16 Juni 2010

Der Verfall des Euro ist unaufhaltsam



Okay, w
as macht man mit einer alten, aber tadellos erhaltenen Musik-DVD, die man nicht mehr haben will? Richtig: auf Amazon verkaufen.

Ich schaue mir also an, für wieviel Euro sie gebraucht dort angeboten wird, und stelle sie ein – für einen Cent weniger als das bisher niedrigste Angebot, nämlich 9,37 Euro. Schlau.

Wenige Stunden später bietet sie jemand für 9,36 an. Ich unterbiete. Er auch. Irgendwann wird’s mir zu umständlich, und ich senke den Preis um einen vollen Euro ab. Er um einen Euro und einen Cent.

Das Spielchen geht eine ganze Weile so weiter. Irgendwann liegen wir zwei Turteltäubchen bei 2,33 Euro, was ein verdammt niedriger Preis ist für diese tolle DVD – zumal der Rest der Amazon-Gemeinde das Ding nur für mindestens 5,80 Euro herausrücken würde.

Mein Konkurrent – ein Händler, der schon fast 40 000 Bewertungen hat – holt irgendwann zum großen Schlag aus und drückt das Ding in einem Anfall kapitalismusfeindlichen Wahnsinns auf 75 Cent. Jetzt reicht’s mir: Ich gehe antizyklisch hoch auf 5,79 Euro. Soll er sein Exemplar doch unbehelligt verramschen, mir doch egal.


Einen Tag später taxiert er es auf 5,78.

Das Spiel geht von vorne los, der spiralige Countdown nimmt erneut Geschwindigkeit auf. Bei 2,27 lasse ich ihn wieder hängen und springe erneut auf 5,79. Ich muss nicht erwähnen, wie er reagiert.


Inzwischen macht mir das Spiel Spaß. Fast würde ich es bedauern, wenn irgendjemand meine DVD kaufen würde; dabei habe ich nun wirklich keine Verwendung mehr dafür.

Eine neue Runde wird eingeläutet. Zug um Zug geht es auf altbewährte Weise wieder nach unten, die Sprünge abwärts werden immer größer, und irgendwann werfe ich ihm einen Brocken vor die Füße, den er nicht mehr schlucken wird: 14 Cent.

14 Cent also, für eine neuwertige DVD ohne Makel, von einem der größten Rockstars aller Zeiten. Das ist schon kein Schnäppchen mehr, das ist obszön, das ist nicht mehr zu verantworten, vor allem nicht gegenüber der Dritten Welt.

Abends schaue ich rein und sehe sein Gegenangebot: 13 Cent.

Meine Selbstsicherheit ist schlagartig wie pulverisiert. Guckte ich in den Spiegel, ich wäre sicherlich leichenblass. Mir bleibt jetzt nur noch eins: Mit zitternden Fingern klicke ich auf – „kaufen“.

Jetzt habe ich zwei Exemplare einer DVD, die ich schon als Einzelstück unbedingt loswerden wollte. Irgendwas ist hier schrecklich schiefgelaufen, und ich werde wohl ewig darauf sitzenbleiben. Denn eins ist sicher: Niemand auf der ganzen weiten Welt wollte dieses Teil erwerben, selbst für lausig-lachhafte 13 Cent nicht.

Nur ich. Und selbst das nur aus den falschen Gründen.

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15 Juni 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (29): Fanfest, Heiligengeistfeld



Man könnte meinen, es ginge um ein Autofestival, übertragen vom NDR.

Doch wenn man genau hinschaut, wenn man die Automodelle links und rechts der Bühne wegblendet und die Markenlogos erst recht, dann dämmert einem irgendwann, dass all das übertüncht werden soll, doch
auf durchschaubarste Weise.

Sponsoring funktioniert im besten Fall wie jener Parasit, der sich im Hirn der Schnecke einnistet und irgendwann so groß wird, dass er ihren Willen umprogrammieren kann. Dann tut die Schnecke nur noch das, was das Überleben des Parasiten sichert – und stirbt dabei.

Das Spiel endete übrigens 1:1, aber ich habe nicht mal mitgekriegt, dass Italien den Torwart ausgewechselt hat.


