ohne ihre Stimme zu dämpfen den sich duckenden Fischeinwickelpapierverkäufern ein selbstbewusstes: „Bitte eine Bym!“ zurufen.
Aber warum sollte sie das tun, warum? „Bym“, erläutert Lebert, „Bym ist lässig an der Oberfläche und mutig in der Tiefe.“ Das sagt wirklich er: Lebert. Und nicht Berti Vogts, der seine Unsterblichkeit wesentlich diesem Satz verdankt: „Die Breite an der Spitze ist dichter geworden.“
Und vielleicht ist sie das sogar in der Tiefe, in die wir nur lässig und mutig vorstoßen müssen – um völlig dicht und breit unten anzukommen.
Übrigens gibt es auch ein Schweizer Plattenlabel, das sich BYM abkürzt; ausgeschrieben „Blow Your Mind“. Frei übersetzt heißt das ungefähr: „Blas dir das Hirn weg.“
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Farmer's hotel“ von Silver Jews, „Fat boy“ von Marah und „Give something else away“ von Magnolia Electric Co.
09 Januar 2006
Der Klozechpreller
Obwohl ich mir sehr wohl ein verfeinertes kulinarisches Empfinden zurechne, verschleppt mich Kollege J. mittags immer mal wieder in unfassbare Niederungen der Essensaufnahme, die er in fröhlicher Offenheit auf den Nenner „Heiß und fettig“ bringt. Man kann ihm das nicht verübeln, er ist Franke von Geburt. Gottergeben trotte ich heute wieder mal hinter ihm her, obgleich ich mir im Lauf meiner hedonistischen Reifung einen natürlichen Ekel gegenüber ölgeduschten Frikadellen und Lasagnebrei vom Stehimbiss antrainiert habe. Doch mit meinem opferbereiten Begleitservice kann ich demonstrieren, wie hoch Kollegialität letztlich in meinem Wertesystem rangiert. Ob er das merkt, weiß ich jedoch nicht; in seinen Augen sehe ich nur die wilde, ungezügelte Gier nach Frikadellen.
Erste Adresse für „Heiß und fettig“ in Ottensen ist das Einkaufszentrum Mercado. Vorm Essen muss ich noch mal wohin und stelle fest: Die Herrentoilette des Mercado ist fest in afrikanischer Hand. Zwei, wenn nicht gar drei Bedienstete beiderlei Geschlechts wirken hier frohgemut im Dienste sauberer Keramik. Man kann sogar von einer Art Party des Toilettenpersonals sprechen. Die gelassenen Reggaerhythmen von „The Lion sleeps tonight“ hallen noch hinüber bis in die Klokabine, wo man versucht ist, mitzuwippen, was unter diesen Umständen allerdings dem Toilettenpersonal mehr Arbeit verschaffen würde als notwendig.
Im Waschraum wird die Gebühr für den angebotenen Komplettservice unmissverständlich mit 30 Cent taxiert. Zumindest künden blutrote Großlettern davon. Sie stehen auf einem Zettel, der sorgfältig über einem praktischerweise aufnahmebereiten Schälchen drapiert wurde. Kein Zweifel, die Brigade weiß, was ihr Job aus Putzen und Party wert ist. Das Schälchen selbst erfreut sich offenbar ständiger Leerung, denn es befinden sich nur zwei Münzen darin. Sie ergeben addiert – natürlich – 30 Cent.
Mein Problem: Ich habe ausschließlich Scheine in der Tasche. Eine unangenehme Situation. Denn ich muss vorwegschicken, dass es für mich mit einem hohen Schamgehalt belastet ist, Toilettenpersonal um Wechselgeld zu bitten. Vielleicht ein Kindheitstrauma, ich weiß es nicht. Verfüge ich zufällig nur über Münzgrößen, welche die zu honorierende Dienstleistung m. E. deutlich überbewerten – also Ein- oder Zwei-Euro-Stücke –, dann lege ich sie gemeinhin ins Schälchen, fingere fahrig und errötend ein angemessenes Wechselgeld heraus und fliehe diesen Ort eilends.
Aber hier liegen nur 30 Cent, und ich habe nur vermaledeite Scheine, derweil im Nebenraum die afrikanische Frohsinnstruppe Party macht zu „The Lion sleeps tonight“, mit Sichtkontakt zum Schälchen.
Die Situation hat etwas Verfahrenes. Es gibt nur eine Lösung. Aber es ist keine, die mir Ehre einbringt. Ich nutze einen der zahlreichen Momente partybedingter Unaufmerksamkeit und entschwinde wie ein Dieb in der Nacht, ohne Obolus.
Wie nennt man so etwas, Herr Staatsanwalt – Erschleichung von Dienstleistungen, lachhaft begründet mit einem irrationalen Schamempfinden? Nein, nein: Der Löwe, er mag schlafen heute Nacht, aber Gott, der sieht alles. J., ein geborener Katholik, würde das fröhlich bestätigen, doch ihm gegenüber verschweige ich lieber die Klozechprellerei.
Bei „Heiß und fettig“ halte ich den Frikadellen des Franken einen Spießbraten und ölgeduschte Bratkartoffeln entgegen, dazu matschige Sauerkrautsträhnen. Und auf dem Heimweg fotografiere ich lustlos eine Reeperbahnstraßenlampe mit dem Mond als Begleitservice. Heute ist eh alles egal.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Kisses“ von Bent, „Alison“ von Slowdive und „Refugees“ von Van der Graaf Generator.
Erste Adresse für „Heiß und fettig“ in Ottensen ist das Einkaufszentrum Mercado. Vorm Essen muss ich noch mal wohin und stelle fest: Die Herrentoilette des Mercado ist fest in afrikanischer Hand. Zwei, wenn nicht gar drei Bedienstete beiderlei Geschlechts wirken hier frohgemut im Dienste sauberer Keramik. Man kann sogar von einer Art Party des Toilettenpersonals sprechen. Die gelassenen Reggaerhythmen von „The Lion sleeps tonight“ hallen noch hinüber bis in die Klokabine, wo man versucht ist, mitzuwippen, was unter diesen Umständen allerdings dem Toilettenpersonal mehr Arbeit verschaffen würde als notwendig.
Im Waschraum wird die Gebühr für den angebotenen Komplettservice unmissverständlich mit 30 Cent taxiert. Zumindest künden blutrote Großlettern davon. Sie stehen auf einem Zettel, der sorgfältig über einem praktischerweise aufnahmebereiten Schälchen drapiert wurde. Kein Zweifel, die Brigade weiß, was ihr Job aus Putzen und Party wert ist. Das Schälchen selbst erfreut sich offenbar ständiger Leerung, denn es befinden sich nur zwei Münzen darin. Sie ergeben addiert – natürlich – 30 Cent.
Mein Problem: Ich habe ausschließlich Scheine in der Tasche. Eine unangenehme Situation. Denn ich muss vorwegschicken, dass es für mich mit einem hohen Schamgehalt belastet ist, Toilettenpersonal um Wechselgeld zu bitten. Vielleicht ein Kindheitstrauma, ich weiß es nicht. Verfüge ich zufällig nur über Münzgrößen, welche die zu honorierende Dienstleistung m. E. deutlich überbewerten – also Ein- oder Zwei-Euro-Stücke –, dann lege ich sie gemeinhin ins Schälchen, fingere fahrig und errötend ein angemessenes Wechselgeld heraus und fliehe diesen Ort eilends.
