23 Oktober 2008

Nachts in der Anatomie

So sah es heute Abend im Uebel & Gefährlich aus, als die Band Bohren & Der Club Of Gore dort spielte.

Selbst Maastrix, dessen Kamera dir normalerweise selbst die dunkle Seite des Mondes mit allen Nuancen abbildet, beschränkte sich resignierend darauf, mein Display zu fotografieren, während ich versuchte, die diffus mit dem Dunkel verschmelzenden Gestalten auf der Bühne zu fotografieren.

Zu den ultralangsamen Klängen der Mülheimer Düsterfreaks assoziierten wir Geschichten. Maastrix fühlte sich an den Geruch einer sogar namentlich benennbaren Frau erinnert, die vor acht Jahren in seinem Bett gelegen hatte; meine verkümmerte Fantasie hingegen faselte was von „postindustrieller Kohlerevierbrache“ und „Film-noir-Detektiven im Trenchcoat, die nachts durch regennasse Stadtrandviertel schlurfen“.

In Wahrheit fühlte ich mich über weite Strecken, als hätte man mich nachts in der Anatomie eingeschlossen, und plötzlich regt sich was unter den Leichentüchern.

Maastrix hingegen beömmelte sich die ganze Zeit. Für ihn war das eher Quatsch-Comedy-Club als todernster Slomojazz. Obwohl Bohren auch lustig waren, vor allem die Ansagen. „Früher hat man uns erzählt“, sprach eine Stimme ohne Gesicht von irgendwo auf der Bühne, „wenn du deinen Teller nicht leer isst, dann kriegst du Aids.“

So unterschiedlich sind die Erziehungsmethoden: Mir hat man in der gleichen Lage noch für morgen mit schlechtem Wetter gedroht. (Ohne zu ahnen, dass es auch Tage gab, an denen ich Regen ganz unterhaltsam fand.)

Vor der Zugabe lasse ich einen immer wieder haltlos glucksenden Maastrix zurück. Aus irgendeinem Grund formuliere ich innerlich auf der Heimfahrt ein hinfort gültiges ehernes Gesetz: Fernsehsendungen mit Werbeunterbrechungen niemals live gucken.

Und jetzt schlafen.



22 Oktober 2008

anal.jpg



Irgendetwas an dieser Grafik zur Besucherentwicklung der Kieler und Lübecker Nachrichten online, die Dirk Mantheys Mediendienst Meedia.de verbreitet, kommt mir schwerstens spanisch vor. Und das liegt nicht nur am Dateinamen „anal.jpg“.

Eine seit 2003 geradezu unerbittlich kruppstahlhaft schnurgerade bergan marschierende Linie, die Mitte 2007 urplötzlich von wirrsten Zuckungen geschüttelt wird – also ich weiß nicht, Manthey.

Lieber vertraue ich künftig weiter den Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.


21 Oktober 2008

Von Winzern, Wünschen und betrunkenen Kindern

Wurde gerade eingeladen zu einer Veranstaltung namens „Winzerstreicheln auf Weingut Wellanschitz“. Aber da geh ich nicht hin, keinesfalls.

In der Sendung „Nano“ auf 3Sat informierte man uns heute Abend über die Tatsache, das Leben als Diabetiker sei „kein Zuckerschlecken“. Das ist zweifellos völlig korrekt – und letztlich doch nicht so „Hohlspiegel“-würdig wie die Forderung der „heute“-Moderatorin wenig später, man müsse „Gas geben für den Klimaschutz“.

Sprache ist Glückssache und oft auch sehr beglückend. Die kleine Stieftochter eines Freundes mutmaßte neulich, der Muezzin benutze zur Verstärkung seines Rufes ein „Mekkafon“. Landet bestimmt bald im Duden, die Schreibweise.

Sein Stieftöchterchen hatte übrigens einen Spitzentag und noch was anderes aufgelesen, das leicht verbogen war: „Betrunkene Kinder sagen die Wahrheit“ – ja, und die ist sogar gleich doppelt abgesichert.

Übrigens sähe ich gelegentlich gern mal einem Diabetker mit Umtopffolienturban beim Winzerstreicheln zu, während ein betrunkenes Kind zwischen zwei wahrheitsgemäßen Rufen durchs Mekkafon am Zucker schleckt und hintenrum Gas gibt für den Klimaschutz.