14 Juni 2010

Endlich kein Auto mehr!



Vier Wochen lang haben wir das Auto von A. gehütet, der in den USA weilte. Eine gute Gelegenheit, das schöne Wetter auszunutzen und mal schnell an die Ostsee zu sprinten, nach Travemünde.

Während dieser Fahrt wurde mal wieder auf sehr nachhaltige Weise deutlich, warum es ein Segen ist, sich schon vor vielen Jahren vom Konzept des Individualverkehrs komplett verabschiedet zu haben.

Zuerst nämlich standen wir im Stau wegen einer Baustelle. Als ich ordnungsgemäß auf der linken Spur bis nach vorne fuhr, um mich am Ende einzufädeln, wurde ich nicht reingelassen, sondern ersatzweise von Fahrern auf der Mittelspur mit unflätigsten Gesten beleidigt.

Endlich in Travemünde angekommen, fand ich zunächst keinen Parkplatz. Nach diversen Ehrenrunden wurde ich fündig, hatte aber nicht an Kleingeld für den Parkautomaten gedacht.

Die folgende Stunde des Herumbummelns am Strand wurde ergo unablässig von der gedanklichen Möglichkeit eines Knöllchens beeinträchtigt. Allerdings grundlos, wie sich herausstellte – was mich a posteriori umso mehr ärgerte, denn dann hätte ich mich auch nicht eine Stunde lang
prophylaktisch sorgen und grämen müssen.

Auf der Rückfahrt tapste ich in einer 40-km/h-Zone in eine trickreich versteckte Radarfalle, allerdings noch vor dem einstündigen Stau, der mir immerhin den Anblick eines komplett ausgebrannten Mercedes-Cabrios ermöglichte (der Höhepunkt des Tages).

Zurück auf dem Kiez fand ich natürlich keinen Parkplatz, weshalb ich zur Davidwache musste, um mir einen Besucherparkschein zu besorgen, der den Parkradius erweiterte. Ich stellte das Auto schließlich am Hamburger Berg ab, wo es in ständiger Gefahr schwebte, von Irren, Schlägern, Betrunkenen oder Junkies zweckentfremdet zu werden.

Der folgende Tag wurde ergo unablässig von der gedanklichen Möglichkeit einer Beschädigung beeinträchtigt. Allerdings grundlos, wie sich herausstellte – was mich a posteriori umso mehr ärgerte, denn dann hätte ich mich auch nicht einen ganzen Tag lang prophylaktisch sorgen und grämen müssen.

Zum Glück kommt A. heute zurück. Dann hat er seinen Wagen wieder an der Backe, und wir dürfen uns wieder dem sorglosen automobillosen Leben widmen. Dafür nehme ich von Herzen gern ein paar Punkte aus Flensburg entgegen, die bis zur nächsten Fahrt sicherlich längst verfallen sein werden.

Allerdings gibt es zumindest einen großen Vorteil dieses Rückfalls in den Individualverkehr: Ich kann mal wieder ein Travemündefoto posten, und zwar nicht nur aus reiner bösartiger Willkür.

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12 Juni 2010

(K)Ein teurer Spaß



Ich kann es wirklich nur empfehlen: nach Hause zu kommen und zu erzählen, die Vuvuzelatröte, die man stolz in der Hand hält, sei ein unwiderstehliches Schnäppchen gewesen („Nur acht Euro!“).

Ein solches Vorgehen erzeugt erstaunliche Effekte. So konsterniert habe ich nämlich Ms. Columbo selten gucken sehen. Und auch die unweigerlich folgende, mit Empörung kontaminierte Fassungslosigkeit („ACHT Euro????“) ist es allemal wert, diesen Spaß in die Wege geleitet zu haben.

In Wahrheit verschenkt Edeka diese Dinger natürlich. Wofür man den Laden teeren und federn müsste.

PS: Das Foto zeigt das Auge im Herzen des Vuvuzelasturms.

PPS: Ähm, was mach ich eigentlich jetzt mit dem Ding? Gelber Sack?

