11 Dezember 2012

Von 0 auf 180 – und zurück

Auf einer Handelsplattform im Netz, wo man auch Produkte aus zweiter Hand verkaufen kann, hatte ich eine CD aus meinem überbordenden Archiv eingestellt und erfolgreich verkauft, für 12,88 brutto. Zwei Tage nach dem Versand erhielt ich vom Käufer eine Mail. Sie klang unzufrieden:

Hallo, leider musste ich eben feststellen das sie mir die Falsche Ware zugeschickt haben!! Ich habe die CD inkl. DVD bestellt. Sie lieferten mir die Standard-Version des Albums! Wie sollen wir jetzt verfahren???? Frechheit zumal Ihr Ware bei CD gelistet ist/war!
Anscheinend hatte ich beim Einstellen das falsche Produkt angeklickt und es nicht bemerkt. Er schon, und wie. Noch ehe ich mich von meiner schamvollen Verdatterung erholen konnte, pingte seine nächste Mail ins Fach. Diesmal sparte er sich auch die Anrede und wählte das Stilmittel der unmittelbaren Ansprache:

Zumal ich dies als betrug bewerten kann, denn allein die Coverdarstellung ist die der Deluxe-Version mit DVD!!! Sie haben mir die Standard zugeschickt!!!! Und dann auch noch im Lieferschein stehend: CD. Obwohl die Listung bei CD+DVD stand. Klicken sie einmal auf den Artikel und schauen sie wo er gelistet ist!!
Wie mir schien, war dieser Mann rechtschaffen empört. Und sämtliche seiner Rückschlüsse waren alles andere als schmeichelhaft für mich. Allein das Wort „betrug“ in Zusammenhang mit mir lesen zu müssen, traf mich tief, trotz der Kleinschreibung. Dennoch kam ich nicht umhin, seine Suada nah an der Überreaktion anzusiedeln.

Für ihn gab es, wie mir schien, keine andere denkbare Erklärung für die ihm zugemutete Ungeheuerlichkeit als die kriminelle Energie eines Dr. Mabuse. Und der zu begegnen, bedurfte es aus seiner Sicht offenbar keineswegs des Floretts, sondern eines kapitalen Flakgeschützes.

Man liest in letzter Zeit viel von marodierenden Trollen im Netz, von Tobern und Pöblern, und es heißt, es läge an der Anonymität, die selbst wohlerzogene Mitbürger dort alle Anstandsregeln vergessen ließe. Wo im richtigen Leben (neudeutsch: RL) gemeinhin vier bis fünf Eskalationsstufen durchlaufen werden müssen, ehe man endlich beim „ARSCHLOCH!“ anlangt, sind es online höchstens die Hälfte. Mein Kunde schien diesen Erklärungsansatz zumindest nicht vollends zu widerlegen.

Ich beschloss, dieser Attacke auf meine Integrität, ja auf mein ganzes säkulares Moralsystem angemessen zu begegnen. Nämlich mit brutalstmöglicher Höflichkeit: 

Entschuldigen Sie vielmals, das war ein Fehler und keine Absicht. Ich erstatte Ihnen selbstverständlich Ihre Kosten. Behalten Sie bitte die CD. Ich hoffe, Sie können mir diesen Fauxpas nachsehen. Mit freundlichen Grüßen.
Die Wirkung war erstaunlich. Seine Reaktion kam nur wenige Minuten später – und grenzte geradezu an Selbsterkenntnis:

Hallo, Danke für den schnellen Schriftverkehr. Mir tut es selber Leid hier einen aufriss zu machen. Bitte entschuldigen sie meine Wortwahl. Da ich ihnen dankbar bin für Ihr verständniss etc. biete ich ihnen an mir 10€ zurück zu überweisen den rest dürfen sie getrots behalten. Ich danke Ihnen nochmals, mit frdl Grüßen und einer schönen vorweihnachtszeit. LG
Doch so leicht wollte ich ihn nicht vom Haken lassen. Wer mich beim Tippen der folgenden Zeilen beobachtet hätte, hätte mich sardonisch lächeln sehen:

