Okay, okay, meine Freunde kennen die Geschichte schon, aber die Welt noch nicht. Deshalb gibt es sie jetzt hier:
Eines Freitagsnachmittags kaufte ich im größten Supermarkt St. Paulis drei Doppelmatjes für ein Wochenendmahl und legte sie verpackt in den Kühlschrank. Am Sonntag holte ich sie heraus und drapierte sie auf einem Teller im Wohnzimmer, wo wir gemeinhin das Abendmahl zu uns nehmen. Nur weil es bereits dämmerte und ich auf Beleuchtung verzichtet hatte, fiel mir allerdings etwas sehr Merkwürdiges auf am Matjes: Er leuchtete.
Etwas irritiert verdunkelte ich das Zimmer ganz. Unglaublich: Der Matjes leuchtete. Und zwar in einem fahlen Grünton. Im Zimmer herrschte sogar matjesbedingt ein gespenstisches Schummerlicht; der Fisch spiegelte sich auf der Mattscheibe und in den Wohnzimmerfenstern.
Was in Neptuns Namen war das? Allmählich verblassendes Phosphor schied als Ursache aus, denn das Strahlen blieb unverändert. Was also konnte der Grund sein – Radioaktivität, Tschernobyl-Spätfolgen … ? Wir waren beunruhigt. Und aßen natürlich den Fisch nicht, sondern verpackten ihn luftdicht, deponierten ihn im Kühlschrank und riefen am Montag das Gesundheitsamt an, um dem Geheimnis des grünen Leuchtens auf den Grund zu gehen.
Der Beamte wusste zunächst nicht weiter („Das habe ich ja noch nie gehört!"), versprach aber, sich bei einem Lebensmittelchemiker zu erkundigen. Der hatte dann die Erklärung: Für das Leuchten, sagte er, seien ganz klar Bakterien verantwortlich, die sich – statt unserer – am Matjes gütlich getan und vor lauter Essgenuss zu leuchten begonnen hätten; das sei so ihre Art. Der Fisch, fuhr der Experte fort, sei wohl nicht mehr ganz frisch gewesen, als das Supercenter ihn mir verkauft hatte. Wäre er an unserer Stelle, würde er künftig auf Meergetier aus dieser Quelle dankend verzichten. Und zwar auf immer und ewig.
Diesem Ratschlag konnten wir uns nicht verschließen. Allerdings schien es mir sehr wichtig, dem Laden den ganzen Vorfall zu schildern. Mein entsprechendes Schreiben endete wie folgt: „Es reicht eben nicht, die ganze Belegschaft auf freundliches Lächeln zu trimmen. Die Ware sollte nebenbei auch noch ohne Gefahr für Leib und Leben genießbar sein. Wir zahlen übrigens gerne ein paar Groschen mehr, wenn das gewährleistet ist.“
Der Brief, gerichtet an die verursachende Filiale, blieb indes ohne jede Reaktion, wochenlang. Das verbitterte mich. Also machte ich die Bundeszentrale der Supermarktkette ausfindig und beklagte mich in recht deutlichen Worten über die Ignoranz der Dependance auf St. Pauli, nicht ohne meinen ursprünglichen Brief noch einmal zur Gänze einzufügen. Und siehe da: Nur zwei Tage später schellte das Telefon. Der hiesige Filialleiter war dran. Er war zuckersüß. Ich hätte da einen Brief geschrieben über einen leuchtenden Matjes, das Schreiben sei leider am Infostand steckengeblieben und verspätet weitergeleitet worden, und das sei natürlich alles ganz furchtbar, und ob ich nicht mal vorbeikommen wolle, um den Fall zu bereden und eine entsprechende Entschädigung in Empfang zu nehmen, die dazu dienen könnte, mich dem Supercenter weiterhin als Kunden zu erhalten.
Nun, warum nicht. Der Filialleiter empfing mich seufzend, beklagte sein Los. Die Kunden, hub er an, seien auch nicht immer Engel. Abend für Abend fingerten er und seine Untergebenen Wiener Schnitzel hinter Heizungen hervor und Emmentaler aus dem Chipsregal. Schön und gut, wandte ich ein, aber der Matjes …? Ja, das sei eine ganz dumme Sache, seufzte er, und sie würden natürlich den Lieferanten wechseln, auf jeden Fall. Am Ende, nachdem er mir ausgiebig sein Herz ausgeschüttet hatte, bot er mir zwecks Reparation eine Flasche Schaumwein an, und ich entschied mich generös für einen recht passablen Rieslingsekt.
