23 August 2007

Ich Raschelhufer

Heute Morgen kam ich zum Rad und fand es ums Rücklicht dezimiert vor. Auch die Birne fehlte.

Dafür hielt immerhin die vordere Lampe noch die Stellung. Auch Lenker, Räder, Kette, Schaltung und Bremse waren nicht auf nennenswertes Interesse gestoßen. Jetzt bin mir nicht ganz sicher, ob ich dem aufkeimenden Gefühl der Dankbarkeit wirklich nachgeben sollte.

Zum Glück gab es heute auch heitere Momente. Verantwortlich war etwa jene Spammail, die mich mit folgenden Worten zu ködern versuchte: „Energy fur ihren Schwanz, kaufen!“ Oder Sibylle Bergs turnusmäßiger Rundbrief, der stets mit einer derart niedlichen Anrede eingeleitet wird, dass ich mich aktiv dran erinnern muss, wirklich mitgemeint zu sein.

Heute besäuselte Frau Berg u. a. mich mit „liebe kleine raschelhufer“. Wenn man so angesprochen wird, ist ein eingebüßtes Rücklicht samt Birne spürbar leichter zu verschmerzen.

Ja, ich musste sogar feststellen: Wenn man mich „lieber kleiner raschelhufer“ nennt, kommt mir ein Dieb überhaupt nicht mehr wie ein Dieb vor, sondern eher wie ein Stibitzer oder noch was Putzigeres.

Als Ms. Columbo und ich abends am Fischmarkt entlangspazierten, strömten bereits wieder Menschen ans Elbufer, die sich dem Auslaufen der Queen Mary 2 entgegenfreuten. Ich wandte dem Schiff den Rücken zu und fotografierte die Straßenlampe vorm Abendhimmel, und noch ehe das Auslauffeuerwerk losging, waren wir schon wieder zu Hause.

Man stumpft einfach ganz schön ab mit der Zeit.

Vom Franken reingelegt

Noch während wir zum Lunch dorthin unterwegs sind, will der Franke plötzlich partout nicht mehr ins Bistro des Monsun-Theaters (das Foto zeigt ihn bei seinem letzten Besuch ebenda).

Die Nudeln seien zu weich (was stimmt), die Portionen zu klein (was falsch ist), und außerdem fehle gewöhnlich ein interessantes totes Tier auf der Mittagskarte (was nur ihn interessiert).

Der grobschlächtige Vielesser hadert, motzt und salbadert, er zetert und ramentert, doch ich bin unerbittlich. Heute soll, muss, wird es das Monsun-Bistro sein, basta!

Schließlich will der Bonuspass den nächsten Stempel; nach dem zehnten Essen kriegt man eins umsonst. Plötzlich aber, mitten im monsunfeindlichen Wortschwall, sagt der Franke leise „bitte“ – und ich bin augenblicks platt, entwaffnet, niedergeschmettert, wehrlos.

Denn mit diesem kleinen Wörtchen „bitte“ legt der Franke Unfassliches nahe: nämlich irgendwie ein wenn schon nicht integrierter, so doch assoziierter Bestandteil eines sozialen Gefüges zu sein, gleichsam ein Mensch unter Menschen (na gut: zumindest ein Franke unter Menschen).

Dieses „bitte“ signalisiert geradezu so etwas wie eine humanoide Anwandlung, der Franke verfügt vielleicht sogar über zumindest rudimentäre Vorstufen sozialer Umgangsformen. Und das plättet mich.

Also trotte ich willenlos hinter ihm her, und zwar nicht ins Monsun, sondern ins Babylon, das ein kregler Ägypter führt, der uns stets mit glucksender, manchmal von keckerndem Lachen flankierter Fröhlichkeit empfängt.

Ja, der Franke hat wirklich „bitte“ gesagt, das muss ich erst mal verdauen. Und im Babylon bestellt er eine vegetarische Pizza.

22 August 2007

Nachlieferung

Was genau verantwortlich war für diesen großflächigen Fleck vorm Nachbarhaus, ich weiß es nicht.

Aber ich weiß eins: Er befindet sich exakt dort, wo damals die aus dem vierten Stock gesprungene Nachbarin aufschlug, als wir gerade das Haus verließen.