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Die Ruhe vor dem Anpfiff

Freitagmittag auf dem Heiligengeistfeld war das größte Fanfest der Republik noch nicht viel mehr als Wille und Vorstellung. Grund genug, die Ruhe vor dem Sturm zu dokumentieren, fotografisch.



Mittags herrschte zwischen Rollstuhlfahrern und Sicherheitsleuten noch ein Verhältnis von 1:1. Dass später auch das Eröffnungsspiel so ausgehen sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen.



Der Dönerstand versucht an eine vom Besitzer wohl als typisch verstandene anatolische Machokultur anzuknüpfen. Irgendetwas sagt mir allerdings, dass er damit signifikant weniger Frauen an seine Bude locken wird.



Der Deutschlandpavillon hat sich etwas unglaublich Originelles ausgedacht: eine schwarz-rot-gelbe Sitzgruppe. Die verschüchterte weiße Tischsimulation in der Mitte muss sich fühlen wie der Gazastreifen.



Der von Vorschriften eh geknechtete Kiez begrüßt herzlich einige neue Verbote – darunter Menschen, denen die rechte Hand abbröckelt (u. l.) sowie trichterförmige Tröten. Und womit? Ganz genau.

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11 Juni 2010

Healthy dying



Vor gut drei Jahren signalisierte der von mir exklusiv entdeckte und statistisch frappierend signifikante Fitnessclubindikator das baldige Ende der Zeitschrift „Healthy living“.

Doch erst heute gab der Verlag das Dahinscheiden des Magazins bekannt – „healthy dying“ sozusagen. Mit seiner Mischung aus Gesundheitstipps (= clever) und Geistheilerinnenporträts (= bescheuert) konnte es am Ende selbst Eppendorfer Esotanten nicht mehr aus ihrem zweiten Wohnzimmer locken, dem Demeterladen.

Bin gespannt, welches Medium als nächstes im Fitnessclub ausliegt und so unweigerlich die Ankündigung seines baldigen Endes in die Welt hinausschreit. Ich werde sie, die Welt, jedenfalls auf dem Laufenden halten.

Genauso wie über die Situation auf dem Kiez natürlich, wo neuerdings auf empörende Weise behördlich aufgestellte Einbahnstraßenschilder verunziert werden.

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09 Juni 2010

Matjes satt, mit allen Konsequenzen



Erstmals seit unserem Umzug nach Hamburg besuchen wir das Matjesfestival in der Fischauktionshalle am Hafen. Das ist so was wie das Okoberfest, nur auf nordisch. Auf extrem nordisch.

An unzähligen Bierbänken sitzen Tausende feierwilder Dickbäuche und der Ondulation verfallener Damen mittleren Alters, die durch eine obere Körperöffnung Bier und Kümmelschnaps in sich hineinschütten, um den unablässig verspeisten Matjesmassen, die das Büffet ohne jede Mengenbegrenzung bereithält, den Aufenthalt im Innern ihrer wogenden Leiber heimeliger zu gestalten – Fisch muss schließlich schwimmen, nöch.

Während sich die Menge dergestalt verlustigt, treten Klaus & Klaus auf und singen Sufflieder, die über strategisch ebenso klug wie fatal verteilte Lautsprecherboxen mit Brachialgewalt auf die Bierbänke geblasen werden. Auch auf unsere. Wir können uns quasi nur noch mit Gesten verständigen.

Klaus & Klaus singen Sachen wie „Da wird die Sau geschlacht’!
Die Sau! Da wird die Wurst gemacht! Die Wurst!“, und als ich nach nur zwei Strophen matjesmampfend mitzugrölen beginne, schaut mich Ms. Columbo an, als sähe sie mich zum ersten Mal in ihrem Leben. „Kennst du das etwa?“, fragt sie irritiert; zumindest glaube ich das von ihren Lippen ablesen zu können. „Jetzt ja!“, brülle ich zurück und suche ein weiteres Mal das Büffet auf.

