In der Altonaer Großen Bergstraße bauen sie ein neues Ikea-Möbelhaus. Besser gesagt: Momentan reißen sie noch die alten Gebäude ab und planieren die Fläche.
Es gab einigen Widerstand gegen das Projekt, aber als man in Altona eine Volksbefragung durchführte, entschied sich die Mehrheit der Bürger dafür. Demokratie ist manchmal unberechenbar.
Die Gegner sind gleichwohl noch aktiv und bekleben den Bauzaun gern mit antischwedischen Parolen in Blau-Gelb. Manche davon sind allerdings ein wenig arg simpel gestrickt, zum Beispiel die hier:
Sehr viel gelungener hingegen finde ich die unten folgende. Ihr vielschichtiger popkultureller Anspielungsreichtum korrespondiert aufs Entzückendste mit der absoluten Knappheit des Ausdrucks. So soll, so muss es sein.
Und wer jetzt nicht zu Hause sein Billyregal zu Klein(sperr)holz macht, glaubt wohl immer noch an Volksbefragungen.
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
07 April 2011
06 April 2011
Zwischenfall mit Handschellen
Ein Schrei unter unserem Balkon. Mitten auf der Seilerstraße liegt ein dunkelhäutiger Mensch, zwei hellhäutige Jeans- und Sweatshirttypen knien über ihm.
Ein Auto muss bremsen und beleuchtet die bizarre Szenerie. Ich gehe routiniert in den Flur, hole das Telefon, gehe wieder zurück. Inzwischen steht das Trio am Straßenrand, und gerade, als ich die Davidwache anrufen und Rassismus, Übergriff, Raub etc.pp. anzeigen will, zückt einer der Männer Handschellen und legt sie dem Dunkelhäutigen an.
Zivilfahnder? Zivilfahnder.
Ich lasse das Telefon sinken und verlege mich aufs abwartende Beobachten. Jetzt wird der Gefesselte durchwühlt. Passanten gehen vorüber, keiner fragt, was los sei. Sie drehen sich nicht mal um. Eine irgendwie besinnliche Ruhe liegt über der Szenerie.
Der Pass des Verhafteten wird ausgiebig studiert, man blättert in Papieren, keiner spricht. Und irgendwann nehmen sie den Gefangenen in die Mitte und schlendern gemütlich davon, Richtung Davidwache.
Na ja, wieder einen Anruf gespart.
05 April 2011
Ein toter Hase
Der dicke obdachlose Langbart trägt einen Filzzopf bis auf Rippenhöhe. In seinem Einkaufswagen, den er irgendwo konfisziert hat, stapeln sich prallvolle Pennytüten.
Wir stehen in der Königstraße an einer Fußgängerampel, als der verwahrloste Riese uns anspricht. Denn er hat eine Information für uns.
„Da liegt ein toter Hase“, sagt er und grinst über beide zugewucherte Backen, dass der Filzzopf wackelt.
Dann zückt er ein Teppichmesser – und schabt vorsichtig den Aufkleber „Ultra St. Pauli“ von einem Vorfahrtschild.
In einigen Metern Entfernung liegt wirklich ein toter Hase, mitten auf dem Gehweg. Vielleicht auch ein Kaninchen.
Ein verstohlener Seitenblick auf sein Teppichmesser zeigt keine Blutflecken. Dann wird die Ampel grün.
Wir stehen in der Königstraße an einer Fußgängerampel, als der verwahrloste Riese uns anspricht. Denn er hat eine Information für uns.
„Da liegt ein toter Hase“, sagt er und grinst über beide zugewucherte Backen, dass der Filzzopf wackelt.
Dann zückt er ein Teppichmesser – und schabt vorsichtig den Aufkleber „Ultra St. Pauli“ von einem Vorfahrtschild.
In einigen Metern Entfernung liegt wirklich ein toter Hase, mitten auf dem Gehweg. Vielleicht auch ein Kaninchen.
Ein verstohlener Seitenblick auf sein Teppichmesser zeigt keine Blutflecken. Dann wird die Ampel grün.
04 April 2011
Vorsicht: Körperflüssigkeiten!