Doch dieser Wunsch geht wahrscheinlich mal wieder genausowenig in Erfüllung wie der Lottogewinn, danke auch.


(Warenbezeichnungsschild entdeckt bei Tchibo.)


20 Oktober 2008

Aufstieg und Fall des Pennerbären

Das obdachlose Pärchen an der Simon-von-Utrecht-Straße hatte Zuwachs bekommen: einen riesenhaften Plüschbären. Genauer gesagt den größten Plüschbären, den der Kiez je gesehen hat.

Insgesamt kam der Trumm circa auf einen Kubikmeter Volumen. Im gleichen Maße förderte er auch die Heimeligkeit dieser traditionell tristen Stelle an der Simon-von-Utrecht-Straße, die geprägt ist von einer großen Werbefläche in der Vertikalen und einem wärmespendenden Abluftgitter in der Horizontalen, wobei Letzteres für die Obdachlosen gewiss die Killerapplikation dieses Standortes liefert.

Der Riesenbär jedenfalls gab der Szenerie schlagartig eine rührende Pseudoidylle. Finanzkrise hin oder her: Hier unten, auf dem Abluftgitter an der Simon-von-Utrecht-Straße, konnte es eh nicht mehr schlimmer kommen, sondern nur besser, und dafür sorgte nun dieser Plüschbär unbekannter Herkunft.

Das musste fotografiert werden, so viel war mir schnell klar, schon aus Gründen der Sozialromantik. Also radelte ich hin, um das Trio um Erlaubnis zu bitten – und fand mich prompt in einer Warteschlange wieder.

Denn wer stand fotografierend vor dem Trio? Zwei Streifenpolizisten in gedecktem Schillblau. Er mit Handy, sie mit einem Lächeln und das Pärchen samt Bärchen entspannt posierend – ähnlich wie einst John Lennon und Yoko Ono beim Bed-in in New York City, nur ohne deren Bankkonto.

Ein Gefühl sagte mir gleich: So was gibt es nur auf dem Kiez. Woanders – sagen wir in Rostock-Lichtenhagen oder Castrop-Rauxel – hätten die Polizisten wohl eher auf sofortige Entsorgung des Plüschbärmonsters gedrungen, statt grinsend das Handy zu zücken.

Wie auch immer: Ich kam, sah und stellte mich hinten an. Als ich dran war, erhielt ich umstandslos die zweckgebundene Fotoerlaubnis. Mein Obolus in den hingestellten Porzellanteller war keineswegs Bedingung, doch hellte er die eh gelöste Stimmung zusätzlich auf.

Das ist erst ein paar Tage her. Danach sah ich den Bären noch einmal allein im Regen sitzen, mit Plastikplane überm Quadratschädel und aufgestecktem Regenschirm. Ein surreales Bild. Und jetzt ist er plötzlich ganz verschwunden, der Pennerbär von der Utrecht.

Alles ist wieder so, wie es dort immer war und immer sein muss, Finanzkrise hin oder her: sozial ziemlich unromantisch.



19 Oktober 2008

Kann man tiefer sinken?



Andreas und ich sind auf dem Weg in die Hasenschaukel (Foto). Wir laufen die Reeperbahn entlang und müssen jetzt nur noch die üblichen Hurenattacken überstehen.

Als wir flugs vorüberhuschen wollen, lösen sich zwei falkengleich aus der Reihe, stöckeln behende heran und – noch behender an uns vorbei. An zwei benachbarten Passanten – völlige Durchschnittstypen, wie ich sagen muss – erproben die beiden Huren stattdessen überraschend ihre Überredungskünste.

So nützlich das für unser Vorankommen Richtung Hasenschaukel auch ist, so sehr düpiert uns doch diese Ignoranz. Sehen wir denn plötzlich nicht mehr aus wie potenzielle Kunden? Wirken wir etwa sexu- wie finanziell nicht hinreichend potent?

Genug Gründe zum Grübeln, auch hinterher noch, beim Bier in der Hasenschaukel. Ja, verdammt, das macht uns zu schaffen. Von Huren ignoriert zu werden: Kann man tiefer sinken?

