Posts mit dem Label persönliches werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label persönliches werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

13 Februar 2009

Ich, Muse der Dichter

Schon komisch, in einem Roman plötzlich auf sich selbst zu stoßen. Besser gesagt: auf eine Figur, die genauso heißt wie man selbst, sogar mit Doppel-t und h.

In Daniel Kehlmanns Roman „Ruhm“ passiert es. Dort stolpere ich auf Seite 84 unversehens über einen „Matthias Wagner“.

Na gut, eigentlich ist es nicht mal eine Figur, sondern nur das Pseudonym einer Figur. Trotzdem ändert das nichts an der Leseverblüffung – ein Gefühl, das ich allerdings schon kenne.

Als Jugendlicher nämlich war ich, wie mir dank Kehlmann wieder einfällt, bereits in einem Karl-May-Roman auf mich gestoßen. Damals eine irgendwie schmeichelhafte Sache für einen pubertierenden Hosenscheißer.

Ich glaubte bislang, May hätte mich in der „Winnetou“-Trilogie untergebracht, doch der Hort meines Namens befindet sich – wie mir das Internet folgsam meldet – in „Die Sklavenkarawane“.

Ähnlich wie der feine Herr Kehlmann gestand mir allerdings auch der Radebeuler keine tragende Rolle zu, ganz im Gegenteil. Lediglich Gegenstand eines Gespräch bin ich, man erinnert sich meiner als Ungar aus dem „Eisenstädter Komitat“ (wtf?), der immerhin über einen Diener verfügte, bisweilen mit Straußenfedern handelte und schließlich im Ostsudan seiner Lebendigkeit abhanden kam.

Kehlmann hätte diese doch recht enttäuschende Ausgestaltung durch May endlich wieder wettmachen können, ja müssen, doch nein: Ich bin ihm nichts mehr als ein Pseudonym. Der zweite Genickschlag für mich in der Literaturgeschichte.

Immerhin passt das zu diesem Autor, der auch sonst recht schludrig ist. Eine der anderen Figuren in „Ruhm“ arbeitet nämlich mitten im YouTube-Zeitalter bei Mannesmann, einer Firma, die schon doppelt so lange tot ist wie YouTube lebendig. Und ausgerechnet ein Techniker, der es viel besser wissen müsste, glaubt bei Kehlmann noch immer an die Schimäre aggressiver Handystrahlen, die einem angeblich das Hirn wegkochen.

Wer so liederlich recherchiert, sollte mich auch keinesfalls vom Pseudonym zur Figur aufwerten, das möchte ich gar nicht. Zur Ehrenrettung meines Namens muss ich daher wohl irgendwann anfangen, meine Autobiografie zu schreiben.

Jetzt muss mir
nur noch was Berichtenswertes passieren.

PS: Die Domain www.danielkehlmann.de ist übrigens noch frei. Jemand sollte sie sich sichern und dem Autor teuer weiterverkaufen. Meinen Segen habt ihr.



29 Januar 2009

Ciao, Edi (2)

Seinen letzten Kommentar hat er vor fünf Tagen hier abgegeben. Hätte ich die Hoffnung, ihn je wiederzusehen, würde ich sagen: Ich freue mich auf dich, Edi.

Wer mag, kann hier kondolieren.

Ich lese jetzt noch mal die Geschichte von der Opaverschwörung, die indirekt schuld daran war, dass er Hamburg verließ und zu seiner Familie nach Kempten zog.

So traurig ich das damals fand: Es war gut so. Der Nuttenturm auf der Reeperbahn wäre einfach nicht der richtige Ort gewesen zum Sterben.



Der rührende Fall des Benjamin Button

Die leicht futuristische Wippschaukel im Brauquartier erinnert mich jedes mal an ein Hündchen, das den Mond anschmachtet.

Und genauso saß ich neulich im Kino, als ich mir „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ angeschaut habe.

Meine Herren! Das ist mal ein Film, der sogar mir – einem abgebrühten, hartherzigen, zynischen, sarkastischen Allesschongesehenhaber – dahin ging, wo andere Menschen das Herz haben.

Und danach habe ich sogar was darüber geschrieben.


31 Dezember 2008

Persönliche Bilanz

Eine Evaluierung meiner Tugendhaftigkeit ergab folgendes Ergebnis: Von den sieben klassischen Hauptlastern, aus denen alle Sünden entstehen, verfüge ich nur über eines nicht.