In der altehrwürdigen „Kiez Klause“ (sic!), einer Kneipe mit CD-Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke „The winner takes it all“ ins Hirn geblasen bekommt, steht ein Getränk auf der Karte namens „Monatsblutung“.
Der Wortbestandteil „blut“ ist dabei rot eingefärbt, und zwar für all jene, die immer auch aufs Offensichtliche erst gestoßen werden müssen. Es gibt manche solcher Menschen; für sie ist eine solche visuelle Hilfe segensreich.
Wie auch immer: Eine spontane Umfrage im Mittrinkerkreis ergab eine äußerst geringe Bereitschaft, die „Monatsblutung“ einmal auszuprobieren. Möglicherweise hat sie ein Image- und sicher auch phasenweise ein Lieferproblem: Denn was ist, wenn die in … ähem … vollem Saft stehende Bedienung einmal nicht kommen kann? Serviert die „Kiez Klause“ dann statt „Monatsblutung“ einen unzureichenden Ersatz wie – sagen wir – Tomatensaft?
Ohne dieses Problem, dessen Thematisierung nur mit der mitternächtlichen Stunde und bestimmten zuvor konsumierten Flüssigkeiten erklärbar ist, befriedigend gelöst zu haben, fiel mir bereits das nächste auf: Die Tür des Herrenklos in der „Kiez Klause“ lässt sich nur halb öffnen, weil die CD-Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke Stücke von Haddaway (!) ins Hirn geblasen bekommt, direkt davorsteht.
Nehmen wir zum Beispiel an, Otti Fischer würde mal hier in der „Kiez Klause“ abhängen und nach acht bis zwölf Gläsern „Monatsblutung“ auf einmal dringend müssen, so gelänge es ihm mit an Sicherheit grenzender Wahscheinlichkeit nicht, das Herrenklo unfallfrei zu betreten.
Stattdessen würde der stattliche Bayer sich heillos im Türspalt verklemmen und käme erst wieder frei, nachdem er es einfach pladdern gelassen und so ausreichend an Volumen verloren hätte.
Das alles wäre natürlich schlimm und zu verurteilen, doch in Wahrheit ist die „Kiez Klause“ selbst daran schuld, weil sie ihre Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke ein Stück von Fury In The Slaughterhouse (!!) ins Hirn geblasen bekommt, zu nah an der Klotür aufgestellt hat.
Otti Fischers Malheur wäre freilich trotz seiner Außergewöhnlichkeit immer noch eine weit geringere Sensation als jenes der gleichen Sphäre zugehörige Kunststück, das ein Amazonverkäufer in seiner Produktbeschreibung anzukündigen weiß.
Dort steht nämlich: „SCHIFFE AUS PORTLAND, OREGON, USA“.
So was geht natürlich nur mit unglaublich viel Druck auf der Leitung – und den dauerhaft garantieren zu können, dafür gebührt diesem tapferen Amerikaner jener Respekt, den man Otti Fischer trotz allem nur eingeschränkt entgegenbringen möchte.
Der Wortbestandteil „blut“ ist dabei rot eingefärbt, und zwar für all jene, die immer auch aufs Offensichtliche erst gestoßen werden müssen. Es gibt manche solcher Menschen; für sie ist eine solche visuelle Hilfe segensreich.
Wie auch immer: Eine spontane Umfrage im Mittrinkerkreis ergab eine äußerst geringe Bereitschaft, die „Monatsblutung“ einmal auszuprobieren. Möglicherweise hat sie ein Image- und sicher auch phasenweise ein Lieferproblem: Denn was ist, wenn die in … ähem … vollem Saft stehende Bedienung einmal nicht kommen kann? Serviert die „Kiez Klause“ dann statt „Monatsblutung“ einen unzureichenden Ersatz wie – sagen wir – Tomatensaft?
Ohne dieses Problem, dessen Thematisierung nur mit der mitternächtlichen Stunde und bestimmten zuvor konsumierten Flüssigkeiten erklärbar ist, befriedigend gelöst zu haben, fiel mir bereits das nächste auf: Die Tür des Herrenklos in der „Kiez Klause“ lässt sich nur halb öffnen, weil die CD-Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke Stücke von Haddaway (!) ins Hirn geblasen bekommt, direkt davorsteht.
