Alles wirbt zurzeit mit Olympia und Sport, auch die „PSD Bank Nord eG“, von der ich bisher noch nie gehört hatte. Seit heute aber schon, denn sie pflasterte mit einer ganzen Serie von kleinen rechteckigen Eckwerbungen die Mopo.
Darin will uns die PSD Bank mit Sportfakten wie diesen beeindrucken:
Auf der Seite gegenüber landet sie dann unvermittelt bei eigenen Höchstleistungen:
Das eine soll also die Glaubwürdigkeit des anderen untermauern. Dazu aber wäre es nützlich gewesen, wenn Bob Beamon wirklich den Weltrekord im Weitsprung hielte. Doch Beamon wurde bereits im letzten Jahrtausend von Mike Powell entthront; am 30. August 1991, ich habe den Sprung persönlich gesehen, im Fernsehen.
Bei der PSD Bank Nord eG ist das aber noch nicht angekommen. Und deshalb – weil sie mit einem falschen Beamon ihre Angebote beglaubigen will – zweifle ich automatisch auch an ihrer „Top-Guthaben-Verzinsung“. Ja, ich bin so einfach gestrickt.
Am Ende jedes dieser Werbekästchen steht dann auch noch ein völlig dämlackiger Satz: „WISSEN WAS SINN MACHT“. Er enthält nicht nur zwei Interpunktionsfehler, sondern auch einen Deppenanglizismus, der Brechreiz verursacht. Und wer soll bloß einer Bank sein Geld anvertrauen, die Quatsch erzählt, keine Kommas kann und uns den Magen umdreht?
Wie man sieht, ist heute sonst nichts Wichtiges passiert. Besserwissermodus: aus.
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24 August 2008
23 August 2008
Wischen und wedeln
Stammleser wissen, warum wir kein Auto mehr haben: Es wurde uns vor vielen Jahren gestohlen, das nahm uns alle Lust.
Nun fuhr ich unlängst mal wieder einen Leihwagen und hatte gleich Probleme. An der Tankstelle griff ich zunächst versehentlich nach einem Zapfhahn, den ein zu Recht verärgerter Automobilist gerade erst zurückgehängt hatte. Meine Tankfüllung wäre auf seine Rechnung gegangen. Irgendwie schien er meinem Entschuldigungswunsch nur unwillig zu entsprechen.
Schließlich stand ich doch noch mit der richtigen Pistole vorm Wagen, wusste aber nicht, wie bei diesem Leihwagen der Tankdeckel aufging. Es dauerte eine Weile, das Problem zu lösen, da ich mir nicht die Blöße geben wollte, einen Tankstellenangestellten um Hilfe zu bitten.
Vollends doof wurde es auf der Weiterfahrt. Es begann zu regnen, aber denkst du, ich hätte den Schalter für den Scheibenwischerdauerbetrieb entdeckt? Nein, jeden verdammten Einzelwischer musste ich manuell auslösen.
Beide Hände waren also dauerhaft ausgelastet, die eine steuerte, die andere schaltete und startete alle zwei Sekunden den Scheibenwischer. Manchmal auch zweimal pro Sekunde, denn zeitweilig pladderte es heftig. Ich konnte nur dann mal an der Mineralwasserflasche nippen, wenn der Regen etwas nachließ.
Diesen blamablen Nachmittag würde ich gern komplett dem Auto in die Schuhe schieben, doch dann versuchte ich gestern, mir im Aurel die Hände zu waschen.
Es kam allerdings kein Wasser aus dem Hahn. Zunehmend verzweifelt wedelte ich daran herum, denn ich wähnte ihn mit einem optischen Sensor ausgestattet. Vergebens.
Bis ich den kleinen Kippschalter an der Seite entdeckte.
Bei diesen ständigen Beweisen meiner Alltagstauglichkeit ist es wohl ganz nützlich, ausdrücklich zu erwähnen, dass mir, als ich das abgebildete Schild am Alten Wandrahm fotografierte, keine einzige Palette mit Perserteppichen auf den Kopf fiel.
PS: Die Blogolympiade läuft noch drei Tage.
22 August 2008
19 August 2008
Der gestoppte Countdown
Renate vom Käse- und Weinladen ist tot. Das ist unfassbar.
Im Kühlschrank steht noch ein angebrochenes Döschen ihres sagenhaften roten Pestos, ich habe es ihr am letzten Freitag abgekauft. Und einen Tag später legt sie sich schlafen und wacht nicht mehr auf.
Renate Reinecke war Mitte 60 und eine unglaubliche Type. Wäre sie mit ihrer Lache damals in Jericho dabeigewesen, man hätte die Trompeten wegschmeißen können. Jeder, der ihr je begegnete, hat sie nie mehr vergessen. Ihre Bereitschaft zur dröhnenden Fröhlichkeit wurde legendär auf St. Pauli, sie war auf eine Weise herzlich, die dich berührte.
Als ich anfing zu bloggen, habe ich sofort über sie geschrieben, gleich am ersten Tag. Besser konnte man ein Kiezblog schließlich nicht starten als mit einem Original wie Renate. „Schon wieder Freitag? Schon wieder eine Woche rum?“, begrüßte sie mich praktisch jedes Mal, und ich rechnete ihr vor, dass man rund 4000 Wochen zur Verfügung habe im Leben und jeder Gang zu ihr somit eine Art Countdown sei.
Immer mal wieder kam sie vor in diesem Blog, und wie auch nicht. Kunden brachten ihr manchmal Ausdrucke der Beiträge mit, sie beömmelte sich darüber mit dröhnender Lache. So erfuhr sie auch von meinem Fremdgehen, und als ich das nächste Mal über sie bloggte, hatte sie endlich einen eigenen „Combjuder“, konnte schon „gugeln“, war also aus erster Hand informiert – und selbst dann noch höchst amüsiert, als ich sie liebevoll auf die Schippe nahm.
Im Oktober wollte Renate ihren Laden aufgeben, er rechnete sich nicht mehr. Viele Leute auf St. Pauli haben kein Geld mehr für gut abgehangenen Reblochon, Parmaschinken und Renates sagenhaftes Pesto, sie müssen jetzt Butterkäse kaufen bei Spar gegenüber.