Gegen halb zwei geht es nach Hause. An der Reeperbahn paradieren sie noch immer. Wir nähern uns bang.

Und kaum erreichen wir die Koberzone, stürzen sie sich auf uns, halten uns fest, bedrängen und bequatschen uns mit diesen mädchenhaft tuenden Prostituiertenstimmchen, die all das signalisieren sollen, was diese Frauen in Wahrheit längst nicht mehr sind, im Gegenteil.

Und wir sind versöhnt mit diesem Tag.


18 Oktober 2008

Ohne Worte (17): Von Klagenfurt nach Köln



Mopo, 13. Oktober 2008, Seite 3, zum Haider-Unfall
bei Klagenfurt




Mopo, 13. Oktober 2008, Seite 53, Panoramaseite

17 Oktober 2008

Auf Blondinentour

Am Mittwoch war ich beim Konzert von Heather Nova in der Großen Freiheit.

Von der Bermuderin hatte ich analog zu ihrem neuen Album seelenstreichelnden Folk zur Akustikgitarre erwartet und deshalb die Ohrstöpsel daheim gelassen. Stattdessen pulverisierte die hinterhältige Insulanerin neben meinen Erwartungen auch die Hälfte meines Hörvermögens.

Anders die überraschend unblonde Annett Louisan am Donnerstag beim Foyerkonzert des NDR: Im öffentlich-rechtlichen Proseccoambiente blieb ihre Dynamik kongenial gedimmt. Doch vielleicht lag mein Eindruck des angenehm Mittellauten auch nur an jenem Resthörvermögen, das Blondine Nummer 1 am Tag davor übriggelassen hatte.

Plötzlich tauchte Maastrix auf und begann, Louisan zu fotografieren, was GP und ich zum Anlass nahmen, The Maastrix zu fotografieren.

So hatten wir alle unseren Spaß.

15 Oktober 2008

Matt, der Restauranttester



Ständig öttelt der Sternekoch Christian Rach durch die deutsche Provinz, um kulinarische Katastrophen zu beheben und lausige Restaurants vorm Ruin zu retten. Doch wie geht es bei Rach selbst so zu, nämlich im Tafelhaus?

Mal schauen. Sein Restaurant, das in der Boulevardpresse reflexhaft unter „Gourmettempel“ subsumiert wird, liegt an der Elbe, hat einen Michelinstern und lässt ihn sich auch bezahlen, holla …

Als wir reinkommen, sitzt Cheffe auf einer Bank an der Wand, wo er traute Gespräche mit einem jungen Paar führt, offenbar Freunde. Im Gastraum herrschen dezenter Barjazz und dunkle Holztöne, hier schummert’s schön, damit das Hafenpanorama auch abends nicht von den Fensterscheiben weggespiegelt wird. Von der hohen Decke zielen Punktstrahler auf die Tischmitte; so bleiben die Gesichter der Gäste im mysteriösen Halbdunkel.


Wir stellen uns ein Drei-Gänge-Menü zusammen, die Kellnerin lächelt und notiert sich … nichts. Mich macht so etwas immer nervös. Stets bange ich bis zum erfolgreich absolvierten Serviervorgang ums Gedächtnis des Bedienpersonals. Heute Abend jedoch grundlos; schließlich sind wir hier bei Sternekoch Rach, das ist keiner, der sich sein Personal an der Unipinnwand zusammensucht, nein, wahrscheinlich hat hier jede Kellnerin mindestens Philosophie und Mathe studiert (wie er selbst).

Drüben bespaßt Rach noch immer seine Freunde. Manchmal lacht er derart laut auf, dass wir denken, wir seien im Fernsehen.

Die Portionen sind überschaubar, doch das ist nicht schlimm, denn Rach verfolgt ein raffiniertes Prinzip: Zahl drei, krieg acht. Denn immer, wenn man gerade nicht damit rechnet, eilt eine Kellnerin herbei und entrichtet einen kleinen Gruß aus der Küche. Mal ist es Brot mit Aalbutter, mal Gänseleberpastete, mal ein Champagnersüppchen mit Minze und Mango, mal ein Sortiment feinster Chocolaterie, und der Rest fällt mir nicht mehr ein.