Inklusive des fehlenden Lasters umfasst die Liste folgende:

* Superbia: Hochmut
* Avaritia: Geiz
* Luxuria: Genusssucht, Ausschweifung
* Ira: Zorn
* Gula: Völlerei
* Invidia: Neid
* Acedia: Trägheit des Herzens oder des Geistes.

Ms. Columbo weiß, wo ich noch nachlegen muss.

Anlass für diese besinnlichen Gedanken war Hermes Phettbergs Twittern. Beim Lesen seiner Einträge wurde mir klar, dass Perversion und Prüderie im gleichen geschwisterlichen Verhältnis zueinander stehen wie Sado und Maso, Katholizismus und Exzess.

Und mit diesem kleinen Schlenker sind wir auf gar nicht mal unelegante Weise wieder geschmeidig auf die Reeperbahn eingebogen.

26 Dezember 2008

Die Fußballwette

Es gibt nichts Schöneres, als einen Rechthaber, Beckmesser, Besserwisser und Korinthenkacker bei einem Fehler zu ertappen.

Gerd Müller, behauptete A. unlängst, halte den Bundesligatorschützenkönigrekord mit 40 Toren in einer Saison. Der Rechthaber hielt 42 Tore dagegen, und A. schlug eine Wette um ein Bier vor.

Selbstverständlich war der Besserwisser einverstanden, schließlich hatte er RECHT. Wikipedia klärte die Sachlage dann auch problemlos.

Mal sehen, wann ich A. das Bier ausgebe. Am besten sehr bald; ich gehe ungern mit Schulden in ein neues Jahr.



24 Oktober 2008

Zwischen zwei Sätzen



Als ich hörte, er sei heute in die Psychiatrie eingeliefert worden, nachdem er zuvor mit einem Messer durch die Wohnung geirrt sei und gestammelt habe: „Mein Vater hat mich seit Wochen nicht angerufen“, da fiel mir wieder jener Tag vor 32 Jahren ein, an dem sein Vater starb.

Ich setzte mich zu ihm aufs Moped an jenem Tag. Wir fuhren zum Baggersee und setzten uns auf die Steine. Dann sagte er: „Jetzt haben wir die Scheiße.“

Er hatte Recht.

Er wurde, was er schon war: ein Egomane, der von seiner Mutter erwartete, jeden Wunsch erfüllt zu bekommen, jetzt, wo er „Herr im Hause“ war.

Dann gründete er eine Familie und begann sie systematisch zugrunde zu richten. Er versoff alles, die Liebe seiner Frau, seiner Kinder, seiner Mutter, er versoff den Führerschein, den Job, sein Geld, das Haus, seine Würde, sein ganzes verdammtes ziviles Leben.

Aus jeder Therapie haute er ab. Immer wieder ging er im Dorf von Tür zu Tür, klingelte und bat um Geld für Essen. Seine Mutter hungere, erzählte er, und dann versoff er alles. Manche geben ihm immer noch etwas.

Er und seine Mutter leben seit Jahren im Dreck, wie die Ratten.

„Jetzt haben wir die Scheiße“, 1976.
„Mein Vater hat mich seit Wochen nicht angerufen“, 2008.

Die ganze Tragödie seines verpfuschten Lebens liegt in der Verbindung zwischen diesen beiden Sätzen über eine Distanz von 32 Jahren.

Ich sollte das seinem Psychiater erzählen.


19 Mai 2008

Die Entdeckung des Kopfnacktmulls

Ich führe Ms. Columbo die bahnbrechende Erfindung am eigenen Leibe vor: eine tief über die Ohren lappende Mütze mit eingebauten Kopfhörern.

„Darauf habe ich mein Leben lang gewartet!“, rufe ich euphorisiert aus, während ich die Mütze aufsetze. „Wie findest du sie?“

Ms. Columbos spontanes Losprusten gehört keineswegs zum Repertoire der Reaktionen, die ich auf der Rechnung hatte. „Was ist denn?“, frage ich betont verärgert, was ihr Verhalten als mindestens ungebührlich, wenn nicht empörend denunzieren soll.

„Es sieht dämlich aus“, kichert sie. Ich renne zum Spiegel. Sie hat Recht: Darin sehe ich etwas ungeheuer Dämliches.