Warum nun zehn Jahre später gleichsam die Bebilderung zu diesem grauenhaften Tag nachgeliefert wird (und von wem), vermag ich nicht zu sagen.

Aber mich gruselt’s.

20 August 2007

Das Espressorätsel

Früher bestellte ich den Espresso immer lungo, also mit Wasser verlängert. Seit einiger Zeit arbeite ich an einer Geschmacksverfeinerung und bin im Zuge dessen auf doppio umgestiegen: gleiche Stärke, aber doppelte Menge.

Heute Abend nun gesteht mir Ms. Columbo, sie sei davon überzeugt, beide meiner speziellen Vorlieben beeinflussten seit Jahren die Qualität ihres Espressos, und zwar keineswegs zum Guten.

„Wenn du einen Lungo oder Doppio bestellst“, klagt sie, „kriege ich automatisch immer einen Verlängerten.“ Und das möge sie nicht.

Sie habe diesen Effekt über lange Zeit stillschweigend beobachtet, erläutert sie, und heute Abend sei es nun so weit, mich mit diesem inzwischen empirisch fundierten Forschungsergebnis zu konfrontieren.

Meine Zweifel an dieser Theorie erweisen sich augenblicks als noch größer als mein Amüsement, und wir beschließen die Probe aufs Exempel. In der Pizzeria am Großneumarkt, wo wir im milden Abendsonnenschein draußen sitzen können und uns fühlen wie im Romurlaub, ordert sie einen normalen Espresso, ich einen doppelten.

Woran wir überhaupt erkennen könnten, frage ich vorsorglich, ob ihr Einzelespresso wirklich über Gebühr verlängert worden sei. Sie wisse sehr wohl, welche Menge man gemeinhin beim Italiener serviert bekomme, antwortet sie mit charmanter Schnippischkeit. Dann warten wir. Es ist aufregend.

Zwischendurch frage ich zunächst mich und dann sie, wie man überhaupt einen italienischen Ober herbeirufe. In Frankreich käme man mit einem entschlossenen „Garçon!“ ja durchaus weiter, doch hier und jetzt – vielleicht „Signore“? Nein, erläutert Ms. Columbo als kompetente Halbsardin, es hieße schlicht „scusi“, „Entschuldigung“.

Und da kommt er auch schon, der Signore Scusi. Mit einem Doppio und einem – Cappuccino … Eine Fehllieferung. Der Cappuccino geht zurück, ein Einzelespresso muss nachbestellt werden. Und das verwässert natürlich die Versuchsanordnung völlig.

„Der Effekt“, merkt Ms. Columbo spitzfindig an, „tritt natürlich nur dann auf, wenn wir eine gemeinsame Bestellung aufgeben.“ Was zu beweisen gewesen wäre. Wir werden dranbleiben.

Ober heißt auf Italienisch übrigens „cameriere“.

19 August 2007

Meditieren auf der Reeperbahn

Mehrfach jährlich herrscht hier auf dem Kiez die sonische Hölle. Zum Beispiel beim Schlagermove („Fiesta Mexicana“-grölende Kampftrinker in Schlaghosen), dem Christopher-Street-Day (Tunten in Tüll und Karnevalsklamotten) oder den Harley Days (rollende Bierbäuche mit applizierten Graubärten).

Müsste ich mich entscheiden, welchen dieser empörenderweise sogar polizeiunterstützten Terrorakte ich zum Teufel wünschen sollte, so fiele mir das leicht: alle drei.

Außerdem gibt es hier noch ein Radrennen, die CyClassics. Auch das führt zu Lärmentwicklung. Denn tausende von Menschen stehen gewöhnlich an der Strecke und nerven akustisch die schutzlosen Fahrer.

Doch dank der Tour de France war heute alles anders. Zwar rauschte das Fahrerfeld zig-mal über die Reeperbahn, nur stand da kaum jemand rum. Radelnde Chemiedepots? Braucht wohl keiner mehr.

Weil aber natürlich trotzdem alles für den Autoverkehr gesperrt war, herrschte heute auf dem Kiez plötzlich eine himmlische Ruhe. Dafür danke ich Leuten wie Ullrich, Fuentes und Sinkewitz von Herzen. Bitte immer weiterspritzen, ja?

