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03 November 2009
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (12)
Eingangs der herbstvernebelten Reeperbahn, an der Hausnummer 1, sieht es zurzeit ein wenig aus wie am Ground Zero anno 2001. Nur dass hier gerade das so hässliche wie traditionsreiche Gebäude, in dem einst der Mojo Club legendär wurde, dran glauben muss – und keine Twin Towers.
Dennoch wirkt die derzeitige Optik präventiv kongenial, denn an genau dieser Stelle soll demnächst in der Tat ein Doppelturm entstehen.
Klingt makaber, liegt aber weder am Abrissunternehmen noch am Architekten, sondern ausschließlich an der degenerierten Fantasie eines berüchtigten Kiezbloggers.
02 November 2009
Auf dem Fischmarkt
Es ist schon nach halb 10, auf dem Fischmarkt herrscht Ausverkaufswahnsinn.
Seit 9 ist zwar offiziell Schluss, doch erst danach steigern sich die Händler hinein in blanke Hysterie. Allerdings klafft oft eine Lücke zwischen der Warenqualität und dem Enthusiasmus des Anpreisens.
Ich vermute ja schon länger, dass die Händler bereits seit 7 Uhr heimlich Gammelgemüse und Quetschobst hinterm Wagen gesammelt haben, um alles pünktlich zur Marktschließung hervorzuholen und in Kisten zu 10 Euro verramschen.
Amüsiert lassen wir uns durch die wogenden Touristenmassen treiben. Die Händler kreischen und brüllen, ihr Adrenalinspiegel schwappt hoch wie die Elbe bei einer steifen Westbrise, nur Aale-Dieters Stimme ist gerade noch ein armseliges Krächzen, und deshalb schafft er es auch nicht mehr, eine Menschentraube an seinen Wagen zu fesseln.
Es geht gegen 10. Die Marktleitung hat schon dreimal durchgesagt, der Verkauf sei sofort einzustellen; damit treibt sie die Händler allerdings nur zu immer neuen Höchstleistungen. Wir hoffen daher auf günstigen Fisch in allerletzter Minute, vor allem auf Lachs, doch was man uns in Rahmen von 15-Euro-Paketen andrehen will, ist nur unwesentlich weit entfernt von Möwenfutter. Und beim Lachs lassen sie gar nicht nach; ungerührt nennen uns die Händler die alten Kilopreise, während sie weiter Rotbarschberge vor den mit Euroscheinen herumwedelnden Touristen auftürmen.
Wir haben unseren Schnäppchenplan praktisch schon aufgegeben, als wir am letzten Fischstand vor der Lakritz- und Nippesmeile die bereits fertig zusammengestellte Traumkonstellation entdecken: mehrere Lachsfilets, Schwertfisch, Seeteufel, Thun – und natürlich auch ein erhebliches Quantum Rotbarsch, doch das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.
Wir schlagen zu: viereinhalb Kilo prächtigen Fisch für 15 Euro. Ein Kalmar war nicht dabei, doch der befand sich ja auch auf der gewiss interessant duftenden Wollmütze des abgebildeten Händlers, der schon mal mit Moby Dick geboxt haben muss; anders ist der kecke Knick in seiner Nase kaum zu erklären.
01 November 2009
Datenschutzgründe!
Trotz Mailbestätigung stehe ich mal wieder nicht auf der Gästeliste.
Nicht dass ich darauf bestünde, bei jedweder Anfrage stets auf ein begeistertes „Natürlich! Komm vorbei! Welche Farbnuance präferierst du beim Roten Teppich?“ zählen würde, zumal ein Konzertbesuch – gerade einer, der mit meinem persönlichen Geschmack disharmoniert – letztlich ja so etwas wie Arbeit ist.
Ich kann mir wahrlich interessantere Freizeitbeschäftigungen vorstellen, als um Mitternacht mit besoffenen berufsbegeisterten Promotern halbtaub Smalltalk halten zu müssen. Doch wenn ich schon mal die Bestätigung erhalten habe, möchte ich auch gerne draufstehen auf der Gästeliste; schließlich habe ich mir extra dafür den Abend reserviert, anstatt mit Ms. Columbo essen zu gehen oder einen besonders ausführlichen und eventuell endlich mal unterhaltsamen Blogeintrag zu verfassen.
Doch nein, hier, kurz vorm Treppenhaus des Uebel & Gefährlich, steh ich nun, und die eigens für zuständig erklärte Hupfdohle hinterm provisorischen Pult bescheidet mir nach dreimaligem Drüberschauen mit nur halb gespielter Verzweiflung meine undisputable Absenz auf der Gästeliste. Ich könne ja, schlägt sie mit aufrichtigem Mitgefühl vor, den Veranstalter anrufen, um die Sache zu klären. Dessen Telefonnummer aber habe ich zufällig nicht dabei. Sie auch nicht.
Also wende ich mich an einen der beiden Sicherheitsmänner, die mich eh schon skeptisch beobachten. Immerhin kann es sein, dass die narzisstische Kränkung, die zwingend mit einer überraschenden Absenz auf der Gästeliste einhergeht, zu sozial inkomptabiblen Verhaltensweisen wie Motzen oder Massakern führt. Jedenfalls spreche ich den Sicherheitsmann an und bitte ihn um die Telefonnummer des Veranstalters.
Der Sicherheitsmann schaut wie die Sphinx von Giseh, ehe er sagt: „Die kann ich Ihnen nicht geben. Datenschutzgründe.“
Datenschutzgründe. Peter Schaar wäre begeistert, ich indes nicht. Wenn ich hier nicht reinkomme, ist der Abend gelaufen, nichts anderes lässt sich sinnvoll noch alternativ beginnen und beenden, dieses Konzert muss es sein, sonst bleibt nur Motzen oder Massaker. Datenschutzgründe!
Jetzt mischt sich sein Kollege ein, Sicherheitsmann Nr. 2. „Ich rufe ihn an“, sagt er. Interessant. Doch interessanter noch als diese frappierend gandhieske Geste eines Menschen, dessen Qualitäten mir bisher zuvörderst physiologischer Natur zu sein schienen, ist seine Begründung dafür.
