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16 Februar 2011
Mit links
Wenn man bereits ein krankes Knie sein eigen nennt und legt sich dann auch noch blitzeisbedingt mit dem Fahrrad lang hin:
Ist es dann eigentlich besser, aufs lädierte Knie zu donnern oder doch lieber aufs andere, bisher gesunde – mit der Konsequenz, somit überhaupt kein voll funktionsfähiges Gelenk mehr verfügbar zu haben?
Das sind Fragen, mit denen ich mir zurzeit das Hirn martere. Jedenfalls knallte ich aufs rechte, das jetzt noch malader ist als vorher. Mein linkes hingegen funktioniert astrein, dafür könnte ich es knutschen.
Das ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Handgelenk hätte hingegen besser nicht ausgerechnet das rechte sein sollen. Es ist nämlich, wie sich herausgestellt hat, von erstaunlicher Diffizilität, sich mit links ein Brot zu schmieren. Das sollte man in guten Zeiten öfter üben – nur so als Tipp.
Doch das ist eh alles pillepalle, es gibt zurzeit Wichtigeres in der Stadt: Das vorletzte Woche dem Wetter zum Opfer gefallene Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli steht endlich an. Prompt schneit es sei heute wieder aus allen Löchern, als fände Frau Holle den Termin erneut nicht dolle.
Die Stadt aber ist nicht nur wetterbedingt im Ausnahmezustand: Wie es heißt, soll die Polizei vorsorglich schon mal den größten verfügbaren Wasserwerfer betankt haben.
Wohnten wir im Erdgeschoss, ich würde alle Fenster verrammeln – mit der gleichen Anmut und Eleganz übrigens, wie ich mir zurzeit ein Butterbrot schmiere.
15 Februar 2011
Ausnahmesituation
Wann immer ich in den vergangenen Jahren das Obdachlosenlager an der Simon-von-Utrecht fotografierte, gewann das Motiv seinen widersprüchlichen Reiz aus einer ganz speziellen Wechselwirkung zwischen Reklame und Elend.
Meist schien das Werbemotiv auf geradezu absichtlich zynische Weise das Schicksal der Heimatlosen zu seinen Füßen zu kommentieren (zum Beispiel hier, hier und hier). Heute aber motivierte mich erstmals genau das Gegenteil zur fotografischen Dokumentation der Szenerie.
Denn ausgerechnet die Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt hat diesen Werbeplatz gebucht, und endlich ist die Gesamtsituation dort harmonisch und homogen. Kein Hintersinn, kein Sarkasmus, keine Bösartigkeit lädt die Lage mit Symbolik und Sozialkritik auf. Man sieht nur eine Werbung, die von der Realität bestätigt wird und umgekehrt.
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Der polnische Obdachlose – nennen wir ihn Jaczek A. – war übrigens damit einverstanden, fotografiert zu werden. Trotzdem war es mir sehr unangenehm, die Linse auf ihn zu richten. Sie verwandelte sich dabei unversehens in eine Waffe, die auf einen Schutz- und Wehrlosen gerichtet war.
Trotzdem schien mir das Motiv wichtig genug, um mich über die Obszönität der Situation hinwegzusetzen. Denn wenn Jaczek A. schon mal nicht von einem Werbeslogan für Wohlstandsbürger düpiert und veralbert wird, dann sollte das ebenfalls dokumentiert werden.
Es wird eh die Ausnahme bleiben, so viel ist sicher. Demnächst wirbt an dieser Stelle wieder irgendjemand für „Kokowääh“, Flatratetarife oder den Heidepark Soltau.
Vielleicht auch für wahnsinnig günstige Baukredite.
14 Februar 2011
So weit ist es in Deutschland schon gekommen
Vor der Postfiliale steht ein falsch geparkter Pinneberger Nissan Micra mit eingeworfener Heckscheibe. Der dazu missbrauchte Pflasterstein liegt noch auf der Rückbank.
Vorn auf der Ablage macht sich ein Exemplar der BILD-Zeitung breit, auf dem Beifahrersitz ein roter Mantel. Man muss sich Sorgen machen.
Plötzlich tapst ein älterer kleiner Herr mit Hut heran. Sein Gesicht ist grau und geprägt von faltigen Hautlappen. Ihn umschlottert ein Trenchcoat, der erstaunlich treffsicher seiner Gesichtsfarbe entspricht. Der Mann stellt eine leere Limonadenflasche auf dem Dach ab und kramt nach dem Autoschlüssel.
„Ist das Ihr Wagen?“, frage ich. „Das ist meine Strafe“, sagt er mit dem Anflug eines bitteren Lächelns und schließt die Fahrertür auf. Ich schaue wohl irritiert, denn er sieht sich zu einer Erklärung veranlasst.
„Das waren Jugendliche, denen ich die Wahrheit gesagt habe über die Sexualität von Männern“, salbadert er mit leiser, fast tonloser Stimme und schiebt nach kurzem Zögern „und Frauen“ nach. „Man darf ja in diesem Land“, ergänzt er, „nicht mehr die Wahrheit sagen, sonst wird man bestraft.“
Himmel hilf, ein Schwätzer. Ich hätte ihn gar nicht erst ansprechen sollen. Und ich werde ihn keinesfalls fragen, was denn die Wahrheit sei über die Sexualität von Männern (und Frauen), obwohl das ja ein Rätsel ist, welches noch keine befriedigende Erklärung gefunden hat im Lauf der letzten 200.000 Jahre.
Ob ich eine Werkstatt wüsste, wo er seine Autobatterie wieder aufladen könne, fragt er. Ich empfehle ihm die Tankstelle am Spielbudenplatz, keine 100 Meter entfernt. „Ach, die Esso“, winkt er ab. „Dort hat neulich ein Ausländer einen Deutschen rausgeworfen. Soweit sind wir in Deutschland schon gekommen, dass ein Ausländer einen Deutschen rauswerfen kann“, klagt er mit seinem leisen Stimmchen.
