27 Dezember 2012

Stadt, Land, Stuss

Die Unterschiede zwischen unserem mehrtägigen Weihnachtsdomizil am Rande des Westerwalds und St. Pauli sind evident. Ein zutraulich vorm Wintergarten lagerndes Reh zum Beispiel ist auf dem Kiez eher selten, und zwar nicht nur wegen des seltenen Vorkommens von Wintergärten.

Die hiesige Fauna besteht hingegen vor allem aus Tauben, Ratten, Mäusen, Möwen, Staffordshire-Terriern und … ähem … Bordsteinschwalben.

Und damit melde ich mich zurück.


24 Dezember 2012

Intermezzo

So, hier herrscht jetzt Weihnachtspause mit Überbrückungsfoto.

Schließlich haben Sie ja auch Besseres zu tun, als im Web vorbeizuschauen. Und wenn, dann gehen Sie sowieso lieber beim Spiegel online als hier. Erzählen Sie mir nix.

PS: Das Bild zeigt die Hardcorekneipenmeile Hamburger Berg in einem der raren Momente aufkeimenden Liebreizes. Und verschneit riecht’s dort sogar besser.
Ein bisschen.


21 Dezember 2012

Kiezöffentlich im Klugscheißermodus

Im Herz von St. Pauli, wo ich mit  German Psycho und Twelectra den Weihnachtsurlaubsauftakt begehe, informiert mich die Bedienung über die Weißweinauswahl.

„Wir haben einen Pinot Grigio und einen Riesling“, sagt sie. „Gut“, antworte ich, „dann nehme ich den Grauburgunder.“

Klassiker! Aber noch nie selbst live erlebt. Bis jetzt. Sie runzelt die Stirn. „Aber wir haben gar keinen … Ach so, der Pinot … DU KLUGSCHEISSER!“

German Psycho, der gerade draußen ist, um eine zu rauchen, wird später anmerken, das sei keineswegs eine Beleidigung gewesen, und ich stimme ihm wohlgestimmt zu. Allerdings bemängelt er das grobe Duzen, dessen sich die Kellnerin im Überschwang der Gefühle schuldig gemacht hat, doch das wiederum sehe ich ihr gerne nach.

Später bestelle ich explizit noch einen Pinot Grigio, was sie gespielt genervt goutiert, und am Ende, als es ans Bezahlen geht und sie die Rechnung aufdröseln möchte, informiere ich sie über die Posten, für die ich zu blechen gedenke: „Einen Grauburgunder und einen Pinot Grigio.“

Beide kosten übrigens gleich viel im Herz von St. Pauli, nur so als Tipp.

19 Dezember 2012

Fundstücke (169): Die Reeperbahn im Winter





Alles liegt – auf dem Gehweg undefinierbarer Sperrmüll, am „Geiz Club“ ein Obdachloser und außerdem Titten-Tinas Kieztour brach (worüber uns der aufgeklebte weiße Zettel informiert).

Kein Zweifel: Die Reeperbahn hat zurzeit den Blues. 


Und ich wenigstens ein paar neue Fotos im Kasten.

Mehr aber auch nicht.


16 Dezember 2012

Watt Muse, datt Muse

Beim Muse-Konzert in der o2-Arena filme ich mit der Digicam einen Song mit, als mir plötzlich jemand eine Hand auf die Schulter legt. Es ist eine Ordnerin.

„Bitte stellen Sie das Filmen ein“, brüllt sie mir ins Ohr, „das ist untersagt!“

Wir befinden uns im Unterrang. Einige Meter tiefer wogt die Fanmasse, die Stehplätze erworben hat. Man sieht Dutzende, vielleicht Hunderte Handys und Kameras, die im Dunkeln leuchten.

Alle filmen mit.

Ich würde der Ordnerin gerne erläutern, wie sinnlos der Versuch ist, Zahnpasta zurück in die Tube zu drücken. Aber dazu ist es einfach zu laut.

Und es würde auch die Aufnahme verderben.