„Ich habe“, sagt er mit entschuldigender Färbung, „eine Flatrate.“
Er hätte mir also andernfalls nicht einmal die Chance gegeben, ihm die circa 23 Cent in bar zu erstatten. Das Konzert ist dann übrigens nur mittelmäßig, und als ich es deutlich vor den Zugaben wieder verlasse, drücke ich mich zwischen Gästelistenhupfdohle und Sicherheitsmännern hindurch, als müsste ich ein schlechtes Gewissen haben.
Dafür hätte ich mich eigentlich links und rechts ohrfeigen sollen, doch zu Hause vorm Spiegel war dieser Gedanke bereits wieder in weite Ferne gerückt.
31 Oktober 2009
29 Oktober 2009
Gelebte Gastfreundschaft
„Klar kannst du dort parken, am Samstagabend patroullieren sie hier nicht“, sage ich mit ortskundigem Selbstbewusstsein zum Schwiegervater.
Einige Stunden später, kurz nachdem Ms. Columbo meiner Schwiegermutter im Rahmen einer virtuos inszenierten Kettenreaktion (Plastikflasche auf Weinglas, Rotwein auf Bluse) die Oberbekleidung gebatikt hat, entdeckt Schwiegervater vom Balkon aus was? Ein Knöllchen an der Windschutzscheibe.
Kurz: Es hätte insgesamt besser laufen können mit dem Besuch aus Wolfsburg (Foto). Enterben werden sie uns wohl trotzdem nicht.
Nehme ich zumindest mal an.
Einige Stunden später, kurz nachdem Ms. Columbo meiner Schwiegermutter im Rahmen einer virtuos inszenierten Kettenreaktion (Plastikflasche auf Weinglas, Rotwein auf Bluse) die Oberbekleidung gebatikt hat, entdeckt Schwiegervater vom Balkon aus was? Ein Knöllchen an der Windschutzscheibe.
Kurz: Es hätte insgesamt besser laufen können mit dem Besuch aus Wolfsburg (Foto). Enterben werden sie uns wohl trotzdem nicht.
Nehme ich zumindest mal an.
Ein kleiner Schabernack auf meine Kosten
Heute trieb die für die Gestaltung meines Alltags zuständige Instanz (wieder mal) einen kleinen Schabernack mit mir.
Als ich morgens ins Büro aufbrechen wollte, regnete es. Also beschloss ich, mit dem 37er-Bus zu fahren. An der Haltestelle stellte ich jedoch fest, dass ich meine Abokarte vergessen hatte.
Aus Geiz taperte ich zurück zur Seilerstraße (Beispielfoto), um die Karte zu holen. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Also entschied ich mich, nun doch das Fahrrad zu nehmen.
Ich erwähne jetzt nicht die Tatsache eines überraschenderweise platten Vorderreifens, der erst einmal aufgepumpt werden wollte; nein, entscheidender war der exakt auf halber Strecke einsetzende kräftige Herbstregen.
Ich verbuche es daher als kleine unverdiente Großherzigkeit der für die Gestaltung meines Alltags zuständigen Instanz, dass mich unterwegs der 37er-Bus nicht überholte. Auch ein solcher Tag hat Glücksmomente.
Gut: klitzekleine.
Als ich morgens ins Büro aufbrechen wollte, regnete es. Also beschloss ich, mit dem 37er-Bus zu fahren. An der Haltestelle stellte ich jedoch fest, dass ich meine Abokarte vergessen hatte.
Aus Geiz taperte ich zurück zur Seilerstraße (Beispielfoto), um die Karte zu holen. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Also entschied ich mich, nun doch das Fahrrad zu nehmen.
Ich erwähne jetzt nicht die Tatsache eines überraschenderweise platten Vorderreifens, der erst einmal aufgepumpt werden wollte; nein, entscheidender war der exakt auf halber Strecke einsetzende kräftige Herbstregen.
Ich verbuche es daher als kleine unverdiente Großherzigkeit der für die Gestaltung meines Alltags zuständigen Instanz, dass mich unterwegs der 37er-Bus nicht überholte. Auch ein solcher Tag hat Glücksmomente.
Gut: klitzekleine.
28 Oktober 2009
Intelligenzbestien unter sich
Seit einiger Zeit lungert täglich ein großer schwarzer Hund vorm Fahrradladen in der Detlev-Bremer-Straße herum.
Wahrscheinlich gehört er dem Besitzer, und der kann oder möchte sich keinen Hundesitter leisten. Also muss der große Schwarze seine Tage auf dem Gehweg verbringen, den er dabei mit hoher Effizienz versperrt.
Erschwerend hinzu kommt sein mangelndes Einfühlungsvermögen. Der Hund weigert sich zu begreifen, dass er a) ein Hindernis darstellt, zumal für Fahrradfahrer wie mich, die sich illegalerweise auf dem Gehweg fortzubewegen wünschen, und b) sich gefälligst zu trollen hat, wenn ein Mitglied der (aus seiner Sicht) herrschenden Klasse dahergeradelt kommt.
Denn nähert man sich ihm, so glotzt er zwar fried- und zutraulich, doch er rafft nicht, dass die Art, wie er sich in seiner großen schwarzen Massigkeit schrägquer im Durchgang aufbaut oder gar hinfläzt, jedwedes kollionslose Passieren verunmöglicht.
Bei Tauben ist mir ein verwandtes Phänomen aufgefallen. Kommt man angeradelt, fliehen sie zwar in letzter Millisekunde, doch nicht nach dem Motto „Schnell weg“, sondern erst einmal flatternd vors Vorderrad, so dass ich mich jedes Mal verärgert beim Bremsreflex ertappe, wobei doch ein aufstiebendes Taubenfedermeer die weit größere Befriedigung ergäbe.
Natürlich kommt die Taube stets davon, trotz ihres widersinnigen Fluchtkurses. Doch zurück zum Hund. Der steht oder liegt stoisch da und glotzt. Woher rühren noch mal die Behauptungen von der Intelligenz des Canis lupus familiaris? Bestimmt stammen sie vom gleichen Forscher, der sich beim Eisengehalt des Spinats um mehrere Kommastellen vertat.
Allein dass Hunde sich bereits vor Urzeiten ins Haustierdasein fügten und ihre seither ungebrochene Versklavung selbst durch Reeperbahnpunks oder grenzdebile Herrchen anscheinend ohne jeden revolutionären Impuls glotzend und gehwegversperrend fortzuführen gedenken, widerlegt m. E. die Intelligenzthese nachhaltig.