Aber hier liegen nur 30 Cent, und ich habe nur vermaledeite Scheine, derweil im Nebenraum die afrikanische Frohsinnstruppe Party macht zu „The Lion sleeps tonight“, mit Sichtkontakt zum Schälchen.
Die Situation hat etwas Verfahrenes. Es gibt nur eine Lösung. Aber es ist keine, die mir Ehre einbringt. Ich nutze einen der zahlreichen Momente partybedingter Unaufmerksamkeit und entschwinde wie ein Dieb in der Nacht, ohne Obolus.
Wie nennt man so etwas, Herr Staatsanwalt – Erschleichung von Dienstleistungen, lachhaft begründet mit einem irrationalen Schamempfinden? Nein, nein: Der Löwe, er mag schlafen heute Nacht, aber Gott, der sieht alles. J., ein geborener Katholik, würde das fröhlich bestätigen, doch ihm gegenüber verschweige ich lieber die Klozechprellerei.
Bei „Heiß und fettig“ halte ich den Frikadellen des Franken einen Spießbraten und ölgeduschte Bratkartoffeln entgegen, dazu matschige Sauerkrautsträhnen. Und auf dem Heimweg fotografiere ich lustlos eine Reeperbahnstraßenlampe mit dem Mond als Begleitservice. Heute ist eh alles egal.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Kisses“ von Bent, „Alison“ von Slowdive und „Refugees“ von Van der Graaf Generator.
08 Januar 2006
Die Forellen
Bisher kennen wir das Steakhaus an der Reeperbahn nur von außen, heute, vorm Kino, wollen wir doch mal sehen, wie sich diese Toplage auf Innendeko und kulinarisches Konzept auswirkt. Um es kurz zu machen: nachteilig.
Die Tische sind kaum größer als die Teller, ich werde im Lauf des kurzen Aufenthaltes – das Essen kommt so schnell, wie die leeren Teller uns wenig später wieder entrissen werden – mit dem Ellbogen innig an der Wandtäfelung schaben. Und als mir Tölpel einmal die Gabel herunterfällt, stellt sich heraus, dass es praktisch unmöglich ist, unter den Tisch zu langen. Meine Bewegungsfreiheit erinnert ans Innere eines Computertomografen. Bei der Bergung der Gabel hole ich mir eine Rippenprellung.
Doch ich greife vor. Erst mal soll bestellt werden. Auf der Speisekarte fällt eine echte Weltsensation auf: „Lebend – frische Forelle vom Grill“. Offenbar springen die Teufelskerle einem vom Gitterrost auf den Teller und müssen, obgleich braungebacken, erst mal mit Messer und Gabel gebändigt werden. Die englische Erläuterung darunter – wir sind in einem multilingualen Touristenladen – bringt Klarheit: „freshly killed“ steht da in kaltherziger Lakonie.
Erwähnte ich schon unseren Platz direkt neben dem Aquarium? Zwar bin ich ein großer Freund von Fischen in jedweder zubereiteten Form, doch nach erstem Augenkontakt mit den treuherzig ahnungslosen Salmoniden ist es mir natürlich schlechterdings unmöglich, sie noch zu ordern.
Ich weiß, ich weiß: Ausschließlich solche Lebewesen zu verzehren, die in konspirativer Heimlichkeit von sabbernden Schlachtern und sardonisch grinsenden Köchen gemetzelt wurden, ist feige, inkonsequent und im Sinne Walter Benjamins geradezu unanständig. Aber diese vier hier neben mir … nein, das geht nicht. Man kennt sich inzwischen, wenn auch nur flüchtig, da grillt man sich nicht mehr.
Also läuft es bei Ms. Columbo und mir auf Steaks hinaus. Dann fällt mir die Gabel herunter, ich hole mir eine Rippenprellung, man entreißt uns die Teller, wir zahlen bar. Die Steakhausstoiker verkneifen sich routiniert jede geheuchelte Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen.
Klar: Sie halten uns für Touristen; die sieht man nur einmal im Leben.
Die Forellen schauen uns treuherzig nach. Sie ahnen nichts.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Burn baby“ von Mother Tongue, „Refugees“ von The Tears und „Someone“ von Thee Hypnotics.
Die Tische sind kaum größer als die Teller, ich werde im Lauf des kurzen Aufenthaltes – das Essen kommt so schnell, wie die leeren Teller uns wenig später wieder entrissen werden – mit dem Ellbogen innig an der Wandtäfelung schaben. Und als mir Tölpel einmal die Gabel herunterfällt, stellt sich heraus, dass es praktisch unmöglich ist, unter den Tisch zu langen. Meine Bewegungsfreiheit erinnert ans Innere eines Computertomografen. Bei der Bergung der Gabel hole ich mir eine Rippenprellung.
Doch ich greife vor. Erst mal soll bestellt werden. Auf der Speisekarte fällt eine echte Weltsensation auf: „Lebend – frische Forelle vom Grill“. Offenbar springen die Teufelskerle einem vom Gitterrost auf den Teller und müssen, obgleich braungebacken, erst mal mit Messer und Gabel gebändigt werden. Die englische Erläuterung darunter – wir sind in einem multilingualen Touristenladen – bringt Klarheit: „freshly killed“ steht da in kaltherziger Lakonie.
Erwähnte ich schon unseren Platz direkt neben dem Aquarium? Zwar bin ich ein großer Freund von Fischen in jedweder zubereiteten Form, doch nach erstem Augenkontakt mit den treuherzig ahnungslosen Salmoniden ist es mir natürlich schlechterdings unmöglich, sie noch zu ordern.
Ich weiß, ich weiß: Ausschließlich solche Lebewesen zu verzehren, die in konspirativer Heimlichkeit von sabbernden Schlachtern und sardonisch grinsenden Köchen gemetzelt wurden, ist feige, inkonsequent und im Sinne Walter Benjamins geradezu unanständig. Aber diese vier hier neben mir … nein, das geht nicht. Man kennt sich inzwischen, wenn auch nur flüchtig, da grillt man sich nicht mehr.
Also läuft es bei Ms. Columbo und mir auf Steaks hinaus. Dann fällt mir die Gabel herunter, ich hole mir eine Rippenprellung, man entreißt uns die Teller, wir zahlen bar. Die Steakhausstoiker verkneifen sich routiniert jede geheuchelte Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen.
Klar: Sie halten uns für Touristen; die sieht man nur einmal im Leben.
Die Forellen schauen uns treuherzig nach. Sie ahnen nichts.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Burn baby“ von Mother Tongue, „Refugees“ von The Tears und „Someone“ von Thee Hypnotics.
07 Januar 2006
Der Rückzug (bitte!)
Kanzlerin Merkel findet die US-Gefangenenlager auf Guantanamo Bay neuerdings nicht gut, und das will sie Präsident Bush auch sagen, ins Gesicht.
Zur Erinnerung: Bush hat auf Kuba diese Lager eingerichtet, damit er gefahrlos gegen das Völkerrecht verstoßen kann, ohne von seiner eigenen Justiz dafür vor Gericht gezerrt zu werden.