Ich habe Ihnen den Komplettbetrag zurücküberwiesen. Da ich die CD falsch zugeordnet habe, muss ich auch die Kosten tragen. Aber danke für Ihr Angebot! Wenn Sie mögen, können Sie mir ja trotz der Umstände eine positive Bewertung geben. Besten Gruß.
Er hatte als tollwütiger Hammerhai angefangen. Aber jetzt war er nur noch ein Putzerfischchen, und man kann nun wirklich nicht sagen, dass diese Entwicklung die (Online-)Welt schlechter macht, oder? Er schrieb steviasüß zurück:

Bewertung wurde ebend gemacht. Positiv natürlich  ;-) Alles alles liebe und gute!!!
Einen Heiratsantrag hat er übrigens nicht nachgeschoben. 
Na ja, noch nicht.



18 Kommentare:

  1. Auf dem De-Eskalationsseminar über Gewaltlose Kommunikation lernt man derartig überraschende, ja geradezu liebevolle Strategien, wenn man kein Naturtalent ist. Wie nett!
    Gruß von Sonja

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  2. Und abends nach dem Seminar, allein mit sich im Hotelzimmer, köpft man wahrscheinlich ein Huhn … ;)

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  3. Ja. Rächtschraibung hilft.
    Wirklich.
    Dennoch - gut geglättet die Misere, Herr Matt.

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  4. Sie rechnen es mir aber sicherlich hoch an, dass ich heute mal KEIN WORT (na gut: eins) über das Sprachniewo des Kontrahenten verloren habe, nicht wahr?

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  5. Anonym 23:4812.12.12, 00:45

    Sprachniewo...
    Iworotchniewischniwatschni, Fred Kasulske protestatski.
    I wo. Iwoshima.
    Diese Welt ist verrückt. Immer noch.
    Ich rechne es Ihnen hoch an, das mit dem Sprachniewo.



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  6. Das habe ich von Arno Schmidt, wie ich zugeben muss.

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  7. Ein Verweis auf die Netiquette (http://www.uni-leipzig.de/netz/netikett.htm) trägt meistens nicht zur Schlichtung bei, aber gibt einen eine gewisse innere Befriedigung wenn man dann äußerst höflich antwortet :-).

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  8. Nihilistin12.12.12, 09:19

    Ich finde diesen artickel eine frechheit das mus ich ihnen mal einer so sagen sie arschloch

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  9. „Sie“ wird großgeschrieben! Wie oft muss ich das noch sagen!

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  10. Nihilistin12.12.12, 15:43

    hi hi sie haben mir gar nich was zusagen das ist ja wohl voll fett lol. gehn sie doch erstmal dahin wo so leutz wie sie echt ma überhaupt ihren volligen schwachmatenqatsch verbreiten können rofl.

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  11. Nihilistin12.12.12, 15:44

    (Ich find dieses hirnverbrannte Rumtrollen langsam ziemlich nett. Ich sollte mir mal dringend ne Sockenpuppe für das Blog hier zulegen)

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  12. Geben Sie’s doch zu: DAS ist Ihr wahres Wesen. Und hier dürfen Sie so sein, wie Sie wirklich sind und sonst nirgends sein dürfen. Das macht mich schon stolz, ein Stück weit.

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  13. lol, opfa, omg! lernens ersma deutsch, spasst.

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  14. Nihilistin14.12.12, 10:01

    Selbst die Trolle halten hier Mindeststandards der Mattschen Kommunikationsregeln ein. Mein Gott, haben Sie uns gut erzogen, Herr Matt!

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  15. Da sieht man mal, was die gebotene Strenge alles bewirken kann. Wegtreten!

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  16. Lieber Matt,

    wie machen Sie das bloß immer -- *steviasüß* ist einfach wundervoll!

    (Im Übrigen bin ich nun voller Hoffnung, dass sich meine gegenwärtigen eBay Disharmonien auf ähnlich menschelnde Weise lösen werden.)

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  17. das ist toll. mit dieser taktik fahre ich schon durchs ganze jahr. es ist verblüffend. ich freue mich. ganz klein

    happy happy joy joy

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