Dem großen schwarzen Hund bin ich gleichwohl bisher noch nie über den Schwanz gefahren, obwohl er es geradezu darauf anlegt. Nein, ich steige ab und schiebe.
Was das über meine Intelligenz aussagt, habe ich bisher noch nicht rausgefunden.
Wahrscheinlich gehört er dem Besitzer, und der kann oder möchte sich keinen Hundesitter leisten. Also muss der große Schwarze seine Tage auf dem Gehweg verbringen, den er dabei mit hoher Effizienz versperrt.
Erschwerend hinzu kommt sein mangelndes Einfühlungsvermögen. Der Hund weigert sich zu begreifen, dass er a) ein Hindernis darstellt, zumal für Fahrradfahrer wie mich, die sich illegalerweise auf dem Gehweg fortzubewegen wünschen, und b) sich gefälligst zu trollen hat, wenn ein Mitglied der (aus seiner Sicht) herrschenden Klasse dahergeradelt kommt.
Denn nähert man sich ihm, so glotzt er zwar fried- und zutraulich, doch er rafft nicht, dass die Art, wie er sich in seiner großen schwarzen Massigkeit schrägquer im Durchgang aufbaut oder gar hinfläzt, jedwedes kollionslose Passieren verunmöglicht.
Bei Tauben ist mir ein verwandtes Phänomen aufgefallen. Kommt man angeradelt, fliehen sie zwar in letzter Millisekunde, doch nicht nach dem Motto „Schnell weg“, sondern erst einmal flatternd vors Vorderrad, so dass ich mich jedes Mal verärgert beim Bremsreflex ertappe, wobei doch ein aufstiebendes Taubenfedermeer die weit größere Befriedigung ergäbe.
Natürlich kommt die Taube stets davon, trotz ihres widersinnigen Fluchtkurses. Doch zurück zum Hund. Der steht oder liegt stoisch da und glotzt. Woher rühren noch mal die Behauptungen von der Intelligenz des Canis lupus familiaris? Bestimmt stammen sie vom gleichen Forscher, der sich beim Eisengehalt des Spinats um mehrere Kommastellen vertat.
Allein dass Hunde sich bereits vor Urzeiten ins Haustierdasein fügten und ihre seither ungebrochene Versklavung selbst durch Reeperbahnpunks oder grenzdebile Herrchen anscheinend ohne jeden revolutionären Impuls glotzend und gehwegversperrend fortzuführen gedenken, widerlegt m. E. die Intelligenzthese nachhaltig.
Dem großen schwarzen Hund bin ich gleichwohl bisher noch nie über den Schwanz gefahren, obwohl er es geradezu darauf anlegt. Nein, ich steige ab und schiebe.
Was das über meine Intelligenz aussagt, habe ich bisher noch nicht rausgefunden.
27 Oktober 2009
Das Strichfrauchen
Sie ist blond, trägt im Bauch-Rücken-Kurs immer ein hautenges rosa Shirt zu Wurstpellenleggings und gehört zu jenem Typ Frau, den die Brigitte nicht mehr im Heft haben will.
Nur eins an ihr sieht nicht nach Sahelzone aus: die außergewöhliche Doppelwölbung am Oberkörper.
Wenn sie auf Kommando ins „Brett“ geht, sich also auf Ellbogen und Fußspitzen stützt und den Rumpf in der Schwebe durchstreckt, eilen die Fitnesstrainer auffällig oft herbei, fassen ihr links und rechts zart an die Rippen (mehr ist da nämlich nicht als Rippen) und korrigieren ihre Haltung.
Andere Kursteilnehmer können in ihrer Übungsausführung noch so sehr an Hängebauchschweine (Foto: HAH) erinnern, das ist den Trainern egal. Sie kümmern sich nur um die Körperspannung des Strichfrauchens.
Und das, liebe Brigitte et. al., heißt nichts anderes als: Eure ganzen Kampagnen gegen Magermodels werden ins Leere laufen. Das sagt der amtliche Fitnesstrainerlackmustest, der hiermit offiziell in der Welt ist.
Verifikationsanfragen bitte an Karl Lagerfeld.
Nur eins an ihr sieht nicht nach Sahelzone aus: die außergewöhliche Doppelwölbung am Oberkörper.
Wenn sie auf Kommando ins „Brett“ geht, sich also auf Ellbogen und Fußspitzen stützt und den Rumpf in der Schwebe durchstreckt, eilen die Fitnesstrainer auffällig oft herbei, fassen ihr links und rechts zart an die Rippen (mehr ist da nämlich nicht als Rippen) und korrigieren ihre Haltung.
Andere Kursteilnehmer können in ihrer Übungsausführung noch so sehr an Hängebauchschweine (Foto: HAH) erinnern, das ist den Trainern egal. Sie kümmern sich nur um die Körperspannung des Strichfrauchens.
Und das, liebe Brigitte et. al., heißt nichts anderes als: Eure ganzen Kampagnen gegen Magermodels werden ins Leere laufen. Das sagt der amtliche Fitnesstrainerlackmustest, der hiermit offiziell in der Welt ist.
Verifikationsanfragen bitte an Karl Lagerfeld.
26 Oktober 2009
Der designierte Containerkanzler
Heute dämmerte mir zu meiner nicht geringen Bestürzung, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit ein Mann, der eine Zeit im „Big Brother“-Container in Köln-Ossendorf verbracht hat, demnächst nur noch eine Zyankalikapsel weit davon entfernt sein wird, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden:
Guido Westerwelle.
Auf den Trichter brachte mich eine unverhoffte Begegnung im Fitnessstudio. Neben mir mühte sich nämlich ein einstiger „Big Brother“-Insasse. Es war jedoch nicht Westerwelle, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit „Mark“ aus Staffel 5.
Ja, verdammt: Ich habe Staffel 5 gesehen – und erwarte nun demütigst das umstandslose Geteert- und Gefedertwerden, doch ohne diesen Fernsehfauxpas wäre zweifellos die oben artikulierte Erkenntniskette (Guido, Zyankali, Kanzler) nicht zustande gekommen.
So hat selbst „Big Brother“ noch sein Gutes.
Foto: Wikipedia
Guido Westerwelle.
Auf den Trichter brachte mich eine unverhoffte Begegnung im Fitnessstudio. Neben mir mühte sich nämlich ein einstiger „Big Brother“-Insasse. Es war jedoch nicht Westerwelle, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit „Mark“ aus Staffel 5.