Ein Trick, den Merkels Innenminister Schäuble ganz bezaubernd findet. Er setzt ja weiterhin auf Geständnisse, die in Guantanamo mithilfe „innovativer Verhörmethoden“ aus den rechtlosen Gefangenen herausgeholt werden, muss sich dafür aber die eigenen Hände nicht schmutzig machen. Klasse Deal.
Doch jetzt, nach Merkels Statement, ist Schäuble total blamiert. Er steht nicht nur da als Unmensch, dem das Menschen- und Völkerrecht pimpe ist, solange er’s nicht selbst verletzt, sondern er muss sich auch noch von seiner Chefin dafür indirekt abwatschen lasssen. Armes Schäuble.
Um sein Gesicht zu wahren, bleibt ihm doch nur noch die Niederlegung seines Amtes und der Rückzug nach Schmoll im Winkel (wo mir vor einiger Zeit dieses Foto gelang). Das wäre ganz bezaubernd.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Charly“ von Hannes Wader, „She lives by the castle“ von Felt und „By the dawn's early light“ von Thee Madkatt Courtship.
Zur Erinnerung: Bush hat auf Kuba diese Lager eingerichtet, damit er gefahrlos gegen das Völkerrecht verstoßen kann, ohne von seiner eigenen Justiz dafür vor Gericht gezerrt zu werden.
Ein Trick, den Merkels Innenminister Schäuble ganz bezaubernd findet. Er setzt ja weiterhin auf Geständnisse, die in Guantanamo mithilfe „innovativer Verhörmethoden“ aus den rechtlosen Gefangenen herausgeholt werden, muss sich dafür aber die eigenen Hände nicht schmutzig machen. Klasse Deal.
Doch jetzt, nach Merkels Statement, ist Schäuble total blamiert. Er steht nicht nur da als Unmensch, dem das Menschen- und Völkerrecht pimpe ist, solange er’s nicht selbst verletzt, sondern er muss sich auch noch von seiner Chefin dafür indirekt abwatschen lasssen. Armes Schäuble.
Um sein Gesicht zu wahren, bleibt ihm doch nur noch die Niederlegung seines Amtes und der Rückzug nach Schmoll im Winkel (wo mir vor einiger Zeit dieses Foto gelang). Das wäre ganz bezaubernd.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Charly“ von Hannes Wader, „She lives by the castle“ von Felt und „By the dawn's early light“ von Thee Madkatt Courtship.
06 Januar 2006
Der Besuchsversuch
Nach ernstzunehmender Kritik an der ausufernden Länge meiner Blog-Beiträge wird nun gekürzt. Ich bin schließlich beeinflussbar und stolz darauf.
Also erwähne ich nur kurz die heute Abend explosionsartig auftretende dramatische Unterversorgung mit Single Malt Scotch Whisky (Laphroaig, zehnjährig), die ich erst feststelle, als die Dinnergäste schon auf dem Weg sein müssen.
Ein unerträglicher Zustand, da ich zum Dessert mit der goldbraunen Kreszenz von der Insel Islay glänzen will – und selbst schon spüre, wie sich die eine oder andere Geschmacksknospe erwartungsfroh der Verkostung entgegenreckt. Ich behebe den Mangel sofort und zielsicher in der Kastanienallee. Später stellt sich allerdings heraus, dass niemand Whiskey möchte. Selbst ich nicht.
Gestern Nacht müssen übrigens die beiden Fantasiepsychopathen German Psycho und Pat Bateman nach eigener Aussage wirr brabbelnd die Rückseite der Reeperbahn durchtorkelt haben, um dem Urheber dieses Blogs ihre Aufwartung zu machen. Ein schmeichelhaftes Ansinnen, in seinem Reiz vergleichbar mit jenem von Jack Nicholson in „Shining“ , als er seine Frau in der Abstellkammer (korrigiert mich, wenn's doch die Küche war) partout besuchen möchte – in Begleitung einer formidablen Axt.
Ich fühle mich selbstverständlich geehrt!
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „He was a friend of mine“ von Willie Nelson, „Everybody sounds like Coldplay now“ von Mitch Benn & The Distractions und „A song for Nicole“ von Minor Majority.
Also erwähne ich nur kurz die heute Abend explosionsartig auftretende dramatische Unterversorgung mit Single Malt Scotch Whisky (Laphroaig, zehnjährig), die ich erst feststelle, als die Dinnergäste schon auf dem Weg sein müssen.
Ein unerträglicher Zustand, da ich zum Dessert mit der goldbraunen Kreszenz von der Insel Islay glänzen will – und selbst schon spüre, wie sich die eine oder andere Geschmacksknospe erwartungsfroh der Verkostung entgegenreckt. Ich behebe den Mangel sofort und zielsicher in der Kastanienallee. Später stellt sich allerdings heraus, dass niemand Whiskey möchte. Selbst ich nicht.
Gestern Nacht müssen übrigens die beiden Fantasiepsychopathen German Psycho und Pat Bateman nach eigener Aussage wirr brabbelnd die Rückseite der Reeperbahn durchtorkelt haben, um dem Urheber dieses Blogs ihre Aufwartung zu machen. Ein schmeichelhaftes Ansinnen, in seinem Reiz vergleichbar mit jenem von Jack Nicholson in „Shining“ , als er seine Frau in der Abstellkammer (korrigiert mich, wenn's doch die Küche war) partout besuchen möchte – in Begleitung einer formidablen Axt.
Ich fühle mich selbstverständlich geehrt!
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „He was a friend of mine“ von Willie Nelson, „Everybody sounds like Coldplay now“ von Mitch Benn & The Distractions und „A song for Nicole“ von Minor Majority.
05 Januar 2006
Der Dude
Spontan gehe ich nach der Arbeit noch mit dem Franken auf ein Bier in die Kneipe. Unsere Wahl fällt nicht auf die Ente (Foto), obwohl sie nur eine Abzweigung entfernt liegt, sondern aufs noch nähere Aurel.
Dort läuft meist kühle Elektronik und aus dem Zapfhahn Große Freiheit, eine Biermarke, die man selbst in Hamburg kaum noch findet (wahrscheinlich nicht mal mehr in der Großen Freiheit).
Kaum haben wir uns gesetzt und nippen am Glas, betritt ein Faktotum den Raum. Der Franke nennt ihn sofort flüsternd „den Dude“, weil er unverkennbar an „The Big Lebowski“ erinnert.
Sein helles Haar ist kragenlang und struppig, sein dünner Bart gepflegt wie ein Vogelnest im Winter. Bekleidet ist er mit einem undefinierbaren Etwas von Mantel aus hellem Leder mit weißem Wollkragen – eine Entsetzlichkeit, die mich sofort auf eine angenehme innere Zeitreise in die Siebziger schickt. Nicht zu vergessen seine Sonnenbrille, die der Dude auch angesichts der trüben Aurel-Beleuchtung offenbar nicht abzusetzen bereit ist.
Vielleicht fehlt ihm dazu auch einfach die Kraft, denn er wirkt angeschlagen. Seine Bewegungen haben etwas von einer 200-jährigen Galapagos-Schildkröte. Mit Ach und Krach hievt er sich auf die Sitzbank am Bistrotisch neben uns.