13 Dezember 2012

Pareidolie (54)

Auf der Weltkarte der ZDF-Nachrichtensendung heute (r.) sieht die Ostsee aus wie ein krummrückiger Punkrockbassist in Schlaghosen, der exorbitant klobige Schuhe trägt.

Letzteres liegt allerdings nur daran, dass die heute-Leute – im Gegensatz zu Wikipedia (l.) – die russische Exklave Kaliningrad ebenfalls in Ostseeblau tunken, obwohl die Stadt gar nicht à la Atlantis im Meer versunken ist.

Aber ich will nicht meckern: Ohne diese kleine geografische Flunkerei sähe die Ostsee im ZDF weit weniger pareidolisch aus, und ich müsste mir jetzt einen ganz anderen Blogeintrag ausdenken.

PS: Eine ganze Galerie von Pareidolien gibt es bei der unermüdlichen Pareidolie-Tante, wo sonst..


11 Dezember 2012

Von 0 auf 180 – und zurück

Auf einer Handelsplattform im Netz, wo man auch Produkte aus zweiter Hand verkaufen kann, hatte ich eine CD aus meinem überbordenden Archiv eingestellt und erfolgreich verkauft, für 12,88 brutto. Zwei Tage nach dem Versand erhielt ich vom Käufer eine Mail. Sie klang unzufrieden:

Hallo, leider musste ich eben feststellen das sie mir die Falsche Ware zugeschickt haben!! Ich habe die CD inkl. DVD bestellt. Sie lieferten mir die Standard-Version des Albums! Wie sollen wir jetzt verfahren???? Frechheit zumal Ihr Ware bei CD gelistet ist/war!
Anscheinend hatte ich beim Einstellen das falsche Produkt angeklickt und es nicht bemerkt. Er schon, und wie. Noch ehe ich mich von meiner schamvollen Verdatterung erholen konnte, pingte seine nächste Mail ins Fach. Diesmal sparte er sich auch die Anrede und wählte das Stilmittel der unmittelbaren Ansprache:

Zumal ich dies als betrug bewerten kann, denn allein die Coverdarstellung ist die der Deluxe-Version mit DVD!!! Sie haben mir die Standard zugeschickt!!!! Und dann auch noch im Lieferschein stehend: CD. Obwohl die Listung bei CD+DVD stand. Klicken sie einmal auf den Artikel und schauen sie wo er gelistet ist!!
Wie mir schien, war dieser Mann rechtschaffen empört. Und sämtliche seiner Rückschlüsse waren alles andere als schmeichelhaft für mich. Allein das Wort „betrug“ in Zusammenhang mit mir lesen zu müssen, traf mich tief, trotz der Kleinschreibung. Dennoch kam ich nicht umhin, seine Suada nah an der Überreaktion anzusiedeln.

Für ihn gab es, wie mir schien, keine andere denkbare Erklärung für die ihm zugemutete Ungeheuerlichkeit als die kriminelle Energie eines Dr. Mabuse. Und der zu begegnen, bedurfte es aus seiner Sicht offenbar keineswegs des Floretts, sondern eines kapitalen Flakgeschützes.

Man liest in letzter Zeit viel von marodierenden Trollen im Netz, von Tobern und Pöblern, und es heißt, es läge an der Anonymität, die selbst wohlerzogene Mitbürger dort alle Anstandsregeln vergessen ließe. Wo im richtigen Leben (neudeutsch: RL) gemeinhin vier bis fünf Eskalationsstufen durchlaufen werden müssen, ehe man endlich beim „ARSCHLOCH!“ anlangt, sind es online höchstens die Hälfte. Mein Kunde schien diesen Erklärungsansatz zumindest nicht vollends zu widerlegen.