Nach einer Zeit der inneren Einkehr beschließe ich, trotzdem erst mal den Winter abzuwarten. Ms. Columbos unausgesprochenes „BITTE versteigere diesen Kopfnacktmull SOFORT auf Ebay!“ überhöre ich jedenfalls mit der Souveränität dessen, der sich einen wichtigen Lebenstraum nicht kaputtmachen lassen will.

Zumindest nicht sofort.

05 April 2008

Ein Stöckchen, aber das allerallerletzte!



Eigentlich dachte ich ja, die Unsitte des Stöckchenwerfens sei endlich in Vergessenheit geraten. Und dann wirft mir dieser feine Herr Lost Moon doch mal wieder eins zu. Grrrrr. Doch da es ureigene Interessen berührt, gestatte ich mir selbst eine Ausnahme von der Verweigerung – obwohl es vor zwei Jahren schon einmal ein ähnliches (und besseres) Stöckchen gab und manche Antworten sich zwangsläufig ähneln.

1. Nenne einen Song, dessen Text dich ganz besonders berührt, und begründe!
„It was a very good year“ von Frank Sinatra, weil er den Lebenshunger, die Grandezza und die Tragik der menschlichen Existenz in wenigen Strophen zu starken Metaphern verdichtet.

2. Nenne einen Song, dessen Musik dich ganz besonders berührt, und begründe!
„Troll valley“ von Wavestar, die perfekte klangliche Umsetzung solch existenzieller Gefühle wie Wehmut und Geborgenheit. (Genau genommen ist das kein Song, sondern ein elektronisches Instrumental.)

3. Welchen Song hättest du gerne geschrieben und warum?
„Wedding song“ von Bob Dylan, weil es keine schönere Liebeserklärung geben kann – „when I was deep in poverty/you taught me how to give“ …

4. Nenne fünf Songs für dein Lebens-Best-of!
„Sweet thing“ von Van Morrison, „Desolation row“ von Bob Dylan, „Mary Brown“ von Dave Avin, „The postcard“ von Stephen Duffy und „Don’t let me down“ von den Beatles.

5. Und zum Schluß: Welche Musikscheibe beschützt du wie deinen Augapfel?
Alle Platten, die mir der große, unvergleichliche und sturzbetrunkene Townes Van Zandt drei Jahre vor seinem Tod höchstpersönlich signiert und manchmal mit kakteengesäumten Landstraßen bemalt hat (Foto). Reliquien, Mann!


PS: Wenn man schon nur unter Protest annimmt, sollte man das Stöckchen auch keinesfalls anderen zuwerfen, nicht einmal Amber und Anna

02 April 2008

Bockig

„Weißt du was?“, sage ich entschlossen zu Ms. Columbo, „solange niemand den letzten Eintrag kommentiert, blogge ich einfach nicht mehr weiter! Basta!“

Sie schaut mich an, als wäre ich 12 und wollte meinen Spinat nicht essen. „Ich weiß nicht“, antwortet sie dann, „ob du wirklich mit Bockigkeit die Herzen zurückgewinnst.“

Weiß ich natürlich auch nicht.


22 März 2008

Die Lösung: ein Tag im Februar

Früher, als es noch kein Internet gab, da gratulierten dir zum Geburtstag nur Familie, Freunde, Kollegen, und zwar persönlich oder am Telefon. Heute ist das anders, ganz anders.

Per Mail beglückwünschten mich nämlich heute diverse Blogkommentatoren, die ich im ganzen Leben noch nicht gesehen habe, einige Xing-Kontakte und Xing selber, aus irgendeinem bizarren Grund das Schwab-Onlineteam, außerdem diverse Leute von wer-kennt-wen.de und welche von stayfriends.de, darunter sogar Ms. Columbo (!).


Des weiteren gratulierte stayfriends selber, peinlicherweise auch der HSV in Gestalt von Romeo Castelen, Joris Mathijsen und einem grenzdebil wirkenden Tierkostüm namens Hermann (Foto), ebenso mein Versicherungsagent (wieso habe ich so was?), der Fanclub Nationalmannschaft sowie eine meiner zwei Onlinebanken (warum nicht die andere?? Memo: dort Konto kündigen!).