Natürlich nutzte ich auch die unverhoffte Chance, mich mal mitten auf die verwaiste Reeperbahn zu stellen und diese sonst tagtäglich so gequälte Straße einmal im verträumten Dämmerzustand zu fotografieren.

Ein bisschen war’s wie meditieren. Ommm.

Und sie bewegt sich doch!



Die vor einigen Wochen von mir ins Spiel gebrachte Aktion „Anna muss bloggen!“ ist ein voller Erfolg – denn Anna bloggt!

Sherlock Matt hat die ebenso scheue wie enigmatische Saarländerin in den Weiten des Webs aufgespürt. Nun möchte ich alle Doc Watsons da draußen – vor allem Olaf – ermuntern, es mir gleich zu tun.

Einfach so ausplaudern werde ich ihre URL natürlich nicht. Andererseits: „Jeder Mensch ist käuflich, es ist nur eine Frage des Preises“, schrieb mal ein bedeutender Philosoph im 25. Kommentar zu diesem Text, und wenn das richtige Angebot rüberkommt – wer weiß.

Tipp für den Anfang: Sie nutzt Wordpress, und ihren Blogkopf ziert das abgebildete stimmungsvolle Foto. Wer als erster ihre Blogadresse in einem Kommentar erwähnt, erhält natürlich einen der weltberühmten CD-Sampler aus original Reeperbahnrückseitenproduktion.

Das könnte vielleicht auch ein Outinganreiz für Anna selber sein …

18 August 2007

Die Pissnelke



In Winterklamotten gehen wir in dieser kalten Augustnacht rüber ins Millerntorstadion, angezogen von den cineastischen Verheißungen des 60er-Jahre-Trashfilms „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“.

Wir sehen Erstaunliches. Nämlich den jungen Fritz Wepper, wie er sich mit einer nackten Frau in den Laken wälzt. Wir sehen Leute, die LSD konsumieren, wir sehen bloße Brüste, und das in einem deutschen Film von 1967!

Gegen halb 11 geht drüben auf dem Dom das Feuerwerk los. Der Verständlichkeit der Filmdialoge nützt das natürlich wenig, doch das macht nichts – denn dafür fällt ein atmosphärischer Clip dabei ab, den man nirgendwo sonst auf der Welt drehen könnte.

Als ich mich auf dem Heimweg unserem Haus nähere, höre ich plötzlich eine Frau „Nicht schauen!“ kreischen. Der Imperativ dringt mir nur halb ins Bewusstsein; er wird auf die übliche Weise automatisch herausgefiltert.

Denn unter unserem Balkon geschieht allwochenendlich sowieso viel zu viel Seltsames und letztlich Harmloses, als dass man sich über Gebühr darum kümmern sollte.

Als ich fast an der Haustür bin, kreischt es indes wieder und sehr viel lauter „Nicht schauen!“. Ebenso hätte mich irgendjemand auffordern können: „Denk bitte jetzt gerade mal nicht an die Kleine Hufeisennase“, und an was hätte ich zwanghaft gedacht? Genau.
Natürlich schaue ich also jetzt hin und sehe eine ungefähr 19-Jährige, wie sie aufgebrezelt, großäugig und breit grinsend dahockt mit heruntergelassenen Hosen und auf den Gehweg pisst. Daneben steht ihre Freundin und überwacht die Situation.

„NICHT schauen!“, schreit die Pissnelke, und ihre Riesenohrringe wackeln im Wind. Ich schaue weg, schließe wortlos die Haustür auf und betrete die Wohnung.

Natürlich hätte ich sie aufs öffentliche Klo drüben auf der Reeperbahn hinweisen können, doch wozu? Es gibt schließlich Ziele, die viel eher zu erreichen sind, als Wildpinkler auf dem Kiez zur Rückkehr in die menschliche Zivilisation zu bewegen – zum Beispiel Weltfrieden.


