27 Juni 2013

Irgendwo in Sonstwowo


WLAN wird im Zentrum und an der Promenade von Swinemünde kostenlos angeboten. Hoffe ich wenigstens. Man muss sich nämlich erst mal durch seitenlange polnische Nutzungsbedingungen scrollen, ehe man am Ende eine von zwei unverständlichen Optionen anklicken kann. Kleiner Tipp: Die linke unverständliche Option führt zum Log-in.

Ob ich mich damit nun verpflichtet habe, mein Vermögen plus Ms. Columbo der Stadt Swinemünde zu überschreiben, werde ich möglicherweise bald erfahren.

Nach der sprichwörtlich schönen polnischen Frau hielten wir übrigens eine ganze Weile vergebens Ausschau. Ich vermutete schon den Export des Komplettbestandes in die Herbertstraße, doch dann sahen wir sie en passant doch noch, die sprichwörtlich schöne polnische Frau, und zwar auf dem Straßenstrich zwischen Swinemünde und Stettin.

Dort steht sie kurzberockt und upgepusht an Waldlichtungen, und zwar ohne jede sichtbare Infrastruktur. Meine Theorie, in der Bewaldung hinter ihr verfüge sie gewiss über eine gut getarnte Arbeits- und Verrichtungsstätte in Form eines Wohnmobils mit Waschmöglichkeit, blieb allerdings bis runter nach Stettin komplett unverifiziert.

Die Existenz polnischer Wildschweine hingegen konnten wir zweifelsfrei nachweisen. Beim Warten auf die Fähre nach Wollin etwa traten mehrere halbstarke Vertreter dieser schmackhaften Spezies aus dem Wald und orderten Futter. Eins versuchte gar einen Lkw zu entern, dessen Lenker so unvorsichtig gewesen war, die vorsorglich an Bord befindlichen Leckerli bei geöffneter Tür hinauszuwerfen.

Einen Tag später, im tiefen Wald zwischen Rewal, Kolberg und Sonstwowo, brachte gar eine Bache mit sechs Frischlingen den Verkehr komplett zum Erliegen. Mama musterte uns die ganze Zeit argwöhnisch, während die Kleinen sich nur für ihre Zitzen interessierten, darin dem Griesgraemer nicht ganz unähnlich.

25 Juni 2013

Zwei eindringliche Warnungen


Woher weißt du, dass du genau am genau richtigen Ort auf der Welt bist? Wenn du nicht genau sagen kannst, ob das Rauschen, das du hörst, von der Spülmaschine kommt oder von der Brandung.

Unsere Swinemünder Ferienwohnung liegt an der Ostsee, nur durch eine schmale Baumreihe vom Strand getrennt. Eine dreieckige Lücke in den Baumkronen gibt den Blick frei auf die weißen rauschenden Wellenkämme – der richtige Ort zur richtigen Zeit, zweifellos. Dank des Sturms heute auch für Kitesurfer.

Viele Einwohner Swinemündes sprechen Deutsch. Das ermutigt uns, es immer erst mal in unserer Muttersprache zu versuchen, und meistens klappt das auch. Nur wenige Kilometer weiter liegt Deutschland, doch ich würde mich sehr wundern, wenn dort eine signifikante Anzahl von Einwohnern Polnisch spräche.

Die Polen scheinen dieses Missverhältnis gelassen zu nehmen – und uns außerdem auch dankenswerterweise nicht (mehr) dafür haftbar zu machen, dass unsere Großväter über sie hergefallen sind. Im Gegenteil: Sie ertragen uns mit stoischer Freundlichkeit. Dabei sind wir uns bisweilen selber peinlich – Ms. Columbo und mir zum Beispiel eine Gruppe deutscher Touristen am Nebentisch in einem Swinemünder Innenstadtcafé. Lautstark rätselten sie über die Bedeutung des polnischen Wortes „Notariusz“, das an der gegenüberliegenden Hauswand prangte – und fanden nach längerem Überlegen die Übersetzung „Notarzt“ am plausibelsten.

Gegen so was hilft am besten polnisches Bier, denn darauf versteht sich die einheimische Bevölkerung vorzüglich. Nur vom Wein haben sie hierzulande keinen Schimmer. Ausdrücklich warnen möchte ich sogar davor, im ansonsten sehr empfehlenswerten Restaurant Gryfia (unbedingt den „Zander, jüdische Art“ probieren!) vom hiermit verkündeten Bierdogma abzuweichen. Der „Weißwein“, den man mir dort vorsetzte, lappte bereits verdächtig ins Rotbräunliche, geschmacklich gemahnte er an in Essig gelöstes Leder.