Nehmen wir zum Beispiel an, Otti Fischer würde mal hier in der „Kiez Klause“ abhängen und nach acht bis zwölf Gläsern „Monatsblutung“ auf einmal dringend müssen, so gelänge es ihm mit an Sicherheit grenzender Wahscheinlichkeit nicht, das Herrenklo unfallfrei zu betreten.
Stattdessen würde der stattliche Bayer sich heillos im Türspalt verklemmen und käme erst wieder frei, nachdem er es einfach pladdern gelassen und so ausreichend an Volumen verloren hätte.
Das alles wäre natürlich schlimm und zu verurteilen, doch in Wahrheit ist die „Kiez Klause“ selbst daran schuld, weil sie ihre Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke ein Stück von Fury In The Slaughterhouse (!!) ins Hirn geblasen bekommt, zu nah an der Klotür aufgestellt hat.
Otti Fischers Malheur wäre freilich trotz seiner Außergewöhnlichkeit immer noch eine weit geringere Sensation als jenes der gleichen Sphäre zugehörige Kunststück, das ein Amazonverkäufer in seiner Produktbeschreibung anzukündigen weiß.
Dort steht nämlich: „SCHIFFE AUS PORTLAND, OREGON, USA“.
So was geht natürlich nur mit unglaublich viel Druck auf der Leitung – und den dauerhaft garantieren zu können, dafür gebührt diesem tapferen Amerikaner jener Respekt, den man Otti Fischer trotz allem nur eingeschränkt entgegenbringen möchte.
03 April 2011
02 April 2011
To do or not to do
Diese schöne Abhakliste pappt an einem Hauseingang in der Clemens-Schultz-Straße (ja, ihr Investoren: So sehen Hauseingänge in St. Pauli aus. Lohnt sich also nicht. Alles vergammelt.).
Besonders schön finde ich ein paar der noch offenen Punkte – zum Beispiel „einen Tag nicht kiffen“ oder das mit Verzweiflung kontaminierte „klarkommen“.
Für das ebenfalls noch zu erledigende „alles braun-weiß anmalen“ hingegen ist nach einem Abend wie diesem (gegen Schalke verloren, zwei Platzverweise, Spiel abgebrochen) die Motivation sicher erst mal im Keller.
Aus mentalen Gründen sollte daher die Steuerabrechnung vorgezogen werden.
01 April 2011
Gebratene Eier wären jetzt lecker (gewesen)
Ich bin ganz ruhig.
ICH BIN GANZ RUHIG.
Halten wir die Sache also sachlich und frei von negativen Emotionen.
Zum Thema: Mir wurde wieder mal mein Fahrrad gestohlen. Es war der sechste Fall dieser Art. Mein Fahrrad war mit einem angeblich unzerstörbaren Abus-Kettenschloss an einem weiterhin unversehrten Geländer vor der Kindertagesstätte in der Seilerstraße angeschlossen.
Es handelt sich dabei um ein Batavus-Hollandrad mit leuchtend blauer Zweitklingel (die auf dem Foto leider noch nicht zu sehen ist). Wer mir Hinweise auf den Dieb oder den Verbleib des Fahrrads geben kann, wird reich belohnt.
Ansonsten bin ich ganz ruhig. ICH BIN GANZ RUHIG. Abgesehen von der Tatsache, dass ich dem Täter gerne die Testikel abschneiden, sie anschließend pürieren, braten und ihm in den Schlund stopfen möchte. Aber das nur nebenbei.
(Dieser Text stand für kurze Zeit am Dienstag schon mal hier, entpuppte sich aber als völliger Quatsch, weshalb ich ihn wieder runternahm, was allerdings einige irritierte Nachfragen hervorrief. Inzwischen verfüge ich jedenfalls wieder über das Fahrrad, weil mir irgendwann einfiel, wo ich es in Wirklichkeit angeschlossen hatte. Es tat trotzdem erschreckend gut, diesen Text zu schreiben, besonders den letzten Absatz. Ich bereue nichts. Deshalb und als Dokument spontan aufflammender, aber hoffentlich singulärer Senilität soll er nun hier doch noch eine langfristige Heimstatt finden.)