Mit einem barschen „So ein Quatsch“ lasse ich ihn stehen. Ich hätte ihn wirklich gar nicht erst ansprechen sollen. Wer in Deutschland einen Satz beginnt mit „Soweit sind wir in Deutschland schon gekommen, dass …“, der bewirbt sich damit jedenfalls inniglich um das Recht, kostenlos die Heckscheibe seines Nissan Micra eingeworfen zu bekommen.
Zumal seine Vaterlandsliebe so tief wohl doch nicht ist – sonst hätte er sich ein deutsches Auto zugelegt, nicht wahr.
13 Februar 2011
Wahlkampf absurd
Der federführend an der neulich in diesem Blog aufgedeckten Römerverschwörung in der CDU beteiligte Dennis Gladiator (Wahlkreis Bergedorf) sieht seinem Altonaer Konkurrenten Ploetz von der Piratenpartei verdächtig, ja geradezu alarmierend ähnlich …
… während die homöopathiegläubige Grünenchefin Renate Künast sich erschreckenderweise nicht mal mehr selber ähnelt:
Was macht die Politik nur aus den Menschen?
Es ist erschütternd.
… während die homöopathiegläubige Grünenchefin Renate Künast sich erschreckenderweise nicht mal mehr selber ähnelt:
Was macht die Politik nur aus den Menschen?
Es ist erschütternd.
12 Februar 2011
Endlich mal nicht grundlos verdächtig
An der Max-Brauer-Allee husche ich im letzten Moment mit dem Fahrrad über die Fußgängerampel, obwohl sie, wie ich zugeben muss, bereits die Farbe von Draculas Lieblingsgetränk angenommen hatte.
Auf der Verkehrsinsel in der Mitte der Straße stoppe ich daher; die zweite Hälfte will ich angesichts des bereits losgerollten Verkehrs lieber bei Grün absolvieren. Als ich so dastehe, bemerke ich, wie hinter mir ein Wagen auf die Insel fährt und anhält.
Ein Streifenwagen, um genau zu sein.
Anscheinend stand er in der ersten Reihe, als ich illegal die Straße querte. Er hatte also einen Logenplatz. Gleich drei Uniformierte steigen aus, eine Frau und zwei Männer.
Der Fahrer, ein muskulöser Typ mit Aknenarben und ohne Zweifel Anführer der Besatzung, stützt sich auf die Wagentür, beugt sich aus der lichten Höhe von knapp zwei Metern zu mir herab und sagt: „Steigen Sie bitte mal vom Rad.“
Ich zittere ja sowieso schon, wenn ich der Polizei begegne, und signalisiere so stets ein grundlos schlechtes Gewissen, was mich, wie ich befürchte, generell verdächtig wirken lässt. (Übrigens die einzige Eigenschaft, die ich mit Alfred Hitchcock teile.) Nun auch noch wirklich und wahrhaftig etwas verbrochen zu haben, macht mich keineswegs ruhiger.
Kurz: Ich bin ein Nervenbündel.
„Warum haben Sie das gerade gemacht?“, fragt der Anführer. „Das war … spontan und … unbedacht“, stammle ich. „Sie haben sicher schon öfter Ärger mit der Polizei gehabt deswegen“, sagt der Riese. „Äh, nein … warum?“, frage ich, nun vollends in der Defensive, und das mitten im Nieselregen auf einer Verkehrsinsel in Altona, unter den Augen der interessierten Öffentlichkeit.
„Weil Sie sagen: ,spontan und unbedacht’“, analysiert er. „Nein, wirklich nicht, noch nie“, flüstere ich und schaue hilfesuchend die Polizistin an. Sie lächelt mir aufmunternd zu. Wahrscheinlich ein automatisiert aufflammender Mutterinstinkt. Dabei ist sie mindestens 20 Jahre jünger als ich.
Jetzt verlang schon endlich meinen Personalausweis, barme ich innerlich, verpass mir den Bußgeldbescheid, und dann lass mich laufen. Tut Mr. Akne aber nicht.
„Machen Sie das nie wieder“, sagt er, „ich möchte Sie nämlich nicht unter meinem Wagen hervorkratzen müssen.“ Verständiges Nicken scheint mir die Situation weiter zu kalmieren, deshalb nicke ich verständig. „Und ich“, ergänze ich mit brüchiger Stimme, „möchte erst recht nicht unter Ihrem Wagen hervorgekratzt werden.“
Die Polizistin nickt erneut lächelnd und nun sogar mit geschlossenen Augen; ich habe also zweifellos den richtigen Ton getroffen. Ich schaue wieder den Riesen an. „Noch einen schönen Abend“, sagt er und steigt in den Wagen. Die anderen folgen ihm, und dann fahren sie davon.
Ich auch, mit zittrigen Knien – um 62,50 Euro reicher und einen Punkt in Flensburg ärmer.
Danke. (Auch wenn ich nicht weiß warum.)
Foto: Matthias Wiechmann, Polizei Hamburg
11 Februar 2011
Die Kommunikation der Zukunft
Ms. Columbo und ich hatten soeben eine großartige Idee, welche nicht nur die zwischenmenschliche Kommunikation revolutionieren wird, sondern zugleich auch die individuelle Sicherheit von uns allen: ein Telefon mit Schnur!
Gegenüber der derzeitig gebräuchlichen Krückentechnologie hätte ein solches Gerät unzählige Vorteile. Zum Beispiel wäre man dadurch völlig unabhängig von der Willkür schwankender Funknetze, Irrwege wie „WLAN“, „WI-FI“ oder „UMTS“ gehörten schlagartig der Vergangenheit an.
Außerdem würde uns das fest mit einem stabilen Wandanschluss verbundene Schnurtelefon™ zuverlässig daran hindern, als blinde, kopflose Plapperhühner durch die Gegend zu karriolen und mit Passanten zusammenzustoßen oder unter einen Lkw zu geraten.