16 August 2007

Zwischen Strand und Spritzenplatz

Ms. Columbo lacht sich halb kaputt über die Fortbewegungsart unbeholfener Seeelefanten auf 3Sat. In der Tat: Wenn die Viecher loskrauchen, sieht das wirklich aus, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel.

„Wer denkt sich so was bloß aus!“, gluckst Ms. Columbo, „das allein ist doch schon eine Widerlegung der Schöpfungstheorie!“ Stimmt, jeder Kreationist müsste vom Glauben abfallen beim Betrachten eines x-beliebigen Seeelefantenfilms.

Apropos Wellen: Während einer unserer üblichen spitzfindigen Sprachdiskussionen kommen wir auf „La Ola“, bekannt als „Die La-Ola-Welle“. Da „La Ola“ aber übersetzt einfach „die Welle“ heißt, ist der Ausdruck „die La-Ola-Welle“ nichts weiter als eine ziemlich bescheuerte Verdopplung: „Die die Welle Welle“.

Warum reden wir so? Warum müssen Seeelefanten übern Strand walken, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel?

Und warum hat mein Arzt seine Praxis ausgerechnet am Spritzenplatz und treibt auch noch seine typografischen Späßchen damit?

Clever und dreist



Gut, dieser stattliche Mensch war heute Abend vielleicht nicht der typischste aller Stones-Fans. Aber er war einer der cleversten.

Ich zum Beispiel hatte nicht mal mit dem Gedanken gespielt, unterm Hemd eine Abstellfläche fürs Bier in die Arena zu schmuggeln.

Die Rolling Stones höchstselbst waren
hingegen noch dreister: Sie schleppten gleich ein ganzes Parkhaus (ca. aus den Spätsechzigern) mit ins Stadion und versuchten es als Bühnenaufbau zu tarnen.

Hat nicht funktioniert.

14 August 2007

Tag der Stecher

Zunächst rauschte nachmittags eine Wespe volley in meinen USB-Ventilator. Keine Millisekunde später zappelte sie verdattert und verteidigungsunfähig auf der Schreibtischplatte.

Ich erwog sie mithilfe des WOM-Magazins zu erlösen, doch ihr progressives Zucken schien eine leichte Erholung anzudeuten. Also schob ich sie auf ein Blatt und schubste sie aus dem Fenster. Taumelnd und flugunfähig sank sie hinab in den Abgrund. Was aus ihr wurde, werde ich nie erfahren.

Im Gegensatz zu den Moskitos, deren Schicksal ich abends sehr genau mitbestimmen konnte. Über Jahre hinweg habe ich mich professionalisiert. Was mit einer Fliegenklatsche begann, führte über eine hand- und schlaggerecht gerollte Zeitschrift zu strombetriebener Technik: Moskitos jage ich inzwischen nur noch mit dem Staubsauger.

Eine effektive und saubere Methode – großer Radius und keine Flecken auf der Tapete. Das Teleskoprohr wird ausgefahren, die Bürste abgezogen und halali.

Es gehörte allerdings keineswegs zum Plan, mit dem Staubsaugerschlauch mehrere Flaschen Alkoholika vom Kachelofen zu fegen. Taumelnd und flugunfähig rauschten sie hinab in den Abgrund, doch merkwürdigerweise zerbrachen sie nicht, als sie aufs Parkett krachten.

Der Tresterbrand (Kallfelz, Mosel) schäumte lediglich entrüstet auf, und die Roséflasche (Sella & Mosca, Sardinien) entledigte sich protestierend ihres Korkens, so dass eine blutähnliche Weinlache den Boden aufhübschte. Und alles nur wegen ein paar winziger Lebewesen, die so leicht sind wie Luft.

Immerhin saugte ich nach den Aufräumarbeiten insgesamt drei von ihnen ins Beutelnirvana und installierte danach zur Sicherheit noch das unbezahlbare Moskitonetz im Schlafzimmer.

Das ging erstaunlich pannenlos vonstatten, obwohl ich doch mit einem Hammer hantieren musste. Wahrscheinlich ist Ms. Columbo ziemlich stolz auf mich. Ich auf mich auf alle Fälle.