Ja, verdammt: Ich habe Staffel 5 gesehen – und erwarte nun demütigst das umstandslose Geteert- und Gefedertwerden, doch ohne diesen Fernsehfauxpas wäre zweifellos die oben artikulierte Erkenntniskette (Guido, Zyankali, Kanzler) nicht zustande gekommen.
So hat selbst „Big Brother“ noch sein Gutes.
Foto: Wikipedia
25 Oktober 2009
Fundstücke (61): Über Gott und die Welt
1. Wie betrüblich es um die monotheistischen Religionen bestellt ist, dokumentiert u. a. die beschämende Followerzahl von Gott bei Twitter: lediglich 116 Schäfchen wollen Sein Wort hören. Doch auch Er leidet unter Weltekel und interessiert sich nur noch für 49 seiner Geschöpfe. Konsequenterweise hat Er seit einem Monat nichts mehr getwittert. Ja, es ist ein Elend.
2. Budnikowsky bietet eins der hartnäckigsten Nester von Deppenleerzeichen auf ganz St. Pauli. Da müsste mal der Deppenleerzeichenkammerjäger durchmarodieren; ein Job, für den ich keineswegs unterqualifiziert wäre. „Dieser Bereich ist Kamera“, heißt es etwa kryptisch auf einem Schild über der Kasse. In einer weiteren Zeile hält uns das Schild dann ein unmotiviertes „überwacht“ vor die Nase, und man ahnt, was die Budnikowskys semantisch im Sinn hatten, als sie dem Schildermacher diesen debilen Auftrag erteilten. Die Deppenleerzeichenmarotte erstreckt sich sogar bis aufs Sortiment. Im Alnatura-Regal zum Beispiel findet sich ein „Berg Linsen“. Immerhin lässt das den Kilopreis von 3,98 Euro nicht gerade überteuert wirken.
3. „Pizza, ital. Art“ klingt wie „Eulen nach Vogelart“, jedenfalls betäubend tautologisch. Dafür sind aber immerhin weder Gott noch Budnikowsky verantwortlich, sondern ganz allein Würzburg.
24 Oktober 2009
Kahl und Kähler
Als ersten aus der legendären Ur-Titanic-Mannschaft lernte ich einst Ernst Kahl kennen. Und heute, als zweiten, Richard Kähler (Foto), mit dem ich im Miller zusammensaß bei Espresso, Spaghetti und Maracujasaft.
Kahl und Kähler: Das klingt nach einer ausnehmend logischen Abfolge.
Für Satirezeitschriften zu arbeiten scheint – so ein erstes, frühes Fazit, das freilich noch einer hoffentlich bald verbreiterbaren empirischen Basis bedarf – ernste Auswirkungen auf die Persönlichkeitsbildung zu haben; diese Leute sind nämlich alle verteufelt sympathisch, gebildet, eloquent und durchweg liebenswert.
Könnte Mahmoud Ahmadinedschad nicht auch mal bei einer Satirezeitschrift anheuern, wenigstens als Praktikant?
Aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert, sonst wäre zum Beispiel auch Klaus Kinski noch gar nicht tot, sondern hätte gerade seinen 83. Geburtstag gefeiert – und dieser listige Schlenker gibt mir die willkommene Gelegenheit, noch mal die Umstände meines Erwerbs einer wertvollen Devotionalie in Erinnerung zu rufen.
Dieser Text ist eine Linkhölle, ich weiß. Und das Foto bei Kähler stibitzt.
Kahl und Kähler: Das klingt nach einer ausnehmend logischen Abfolge.
Für Satirezeitschriften zu arbeiten scheint – so ein erstes, frühes Fazit, das freilich noch einer hoffentlich bald verbreiterbaren empirischen Basis bedarf – ernste Auswirkungen auf die Persönlichkeitsbildung zu haben; diese Leute sind nämlich alle verteufelt sympathisch, gebildet, eloquent und durchweg liebenswert.
Könnte Mahmoud Ahmadinedschad nicht auch mal bei einer Satirezeitschrift anheuern, wenigstens als Praktikant?
Aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert, sonst wäre zum Beispiel auch Klaus Kinski noch gar nicht tot, sondern hätte gerade seinen 83. Geburtstag gefeiert – und dieser listige Schlenker gibt mir die willkommene Gelegenheit, noch mal die Umstände meines Erwerbs einer wertvollen Devotionalie in Erinnerung zu rufen.
Dieser Text ist eine Linkhölle, ich weiß. Und das Foto bei Kähler stibitzt.
22 Oktober 2009
„Ich bin ein Nichts“
Wenn Gunter Gabriel Radiohead covert, sollte man eigentlich ergriffen oder erschüttert schweigen, je nachdem. Doch ich sollte vorher noch schnell erwähnen, dass heute Abend auch die Schauspielerin, Totschlägerin und Dschungelkönigin Ingrid van Bergen beim Konzert im Knust auftauchte.
Die Gute ist 78, verfügt aber noch über eine gleichsam mädchenhafte Beweglichkeit, und wenn auch ihrem Gesicht bereits jedes der 78 Jahre brutalstmöglich imprägniert ist, so versteht es die Bergen doch virtuos, ihr ungebrochen kregles Wesen auch outfitmäßig perfekt überzubetonen.
Sie lief auf mit Rockerlederjacke und stroh
So, und jetzt Gabriel hören, ergriffen oder erschüttert, je nachdem.
20 Oktober 2009
Der lachende Afrikaner
Stieß gestern in Ottensen in der Nähe des Aurel (Foto) mit einem anderen Radfahrer zusammen, einem Afrikaner.
Ich wollte gerade auf die Bahrenfelder Straße einbiegen, als er unversehens hinter einem parkenden Auto auftauchte, und zwar auf seiner linken Seite. Unmöglich zu bremsen, ich rasselte ihm heftig ins Vorderrad, doch der Notarzt musste nicht anrücken.
Er: „Sorry, sorry!“ Ich: „Puh!“ Und dann begann der Afrikaner laut aufzulachen.
Ich muss derart perplex geguckt haben, dass er nicht anders konnte. Sein Lachen ließ mich freilich noch perplexer gucken, was es weiter steigerte. Ähnlich verläuft wohl eine atomare Reaktion.