31 März 2011
Mehrfacher Autocontent
Ach ja, der Kiez mal wieder.
In der Wohlwillstraße steht am Straßenrand ein dunkler Mittelklasseviertürer. Als ich vorüberradle, öffnet sich plötzlich die hintere linke Tür und eine helle, leicht hysterische Stimme ruft: „Kann mir mal jemand das Kleid zumachen?“
Auf dem Spielbudenplatz hingegen sind kurz darauf sechs kräftige Erwachsene dabei, unter entsetzlichem Ächzen, Stöhnen und Kannstenichtaufpassen ein kleines rotes Auto hochkant in ein großes weißes Auto zu wuchten.
Fragen Sie mich bitte nicht, warum und wieso oder was das alles zu bedeuten hat.
Ich bin nur der Chronist, nichts weiter.
30 März 2011
Geigenzähler bei Mogwai
Wer von einem Tinnitus geheilt werden möchte, sollte ein Mogwai-Konzert besser meiden. Die Schotten gelten als lauteste Band der Welt, doch am Montagabend im Grünspan schafften sie es letztlich nicht, unseren Ohrschutz komplett zu zerlegen.
Der Schalldruck in der Halle war dennoch – sofern man religiösen Metaphern zuneigt – entweder göttlich oder infernalisch, je nach Sichtweise, und nach dem Konzert lag eine gewisse Patina auf den Gehörgängen.
Vor uns an der Balustrade hielt sich eine junge Irre, die niemand aufgeklärt hatte, mit bloßen Fingern die Ohren zu. Ich merkte, wie ich kopfschüttelnd lächelte.
Wir, der Einheitskanzler und ich, sahen zwar fast nichts von der Band, da wir auf dem Balkon in der zweiten Reihe standen, doch ich erhaschte einen Blick auf einen kurzzeitig anwesenden Musiker mit Geige.
„Hast du den Geiger gesehen?“, brüllte ich dem Einheitskanzler zu.
„Nein“, brüllte er zurück, „momentan denke ich sowieso nur an Geigerzähler!“
„Ich habe nachgezählt“, schrie ich ihn nach Kräften an, „es war nur einer.“
Und so gelang es uns, auch diesem brachialen Abend, der ansonsten von heiligem Ernst geprägt war, eine gewisse heitere Note zu verleihen.
Grund für nicht nur ein Prösterchen mit Plastikbechern.
28 März 2011
27 März 2011
Was sind das bloß für Menschen?
Es ist für mich außerordentlich schwer vorstellbar, dass es wirklich und wahrhaftig Menschen gibt, die für die Möglichkeit, einen Kühlschrank (1) zu betreiben, die jahrtausendelange Unbewohnbarkeit ganzer Landstriche in Kauf nehmen. Und genau das wäre nun mal unweigerlich die Konsequenz, wenn es in einem Atomkraftwerk zu einem Super-GAU käme.
Ginge zum Beispiel Brunsbüttel in die Luft, müsste man Hamburg aufgeben, für alle Zeiten. Und geht Fukushima noch in die Luft, könnte es durchaus sein, dass man Tokio aufgeben muss, einen Ballungsraum von 35 Millionen Enwohnern. Die wirtschaftlich nutzbare Fläche Japans sänke um zehn Prozent, das Weltwirtschaftswachstum ginge in der Folge um ein Prozent zurück.
Und das alles wegen eines einzigen popeligen AKWs am Meer.
Es gibt dummerweise weltweit Hunderte solcher Kraftwerke, jedes einzelne davon in der Lage, einen Ballungsraum von der Größe Tokios zu gefährden. Das alles ist bekannt und belegt; der Super-GAU von Tschernobyl hat solche Szenarien nur bestätigt.