Wo der Aufschwung der vergangenen Jahre landete, weiß kein Mensch, hier jedenfalls nicht, Renate verdiente zuletzt kaum noch etwas. Ein Vierteljahrhundert stand sie hinter der Theke, doch jetzt ging es nicht mehr weiter.
Ihr, der Frau mit der grandiosesten Lache diesseits von Jericho, standen Tränen in den Augen, als sie mir das erzählte. Gerade hatte sie hier auf St. Pauli eine neue Wohnung bezogen, gar nicht weit weg vom Käseladen. Vor ihr lag ein neues Leben, ein geruhsameres.
Doch der Countdown wurde abgebrochen, am Ende kam Renate auf nicht mal 3400 Wochen. Es ist schön, dass sie im Schlaf gestorben ist, wer wünscht sich das nicht. Doch das hätte unbedingt erst in 30 Jahren passieren dürfen, frühestens.
„Drei Sprochen muss du hier sprächen“, sagte Renate über St. Pauli, „Hochdeudsch, Pladddeudsch und über annäre Leude.“ Mit einer solchen Reibeisenstimme, mit so rauer Herzlichkeit und diesen blitzenden Augen unterm forschen Blondschopf konnte das aber nur eine: Renate vom Käse- und Weinladen.
Am Samstag werden wir wie immer ein Lachsfilet bestreichen, mit dem Rest ihres sagenhaften roten Pestos aus dem Kühlschrank. Zum letzten Mal. Das ist unfassbar.
Foto: hotzenplotz
PS: Auch das Blog djdeutschland bringt einen Nachruf.
Man hat Maßnahmen ergriffen
Immer wenn ich zu Budnikowsky ging, um eine neue Kohlensäurepatrone für unseren Aufsprudler zu kaufen, stibitzte ich beim Rausgehen unbemerkt vom Kassierer ein paar der großen braunen Papiertüten, die für die Kundschaft in der Warenablage hinter der Kasse bereitlagen.
Es sind ideale Sammelbehälter für Altpapier, weil sie problemlos mitentsorgt werden können. Keine Rückstände, kein Separieraufwand bei der Sammelstelle, eine Win-win-Situation. Außer für Budnikowsky.
Wohl durch mich geriet dort der Tütenschwund in ein ungünstiges Verhältnis zum Abverkauf des Sortiments. Und jetzt liegen nur noch kleine Papiertüten da, doch leider nicht mehr hinter der Kasse. Über die komplett unbrauchbaren Plastiktüten brauchen wir gar nicht erst zu reden.
Kurz: Budni baut Mist; seine Strategie ist unökologisch und streut Sand ins Getriebe unserer monatlichen Abläufe. Also, wo kann ich mich beschweren?
Mir fehlt dafür nur noch eine anständige Verbrämung, um keinen abschlägigen Bescheid zu erhalten, der zum Beispiel so lauten könnte: „Unsere Tüten sind verdammt noch mal keine Altpapiersammelbehälter, und jetzt schwirr ab, Schnorrer!“
Gnadenlos tickt die Uhr. Ich zehre bereits von einem Restbestand kleiner Tüten. Lösungsvorschläge sind hochwillkommen.
Es sind ideale Sammelbehälter für Altpapier, weil sie problemlos mitentsorgt werden können. Keine Rückstände, kein Separieraufwand bei der Sammelstelle, eine Win-win-Situation. Außer für Budnikowsky.
Wohl durch mich geriet dort der Tütenschwund in ein ungünstiges Verhältnis zum Abverkauf des Sortiments. Und jetzt liegen nur noch kleine Papiertüten da, doch leider nicht mehr hinter der Kasse. Über die komplett unbrauchbaren Plastiktüten brauchen wir gar nicht erst zu reden.
Kurz: Budni baut Mist; seine Strategie ist unökologisch und streut Sand ins Getriebe unserer monatlichen Abläufe. Also, wo kann ich mich beschweren?
Mir fehlt dafür nur noch eine anständige Verbrämung, um keinen abschlägigen Bescheid zu erhalten, der zum Beispiel so lauten könnte: „Unsere Tüten sind verdammt noch mal keine Altpapiersammelbehälter, und jetzt schwirr ab, Schnorrer!“
Gnadenlos tickt die Uhr. Ich zehre bereits von einem Restbestand kleiner Tüten. Lösungsvorschläge sind hochwillkommen.
18 August 2008
Die nächste Radiosendung auf ByteFM
Heute (Mo.) um 17 Uhr läuft die nächste von mir konzipierte „Mixtape“-Sendung auf ByteFM; sie schlägt eine Brücke von Osteuropa nach Nordamerika, unter anderem werden Pink Floyd einer radikalen Polkakur unterzogen.
Wer mag, kann hier seinen Kommentar dazu abgeben. Wiederholungstermine: kommenden Mittwoch um 11 und Donnerstag um 6 Uhr.
Wer mag, kann hier seinen Kommentar dazu abgeben. Wiederholungstermine: kommenden Mittwoch um 11 und Donnerstag um 6 Uhr.
Unser Antikinokarma
Fotopingpong mit dem Don: Er stellt meiner Bilderstrecke von gestern eine eigene gegenüber, die eine idyllische Gartenszene zeigt, deren um sorglose Enten bereichertes Pendant ich wiederum just in Planten un Blomen vorfand.
Dort im Park, nur wenige Meter entfernt von Bettlern und Bordellen, wirkt St. Pauli wie eine andere Welt. Ich weiß nicht warum, doch niemals sieht man sozial inkompatible Heckenpinkler, dort lagern weder Punks noch Obdachlose, nie taumeln Betrunkene durch die Botanik, niemand missbraucht in Ermangelung einer heimischen Dusche die Wasserspiele.
Ja, es fährt nicht mal jemand Rad in diesem Park, und Hunde müssen draußen bleiben, was sie seltsamerweise auch tun – gut für alle, die mitten auf der Wiese ihr Lager aufschlagen, seien es Enten oder Picknicker.