Mindestens drei virtuelle Torten sorgten dabei für die völlige Verfettung meines Posteingangs. Eine Torte trug neben den obligaten Kerzen sogar meinen Namen und kam von der fürsorglichen Onlinebank (Memo: Beträge von der vergesslichen Bank dorthin transferieren!).

Mich beschleicht das leise Gefühl, einige Male zu oft mein Geburtsdatum irgendwo hinterlassen zu haben. (Memo: Wenn schon, dann beim nächsten Mal unbedingt den 29. Februar eintragen!)

PS: Morgen um 17 Uhr (also Sonntag, 23. 3.) läuft die nächste von mir konzipierte Radiosendung auf ByteFM. Es gibt sehr, sehr schöne Musik zu hören. Ich weiß das, ich kenne sie ja schon.

18 März 2008

Buenos dias, Eiermann!

Allmählich steigt das Fußballfieber. Der Franke ist ein perfekter Indikator für diese zuverlässig alle zwei Jahre auftretende Erkrankung. Bereits heute, gut 80 Tage vorm Anpfiff, steht er doch wahrhaftig mitten im Büro und röhrt mit einer Intonierung, die in seiner Welt wohl als kehlige Inbrunst durchgeht, „Buenos dias, Argentina“.

Der gleichnamige WM-Song war 1978 sogar in der Schweiz ein Hit, obwohl zweierlei ernstlich dagegensprach, nämlich die Interpreten: Udo Jürgens (ein Österreicher!) und unsere Fußballnationalmannschaft (Deutsche!).

Immer wieder jedenfalls krakeelt der Franke den Refrain, weil dem volkstümlichen Langzeitgedächtnisverächter alle anderen Fußballsongs entfallen und von diesem hier nur die zitierten Textfetzen erinnerlich sind.

Statt die unwürdige akustische Umweltverschmutzung sofort zu unterlassen, wie wir es scharf fordern, oder wenigstens zwischendurch mal auf „Fußball ist unser Leben“ umzuschwenken, beharrt der fränkische Outlaw unablässig auf „Buenos dias, Argentina!“, als hätte seine Platte einen Sprung, und in gewisser Weise hat sie das ja auch.

Mittlerweile ist die Nacht heraufgezogen, alles ist ruhig und still – nur in meinem Kopf nicht. Dort nämlich hat sich „Buenos dias, Argentina!“ festgebissen, in der grauenerregenden Interpretation des Franken.

Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie damals, als eine sonische Vollpest namens „Hier kommt der Eiermann“ mich während des einwöchigen (!) Zivildienstlehrgangs „Techniken des gewaltlosen Widerstands“ in den Wahnsinn trieb und sämtliche Kursziele mühelos pulverisierte.

Es ist gefährlich, überhaupt darüber zu schreiben. Ich bin wie ein trockener Alkoholiker. Der kleinste Ton, und der Eiermann kommt zurück.

Klingelingeling … Habt ihr das auch gehört …? O mein GOTT …


03 März 2008

Wenn Träume wahr werden



Seit Ende der 80er plädiere ich in regelmäßgen Abständen für die Vergesellschaftung von Schirmen und Fahrrädern. Auch in diesem Blog kam das schon vor.

Eine Volksbewegung entstand daraus nicht. Von Zeit zu Zeit wurde mir zwar immer mal wieder mein Fahrrad geklaut. Doch irgendwie ist das nicht dasselbe. Ohne gesetzliche Vergesellschaftungsgrundlage, die es mir legal ermöglichte, ersatzweise ein x-beliebiges Fahrrad einem x-beliebigen Fahrradständer zu entnehmen, funktioniert die Idee einfach nicht.

Immerhin scheint sich bei Schirmen endlich was zu tun. Ein Indiz dafür ist die abgebildete Box, die ich in den Zeisehallen entdeckte. Ein bewegender Anblick für mich. Denn ich spürte: Eine große Idee wird endlich wahr. Sie setzt sich immer durch, auch wenn es bisweilen etwas länger dauert, und selbst wenn ich sie hatte.

Zeichnete nicht schon Leonardo da Vinci Fluggeräte, und Jahrhunderte später kam Airbus? So ähnlich fühlte ich mich beim Anblick dieser Kiste mit sozialisierten Regenschirmen. Fast war ich geneigt, einen Edding zu zücken und versonnen lächelnd „Copyright by Matt“ draufzuschreiben, doch ich hatte keinen dabei.