Inzwischen hat Karl Dall die Bühne betreten. „Diese Scheibe ist ein Hit!“, ächzt Glubschauge seinen Uraltsong, der ein gutes Beispiel für eine selbsterfüllende Prophezeihung war, jedoch hier in der Fischauktionshalle eher reserviert aufgenommen wird. Nicht nordisch genug. Viel geiler kommt da doch der „Hamburger Veermaster“, den Ina Müllers Shantychor, der physiognomisch erstaunlich genau das Bierbänkepublikum imitiert, uns mit soviel Inbrunst um die Ohren haut, dass die Zwiebelringe auf meinem Teller das große Zittern kriegen.

Erstmals gestehe ich mir beim Hören des Songs ein, dass ich mich unbewusst schon immer an der Länderbezeichnung „Californio“ gestört habe. Eine Wortverbiegung um des Reimes willen; das tut man nicht, es sei denn, man heißt Erika Fuchs („Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“), dann darf man alles.

Inzwischen singen immer mehr Matjesfestivalbesucher lauthals mit, und wir sind bei der Roten Grütze gelandet. Natürlich nicht ohne Kümmelschnaps als Bindeglied zwischen Matjes und Dessert. Als wir kurz darauf mühsam den Berg Richtung Reeperbahn erklimmen, sind wir um 12 Fische schwerer (das Verteilungsverhältnis erläutere ich hier lieber nicht).

Unterwegs begegnen wir zwei ägyptischen Geschäftsleuten beim HVV-Planstudium. Sie suchen die Mönckebergstraße. „But why? The shops are all closed“, wundere ich mich mit einer Leutseligkeit, die ohne die Tatsache, vorhin „Da wird die Sau geschlacht’! Die Sau!“ gegrölt zu haben, kaum denkbar gewesen wäre.

„We just want to look where it is“, erklären die Ägypter lächelnd, „to come back tomorrow.“ Da sie nicht wissen, wie sie zur nächsten S-Bahn-Station kommen sollen, um von dort aus in die verwaiste Mö zu fahren, nehmen wir sie unter unsere Fittiche und geleiten sie zur Reeperbahn.


Die beiden freuen sich, dass ich Mohamed Zidan kenne, den Stürmer von Borussia Dortmund. „Great player“, lobe ich höflich, obwohl mir Zidans unerklärliche Formschwäche während der HSV-Zeit noch gut in Erinnerung ist, und erwähne seine vereinsübergreifende Treue zum Trainer, dessen Namen mir allerdings matjes-, bier- kümmelschnaps- und rotegrützebedingt just nicht einfallen will.

„Jurgen Klopp!“, juchzen die Ägypter unisono. Und das krönt diesen Abend, der mindestens so schräg war wie Steve Buscemi in „Fargo“.

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08 Juni 2010

Kleines Missverstanding



Matt
: Guten Abend, ich habe eine Frage zu Ihrem Begrüßungsangebot.
Nespresso: Sie meinen die welcome offer?
Ms. Columbo (aus dem Hintergrund): Du musst dich schon präzise ausdrücken!

06 Juni 2010

Fundstücke (82)



Nö.



Falls es nicht entzifferbar sein sollte, wie das liebreizende Maklerbüro Limberger seine kühne These „Kapitalanlage mit Zukunft!“ begründet, obwohl das Objekt zurzeit bewohnt ist: Unten rechts verweist es auf die „92-jährige Mieterin“ … Entdeckt im Aushang der ebenfalls liebreizenden Deutschen Bank in der Eppendorfer Landstraße.



Hätte der Ölteppich vor Louisiana seinen Ausgang in Hamburg genommen, sähe er jetzt so aus. Entdeckt dank The Maastrix.

05 Juni 2010

Das blinde Gesicht

Kollegenschelte ist ja immer unfein. Deshalb deklariere ich das Folgende lieber als „Tipps“.

Also, lieber Christoph Forsthoff von der Mopo, sollten Sie dereinst noch mal über Eric Clapton berichten dürfen, dann nennen Sie ihn im Text besser nicht „Erik“. Und sein Spitzname ist „Slowhand“, nicht „Flow Hand“.

Zudem sollten Sie das Wort Gefährten nicht mit d schreiben, sonst gefährden Sie Ihren Ruf. Und „arkustisch“ ist zwar eigen, gebe ich zu, doch ohne r wirkt es massenkompatibler.