Wir laufen stets durch Planten un Blomen, wenn wir ins Kino am Dammtor wollen, das dauert zu Fuß knapp 30 Minuten. Als wir auf den Kiez zogen, gab es hier noch diverse Kinos, und ich meine nicht die ganzen Pornoschuppen. Kurz nach unserer Ankunft aber schloss das Oasekino auf der Reeperbahn, wenig später das nicht weit entfernte Aladin.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt begann ich das Kinosterben mit unserer Anwesenheit in Verbindung zu bringen. Dabei sind wir sehr filmaffin. Nicht selten bin ich abends spontan noch rübergehuscht zur Reeperbahn, um mir als Betthupferl eine Spätvorstellung anzuschauen; ich war jung und hatte das Geld.
Doch damit war es bald vorbei; Kinos, die teils Dekaden hier überdauert hatten, sahen sich angesichts unseres Herzugs nach kurzer Zeit zum Schließen gezwungen, ein anticineastischer Fluch schien von uns auszugehen. Zuletzt erwischte es das Studio, womit sich unser schlechtes Karma also vorgekämpft hat bis in die Bernstorffstraße.
Übriggeblieben ist nur noch das gemütlich schmuddelige B-Movie, eine Schuhschachtel mit Sitzgelegenheiten, in der wacklige Edgar-Wallace-Streifen oder liebevoll zusammengeklebte und während der Vorstellung weiterhin unverdrossen reißende Trashfilme aus den 70ern oder so gezeigt werden.
Tolle Sache natürlich, doch für den neusten Film der Coen-Brüder müssen wir halt doch durch Planten un Blomen, vorbei an Enten, Kindern und kontemplativen Kiezianern, die sich hier erholen wollen vom Lärm und Ludentum um die Ecke.
Wahrscheinlich müssten wir wegziehen, um auf St. Pauli einen Kinoneugründungsboom auszulösen. Doch das kommt natürlich überhaupt nicht in Frage.
17 August 2008
16 August 2008
Mist.
Der Kasten Bier auf dem Gepäckträger schien mir eigentlich recht stabil befestigt gewesen zu sein.
Warum er dennoch in dem Moment, als ich losfuhr, mitten auf der Paul-Roosen-Straße zerschellte, während die Beatles schräg gegenüber zu feixen schienen, ist mir auch jetzt, acht Stunden nach dem Desaster, noch nicht ganz klar.
Angesichts der empört aufschäumenden Bierlache und den bösartigen Veltinsscherben kam der Verkehr in diesem Teil St. Paulis jedenfalls minutenlang zum Erliegen. Während meiner Aufräumarbeiten (auch ein Sechserpack Eier und mehrere Jogurtbecher verlangten nach artgerechter Entsorgung) begann es kraftvoll zu regnen, was immerhin den Biergestank, den ich inzwischen angenommen hatte, etwas minderte.
Was mich am meisten erstaunt, ist die Gelassenheit, mit der meine Neurotransmitter das alles wegsteckten. Das spontane, klanglich irgendwie ausrufezeichenlose „Mist.“, mit dem ich die Situation unmittelbar nach dem Aufprall des Bierkastens unwillentlich kommentierte, bewegt sich auf dem Erregungsniveau von Bernd dem Brot.
Es folgten wort- und weitgehend gedankenloses Aufräumen, der Heimtransport der überlebenden fünf Flaschen und die Rückkehr zum Laden, um den Eierverlust auszugleichen.
Und jetzt kann es beginnen, das Wochenende. Angeblich soll es sonnig werden.
Warum er dennoch in dem Moment, als ich losfuhr, mitten auf der Paul-Roosen-Straße zerschellte, während die Beatles schräg gegenüber zu feixen schienen, ist mir auch jetzt, acht Stunden nach dem Desaster, noch nicht ganz klar.
Angesichts der empört aufschäumenden Bierlache und den bösartigen Veltinsscherben kam der Verkehr in diesem Teil St. Paulis jedenfalls minutenlang zum Erliegen. Während meiner Aufräumarbeiten (auch ein Sechserpack Eier und mehrere Jogurtbecher verlangten nach artgerechter Entsorgung) begann es kraftvoll zu regnen, was immerhin den Biergestank, den ich inzwischen angenommen hatte, etwas minderte.
Was mich am meisten erstaunt, ist die Gelassenheit, mit der meine Neurotransmitter das alles wegsteckten. Das spontane, klanglich irgendwie ausrufezeichenlose „Mist.“, mit dem ich die Situation unmittelbar nach dem Aufprall des Bierkastens unwillentlich kommentierte, bewegt sich auf dem Erregungsniveau von Bernd dem Brot.
Es folgten wort- und weitgehend gedankenloses Aufräumen, der Heimtransport der überlebenden fünf Flaschen und die Rückkehr zum Laden, um den Eierverlust auszugleichen.
Und jetzt kann es beginnen, das Wochenende. Angeblich soll es sonnig werden.
15 August 2008
Kein Scheiß, keinesfalls
Als ich mich bei Saturn arglos der Kasse nähere, schießt aus dem Nichts plötzlich ein massiger Kerl an mir vorbei.
Er stürzt sich in den Engpass des Kassengangs und rast zwischen den Kunden hindurch, ohne im Geringsten auf die ungeschriebenen Normen sozialer Distanz Rücksicht zu nehmen. Erschreckt zucken die Schlangensteher zurück.
Hinter ihm her jagen vier Sicherheitsleute, einer davon noch erheblich massiger als der Flüchtende. Ungefähr 1,90 groß, gewölbter Bauch, das blaue Oberhemd nachlässig in die Hose gestopft – aber wahnwitzig behende, der Mann ist ein hochbeschleunigter Riesenrammbock auf zwei Beinen.
Auch dieser Bulle donnert durch den Kassengang wie damals die Sandmonster in „Tremors“ durch den Wüstenboden. Seine Kollegen nehmen andere Kassengänge, durch die Glasscheiben sehe ich, wie der Fliehende draußen einen Haken schlägt und nach links hetzt.