Doch wir planen noch mehr. Wir werden das revolutionäre Schnurtelefon™ mit einem absoluten Killerfeature ausstatten – einem eigens abnehmbaren Hörer™! Dadurch bräuchte man sich bei einem Gespräch künftig nicht mehr das komplette Gerät an den Kopf zu klatschen, wie es heutzutage gang und gäbe ist, sondern nur noch das zur direkten Kommunikation gerade eben Notwendigste, nämlich Mikrofon und Lautsprecher.
Das Großartigste aber wäre – festhalten! – ein von uns so bezeichnetes Drehrad™ zum Wählen am Basisgerät. Dieses Ausstattungsmerkmal des Schnurtelefons™ würde das irrlichternde Anvisieren von Tasten (oder gar ihrer optischen Simulation wie auf lachhaft altmodischen Smartphones) völlig überflüssig machen. Und durch das Eintauchen des Fingers in die entsprechend groß dimensionierten Ausbuchtungen der einzelnen Zahlen des Drehrades™ wäre ein Verwählen hinfort praktisch unmöglich.
Ich glaube, unsere Idee wird den Telekommunikationsmarkt komplett durcheinanderwirbeln. Wir haben die Zukunft gesehen – und müssen uns das Gesamtkonzept jetzt nur noch schützen lassen.
Hat das Patentamt eigentlich freitags geöffnet?
Gegenüber der derzeitig gebräuchlichen Krückentechnologie hätte ein solches Gerät unzählige Vorteile. Zum Beispiel wäre man dadurch völlig unabhängig von der Willkür schwankender Funknetze, Irrwege wie „WLAN“, „WI-FI“ oder „UMTS“ gehörten schlagartig der Vergangenheit an.
Außerdem würde uns das fest mit einem stabilen Wandanschluss verbundene Schnurtelefon™ zuverlässig daran hindern, als blinde, kopflose Plapperhühner durch die Gegend zu karriolen und mit Passanten zusammenzustoßen oder unter einen Lkw zu geraten.
Doch wir planen noch mehr. Wir werden das revolutionäre Schnurtelefon™ mit einem absoluten Killerfeature ausstatten – einem eigens abnehmbaren Hörer™! Dadurch bräuchte man sich bei einem Gespräch künftig nicht mehr das komplette Gerät an den Kopf zu klatschen, wie es heutzutage gang und gäbe ist, sondern nur noch das zur direkten Kommunikation gerade eben Notwendigste, nämlich Mikrofon und Lautsprecher.
Das Großartigste aber wäre – festhalten! – ein von uns so bezeichnetes Drehrad™ zum Wählen am Basisgerät. Dieses Ausstattungsmerkmal des Schnurtelefons™ würde das irrlichternde Anvisieren von Tasten (oder gar ihrer optischen Simulation wie auf lachhaft altmodischen Smartphones) völlig überflüssig machen. Und durch das Eintauchen des Fingers in die entsprechend groß dimensionierten Ausbuchtungen der einzelnen Zahlen des Drehrades™ wäre ein Verwählen hinfort praktisch unmöglich.
Ich glaube, unsere Idee wird den Telekommunikationsmarkt komplett durcheinanderwirbeln. Wir haben die Zukunft gesehen – und müssen uns das Gesamtkonzept jetzt nur noch schützen lassen.
Hat das Patentamt eigentlich freitags geöffnet?
10 Februar 2011
Bleibt bitte weg!
Die Zeitschrift Merian mag die Reeperbahn nicht. Sie nennt sie „norddeutschen Ballermann“ und fordert Touristen auf, sie tunlichst zu meiden.
Dem kann ich nur beipflichten. Ja, tut das, Touristen: Meidet die Reeperbahn!
Die allwochenendlichen Pinneberger Partyprolls (Beispielfoto) dürfen sich diesen Rat ebenfalls gern zu Herzen nehmen. Auch ihr Herren Hooligans: Lest Merian! Und du, schwarzer Block: Willst du nicht lieber Pöseldorf kurz und klein hauen als den Kiez?
Ja, ihr Lieben, hört auf Merian, bleibt weg. Und wenn ihr schon da seid, dann geht weiter.
Denn hier gibt es nichts zu sehen.
09 Februar 2011
08 Februar 2011
Der rätselhafte Sticker
Hier auf dem Kiez nimmt man oftmals die Eigenschaften jener an, deren Pendant man eigentlich zu sein glaubt.
Neulich in der Haspafiliale an der Reeperbahn zum Beispiel sollte ich etwas unterschreiben. Der Haspamitarbeiter machte mich mit den Worten „Das müssen Sie noch unterschreiben“ auf diesen Umstand aufmerksam.
Ich schaute etwas ratlos auf das Dokument. „Wo denn?“, fragte ich. Und der Haspamann mit seinem Anzug, seiner Krawatte und der sorgfältigen Scheitelakkuratesse auf dem Schädel antwortete nur mühsam beherrscht: „Wo man halt unterschreibt.“
Da sieht man mal, wie die raue Herzlichkeit unseres Viertels auch vor traditionell förmlichen Bankangestellten nicht Halt macht. Nein, sie sickert Tröpfchen für Tröpfchen auch in die Herzen jener ein, die sich eigentlich in einer anderen Sphäre wähnen.
Manche betreiben die Mimikry möglicherweise auch ganz bewusst – wie jener Anonymus, der den oben abgebildeten Aufkleber an die Fassade eines Hauses klebte, das einst, in den 80ern, zu den hart umkämpften besetzten Häusern der Hafenstraße gehörte.
Damals riefen Besetzer und Sympathisanten der Polizei den Schlachtruf „Hafenstraße bleibt!“ entgegen. (Sie hatten übrigens Recht: Die Hafenstraße ist noch immer genau an der gleichen Stelle wie damals.) Und heute parodiert jemand mit sticheliger Häme diesen Klassiker, indem er ihn zu „Hafen city bleibt!“ verballhornt.
Bei der HafenCity (übrigens nur echt mit Binnenmajuskel!) handelt es sich, wie man in – sagen wir – Kornwestheim vielleicht nicht ganz so genau weiß, um die größte Baustelle Europas. Dort entstehen überwiegend Luxusbüros und -wohnungen für Menschen, die auch mal 10.000 Euro pro Quadratmeter auf den Tisch legen können, um vor Gästen mit einem unverbaubaren Wasserblick prunken zu können.