In der Kiste lagen sogar mehrere Schirme. Wäre es am Regnen und ich nicht mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, hätte ich ein Exemplar an mich genommen – nicht zuletzt, um mir und meiner großen Vision aus den 80ern zu schmeicheln. Doch es regnete nicht, ich radelte schirmlos nach Hause. Und das Rad kettete ich diebstahlerschwerend am Lampenmast an.

Denn die Welt ist noch nicht so weit. Zumindest nicht bei Fahrrädern.

16 Februar 2008

Jung und frisch

„Übrigens finde ich es toll“, sage ich während der Morgennachrichten zu Ms. Columbo, „dass Barack Obama oft als jung und frisch bezeichnet wird. Wir, also ich und Obama, sind nämlich fast gleich alt.“

Ms. Columbo erledigt irgendetwas an der Espressomaschine. Trotzdem hat sie zugehört. Ob man als jung und frisch gelte, erläutert sie nun, komme aber doch stark auf die Branche an.

Zugegeben, als Frontsänger einer Boyband sollte man circa 16 sein, um beiden Attributen gerecht zu werden, und als Lord im englischen Oberhaus eher 65. Dennoch protestiere ich reflexhaft und gebe mich verschnupft.

„Nein, nein, du und Obama“, beschwichtigt Ms. Columbo, während sie noch immer irgendetwas an der Espressomaschine erledigt, „ihr seid natürlich beide
jung und frisch.“

Ich glaube ihr übrigens jedes Wort.


Foto: barackobama.com

04 Februar 2008

Beginn einer neuen Ära

Erinnert sich eigentlich noch jemand an Bücher? Ich meine nicht das, was man zu Weihnachten verschenkt, was in der Amazon-Bestenliste auftaucht und sich bei Thalia zu Bergen türmt.

Sondern das, was man aufschlägt und langsam Seite für Seite von vorne bis hinten in der richtigen Reihenfolge durchliest. Bücher. Diese zusammengehefteten Papierseiten, die mal wichtig waren, so verdammt wichtig. In der Ära vor dem Internet, vor Spiegel online, vor der iTunes-Bibliothek mit zehntausend Songs, vor dem Job, der sich immer tiefer hineingefressen hat in dein Leben, deine Freizeit, deinen Urlaub.

Echte Bücher, zerzaust und gealtert durch echtes Lesen. Ich habe festgestellt, dass ich mich kaum noch daran erinnere, aus all den genannten Gründen. Früher habe ich Bibliotheken verschlungen, wild durcheinander, Hauptsache Buchstaben – von „Perry Rhodan“ bis Dostojewski, von Goethe bis Kerouac, von Dan Shocker bis Nabokov und von Rimbaud über Highsmith bis Brussig.

Und jetzt reicht es Woche für Woche nur noch für die FAS und den Spiegel und ein paar Flackerblicke in Fach- und Konkurrenzzeitschriften. Das musste sich ändern, unbedingt. Und seit heute hat sich das geändert, zumindest ist ein Anfang gemacht.

Heute nämlich hatten Ms. Columbo und ich unsere erste gemeinsame Lesestunde. Wir setzten uns pünktlich um halb 10 hin mit je einem Buch – und lasen. Sonst nichts. Keine Musik nebenbei, kein Mailcheck zwischendurch, kein Film im Hintergrund. Nicht mal das Telefon hat geklingelt, danke schön.

Am kommenden Montag folgt die nächste Lesestunde. Vielleicht gehen wir irgendwann sogar auf zwei pro Woche. Eine neue Ära hat begonnen. Sie ist so was von 20. Jahrhundert.

Aber vielleicht hat sie eine strahlende Zukunft.

19 Dezember 2007

Dinge zwischen Himmel und Erde

Auf die neue SIM-Karte soll demnächst meine gewohnte Handynummer portiert werden. Die Karte habe ich im alten Telefon deponiert; so weiß ich immer, wo sie ist.

Kein Mensch kennt die Nummer dieser neuen SIM-Karte. Trotzdem klingelte heute das Telefon. Dreimal. Als ich rangehen wollte, hörte es auf.

Ich sah mir die Nummer im Speicher an. Hamburger Vorwahl, aber unbekannt. Bang wählte ich sie. Besetzt. Zehn Minuten später versuchte ich es erneut. Immer noch besetzt.