Aufgeregt bat mich die freundliche und Deutsch sprechende Kellnerin angesichts meiner entgleisten Gesichtszüge, sie zu begleiten und die Flasche, die sie eifrigen Griffs dem Kühlschrank entnahm, in Augenschein zu nehmen.

Mit jenem Interesse, das man Verkehrsunfällen auf Autobahnen entgegenbringt, betrachtete ich das Etikett. Es handelte sich um eine spanische Flasche, noch etwa zu einem Viertel gefüllt, und mir wurde augenblicklich klar, warum der Wein zur traurigen Karikatur eines Ports fehlalchemisierte. Er war mit hoher Wahrscheinlichkeit anlässlich der Papstwahl von Johannes Paul II., eines Polen aus Wadowice, entkorkt worden. Oder früher.

Also: keinen Wein in Polen trinken! Immer und unbedingt nur Piwo, wie sie hier liebevoll das Bier zu benennen pflegen.

Ab und zu machen wir mit dem Mietwagen Ausflüge in andere Orte auf der Insel Usedom, die bis auf Swinemünde zu Deutschland gehört. Heute zum Beispiel fuhren wir auf der Suche nach Espressonachschub rüber nach Mellenthin, wo im dortigen Wasserschloss die erste Usedomer Kaffeerösterei ansässig ist.

Im Restaurant orderten wir erwartungsfroh zwei Tassen zur Probe und wunderten uns darüber, dass sie den Espresso nicht mit Siebträgermaschinen zubereiten, sondern auf Knopfdruck aus Automaten zapfen. Das ist ungefähr so, als kaufte man sich das beste Filet vom Kobe-Rind, um es anschließend in der Mikrowelle zu zergaren.

„Sie haben doch eine eigene Rösterei“, sagte ich zur Kellnerin, „warum bereiten Sie den Espresso dann nicht zu wie ein Barista, sondern jagen ihn lieblos durch einen Vollautomaten? Sie könnten einen dreimal so guten servieren!“

Die bis dato American-Diner-haft pseudogutgelaunte, nun aber plötzlich auf ernst umschaltende Kellnerin wusste freilich auch nicht, warum das Wasserschloss diese Prozedur seinem eigenen Espresso zumutete. Sie sei eh erst seit vier Wochen da, sagte sie, und wir sollten uns doch an die Chefetage wenden.

Ausdrücklich warnen möchte ich hiermit also davor, im Wasserschloss Mellenthin einen Espresso zu bestellen. Er kostet unverschämte zwei Euro, kommt gleichwohl lieblos aus einem Vollautomaten, und die Bedienung weiß nicht mal warum.

Beinah hätte ich angefügt: Dann lieber einen Weißwein im Gryfia. Aber so weit möchte ich dann doch nicht gehen.

22 Juni 2013

Fundstücke (175): Gammelschreib galore

Deutscher Apostroph, schwerer Apostroph. In praktisch allen Fällen liegt man übrigens richtig, wenn man ihn einfach weglässt. 

Längst grassiert sie landesweit, die Kompositadiskriminierung. Doch sie nimmt auch immer erschreckendere Formen an. Das mittlere Beispiel „Hand naht stich“ schockiert aber selbst einen hartgesottenen Kompositadiskriminierungsanprangerer wie mich. 

Wie hier alles, was der bedauernswerte Verfasser mal in der Schule gelernt hat, von dumpf- und widersinnigst angewandter angloamerikanischer Grammatik zerbröselt wird, das ist unfassbar. The walking Blöd! Wo soll das alles nur hinführen? 

Nun, wahrscheinlich zu einer evolutionären Retardierung ins Vormenschliche. Der folgende Kandidat hat das in einem raren lichten Moment anscheinend schon erkannt, auch wenn er das Animalische in sich noch mit einem Pluralis Majestatis zu kaschieren versucht, freilich vergebens:

Pointenlos geht es jetzt in die Heia. Ich brauche meinen Schön Heiz Schlaf. Außerdem hilft er zu vergessen.