Ich beschloss, dieser Attacke auf meine Integrität, ja auf mein ganzes säkulares Moralsystem angemessen zu begegnen. Nämlich mit brutalstmöglicher Höflichkeit: 

Entschuldigen Sie vielmals, das war ein Fehler und keine Absicht. Ich erstatte Ihnen selbstverständlich Ihre Kosten. Behalten Sie bitte die CD. Ich hoffe, Sie können mir diesen Fauxpas nachsehen. Mit freundlichen Grüßen.
Die Wirkung war erstaunlich. Seine Reaktion kam nur wenige Minuten später – und grenzte geradezu an Selbsterkenntnis:

Hallo, Danke für den schnellen Schriftverkehr. Mir tut es selber Leid hier einen aufriss zu machen. Bitte entschuldigen sie meine Wortwahl. Da ich ihnen dankbar bin für Ihr verständniss etc. biete ich ihnen an mir 10€ zurück zu überweisen den rest dürfen sie getrots behalten. Ich danke Ihnen nochmals, mit frdl Grüßen und einer schönen vorweihnachtszeit. LG
Doch so leicht wollte ich ihn nicht vom Haken lassen. Wer mich beim Tippen der folgenden Zeilen beobachtet hätte, hätte mich sardonisch lächeln sehen:

Ich habe Ihnen den Komplettbetrag zurücküberwiesen. Da ich die CD falsch zugeordnet habe, muss ich auch die Kosten tragen. Aber danke für Ihr Angebot! Wenn Sie mögen, können Sie mir ja trotz der Umstände eine positive Bewertung geben. Besten Gruß.
Er hatte als tollwütiger Hammerhai angefangen. Aber jetzt war er nur noch ein Putzerfischchen, und man kann nun wirklich nicht sagen, dass diese Entwicklung die (Online-)Welt schlechter macht, oder? Er schrieb steviasüß zurück:

Bewertung wurde ebend gemacht. Positiv natürlich  ;-) Alles alles liebe und gute!!!
Einen Heiratsantrag hat er übrigens nicht nachgeschoben. 
Na ja, noch nicht.



10 Dezember 2012

Und noch eine Sprachnörgelei

Der hochverehrte Hamburger Werbetexterpapst ramses101 wird mich angesichts des heute präsentierten Fundstücks gewiss wieder als „Sprachnörgler“ bezeichnen.

Zuletzt tat er das erst am vergangenen Donnerstagabend, als wir uns im Brandanfang in der Deichstraße unterm unheilvollen Einfluss von Bier, Wein und German Psycho kräftig in die Haare gerieten, wobei das in meinem Fall aus rein anatomischen Gründen eigentlich gar nicht möglich ist.

Jedenfalls muss Sprachnörgler Matt an diesem Infoschild einige Auffälligkeiten konstatieren, ob es  ramses101, dem sanftmütigsten Fehlerdurchgehenlasser seit Konrad Dudens Geburt, nun passt oder nicht. Alles andere wäre grob fahrlässig.

Aus Sicht eines Deutschlehrers nämlich
wären beeindruckende acht Fehler zu markieren, was bei einem lediglich ebenso viele Wörter umfassenden Text eine Superleistung darstellt – und im Grunde nur von einem Schülerpraktikanten aus der Klasse von Frl. Krise zu packen wäre.

Übrigens thematisiere ich an dieser Stelle immer meine aufkeimende Befürchtung, die Dienstleistungsqualität des verantwortlichen Unternehmens könne ein ähnliches Niveau aufweisen wie der
Frontalunfall von Infoschild. In diesem Fall gälte das für den Media Markt in Altona.

Na ja, vielleicht kaufe ich den HD-Fernseher doch lieber bei Conrad. Oder Saturn.

PS: Ja, ich weiß, dass Media Markt und Saturn zur selben Unternehmensgruppe gehören.


08 Dezember 2012

Time to say goodbye (2)

Im Gegensatz zu Büchern, die man relativ problemlos verschenken kann, wird man nur unter größten Schwierigkeiten Abnehmer für zuschanden gespielte Fußballschuhe aus dem letzten Jahrtausend finden.

In meinem Fall erklärte sich nur noch die Mülltonne dazu bereit. Wobei ich zugeben muss, auch keinen anderen gefragt zu haben. Jetzt sind sie jedenfalls weg – trotz aller Erinnerungen, die an diesem Paar Treter hängen.