Trotzdem gibt es erstaunlicherweise Menschen, die eine derart apokalyptische Technologie allen Ernstes für tolerabel halten. Und nicht nur das: Sie stellen sogar die überragende Mehrheit in unserem Land. Sonst hätten in den vergangenen Jahrzehnten wohl kaum immer wieder genau solche Parteien die Macht übertragen bekommen, die ebenfalls von Herzen gern das Risiko jahrtausendelanger Unbewohnbarkeit ganzer Landstriche in Kauf nehmen.
Aber was sind das für Menschen? Wissen sie nicht, oder wollen sie nicht wissen? Belügen sie sich selbst, oder lassen sie sich nur zu gern belügen?
Wie auch immer: Heute war eine Viertelmillion anderer Menschen auf der Straße. Jene nämlich, die es verantwortungslos und wahnsinnig finden, für das Betreiben eines Kühlschrankes dieses Risiko zu tragen.
Ms. Columbo und ich liefen auch mit, wir sahen Plakate, auf denen „Merkel in die Asse“ oder „Fuckushima“ stand, und wir sahen gelbe Fahnen, die – symbolträchtig – in der Sonne glänzten. Aber wir und die anderen sind nur eine verschwindend kleine Minderheit. Eine Viertelmillion zwar, aber viel zu wenige.
In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werden heute wieder mehrheitlich jene gewählt werden, die seit Jahrzehnten die Unbewohnbarkeit ganzer Landstriche in Kauf nehmen.
Für einen Kühlschrank.
(1) Achtung: Metapher!
26 März 2011
Keine Karten, nirgends
Schon wieder ging eine Saison dahin, die von dauerhaftem Misserfolg geprägt war. Obzwar seit Jahren Mitglied des FC St. Pauli, gelang es mir erneut kein einziges Mal, eine Karte für ein Heimspiel zu ergattern. Heute auch wieder nicht.
Für die letzten beiden Partien gegen Bremen und Bayern lief ab 10 Uhr morgens der sogenannte „Vorverkauf“, wie der FC St. Pauli dieses Procedere bezeichnet. Der „Vorverkauf“ besteht im Wesentlichen aus einer besetzten Telefonleitung und einer nicht funktionierenden Onlinepräsenz.
Auch die Webseite „Mitgliederverkauf“ half mir nicht weiter: Ich hätte mich zwar schon liebend gerne verkauft, aber dort gab es nur keine Karten. Dabei hatte zu Saisonbeginn alles recht hoffnungsvoll angefangen. Letzten Sommer erzählte mir nämlich ein Fitnesskollege, er kenne da einen, der einen kennte, der Dauerkarten besorgen könne. Ich war elektrisiert.
Als ich Wochen später noch mal aufgeregt nachfragte, klang das allerdings schon erheblich vager. Irgendwann schien es ihm sogar unangenehm zu sein, mit seiner Aussage vom Sommer behelligt zu werden. Auch er selbst vermochte es anscheinend nie, sich Einlass ins Millerntorstadion zu verschaffen.
Vielversprechender erschien mir da schon die Mail eines treuen Bloglesers. Er deutete Kontakte zur Führungsetage von Hertha BSC an, dort können man möglicherweise was für mich tun. „Hertha BSC?“, fragte ich zurück. „Was um alles in der Welt haben die mit dem FC St. Pauli zu tun? Wie kann mir ein Zweitligist eine St.-Pauli-Dauerkarte beschaffen?“
Nun, von Chefetage zu Chefetage, raunte der Informant, rede man eben ganz anders miteinander, vertrauter, ja geradezu ermöglichender. Ich signalisierte höchstes Interesse, ja präventive Begeisterung. Doch der Kontakt riss ab, und das lag keineswegs an mir. Das Verstummen dieses Menschen signalisierte jedenfalls eine gewisse Beschämung.
Der Effekt wieder mal: keine Dauerkarte. Als größten Erfolg der Saison muss ich daher nun verbuchen, dass mir die Mitgliederzeitschrift des FC St. Pauli zum Geburtstag gratuliert hat. Außerdem erwarb ich frustriert – das nennt man wohl Sublimation oder so – mehrere Karten für HSV-Heimspiele. Einfach so – eingeloggt, ausgewählt, bezahlt, und gut war.
Aber das muss unbedingt unter uns bleiben.
