22 September 2005

Der vertauschte Mantel

War heute Abend eingeladen zu einer sogenannten „CD-Release-Party“ für Journalisten. Das ist eine seltsame Veranstaltung in einem möglichst angesagten Club der Stadt, bei der ein hohes Tier einer Plattenfirma irgendwann zum Mikrofon greift und mit großer Ergriffen- und Fassungslosigkeit von einem neuen Album schwärmt, das er als „Meisterwerk“ überbewertet, was der anwesende Künstler mit stolzgeschwellter Bescheidenheit aufsaugt wie Kate Moss eine Kokslinie. Uns werden dazu Schnittchen und Alkoholika in beliebigen Mengen aufgedrängt, damit wir nicht merken, welch Riesenlücke klafft zwischen der megamiesen Qualität der Musik und dem, was der Typ am Mikro gerade erzählt hat. Genauso war es heute.

Aus Scham verschweige ich lieber die Band, deren flache, seichte, himmelschreiend prätentiöse Platte uns vorgespielt wurde, sondern lobe lieber den vergleichsweise passablen Weißwein - und meine Kollegin Susanne, die mir die hübsche Geschichte erzählte, wie sie einmal im Berliner Luxushotel Four Seasons einen Mantel verlor, der - wie sie hoffte - im Hilton, wo sie wohnte, wieder auftauchen würde, weil ein Parkschein dieses Hotels in ihrer Manteltasche steckte.
Die Spur führte allerdings in ein weiteres Berliner Luxushotel, das Ritz Carlton, weil dort nämlich jene Person nächtigte, die damals im Four Seasons offenbar volltrunken, jedenfalls ohne es zu bemerken, Susannes Mantel ausgehändigt bekam, und die dann schließlich mithilfe besagten Parkscheins Kontakt mit der tapfer im Hilton ausharrenden Susanne aufnehmen konnte.

Im Endeffekt war es so, dass Susanne mehrere Tage im Berliner Winter mantellos fror, aber vom Four Seasons, wo ihr Mantel ja dumpfbackig an die falsche Person ausgegeben worden war, zum Trost eine Flasche Dom Perignon übereignet bekam, die sie heute noch besitzt und die laut Ebay inzwischen einen Wert von 135 Euro hat. Jetzt wartet sie auf die richtige Gelegenheit, sie zu köpfen, wobei eine momentan noch näher zu definierende Person männlichen Geschlechts eine assistierende Rolle spielen sollte. Übrigens habe ich Susanne erzählt, dass alles, was sie sagt, zwar nicht gegen sie verwandt werden kann, aber zumindest in Gefahr schwebt, in diesem Blog veröffentlicht zu werden, was sie aber nicht abschreckte. Ist ja auch nicht schlimm. Zumindest nicht so schlimm wie die Musik, die uns heute Abend als Meisterwerk verkauft wurde. Die Enttarnung dieser richtig schlimmen Platte erfolgt nach Veröffentlichung, also ungefähr Ende Oktober.

2 Kommentare:

  1. Wenn diese "CD-Release-Parties" bekanntermassen so schrecklich sind, wieso gehst Du denn dahin? Und ist es nicht so, dass man meistens das entsprechende Album schon vorher gehört hat und weiss, ob es einem gefällt oder nicht? Oder zumindest die Band kennt?
    Du tust fast so, als hätte man Dich zum Besuch der Veranstaltung gezwungen - oder reizt Dich einfach die kostenlose Verpflegung und der Alkohol??

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  2. Tja, solche Veranstaltungen gehören wirklich zum Job dazu ... Und meistens ist die Musik ja auch gar nicht so schlecht und solche Veranstaltungen auch nicht.

    Diesmal klaffte es halt auseinander. Trotzdem alles nette Leute, auch die Künstler. Und vor allem das Promotionteam, das ja auch nix für die Musik kann. ;-)

    Gruß, Matt

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