Augenblicks schlage ich dem Franken eine Wette vor. „Ich wette mit dir“, flüstere ich, „er merkt mindestens zehn Minuten lang nicht, dass er zum Bestellen an die Theke gehen muss.“ So ist es nämlich üblich im Aurel. Der Franke ist einverstanden, die Uhr läuft.
Der Dude sitzt schwankend da. Er scheint die Rückseite seiner Sonnenbrillengläser anzustarren. Indizien dafür, dass irgendetwas jenseits davon seine Synapsen ins Flirren versetzt, gibt es nicht. Er sitzt einfach da und tut nichts.
Ich bin siegessicher. Der Franke versucht mich in eine die Wette relativierende Diskussion über die Motivation des Dude’schen Kneipenbesuches zu verwickeln. Vielleicht, führt er wenig fundiert aus, wolle der Dude sich ja nur aufwärmen. Ich wende überzeugend ein, dass schon der gesunde Menschenverstand die Annahme gebietet, das Betreten einer Kneipe sei weitgehend gleichzusetzen mit einem ausgeprägten Trinkwillen. Ja, bereits das Öffnen der Tür sei geradezu die Manifestation dessen und gleichsam schon eine Bestellung, ob nun Bier oder Brause, das sei ja mal egal.
Aber er sei der Dude, versucht er einen Konter, da müsse man auch aufs Außergewöhnliche gefasst sein. Papperlapapp, wende ich ultimativ ein, und sehe die Uhr ticken, zu meinen Gunsten.
Doch plötzlich, nach nur zwei Minuten, rutscht der Dude von der Sitzbank wie eine Düne Richtung Deich und kommt auf die Füße. Sein rechter Arm führt knirschend die Hand Richtung Gesicht, und irgendwie trifft sein irrlichternder Daumen den Steg der Sonnenbrille, um ihn etwas nach oben zu schieben.
Kein Zweifel, der Dude hat etwas vor. Geht er jetzt zur Theke? Hat er die Lage gerafft? Verliere ich die Wette? Nein: Er karriolt zur Tür. Er öffnet sie, er ist verschwunden.
Sofort entbrennt zwischen uns eine Diskussion über die Folgen für unsere Wette. Der Franke ist überzeugt, der Dude sei kotzen gegangen. Gut, ich gebe zu, sein Zustand hatte etwas unzweifelhaft Prävomitives. Die Frage ist nur: Läuft trotzdem die Wettzeit weiter ab? Was, wenn er zum Beispiel in sieben Minuten wieder seinen scheußlichen Mantel durch die Tür schiebt, den alten Platz erneut ein- und das vergebliche Warten auf die Aurel-Bedienung wieder aufnimmt – habe ich dann gewonnen? Oder hat die vermutliche Brechunterbrechung aufschiebende Wirkung auf unsere Wette?
Es geht hin und her zwischen uns. Doch der Dude kommt nicht mehr. Er ist weg. Obgleich es angesichts der Ereignisse argumentative Winkelzüge gäbe, gebe ich mich geschlagen. Der Franke holt zufrieden noch zwei Große Freiheit. Auf dem Heimweg beschließe ich, bald mal wieder „The Big Lebowski“ zu schauen. Guter Film.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Silence flows“ von Malory, „Mary Brown“ von Dave Alvin und „Sister golden hair“ von America.
Dort läuft meist kühle Elektronik und aus dem Zapfhahn Große Freiheit, eine Biermarke, die man selbst in Hamburg kaum noch findet (wahrscheinlich nicht mal mehr in der Großen Freiheit).
Kaum haben wir uns gesetzt und nippen am Glas, betritt ein Faktotum den Raum. Der Franke nennt ihn sofort flüsternd „den Dude“, weil er unverkennbar an „The Big Lebowski“ erinnert.
Sein helles Haar ist kragenlang und struppig, sein dünner Bart gepflegt wie ein Vogelnest im Winter. Bekleidet ist er mit einem undefinierbaren Etwas von Mantel aus hellem Leder mit weißem Wollkragen – eine Entsetzlichkeit, die mich sofort auf eine angenehme innere Zeitreise in die Siebziger schickt. Nicht zu vergessen seine Sonnenbrille, die der Dude auch angesichts der trüben Aurel-Beleuchtung offenbar nicht abzusetzen bereit ist.
Vielleicht fehlt ihm dazu auch einfach die Kraft, denn er wirkt angeschlagen. Seine Bewegungen haben etwas von einer 200-jährigen Galapagos-Schildkröte. Mit Ach und Krach hievt er sich auf die Sitzbank am Bistrotisch neben uns.
Augenblicks schlage ich dem Franken eine Wette vor. „Ich wette mit dir“, flüstere ich, „er merkt mindestens zehn Minuten lang nicht, dass er zum Bestellen an die Theke gehen muss.“ So ist es nämlich üblich im Aurel. Der Franke ist einverstanden, die Uhr läuft.
Der Dude sitzt schwankend da. Er scheint die Rückseite seiner Sonnenbrillengläser anzustarren. Indizien dafür, dass irgendetwas jenseits davon seine Synapsen ins Flirren versetzt, gibt es nicht. Er sitzt einfach da und tut nichts.
Ich bin siegessicher. Der Franke versucht mich in eine die Wette relativierende Diskussion über die Motivation des Dude’schen Kneipenbesuches zu verwickeln. Vielleicht, führt er wenig fundiert aus, wolle der Dude sich ja nur aufwärmen. Ich wende überzeugend ein, dass schon der gesunde Menschenverstand die Annahme gebietet, das Betreten einer Kneipe sei weitgehend gleichzusetzen mit einem ausgeprägten Trinkwillen. Ja, bereits das Öffnen der Tür sei geradezu die Manifestation dessen und gleichsam schon eine Bestellung, ob nun Bier oder Brause, das sei ja mal egal.
Aber er sei der Dude, versucht er einen Konter, da müsse man auch aufs Außergewöhnliche gefasst sein. Papperlapapp, wende ich ultimativ ein, und sehe die Uhr ticken, zu meinen Gunsten.
Doch plötzlich, nach nur zwei Minuten, rutscht der Dude von der Sitzbank wie eine Düne Richtung Deich und kommt auf die Füße. Sein rechter Arm führt knirschend die Hand Richtung Gesicht, und irgendwie trifft sein irrlichternder Daumen den Steg der Sonnenbrille, um ihn etwas nach oben zu schieben.
Kein Zweifel, der Dude hat etwas vor. Geht er jetzt zur Theke? Hat er die Lage gerafft? Verliere ich die Wette? Nein: Er karriolt zur Tür. Er öffnet sie, er ist verschwunden.
Sofort entbrennt zwischen uns eine Diskussion über die Folgen für unsere Wette. Der Franke ist überzeugt, der Dude sei kotzen gegangen. Gut, ich gebe zu, sein Zustand hatte etwas unzweifelhaft Prävomitives. Die Frage ist nur: Läuft trotzdem die Wettzeit weiter ab? Was, wenn er zum Beispiel in sieben Minuten wieder seinen scheußlichen Mantel durch die Tür schiebt, den alten Platz erneut ein- und das vergebliche Warten auf die Aurel-Bedienung wieder aufnimmt – habe ich dann gewonnen? Oder hat die vermutliche Brechunterbrechung aufschiebende Wirkung auf unsere Wette?