Trotz seines zunächst beträchtlichen Vorsprungs haben sie ihn plötzlich; direkt an der Ecke, nach höchstens zehn Metern Flucht im Freien. Auch der rasende Rammbock ist bereits dort. Er und seine Kollegen werfen den Mann auf den Bauch, jeder will ran, jeder kommt ran. Zwei Männer knien sich auf ihn, reißen ihm die Arme nach hinten, Handschellen blitzen, doch sie klirren nicht.
Denn all das spielt sich in völliger Lautlosigkeit ab, ich betrachte die Szenerie durch die großen schallisolierenden Scheiben von Saturn. Die Abfertigung an den Kassen geht derweil ungerührt weiter, das alles ist wohl Alltag hier, und als ich auf den Vorplatz trete, kommen mir die Sicherheitsleute mit ihrem Jagdwild entgegen.
Ich schaue mir den Burschen näher an. Er ist jung, vielleicht 18, sein Schnurrbart verunziert die Oberlippe als lächerlich dünner Flaum, für den er sich irgendwann in Grund und Boden schämen wird. Doch zurzeit hat er andere Sorgen.
An seinen auf dem Rücken gefesselten Armen zerren sie ihn Richtung Eingang; es ist ein richtiger Scheißtag für ihn, und der fängt gerade erst an. „Ich mach kein Scheiß“, hechelt er fistelig, überfordert von der sportlichen Leistung der letzten Minute und überschwemmt von Adrenalin, „ich mach kein Scheiß“ – und plötzlich weiß ich mit großer Klarheit und schlösse darauf eine Wette ab, was ihm einer der Sicherheitsbullen nur wenige Sekunden vorher gesagt hat: „Mach bloß kein Scheiß!“
Und daran hielt er sich auch, bis ich ihn aus den Augen verlor.
PS: Das heutige Foto hat natürlich mit all dem nicht das Geringste zu tun, sondern ist meine persönliche Erinnerung ans Neil-Young-Konzert von gestern Abend. Näheres dazu bei GP, der auch für die künsterlische Gestaltung des Motivs verantwortlich ist.
Er stürzt sich in den Engpass des Kassengangs und rast zwischen den Kunden hindurch, ohne im Geringsten auf die ungeschriebenen Normen sozialer Distanz Rücksicht zu nehmen. Erschreckt zucken die Schlangensteher zurück.
Hinter ihm her jagen vier Sicherheitsleute, einer davon noch erheblich massiger als der Flüchtende. Ungefähr 1,90 groß, gewölbter Bauch, das blaue Oberhemd nachlässig in die Hose gestopft – aber wahnwitzig behende, der Mann ist ein hochbeschleunigter Riesenrammbock auf zwei Beinen.
Auch dieser Bulle donnert durch den Kassengang wie damals die Sandmonster in „Tremors“ durch den Wüstenboden. Seine Kollegen nehmen andere Kassengänge, durch die Glasscheiben sehe ich, wie der Fliehende draußen einen Haken schlägt und nach links hetzt.
Trotz seines zunächst beträchtlichen Vorsprungs haben sie ihn plötzlich; direkt an der Ecke, nach höchstens zehn Metern Flucht im Freien. Auch der rasende Rammbock ist bereits dort. Er und seine Kollegen werfen den Mann auf den Bauch, jeder will ran, jeder kommt ran. Zwei Männer knien sich auf ihn, reißen ihm die Arme nach hinten, Handschellen blitzen, doch sie klirren nicht.
Denn all das spielt sich in völliger Lautlosigkeit ab, ich betrachte die Szenerie durch die großen schallisolierenden Scheiben von Saturn. Die Abfertigung an den Kassen geht derweil ungerührt weiter, das alles ist wohl Alltag hier, und als ich auf den Vorplatz trete, kommen mir die Sicherheitsleute mit ihrem Jagdwild entgegen.
Ich schaue mir den Burschen näher an. Er ist jung, vielleicht 18, sein Schnurrbart verunziert die Oberlippe als lächerlich dünner Flaum, für den er sich irgendwann in Grund und Boden schämen wird. Doch zurzeit hat er andere Sorgen.
An seinen auf dem Rücken gefesselten Armen zerren sie ihn Richtung Eingang; es ist ein richtiger Scheißtag für ihn, und der fängt gerade erst an. „Ich mach kein Scheiß“, hechelt er fistelig, überfordert von der sportlichen Leistung der letzten Minute und überschwemmt von Adrenalin, „ich mach kein Scheiß“ – und plötzlich weiß ich mit großer Klarheit und schlösse darauf eine Wette ab, was ihm einer der Sicherheitsbullen nur wenige Sekunden vorher gesagt hat: „Mach bloß kein Scheiß!“
Und daran hielt er sich auch, bis ich ihn aus den Augen verlor.
PS: Das heutige Foto hat natürlich mit all dem nicht das Geringste zu tun, sondern ist meine persönliche Erinnerung ans Neil-Young-Konzert von gestern Abend. Näheres dazu bei GP, der auch für die künsterlische Gestaltung des Motivs verantwortlich ist.
14 August 2008
Lose Zusammengekehrtes (3)
1. Wenn man die Seite wetter.de besuchen möchte, sollte man sich nicht vertippen und auf weter.de landen. Es sei denn, man ist spottresistent. Wie ich.
2. Das sind sie also, unsere lebenslangen Steueridentifikationsnummern. Ms. Columbo schaut sich den Brief an und fragt: „Warum steht da 03 unter Straße und Hausnummer?“ „Dritter Stock“, sage ich. „Aber warum?“, fragt Ms. Columbo. „Na, überleg doch mal“, erläutere ich, „wenn die GSG 9 hier rein will, dann weiß sie genau, welches Stockwerk sie stürmen muss.“ „Nein“, sagt sie, „die stehen doch dann da und überlegen: Zählt das Parterre jetzt mit oder nicht?“ Meine Theorie ist also doch nicht so tragfähig, wie ich dachte.