24 März 2011
Fundstücke (128)
Eins der betrüblichen Probleme, die durchs Kiffen entstehen, ist nachlassende Artikulationsfähigkeit. Jedenfalls dürfte sich kein zufällig vorbeilaufender Politiker von diesem verunglückten Imperativ zu einer Gesetzesinitiative angespornt fühlen.
Zur Strafe muss der unbekannte Hanffan, der gern Teil einer Jugendbewegung wäre und diesen Spruch an eine Wand in Klein-Flottbek sprühte, auch weiterhin zehnmal so viel für seinen Joint zahlen, als wenn das Kraut legal wäre.
23 März 2011
Eine kleine Hafenstraßenfotoschau
Wir kennen die ganze Geschichte ja nur vom Hörensagen. Damals in den 80ern muss es gewaltig gekracht haben in der Hafenstraße. Besetzte Häuser, Räumkommandos, Steine, Knüppel, Blut auf dem Bürgersteig: das ganze Programm.
Die Häuser stehen immer noch, die einstigen Besetzer sind längst Mieter, jetzt gibt es Cafés in der Hafenstraße und sogar Spitzenrestaurants – wie das Schauermann. Obwohl wir dachten, uns den Kiez kulinarisch weitgehend erschlossen zu haben (was, wie ich zugeben muss, keine Herkulesaufgabe ist), gelang es diesem Restaurant über Jahre, sich vor uns gleichsam wegzuducken. Doch heute war es dran.
Wenn man drin sitzt in Gesellschaft von weißen Kerzen und dicken Stoffservietten, dann zeigt der Blick durchs Fenster die in Dock 10 (Foto) dümpelnde Aida Cara und der auf den Teller Doradenfilet auf Artischocken-Fenchelragout. Das Leben kann so schön sein (wenn man nicht als Dorade geboren wurde. Oder Fenchel.).
An vielen Nachbarhäusern des Schauermann aber sind die Spuren der Kämpfe von einst noch immer sichtbar – und vor allem die weiterhin widerständige Gesinnung der längst etablierten Bewohner.
Die Dialektik des Kiez tritt kaum irgendwo deutlicher zutage als hier, in einer der besten Wohnlagen der Innenstadt. Eine kleine Hafenstraßenfotoschau wird das nun beweisen, kommentarlos.
22 März 2011
21 März 2011
Fundstücke (127)
1. Es ist beruhigend, dass die Öffentlich-Rechtlichen bei der Besetzung von Talkshowjobs weiterhin auf Sachkompetenz setzen und auf nichts anderes.
2. Nach den oben genannten Kriterien wäre natürlich auch gegen den Popstar Iz („What a wonderful world“) als Talkmaster nichts zu sagen, aber leider ist er schon tot.
3. Mensch, 3. Liga, jetzt reiß dich aber mal zusammen. Fünfmal Nullnull an einem Spieltag: Das sind genau die italienischen Verhältnisse, die wir hier nicht haben wollen. Dann lieber Bunga-Bunga.
4. Viel zu negativ ginge es hier zu, immer würde gemäkelt, moniert, in offenen Wunden gebohrt, bessergewusst und herumkritikastert: Das sind so Vorwürfe an dieses Blog, die mir zum Glück noch niemand gemacht hat. Dennoch folgt hier und jetzt nun präventiv ein Lobpreis. Und zwar an den Fußbodenschleifmaschinenverleih in der Grindelallee für die multiple Vermeidung von Deppenbindestrichen.
20 März 2011
Moraltest mit Sitzkissen
Wenn man bei überschaubaren neun Grad Außentemperatur die Bundesligapartie Hamburger Sportverein gegen den 1. FC Köln besuchen will, sollte man unbedingt ein Sitzkissen mitnehmen. Die Plastikschalen im Stadion sind nämlich kälter als Eisbärschnauzen, sogar im Sommer.
Zum Glück stehen mir standardmäßig zwei entsprechende Polsterunterlagen zur Verfügung: eine mit dem Emblem des FC St. Pauli drauf (= taktisch womöglich unklug) und eine von der WM 2006 (= perfekt).
In der S-Bahn stelle ich allerdings fest, keine der beiden eingesteckt zu haben.