Foto: Micropolitan.org

Haarige Sache



Beim Konzert von Devendra Banhart im Knust muss ich frustriert feststellen: Dieser dünne Amerikaner ist praktisch unfotografierbar. Dabei wendet er eine grundsätzlich andere Taktik an als einst Graf Dracula, der als Abbild – ob im Spiegel oder auf Fotos – einfach unsichtbar blieb.

Nein, Herr Banhart kehrt dir entweder den bestürzend schmalen Rücken zu, was fototechnisch unbefriedigend bleibt, oder du knipst ihn seitlich oder von vorne und hast trotzdem nur Bart und Haare drauf.

Ich erinnere mich, mir einst aus purer Neugierde mal den viele Jahre alten Vollbart abrasiert zu haben, nur um zu erfahren, wie ich überhaupt aussehe.

Devendra Banhart scheint dieses Bedürfnis noch nicht zu verspüren, nicht mal im Ansatz. Der Mann ist völlig zugewachsen. In botanischen Kategorien ausgedrückt wäre er der brasilianische Regenwald und ich die Wüste Gobi.

Doch ob haarig oder nicht: Wer so wie er Townes’ „Colorado girl“ covert, kann kein schlechter Mensch sein, im Gegenteil.

12 August 2007

Auf der Dorfdisco

Nach fünfstündiger Bahnfahrt, während der mir nahe Northeim das Himmelsbild gelang, verbringen wir ein Wochenende in meinem hessischen Heimatdorf am Fuße des Westerwaldes. So vertraut, so fremd.

Die Verwandtschaft zum Beispiel hat die Angewohnheit, so fröhlich wie lautstark durcheinanderzuplappern. Eine von A angefangene Geschichte wird von B begeistert zu Ende erzählt, was A aber nicht dazu bewegt, den Staffelstab einfach loszulassen.

Nein, munter spinnt er die Geschichte ebenfalls fort, und die so entstehende kommunikative Kakophonie ergibt erstaunlicherweise am Ende doch eine recht runde Story.

Abends Oldiedisco in der einzigen Kneipe des Dorfes. Man erkennt mich, nötigt mir Bier auf, tätschelt mir die Glatze, lobt lallend Hamburg, artikuliert gesteigerten Besuchswillen.

Oft nicke und lächle ich einfach freundlich, weil ich im brachialen Lärm der Oldiedisco eh nichts verstehe und klar ist, dass eine Nachfrage kaum mehr Klarheit ins semantische Dunkel brächte.

Heute, am Tag danach, habe ich allerdings den Verdacht, durch unbewusstes Abnicken mehreren reisefreudigen Dorfdiscobesuchern persönliche Kieztouren und weitere Betreuungsangebote in Aussicht gestellt zu haben.

Übrigens ist nicht nur eine generelle Kakophonie typisch für meine Familie, sondern auch eine beeindruckende Gestaltungshöhe im Ethisch-Moralischen. „De Marga erzeehld Geschichde“, informiert man mich mit latenter Empörung über den geistigen Dämmerzustand einer Heiminsassin, „dej sei gor ned wuhr!“

Selbst eigentlich entlastende Demenz vermag also einen gottesfürchtigen Protestanten nicht davon abzuhalten, auf die generelle Sündhaftigkeit des Lügens hinzuweisen.

Zum Ausgleich sehe ich auf der Rückfahrt am Marburger Bahnhof eine junge Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Back from Hell“ trägt. Und direkt hinter ihr gehen zwei Nonnen.

10 August 2007

Kostbare Sekunden

Einer der schönsten Momente heute war der, als der Rührarm unserer Brotbackmaschine plötzlich im gleichen Takt lief wie der im Hintergrund laufende Song „Amelia“ von Michael Hall.

Eine kleine unverhoffte Harmonie im ansonsten konsequent asynchronen Alltagsgeschehen. Allerdings hielt sie nur wenige Sekunden vor.

Es waren die kostbarsten.

Von Gefriertüten und Eiderenten

Dieser Artikel auf Spiegel online über das Glück auf einer kleinen norwegischen Insel ist fast zu kuschelig, um wahr zu sein. Doch er glänzt mit einem wunderbaren deppenbindestrichlosen Wort. Es heißt „Eiderentendaunenschulden“.