Wer kennt die Nummer meiner neuen SIM-Karte, die selbst ich nicht auswendig weiß? Und woher?

Diese Frage beschäftigte mich noch immer, als ich wenig später die Simon-von-Utrecht-Straße entlangging. Als ich an der Hausnummer 21 (Foto) vorbeikam, summte plötzlich der Türöffner.


Doch niemand hatte geklingelt, kein Mensch stand vorm Haus. Nur ich ging gerade vorbei.

Schon sehr komisch, diese Weihnachtszeit.


06 Dezember 2007

Ich werde immer beliebter



Über Kunst zu sprechen, ist wie über Architektur zu tanzen – sagt man nicht so?

Der Leiter der Kasseler Kunstschau documenta, Roger Martin Buergel, gilt jedenfalls als besonders begnadeter Schwurbler und Schwaller, und pfiffige Phrasenentlarver haben im Internet die Buergelmaschine programmiert: Man lädt ein beliebiges Bild hoch, und der virtuelle Buergel legt los mit gelehrt klingendem Phrasendreschen, das so hohl ist, als wäre es wirklich echt.

Mein Bloglogo habe ich daraufhin „Selbstporträt als Flurlampe“ getauft, es der Buergelmaschine hingehalten – und prompt bestätigt bekommen, meine Kunst sei motivisch durchdrungen von einer Ethik des Miteinanders.

Das tut gut – und wird bestätigt vom heute veröffentlichten Ranking der beliebtesten und somit auch unbeliebtesten Berufe, das ein unsensibler Pressedienst mir per Mail als gebrüllte Schlagzeile vor den Latz knallte: „JOURNALISTEN JETZT BELIEBTER ALS SPARKASSENMITARBEITER!“

Klingt komisch für einen, der Sparkassenmitarbeiter war, ehe er Journalist wurde. Doch nach langen Jahren am Tabellenende, so stellt sich heraus, habe ich mich inzwischen ins Mittelfeld hochgehangelt. Jetzt rangiere ich plötzlich weit vor den neuen Parias unserer Zeit, Telekomleuten und Versicherungsvertretern.

Liegt bestimmt alles nur am Bloggen, das fördert unheimlich die Ethik des Miteinanders.

05 September 2007

Erst das Fressen, dann die Moral

Man sollte nach einem langen Bürotag nie hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt. Diese existenzielle Erkenntnis reifte in langen Hamburger Jahren heran zur Statur eines Axioms. Umso unverständlicher, wieso sie mir immer mal wieder entfällt.

Zur CD-Veröffentlichungsparty in der psychedelisch bunten Kantine des Spiegel jedenfalls erscheinen wir fatalerweise ohne kulinarische Absicherung. Ein Fehler, ein schwerer. Denn schon wenige Minuten nach unserer Ankunft ereilt uns düstere Kunde: Der Spiegel serviert ein „Flying Buffet“.

Das ist die Höchststrafe. „Ich hätte mir zu Hause noch ein paar Oliven reinziehen sollen“, zische ich kraftlos Ms. Columbo zu. Denn ein „Flying Buffet“ bedeutet vor allem eins: Das Essen ist immer gerade da, wo wir nicht sind. Wenn man Glück hat, kann man Sichtkontakt herstellen, mehr auch nicht.

Manchmal flattert es federleicht vorüber, erwägt aber nicht mal im Traum einen Zwischenstopp an unserem Tisch. Nein, ein „Flying Buffet“ funktioniert nur, wenn die Gäste schon vorgesättigt oder mit gesunder Brutalität im Nahkampf ausgestattet sind. Beides trifft auf Ms. Columbo und mich nur sehr partiell zu, eigentlich gar nicht.

Um die Zeit zu überbrücken, bis eventuell doch eins dieser flüchtigen Tabletts mit Lachstatar, thailändischer Kokossuppe oder Basmatireis an Rindfleischstreifen in Greifweite vorüberschwebt, bephilosophiere ich Ms. Columbo mit schwachbrüstigen Theorien.

Zum Beispiel mit jener über den mäßigenden Einfluss der Zivilisation auf die animalisch-vulkanische Kraft der Triebe, die es uns als einziger Spezies hienieden ermögliche, selbst bei akutem Hunger dem darbenden Mitmenschen einen Bissen abzugeben – sofern wir selbst überhaupt einen Bissen haben natürlich, aber da ist das „Flying Buffet“ ja vor.