Eine Erkenntnis, die mir liebend gern den Nachmittag vergällen möchte; allerdings weiß ich da noch nicht, dass mich droben in Stellingen noch erheblich Vergällenderes erwarten wird. Doch dazu später.
Als ich im Stadion sitzkissenlos und missmutig Richtung Block 21B unterwegs bin, fällt plötzlich einer eislutschenden Frau vor mir etwas runter, ohne dass sie es bemerkt.
Es ist – ungelogen, vallah! – ein Sitzkissen.
Das Prachtexemplar seiner Art ist zwar mit allen Insignien des HSV versehen, doch andererseits auch verführerische fünf Zentimeter dick und anscheinend aufs Funktionalste gepolstert und gedämmt – von so etwas, sagen wir es rundheraus, träumt bei neun Grad Außentemperatur jeder Arsch.
Und es liegt vor meinen Füßen. Ich brauche es nur aufzuheben.
Das Spiel entwickelt sich sehr schnell sehr unschön. Die Kölner Spieler scheinen alle spontan an Narkolepsie erkrankt zu sein. Sie wachen erst auf, als sie 0:4 hinten liegen. Immerhin geht das zerschmetternde 2:6 als torreichstes Livespiel meiner Bundesligakarriere in die Geschichte ein. Na super.
Das verlorene Sitzkissen hatte ich übrigens dann doch der Frau hinterhergetragen. Zwei Stunden lang ein kalter Hintern: Das muss einem das Karma schon wert sein.
(Verdammt.)
19 März 2011
Keinesfalls ein Biber
Normalerweise jagt die Polizei auf St. Pauli Schläger und Messerstecher, manchmal auch Diebe, Mörder oder Hurenlohnpreller. Heute aber mal nicht, sondern einen kapitalen Nager.
Das Tier flitzte in der Seilerstraße über den Bürgersteig, entwischte zwischen Bänkenbeinen, brachte Frauen zum Kreischen und beschäftigte so summa summarum ein Dutzend Menschen.
Gleich mehrere Polizisten waren darunter, auch Passanten halfen. Irgendwann war das Tier im Käfig, und die Beamten wurden belobigend abgeklatscht – eine auf dem obrigkeitsskeptischen Kiez eher seltene Szene.
Doch um was für einen Faunavertreter handelte es sich bloß? „Ein Biber“, vermutete Ms. Columbo, die Stadtpflanze. Allerdings fehlte der charakteristische abgeplattete Schuppenschwanz.
Irgendeiner der Schaulustigen warf ein inkompetentes „Iltis!“ in die Runde, doch auch das war grundfalsch, denn ein Iltis endet (laut Google-Bildersuche) enorm buschig. Dieses praktisch hühnergroße pelzige Etwas, welches das ganze Tohuwabohu mit geradezu Dalai-Lama-esker Gelassenheit ertrug, begnügte sich indes mit einem langen dünnen Schwanz.
War es vielleicht eine Beutelratte? Eine Rüsselmaus? Ein dank Brokdorf mutierter Hamster gar? Die Sache blieb letztlich ungeklärt. Und die Polizisten zogen zufrieden und käfigschwenkend ab, um sich hinfort wieder den angestammten Tätigkeiten zu widmen – nämlich der Jagd auf Schläger und Messerstecher, Diebe, Mörder oder Hurenlohnpreller.
18 März 2011
Ein Griff ins Klo
Manchmal schäme ich mich schon ein wenig für die Stadt, in der ich lebe. Zum Beispiel neulich, als wir am abgebildeten Straßenschild vorbeikamen.
Irgendwann muss irgendjemand im Hamburger Senat gesagt haben: Gut, dieser Hahnemann hatte zwar die klapsmühlenkompatible Idee, Wasser habe eine Erinnerung, was ja bedeuten würde, dass alles, was jemals die Toilette runtergespült wurde, in jedem Tropfen, den wir trinken, nachwirkt; aber lasst uns diesem Volksverdummer trotzdem einen Straßennamen widmen.