Gerne hätte ich ihn an dieser Stelle darauf verwiesen, dass wir hier nicht in England seien, wo man die Straßen nicht nur links befahren darf, sondern muss, doch sein inzwischen am Rande des Krampfartigen angelangter Lachanfall ließ mich davon Abstand nehmen. Die semantische Vermittlung der Botschaft schien mir angesichts seiner mangelnden Rezeptionsbereitschaft schlicht zu ungewiss.
Als ich weiterfuhr, verklang sein Lachen nur sehr allmählich im Gewirr der Ottenser Gassen.
Irgendwie schon ganz andere Menschen, diese Afrikaner.
Ich wollte gerade auf die Bahrenfelder Straße einbiegen, als er unversehens hinter einem parkenden Auto auftauchte, und zwar auf seiner linken Seite. Unmöglich zu bremsen, ich rasselte ihm heftig ins Vorderrad, doch der Notarzt musste nicht anrücken.
Er: „Sorry, sorry!“ Ich: „Puh!“ Und dann begann der Afrikaner laut aufzulachen.
Ich muss derart perplex geguckt haben, dass er nicht anders konnte. Sein Lachen ließ mich freilich noch perplexer gucken, was es weiter steigerte. Ähnlich verläuft wohl eine atomare Reaktion.
Gerne hätte ich ihn an dieser Stelle darauf verwiesen, dass wir hier nicht in England seien, wo man die Straßen nicht nur links befahren darf, sondern muss, doch sein inzwischen am Rande des Krampfartigen angelangter Lachanfall ließ mich davon Abstand nehmen. Die semantische Vermittlung der Botschaft schien mir angesichts seiner mangelnden Rezeptionsbereitschaft schlicht zu ungewiss.
Als ich weiterfuhr, verklang sein Lachen nur sehr allmählich im Gewirr der Ottenser Gassen.
Irgendwie schon ganz andere Menschen, diese Afrikaner.
Fundstücke (59): Die Wurst, der Durst und der Tod
Auf dem Weg nach Wandsbek kamen wir am Omnibusbahnhof vorbei. Dort verheißt das Bistro „Wurst & Durst“ den parallelen Verkauf a) eines Nahrungsmittels und b) einer Mangelerscheinung. Bestimmt eine super Marktlücke.
Später auf der Wandsbeker Chaussee sollte sich das Thema teilweise wiederholen, doch der Laden „Flachs-Wurst“ wurde von seinem Nachbarn noch weit übertroffen.
Wie wir zu unserem namenlosen Erschrecken (und Amüsement) feststellen mussten, möchte man nun sogar im postmortalen Segment einen locker-flockigen Kalauerton anschlagen.
Der „Sarg Shop Good-buy“ ist jedenfalls so cool, wie eine Leiche niemals werden kann.
Die Fotoqualität ist übrigens der von Hast und Hektik geprägten Knipssituation geschuldet: aus einem fahrenden Bus heraus ins Gegenlicht. Doch es hat sich gelohnt, oh ja.
19 Oktober 2009
Alten Leuten über die Straße helfen
Der Rollstuhlopa trägt Glasbausteinbrille und Schiebermütze, er ist schlecht rasiert und – wohl nach einem Schlaganfall – des Sprechens nicht mehr mächtig, nur noch des Sabberns.
Neulich trafen wir ihn in hilflosem Zustand in der Bernstorffstraße an. Er hatte sich an einem Poller festgefahren und kam nicht mehr vor noch zurück. Wir versuchten herauszufinden, wo er hinwollte. Trotz der erschwerten Kommunikationsgesamtlage gelang es ihm, uns seinen Richtungswunsch mitzuteilen.
Stakkatisch stieß er gutturale Laute aus und kombinierte sie mit ruckartigem Armgeschlenker; so dirigierte er uns durchs Viertel, bis wir schließlich eine Seniorenwohnanlage erreichten, wo wir ihn zu seiner gutturalen Zufriedenheit vorm Aufzug abstellten.
Wir nutzten noch schnell die Heimtoiletten und trollten uns – im Bewusstsein, das Tagesquantum einer guten Pfadfindertat bereits mittags erfüllt zu haben und uns für die restlichen Stunden nun ungehemmter Niedertracht hingeben zu dürfen. Ein schönes Gefühl.
Das war vor einigen Wochen. Heute standen Ms. Columbo und ich an der Reeperbahn gegenüber vom Beatlemania-Museum, wo das Bild des weinenden Ringo hängt, und warteten auf den Bus, als ich am Fußgängerüberweg Nobistor den Rollstuhlopa entdeckte. Und zwar in bedenklicher Entfernung vom Seniorenwohnheim.
Als die Ampel grün wurde, bewegte er sich molluskenhaft langsam vorwärts auf die vierspurige Reeperbahn, blieb allerdings bereits in der kleinen Senke hängen, die Gehweg und Straße verbindet. Er stand nun halb auf der Reeperbahn, die Autos konnten nicht vorbei. Entgegenkommende Passanten telefonierten selbstvergessen und schauten blöde, aber halfen nicht.
Zeit also für das nächste Tagesquantum einer guten Pfadfindertat, die den Freibrief liefern würde für ungehemmte Niedertracht am Rest des Tages. Ich zog ihn erst einmal zurück, was mir der Reeperbahnverkehr mit warmem Lächeln dankte.
Ob der Rollstuhlopa, den ich enthusiastisch an unsere erste Begegnung zu erinnern versuchte, mich noch erkannte, war letztlich schwer zu beurteilen, denn er war weiterhin nur in der Lage, einsilbige Grunzlaute hervorzubringen. Seine Gestik allerdings lieferte zusammen mit seinem gescheiterten Bestreben, die Reeperbahn überqueren zu wollen, eine Richtungsvorgabe.
Ja, er wollte eindeutig auf die andere Straßenseite, und so joggte ich mit ihm bei der nächsten Grünphase über die vier Spuren der Amüsiermeile, während ich aus dem Augenwinkel schon unseren Bus herannahen sah – den ich dann auch noch gerade so erwischte.
Diesmal entfiel also unser Eskortservice. Doch das Ganze wirft Fragen auf. Dieser hilflose alte apoplektische Herr ist a) kräftemäßig keineswegs mehr in der Lage, seinen Rollstuhl auch nur noch einen Zentimeter zu bewegen, sobald die klitzekleinste Steigung droht, und b) unfähig, Zunge und Kehlkopf sinnvoll zu koordinieren – also was um Albert Schweitzers Willen macht er alleine auf dem Kiez? Wieso kriegt er keinen Elektrorolli – oder wenigstens einen Zivi, der ihn herumkarrt?