So gelang mir damit zum Beispiel dereinst einmal die direkte Verwandlung eines Eckballs, allerdings mit freundlicher Hilfe einer Bö und eines talentlosen Torwarts. Doch dieses Jahr steht nun mal unter dem Motto: Schaffe wöchentlich mehr aus der Wohnung hinaus, als du im gleichen Zeitraum nach Hause gebracht hast. 


Als ganz besonders effektiv erwies sich dabei der Abbau der Compact-Cassetten-Bestände. In den abgebildeten Tüten tummelten sich einige Hundert Bänder, darunter u. a. selbst mitgeschnittene Konzerte aus den 80er Jahren, Unikate zwar, doch klanglich von bestürzender Lausigkeit.

Die meisten Cassetten waren allerdings selbst zusammengestellte Mixtapes. Angesichts der Abertausenden Arbeitsstunden, die das Kompilieren insgesamt gekostet hat, vergoss ich beim Entsorgen erstaunlich wenig Herzblut.

Vielleicht liegt es daran, dass die Musik, die sich darauf befand, ja letztlich gar nicht weg ist. Sie befindet sich mittlerweile komplettement irgendwo da draußen: im Netz, in der Cloud. In Mausklickreichweite.

Hinsichtlich des Jahresmottos sorgte der gestrige Tag übrigens für einen gewaltigen Rückschlag. Ich sage nur ein Wort: Redaktionsflohmarkt.

Wie die Spezialedition von „Fluch der Karibik“ allerdings gleich dreimal in meine Tüte kam, will ich gar nicht wissen.

06 Dezember 2012

Sehr delikatet

Nehmen wir mal an, ich käme auf die Idee, mit Ms. Columbo in Peking ein Restaurant mit hanseatischer Küche aufzumachen.

Nehmen wir des weiteren an, eines Tages wäre – sagen wir – überraschenderweise Herbert Grönemeyer zu Gast, und wir beschlössen, dieses Großereignis zu Eigenwerbungszwecken der Welt resp. ganz Peking per Schaufensteraushang zu verkündigen.

Gesetzt also diese unwahrscheinlichen Fälle: Würden wir uns dann wirklich ohne jede einheimische Hilfe mächtig einen auf Chinesisch abbrechen? Nein, würden wir nicht. Das Restaurant China in der Kirchenallee ist da allerdings deutlich selbstbewusster.

Mit den üblichen Folgen.



04 Dezember 2012

Jungfernfahrt in der U4

Wann bekommt eine westliche Großstadt schon mal eine neue U-Bahn-Linie? In Athen zum Beispiel passierte metromäßig nach 1904 erst mal 96 Jahre lang überhaupt nichts mehr.

Von daher ist die Eröffnung der U4 in Hamburg ein großes Ereignis. Endlich passiert mal wieder was! Und die schnorrerhaft veranlagten Ms. Columbo und ich nutzen natürlich sofort das Angebot der hiesigen Verkehrsbetriebe, den U-Bahn-Frischling zur Einführung kostenlos zu befahren.

Vom Jungfernstieg aus geht es unter der Elbe hindurch gen Hafencity, wo uns zwei gewaltige Bahnhofshallen erwarten, deren Kubikmeterpreis sich bei parzellenweiser Vermietung bis ins Fantastilliardenhafte schraubte.

Die Station Hafencity Universität ist gar auf geradezu „Clockwork Orange“-hafte Weise illuminiert, während dazu diverses Meeresgetier leise säuselnd den Soundtrack liefert. Ganz vernarrt in die überwältigende Kraft von multichromen LEDs und Symmetrie schieße ich ein Foto ums andere und komme am Ende zu dem Schluss: Hier lässt es sich aushalten. Ein neuer gemütlicher Ort ist geboren.

Die Station zu verlassen ist allerdings (noch) nicht angeraten, denn draußen empfängt uns ein wilder Mix aus Zäunen, Brachen und Bauschutt. Sozusagen ein Gammelsurium.

Ein bescheuerter Kalauer, der Ms. Columbo übrigens erheitert. Und dafür mache ich das doch alles!