19 Juni 2013

Die heiße Meile

Sommer auf dem Kiez! Man erkennt ihn unter anderem daran, dass plötzlich alle Frauen so gekleidet sind wie sonst nur die Huren.

Ms. Columbo und ich sitzen nach einem Matjesmahl an der Kreuzung vorm Lieblings und knabbern an den Waffeln unserer Genießerbecher für dreisiebzig. 


Wampige White-Trash-Kleinfamilien in Leggings und Jogginghosen defilieren vorbei, von der Reeperbahn herüber wehen Feuerwehrwehrsirenen wie verstimmte Monsteroboen. „Hach“, seufzt Ms. Columbo selig, während ihr eine Flocke Malagaeis auf der Zunge zergeht, „hier müsste man wohnen!“

Dann gehen wir über die Straße nach Hause.

PS: Die Bezeichnung „White Trash“ oben haben Sie ohne jede Gefühlsregung weggelesen, doch wenn ich von „Black Trash“ gesprochen hätte, beschuldigten Sie mich bestimmt jetzt des Rassismus. Denken Sie ruhig einmal darüber nach.

18 Juni 2013

Die männliche Klofrau

Was mich geritten hatte, den Wettvorschlag des Franken zu akzeptieren? Keine Ahnung.

Jedenfalls behauptete ich nachmittags aus irgendeinem Grund und heiterem Himmel, Oliver Welke würde nachher bei seinem Auftritt im Schmidt-Theater bestimmt einen Maß- oder zumindest einen -anzug tragen, schließlich täte er das auch in der „heute-show“.

Pah, machte der Franke, unterstellte dem dicklichen Gütersloher stattdessen Jeans und erklärte, wir sollten dieser gewichtigen Frage die Ehre einer Wette antun. Einsatz: ein Bier.

 

Nach einigem Hin und Her um die Modalitäten (was z. B. wäre, wenn Welke einen Anzug lediglich dabeihätte, z. B. in einem Koffer, ihn aber nicht anzöge etc. pp.) wetteten wir und begaben uns ins Schmidts. Wo der dickliche Gütersloher in Jeans und Polohemd auf die Bühne schlurfte.

Feixend und glücklich nuckelte der Franke alsbald an einem Duckstein for free, was ihm natürlich gleich doppelt so gut schmeckte. Vorher hatte der Leiter des Schmidt-Theaters eine kleine Eröffnungsansprache gehalten, die er mit den Worten „Viel Spaß, auch im Namen der Klofrau“ beschloss.

„Das ist heute ein Mann!“, rief ein Zuschauer, der anscheinend auf soeben gewonnene Erkenntnisse aus dem Sanitärbereich zurückgreifen konnte.

„Habe ich zuerst auch gedacht“, schoss der Theaterleiter nach nicht mal einer Millisekunde zurück, „aber schauen Sie noch mal genauer hin …“

Ein eindrucksvoller, zudem auf elegante Weise kiezkompatibler Konter, um den ich diesen Mann glühend beneide. Denn Schlagfertigkeit steht – neben Weltfrieden, ewigem Sommer und einer baldigen Deutschlandtour von Tony Joe White – sehr weit oben auf meiner persönlichen Wunschliste.

Oliver Welke und sein Kompagnon Dietmar Wischmeyer lasen übrigens aus ihrem Buch „Franz Bsirske macht Urlaub auf Krk“ und waren sehr komisch, trotz Jeans.

16 Juni 2013

Vorsicht ist die Mutter der Bierkiste


 

Die Sommerbühne in der Ufafabrik ist der weltweit schönste Konzertort von ganz Berlin, nicht nur wegen der von einem Zeltdach heimelig überwölbten Stuhlreihen, sondern auch dank der begrünten Terrassen, die von Stehtischen gesprenkelt sanft Richtung Tresen ansteigen.

Wenn man dort an der Bar ein Getränk kauft, erhält man zusätzklich eine Plastikpfandmarke. Gedankenlos steckte ich sie ein, ehe mir das Pleonastische daran aufging.

Würde es eigentlich nicht völlig reichen, fragte ich mich auf dem Weg zurück zu Ashras schwebendem Sequenzerteppich, wenn man einfach Pfand auf Gläser und Flaschen einbehielte und ihn bei Rückgabe derselben wieder aushändigte – warum zusätzlich auch noch Pfandmarken?