Als alter Dialektiker streife ich natürlich pflichtgemäß auch Brechts brachialen Balladenvers „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, um auch die bei einer Verschärfung der Situation progressiv zunehmende Anfälligkeit der gepriesenen Triebzügelung nicht unerwähnt zu lassen.

Während unserer wenig engagierten und gedanklich immer wieder in Richtung Lachstatar abschweifenden Diskussion flackert mein Blick unruhig durch den Raum. Ich sehe viele zufrieden möfelnde Partygäste, die sicht- und hörbar an der Qualität der thailändischen Kokossuppe wenig auszusetzen haben.

Ich werde immer schwächer. Ms. Columbo überbrückt mit Mineralwasser, ich halte mich an den nahrhafteren Orangensaft – und urplötzlich, wie aus dem Schlaraffenland herbeigebeamt, steht ein Engel vor uns. Er ist weiblich, er lächelt, und er balanciert auf anmutigste Weise ein vieltelleriges Tablett. Wir entscheiden uns unisono für den Lachs, und von da an beginnt der Abend zu flutschen.

Der Engel vergisst uns hinfort nicht mehr, ja, er bekommt sogar Verstärkung. Kein Gang entgeht uns, das „Flying Buffet“ als Prinzip verliert nach und nach seinen Schrecken – bis zum nächsten Mal, an dem wir nach einem langen Bürotag hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt.

Brecht jedenfalls war schon ein Guter, aber echt.

04 September 2007

Bye, bye, Poodle!

Ach, es ist ein Jammer, es ist zum Schlaghosenkürzen und Maultaschenzermatschen: Poodle hört auf zu bloggen!

Für mich ist das ganz besonders schmerzlich, weil der gebenedeite Stuttgarter damals, im Sommer 2005, die Initialzündung meines eigenen Bloggens lieferte. Ich hätte nicht übel Lust, aus lauter Protest selber aufzuhören, so.

Doch das geht nicht. Denn noch während des Trauerns heißt es die Fackel weitertragen, die der hadernde und zeternde Schwabe dereinst so strahlend hell entzündete. Doch ob mir je solche Sätze gelingen werden wie dieser, ist nicht nur höchst fraglich, sondern geradezu unwahrscheinlich:

„Ich selbst bekomme zwar von Haus nur an hohen Feiertagen einen Ständer, aber falls ich dabei an Heidi Klum denke, klappt es selbst dann nicht.“

Ja, das war Poodle, wie er leibte und bebte, und zwar einfach mal so nebenbei, nicht mal im Haupteintrag, sondern lässig aus der Hüfte geschossen im Kommentar zu einem seiner zeitlosen Texte.

Ja, Poodle war die Sonne, um die wir alle kreisen, sofern uns das Schicksal nicht ein Dasein als A-Blogger bescherte, und nun bleibt uns nur noch der Google-Cache, doch der sei dafür gelobt, gepudert, gepimpert und gepriesen. Amen.

27 August 2007

Die Sitzkrise

Gestern Abend im Kino wurde es mal wieder düpierend deutlich: Ich bin ein hyperaktiver Lümmler, Ms. Columbo hingegen eine gerade Stillsitzerin. Keine Ahnung, wie sie das macht. Sie setzt sich hin, und gut ist. Zwei Stunden lang.

Ich dagegen brauche schon mal vier Minuten, um überhaupt eine halbwegs akzeptable Sitzhaltung zu finden. Trotzdem geht es nach ein paar zehn Sekunden schon los mit den Korrekturen, Schwerpunktverlagerungen und Positionskämpfen.

Beine übereinander, links über rechts. Dann rechts über links. Abwechselnd einen bestrumpften Fuß aufsetzen auf die Lehne vor mir (sofern dort niemand sitzt natürlich), manchmal auch beide, aber nur kurz. Den einen Fuß unter den anderen Oberschenkel, eine Minute später vice versa.

Linker Ellbogen auf die Lehne, rechtes Bein strecken, linkes anwinkeln. Und über Kreuz und umgekehrt und durcheinander. In der Dunkelheit des Kinosaals gibt es übelst viele Kombimöglichkeiten für vier Extremitäten, da macht sich die Welt der Stillsitzer ja gar keine Vorstellung von. Und ich dekliniere sie samt und sonders durch an einem einzigen verdammten Kinoabend, selbst bei Filmen ohne Überlänge.