Es geht hin und her zwischen uns. Doch der Dude kommt nicht mehr. Er ist weg. Obgleich es angesichts der Ereignisse argumentative Winkelzüge gäbe, gebe ich mich geschlagen. Der Franke holt zufrieden noch zwei Große Freiheit. Auf dem Heimweg beschließe ich, bald mal wieder „The Big Lebowski“ zu schauen. Guter Film.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Silence flows“ von Malory, „Mary Brown“ von Dave Alvin und „Sister golden hair“ von America.
04 Januar 2006
Der Googler aus dem Morgenland
Zunächst einmal: Ich bin noch auf freiem Fuß, trotz des Eintrags von gestern. Yeah.
Mein Lieblingsblogeintrag 2005 war Poodles hochkomische Erörterung über den Einfluss der TV-Serie „Die Waltons“ auf eine Kindheit im Schwäbischen. Dieser fulminante Crash von Ideal und Wirklichkeit und seine im doppelten Wortsinn dialektische Umsetzung verdienen höchsten Respekt. Ein Lob der Blogosphäre, die solche virtuosen Texte hervorbringt! Also bitte Poodle lesen. Ganz generell.
Neulich um 7:20 MEZ googelte jemand aus dem saudi-arabischen Riad nach „Reeperbahn“ und landete unversehens in der heimeligen, aber auch anrüchigen Welt meines Blogs. Die Bedürfnisse sind offenbar überall auf der Welt ähnlich, unter welchem Regime auch immer.
Übrigens zeigt Google im arabischen Raum die Ergebnisse natürlich rechtsbündig an … Und es liefert für „Reeperbahn“ knapp 1,6 Millionen Treffer, während die deutsche Version nur auf eine gute Million kommt. Das verstehe einer. Doch bei beiden Googles rangiert dieser kleine kuschelige Blog hier glorios unter den ersten 20 – was ich noch viel weniger verstehe.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „On some faraway beach“ von Brian Eno, „It takes a lot to laugh, it takes a train to cry“ von Jerry Garcia und „Devil's right hand“ von Steve Earle.
Mein Lieblingsblogeintrag 2005 war Poodles hochkomische Erörterung über den Einfluss der TV-Serie „Die Waltons“ auf eine Kindheit im Schwäbischen. Dieser fulminante Crash von Ideal und Wirklichkeit und seine im doppelten Wortsinn dialektische Umsetzung verdienen höchsten Respekt. Ein Lob der Blogosphäre, die solche virtuosen Texte hervorbringt! Also bitte Poodle lesen. Ganz generell.
Neulich um 7:20 MEZ googelte jemand aus dem saudi-arabischen Riad nach „Reeperbahn“ und landete unversehens in der heimeligen, aber auch anrüchigen Welt meines Blogs. Die Bedürfnisse sind offenbar überall auf der Welt ähnlich, unter welchem Regime auch immer.
Übrigens zeigt Google im arabischen Raum die Ergebnisse natürlich rechtsbündig an … Und es liefert für „Reeperbahn“ knapp 1,6 Millionen Treffer, während die deutsche Version nur auf eine gute Million kommt. Das verstehe einer. Doch bei beiden Googles rangiert dieser kleine kuschelige Blog hier glorios unter den ersten 20 – was ich noch viel weniger verstehe.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „On some faraway beach“ von Brian Eno, „It takes a lot to laugh, it takes a train to cry“ von Jerry Garcia und „Devil's right hand“ von Steve Earle.
03 Januar 2006
Der Fall HEIDI KLUM
Na, da hat Blogger-Kollege Patrick Breitenbach aber einen Bock geschossen! So geht's ja auch wirklich nicht, Patrick. Nachdem er in einer Blog-Überschrift gedankenlos den Namen des Models HEIDI KLUM erwähnt hatte, wurde er per Mail aufgefordert, dies zu unterlassen, und zwar von HEIDI KLUMs Vater Günther Klum.
Und das ist auch völlig okay so. Das macht man einfach nicht, mal eben HEIDI KLUM in einem Blog-Titel unterzubringen. Schließlich wird dadurch eine Website mit eigener Adresse erzeugt, also eine URL, die den Namen HEIDI KLUM enthält. Und dadurch könnten glatt arglose Googler, die völlig berechtigt nach HEIDI KLUM suchen, auf der falschen Seite landen – nämlich der, die nur dank eines Blog-Eintrags den Namen HEIDI KLUM im Titel trägt. Und das würde natürlich zum sofortigen Verlust des Marktwertes der echten HEIDI KLUM führen.
Dabei hat HEIDI KLUM circa zwei Kinder und muss sehen, wie sie die Racker durchbringt. Klar, dass Günther, der Vater von HEIDI KLUM, gegen so etwas entschiedenst vorgehen muss. Ich möchte ihm diesbezüglich hier und jetzt meine volle Solidarität zusichern. Da könnte ja jeder Blogger kommen und einfach mal HEIDI KLUM erwähnen, und schon verdiente er sich eine weiße, äh goldene Nase mit seinem Eintrag, und HEIDI KLUM fehlt plötzlich das Geld für die Rürup-Rente.
Näh. Der Günther liegt voll auf Kurs mit seiner Unterlassungsaufforderung. Wehret den Anfängen, nämlich dem Erwähnen von HEIDI KLUM in Blog-Titeln. Sonst kommt es noch so weit, dass HEIDI KLUM auch noch im Blog-Beitrag selbst vorkommt! Plötzlich hat dann noch irgendwer die Idee und schreibt gar nichts Richtiges mehr in seinen Blog, sondern verstreut einfach mal hier, mal da ein HEIDI KLUM! HEIDI KLUM!! HEIDI KLUM!!! Dagegen muss man sich doch wehren können als Topmodelpapa. Ganz klar.
Das Foto zeigt übrigens nicht die Füße von HEIDI KLUM, sondern die von jemand ganz anderem, der nicht mal Topmodel ist. HEIDI KLUMs Füße dürfte ich hier nämlich gar nicht abbilden, sonst bekäme auch ich Post von Günther, dem Vater von HEIDI KLUM. Und dabei bin ich doch sein Freund. Näh.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Glósóli“ von Sigur Rós, „My secret“ von Anna Ternheim und „“ von „We all lose one another“ von Jason Collett.
Und das ist auch völlig okay so. Das macht man einfach nicht, mal eben HEIDI KLUM in einem Blog-Titel unterzubringen. Schließlich wird dadurch eine Website mit eigener Adresse erzeugt, also eine URL, die den Namen HEIDI KLUM enthält. Und dadurch könnten glatt arglose Googler, die völlig berechtigt nach HEIDI KLUM suchen, auf der falschen Seite landen – nämlich der, die nur dank eines Blog-Eintrags den Namen HEIDI KLUM im Titel trägt. Und das würde natürlich zum sofortigen Verlust des Marktwertes der echten HEIDI KLUM führen.