01 Dezember 2012

Dylan hat’s verschissen

Unter der lustigen Truppe, die jährlich vom Maritim-Hotel zum Gänseessen ins mondän angeranzte Haus in der Kirchenallee eingeladen wird, befindet sich nicht nur aus unerfindlichen Gründen der Autor dieses Blogs, sondern auch Journalisten, die ab und zu wirklich Artikel über Hotels verfassen.

Dadurch erfahre ich gleichsam nebenbei, welche jährliche Summe der Musiker Udo Lindenberg  an die Eigentümer seiner Dauerresidenz, das Atlantic-Hotel, überweist – und muss sagen: Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht …

Ein älterer Kollege wälzte hingegen ein ganz anderes Thema, welches, wie schnell deutlich wurde, seit Dekaden in ihm gärt. Er erzählte mir zwischen Amuse-Gueule und Kürbissamtsüppchen von einer bitteren Erfahrung 1970, als er das längst legendäre Festival auf der Isle of Wight besuchte.

Bob Dylan nämlich, erinnerte er sich, habe nur eine Dreiviertelstunde (!) gespielt, sei dann einfach so (!!)  „in seinen Hubschrauber“ (!!!) gestiegen und wieder abgeflogen.

„Wir waren alle sauer, wir haben gebuht!“, erregte sich der Mann. Ob er noch mal ein Dylan-Konzert gesehen habe seither? Er schüttelte wild den Kopf, denn 42 Jahre später im Hamburger Maritim-Hotel Reichshof in der Kirchenallee war seine gleichsam überzeitliche Empörung noch immer nicht abgeklungen.

Ein solches Beharrungsvermögen imponiert mir. Was so etwas allerdings über die Qualität der kulturellen Meinungsbildung in Deutschland aussagt, möchte ich lieber nicht tiefer durchdenken.

Mit Jimi Hendrix 1970 auf Fehmarn war der Kollege übrigens ganz zufrieden. Wenige Wochen später war Hendrix tot, und Dylan lebt
immer noch. Zufall?

PS: Der abgebildete Prachtkronleuchter hängt übrigens im Restaurant des Maritim und schaut den Gästen abgeklärt in die Suppe.

27 November 2012

Pareidolie (53)

Man hat nicht jeden Tag beim Kartoffelschälen das bedrückende Gefühl, ein Kapuzineräffchen zu köpfen. Auch für mich war es ein Debüt.

Ein Vegetarier wäre in diesem Moment möglicherweise entsetzt auf Rauke umgestiegen, doch ich blieb taff.

PS: Eine ganze Galerie von Pareidolien gibt es bei der Pareidolie-Tante
, wo sonst.


26 November 2012

Meide Seitenstraßen!

Als ich gestern morgen unten an der Post gerade einen Brief einwarf, packte wenige Meter weiter, wo vor einiger Zeit unser Straßenschild mal tagelang herumgelegen hatte, ein schwankendes Nachtschattengewächs sein Gemächtchen aus und pieselte versonnen an den Baum.

So weit, so Standard. Von der Reeperbahn her näherte sich unterdessen ein händchenhaltendes Paar von etwa Ende 50. Plötzlich gewahrten die beiden das pinselschwingende Überbleibsel von Samstagnacht, schauten sich großäugig an, machten unisono kehrt und gingen eilends zurück Richtung Reeperbahn.

Ich würde mein Fahrrad, das mir spätestens 2013 sowieso geklaut werden wird, darauf verwetten, dass die beiden Touristen waren, die sich aus angstgeschwängerter Abenteuerlust einmal auf dem Kiez in die Seitenstraßen hatten schlagen wollten. So viel Wagemut – und dann das.

Während der trandösige Bursche, der davon natürlich nichts mitbekommen hatte, voller Resteifer die letzten Tröpfchen abschüttelte, musste ich doch ein wenig schmunzeln.

Und dann fuhr ich Brötchen holen.