Den Hauptgang serviert dann Rach persönlich, mit schlenkernden Armen und Fernsehstimme erläutert er Kombinationen und Ingredienzen. Was also liegt überhaupt im Argen hier im Tafelhaus? Nach langem Sinnieren fällt mir etwas ein: der Fauxpas beim Fischbesteck!

Eine Kellnerin legt es Ms. Columbo hin, obwohl doch ich den kross gebratenen Zander mit Kraut, Knöpfle und Traubenchutney bestellt habe (Foto o.) und sie die Roulade vom Kaninchen mit Backpflaumen, Rahmwirsing und gebackenem Sellerie.

Abzug in der B-Note, Herr Rach! So nicht!

Wir nehmen schließlich ein Taxi zum Kiez und werden noch lange an diesen Abend denken – das ist schon jetzt so sicher wie der kühn geschwungene Tafelhaus-Schriftzug an der roten Wand zum Klo.

14 Oktober 2008

50 Prozent SEINER Gene



Man kann von keinem Sänger der Welt erwarten, Bob Dylans künstlerisches Gewicht zu erreichen, warum also sollte ausgerechnet sein Sohn dazu in der Lage sein?

Dank dieser Überlegung prophylaktisch milde gestimmt, kommt mir das Konzert von Jakob Dylan in der Fabrik gar nicht mehr so mittelmäßig vor, obwohl es das natürlich weiterhin ist.

Wir stehen zunächst oberhalb, dann neben der Bühne, vielleicht vier Meter von ihm entfernt, und mir wird klar, dass ich wohl niemals näher an Bob Dylan herankommen werde als an die dort drüben Gitarre spielenden 50 Prozent seiner Gene.

Zurück vom Konzert, das wir vorzeitig verlassen, rege ich an, als Betthupferl noch ein wenig „24“ zu schauen. „Aber nur eine Folge“, mahnt Ms. Columbo.

„Okay, aber eine ist keine, also können wir noch eine zweite schauen, das ist dann eine, und dann geht auch noch eine dritte, weil die zweite ja genau genommen auch keine ist“, erwidere ich.

„Wir können’s auch ganz lassen“, sagt Ms. Columbo.

12 Oktober 2008

Gesichtszwillinge (15)



Bisher vermutete ich arglos, die Kunstfigur Knut Hansen (r.) werde von Christian Ulmen dargestellt.

Seit gestern aber habe ich eine neue aufregende Theorie: Die Kunstfigur Christian Ulmen wird von Opa Edi (l.) dargestellt, der sich als Knut Hansen verkleidet hat.

Das Leben war auch schon mal weniger kompliziert.

11 Oktober 2008

(Fast) Ohne Worte (15): Kippenkippe



Es hat definitiv auch seine Nachteile, wenn Raucher vor die Tür müssen.
Gesehen in der Davidstraße,
gegenüber der Phalanx der Huren.

09 Oktober 2008

Ciao, Kapitalismus!



Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie mit bunter Kreide auf den Gehweg vor der Kita Zapperlot in der Seilerstraße kritzelt.

Mutig war gestern auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Dort geschah etwas Ungeheuerliches, etwas so Unvorstellbares, dass ich noch immer nicht sicher bin, ob es wirklich stimmt. Denn Nils Minkmar, Autor der FAZ, schrieb einen langen, traurigpoetischen Abgesang auf den Neoliberalismus – in der FAZ.

Das muss man sich mal vorstellen, kann es aber nicht.

Die FAZ ist berühmt dafür, das Goldene Kalb des Neoliberalismus jahrzehntelang unermüdlich umtanzt zu haben. Und jetzt sagt FAZ-Autor Minkmar in einer epischen Elegie, diese Geschichte sei nun zu Ende. Es müsse eine neue folgen.

Und erst jetzt, wo ausgerechnet die FAZ den Neoliberalismus fallen lässt wie einst die Menschen ihren Glauben an die Scheibenform der Erde, erst jetzt, wo ausgerechnet die FAZ vom verlorenem Glauben spricht und eine Ahnung durchscheinen lässt von der Esoterik, die in der Vorstellung von der Selbstregulierung eines freien Marktes liegt, erst jetzt glaube ich es wirklich, ausgerechnet dank der FAZ:

Dass der globalisierte Kapitalismus am Ende ist.