Dieses Megaprojekt nun per Sticker mit den damaligen Bruchbuden der Hafenstraße in Verbindung zu bringen, hat durchaus einen gewissen Pfiff. Aber wer steckt dahinter? Eine klandestine Yuppiebruderschaft, die sich nun beömmelt über ihre zynische Persiflage des linken Aktivistenjargons? Oder die Hafenstraßenbewohner selbst, die uns damit die Absurdität eines künstlich geschaffenen Luxusrefugiums mitten im Hafen vor Augen führen wollen?
Beides ist denkbar, beides möglich. Der Sticker jedenfalls wird bislang toleriert unter all den sich harmonisch in den Sound der Hafenstraße einfügenden Konkurrenzslogans. Das spricht eigentlich dafür, dass ihn doch jene erfunden haben, die so tun wollen, als seien sie die anderen, die jene persiflieren.
Vielleicht ist es aber auch genau andersrum.
07 Februar 2011
Das große dunkle Loch im Nachmittag
Wenn so ein Derby ausfällt wie gerade das in der Wie-auch-immer-Arena an der Müllverbrennungsanlage, dann fühlt man sich um wesentliche Gefühle betrogen. Um die Vorfreude, das Entgegenfiebern, das Kribbeln. Um die Angstlust in der Magengegend.
Zwischen 15:30 und 17:15 Uhr klaffte jedenfalls ein großes dunkles Loch im Nachmittag, derweil draußen Hamburg weiterhin im Regen ertrank, wie seit Tagen schon.
Nur kurz war ich daher morgens draußen gewesen zum Brötchen- und Zeitungsholen und fand dabei Gelegenheit, die Überreste des gestern von HSV-Hools zerlegten Streifenwagens zu fotografieren.
Auch unsere gläserne Haustür hatte trotz ihrer generellen Passivität den Zorn dieser Menschen erregt und wies nun strahlenkranzförmige Splitterspuren von beeindruckender Länge auf.
Eine gläserne Haustür auf St. Pauli: Das ist aber auch wirklich eine tolle Idee.
06 Februar 2011
Neuigkeiten aus dem Szeneviertel
00:40 Uhr. Unten an der Postfiliale hat eine große Gruppe „Hooligans!“-brüllender Hooligans einen geparkten Streifenwagen entdeckt. Das bekommt dem Ärmsten nicht gut.
Sie ziehen ihm alles mögliche über, darunter jene Sperrgitter, die erst vorgestern vom schwarzen Block als Barrikaden missbraucht wurden.
Dann zünden sie Feuerwerkskörper. Immerhin illuminieren sie so mein bis dahin arg dusteres Video. Vielleicht tun sie das aber auch, weil das eigentlich für heute Nachmittag angesetzte Derby zwischen HSV und dem FC St. Pauli kurzfristig abgesagt wurde und sie enttäuscht darüber sind, die Feuerwerkskörper nicht im Stadion hochjagen zu können.
Die Seilerstraße füllt sich jedenfalls rasend schnell mit Rauch. Dann kommt die Kavallerie mit Blaulicht und Getöse, die Hools verflüchtigen sich wie böse Geister in die Detlev-Bremer-Straße, die Streife jagt hinterher.
Übrigens begründet unsere Hausverwaltung die neuesten Mieterhöhungen damit, St. Pauli sei ja inzwischen ein Szeneviertel geworden.
Arschlecken.
05 Februar 2011
Wo der Kiez im Kitsch ersäuft
Für einen Sänger wie Nathaniel Rateliff ist die Prinzenbar um die Ecke des Spielbudenplatzes ein Traumort der Widersprüche.
Ein kleiner Raum, der mit großem, komplett unpassendem und natürlich nicht ernstgemeintem Kitsch prunkt.
Ein Folksänger zwischen Stuckengeln. Americana in der Ästhetik des Feudalen. Hier passt nichts zusammen – und deshalb ist alles perfekt.
Zumindest wenn man von diesem Besoffenen absieht, der sich mit dem Ellenbogen auf meiner Schulter abstützt, als ich an der Theke ein Bier bestelle, und – als ich mich vorwurfsvoll schauend umdrehe – grinsend „Oh, schulligung!“ lallt.
Neulich bei Aldi gab es übrigens Spalthämmer im Sonderangebot.
Fällt mir nur gerade ein.
04 Februar 2011
In den Fängen einer Brillenschlange
Auf der Post. Ich möchte eine alte (und doppelte) Neil-Young-Langspielplatte verschicken, und zwar als Warensendung für 1,65 Euro.
Die Postbedienstete wiegt erst mal nach und dann bedauernd den Kopf: „Hm, 525 Gramm. Das sind leider 25 zu viel für eine Warensendung“, sagt sie. Die Alternative ist furchterregend: eine Verschickung als Päckchen für die utopische Summe von 4,10 Euro.
„Das ist ja nicht mal versichert“, maule ich. Die Frau nickt mitfühlend. „Sie wollen mich wieder mal in die Arme von Hermes treiben, nicht wahr?“, unterstelle ich ihr einfach mal betriebsschädigendes Verhalten.
Das will sie allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Ihre Stimme wird ziemlich leise, und sie beugt sich leicht über den Tresen. „Wir können es“, raunt sie, „trotz der 25 Gramm zu viel als Warensendung frankieren. Aber wenn irgendjemand nachwiegt, dann kommt es zurück.“
Ich begreife sofort die Raffinesse ihres Vorschlags. Dabei handelt es sich um eine Art Wette. Da ich ein natural born Zocker bin, schlage ich ein.
Die Rahmendaten sind demnach folgende: Mein Einsatz beträgt 1,65 Euro, und wenn es klappt, gewinne ich die Differenz zum Päckchen, das sind immerhin 2,45 Euro, wenn auch nur virtuell, denn natürlich zahlt mir den Betrag niemand aus.