Da, wo ich herkomme, nennt man das übrigens „juckeln“.

Wenn der Streifen schließlich vorbei ist, stellt sich Ms. Columbo erstaunlicherweise doch nicht als eingefroren heraus (was ich stets insgeheim befürchte), sondern vermag federnd aufzustehen und den Saal zügig zu verlassen.

Ließe sich unser beider Kinositzverhalten in gejoggte Kilometer umrechnen, käme ich auf ungefähr zwölf, sie auf nullkommanull. Komisch, dass wir uns hinterher doch über den Film unterhalten können – ganz so, als wäre ich nicht die ganze Zeit mit völlig anderen Dingen als Hingucken beschäftigt gewesen.

07 August 2007

Ich dünge den Stadtpark

Grundsätzlich ist es natürlich kein Problem, ein Magnum Mandel zu möfeln, während man in der Abendsonne das überraschende Duett von M. Ward mit Norah Jones genießt. Doch dann erzählt Ward etwas von einem Stück, das man jetzt spielen werde, und zwar habe es ein amerikanischer Songpoet verfasst, der wahrscheinlich öfter durch Deutschland als durch seine Heimat getourt sei. 

Noch scheint es so, als habe diese Ansage rein gar nichts zu tun mit meinem Magnum Mandel. Noch. Jedenfalls werde ich nicht nur extrem hellhörig, nein, bei mir schrillen sogar alle Alarmglocken, und vor meinem inneren Auge blinken große Warntafeln mit der Aufschrift „Townes Van Zandt! Townes Van Zandt!“ 

Nur er kann gemeint sein, und wer meine Verehrung des Texaners kennt, ahnt vielleicht, welche Drüsen gerade unter Hochdruck anfangen zu pumpen, nämlich die für Adrenalin zuständigen. Fahrig taste ich nach der Kamera in meiner Hosentasche, denn wenn M. Ward und Norah Jones jetzt wirklich gemeinsam einen Townes-Van-Zandt-Song singen sollten, ohne dass ich diesen kostbaren Moment konservieren würde, so müsste ich mich selbst ohrfeigen. Nicht nur dabei allerdings wäre ein Magnum Mandel eher hinderlich. Nein, auch beim Aktivieren der Kamera entpuppt sich das Halbgefrorene am Stil als wenig nützlich. 

Rechtshändig drücke ich an meiner widerwilligen Kamera herum, während mir links der erste Vanilletropfen den Daumenansatz kühlt. Beim sofortigen Abbeißen der suppenden Stelle fallen zudem die ersten größeren Schokoladenplättchen zu Boden. Übrigens passiert mir das immer beim Magnummandelmöfeln, selbst wenn ich beide Hände frei zur Verfügung habe. Entweder ein Konstruktionsfehler oder Matt’sche Tollpatschigkeit, ich weiß es nicht. 

Was ich jedoch weiß: Ich würde meine Karriere aufgrund mangelnder Steigerungsmöglichkeiten sofort beenden, sobald ich es schaffte, ein Magnum Mandel verlustfrei zu inkorporieren. Hier und jetzt ist daran aber nicht zu denken, im Gegenteil. Während das Eis weiter tropft und bröckelt, ist die blöde Kamera endlich soweit. Und schon erklingen die ersten Takte von „Loretta“, Townes’ Song über eine Bardame. Ja, in der Tat: M. Ward und Norah Jones covern Zandt. 

Ein unwirklicher Moment, ein magischer Moment. Denn sie tun es gut, die beiden, schleppend und zart, er mit dieser angerauten Rock’n’Roll-Stimme, die immer ein wenig klingt, als sänge er durch ein Megafon; sie mit diesem melancholischen Kleinmädchentimbre, es ist ein Genuss. Ich filme schleckend, sabbernd und bröckelnd mit, zwar aus viel zu großer Ferne, aber immerhin – und nach gut drei Minuten drücke ich statt auf den Stop- auf den Ausschaltknopf.  

Datei. Nicht. Gespeichert. 

Dafür habe ich den Stadtparkboden mit erheblich mehr Schokoladenplättchen gedüngt als üblich. Ich. Könnte. Heulen.  

(Townes-Foto von Claus-Marco Dieterich, Marburg 1993)