08 Oktober 2008

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (9)



Im Bambi am Hamburger Berg gerate ich beim Versuch, mir die Hände zu waschen, an eine sanitäre Einrichtung unbekannter Funktion.

Das quadratische Metallbecken mit mittigem Abfluss verfügt nur über einen Druckspüler, doch den Hahn suche ich vergeblich. Stattdessen rinnt plötzlich von allen Seiten Wasser ins Becken und gurgelt ostentativ durch den Abfluss.

Ratlos stehe ich davor, mit weiterhin qualvoll ungewaschenen Händen. Der direkt neben mir unverdrossen pinkelnde Mensch am Pissoir dreht sich um und empfindet die Situation nicht derart, dass er nicht parlieren könnte. Im Gegenteil.

Er – pissend, doch wissend – klärt mich auf über die Funktion dieses Dings. „Das ist ein Kotzbecken“, erläutert er zum Soundtrack seines schniedelinduzierten Plätscherns, „und ich kenne keine andere Hamburger Kneipe, in der es so etwas gibt.“

Mir geht es genauso, gebe ich ihm zu verstehen, und entdecke derweil um die Ecke ein astrein funktionierendes Waschbecken, das meine hygienischen Bedürfnisse voll und ganz zu erfüllen weiß. Zurück am Platz bitte ich Ms. Columbo, die Damentoilette zu investigieren und nach einem baugleichen Kotzbecken Ausschau zu halten. Sie kommt ergebnislos zurück.

Das Kotzen, so meine empirisch jedoch nicht ganz wasserdicht abgesicherte Erkenntnis, scheint eine männliche Domäne zu sein. Denn eins ist sicher im Kapitalismus, in dem wir trotz Finanzkrise noch immer ganz kregel zu leben verpflichtet sind: Nachfrage
induziert Angebot, und nur deshalb gibt es im Bambi ausschließlch auf dem Herrenklo ein Kotzbecken.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was das für mein Selbstverständnis als Mann bedeutet, aber das finde ich bestimmt noch heraus.

07 Oktober 2008

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (6)

 
Der eh nicht ganz repräsentable Boden unseres Lichtschachts im Hausflur barg seit der EM monatelang ein armseliges Deutschlandfähnchen, schnöde entsorgt nach dem Kater, der hierzulande jedem patriotischen Rausch ordnungsgemäß zu folgen hat.

Neuerdings aber ist das Fähnchen überraschend in den Müllraum umgezogen. Dort steckt es an der Wand und schaut dir traurig zu, wenn du deine Tüten in die Tonne stopfst.

Wahrscheinlich hofft es auf Erlösung, doch was soll ich machen? Es ebenfalls in den Müll zu geben ist bestimmt illegal.

Genau wie verbrennen.


06 Oktober 2008

Das Wort zum Montag

Mit großem Bedauern vernahm ich just Charlotte Roches Absage an eine Fortsetzung ihres Erfolgsromans „Feuchtgebiete“.

Für den gegenteiligen Fall nämlich hatte ich bereits seit längerer Zeit einen Killertitel für die entsprechende Buchkritik parat, den ich schwuppdiwupp aus dem Köcher ziehen wollte.

Dieser nunmehr obsolete Titel vereinigte aufs Trefflichste meine notorische Kalaueritis mit einer profunden Bibelkenntnis, die noch aus Jugendtagen herrührt. Nun aber, da Frau Roche keine Fortsetzung schreiben will, ist das alles perdu, und ich werde dafür niemals Ruhm und Ehre ernten.

Deshalb kann ich den Titel der nie verfassten Rezension auch in die Tonne treten – aber erst nach dem Verbloggen. Er hätte geheißen: „Das zweite Buch Möse“.

Wehe, sie schreibt jetzt doch noch „Feuchtgebiete 2“!

Foto: Wikipedia


05 Oktober 2008

Ein letzter Sommergruß



Ab jetzt heißt es bis März: Sudelwetter; schirmvernichtende Böen; heimtückisch
als Regengeniesel getarnte Vollduschen; kalte Sonnentage; wildes Wolkenhalali.