Claptons Band mit Steve Winwood, lieber Herr Forsthoff, hieß übrigens Blind Faith und keineswegs und unter gar keinen Umständen „Blind Face“. Sollten Sie mit dieser Neuschöpfung allerdings einen Killerspitznamen für sich selber kreieren wollen, dann könnten Sie damit durchaus erfolgreich sein.


Wenn Sie (also Sie Blogleser, nicht Herr Forsthoff) mich jetzt fragen, warum ich die Mopo überhaupt immer mal wieder kaufe, wo ich ihre eigenwillige Verwendung der Sprache doch schon seit längerem verbesserungswürdig finde, dann sage ich Ihnen klipp und klar:

keine Ahnung.

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04 Juni 2010

Von Zehen und Fingern



Vergangenes Wochenende moderierte Peter Urban
noch die sensationelle Grand-Prix-Übertragung aus Oslo, und heute stieg er mir auf den linken kleinen Zeh. Aber nicht mit Absicht, er hat es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt. (Sonst hätte er sich ja entschuldigt.)

Nein, Urban wollte beim Konzert von Eric Clapton und Steve Winwood in der O2-Arena einfach nur den Sitz neben mir aufsuchen, und dabei passierte es. Irgendwie logisch: Schließlich saßen wir in der „Penalty Box“, wo bei den Eishockeyspielen der Hamburg Freezers die Strafzeiten abgebrummt werden. „Hoffentlich werden wir nicht eingewechselt“, witzelte Ms. Columbo.
Dazu kam es in der Tat nicht.

Mein kleiner Zeh ist übrigens trotzdem nicht größer als vorher, denn der Urban ist eher ein Leichtgewicht. Im Gegensatz zu Eric Clapton, dem sie vor über 40 Jahren sogar unterstellt hatten, Gott zu sein. Und weiß Gott: Der Mann spielt noch immer Gitarre, als würden um Mitternacht die Kapodaster verboten. Er muss auch groteskerweise nie hingucken, das machen diese wuseligen Clapton-Finger alles von alleine. Dass er nicht hingucken muss, demonstriert er mit einem gewissen Stolz, der leicht ins Eitle lappt, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

Ich jedenfalls tat genau das Gegenteil, nämlich die ganze Zeit auf den Großmonitor starren, um hinter das Geheimnis seines geradezu obszön flüssigen Solierens zu kommen; und jedesmal, wenn der unsensible Liveregisseur Claptons Wunderfinger wegblendete, bekam ich einen Hals.

Aus Gründen einer Schlusspointe würde ich jetzt am liebsten sagen: Peter Urban ging es mit Sicherheit genauso. Doch das ist reine Spekulation.


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03 Juni 2010

Bullenwillkür!



Wir sitzen unter den Palmen überm Hafen und trinken das erste Frühlingsbier im Freien, während die Aida Luna lautlos vorüberzieht mit ihrem doofen infantilen Kussmund und die junge Punkerin vor uns einen weißen Kuli durch die Finger wandern lässt und routiniert Rosé aus der Flasche trinkt.

Eine Szenerie von bezirzender Friedlichkeit. Doch plötzlich tauchen drei Polizisten in bedrohlichem Schill-Gedächtnis-Schwarz auf und umstellen die Frau. „Personenkontrolle“, sagt einer, „bitte kommen Sie mal mit.“

Die Punkerin trägt rosagrüne Haare und mehr als ein halbes Dutzend Piercings im Gesicht, vier davon in Unter- und Oberlippe. Sie steht grinsend auf, packt ihre Sachen und geht mit.

Am Rand der Rasenfläche bleiben alle stehen. Die Polizisten wühlen in ihrer Tasche, durchsuchen die Jacke und lassen sich den Ausweis geben. Unter den Palmen regt sich ein erstes vernehmbares Murren. Was hat sie denn getan? Nüscht. Bullenwillkür!

Die Frau kommt zurück, setzt sich wieder und nippt behaglich am Rosé. Sie ist die Ruhe in Person. „Was war denn los?“, frage ich sie.