Genau diese drängende Frage stellte ich auch dem Tresenmann bei der nächsten Bestellung. „Weil“, sagte er, „sonst die Leute mit ihren alten Gläsern ankämen. Oder mit einer leeren Kiste Jever.“

Diese Erklärung überzeugte mich sofort. Und sie informierte zudem beiläufig über eine gewisse hinterfotzige Pfiffigkeit des Berliner Publikums, welche eine solche Maßnahme anscheinend notwendig macht.

Jedenfalls wieder mal ein sehr lehrreicher Besuch in der weltweit besten Bundeshauptstadt unserer Republik.


15 Juni 2013

12 Juni 2013

Die Qual der Wale

„Ich hätte mir damals, als ich am Fuße des Westerwaldes lebte, ja niemals träumen lassen, mal in einer Stadt zu leben, in der es Wale gibt“, sage ich versonnen beim Lesen eines Mopo-Artikels. In dem Text geht es um die Rückkehr der Schweinswale in die Elbe (wo sie dann umgehend von Schiffsschrauben zerstückelt werden).

„Ja“, sagt Ms. Columbo, „und das Beste: Es ist nicht Tromsø!“

Apropos Elbe: Sie ist ja andernorts gerade schwer im Gerede. Wenn man zynisch wäre, könnte man auch sagen: schwer im Kommen … 
 

Hier in Hamburg hingegen, so heißt es, wird die  Scheitelwelle des Hochwassers sich mit unmerklichen 40 Zentimetern Höhe Richtung Nordsee verflüchtigen; nicht mal die Schweinswale, die bisher noch nicht von Schiffsschrauben zerstückelt wurden, werden was davon mitkriegen.

Und weil das so ist, kann man hier in dieser Stadt auch mit dem Phänomen Regen so flapsig umgehen, wie es das Foto oben dokumentiert.


Morgen übrigens soll es schütten wie aus Kübeln, dabei wollen wir abends zum Frankenweintrinken auf den Gänsemarkt. Und dabei bleibt es jetzt auch, Punkt. Denn Menschen, die in einer Stadt leben, in der es Wale gibt, sind nun mal nicht aus Zucker.

Wohl sein!

PS: Nichts gegen Tromsø übrigens, alles bestimmt ganz super da!

10 Juni 2013

Pareidolie (62): Holzauge, sei wachsam …


… oder auch: Karl Dall in Strick.

Entdeckt in einem Klamottenladen im Schanzenviertel.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.


08 Juni 2013

Der Kiez von unten und von oben


„Da drüben“, sage ich zu Ms. Columbo, „gab es neulich diese Schießerei. Und gegenüber vorm Kiosk ist letztes Jahr einer erschossen worden.“

Wir sitzen draußen vor der neuen Trattoria Palermo, die natürlich getestet werden muss. Sie liegt direkt an der Kreuzung Seiler-/Hein-Hoyer-Straße und zahlt wahrscheinlich eine Pacht in Schutzgeldhöhe. Denn kiezmittiger geht es praktisch nicht.
 

Hier pulsiert das Leben, manchmal auch bis zum letzten Tropfen.

Während wir uns an Bruschette und Antipasti delektieren, hält neben unserem Tisch ein Mercedes-Cabrio, Schätzpreis 80.000 Euro. Vier dreitagebärtige Sonnenbrillenmuskelshirttypen sitzen drin, sie erzählen sich Geschichten über einen gewissen „Alda“ und einen anderen namens „Digga“ und fahren dann weiter Richtung Davidstraße, wo gigantische Hafenkräne in den Himmel ragen.

„Wenn jetzt ein großes Kreuzfahrtschiff vorbeikäme“, sinniert Ms. Columbo, die den Südblick genießt, „könnte man es von hier aus sehen.“

Der Pastagang kommt. Eine Gruppe besoffener Engländer hat den Tisch neben uns unter großem Palaver okkupiert. Einer schmeißt lallend etwas in die Luft, und ich überlege kurz, wie ich reagieren soll, wenn das unbekannte Etwas mir in den Maccheroni landet, doch es kehrt zu ihm zurück wie ein Bumerang. Es ist ein Strohhut.