Geht es indes schief, und die Platte kommt zurück, ist der Einsatz von 1,65 Euro einfach so verloren, und ich muss die Neil-Young-LP erneut versenden, diesmal zum utopischen Preis – aber dann natürlich mithilfe von Hermes, da ist das Ganze für 4 Euro wenigstens versichert.
Erst als ich die Post schon wieder verlassen habe, dämmert mir plötzlich, dass die Postbedienstete das alles schon mitbedacht haben muss, als sie mir die Wette vorschlug.
Denn statt mich einfach so zu Hermes davonziehen zu lassen, machte sie mir spontan diesen kleinen konspirativen Betrug schmackhaft. So hat sie für die Post wenigstens sicher 1,65 eingenommen, anstatt gar nichts.
Jetzt fühle ich mich ein wenig übers Ohr gehauen, komme aber nicht umhin, dieser raffinierten Brillenschlange Respekt zu zollen.
Ich wette übrigens, dass niemand nachwiegt und die LP einfach so zugestellt wird.
Wer hält dagegen?
Die Postbedienstete wiegt erst mal nach und dann bedauernd den Kopf: „Hm, 525 Gramm. Das sind leider 25 zu viel für eine Warensendung“, sagt sie. Die Alternative ist furchterregend: eine Verschickung als Päckchen für die utopische Summe von 4,10 Euro.
„Das ist ja nicht mal versichert“, maule ich. Die Frau nickt mitfühlend. „Sie wollen mich wieder mal in die Arme von Hermes treiben, nicht wahr?“, unterstelle ich ihr einfach mal betriebsschädigendes Verhalten.
Das will sie allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Ihre Stimme wird ziemlich leise, und sie beugt sich leicht über den Tresen. „Wir können es“, raunt sie, „trotz der 25 Gramm zu viel als Warensendung frankieren. Aber wenn irgendjemand nachwiegt, dann kommt es zurück.“
Ich begreife sofort die Raffinesse ihres Vorschlags. Dabei handelt es sich um eine Art Wette. Da ich ein natural born Zocker bin, schlage ich ein.
Die Rahmendaten sind demnach folgende: Mein Einsatz beträgt 1,65 Euro, und wenn es klappt, gewinne ich die Differenz zum Päckchen, das sind immerhin 2,45 Euro, wenn auch nur virtuell, denn natürlich zahlt mir den Betrag niemand aus.
Geht es indes schief, und die Platte kommt zurück, ist der Einsatz von 1,65 Euro einfach so verloren, und ich muss die Neil-Young-LP erneut versenden, diesmal zum utopischen Preis – aber dann natürlich mithilfe von Hermes, da ist das Ganze für 4 Euro wenigstens versichert.
Erst als ich die Post schon wieder verlassen habe, dämmert mir plötzlich, dass die Postbedienstete das alles schon mitbedacht haben muss, als sie mir die Wette vorschlug.
Denn statt mich einfach so zu Hermes davonziehen zu lassen, machte sie mir spontan diesen kleinen konspirativen Betrug schmackhaft. So hat sie für die Post wenigstens sicher 1,65 eingenommen, anstatt gar nichts.
Jetzt fühle ich mich ein wenig übers Ohr gehauen, komme aber nicht umhin, dieser raffinierten Brillenschlange Respekt zu zollen.
Ich wette übrigens, dass niemand nachwiegt und die LP einfach so zugestellt wird.
Wer hält dagegen?
03 Februar 2011
Die Kiezpolizei räumt auf
Draußen herrscht ungewöhnlicher Krach. Ein Schaben und Klirren, ein Rutschen und Reißen, ein Donnern und (metallisches) Kreischen.
Alles dabei, nur keine Stimmen. Alles passiert stumm. Also heißt es mal wieder nachschauen.
Vom Balkon aus sieht man, wie etwa ein Dutzend schwarzvermummter Gestalten in höchster Eile die dank eines Gentrifizierungsneubaus überall herumstehenden Baustellenabsperrungen mitten auf die Straße zerrt und sich dann im Laufschritt Richtung Osten dünn macht.
En passant nimmt einer der Herren die von mir gerade erst am Straßenrand drapierten beiden gelben Säcke und wirft sie auf die Fahrbahn. Im Hintergrund dazu der Sound der Stadt: Polizeisirenen.
Die Seilerstraße ist also jetzt vollgesperrt, augenblicklich kehrt paradiesische Ruhe ein (wenn man vom Hintergrundsound absieht, aber der ist ja quasi immer da, nur gerade ein bisschen intensiver, aufgeregter, vielstimmiger).
Nach ein paar genussvoll ausgekosteten Minuten der kompletten Autolosigkeit keimt gleichwohl das Bedürfnis, etwas gegen diesen Zustand dort unten tun zu müssen. Es scheint mir allmählich sehr opportun, kräftige junge Männer in der Blüte ihrer Jahre herbeizurufen, welche die Hindernisse wieder wegräumen.
Denn Straßensperren widersprechen einfach meiner Auffassung von Bewegungsfreiheit. Ausnahmen brauchen meines Erachtens schon sehr gute Argumente; die Ägypter haben zum Beispiel gerade welche. Wie auch immer: ein Anruf bei der Davidwache bringt einen Herrn Friese an den Apparat, der atemlos wirkt, obwohl er doch nur Telefondienst hat.
Ich schildere ihm die Fakten. Seilerstraße, schwarzvermummte Gestalten, eigenmächtige Vollsperrung. Herr Friese bedankt sich seufzend, und nur wenige Minuten später tauchen sie auf, die kräftigen jungen Männer in der Blüte ihrer Jahre.
In meinem kleinen Film sehen wir, wie sie dem Aufräumen der Seilerstraße mit jener stillen Verachtung nachgehen, die man nur Tätigkeiten entgegenbringt, für die man sich überqualifiziert fühlt.
Das tun sie unter ähnlicher Krachentwicklung wie ihre Pendants, die Schwarzvermummten, und auch ähnlich wortlos. Wenn man es genau nimmt, gäbe es von hier oben kaum Unterscheidungskriterien, nur die Helme, die im Licht der Straßenlampen gelblich glänzen.