3. Erkenntnis des Monats: Wenn man ein Moskitonetz hermetisch ums Bett herum drapiert, sollte man unbedingt darauf achten, dass der ursächliche Moskito sich auch außerhalb des Netzes befindet.
4. Bei der Blogolympiade liegt dieses Blog angeblich auf Goldkurs. Sollte es klappen, verspeche ich schon jetzt: Ich werde keinesfalls in die Medaille beißen.
13 August 2008
Ruhe sanft, Citystar
Es ist immer das Gleiche, verdammt. Alle zwei bis vier Jahre schlurfe ich – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl meines Fahrrads.
Mein guter, alter Citystar-Drahtesel: Jetzt hat es auch dich erwischt, direkt vor der Haustür. Obwohl ich stets ein altes billiges Fahrrad auf dem Flohmarkt schieße, um die Klaugefahr zu minimieren, trage ich es in den ersten Wochen abends stets hoch in die Wohnung und am nächsten Morgen wieder runter.
Nach einer gewissen Karenzzeit folgt dann eine Phase, in der die Hochtragdisziplin zu bröckeln beginnt. Zunächst noch selten, bald immer öfter schließe ich es vorm Haus an Geländerstangen an, meist, wenn ich eine gute Ausrede habe, zum Beispiel eine Saftkiste unterm Arm. Irgendwann aber wird das Nichthochschleppen zur Gewohnheit, auch ohne Saftkiste. Bei Wind und Wetter steht hinfort das treue Gefährt duldsam im Freien und wartet auf Herrchens nächsten Ausritt.
So geht das zwei bis drei Jahre lang, und dann ist es wieder soweit: Ich schlurfe – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl.
Diesmal traf es also das Citystarrad. Nie werde ich seine robusten sieben Gänge vergessen. Oder seine regelmäßig versagenden Lampen, vorne wie hinten. Der Lenker schien immer ein klein wenig schief zu stehen, dennoch fuhr das sympathische Rad zuverlässig geradeaus – ein kleines Kunststück, welches ich bis zuletzt an ihm bewundert habe. Na gut, das mit dem kaputten Tretlager (40 Euro) hätte nicht sein müssen, zumal es geruhte, erst kurz vor dem gewaltsamen Verlust um Austausch zu betteln. Doch jetzt ist es über alle Berge, das komplette Rad. Samt futschneuem Tretlager, schiefem Lenker und kaputter Lampe hinten.
Selbst der eigentlich immer wirksame Trostspruch „Du bist ja nicht weg, dich hat nur ein anderer“ will auf dem Weg zur Davidwache nicht recht zünden. Der mich am Tresen verständnisvoll empfangende Polizist fragt, ob ich alles dabei hätte. „Personalausweis? Klar, habe ich dabei“, antworte ich und nestle an der Brieftasche. „Auch die Rahmennummer?“, fragt der Polizist. „Äh, nein“, sage ich. Er legt schon mal den bereits gezückten Stift wieder hin und sagt: „Kaufvertrag?“ Hüstel …
Dann, sagt der Davidwachenmann, könnten wir's auch gleich sein lassen mit der Anzeige, schließlich könnte ich meinen Besitzanspruch selbst dann nicht beweisen, wenn er das Rad wiederfände – was ungefähr so wahrscheinlich sei wie ein segensreicher Meteoriteneinschlag aufs Haus von Albaner-Willi, dem Kiezpaten.
Das sagte der Polizist nicht wörtlich, schließlich ist mit Albaner-Willi nicht zu spaßen; es ist eher so, dass mir seine Ausführungen vorkommen, als könne man sie mithilfe dieser Allegorie treffsicher wiedergeben.
Jedenfalls schlurfe ich noch am gleichen Tag – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zu jenem Fahrradladen, wo der Irokesenassistent, der den Franken gefragt hatte, ob er Rechts- oder Linksträger sei, inzwischen nicht mehr arbeitet, und erstehe ein neues altes Rad. Der Flohmarkt hatte sich zuvor als unergiebig erwiesen.
Warum ich mir allerdings erst vier Fahrräder klauen lassen muss, um endlich auf die Idee zu kommen, all ihre Details fotografisch festzuhalten und die Rahmennummer zu notieren, kann mir selbst Ms. Columbo nicht verklickern.
Mal sehen, ob ich in zwei bis drei Jahren die entsprechenden Unterlagen wiederfinde. Das scheint mir die nächste unüberwindliche Hürde zu sein.
Mein guter, alter Citystar-Drahtesel: Jetzt hat es auch dich erwischt, direkt vor der Haustür. Obwohl ich stets ein altes billiges Fahrrad auf dem Flohmarkt schieße, um die Klaugefahr zu minimieren, trage ich es in den ersten Wochen abends stets hoch in die Wohnung und am nächsten Morgen wieder runter.
Nach einer gewissen Karenzzeit folgt dann eine Phase, in der die Hochtragdisziplin zu bröckeln beginnt. Zunächst noch selten, bald immer öfter schließe ich es vorm Haus an Geländerstangen an, meist, wenn ich eine gute Ausrede habe, zum Beispiel eine Saftkiste unterm Arm. Irgendwann aber wird das Nichthochschleppen zur Gewohnheit, auch ohne Saftkiste. Bei Wind und Wetter steht hinfort das treue Gefährt duldsam im Freien und wartet auf Herrchens nächsten Ausritt.
So geht das zwei bis drei Jahre lang, und dann ist es wieder soweit: Ich schlurfe – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl.
Diesmal traf es also das Citystarrad. Nie werde ich seine robusten sieben Gänge vergessen. Oder seine regelmäßig versagenden Lampen, vorne wie hinten. Der Lenker schien immer ein klein wenig schief zu stehen, dennoch fuhr das sympathische Rad zuverlässig geradeaus – ein kleines Kunststück, welches ich bis zuletzt an ihm bewundert habe. Na gut, das mit dem kaputten Tretlager (40 Euro) hätte nicht sein müssen, zumal es geruhte, erst kurz vor dem gewaltsamen Verlust um Austausch zu betteln. Doch jetzt ist es über alle Berge, das komplette Rad. Samt futschneuem Tretlager, schiefem Lenker und kaputter Lampe hinten.