„Ach“, lächelt sie durch alle vier Piercings hindurch, „die suchten nach Drogen. Und mein Kuli sah halt aus wie ein Joint.“

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02 Juni 2010

Geschmacklos



Also ich weiß ja nicht, ob man als Mercado-Fressbude die hungrigen Massen mit dem Killerslogan „Alle Gerichte sind ohne Geschmack“ an die Töpfe lockt.

Und was bedeutet bloß das zusammenhanglos dahintergeklatschte Wort „Verstärkel“? Wenn man schon chinesisch eingefärbtes Deutsch parodieren möchte, wie es wohl beabsichtigt war, dann hätte man auch konsequenterweise „Velstälkel“ schreiben müssen.

Am Ende folgt unversehens noch ein aus der Hüfte geschossenes „Glutamat“ ohne jeden Sinn und Verstand.

Also ich geh da nicht essen.



31 Mai 2010

Wie die Faschisten mit meiner Hilfe doch noch ihr Fett abkriegten



Micah P Hinson kommt aus Abilene, Texas, und er sieht aus wie der gemeinsame Stiefbruder von Woody Allen, Alfred E. Neumann und Elvis Costello: ein dürrer Bursche mit Segelohren und übergroßer Hornbrille.

Außerdem ist er einer meiner liebsten Singer/Songwriter überhaupt, was allerdings keine Mehrheitsmeinung ist, sonst wären heute Abend kaum nur rund 20 Leutchen ins Beatlemania-Museum an der Reeperbahn gekommen, um Hinson spielen zu sehen.


Besonders bewegend finde ich seinen Song „Dying alone“, den er für seine Frau schrieb, die während seines Vortrags still am Fenster saß und sich am Ende des Stücks gewissermaßen selbst beklatschte.


Leider war ich später die Ursache für einen kleinen Disput zwischen den Eheleuten, als ich Hinson fragte, ob der Slogan auf seiner Gitarre wirklich „This machine kills facists“ heißen solle, wobei mir die Vokabel „facist“ völlig unbekannt sei (was aber ü.b.e.r.h.a.u.p.t. nichts heißen will).


Er bekannte, natürlich „fascists“ gemeint zu haben, doch seine Gattin für die Verschriftlichung des Slogans zuständig gewesen und somit verantwortlich für das fehlende s sei. Dann wandte er sich an die Frau, für die er „Dying alone“ geschrieben hatte, und beklagte sich über den Rechtschreibfehler (den er aber ehrlich gesagt auch selbst hätte bemerken können), ehe er sich wieder mir zuwandte, um mir seinen aufrichtigen Dank auszusprechen.


Wenn also bei den
nächsten Hinson-Konzerten, für die ich hiermit eine dringende Besuchsempfehlung ausspreche, der klassische Woody-Guthrie-Spruch korrekt geschrieben auf seiner Gitarre auftaucht und er damit den Faschisten europaweit die Hölle heiß macht, dann ist nur einer dafür verantwortlich: moi.

Und das macht mich „ein Stück weit“ (M. Sammer) stolz.


PS: Da es „facist“ im Englischen (noch) nicht gibt, würde ich hiermit gerne eine Neueinführung initiieren, und zwar mit der Bedeutung „Hackfresse“.


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30 Mai 2010

Lenamanie vor der Haustür



Noch immer schwappen große Wellen Kakophonie ins Wohnzimmer.

Einzelne Elemente sind herausdestillierbar: brüstungerschütternde Bässe, Choräle euphorisierter Betrunkener („Lena, we love you!“ im Wechsel mit „St. Pauli, o-ho-ho!“), indifferentes Gegröle ohne genau bestimmbare Semantik, wildes Wut- und Empörungshupen sowie die Hysterie multipler Notarztsirenen.

Mehrfach im Jahr ist es von besonderem … äh … Reiz, neben dem Spielbudenplatz zu wohnen, doch wenn „wir“ gerade den Eurovision Song Contest gewonnen haben, dann halten auch doppeltverglaste Isolierfenster nur den gröbsten Krach draußen.