Meine Sympathien jedenfalls sind klar verteilt. Sie können einfach keinen Menschen gehören, die meine gelben Säcke auf die Straße werfen.
02 Februar 2011
Leider ohne Akü
Es gibt einige türkische Ramschläden rund um die Reeperbahn. Sie sind auf dem ganzen Kiez weltberühmt. Man betritt sie mit einem Gefühlsmix aus Faszination und Grusel. Hier gibt es definitiv ALLES, sofern es nur drei Kriterien erfüllt: Es muss komplett geschmacklos sein, saubillig und von erschütternder Qualität.
Zu türkischem Dudelradio begegnen wir blinkenden Madonnen, Handyschalen aus den frühen Neunzigern, Plastikbesteck, Porzellanschäferhunden in Lebensgröße oder Taschenradios, die von dreijährigen Taiwanesen zusammengetackert wurden, und zwar in wochenlangen 24-Stunden-Schichten.
Mit einem Gefühlsmix aus Faszination und Grusel betrat ich daher – von der zusätzlichen Verlockung eines „Wir ziehen um“-Schildes wie magisch hineingezogen – den türkischen Ramschladen am Ende der Reeperbahn, kurz hinterm Beatles-Platz.
Hier vermochte ich heimlich für die Welt jenseits des Kiezes zu dokumentieren, was sie mir ohne diese Fotos nicht glauben würde. Es folgt eine kleine Galerie des Schreckens.
In Läden wie diesen – und in diesem ganz besonders – hat die legendäre Compact Cassette ihre traurige letzte Zuflucht gefunden. In vielhundertfacher Anzahl dämmert sie in schlichten Drahtverhauen ihrer endgültigen Entmagnetisierung entgegen. Natürlich dominiert dabei der 0815-Türkpop, doch unfasslicherweise steht auch Michael Holm dazwischen. Michael Holm! Das zeigt, seit wann das Sortiment nur noch ergänzt, aber nicht mehr komplett ausgetauscht wurde. Schätzung: 1978.
Dieses Spielzeugauto hat die Größe eines Kinderwagens – aber leider keinen Akü mehr. Pech. Dafür aber büllüg.
Türkische Ramschläden vermögen oftmals mit kühnen Drapierungsideen zu verblüffen. Dieses Arrangement aus Billig-DVD-Spieler, Plastikschaufel und Kartonmüll ist dafür ein guter Beleg.
Wenn sich für letztklassiges Sortiment partout kein Käufer mehr finden will, dann zuckt der Ladeninhaber halt lässig mit den Schultern und verschenkt den ganzen Schamott en bloc. Zum Beispiel diese „Battari“-Schachteln. Ich habe mir die Packungen mal angeschaut. Aus den meisten Batterien war schon Säure ausgeapert und an den Rändern wieder weißlich kondensiert. Herstellungsjahr wohl noch in diesem Jahrtausend, trotzdem eindeutig Sondermüll.
Regale? „Was das?“, lacht da der Verramscher von Welt herzlich auf. Ein paar grobe Holzpaletten auf den Boden gepfeffert, dann mit dem Gabelstapler hundert Rucksäcke und Polyestertaschen draufgekippt: fertig ist die Abteilung für Sport- und Outdoorausrüstung. Hier könnte selbst Aldi noch was lernen.
Zum Abschluss noch ein erhellender Panoramablick. Wir sehen Ständer mit Klamotten, die wahrscheinlich bei kik aus Qualitätsgründen aussortiert wurden. Und wir sehen einen historischen Röhrenfernseher, der sehr gut dadurch zur Geltung kommt, dass er liebevoll kopfüber in einen Einkaufswagen gewuchtet wurde.
Wäre ich nicht schon dagewesen, ich ginge schnell noch mal hin.
Ehe es zu spät ist.
Zu türkischem Dudelradio begegnen wir blinkenden Madonnen, Handyschalen aus den frühen Neunzigern, Plastikbesteck, Porzellanschäferhunden in Lebensgröße oder Taschenradios, die von dreijährigen Taiwanesen zusammengetackert wurden, und zwar in wochenlangen 24-Stunden-Schichten.
Mit einem Gefühlsmix aus Faszination und Grusel betrat ich daher – von der zusätzlichen Verlockung eines „Wir ziehen um“-Schildes wie magisch hineingezogen – den türkischen Ramschladen am Ende der Reeperbahn, kurz hinterm Beatles-Platz.
Hier vermochte ich heimlich für die Welt jenseits des Kiezes zu dokumentieren, was sie mir ohne diese Fotos nicht glauben würde. Es folgt eine kleine Galerie des Schreckens.
In Läden wie diesen – und in diesem ganz besonders – hat die legendäre Compact Cassette ihre traurige letzte Zuflucht gefunden. In vielhundertfacher Anzahl dämmert sie in schlichten Drahtverhauen ihrer endgültigen Entmagnetisierung entgegen. Natürlich dominiert dabei der 0815-Türkpop, doch unfasslicherweise steht auch Michael Holm dazwischen. Michael Holm! Das zeigt, seit wann das Sortiment nur noch ergänzt, aber nicht mehr komplett ausgetauscht wurde. Schätzung: 1978.
Dieses Spielzeugauto hat die Größe eines Kinderwagens – aber leider keinen Akü mehr. Pech. Dafür aber büllüg.
Türkische Ramschläden vermögen oftmals mit kühnen Drapierungsideen zu verblüffen. Dieses Arrangement aus Billig-DVD-Spieler, Plastikschaufel und Kartonmüll ist dafür ein guter Beleg.
Wenn sich für letztklassiges Sortiment partout kein Käufer mehr finden will, dann zuckt der Ladeninhaber halt lässig mit den Schultern und verschenkt den ganzen Schamott en bloc. Zum Beispiel diese „Battari“-Schachteln. Ich habe mir die Packungen mal angeschaut. Aus den meisten Batterien war schon Säure ausgeapert und an den Rändern wieder weißlich kondensiert. Herstellungsjahr wohl noch in diesem Jahrtausend, trotzdem eindeutig Sondermüll.