Das Wort ist nicht einfach erfunden, sondern sorgsam eingebetteter Bestandteil einer Geschichte, die fast zu kuschelig ist, um wahr zu sein.

Überraschenderweise muss man das Wort kuschelig neuerdings auch auf den sprichwörtlich rustikalen Franken anwenden. Der mit allen Weihwassern gewaschene Grobmotoriker hegt und pflegt zu Hause eine umfangreiche Sammlung von DVDs, und genau eine einzige davon hat er unlängst aus Gründen des besseren Staub- und Erosionsschutzes eingeschlagen – und zwar in eine Gefriertüte.

Für Außenstehende klingt das wahrscheinlich nicht sonderlich liebevoll; es hätte gewiss für mehr öffentlichen Applaus gesorgt, wenn der Franke eine Schmuckschatulle verwendet hätte.

Doch für uns, die wir das Pech haben, tagtäglich mit seinem landsmannschaftlich typischen Rumgepoltere und seiner unterfränkischen Stoffeligkeit konfrontiert zu werden, steckt in der übergestülpten Gefriertüte eine rührende Symbolik.

Irgendwo nämlich, tief versteckt unterm Unterfrankenpanzer, scheint doch so etwas wie ein Herz zu pochen, wenn auch sehr, sehr leise.

Die interessanteste Frage aber ist die, welcher Film denn nun in den Genuss seiner schier zärtlichen Anwandlung kam. Uns erwartet eine überraschende Antwort.

Denn weder handelt es dabei um eine Scheibe seines geliebten Harald Schmidt, noch wurde einem David-Lynch-Film die Gefriertütenehre zuteil. Nicht einmal seine „Twin Peaks“-DVDs erfreuen sich der Spezialunterbringung.

Nein: Es ist die „Sissi“-Box!

Kramer und ich starren ihn an, als übte er gerade im Baströckchen einen Balztanz für den nächsten Christopher-Street-Day. „Weil das Cover aus Samt ist!“, ruft der Franke in einem lächerlichen Versuch, sich zu verteidigen. „Alles andere kann man abwischen!“

Er hat ausgerechnet die „Sissi“-Box in eine Gefriertüte gesteckt. Das ist unglaublich kuschelig. Und hätte der Franke bei irgendjemand Eiderentendaunenschulden, ich würde sie bezahlen, eventuell.


Das Foto der Eiderentenfedern schoss Ian Walker.

09 August 2007

Das Plattenrätsel



Eine Wand seines Musikzimmers tapeziert Andreas immer wieder neu mit wechselnden Plattencovers, die stets eine Gemeinsamkeit aufweisen, zum Beispiel Obstmotive, Leute mit Hut oder Bands, die uns den Rücken zuwenden – alles ist denkbar.

Neuerdings hängt bei ihm das abgebildete Ensemble, welches ich direkt vorm Platziertwerden ablichten konnte. Ich tumber Tor stand indes ratlos davor und kam einfach nicht auf das gemeinsame Kriterium, welches all diese Cover als homogene Gruppe definiert.

Doch bestimmt ist nicht jeder so begriffsstutzig wie ich, und deshalb lobe ich mal wieder einen selbstkompilierten CD-Sampler aus für jenen Schlaumeier, der mir als erstes per Mail mitteilt, aus welchem Grund wohl Andreas ausgerechnet auf dieses Plattencoverensemble gekommen ist.

Er hat’s mir schließlich verraten – und natürlich fiel es mir sofort wie Schuppen aus den Haaren. Aber hinterher ist man ja immer schlauer.

Andreas selbst, seine Verwandten und Leute mit unmittelbarem Zugang zu seinen Kontaktdaten sind natürlich von der Verlosung ausgeschlossen. Und nicht schummeln – das gibt schlechtes Karma!

Blogprobleme

Blogger.com hat momentan technische Probleme, man kann keine Fotos hochladen. Und ohne Fotos kein Beitrag.
Das wird sich aber bestimmt sehr bald wieder ändern.