Dabei hat HEIDI KLUM circa zwei Kinder und muss sehen, wie sie die Racker durchbringt. Klar, dass Günther, der Vater von HEIDI KLUM, gegen so etwas entschiedenst vorgehen muss. Ich möchte ihm diesbezüglich hier und jetzt meine volle Solidarität zusichern. Da könnte ja jeder Blogger kommen und einfach mal HEIDI KLUM erwähnen, und schon verdiente er sich eine weiße, äh goldene Nase mit seinem Eintrag, und HEIDI KLUM fehlt plötzlich das Geld für die Rürup-Rente.
Näh. Der Günther liegt voll auf Kurs mit seiner Unterlassungsaufforderung. Wehret den Anfängen, nämlich dem Erwähnen von HEIDI KLUM in Blog-Titeln. Sonst kommt es noch so weit, dass HEIDI KLUM auch noch im Blog-Beitrag selbst vorkommt! Plötzlich hat dann noch irgendwer die Idee und schreibt gar nichts Richtiges mehr in seinen Blog, sondern verstreut einfach mal hier, mal da ein HEIDI KLUM! HEIDI KLUM!! HEIDI KLUM!!! Dagegen muss man sich doch wehren können als Topmodelpapa. Ganz klar.
Das Foto zeigt übrigens nicht die Füße von HEIDI KLUM, sondern die von jemand ganz anderem, der nicht mal Topmodel ist. HEIDI KLUMs Füße dürfte ich hier nämlich gar nicht abbilden, sonst bekäme auch ich Post von Günther, dem Vater von HEIDI KLUM. Und dabei bin ich doch sein Freund. Näh.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Glósóli“ von Sigur Rós, „My secret“ von Anna Ternheim und „“ von „We all lose one another“ von Jason Collett.
02 Januar 2006
Die 16-Jährigen
Ach, Busse sind doch ein steter Quell der Freude! Gegenüber ÖPNV-Fans wie mir leben einsame Autofahrer doch geradezu in einer sozialen Wüste. Was passiert denn schon in so einer Individualblechkiste? Gasgeben, bremsen, wütend hupen; laut und ungehört die anderen verfluchen. Mehr nicht. Arme Monaden am Steuer.
Wie prall und lehrreich hingegen das Leben im Bus! Man ist sich nah, auf den Sitzen tummeln sich prototypische Vertreter praktisch aller sozialen Schichten; der Bus als solcher blickt gleichmütig milde auf Alter, Rang und Namen herab. Er lässt jeden herein, solange der einen Beförderungsberechtigungsschein mit sich führt oder in allernächster Kürze zu erwerben bereit ist.
Heute Abend steigen in Altona zwei wahrscheinlich türkische Teenage-Queenies zu. Sie sind auf genau jene Weise aufgetakelt, wie man es sich nur in einem sehr engen Zeitfenster zwischen 16 und 16 1/4 leisten kann: mit Ohrringen groß wie Frisbeescheiben, mit Leopardenjäckchen, breitesten Nietengürteln auf den noch knochigen Hüften und mit Hosen von einer Enge, die eine Durchblutung südlicher Regionen zuverlässig verhindern muss.
Die Mädchen setzen sich nach hinten, schräg neben mich, doch der Fahrer zitiert sie noch vor der Abfahrt wegen eines Ticketproblems nach vorne.
Das nervt die Grazien natürlich. Sie stehen auf, und die eine zischt „Wichser!“ – aber nicht so laut, dass es beide Silben durch den ganzen Bus bis zum Fahrersitz schaffen. Dann schweben sie energisch nach vorne, klären die Lage, kommen zurück, setzen sich wieder gemeinsam auf ihren Teenage-Queenie-Sitz – und holen wie auf Kommando wortlos und unisono Ohrhörer hervor, um sich hinfort in stummer Isolation ganz und gar ihren Ganglien zu widmen.
Das verwirrt mich enorm. Haben Teenies nicht seit jeher die verdammte Pflicht zu kichern und zu giggeln, sich anzustupsen, mit den Augen zu rollen, halblaut aufzukreischen und sich meinethalben Handy-Textmeldungen vorzuflüstern, um wieder Gründe zum Kichern, Giggeln, Augenrollen und Halblautaufkreischen zu haben? Jeder von uns hat doch seinen Job zu tun hienieden. Und in der Welt, die ich kenne, gehört all das zur Stellenbeschreibung von Teenies dazu.
Doch diese beiden setzen sich nebeneinander und drehen sämtliche Sinne nach innen. In weiter Ferne, so nah. Und bis ich an der Davidstraße aussteige (nicht weit von diesem neuen, teeniepinken Waschsalon), bleibt das einzige Wort, das zwischen ihnen gefallen ist, dieses hier: „Wichser!“
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Cocaine blues“ von Joaquin Phoenix sowie „I can't stop“ und „Here I am (come and take me)“ von Al Green.
Wie prall und lehrreich hingegen das Leben im Bus! Man ist sich nah, auf den Sitzen tummeln sich prototypische Vertreter praktisch aller sozialen Schichten; der Bus als solcher blickt gleichmütig milde auf Alter, Rang und Namen herab. Er lässt jeden herein, solange der einen Beförderungsberechtigungsschein mit sich führt oder in allernächster Kürze zu erwerben bereit ist.
Heute Abend steigen in Altona zwei wahrscheinlich türkische Teenage-Queenies zu. Sie sind auf genau jene Weise aufgetakelt, wie man es sich nur in einem sehr engen Zeitfenster zwischen 16 und 16 1/4 leisten kann: mit Ohrringen groß wie Frisbeescheiben, mit Leopardenjäckchen, breitesten Nietengürteln auf den noch knochigen Hüften und mit Hosen von einer Enge, die eine Durchblutung südlicher Regionen zuverlässig verhindern muss.
Die Mädchen setzen sich nach hinten, schräg neben mich, doch der Fahrer zitiert sie noch vor der Abfahrt wegen eines Ticketproblems nach vorne.
Das nervt die Grazien natürlich. Sie stehen auf, und die eine zischt „Wichser!“ – aber nicht so laut, dass es beide Silben durch den ganzen Bus bis zum Fahrersitz schaffen. Dann schweben sie energisch nach vorne, klären die Lage, kommen zurück, setzen sich wieder gemeinsam auf ihren Teenage-Queenie-Sitz – und holen wie auf Kommando wortlos und unisono Ohrhörer hervor, um sich hinfort in stummer Isolation ganz und gar ihren Ganglien zu widmen.
Das verwirrt mich enorm. Haben Teenies nicht seit jeher die verdammte Pflicht zu kichern und zu giggeln, sich anzustupsen, mit den Augen zu rollen, halblaut aufzukreischen und sich meinethalben Handy-Textmeldungen vorzuflüstern, um wieder Gründe zum Kichern, Giggeln, Augenrollen und Halblautaufkreischen zu haben? Jeder von uns hat doch seinen Job zu tun hienieden. Und in der Welt, die ich kenne, gehört all das zur Stellenbeschreibung von Teenies dazu.