Kurz danach löste das Supercenter seine Frischfischtheke komplett auf. Seitdem gibt es dort Maritimes nur noch vakuumverpackt im Kühlregal. Dennoch beziehen wir unsere Matjes inzwischen aus anderen Quellen.
Und immer, wenn ich zu Hause einen auspacke, lösche ich zur Sicherheit das Licht und starre angestrengt ins Dunkel. Doch nie mehr habe ich es gesehen seither, das grüne Leuchten.
Das Foto zeigt keinen Fisch, sondern unseren sardischen Glasdelfin. Ich habe ihn trotzdem in grünes Licht getunkt.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Like a hurricane“ von Neil Young, „Papilla honeymoon“ von Naked Lunch und „Sinfonie Nr. 6 (Pastorale)“ von Ludwig van Beethoven.
Kann es nicht sein, dass der Fisch beim 24stündigen in-der-Schlange-stehen von den Bakterien aufgefessen wurde? Oder ist's nicht der "Super"center in der Feldstrasse?
AntwortenLöschenIch glaube dem Lebensmittelchemiker kein Wort. Der Matjes hatte Sehnsucht nach dem fluoreszierenden Meeresleuchten. Genau wie Sie nach dem Frühling, jedenfalls schließe ich das aus Ihrer Musikzusammenstellung.
AntwortenLöschenDiese Zurückhaltung bei Firmennamen kann ich auch nicht so recht nachvollziehen. Das war doch sicher [(=en.Mauer)(=en.Markt)], oder? Man hat ja schließlich auch eine Verantwortung, so als bloggender Verbraucher. ;-)
AntwortenLöschenmspro, dieser Blog hat doch auch offenkundig schlaue Leser, nicht wahr? … ;-)
AntwortenLöschenAußerdem hat der Laden ja die Konsequenzen gezogen, was man honorieren muss. Erlebt man ja nicht sehr häufig.
herr herrners Theorie vom Schlangestehen ist bedenkenswert. In der Tat gibt es Stoßzeiten, da steht man sich dort die Beine in den Bauch. Aber wir bevorzugen eh inzwischen den Spar-Markt in der Clemens-Schulz-Straße – um jetzt doch mal Ross und Reiter zu nennen.
neo-bazi, Sie haben Recht. Trotz des enormen Herbstes haben mich die ersten kalten Tage wehmütig an wärmere Jahreszeiten denken lassen. Allerdings sollten Sie nicht außer Acht lassen, dass es der frühlingshafte Beethoven durchaus mit Neil Youngs spätherbstlichem „Hurricane“ zu tun bekam. Man soll ja bei aller Träumerei den Blick für die Realität nicht verlieren.
Die Hurricane Saison geht von Mai bis Oktober. Glauben Sie mir, ich habe einen erlebt. Der war zwar im Pazifik und hieß Taifun, aber das ist dasselbe.
AntwortenLöschenAllerdings hatten wir heuer in der Karibik noch einen im November, eine extreme Ausnahme. Aber heutzutag' ist eben alles nicht mehr so wie früher ...
Lieber Matt,
AntwortenLöschenauch ich kaufte dort gelegentlich ein. Als der jetzige Filialist den HyperHyper-Block neben St.Paulis-Sperrmüllannahmestelle übernahm, begeisterten mich die zahlreichen brütenden Haussperlinge (Passer domesticus) im der Trägerkonstruktion, derart aufmerksam geworden bemerkte ich die von Mäusen (Mus musculus) abgenagten Ecken in der Nährmittelabteilung neben dem Gang mit dem Haustierbedarf. (Floureszenz bei vergammeltem Fisch ist relativ häufig)
Offenbar Zoologe, was? ;-)
AntwortenLöschenUnd ich nehme an, dass auch du deine Einkäufe seither auf eher unbedenkliche Güter wie Tupperdosen und Glühbirnen beschränkst …