Selbst der eigentlich immer wirksame Trostspruch „Du bist ja nicht weg, dich hat nur ein anderer“ will auf dem Weg zur Davidwache nicht recht zünden. Der mich am Tresen verständnisvoll empfangende Polizist fragt, ob ich alles dabei hätte. „Personalausweis? Klar, habe ich dabei“, antworte ich und nestle an der Brieftasche. „Auch die Rahmennummer?“, fragt der Polizist. „Äh, nein“, sage ich. Er legt schon mal den bereits gezückten Stift wieder hin und sagt: „Kaufvertrag?“ Hüstel …
Dann, sagt der Davidwachenmann, könnten wir's auch gleich sein lassen mit der Anzeige, schließlich könnte ich meinen Besitzanspruch selbst dann nicht beweisen, wenn er das Rad wiederfände – was ungefähr so wahrscheinlich sei wie ein segensreicher Meteoriteneinschlag aufs Haus von Albaner-Willi, dem Kiezpaten.
Das sagte der Polizist nicht wörtlich, schließlich ist mit Albaner-Willi nicht zu spaßen; es ist eher so, dass mir seine Ausführungen vorkommen, als könne man sie mithilfe dieser Allegorie treffsicher wiedergeben.
Jedenfalls schlurfe ich noch am gleichen Tag – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zu jenem Fahrradladen, wo der Irokesenassistent, der den Franken gefragt hatte, ob er Rechts- oder Linksträger sei, inzwischen nicht mehr arbeitet, und erstehe ein neues altes Rad. Der Flohmarkt hatte sich zuvor als unergiebig erwiesen.
Warum ich mir allerdings erst vier Fahrräder klauen lassen muss, um endlich auf die Idee zu kommen, all ihre Details fotografisch festzuhalten und die Rahmennummer zu notieren, kann mir selbst Ms. Columbo nicht verklickern.
Mal sehen, ob ich in zwei bis drei Jahren die entsprechenden Unterlagen wiederfinde. Das scheint mir die nächste unüberwindliche Hürde zu sein.
12 August 2008
Sei kein Frosch!
Das gestern schon gewürdigte westhessische Dorf frönt nicht nur konfessionellen Kabbeleien, sondern kurioserweise auch allem, was alpenartig, süddeutsch oder heimatfilmhaft daherkommt – und das nicht nur architektonisch.
In einem Wohnzimmer fand ich das abgebildete Schnitzwerk vor. Es trägt die Aufschrift: „Vom Birkhahn die Feder, vom Hirsch das Geweih und vom Dirndel die Treu.“ Übersetzt in die Sprache des 21. Jahrhunderts hieße das wohl: „Mein Haus, meine Frau, mein Pool.“
Wenn geheiratet wird, fordert in dieser Gegend übrigens auch die aktuelle Männergeneration noch wie selbstverständlich vom Dirndel die Hergabe des Namens – mit manchmal unschönen Folgen, wie aus den Hochzeitsanzeigen des Lokalblattes hervorgeht.
Dabei meine ich nicht einmal jene Katharina Theresa Marianne Lux, die von nun an gewillt ist, künftg jeden Tag aufs Neue die rauschhafte Sinfonie ihrer Vornamen mit einem Misston wie „Runkel“ an die Wand zu fahren. Auch die Entscheidung der doch eigentlich grundsoliden Nicole Weber, keinen Prinzen, sondern einen gewissen Swen Frosch zu ehelichen, muss man nun mal grummelnd hinnehmen.
Doch dann entdeckte ich eine Vera Hammann. Dank ihrer Heirat heißt sie nun Vera Braun. Klingt erst mal harmlos. Doch man muss das mal innerlich nachhallen lassen, dem Subtext nachschmecken: Früher hieß die Vera beinah wie ein Serienkiller aus den 20ern – und jetzt, nach dem Jawort, heißt sie wie die Frau eines Massenmörders aus den 40ern.
Das gibt dem Verb „hochschlafen“ eine ganz neue Bedeutung. Ein Satz, den ich hiermit sofort wieder zurückziehe und durch die aufrichtigsten Gückwünsche ersetzt sehen möchte.
In einem Wohnzimmer fand ich das abgebildete Schnitzwerk vor. Es trägt die Aufschrift: „Vom Birkhahn die Feder, vom Hirsch das Geweih und vom Dirndel die Treu.“ Übersetzt in die Sprache des 21. Jahrhunderts hieße das wohl: „Mein Haus, meine Frau, mein Pool.“
Wenn geheiratet wird, fordert in dieser Gegend übrigens auch die aktuelle Männergeneration noch wie selbstverständlich vom Dirndel die Hergabe des Namens – mit manchmal unschönen Folgen, wie aus den Hochzeitsanzeigen des Lokalblattes hervorgeht.
Dabei meine ich nicht einmal jene Katharina Theresa Marianne Lux, die von nun an gewillt ist, künftg jeden Tag aufs Neue die rauschhafte Sinfonie ihrer Vornamen mit einem Misston wie „Runkel“ an die Wand zu fahren. Auch die Entscheidung der doch eigentlich grundsoliden Nicole Weber, keinen Prinzen, sondern einen gewissen Swen Frosch zu ehelichen, muss man nun mal grummelnd hinnehmen.
Doch dann entdeckte ich eine Vera Hammann. Dank ihrer Heirat heißt sie nun Vera Braun. Klingt erst mal harmlos. Doch man muss das mal innerlich nachhallen lassen, dem Subtext nachschmecken: Früher hieß die Vera beinah wie ein Serienkiller aus den 20ern – und jetzt, nach dem Jawort, heißt sie wie die Frau eines Massenmörders aus den 40ern.
Das gibt dem Verb „hochschlafen“ eine ganz neue Bedeutung. Ein Satz, den ich hiermit sofort wieder zurückziehe und durch die aufrichtigsten Gückwünsche ersetzt sehen möchte.