Kurz: Warum müssen wir ihn immer retten, obwohl der Istzustand unseres Karmas doch bereits weitgehend deckungsgleich ist mit dem Sollzustand?
Natürlich, der letzte Satz ist geprägt von Hybris, Eitelkeit und Selbstüberschätzung, doch er ändert ja nichts an der fürs „Senioren Centrum Altona“ unbequemen Frage.
Ich glaube, ich maile sie ihm einfach mal.
Neulich trafen wir ihn in hilflosem Zustand in der Bernstorffstraße an. Er hatte sich an einem Poller festgefahren und kam nicht mehr vor noch zurück. Wir versuchten herauszufinden, wo er hinwollte. Trotz der erschwerten Kommunikationsgesamtlage gelang es ihm, uns seinen Richtungswunsch mitzuteilen.
Stakkatisch stieß er gutturale Laute aus und kombinierte sie mit ruckartigem Armgeschlenker; so dirigierte er uns durchs Viertel, bis wir schließlich eine Seniorenwohnanlage erreichten, wo wir ihn zu seiner gutturalen Zufriedenheit vorm Aufzug abstellten.
Wir nutzten noch schnell die Heimtoiletten und trollten uns – im Bewusstsein, das Tagesquantum einer guten Pfadfindertat bereits mittags erfüllt zu haben und uns für die restlichen Stunden nun ungehemmter Niedertracht hingeben zu dürfen. Ein schönes Gefühl.
Das war vor einigen Wochen. Heute standen Ms. Columbo und ich an der Reeperbahn gegenüber vom Beatlemania-Museum, wo das Bild des weinenden Ringo hängt, und warteten auf den Bus, als ich am Fußgängerüberweg Nobistor den Rollstuhlopa entdeckte. Und zwar in bedenklicher Entfernung vom Seniorenwohnheim.
Als die Ampel grün wurde, bewegte er sich molluskenhaft langsam vorwärts auf die vierspurige Reeperbahn, blieb allerdings bereits in der kleinen Senke hängen, die Gehweg und Straße verbindet. Er stand nun halb auf der Reeperbahn, die Autos konnten nicht vorbei. Entgegenkommende Passanten telefonierten selbstvergessen und schauten blöde, aber halfen nicht.
Zeit also für das nächste Tagesquantum einer guten Pfadfindertat, die den Freibrief liefern würde für ungehemmte Niedertracht am Rest des Tages. Ich zog ihn erst einmal zurück, was mir der Reeperbahnverkehr mit warmem Lächeln dankte.
Ob der Rollstuhlopa, den ich enthusiastisch an unsere erste Begegnung zu erinnern versuchte, mich noch erkannte, war letztlich schwer zu beurteilen, denn er war weiterhin nur in der Lage, einsilbige Grunzlaute hervorzubringen. Seine Gestik allerdings lieferte zusammen mit seinem gescheiterten Bestreben, die Reeperbahn überqueren zu wollen, eine Richtungsvorgabe.
Ja, er wollte eindeutig auf die andere Straßenseite, und so joggte ich mit ihm bei der nächsten Grünphase über die vier Spuren der Amüsiermeile, während ich aus dem Augenwinkel schon unseren Bus herannahen sah – den ich dann auch noch gerade so erwischte.
Diesmal entfiel also unser Eskortservice. Doch das Ganze wirft Fragen auf. Dieser hilflose alte apoplektische Herr ist a) kräftemäßig keineswegs mehr in der Lage, seinen Rollstuhl auch nur noch einen Zentimeter zu bewegen, sobald die klitzekleinste Steigung droht, und b) unfähig, Zunge und Kehlkopf sinnvoll zu koordinieren – also was um Albert Schweitzers Willen macht er alleine auf dem Kiez? Wieso kriegt er keinen Elektrorolli – oder wenigstens einen Zivi, der ihn herumkarrt?
Kurz: Warum müssen wir ihn immer retten, obwohl der Istzustand unseres Karmas doch bereits weitgehend deckungsgleich ist mit dem Sollzustand?
Natürlich, der letzte Satz ist geprägt von Hybris, Eitelkeit und Selbstüberschätzung, doch er ändert ja nichts an der fürs „Senioren Centrum Altona“ unbequemen Frage.
Ich glaube, ich maile sie ihm einfach mal.
17 Oktober 2009
Mälzers brutale Wahrheit
Die meisten Restaurants, zumal die teuren, tun so, als sei das Essen im 21. Jahrhundert ein durchweg kultureller Akt. Alles, was diese Ästhetisierung eines existenziellen Triebs atmosphärisch trüben könnte, wird verborgen und versteckt.
Diese totale Verbrämung beginnt bei der verschleiernden Lyrik der Speisekarten (Christian Rachs Tafelhaus etwa offeriert gerade „Panaché von Meeresfischen“) und endet mit bisweilen hochdekorativen Arrangements auf dem Teller, die man versucht ist fotografisch zu verewigen (was ich in der Tat bereits getan habe).
Promikoch Tim Mälzer allerdings spielt dieses Spiel nicht mit. In seiner Bullerei in der Schanzenstraße wird man im Flur zwischen Restaurant, Bistro und Klo mit der brutalen Wahrheit hinter all dem Getue um die Ästhetik des Essens konfrontiert.
Dort hängen zwei original Tierhälften in einem grell ausgeleuchteten Innenschaufenster. Echte Leichen. Konservierte Todesangst. Tragödie, Panik, Untergang.
Das Rot des Fleisches scheint auf den ersten Blick zu rot zu sein, das Weiß von Sehnen, Fett und Rippen zu leuchtend – hat hier etwa der Präparator Gunther von Hagens unselig gewirkt?
Das könnte man denken, doch dann fällt der großäugige Blick auf den Boden unter der zerteilten Tierleiche. Da steht ein Metallbottich mit ausgelegter Alufolie, und dort hinein tropft Tropfen für Tropfen das restliche Tierhälftenblut.
Dieses makabre Arrangement holt dich augenblicks zurück auf den Boden der kulinarischen Tatsachen. Und wer danach seine Rinderhüfte mit Senf-Kräuterkruste noch guten Appetits verputzen kann, muss sich gewiss nicht mehr – zum Beispiel von Vegetariern – als Heuchler oder Eskapist beschimpfen lassen.