07 August 2007

Ich dünge den Stadtpark

Grundsätzlich ist es natürlich kein Problem, ein Magnum Mandel zu möfeln, während man in der Abendsonne das überraschende Duett von M. Ward mit Norah Jones genießt. Doch dann erzählt Ward etwas von einem Stück, das man jetzt spielen werde, und zwar habe es ein amerikanischer Songpoet verfasst, der wahrscheinlich öfter durch Deutschland als durch seine Heimat getourt sei. 

Noch scheint es so, als habe diese Ansage rein gar nichts zu tun mit meinem Magnum Mandel. Noch. Jedenfalls werde ich nicht nur extrem hellhörig, nein, bei mir schrillen sogar alle Alarmglocken, und vor meinem inneren Auge blinken große Warntafeln mit der Aufschrift „Townes Van Zandt! Townes Van Zandt!“ 

Nur er kann gemeint sein, und wer meine Verehrung des Texaners kennt, ahnt vielleicht, welche Drüsen gerade unter Hochdruck anfangen zu pumpen, nämlich die für Adrenalin zuständigen. Fahrig taste ich nach der Kamera in meiner Hosentasche, denn wenn M. Ward und Norah Jones jetzt wirklich gemeinsam einen Townes-Van-Zandt-Song singen sollten, ohne dass ich diesen kostbaren Moment konservieren würde, so müsste ich mich selbst ohrfeigen. Nicht nur dabei allerdings wäre ein Magnum Mandel eher hinderlich. Nein, auch beim Aktivieren der Kamera entpuppt sich das Halbgefrorene am Stil als wenig nützlich. 

Rechtshändig drücke ich an meiner widerwilligen Kamera herum, während mir links der erste Vanilletropfen den Daumenansatz kühlt. Beim sofortigen Abbeißen der suppenden Stelle fallen zudem die ersten größeren Schokoladenplättchen zu Boden. Übrigens passiert mir das immer beim Magnummandelmöfeln, selbst wenn ich beide Hände frei zur Verfügung habe. Entweder ein Konstruktionsfehler oder Matt’sche Tollpatschigkeit, ich weiß es nicht. 

Was ich jedoch weiß: Ich würde meine Karriere aufgrund mangelnder Steigerungsmöglichkeiten sofort beenden, sobald ich es schaffte, ein Magnum Mandel verlustfrei zu inkorporieren. Hier und jetzt ist daran aber nicht zu denken, im Gegenteil. Während das Eis weiter tropft und bröckelt, ist die blöde Kamera endlich soweit. Und schon erklingen die ersten Takte von „Loretta“, Townes’ Song über eine Bardame. Ja, in der Tat: M. Ward und Norah Jones covern Zandt. 

Ein unwirklicher Moment, ein magischer Moment. Denn sie tun es gut, die beiden, schleppend und zart, er mit dieser angerauten Rock’n’Roll-Stimme, die immer ein wenig klingt, als sänge er durch ein Megafon; sie mit diesem melancholischen Kleinmädchentimbre, es ist ein Genuss. Ich filme schleckend, sabbernd und bröckelnd mit, zwar aus viel zu großer Ferne, aber immerhin – und nach gut drei Minuten drücke ich statt auf den Stop- auf den Ausschaltknopf.  

Datei. Nicht. Gespeichert. 

Dafür habe ich den Stadtparkboden mit erheblich mehr Schokoladenplättchen gedüngt als üblich. Ich. Könnte. Heulen.  

(Townes-Foto von Claus-Marco Dieterich, Marburg 1993)

 

06 August 2007

Vom Knüppeln in verschiedenen Varianten

Auf dem heiligen Rasen des Millerntorstadions, wo am Wochenende mein FC St. Pauli noch sensationell Bayer Leverkusen wegknüppelte, steht jetzt eine große Leinwand. Freiluftkino – und das in einer warmen Sommernacht!

Auf dem Programm: Klaus Lemkes ebenso dilettantischer wie charmanter Hamburgklassiker „Rocker“ von 1971. Das Tollste am Film ist neben der unfreiwilligen Komik der derbe Kiezsprech jener Zeit.

„Komm mit raus, Torte!“, pflaumt da ein vom Feminismus noch völlig unbeleckter Koteletten- und Schnäuzerträger seine Ex an. Und ein Ganove namens Ulli fragt seinen kleinen Bruder: „Hast du schon mal ne Alte geknüppelt?“ Hat er nicht.