Natürlich hätte man diesen Senator einfach auslachen können oder ihn alternativ belobigen für diesen gelungenen Witz. Doch der Senat tat nichts dergleichen, sondern sagte: klar, machen wir.
Und so kam es, dass ich mich wieder mal ein bisschen schämen muss für die Stadt, in der ich lebe. Aber das ist ja nicht in Stein gemeißelt, sondern nur in Emaille; es kann korrigiert werden. Hiermit möchte ich daher eine Blamageneliminierungskampagne anregen, die Peinlichkeiten aus dem Stadtbild entfernt.
Olaf, wie wär’s?
17 März 2011
Duo wider Willen
Ich hatte mein Fahrrad an einen bereits von einem weiteren Fahrrad benutzten Pfosten vorm Mercado angeschlossen. Als ich zurückkam, war meins plötzlich ans Nachbarrad angekettet, und ich konnte nicht mehr weg.
Noch ehe ich empört zu Maßnahmen greifen konnte, die ich später gewiss bereut hätte, stand unversehens ein massiger Mann vor mir, dessen körperliche Fülle durch babyhaft weiche, wenngleich grobporige Gesichtszüge noch unterstrichen wurde. Zudem umspielte exakt jenes bittere Lächeln seine Mundwinkel, welches weniger von Amüsiertheit als mühsam unterdrücktem Ärger herrührte.
„Sie haben mein Fahrrad an Ihres angeschlossen“, sagte er überraschend genau jenen Satz, der mir ebenfalls auf der Zunge lag und mir nun ein beschämend defensives „Wie bitte?“ aufzwang.
Zweifellos, vor mir stand der Fremdfahrradlenker, mein unbekannter Nachbar am Pfosten. Und in der Tat hatte ich, wie eine für mich wenig schmeichelhafte Beweisaufnahme ergab, versehentlich mein Kettenschloss durch jenen Halbkreis geführt, den sein überdünner, quasi unsichtbarer Bremszug in die Luft zwischen Lenker und Vorderrad malte. Das alles lag auf der Hand, auch jetzt noch, es war die berühmte smoking gun, und dadurch geriet ich natürlich sofort entscheidend in die Defensive.
Nachdem der Mann jedenfalls bei seiner Rückkehr das Malheur entdeckt hatte, beschloss er, den Spieß umzudrehen und mein Fahrrad nun auch mit seinem zu verbinden. Doppelt hält halt besser; jeder zufällig vorüberflanierende Gelegenheitsfahrraddieb hätte verzweifelt von diesem aneinandergeschmiedeten Drahteselduo abgelassen.
Anschließend hatte sich der zum Verweilen verdammte Mann verärgert ins Bistro gegenüber ans Fenster gesetzt und die Lage im Blick behalten, bis ich auftauchte. Nun, da er mich in flagranti gestellt hatte, war eine für mich durchaus peinliche Situation entstanden, von der ich sofort wusste, dass sie heute Abend – also jetzt – verbloggt und mit dem Etikett „Panne“ versehen werden würde.
Ich entschuldigte mich wortreich und versuchte abschließend, mit einem mitfühlenden „Haben Sie lange gewartet?“ sein bitteres Lächeln in ein nachsichtiges zu verwandeln. Was allerdings nur unzulänglich gelang.
„Ich habe einen Kaffee getrunken“, antwortete er so schmallippig, wie es seinem übergroßen Babymund möglich war, während er sein Fahrrad abschnallte und ich meins. „Darf ich Ihnen den bezahlen?“, charmierte ich. „Gut“, sagte er.
Und so kam es, dass ich mitten auf der Straße einem Wildfremden eine Zwei-Euro-Münze in die Hand drückte, ohne dass der Mann ein Bettler war.
Wahrscheinlich muss ich nicht erwähnen, dass der Franke sich im Hintergrund beömmelte bis an den Rand des Schließmuskelversagens.
Und deshalb tu ich’s auch nicht.
PS: Das abgebildete Rad zeigt natürlich nicht meins, sondern ein ganz anderes, dem es erheblich schlechter ergangen ist, als nur aus detektivischen Gründen angekettet zu werden. Man muss schließlich immer die Relationen sehen.
Abonnieren
Posts (Atom)