Wir haben übrigens heute Nachmittag bei Mälzer nur zwei Espresso getrunken. Aber es hingen ja auch nirgends grell ausgeleuchtete tote Arabicabohnen herum, aus denen irgendeine Restflüssigkeit tropfte, zugegeben.
Diese totale Verbrämung beginnt bei der verschleiernden Lyrik der Speisekarten (Christian Rachs Tafelhaus etwa offeriert gerade „Panaché von Meeresfischen“) und endet mit bisweilen hochdekorativen Arrangements auf dem Teller, die man versucht ist fotografisch zu verewigen (was ich in der Tat bereits getan habe).
Promikoch Tim Mälzer allerdings spielt dieses Spiel nicht mit. In seiner Bullerei in der Schanzenstraße wird man im Flur zwischen Restaurant, Bistro und Klo mit der brutalen Wahrheit hinter all dem Getue um die Ästhetik des Essens konfrontiert.
Dort hängen zwei original Tierhälften in einem grell ausgeleuchteten Innenschaufenster. Echte Leichen. Konservierte Todesangst. Tragödie, Panik, Untergang.
Das Rot des Fleisches scheint auf den ersten Blick zu rot zu sein, das Weiß von Sehnen, Fett und Rippen zu leuchtend – hat hier etwa der Präparator Gunther von Hagens unselig gewirkt?
Das könnte man denken, doch dann fällt der großäugige Blick auf den Boden unter der zerteilten Tierleiche. Da steht ein Metallbottich mit ausgelegter Alufolie, und dort hinein tropft Tropfen für Tropfen das restliche Tierhälftenblut.
Dieses makabre Arrangement holt dich augenblicks zurück auf den Boden der kulinarischen Tatsachen. Und wer danach seine Rinderhüfte mit Senf-Kräuterkruste noch guten Appetits verputzen kann, muss sich gewiss nicht mehr – zum Beispiel von Vegetariern – als Heuchler oder Eskapist beschimpfen lassen.
Wir haben übrigens heute Nachmittag bei Mälzer nur zwei Espresso getrunken. Aber es hingen ja auch nirgends grell ausgeleuchtete tote Arabicabohnen herum, aus denen irgendeine Restflüssigkeit tropfte, zugegeben.
16 Oktober 2009
Blanker Hass
Mancher Dinge kann man sich kaum noch mit dem eigentlich probaten Mittel der Ironie erwehren, weil sie in ihrer Häufung möglichweise keine Koinzidenz mehr sind, sondern etwas Düsteres, Schlimmes symbolisieren, mit dem die Luft, die uns umgibt, derart gesättigt ist, dass eine Explosion unweigerlich wird, vielleicht bald nicht mehr nur verbal.
Soweit die Theorie, empirsch abgeleitet. Die folgenden Ereignisse finden innerhalb einer Minute statt.
Als ich heute Abend auf der Radfahrt nach Hause an der Baracke vorbeikomme, wo täglich Nonnen die Armen mit Speisen versorgen, steht wie üblich eine Gruppe abgerissener Männer (es sind immer Männer) vor dem flachen roten Gebäude.
Sie stehen nicht auf dem Radweg wie sonst oft und gerne, sondern auf dem Bürgersteig. Ich muss also nicht klingeln wie sonst oft und ungerne, sondern kann einfach vorüberfahren. Als ich auf Höhe des Trios bin, dreht sich plötzlich einer um zu mir und brüllt mit der ganzen brachialen Kraft seiner Raucherlunge:
„FICK DICH, DU ARSCHLOCH!“
Diese Äußerung kommt in jeder Hinsicht derart überraschend, dass sie keine Reaktion ermöglicht außer der einer stoischen Weiterfahrt, mit der ich ein souveränes Michnichtgemeintfühlen signalisiere – der einzige schale und zudem geheuchelte Triumph, der in dieser Situation bleibt.
Noch unterm Eindruck dieses grundlosen Aggressionsausbruchs erreiche ich die Große Freiheit. Von rechts kommt eine Frau mit Hund, etwa 30 Meter weiter auf dem Gehweg sehe ich eine weitere Frau mit Hund. Der allerdings kläfft. Als ich vorbeifahre, kreischt die Frau aus der Großen Freiheit plötzlich:
„HALT DIE FRESSE, DU SCHEISSKÖTER!“
Innerhalb einer Minute, auf einer Strecke von kaum 100 Metern: zwei Hassausbrüche von derart sonischer Vehemenz, dass es einem kalt den Rücken hinunterläuft.
Was werden diese Menschen tun, wenn ihnen wirklich mal jemand Grund zum Hassen gibt? Welche beängstigende emotionale Textur liegt über diesem Land – konkretisiere: St. Pauli –, wenn man an jeder Ecke auf komplett abgebaute Beißhemmungen stößt?
Das kann ja eigentlich noch nicht an Schwarz-Gelb liegen.
Soweit die Theorie, empirsch abgeleitet. Die folgenden Ereignisse finden innerhalb einer Minute statt.
Als ich heute Abend auf der Radfahrt nach Hause an der Baracke vorbeikomme, wo täglich Nonnen die Armen mit Speisen versorgen, steht wie üblich eine Gruppe abgerissener Männer (es sind immer Männer) vor dem flachen roten Gebäude.
Sie stehen nicht auf dem Radweg wie sonst oft und gerne, sondern auf dem Bürgersteig. Ich muss also nicht klingeln wie sonst oft und ungerne, sondern kann einfach vorüberfahren. Als ich auf Höhe des Trios bin, dreht sich plötzlich einer um zu mir und brüllt mit der ganzen brachialen Kraft seiner Raucherlunge:
„FICK DICH, DU ARSCHLOCH!“
Diese Äußerung kommt in jeder Hinsicht derart überraschend, dass sie keine Reaktion ermöglicht außer der einer stoischen Weiterfahrt, mit der ich ein souveränes Michnichtgemeintfühlen signalisiere – der einzige schale und zudem geheuchelte Triumph, der in dieser Situation bleibt.
Noch unterm Eindruck dieses grundlosen Aggressionsausbruchs erreiche ich die Große Freiheit. Von rechts kommt eine Frau mit Hund, etwa 30 Meter weiter auf dem Gehweg sehe ich eine weitere Frau mit Hund. Der allerdings kläfft. Als ich vorbeifahre, kreischt die Frau aus der Großen Freiheit plötzlich:
„HALT DIE FRESSE, DU SCHEISSKÖTER!“
Innerhalb einer Minute, auf einer Strecke von kaum 100 Metern: zwei Hassausbrüche von derart sonischer Vehemenz, dass es einem kalt den Rücken hinunterläuft.
