09 Oktober 2005

Die armen alten Meister

Vivaldi wirkt offenbar auf Junkies wie Merz auf Merkel: abschreckend. Das zumindest soll der Grund sein, weshalb der Betreiber der Hamburger U-Bahn jedes Wochenende die Station St. Pauli mit lieblichen Klängen beschallt. Heute empfing uns „Für Elise“, letztens waren es die „Vier Jahreszeiten“. Davor die „Vier Jahreszeiten“ und auch mal „Für Elise“. Gern auch umgekehrt.

Und in der Tat, es scheint zu wirken: Auch heute waren weder Junkies noch Bettler zu sehen. Nur Touristen und phlegmatische Einheimische. Ich habe natürlich nichts gegen Beethoven oder Vivaldi, aber jeden Sonntag mit den abgedroschensten Gassenhauern des Klassikkanons geplagt zu werden, schreckt auch mich ein wenig ab – und ich bin kein Junkie. Warum also, lieber HVV, nicht auch mal Schostakowitsch oder Stockhausen? Meinetwegen auch Orff. Oder Satie?

Die entscheidende Frage bleibt aber auch mit dieser Auswahl unbeantwortet: Warum überhaupt scheuen Junkies klassische Klänge wie ein Wal die Wüste? Und wer hat das überhaupt herausgefunden? Wurden die Junkies etwa aufgefordert („Liebe Junkies, …“), auf einer Auswahlliste anzukreuzen, was sie schlimmer fänden, Motörhead oder Mozart?

Jedenfalls hätten es sich die Klassiker der Klassik wohl niemals träumen lassen, dass ihre größten und erfolgreichsten Stücke dereinst mal auf die Funktion einer Vogelscheuche reduziert werden würden. Hamburg hat das hingekriegt – Glückwunsch.

2 Kommentare:

  1. Und nun muß ich auch gleich noch Ihren ältesten Eintrag kommentieren, nachdem ich das Blog nun in seiner Gesamtheit gelesen habe.

    Jedenfalls ist es natürlich schon eine Frechheit, überhaupt die Vier Jahreszeiten zusammen mit Für Elise zu spielen. Denn Sie haben in bezug auf letzteres ja recht: Klassikschlagersülze. Aber die Vier Jahreszeiten, die dürfen nicht mal Sie schlechtmachen! Obwohl ich Ihnen aufgrund des Blogs ja schon einige Sonderrechte einräumen muß.
    ;-)

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  2. Keineswegs wollte ich Vivaldi schlechtmachen! Eine wunderschöne Komposition, die man zur Gänze und am Stück genießen sollte. Und auch „Für Elise“ ist natürlich nichts, wofür man Ludwig van verdammen darf. Es ist nur elend fantasielos, es immer wieder zu spielen. Und Junkies damit vertreiben zu wollen, ist geradezu verbrecherisch.

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