Doch diese beiden setzen sich nebeneinander und drehen sämtliche Sinne nach innen. In weiter Ferne, so nah. Und bis ich an der Davidstraße aussteige (nicht weit von diesem neuen, teeniepinken Waschsalon), bleibt das einzige Wort, das zwischen ihnen gefallen ist, dieses hier: „Wichser!“
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Cocaine blues“ von Joaquin Phoenix sowie „I can't stop“ und „Here I am (come and take me)“ von Al Green.
01 Januar 2006
Der Morgen danach
Als ich gegen halb zwölf zum Brötchenholen gehe, ist für erstaunlich viele die Silvesterparty noch voll im Gange. Am Hamburger Berg sind die Kneipen überfüllt, Menschen quellen heraus auf den Gehweg, bestens versorgt mit Getränken, innen wie außen.
Die Kaschemmen erbrechen dumpfe Beats. Aus dem Roschinskys torkelt mir ein Paar vor die Füße; die grell geschminkte rothaarige Frau ist schwer angeschlagen, sie atmet prustend aus mit knatternden Lippen, als müsste sie sich in der nächsten Sekunde übergeben.
Ich halte Sicherheitsabstand. Eine andere junge Frau läuft auf die Straße und lässt die Arme flattern wie ein Vogel; sie trägt eine ärmellose Bluse, die ihren Rücken fast gänzlich unbedeckt lässt, und quiekt: „Mir ist kalt!“ Ein Junge trottet ergeben hinter ihr her.
Über die Bürgersteige röhren schon unerbittlich die Reinigungsfahrzeuge, Passanten gehen unwillig beiseite. Überall liegen die Reste des Feuerwerks. Ihre Besitzer haben jegliches Interesse an ihnen verloren. Wenn man sie gestern Nacht aufgefordert hätte, die ausgebrannten Kartuschen, leeren Flaschen, die Scherben und zurückgebliebenen Raketenstöckchen wegzuräumen, sie hätten dich wahrscheinlich angeglotzt wie ein Alien. Wozu gibt es die Stadtreinigung?
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Rapture“ von Antony & The Johnsons, „Maybe I wish“ von Embrace und „Milk and honey“ von Jackson C. Frank.
Die Kaschemmen erbrechen dumpfe Beats. Aus dem Roschinskys torkelt mir ein Paar vor die Füße; die grell geschminkte rothaarige Frau ist schwer angeschlagen, sie atmet prustend aus mit knatternden Lippen, als müsste sie sich in der nächsten Sekunde übergeben.
Ich halte Sicherheitsabstand. Eine andere junge Frau läuft auf die Straße und lässt die Arme flattern wie ein Vogel; sie trägt eine ärmellose Bluse, die ihren Rücken fast gänzlich unbedeckt lässt, und quiekt: „Mir ist kalt!“ Ein Junge trottet ergeben hinter ihr her.
Über die Bürgersteige röhren schon unerbittlich die Reinigungsfahrzeuge, Passanten gehen unwillig beiseite. Überall liegen die Reste des Feuerwerks. Ihre Besitzer haben jegliches Interesse an ihnen verloren. Wenn man sie gestern Nacht aufgefordert hätte, die ausgebrannten Kartuschen, leeren Flaschen, die Scherben und zurückgebliebenen Raketenstöckchen wegzuräumen, sie hätten dich wahrscheinlich angeglotzt wie ein Alien. Wozu gibt es die Stadtreinigung?
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Rapture“ von Antony & The Johnsons, „Maybe I wish“ von Embrace und „Milk and honey“ von Jackson C. Frank.
31 Dezember 2005
Die Weinspende
Wir haben noch vier Flaschen 1999er Syrbec übrig. Der Rotwein, obzwar beileibe keine Plörre, gehört nicht zu unseren Favoriten. Zu säurebetont, ein wenig zu streng. Eine Flasche aus dem Sechserkarton haben wir getrunken und dabei die Mängel lokalisiert. Eine zweite bekam kürzlicher Besuch in die Hand gedrückt („Vielleicht schmeckt er euch ja!“). Die restlichen vier sollen heute verschenkt werden. Und zwar an Reeperbahnbettler.
Vor der Sparkasse sehe ich zwei erste Kandidaten. Der eine hilft dem anderen gerade beim Aufstehen, was nur mühsam vonstatten gehen will. Der Gehweg ist verschneit und glatt, und sie sind nicht gerade die Drahtigsten. Beide ächzen. Und die ganze Zeit wird traulich geplaudert. Ich wage nicht zu stören und hebe mir das Paar für den Rückweg auf. Falls dann noch Flaschen übrig sind. Wenn nicht: Pech für sie.
Nächste Station: Hamburger Berg. Sonst ist diese kleine Schmuddelecke am Kasino eine sichere Bettlerbank, heute aber silvesterlich verwaist. Also steige ich hinab in die S-Bahn-Station, wo die Erfolgsquote normalerweise hoch ist, wie bereits im Oktober einmal thematisiert. Doch auch hier niemand, der in Frage käme. Vor der Discothek La Rocca: keine Bettler. Aber der Eingangsbereich zum Fotografieren schön.
Bei manchem Passanten gibt es immerhin eine gewisse Schnittmenge zu Insignien des Bettlertums. Zum Beispiel diese leicht verlottert wirkenden jungen Bartstoppelträger mit ihren halbvollen Bierflaschen, die sie ungerührt mit bloßen Händen durch die Minusgrade tragen. Aber sie scheinen sich nur einzugrooven für den großen Knall heute Nacht. Unten an den Landungsbrücken werden sie sich wahrscheinlich die Kante geben. Vielleicht bringt sie das letztlich der Obdachlosigkeit näher, als sie jetzt einzusehen bereit wären, doch noch ist es nicht soweit. Nein, sie sind keine Weinkandidaten. Sie haben ja ihr Bier.
Aber dieser offenbar nicht unter Termindruck stehende Mann jenseits der besten Jahre an der Fußgängerampel Talstraße, dessen ebenfalls halbvolle Pilsbuddel neben ihm im Schnee steht? Hm. Soll ich ihn wirklich ansprechen, ihm Wein for free offerieren, ohne mir seines Obdachlosentums sicher sein zu können? Zu Recht könnte er meine Avance als beleidigend empfinden; und möglicherweise würde er dieser Verletzung seiner Gefühle sehr nachhaltig entgegentreten wollen.
Das möchte ich nicht. Also trage ich meinen Wein weiter, gehe die Reeperbahn in östlicher Richtung zurück. Doch keine Bettler, nirgends. Selbst die zwei Ächzer vor der Haspa sind inzwischen verschwunden. Auch vorm Steakhaus: nur Passanten, aber nicht die erhofften Punks mit ihren Hunden. Wahrscheinlich zieht es sie zwischen den Jahren doch wieder heim zu Mutti, um der alten Zeiten willen.
Ich erreiche das Ende der Reeperbahn, den Millerntorplatz. Letzte Chance U-Bahn-Eingang. Et voilà: Da ist er, mein Weinabnehmer. Es handelt sich um einen jener Hoffnungslosen, die alle Sprüche schon weggesagt haben. Jetzt steht er stumm und illusionslos da und wackelt müde mit seinem Plastikbecher. Kleingeld rasselt darin; das muss reichen als Verdeutlichung seines Anliegens.