Was werden diese Menschen tun, wenn ihnen wirklich mal jemand Grund zum Hassen gibt? Welche beängstigende emotionale Textur liegt über diesem Land – konkretisiere: St. Pauli –, wenn man an jeder Ecke auf komplett abgebaute Beißhemmungen stößt?
Das kann ja eigentlich noch nicht an Schwarz-Gelb liegen.
15 Oktober 2009
Keine engen Räume
Als gnadenlos konsequenter Trainingskursnichtverpasser versäume ich das Länderspiel Deutschland-Finnland und muss mich nach Abpfiff von Ms. Columbo informieren lassen.
Schließlich gleicht das Geschehen auf dem Rasen einem unendlichen Antizipationspingpong in lauter Mikroduellen, und das will sachkundig analysiert und kommentiert sein.
Ungläubig erfahre ich nach meiner Rückkehr von einem mäßigen 1:1. „Sie waren nicht gut organisiert“, rezitiert Ms. Columbo Dellingnetzer. „Und das Spiel nach vorne?“, giere ich bang nach weiteren Details. „Schlecht“, bescheidet sie knapp.
„Haben sie denn wenigstens“, rufe ich entrüstet aus, „die Räume eng gemacht?!“ Ms. Columbo schüttelt bedauernd den Kopf: „Auch das nicht.“
Der gnadenlos konsequente Trainingskursnichtverpasser fällt enttäuscht in den Freischwinger – und hat keine Ahnung, wie er diesen Blogeintrag irgendwie pointiert zu Ende bringen kann.
Foto: Anton (rp)/GNU Free Documentation License
Schließlich gleicht das Geschehen auf dem Rasen einem unendlichen Antizipationspingpong in lauter Mikroduellen, und das will sachkundig analysiert und kommentiert sein.
Ungläubig erfahre ich nach meiner Rückkehr von einem mäßigen 1:1. „Sie waren nicht gut organisiert“, rezitiert Ms. Columbo Dellingnetzer. „Und das Spiel nach vorne?“, giere ich bang nach weiteren Details. „Schlecht“, bescheidet sie knapp.
„Haben sie denn wenigstens“, rufe ich entrüstet aus, „die Räume eng gemacht?!“ Ms. Columbo schüttelt bedauernd den Kopf: „Auch das nicht.“
Der gnadenlos konsequente Trainingskursnichtverpasser fällt enttäuscht in den Freischwinger – und hat keine Ahnung, wie er diesen Blogeintrag irgendwie pointiert zu Ende bringen kann.
Foto: Anton (rp)/GNU Free Documentation License
13 Oktober 2009
Die Verrückte
Sie tobte, aber ganz für sich, drüben auf der anderen Seite der Reeperbahn, vor Lukullus.
Eine Afrikanerin, hager und klein, sie trug eine Mütze mit herunterhängenden Ohrschützern, das sah alpin aus. Natürlich bin ich kein Psychiater, aber so, wie sie mit sich selber schrie und schimpfte, musste sie unter einer Psychose leiden. Vielleicht war sie verrückt.
Oje, dachte ich deshalb, als sie die Reeperbahn überquerte. In einer fremden Sprache zeternd kam sie näher. Sie schlurfte. Ihr Blick ging ins Nichts. Oder besser: nach innen. Hinter mir blieb sie stehen. Sie wühlte fluchend in ihrer großen Handtasche, holte einen Zettel heraus und pfefferte ihn weg mit herrischer Geste.
Es handelte sich, wie ich später herausfand, um einen Fahrschein für 1,30 Euro, abgestempelt an der S-Bahnstation Holstenstraße.
Noch immer durchwühlte sie zornig und schimpfend ihre Handtasche, und wieder warf sie etwas weg, ohne hinzusehen, doch mit theatralischem Pathos. Es war eine blauweiße Zahnbürste, eine mit kräftigen starren unbeschmutzten Borsten.
Nachdem die Afrikanerin wütend weitergetrottet war Richtung Pennymarkt, fotografierte ich die Bürste.
Zwei Typen kamen streitend vorbei und blieben stehen, weil die Intensität ihres Streites jene Beiläufigkeit nicht mehr zuließ, die das Spazierengehen gemeinhin mit sich bringt. Plötzlich verstummte der eine und blickte zu Boden. Er zog sein Handy hervor und fotografierte die Zahnbürste.
Dann gingen beide weiter, als hätten sie sich nie gestritten.
Eine Afrikanerin, hager und klein, sie trug eine Mütze mit herunterhängenden Ohrschützern, das sah alpin aus. Natürlich bin ich kein Psychiater, aber so, wie sie mit sich selber schrie und schimpfte, musste sie unter einer Psychose leiden. Vielleicht war sie verrückt.
Oje, dachte ich deshalb, als sie die Reeperbahn überquerte. In einer fremden Sprache zeternd kam sie näher. Sie schlurfte. Ihr Blick ging ins Nichts. Oder besser: nach innen. Hinter mir blieb sie stehen. Sie wühlte fluchend in ihrer großen Handtasche, holte einen Zettel heraus und pfefferte ihn weg mit herrischer Geste.
Es handelte sich, wie ich später herausfand, um einen Fahrschein für 1,30 Euro, abgestempelt an der S-Bahnstation Holstenstraße.
Noch immer durchwühlte sie zornig und schimpfend ihre Handtasche, und wieder warf sie etwas weg, ohne hinzusehen, doch mit theatralischem Pathos. Es war eine blauweiße Zahnbürste, eine mit kräftigen starren unbeschmutzten Borsten.
Nachdem die Afrikanerin wütend weitergetrottet war Richtung Pennymarkt, fotografierte ich die Bürste.
Zwei Typen kamen streitend vorbei und blieben stehen, weil die Intensität ihres Streites jene Beiläufigkeit nicht mehr zuließ, die das Spazierengehen gemeinhin mit sich bringt. Plötzlich verstummte der eine und blickte zu Boden. Er zog sein Handy hervor und fotografierte die Zahnbürste.
Dann gingen beide weiter, als hätten sie sich nie gestritten.
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