24 November 2012

Der Biss in die Bank

Neulich joggte Kramer abends mit Musik auf den Ohren durch Eppendorf. Dabei übersah er eine perfide verdunkelte Parkbank (Symbolfoto). Er traf sie auf der schmalen Seite.

Über Kramers Schienbein setzte eine naturgesetzlich bedingte Hebelwirkung ein, die seine Einsneundzig in einer parabelartigen Flugbewegung längs auf die Parkbank knallen ließ. Dabei schlug Kramer seinen Oberkiefer kraftvoll ins unschuldige Holz dieser Eppendorfer Sitzgelegenheit.

Wie er uns am Folgetag mit aufgeschlagener Oberlippe und lockerem Vorderzahn berichtete, sei allerdings unmittelbar nach dem Aufprall keineswegs die aufgeschlagene Oberlippe oder der lockere Vorderzahn das größte Ärgernis gewesen, sondern die Tatsache, dass sein iPod weiter ungerührt Musik spielte.

Und zwar einen Song der Schweizer Band Die Aeronauten.

Quälend zähe Sekunden lang befingerte Kramer demnach den vielfach verfluchten Player, ehe er den Soundtrack zu seinem Unglück endlich stoppen konnte.

Besorgte Passanten, die den zitternd und zeternd auf einem kleinen weißen Kasten herumdrückenden Trumm von Mann nach seinem Wohlbefinden fragten, beschied er in verwaschenem Duktus und unangemessen schroff, alles sei „in Ordnung“. Doch das stimmte nicht. Nichts war in Ordnung.

Und dass ausgerechnet eine Band namens Die Aeronauten Kramers Sturzflug auf die Eppendorfer Parkbank untermalte: Das hat schon ein G’schmäckle, liebes Schicksal.

21 November 2012

Das schwere Atmen

Heute tauchte zum wiederholten Male die Hamburger Telefonnummer 040-808044935 in der Anrufliste unserer Fritzbox auf. Normalerweise steht diese Nummer einfach im Protokoll, denn dem ominösen Anrufer ist es bisher zuverlässig gelungen, uns nie zu Hause anzutreffen.

Heute aber war etwas anders, nämlich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Zu hören ist, wie jemand 50 Sekunden lang schwer in den Hörer atmet. Im Hintergrund Trubel und Stimmengewirr, meist weiblichen Zuschnitts.

Eine Webrecherche legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um den Kontaktversuch eines o2-Callcenters handeln könnte. Das beweissichere Hinterlassen schweren Atmens erwarte ich aber normalerweise nicht von o2. Nicht mal von der Telekom.

Warum 040-808044935 immer wieder mal anruft, aber nie etwas sagt, sondern allenfalls schwer atmet, könnte darauf hindeuten, dass sie Arbeit bloß simuliert – „hier, Chef, das sind die 1278 Nummern, die ich heute angerufen habe, krieg ich jetzt ne Gehaltserhöhung?“

An dieser Taktik muss 040-808044935 auch künftig nichts ändern, denn dass ich die Nummer jetzt endlich in die Fritzbox-Sperrliste eingetragen habe, kriegt sie gar nicht mit. Angeblich hört sie nämlich trotzdem ein Freizeichen – wir aber das Klingeln (und Atmen) nicht mehr.

Wieder mal eine Win-win-Situation, wie ich sie sehr, sehr schätze.



19 November 2012

Selig gehört (vermutlich)

 „Da vorne ist Jan Plewka! Ich habe Jan Plewka gesehen!“, brülle ich Ms. Columbo zu. Wir stehen im Kellerclub Molotow. Vorn auf der Bühne, die nicht zu sehen ist, sollen Selig spielen. Klingt auch danach.

Wenn man am Eingang des Molotow-Bühnenraums vor einer unnachgiebigen Wand aus Rückenfronten steht, hat man vielerlei Probleme, die in mehreren Dimensionen anzusiedeln sind.

Zum einen ist der Sound von strunzdumpfer Breiigkeit, aber wenigstens bläst er einem nicht das Hirn aus dem Schädel: Die Front der unnachgiebigen Körper wirkt wie ein riesiger Punchingball, der den Schall teilabsorbiert. Zugleich verhindert sie zuverlässig unser weiteres Vordringen.