Regale? „Was das?“, lacht da der Verramscher von Welt herzlich auf. Ein paar grobe Holzpaletten auf den Boden gepfeffert, dann mit dem Gabelstapler hundert Rucksäcke und Polyestertaschen draufgekippt: fertig ist die Abteilung für Sport- und Outdoorausrüstung. Hier könnte selbst Aldi noch was lernen.
Zum Abschluss noch ein erhellender Panoramablick. Wir sehen Ständer mit Klamotten, die wahrscheinlich bei kik aus Qualitätsgründen aussortiert wurden. Und wir sehen einen historischen Röhrenfernseher, der sehr gut dadurch zur Geltung kommt, dass er liebevoll kopfüber in einen Einkaufswagen gewuchtet wurde.
Wäre ich nicht schon dagewesen, ich ginge schnell noch mal hin.
Ehe es zu spät ist.
01 Februar 2011
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (44)
Also bitte, ja: Ich kann ja auch nichts dafür, dass der Hafen sich ausgerechnet nach Südwesten erstreckt und die Sonne deshalb abends oft aufs Postkartigste die Kräne illuminiert.
Ein Schlaumeier könnte mir natürlich jetzt entgegenhalten, ich müsse ein solch abgeschmacktes Schauspiel ja nicht auch noch fotografieren, doch da bin ich anderer Meinung.
Denn hier in diesem Blog wird die Wahrheit dokumentiert und nichts als die Wahrheit, selbst (und gerade) wenn sie so aussieht wie auf diesem Foto.
Wollte ich nur mal gesagt haben.
31 Januar 2011
Die CDU wird usurpiert
Im Wahlkreis Rinteln tritt seit Jahren Cajus Julius Cäsar so höchstpersönlich wie erfolgreich für die CDU an. Das schien mir bisher nichts weiter zu sein als ein Ausrutscher von geradezu spätrömischer Dekadenz.
Doch als wir heute durch Bergedorf schlenderten, wurden wir eines Besseren belehrt. Dort kandidiert für die Christdemokraten ein gewisser Dennis Gladiator. Zwar wirkt der Mann eher wie der nette Moppelnerd von nebenan und nicht wie Russell Crowe; gleichwohl gibt diese Affinität der CDU für Kandidaten römischer Provenienz zu denken.
Das Volk jedenfalls nutzt dieses nomen est omen bereits feinsinnig, um seinen Fragen an den Abgeordneten Anspielungen auf jene spektakuläre Ära einzuweben. In Gladiators Gästebuch, welches bereits 24 Einträge in sieben Jahren aufweist, gibt es zum Beispiel einen Herrn von Schnabelewopski, dem besonders die Problematik der in Bergedorf nur schwierig zu verrichtenden Notdurft auf der Blase brennt.
Ein logisches Ansinnen, denn seien wir doch mal ehrlich: War es etwa nicht das alte Rom, das erstmals in der Menschheitsgeschichte ein gescheites Abwassersystem installierte? War es. Und wer anders als ein Dennis Gladiator könnte nun eine ähnliche Aufgabe in Bergedorf wuppen?
Cajus Julius Cäsar und Dennis Gladiator jedenfalls erregten meinen Verdacht. Was steckt dahinter – eine Verschwörung? Ich recherchierte fieberhaft. Und siehe da: Bundesweit gehen einem unzählige weitere CDU-Römer ins Schleppnetz.
Etwa Emmanuele Cicero aus dem sächsischen Leisnig, der Stadt der Baumblüte, beschaulich gelegen zwischen Meuselwitz und Bockelwitz. Oder Marc-Aurel von Dewitz (Berlin). Zudem Tiberius Fundel, der legendäre Müllermeister aus Indelhausen. Auch Bernd Antonius, stellvertretender Vorsitzender des CDU-Gemeindeverbands Wendeburg. Und bei weitem nicht zuletzt Claudius Hennig, jener scheinbar sympathische Kurzhaarträger aus Pfullendorf.
Es nimmt und nimmt kein Ende. Nur Eva-Maria Römer (Karben) sei noch stellvertretend genannt für all jene weiteren CDUler, die anscheindend angetreten sind, diese einstmals so bodenständig-deutsche Partei von innen umzukrempeln.
Wie sehr diese Taktik bereits verfängt, ist in Dennis Gladiators Onlinegästebuch nachzulesen; es sind erschreckende Dokumente. „Hast auch Du Ochs und Kuh“, hinterlässt beispielsweise Bauer Piepenbrinck aus Reinbek, „wähle CDU!!!“
Es ist übrigens eine wunderbare Zungenübung, den Namen S-c-h-n-a-b-e-l-e-w-o-p-s-k-i mehrfach hintereinander auszuspechen. Macht Spaß! Zumindest ab dem achten Mal, wenn man qua Übung schon kräftig aufs Tempo drücken kann.
Hier der Beweis.
30 Januar 2011
Liebe auf den ersten Kick
Meine Eltern vergötterten die Berge und alles, was damit zusammenhing, also Trenker, Trachten, Sissi, Edelweiß, Urlaub am Königssee, Maria Hellwig und die Oberkrainer.
All das trieb mich später zuverlässig in die Arme der Sex Pistols, aber das ist eine andere Geschichte. In der hier geht es um Fußball.
Da meine Eltern die Berge vergötterten und damit logischerweie auch das alpenreichste Bundesland, war mein Vater von jeher ein Fan des FC Bayern München. Und als ich 9 war, beschloss er, ich müsse nun auch einer Mannschaft anhängen, am besten natürlich (das dachte er jedenfalls insgeheim) dem FC Bayern.
Statt das einfach ex cathedra zu verkünden, was in seiner väterlichen Macht gelegen hätte, stellte er eine todsichere Falle auf, in die der naive kleine Junge tappen sollte. Ein Samstag sollte die Entscheidung bringen.