Parallel zur Filmspule dreht sich drüben auf dem Dom majestätisch das Riesenrad, von der Achterbahn und der Überschlagsschaukel (Foto) wehen die Lustschreie der Teenies herüber, und wir versuchen auf den Schalensitzen der Haupttribüne eine halbwegs bequeme Position zu finden.

Tags darauf schauen wir uns eine Dokumentation über eine Seychelleninsel an. Ein 150 Jahre alter Schildkrötenbulle kommt vor, der gerade eine gepanzerte Dame besteigt.

„Ich würde auch gern mit 150 noch ne Alte knüppeln können“, sage ich versonnen zu Ms. Columbo. Die Torte grinst süffisant, und ich nippe entschlossen optimistisch an meinem Single Scotch Malt (Laphroaig, 10-jährig).

Kein Lamm, nirgends

Der Angestellte der Tankstelle am Spielbudenplatz will mir auf den 12er-Kasten Warsteiner kein Pfand geben. Diese Konfiguration, wird mir kühl beschieden, hätte man nicht im Angebot, ergo erfolge auch keine Rücknahme. Nur die Flaschen könne ich dalassen.

Das versuche ich auch, doch der zuständige Automat ruckelt und piept zwar eifrig, folgt aber seiner einzigen Bestimmung hienieden nicht: Flaschen zu schlucken und dafür einen Bon auszuspucken. Streik also nicht nur bei der Bahn.

Frustriert packe ich den Kasten draußen auf den Gepäckträger des Fahrrads und schlendere über den Flohmarkt – in der Hoffnung, die Kiste geklaut zu bekommen und somit diese Last ohne weitere Mühe, aber auch ohne Erlös los zu sein. Doch heute streiken selbst die Diebe.

Später versuche ich, Lammfilets zu kaufen, weil Ms. Columbo vom Fischmarkt aus irgendwelchen Gründen Bohnen heimbrachte. Und was kann man zu Bohnen schon essen außer Lamm? Also muss ich los.

Doch die Frustrationsserie reißt nicht ab. Bei Penny: kein Lamm. Bei Lidl: dito. Da wohnen wir schon in einem Viertel mit gefühlt mehr als 50 Prozent kleinasiatischer Bevölkerung, der doch wohl eine deutliche Lammaffinität unterstellt werden darf – und der hiesige Einzelhandel setzt dennoch voll auf Huhn und Schwein.

Vorm Lidl-Markt schläft übrigens ein besoffener Teenager im Stehen und hat sich zur Unterstützung seines vegetativen Nervensystems, das neben der Atmung auch seine aufrechte Haltung sichern soll, an einen Pfosten gelehnt.

Während er also dalehnt und sanft schwankend schläft, dreht er sich in Höhe der Körpermitte eine Zigarette. Ganz erstaunlich.

Heute Abend gab es dann übrigens weder Lamm noch Bohnen, sondern Käse und Salat. Auch lecker.

04 August 2007

Schrei nach Liebe

Wahrscheinlich hattet auch ihr heute diesen infamen Prospekt des Deutschen Atomforums im Briefkasten, der meinen Tag kontaminierte.

Darin jammert die Atomindustrie uns einen vor: Sie fühlt sich missverstanden, zu Unrecht ungeliebt. Außerdem listet sie fünf Gründe auf, weshalb sie der wahre Klimaschützer sei.

Nur eins kam in diesem rührenden Schrei nach Liebe schamhafterweise nicht vor: Plutonium.

Deshalb hier kurz eine Ergänzung, damit der Prospekt auch vollständig ist: Die ungeliebten Klimaschützer produzieren tagtäglich das tödlichste Gift der Welt, ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung zu haben, wo es am Ende hin soll.

Sie produzieren das tödlichste Gift der Welt und halsen es einfach unseren Nachfahren auf, und zwar für die nächsten 24 000 Jahre – also fast zehnmal so lange, wie die gesamte bisherige Geschichte der menschlichen Zivilisation andauert.

Mal ehrlich, ihr armen ungeliebten Klimaschützer: Dann. lieber. Klimawandel.