
Meine Eltern vergötterten die Berge und alles, was damit zusammenhing, also Trenker, Trachten, Sissi, Edelweiß, Urlaub am Königssee, Maria Hellwig und die Oberkrainer.
All das trieb mich später zuverlässig in die Arme der Sex Pistols, aber das ist eine andere Geschichte. In der hier geht es um Fußball.
Da meine Eltern die Berge vergötterten und damit logischerweie auch das alpenreichste Bundesland, war mein Vater von jeher ein Fan des FC Bayern München. Und als ich 9 war, beschloss er, ich müsse nun auch einer Mannschaft anhängen, am besten natürlich (das dachte er jedenfalls insgeheim) dem FC Bayern.
Statt das einfach ex cathedra zu verkünden, was in seiner väterlichen Macht gelegen hätte, stellte er eine todsichere Falle auf, in die der naive kleine Junge tappen sollte. Ein Samstag sollte die Entscheidung bringen.
Der FC Bayern München spielte damals zu Hause gegen den 1. FC Köln, und mein Vater verkündete sardonisch, wer dieses Spiel gewänne, solle meine Mannschaft werden. Ich war 9 und nickte eifrig. Ich konnte natürlich nicht wissen, dass der FC Bayern als haushoher Favorit ins Spiel ging. Ich hätte nicht einmal definieren können, was genau eine Falle ist.
Wir sahen die Zusammenfassung gemeinsam in der Sportschau, in Schwarz-Weiß. In der 14. Minute ging Köln überraschend in Führung, Torschütze war Carl-Heinz Rühl. Kurz nach der Halbzeit gelang zwar Gerd Müller (wem sonst?) der Ausgleich. Doch dann die Sensation: Heinz Simmet köpfte in der 60. den Siegtreffer, und dabei blieb es. Der erste Erfolg der Kölner in München überhaupt.
Mein Vater war danach sehr still. „Köln hat gewonnen, Papa! Köln ist jetzt meine Mannschaft, nicht wahr, Papa?“, rief ich begeistert und zupfte ihm am Ärmel. Er brummelte irgendetwas, das ein Erwachsener als mit Widerwillen kontaminierte Zustimmung gedeutet hätte.
Wie auch immer: Damit war es besiegelt. Der 1. FC Köln war fortan meine Mannschaft. Dieser entscheidende Samstag ist schon Jahrzehnte her, doch so blieb es seither, und so wird es immer bleiben.
Die Erwählung der Lieblingsmannschaft ist schließlich kein Spaß, keine Ehe oder so ein Pipifax, sondern eine Lebensentscheidung – und zwar ganz egal, unter welchen Umständen sie zustande kam, und sei es durchs zufällige Nichttappen in eine sorgfältig aufgestellte Falle.
Seit ich auf dem Kiez lebe, liebe ich außerdem den FC St. Pauli, und immer, wenn er gegen den 1. FC Köln spielt, stürzt mich diese Partie in eine widersprüchliche Gefühlslage.
Als heute Mittag Andreas anrief und mich fragte, ob ich die Dauerkarte einer erkrankten Freundin übernehmen und zur Partie gegen den 1. FC Köln ins Millerntorstadion gehen könne, wechselten die eigentlich konkurrierenden Drüsen für Dopamin und Adrenalin parallel in den Akkordmodus. Kurz vor 3 holte ich die Karte bei Andreas ab. „Für wen bist du heute eigentlich?“, fragte er.
Und dann sagte ich es ihm.