Das Palermo ist Nachfolger von Don Camillo e Peppone, dessen kugeliger Wirt Lillo alle Italienerklischees zu verkörpern versuchte, was ihm auch ziemlich gut gelang. Doch uns – besonders Ms. Columbo – wurde die Lillo’sche Leutseligkeit irgendwann gar zu heftig, zumal sie mehr von taktisch-merkantilen Überlegungen als von südländischer Gastfreundschaft getrieben zu sein schien.

Egal, Lillo ist Geschichte, wahrscheinlich hat er seine Gäste gleichsam wegumarmt, und jetzt ergänzt die Trattoria Palermo das kieztypische Überangebot an italienischen Restaurants.

Es macht seine Sache gut. Schon die Crema des oben abgebildeten Espressos zeugt von jener handwerklichen Qualität, die man gemeinhin nur südseits deutscher Grenzen zu entdecken vermag, und auch geschmacklich gibt es nichts zu mäkeln. Na gut, vielleicht eine Spur zu viel Röstaromen.

Das größte Manko des Palermo liegt – anders als bei Da Benito hundert Meter weiter an der Ecke Seiler-/Detlev-Bremer-Straße – darin, dass man vorm Abkassieren keinen Grappa spendiert bekommt. Vielleicht wäre das ja anders gewesen, hätten wir abschließend Dolce bestellt, doch zu spät, wir sind schon auf dem Weg rüber ins Empire Riverside.

Dort fahren wir in den 20. Stock zur 20-up-Bar, wo wir dank meines Gieves-&-Hawkes-Nadelstreifenanzugs nicht mal wie üblich skeptisch von oben bis unten gemustert, sondern sofort lächelnd eingelassen werden. Wir finden sogar – was ausschließlich der frühen Stunde zuzuschreiben ist – einen Fensterplatz mit Südwestblick.

Von hier oben, aus 65 Metern Höhe, sieht St. Pauli hinreißend aus, in alle Richtungen. Linker Hand der Strom, am gegenüberliegenden Ufer die hohen Kräne, die wie riesige Gottesanbeterinnen auf Beute zu lauern scheinen, dann die kleine Allee, die sich schnurgerade Richtung Fischmarkt zieht, rechts Richtung Norden die jetzt noch hurenlose Davidstraße (was sich erst 20 Uhr ändert), an ihrem Ende die unablässig vom Verkehr durchtoste Reeperbahn.

Von hier oben, das ist sicher, bekäme man auch von der heftigsten Schießerei an der Kreuzung Seiler-/Hein-Hoyer-Straße nichts mit.

Wir bestellen zwei Flamingos. Sie leuchten orangerot in der Abendsonne.

05 Juni 2013

Ohne Gaddafi wär das alles nicht passiert


Als Treibgut der Weltpolitik sind kürzlich ein paar Hundert Flüchtlinge aus Libyen in Hamburg gelandet. Irgendwie hatten sie es nach Italien geschafft. Dort drückte man ihnen 500 Euro in die Hand und expedierte sie zu uns.

Jetzt sind sie hier, und keiner weiß was mit ihnen anzufangen. Sie treiben halt- und hilflos durch die Stadt, und der Senat blamiert sich mit Schulterzucken – kein offizieller Status, kein offizielles Handeln.

Etwa 70 Afrikaner sind allerdings jetzt hier auf dem Kiez untergekommen. Genauer: in der St.-Pauli-Kirche am Pinnasberg. Dort können sie erst mal übernachten, bis die Politik sich bequemt, eine Lösung zu finden. Aber es fehlt ihnen an vielen Dingen des täglichen Lebens.

Der zuständige Pastor Sieghard Wilm hat heute eine Liste an hochwillkommenen Sachspenden rundgemailt:

– intakte Männerschuhe ab Größe 42
– gefütterte oder wasserabweisende Jacken
– originalverpackte Socken und Unterwäsche
– Rucksäcke und Taschen
– Schlafsäcke, Isomatten, Klappmatratzen
– Schreibmaterial und z. B. Wörterbücher
– Einmalgeschirr
– Hygieneartikel wie Duschzeug, Einwegrasierer, Rasierschaum, Zahnbürsten, Zahnpasta

Auch selbstgebackener Kuchen und Spenden (St. Pauli Kirche, Konto 1206 123 331; Haspa, BLZ 200 505 50, Stichwort: Afrikaner) werden freudig entgegengenommen. Als Anlaufstelle fungiert eine frisch eröffnete „Botschaft der Hoffnung“ im Kirchgarten.