Ein Bekannter von mir gibt übrigens niemals etwas bedingungslos. Er spendet stets zweckgebunden und möchte vom Bettler die verbale Zusicherung, mithilfe dieses Obolus’ ein warmes Essen zu erwerben und nicht Alkoholika oder Schlimmeres. Dieses moralische Almosengeben ist mir zuwider. Wenn ich schon etwas rausrücke, dann soll der Empfänger es auch nach Gutdünken verwenden. Warum sollte er sich damit sein Elend nicht sporadisch schöntrinken oder -fixen dürfen? Ein erhobener Zeigefinger ändert die Welt nicht.
Aber zwei Fläschchen Wein – vier scheinen mir zu viele für einen – können sie ändern, wenigstens für eine Weile. Der Mann mit dem rasselnden Kleingeld im Becher ist noch jung, vielleicht Ende 30. Doch seine Haare sind fahl und verstruppt, über lückenhaften Zahnreihen und einer leichten Hasenscharte wuchert ein verwahrloster Seehundschnauzer. Und an seinen Fingerknöcheln wachsen dicke milchige Blasen oder Geschwüre.
Er rasselt mich stumm an. „Darf ich Ihnen zwei Flaschen Wein schenken?“, frage ich und öffne die Tüte. Er schaut hinein und sagt zögernd: „ … Ja?“ Bitte schön, sage ich und reiche sie ihm. Danke, sagt er. „Haben Sie einen Korkenzieher?“, frage ich. Für alle Fälle führe ich einen als verschenkbares Zubehör mit. Aber er ist versorgt, und ich verabschiede mich.
Eine prosaische Begegnung. Aber letztlich erfolgreich im Sinne der Anklage.
Bleiben noch zwei Flaschen. Vielleicht werde ich sie morgen los – wenn sie wieder zurückkommen, die Reeperbahnbettler. Es hört sich zynisch an, aber: Ich würde sie vermissen.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Bird gherl“ von Antony & The Johnsons, „In the ghetto“ von Candi Staton und „Tonight“ von Iggy Pop.
Vor der Sparkasse sehe ich zwei erste Kandidaten. Der eine hilft dem anderen gerade beim Aufstehen, was nur mühsam vonstatten gehen will. Der Gehweg ist verschneit und glatt, und sie sind nicht gerade die Drahtigsten. Beide ächzen. Und die ganze Zeit wird traulich geplaudert. Ich wage nicht zu stören und hebe mir das Paar für den Rückweg auf. Falls dann noch Flaschen übrig sind. Wenn nicht: Pech für sie.
Nächste Station: Hamburger Berg. Sonst ist diese kleine Schmuddelecke am Kasino eine sichere Bettlerbank, heute aber silvesterlich verwaist. Also steige ich hinab in die S-Bahn-Station, wo die Erfolgsquote normalerweise hoch ist, wie bereits im Oktober einmal thematisiert. Doch auch hier niemand, der in Frage käme. Vor der Discothek La Rocca: keine Bettler. Aber der Eingangsbereich zum Fotografieren schön.
Bei manchem Passanten gibt es immerhin eine gewisse Schnittmenge zu Insignien des Bettlertums. Zum Beispiel diese leicht verlottert wirkenden jungen Bartstoppelträger mit ihren halbvollen Bierflaschen, die sie ungerührt mit bloßen Händen durch die Minusgrade tragen. Aber sie scheinen sich nur einzugrooven für den großen Knall heute Nacht. Unten an den Landungsbrücken werden sie sich wahrscheinlich die Kante geben. Vielleicht bringt sie das letztlich der Obdachlosigkeit näher, als sie jetzt einzusehen bereit wären, doch noch ist es nicht soweit. Nein, sie sind keine Weinkandidaten. Sie haben ja ihr Bier.
Aber dieser offenbar nicht unter Termindruck stehende Mann jenseits der besten Jahre an der Fußgängerampel Talstraße, dessen ebenfalls halbvolle Pilsbuddel neben ihm im Schnee steht? Hm. Soll ich ihn wirklich ansprechen, ihm Wein for free offerieren, ohne mir seines Obdachlosentums sicher sein zu können? Zu Recht könnte er meine Avance als beleidigend empfinden; und möglicherweise würde er dieser Verletzung seiner Gefühle sehr nachhaltig entgegentreten wollen.
Das möchte ich nicht. Also trage ich meinen Wein weiter, gehe die Reeperbahn in östlicher Richtung zurück. Doch keine Bettler, nirgends. Selbst die zwei Ächzer vor der Haspa sind inzwischen verschwunden. Auch vorm Steakhaus: nur Passanten, aber nicht die erhofften Punks mit ihren Hunden. Wahrscheinlich zieht es sie zwischen den Jahren doch wieder heim zu Mutti, um der alten Zeiten willen.
Ich erreiche das Ende der Reeperbahn, den Millerntorplatz. Letzte Chance U-Bahn-Eingang. Et voilà: Da ist er, mein Weinabnehmer. Es handelt sich um einen jener Hoffnungslosen, die alle Sprüche schon weggesagt haben. Jetzt steht er stumm und illusionslos da und wackelt müde mit seinem Plastikbecher. Kleingeld rasselt darin; das muss reichen als Verdeutlichung seines Anliegens.
Ein Bekannter von mir gibt übrigens niemals etwas bedingungslos. Er spendet stets zweckgebunden und möchte vom Bettler die verbale Zusicherung, mithilfe dieses Obolus’ ein warmes Essen zu erwerben und nicht Alkoholika oder Schlimmeres. Dieses moralische Almosengeben ist mir zuwider. Wenn ich schon etwas rausrücke, dann soll der Empfänger es auch nach Gutdünken verwenden. Warum sollte er sich damit sein Elend nicht sporadisch schöntrinken oder -fixen dürfen? Ein erhobener Zeigefinger ändert die Welt nicht.
Aber zwei Fläschchen Wein – vier scheinen mir zu viele für einen – können sie ändern, wenigstens für eine Weile. Der Mann mit dem rasselnden Kleingeld im Becher ist noch jung, vielleicht Ende 30. Doch seine Haare sind fahl und verstruppt, über lückenhaften Zahnreihen und einer leichten Hasenscharte wuchert ein verwahrloster Seehundschnauzer. Und an seinen Fingerknöcheln wachsen dicke milchige Blasen oder Geschwüre.
Er rasselt mich stumm an. „Darf ich Ihnen zwei Flaschen Wein schenken?“, frage ich und öffne die Tüte. Er schaut hinein und sagt zögernd: „ … Ja?“ Bitte schön, sage ich und reiche sie ihm. Danke, sagt er. „Haben Sie einen Korkenzieher?“, frage ich. Für alle Fälle führe ich einen als verschenkbares Zubehör mit. Aber er ist versorgt, und ich verabschiede mich.
Eine prosaische Begegnung. Aber letztlich erfolgreich im Sinne der Anklage.
Bleiben noch zwei Flaschen. Vielleicht werde ich sie morgen los – wenn sie wieder zurückkommen, die Reeperbahnbettler. Es hört sich zynisch an, aber: Ich würde sie vermissen.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Bird gherl“ von Antony & The Johnsons, „In the ghetto“ von Candi Staton und „Tonight“ von Iggy Pop.
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