10 August 2008
Komische Vögel
Das westhessische Dorf, wo wir ein geruhsames Wochenende verbrachten, wird geprägt von verschiedenen unversöhnlichen evangelischen Religionsgruppen. Darunter auch die sogenannte Alte Versammlung.
Diese Splittergruppe ist nicht sonderlich vielköpfig, was gewiss an den wenig attraktiven Features liegt, mit denen sie in den Kampf der Konfessionen zieht. Zum Beispiel platziert sie Gottesdienstbesucher nach Geschlechtern getrennt, was gerade dem pubertierenden Nachwuchs das eh begrenzte Vergnügen einer Predigt gänzlich vergällen kann.
Zudem verpflichtet sie Frauen zu grenzenlosem Haarwuchs und ewigem Röcketragen, und das Fernsehen findet die Alte Versammlung mit sich selber inkompatibel, weil davon ja nichts in der Bibel steht.
„Wenn Gott die Bibel wirklich selbst geschrieben hätte“, sage ich angesichts dieser Umstände zu Ms. Columbo, als wir frohgemut agnostisch am Gemeindehaus der Alten Versammlung vorbeiflanieren, „müsste er aber langsam mal ein Update liefern.“
„Ja, Bibel 3.0 – jetzt mit Waschmaschine!“, ergänzt sie meine Forderung gleich um einen praktischen Vorschlag.
Übrigens erlaubt die Alte Versammlung interessanterweise das Fahren von Autos, obwohl die ebenfalls in der Bibel nicht vorkommen. Allerdings missbilligt sie es wiederum, das Gefährt volltrunken in eine Mauer zu rammen, was einem Altversammlungspatriarchen dennoch schon mal unterlaufen ist.
Statt sich aber nun hochnäsiger Häme hinzugeben, wie es naheliegt und auch wohlfeil wäre, sollte man an dieser Stelle ein Loblied singen auf die unverwüstliche menschliche Schwäche, die auch noch das bescheuertste religiöse Korsett mühelos zu sprengen in er Lage ist.
Im Wald fanden wir übrigens einen toten kopflosen Vogel, an dessen zoologischer Bestimmung wir scheiterten. Vielleicht gelingt ja jemand anhand der prägnanten Kralle eine Artbestimmung. Wenn nicht: auch nicht schlimm.
09 August 2008
Für Edi: Das alte St. Pauli
Neulich feierte Deutschlands Blogpate Edi erneut hochverdient Geburtstag. Zwar hat es ihn zum lauthalsen Bedauern ganz St. Paulis vor einigen Monaten zurück in seine alte Allgäuer Heimat verschlagen, doch das mindert Edis Einfluss hier im Rotlichtviertel keineswegs, o nein.
Daher war jeder, dem je das schaurigschöne Vergnügen einer Audienz beim Paten zuteil geworden war, allerbestens beraten, ihm anlässlich seines Jubiläums ordnungsgemäß zu huldigen, und sei es aus der Ferne.
Auch ich hatte natürlich Tribut zu zollen, um mir nicht den Unwillen des noch immer über ein Netz bedingungslos ergebener Agenten herrschenden Erzkiezianers zuzuziehen. Und was lag näher, als ihn mit einem Geschenk an St. Pauli zu erinnern, jenen weltweit berühmten und berüchtigten Stadtteil, über dem er bis vor kurzem noch 14 Geschosse hoch thronte in der Fülle all seiner Macht und Güte?
Also erarbeitete ich eine Diaschau, die mithilfe patinöser Postkarten einen Blick ins alte, ferne St. Pauli erlaubt, in Zeiten also, als noch Kutschen über die Reeperbahn ruckelten und der Spielbudenplatz die beschauliche Bühne flanierender Herrschaften mit Stock und Hut war.
Auf diese Idee gebracht hatte mich ein weiterer Blogpate, dessen Domäne allerdings das südlichere Deutschland ist: Don Alphonso. Auch sein Clan war dereinst einmal hier, zwischen Boudoirs und Bordellen, tätig gewesen, was der Don mir mit historischen Fotos aus alten Kieztagen trefflich nachweisen konnte.
Das war der Startschuss. Und dann entstand sie, die Bilderschau aus alten Tagen, verziert mit einem fast ebenso alten Song des großen Gitarrenmeisters John Fahey.
Der Pate reagierte auf die Schau mit Lauten des Wohlgefallens – und machte mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte: Sofern ich die „Slideshow“, wie der stets auch über neuestes Vokabular verfügende Bloggrandseigneur mein Bilderbüchlein nannte, der Öffentlichkeit zugänglich machte, wolle er davon absehen, sein Agentennetz zu meinem Schaden einzusetzen.
Dem komme ich selbstverständlich mit der größen Freude nach: Hier ist es also, das alte St. Pauli.
PS: Man kann die Diaschau bildschirmfüllend abspielen, indem man unten rechts ins Eck klickt. Am besten erst den Verlaufsbalken zu Ende laufen lassen und dann die Abspieltaste drücken; dann ruckelt’s nicht.
(Blogolympiadencountdown: noch 18 Tage.)
08 August 2008
Dankbare Rückzahlung
Stelle gerade erfreut fest, dass auch Leute, die im gleichen Jahrzehnt geboren sind wie ich, sich noch durchaus in ihren 30ern befinden können, wenn auch nur noch gerade so eben. Irgendwie tröstlich.
Themawechsel: Warum gehen Leute, die einen Schirm dabei haben, bei Regen trotzdem immer unter schützenden Überdachungen lang und nehmen dort jenen den Platz weg, die sich ohne Schirm hüpfend und springend durch die Stadt bewegen, von Markise zu Markise? Warum?
Die Schirmbesitzer könnten ihr Gerät während des beschützten Gehens wenigstens zuklappen. Aber nein, Einfühlungsvermögen in die Lage verzweifelter Wasserscheuer ist ihnen gänzlich fremd.
Themawechsel: 1902 (Foto oben) klangen Sexanzeigen irgendwie lieblicher als 2008 (unten). „Dankbare Rückzahlung“: Eine solche Ansprache adelt doch jeden geschmeichelten Mann zum herzensreinen Ritter.