Auch ehrenamtliche MItarbeit ist erforderlich. „Wer macht Frühstück? Wer macht Abendimbiss? Wer bleibt über Nacht, um die Gäste zu schützen?“, fragt Wilm völlig zu recht und bittet Interessenten, morgens um 8 Uhr oder abends um 21 Uhr in die Kirche kommen und sich dann zu verpflichten.

Also: Es gibt noch mehr Probleme auf der Welt als Hochwasser. Und zwar direkt an den Plastikpalmen von St. Pauli.

02 Juni 2013

Fundstücke (174)


Seine Einhornzucht war ein furchtbarer Flop gewesen. Frustriert versuchte er es danach mit der Produktion von Luftgitarren, doch er scheiterte an der Unzuverlässigkeit der Zulieferer.

Auch seine folgende Geschäftsidee – Im- und Export von WLAN-Kabeln – scheiterte schon im Ansatz. Werner wusste: Als Unternehmer hatte er nur noch eine Chance.

Und dann kam ihm endlich jene geniale Idee, die noch keiner vor ihm gehabt hatte.

Entdeckt in Eppendorf.

31 Mai 2013

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli Hamburg (85)


Da sitzt und süffelt man behaglich am Övelgönner Elbstrand mit Leuten wie German Psycho, Ms. Columbo und dem Franken und denkt sich, schöner kann’s ja eigentlich in einem Mai hierzulande nicht mehr werden – und dann fährt plötzlich die prachtvoll von der Abendsonne illuminierte MS Deutschland alias „Traumschiff“ ins Bild wie bestellt, und ich denke: Das ist aber jetzt mal eine obergemütliche Ecke hier.

Und schon habe ich den nächsten Teil der gleichnamigen Serie im Kasten. Ship happens!

29 Mai 2013

Wieder mal woanders

In der Seilerstraße, wo wir wohnen, gab es heute Vormittag eine Schießerei, bei der ein lebensmüder Bewaffneter vom Mobilen Einsatzkommando (MEK) mit Schüssen in die Beine gestoppt wurde.

Zum Glück hatte ich die Stelle (Ecke Hein-Hoyer-Straße) auf dem Weg ins Büro bereits passiert, als es losging, und Ms. Columbo ist eh in die entgegengesetzte Richtung unterwegs.

Abends war die Straße noch immer weiträumig abgesperrt, die Polizei ließ mich nicht durch. Auf dem Asphalt leuchteten dort, wo die Patronenhülsen gelegen hatten, noch gelbe Markierungskreise.

Wahrscheinlich ist es reines Glück, dass wir in mehr als anderthalb Kiezjahrzehnten noch nie in echte Schwierigkeiten geraten sind. Denn hier mangelt es nun wirklich nicht an Freaks und sehr, sehr merkwürdigen Menschen.

Doch im Ernstfall sind wir immer gerade woanders. Möge diese Glückssträhne noch lange halten – oder sich im Bedarfsfall wenigstens just ein MEK bei Freddy
an Hähnchenschenkeln laben.

Ein Spiegel-Bashing aus gegebenem Anlass


Barbara Supp, stellvertretende Ressortleiterin „Gesellschaft und Reportagen“ beim Spiegel, erzählt in der aktuellen Druckausgabe (Foto), wie sie mit heftigen Krankheitssymptomen in die Hände eines Homöopathen fiel und trotzdem überlebte.

Supp will uns nach überstandenem Typhus anscheinend warnen vor wirkungslosen Zuckerkügelchen. Wow. Doch sie schießt sich und ihrem Magazin mit dieser Story voll ins eigene Knie – und zwar mit einem Dum-Dum-Geschoss.

Das wirklich Erschreckende an Supps Erfahrungsbericht ist nämlich nicht die Binsenweisheit, dass Homöopathie Humbug ist, sondern die Tatsache, dass eine stellvertretende Ressortleiterin bei einem der Aufklärung verbundenen Medium wie dem
Spiegel über so wenig Skepsis, so wenig gesunden Menschenverstand und stattdessen derart verrostete Hirnrisssensoren verfügt, dass sie sich dem lebensgefährlichen Verdünnungsflachsinn eines Homoöpathen auslieferte.