Um die Situation zu verschärfen und den Weltrekord in der Disziplin „Unzumutbare Konzertbedingungen“ nicht aus den Augen zu verlieren, minimiert die unmittelbar überm Scheitel des Publikums ansetzende Molotow-Decke außerdem den Sichtspalt Richtung Bühne auf Schlipsbreite – und ich meine nicht die Schlipsmodelle aus den 70ern.

Aus irgendeinem Grund erhasche ich gleichwohl einen Bühnenblick und erkenne den Bart des Sängers. „Da vorne ist Jan Plewka! Ich habe Jan Plewka gesehen!“, brülle ich daher Ms. Columbo zu. Sie scheint mir zu glauben, und wenn nicht, dann spätestens jetzt, mit diesem Beweisbild:




Das süße Discokügelchen über der Treppe, die harmlos tuend hinabführt in den Molotow-Höllenschlund, sollten die Betreiber übrigens unbedingt abhängen. Aus Sicht der zuständigen Jury gefährdet sie möglicherweise den Weltrekord in der Disziplin „Unzumutbare Konzertbedingungen“.


15 November 2012

Glück im Unglück und im Keks


Neulich vermisste ich meine Kamera. Nirgends war sie zu finden. Ich schickte Rundmails an die üblichen Verdächtigen, ohne Erfolg.

Als ich drei Tage später zu Hause eine Jacke von der Garderobe nahm, sah ich sie plötzlich wieder. Sie hing mittels der Handschlaufe an einem der Jackenknöpfe. Die ohne Zweifel gerichtsfeste Rekonstruktion des Vorfalls lautet hiermit folgendermaßen:

 

Als ich den Parka, in deren Brusttasche sich die Kamera üblicherweise befindet, drei Tage zuvor von der Garderobe genommen hatte, verfing sich die Schlaufe im Knopf der darunter hängenden Jacke. Die Kamera wurde dadurch sanft und unbemerkt herausgezogen und blieb dort baumeln.

Die üblichen Verdächtigen waren also wirklich unschuldig. Das war Vorfall Nummer eins, der glimpflich ausging. Vorfall Nummer zwei betraf mein iPhone. Es befindet sich ebenfalls gerne mal in der Brusttasche des Parkas.

Beim Schlendern übern Flohmarkt fand ich es allerdings zu meiner Verblüffung in der Umhängetasche, in der ich normalerweise Flohmarkfunde wie rare Edelweine verstaue, aber niemals das iPhone.

Auch hier gelang mir dank meiner Sherlock-Holmes-schen Kombiniationsgabe eine lückenlose Beweisführung des Tathergangs: 


Ich hatte in einer Kiste gewühlt, die auf dem Boden stand, und mich tief hinabgebeugt. Dabei war das iPhone klammheimlich aus der Brusttasche gefallen – aber nicht etwa in die Kiste, sondern in meine Umhängetasche, die mir ob meiner gebeugten Körperhaltung und wohl auch in weiser Voraussicht vom Rücken vor den Oberkörper gerutscht war.

All das geschah
direkt vor meinen Augen und doch vollkommen unbemerkt. Zwei entscheidende Gadgets, ohne die mein Leben trübsinnig wäre und voller Harm und Ödnis, sind also aus purem Dummenglück weiterhin in meinem Besitz.

„Mit all dem“, fasste Ms. Columbo diese Slapsticknummern zusammen, „könntest du im chinesischen Staatszirkus auftreten.“ Anscheinend bin ich gebenedeit unter den Schusseln.

Apropos China: Im Asiarestaurant Bok im Schanzenviertel erwischte ich neulich oben abgebildete Glückskeksbotschaft, die meine gesamte Berufslaufbahn der vergangenen 25 Jahre trefflichst auf den Punkt bringt.

Irgendwie ein toll(dreist)er Monat, dieser November, wenn ich dieses Fazit schon mal ziehen darf.