Der FC Bayern München spielte damals zu Hause gegen den 1. FC Köln, und mein Vater verkündete sardonisch, wer dieses Spiel gewänne, solle meine Mannschaft werden. Ich war 9 und nickte eifrig. Ich konnte natürlich nicht wissen, dass der FC Bayern als haushoher Favorit ins Spiel ging. Ich hätte nicht einmal definieren können, was genau eine Falle ist.
Wir sahen die Zusammenfassung gemeinsam in der Sportschau, in Schwarz-Weiß. In der 14. Minute ging Köln überraschend in Führung, Torschütze war Carl-Heinz Rühl. Kurz nach der Halbzeit gelang zwar Gerd Müller (wem sonst?) der Ausgleich. Doch dann die Sensation: Heinz Simmet köpfte in der 60. den Siegtreffer, und dabei blieb es. Der erste Erfolg der Kölner in München überhaupt.
Mein Vater war danach sehr still. „Köln hat gewonnen, Papa! Köln ist jetzt meine Mannschaft, nicht wahr, Papa?“, rief ich begeistert und zupfte ihm am Ärmel. Er brummelte irgendetwas, das ein Erwachsener als mit Widerwillen kontaminierte Zustimmung gedeutet hätte.
Wie auch immer: Damit war es besiegelt. Der 1. FC Köln war fortan meine Mannschaft. Dieser entscheidende Samstag ist schon Jahrzehnte her, doch so blieb es seither, und so wird es immer bleiben.
Die Erwählung der Lieblingsmannschaft ist schließlich kein Spaß, keine Ehe oder so ein Pipifax, sondern eine Lebensentscheidung – und zwar ganz egal, unter welchen Umständen sie zustande kam, und sei es durchs zufällige Nichttappen in eine sorgfältig aufgestellte Falle.
Seit ich auf dem Kiez lebe, liebe ich außerdem den FC St. Pauli, und immer, wenn er gegen den 1. FC Köln spielt, stürzt mich diese Partie in eine widersprüchliche Gefühlslage.
Als heute Mittag Andreas anrief und mich fragte, ob ich die Dauerkarte einer erkrankten Freundin übernehmen und zur Partie gegen den 1. FC Köln ins Millerntorstadion gehen könne, wechselten die eigentlich konkurrierenden Drüsen für Dopamin und Adrenalin parallel in den Akkordmodus. Kurz vor 3 holte ich die Karte bei Andreas ab. „Für wen bist du heute eigentlich?“, fragte er.
Und dann sagte ich es ihm.
29 Januar 2011
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (43)
Blutrot auf Fahlgrau: entdeckt im neusten Abrissgebiet auf St. Pauli.
„NO BNQ“ bedeutet „Kein Bernhard-Nocht-Quartier“.
28 Januar 2011
Rügen haben kurze Beine
In einer Vorverkaufsstelle im Mercado möchte ich auf den letzten Drücker – nämlich nur wenige Stunden vor der Veranstaltung – noch eine Karte für eine Lesung im Literaturhaus erwerben.
Die Frau am Vorverkaufscomputer klackert ein wenig herum und sagt dann: „Ja, das geht noch. Möchten Sie eine Versicherung abschließen für den Fall, dass Sie krank werden bis heute Abend?“
Die Frage erwischt mich kalt. Sehe ich etwa derart moribund aus, dass mein Besuch der Lesung offensichtlich gefährdet scheint? Die Frau verneint das; es handele sich lediglich um eine Routinefrage. Das erleichtert mich, und ich verzichte.
Ich fühle mich sowieso leicht überversichert – Rente, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Rechtsschutz, Riester, Leben, Haftpflicht, Hausrat, Fahrraddiebstahl, Krankenhauseinzelbettzimmer, Chefarztbehandlung: Da brauche ich nun wirklich nicht noch eine Lesungsbesuchsverhinderungsversicherung für heute Abend, zumal ich mich komplett beschwerdefrei fühle bis auf ein bisschen Rücken. Und wäre das auf bedenkliche Weise anders, dann erwürbe ich keinesfalls eine Eintrittskarte für eine Lesung, sondern kuschelte mich prophylaktisch in die Laken.
Für die Versicherung hätte ich übrigens, wie mir die Vorverkäuferin auf Nachfrage bereitwillig erläuterte, einen Euro und 80 Cent berappen müssen. Das sind 18 Prozent des Kartenpreises – eine Rendite, mit der sich auch Josef Ackermann zufrieden gäbe. Vielleicht sogar Carsten Maschmeyer.
Egal, alles ging gut, ich erreichte unfallfrei die Lesung, und die war ganz großartig – vor allem, weil der unvergleichliche Titanic-Autor Pit Knorr Stargast war. Er las unter anderem die Kalauereske „Der Inselpfarrer“, in der unzählige Inselnamen aufs Furioseste zu einer Geschichte verbogen, verzahnt, verknotet und verhackstückt werden. Auszug:
„Da ist doch nichts Hawaii. Ich bin Künstler und Malediven.“ „Du malst Diven? Bahamas doch! Rügen haben kurze Beine. Gestehe: Du willst dich mit ihr auf der Sumatratze wälzen, denn dich erregt der Anblick ihrer entblößten Spitzbergen und ihrer rasierten Formosa. Was regt sich denn da in deiner Helgoländen Gegend?“ „Ach", sagte er, „das ist doch nur mein kleiner Bornholm.“ „Das sieht mir aber mehr aus wie eine ausgefahrene Lanzarote!“ Und er wurde ganz Rhodos.Viele glauben, dieser Irrwitz sei original von Otto Waalkes, weil der die Nummer im Programm hatte, und das leichtgläubige Internet denkt das mehrheitlich auch, doch nein: Es war Pit Knorr, der sich das Stück für Otto aus den Hirnwindungen wrang, und dafür sollte man ihm auf Knien danken.
Ich täte es jedenfalls sofort, wenn ich nicht auch ein bisschen Knie hätte – aber nicht so stark, dass ich heute Abend nicht die Lesung hätte besucht haben können.
Das Foto zeigt übrigens Rügen, zumindest einen Teil davon.
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