Und Menschen wie jener, der uns heute beim Einkaufen begegnete, werden von nun an seltener zu sehen sein. Sein graues Haupthaar strebte mit der gleichen Entschlossenheit nach oben wie sein ebenso grauer marxscher Bart gen Boden; ein schwarzer Umhang verortete ihn modisch in Nazareth um 9 nach Christus, seine Akustikgitarre hingegen, die er nur beschränkt virtuos zupfte beim Queren der Hein-Hoyer-Straße, verwies mehr aufs Hier und Jetzt.

Sockenlos tapste er vorüber in monströsen Sandalen, und auch das wird bald vorbei sein, sofern ihn keine religiösen Gründe zu dieser Selbstkasteiung zwingen (was ich aber für sehr wahrscheinlich halte). Denn ab jetzt heißt es: Sudelwetter
, schirmvernichtende Böen, wildes Wetterhalali zuungunsten sockenloser Marx- & Jesusfreaks in schwarzen Umhängen.

Tja, der Sommer ist vorbei, und er war nicht mal groß. Das Bild täuscht.

04 Oktober 2008

Die Frage aller Fragen

Wahrscheinlich steht die Verpflichtung zu dieser Frage im Arbeitsvertrag sämtlicher Pennyverkäufer. Wer bei Penny an der Kasse sitzt, muss sie stellen, unabhängig vom Wert des Einkaufs oder der Reputation des Kunden.

Jeder vollendete Bezahlvorgang muss mit dieser Frage abgeschlossen werden, sonst Abmahnung. So weit, so gut. Als aber heute die Pennyverkäuferin dem Obdachlosen, der lediglich einen Tetrapak billigsten Rotweins aufs Band gelegt hatte, die in ihrem Arbeitsvertrag festgelegte Frage stellte, wurde das Surreale dieser Vorschrift doch sehr evident.

Sie blickte hoch zu dem Obdachlosen, der nach seinem Tetrapak griff, und fragte sie, die Frage aller Fragen.

Sie lautet: „Kassenbon?“

Der Mann schüttelte Kopf und Bart und ging hinaus. Genau wie ich wenig später, mit der gleichen Frage als Echo zwischen den Ohren – und vier Frühstücksbrötchen in der Tasche.

Vielleicht sollte man ihn sich wirklich mal geben lassen, den Kassenbon, und nachmittags mit einem angebissenen Brötchen wiederkommen: „Sorry, das war nicht gut, ich möchte es umtauschen, hier ist der Kassenbon.“

Eventuell nächsten Sonntag.



02 Oktober 2008

Ohne Worte (14): Norwegian wood



Entdeckt in Oslo.


Raus damit, FC St. Pauli!



Ich weiß, ich weiß: Die Modelabels Lonsdale, Dr. Martens, Fred Perry, Ben Sherman und Alpha zielen nicht explizit auf rechte Käuferschichten. Gleichwohl finden Neonazis diese Klamotten cool.

Und deshalb ist es jeden Monat sehr befremdlich, ausgerechnet in der Vereinszeitschrift des „linken“ FC St. Pauli, „Im Blickpunkt“, die Daueranzeige eines Hamburger Ladens zu finden, der uns mit
Lonsdale, Dr. Martens, Fred Perry, Ben Sherman und Alpha locken will.

Ich weiß, ich weiß: Auch Normalos und linke Skinheads tragen das Zeugs. Trotzdem. Könnte der FC St. Pauli dort nicht eine Anzeige von American Apparel reinholen oder Greenpeace das Eckchen schenken?

Es ist sowieso unklar, ob für diese Anzeige überhaupt Geld fließt. Da gab es nämlich mal eine jahrelang schlichtweg vergessene Wal-Mart-Werbung, die noch ewig nach der Schließung des Ladens halbseitig im Heft war und erst in der neusten Ausgabe fehlt. Leider ganz im Gegensatz zu der mit
Lonsdale, Dr. Martens, Fred Perry, Ben Sherman und Alpha.

Die muss auch raus, FC St. Pauli! Denn wenn man richtig antifa sein will, muss man manchmal auch ein bisschen ungerecht sein.