Doch erst seit heute weiß ich, wie das wirklich gemeint ist. Denn meine „komplexen Mehrstimmenstimmzettel“ (Landeswahlleiter Willi Beiß) musste ich in einen erstaunlichen Behälter werfen: eine große weiße Mülltonne. Über metaphorische Wechselwirkungen aus „Wirf deine Stimme nicht weg!“-Plakaten und Mülltonne hat Hamburg wohl nicht weiter nachgedacht.
Das war vormittags. Nachmittags besuchte ich das Spiel des FC St. Pauli gegen Greuther Fürth und lernte ein paar neue Beleidigungen kennen, die man bestimmt in Dresden oder Duisburg nie zu hören bekommt.
Als ein Fürther einen St. Paulianer foulte, schrie ein Typ hinter mir zunächst das noch recht konventionelle „Verdammte Tretertruppe!“. Doch der Mann wusste kiezspezifisch nachzulegen. „Bagaluten!“, brüllte er. Und dann „Ikonoklasten!“ Ich schwör’s: Er brüllte „Ikonoklasten!“
Ein Bayernfan wüsste wahrscheinlich nicht mal, was das überhaupt heißt. Und auf St. Pauli müsste er sich das als Beleidigung anhören – natürlich ohne sich beleidigt zu fühlen. Heute passierte das aber nur den Fürthern. Auch den Schiedsrichter wusste der Typ hinter mir treffend zu charakterisieren. „Halunke!“, schrie er, „Naziwähler!“
Apropos Wähler: Die „Kabinen“ bestanden heute aus handgeknickten Pappkartons, die man halbwegs stabil auf Tische gestellt hatte. Dahinter herrschte ein demokratiefeindliches Schummerlicht, was das Ausfüllen der komplexen Mehrstimmenstimmzettel zum Glücksspiel machte. Bestimmt nur deshalb verwählte ich mich buchstäblich, und zwar bei den fünf Kreuzchen, die ich für die Bezirksliste abgab.
Trotzdem habe ich meine ganzen Stimmen nicht einfach so weggeworfen. Schließlich landeten sie ja in der großen weißen Mülltonne.