Hat diese Frau das vergangene Jahrhundert, das sie immerhin 41 Jahre lang miterleben durfte, komplett verschlafen? Nur so nämlich ist erklärlich, dass erst unmittelbare Todesgefahr sie vom Glauben an magische Vorstellungen erlöste – und das sogar trotz des tragischen Schicksals einer Freundin, die vergeblich glaubte, ihren Krebs mit Globuli behandeln zu können.

Es ist erschütternd und erschreckend, dass beim
Spiegel Leute von derart treuherziger Naivität beschäftigt sind. Und es es ist erschütternd und selbstzerfleischend, wenn diese Leute ihre treuherzige Naivität auch noch öffentlich darstellen dürfen, ohne dass eine noch höhere interne Instanz sie vor sich selbst und damit den Ruf des Spiegel als der Aufklärung verbundenem Magazin schützt.

Immerhin wissen wir jetzt wenigstens eins: Vom
Spiegel als Hort der Investigation, als Medium der Wahrheitsfindung ist nicht mehr viel übrig. Dort arbeiten Menschen, denen erst mit 41 Grad Fieber in der Klinik allmählich dämmert, dass sie drauf und dran waren, der Scharlatanerie zum Opfer zu fallen. Sie arbeiten nicht beim Goldenen Blatt, nicht bei der Freizeit-Revue – beim Spiegel.

Und statt vor Scham feuerrot anzulaufen und alle Mitwisser zu bitten, diese Peinlichkeit nie, nie, niemals öffentlich werden zu lassen, kriegen sie im
Spiegel ausgiebig Raum, um alles zuzugeben – und nutzen ihn auch noch.

Kurz: Ich will Augstein wieder haben. Oder zur Not auch Aust.

PS: Homöopathiegläubige bitte ich übrigens inständig, von Kommentaren abzusehen – und stattdessen Zuckerkügelchen gegen aufflammende Empörung zu schlucken.


27 Mai 2013

26 Mai 2013

Eine Ratte

Buslinie 25. Am Bahnhof Altona schließt der Fahrer die Tür vor der Nase einer alten Dame, die zunächst verdutzt guckt statt empört.

An der Holstenstraße hingegen hält der Fahrer extra noch mal an, um eine herbeistürzende attraktive 25-Jährige mit Pferdeschwanz noch einsteigen zu lassen.

 

Wenig später, an einer Ampel an der Fruchtallee, läuft plötzlich eine Ratte über die Straße. Der Fahrer schaut sich um zu mir und sagt mehr verdutzt als empört: „Eine Ratte!“

Und was soll ich sagen: Der Mann hat recht.

25 Mai 2013

Auf dem Elbjazzfestvial


Pianomeister Chilly Gonzales bittet vor seinem Auftritt darum, keine Handyaufnahmen zu machen.

Haha – das ist ungefähr so, als würde man von Fischen verlangen, für anderthalb Stunden die Kiemenatmung einzustellen. Es ist 2013, Chilly, der Geist ist aus der Flasche, die Büchse der Pandora steht sperrangelweit offen!

Derweil gibt es Ärger am Eingang der Halle, weil niemand mehr reingelassen wird. In der Tat wirkt die Location, wie wir Medienleute sagen, halbleer; ein Anblick, den die draußen Wartenden mit eskalierendem Unmut quittieren.

Irgendwann schaffen sie es sogar, sich zum Chor zu solidarisieren. Ihr „Wir wollen rein!“ erinnert mich an „Wir sind das Volk!“ von Leipzig, 1989. Und wie damals fällt schließlich auch hier die Mauer, allerdings nur für jeweils so viele, wie die Halle verlassen.

Dazu gehöre auch ich bald. Ich bin leicht verstimmt, weil man mich a) mit Getränkebons versorgt hatte, die man sich b) nun weigert einzulösen.

Na gut, schaue ich mir eben c) die Girls In Airports im Golem gegenüber an – ein Plan, der schnell scheitert, weil nunmehr ich zu jenen gehöre, die wegen „Überfüllung“ oder aus „Sicherheitsgründen“ nicht eingelassen werden. Der Rückweg in die Fischauktionshalle ist nun natürlich ebenfalls versperrt.


Klingt, als sei ich gefangen in the middle of nowhere, doch wir sind hier beim Elbjazzfestival, da geht immer auch noch was anderes. Zum Beispiel ein paar hundert Meter weiter westlich im beeindruckend hohen Atrium des Holzhafens.