Die moderne Variante indes weckt eher unbehagliche Gefühle, bis hin zu einer gewissen Ängstlichkeit – diese Anzeige hätte auch Dracula aufgeben können.
Aber ich kann ja gar nicht mitreden.
07 August 2008
06 August 2008
Schwarzfahren, legale Variante
Fünf vor 6 halte ich dem Busfahrer an der Mönckebergstraße (Foto) meine Karte hin, die erst ab 6 gültig ist. Ist ja kein Schwarzfahren, wenn man gleichsam einen gleißenden Spot auf sich selber richtet, nicht wahr.
Er schaut drauf. Dann schaut er noch mal drauf. Und dann sagt er: „Mööönsch, immer das alde Lied! Es sinn noch fünf Minuden!“ Er zeigt auf eine Uhr draußen, die spöttlisch dahängt wie ein Plastik gewordenes „Tja, un’ nu?“
„Ouw-ha …“, mache ich möglichst überrascht, bleibe aber betont unschlüssig im Eingangsbereich stehen. Der Fahrer sagt nichts. Ich sage auch nichts. Ein Duell des Schweigens.
Dann fintiere ich eine resignierte Bewegung Richtung Tür – und der Fahrer drückt den Knopf und schließt sie, vor meiner Nase. Noch vier Minuten bis 6, und ich kann nicht mehr raus.
„Na ja“, brummt er im Losfahren, „is meine ledsde Tour heude.“ Kein Zweifel: Ich bin an eine männliche Mutter Teresa geraten. Da die meisten bisher hier vorgekommenen Busfahrer eher an Saddam Hussein erinnerten, ist es also nur fair, auch diesen Vorfall zu erwähnen.
In den folgenden vier Minuten passieren Papa Teresa und ich zwei weitere Stationen, und zufällig steigt kein einziger Kontrolleur zu. Das hätte lustig werden können.
(Die Blogolympiade läuft noch 20 Tage.)
Er schaut drauf. Dann schaut er noch mal drauf. Und dann sagt er: „Mööönsch, immer das alde Lied! Es sinn noch fünf Minuden!“ Er zeigt auf eine Uhr draußen, die spöttlisch dahängt wie ein Plastik gewordenes „Tja, un’ nu?“
„Ouw-ha …“, mache ich möglichst überrascht, bleibe aber betont unschlüssig im Eingangsbereich stehen. Der Fahrer sagt nichts. Ich sage auch nichts. Ein Duell des Schweigens.
Dann fintiere ich eine resignierte Bewegung Richtung Tür – und der Fahrer drückt den Knopf und schließt sie, vor meiner Nase. Noch vier Minuten bis 6, und ich kann nicht mehr raus.
„Na ja“, brummt er im Losfahren, „is meine ledsde Tour heude.“ Kein Zweifel: Ich bin an eine männliche Mutter Teresa geraten. Da die meisten bisher hier vorgekommenen Busfahrer eher an Saddam Hussein erinnerten, ist es also nur fair, auch diesen Vorfall zu erwähnen.
In den folgenden vier Minuten passieren Papa Teresa und ich zwei weitere Stationen, und zufällig steigt kein einziger Kontrolleur zu. Das hätte lustig werden können.
(Die Blogolympiade läuft noch 20 Tage.)
05 August 2008
Die Olympiade startet hier
„Die Rückseite der Reeperbahn“ wurde zu einer Blogolympiade eingeladen – aber anstrengen müssen sich andere, nämlich alle, denen gefällt, was sie hier lesen.
Zur Abstimmung geht es hier entlang. Teilnehmen kann, wer Mitglied bei meinenachbarschaft.de ist.
Es gibt halt immer einen Haken – aber dafür auch etwas zu gewinnen: nämlich das abgebildete Blackberry.
Zur Abstimmung geht es hier entlang. Teilnehmen kann, wer Mitglied bei meinenachbarschaft.de ist.
Es gibt halt immer einen Haken – aber dafür auch etwas zu gewinnen: nämlich das abgebildete Blackberry.
Sie weiß alles
Natürlich, es ist übel, eine alte graue Frau mit Gehhilfe anzupflaumen. Deshalb tue ich es auch nicht, sondern bleibe höflich.
„Entschuldigen Sie“, sage ich, „Sie füttern Tauben. Warum tun Sie das?“
Sie steht gebeugt da, mit mühsam erhobenen Armen, und bröselt mit verbogenen Fingern Weißbrot aufs Pflaster. Die gefiederten Mistviecher kriegen fast einen Herzkasper vor Begeisterung.
„Weil ich Tauben mag“, sagt die Frau.
Sie stützt sich jetzt wieder auf die Gehhilfe und weicht einen Schritt zurück. Ich stecke die Hände in die Hosentaschen, damit ich nicht bedrohlich wirke.
„Tauben übertragen Krankheiten“, erläutere ich.
„Weiß ich“, sagt sie leise.
„Mit Recht ist es deshalb verboten, sie zu füttern. Es kostet sogar Bußgeld.“
Sie weicht noch weiter zurück und meinem Blick aus.
„Weiß ich“, sagt sie noch leiser.
Mist, sie weiß es. Sie weiß alles. Und tut es trotzdem. Warum? Wahrscheinlich ist sie Witwe, ihre Kinder besuchen sie nie, der Hund ist weggelaufen, der Heimplatz schon gebucht, und ich verderbe ihr auch noch die letzte verbliebene Freude: gefiederte Mistviecher an den Rand des Herzkaspers zu bringen vor Glück; ihnen dabei zu helfen, die Gegend mit Viren zu verseuchen.
Sie weiß es, und sie tut es trotzdem, sie muss ihre Gründe haben.
Zeit zu gehen, mit den Händen in den Hosentaschen.
Unseren hinteren Balkon können wir übrigens schon lange nicht mehr benutzen. Tauben haben ihn längst übernommen. Schwäne wären mir lieber.
PS: Der Schlusssatz liegt ausschließlich an der bestürzenden Tatsache eines fehlenden Taubenbildes – oder das einer alten grauen Frau mit Gehhilfe.
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