Wir sind also jetzt Papst, wir sind 1. Liga, und wir sind Lena. Auf die ein oder andere Weise manifestiert sich so ein Wirgefühl immer besonders heftig auf dem Kiez (außer beim Papst, natürlich). Eigentlich sollte ich jetzt rübergehen, mitten hinein ins Herz der Kakophonie. Einfach damit ich meinen Enkeln später mal erzählen kann, ich sei dabeigewesen.

Moment mal: Ich hab ja nicht mal Kinder.


Trotzdem.

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28 Mai 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (28): Reeperbahn 1



Hier liegen sie noch vibrierend vor Tatendrang herum, die bereits jetzt rostig schimmernden Stangen. Doch schon bald werden sie den tanzenden Türmen innere Stabilität verleihen.

Die Baugrube direkt eingangs der Reeperbahn ist die größte diesseits der Hafencity, und das ist natürlich alles wieder Gentrifizierung etc. pp., aber, meine Damen und Herren, ins Erdgeschoss dieses Hochhausbaus wird wer einziehen?

Der Mojo Club. Tja.

27 Mai 2010

Drei Kopfnüsse, nicht acht



Schon hoch oben von der Balustrade aus hört man, dass der Streit unten in der Zeisehalle nicht von schlechten Eltern ist. Es wird gebrüllt und geschimpft, doch es hallt zu sehr, um einzelne Worte zu verstehen.

Die Quelle des Streits liegt exakt dort, wo mein Fahrrad angebunden ist. Dort lagern nämlich auch dauerhaft drei Obdachlose, und sie scheinen Probleme zu haben. Oder zu machen.

Als ich zum Fahrrad komme, steht ein Sicherheitsmann telefonierend in der Nähe, während die Obdachlosen zetern. Keine Ahnung, worum es geht, doch die Sache scheint ernst.

„Dem verpass ich drei Kopfnüsse“, blökt der einarmige Zauselbart mit den schlechten Zähnen, „dann liegt der tot am Boden!“

Warum er exakt drei Kopfnüsse verteilen will und nicht zwei schon reichen oder es nicht vielleicht sogar acht sein müssen; warum er glaubt, als ungefähr 70-jähriges Hutzelmännchen einem drahtigen Sicherheitsmann aus dem fernöstlichen Sprachraum gefährlich werden zu können: keine Ahnung. Wahrscheinlich Erfahrungswerte.

Die Folgen des Streites werden jedenfalls bereits am Folgetag deutlich: Das Obdachlosentrio musste die Zeisehalle räumen, ihr Lagerplatz (Foto) ist verwaist. Die Hausordnung hatte ihren Aufenthalt eh schon immer untersagt, doch dieses Verbot wurde nie durchgesetzt. Nun aber, nach dem Streit mit dem Sicherheitsmann und der Kopfnussdrohung, wurde aus der Duldung ein Platzverweis.

Unschön für die drei, doch ein Gutes hat das ja: Der Platz unter der Wendeltreppe wird hinfort von olfaktorisch fragwürdigen Körperausscheidungen verschont bleiben. Dachte ich.

Die heute dort wie üblich anzutreffende taufrische Riesenlache muss wohl als Widerlegung gelten.


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26 Mai 2010

Espressomaschine in gute Hände abzugeben (schluchz)



Möchte vielleicht jemand aus dem geschätzten Blogleserkreis unsere etwa drei Jahre alte Nespresso-Kapselmaschine kaufen?


Es handelt sich um eine außerordentlich famose DeLonghi Cube, die stets klag- und tadellos funktionierte und das mit höchster Wahrscheinlichkeit auch noch sehr lange tun wird.

Dass wir sie (nur in gute Hände!) abzugeben bereit sind, liegt ausschließlich an einer besser ausgestatteten Neuanschaffung, mit der man auch Milch aufschäumen kann.

Aufgerufen sind schmale 80 Euro; für diesen Schnäppchenpreis muss sie allerdings persönlich auf der Rückseite der Reeperbahn abgeholt werden.

Schriftliche Bewerbungen bitte an die Mailadresse da oben rechts. Ob wir nach Chronologie oder Sympathie entscheiden, wird noch intern ausgewürfelt.