Dort spielt d) das wunderbare Don Friedman Trio unter LED-illuminierten Glas- und Klinkerflächen. Und weil der altgediente Klaviervirtuose Friedman von keinem Fisch der Welt verlangen würde, die Kiemenatmung einzustellen, gelingt mir e) ein geometrisches Foto fürs Blog.

Morgen geht das Festival weiter. Mal gespannt, wie viele Leute sich bei The Notwist in der Fischauktionshalle einfinden werden – Anpfiff … äh … Konzertbeginn ist f) (wie Fußball) kurz vorm Champions-League-Finale.

24 Mai 2013

Schlipsbinden leicht gemacht

„Ich bevorzuge ja den doppelten Knoten“, sagt A. lässig, „der ist ganz einfach. Die Falte in der Mitte finde ich dabei besonders elegant.“

Da ich mir gerade einen großen Stapel Seidenschlipse angeschafft habe, bin ich – als Novize bisher nur in zufälligen Ausnahmefällen zu einem maximal einfachen Knoten fähig – höchst neugierig auf sein Herrschaftswissen. Zumal der Satzteil „ganz einfach“ mich elektrisiert.

Ich schlage A. vor, mir das ganz Einfache einfach mal zu zeigen, während ich den Prozess mitfilme. Immer, wenn ich mir hinfort einen doppelten Schlipsknoten binden möchte (obwohl das natürlich ganz einfach ist und ich das im Rahmen meines passablen IQ bestimmt in Nullkommanix gelernt haben werde), habe ich dann den Film als Erinnerungsbackup in der Hinterhand.

Soweit mein Kalkül. Doch A. reagiert auf meinen Vorschlag erstaunlicherweise verhaltener, als ich es mir gewünscht hätte. Statt schneidig „Na klar! Schmeiß die Digimühle an!“ auszurufen, murmelt er etwas von „muss erst mal proben“.

Ich reiche ihm einen meiner zahlreichen Seidenschlipse. „Seide?“, sagt A. und runzelt missbilligend die Stirn. Ich bin verunsichert. Gilt Seide nicht als Königsmaterial der Schlipse?

Nun, einerseits. Anderseits, führt A. fachmännisch aus, rutsche Seide immer so leicht, sie sei gleichsam zu glatt, ja geradezu doppelknotenfeindlich. Da ich aber zufällig gerade keine Krawatte aus grobem Sackleinen verfügbar habe, begnügt er sich grummelnd mit einer aus Seide und verzieht sich in eine entlegene Wohnzimmerecke, um für sich zu proben.

Von dort höre ich ihn von Zeit zu Zeit Dinge murmeln. Es wehen Satzfetzen herüber, so was wie „schon lang nicht mehr gemacht“, „wie ging das noch mal“, auch ein „ich mein, das müsste von unten obendrüber. Oder doch von hinten unten durch?“ vermag ich herauszuhören.

Nach drei Versuchen mit differierender Erfolgsquote mahne ich vorsichtig das Ende der Probenphase an und präsentiere ihm meine gezückte Kamera. Bereit, wenn er es ist. Doch er ist es nicht. „Einer noch“, wimmelt er mich ab und hantiert fahrig an seiner Brust herum.

Zehn Minuten später nähere ich mich ihm erneut, natürlich mit der Demut eines Schülers, der dem Zenmeister ein Stückchen Weisheit ablauschen möchte. Unwirsch bedeutet er mir, mich zu trollen. Auch kaum verhohlene Polemiken gegen den Werkstoff Seide meine ich seiner Suada entnehmen zu können. Doch irgendwann ist es endlich so weit. Ich darf filmen.

Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Finde ich. Gut, das schmale Ende baumelt unten raus, lappt gar übern Gürtel, während die Krawattenspitze hoch unterm Rippenbogen die Aussicht genießt, und ihre Mittenfalte hat durch eine deutliche Verlagerung Richtung Rand einen Großteil ihrer Eleganz eingebüßt.

Doch ich habe zweifellos die technische Ausführung eines Krawattendoppelknotens auf Band und kann jetzt üben.

Ganz einfach. Im Grunde.

PS: Nein, den Lehrfilm werde ich NICHT auf YouTube hochladen. Darüber herrscht zwischen A. und mir eine Art stummes Einverständnis.