Seit mehr als zwei Jahren muss man im Schnellbus vorne einsteigen, wie mir damals auf recht rüde Art von einem Busfahrerflegel beigebogen wurde.
Und zwar muss man deshalb vorne einsteigen, weil damals eine allgemeine Fahrscheinvorzeigepflicht eingeführt wurde. Seither gewährt jeder Schnellbusfahrer erst dann Einlass in sein rollendes Reich, wenn die ihm hingehaltene Karte sein Wohlgefallen fand. Eigentlich kein schlechtes Prinzip, denn es erspart der Stadt Kosten für zusätzliche Kontrolleure.
Umso baffer war ich heute früh, als ich im 37er über die Reeperbahn rollte und plötzlich von einer jungen attraktiven Blondine angesprochen wurde. „Guten Tag, Kontrolle“, lächelte sie hinreißend, während ihre gelockten Strähnen im Sonnenlicht funkelten wie Goldfäden, sofern die Sonne geschienen hätte. „Zeigen Sie mir bitte Ihren Fahrschein.“
Wenn ich mit zwei Seltsamkeiten auf einmal konfrontiert werde, legt mich das lahm. Das wusste ich vorher gar nicht, jetzt schon. Denn die ganze Situation schien mir schlicht surreal. Während ich wie ferngesteuert nach meiner Brieftasche kramte, fasste ich die zwei Seltsamkeiten innerlich in Form einer Zwillingsfrage zusammen.
Warum, fragte ich mich statt sie, kontrollieren die Verkehrsbetriebe mit Extrapersonal die Fahrscheine von Passagieren, deren Fahrscheine soeben bereits vom Schnellbusfahrer kontrolliert wurden?
Und wo sie das schon mal tun: Warum sind die Kontrolleure plötzlich jung, hübsch, weiblich und lassen güldne Locken im imaginären Sonnenlicht schimmern, statt wie bisher strähnhaarig, ächzend und missgelaunt 60-jährige Prekariatsbäuche durch den viel zu schmalen Gang zu wuchten?
Natürlich erwischten die beiden Grazien keinen einzigen Schwarzfahrer. Wie auch? Und natürlich fing ich mich in meiner Verwirrung nicht früh genug, um die Damen auf die Absurdität ihres Tuns hinzuweisen.
Vielleicht machen die Verkehrsbetriebe das ja auch extra und setzen weibliche Kontrolleure nur in Linien ein, wo sie garantiert keine von uneinsichtigen Schwarzfahrern gelangt bekommen können. Eigentlich sehr fürsorglich.
Und ein sehr starkes Indiz für volle städtische Kassen, allem Gejammer des Senats zum Trotz.
(Das Foto entstand zwar an einer Haltestelle der Linie 36 an der Elbchaussee, doch es passt erstaunlich gut.)
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20 Februar 2008
19 Februar 2008
Aldi spart sich die Schlussredaktion
Der unvermeidliche Nachschlag
Der indische Imbiss ist nur ein paar Fußminuten von der Redaktion entfernt und nahe dieser Baustelle. Auf den Franken hat dieser Imbiss eine Wirkung wie Bruni auf Sarko. Der Grund ist klar, und es kann nur einen geben: Dort gibt es Nachschlag.
„Heute habe ich Hunger“, verkündet der Franke mittags vergnügt, obwohl das praktisch für jeden beliebigen Zeitpunkt des Tages gilt, aber mittags ganz besonders, „heute brauche ich Nachschlag!“
Also geht es zum Inder. Die Portionen dort sind reichlich, geradezu üppig, schier ausreichend. Ohne es zu thematisieren kommen wir beide zu dem Schluss: Genug ist genug. Heute ist Nachschlag nicht nötig.
Wahrscheinlich wäre er sogar schädlich für die nachmittägliche Produktivität. Denn wie man weiß, fordert der Verdauungstrakt jeweils Ressourcen an, die sich proportional zur aufgenommenen Nahrungsmenge verhalten, und all das geht auf Kosten des Gehirns. Selbst das des Franken muss sich diesem Effekt regelmäßig beugen.
Plötzlich steht der junge Mann, der uns das Essen serviert hat, wieder am Tisch. Wie aus dem Nichts. „Wolle Sie Na’hschlack?“, fragt er und strahlt dabei wie der Lottomann, der montags klingelt, um dich über den Millionengewinn zu informieren (nehme ich zumindest an).
„Iss kein Proppläm“, fährt der Bursche ermunternd fort, „können ruhig sake!“ Ich sage auch – und zwar spontan ab. Dann schaue ich den Franken an. Ich weiß genau, was jetzt in ihm vorgeht. Und ich weiß, wie das alles ausgehen wird.
„NA GUT!“, bricht die Frankenfirewall zusammen wie ein Kartenhaus im Wirbelsturm Katrina. Dann reicht er seinen auf Spülmaschinenniveau abgeleckten Teller der Bedienung, die sich hocherfreut auf den Weg macht zur Quelle des Na’hschlacks.
„Weißt du was?“, wende ich mich müde an den Franken, „weder an der sittlichen Reife noch an der moralischen Standfestigkeit, einem solchen Angebot zu widerstehen, wirst du dich jemals in deinem Leben erfreuen können.“
„Was hat das mit Sitte und Moral zu tun?“, grinst der Spross fränkischer Krume jedoch keck und nimmt mit sicherem Griff den Nachschlagteller entgegen. Die Bedienung hat ihn mit praktisch der gleichen Menge gefüllt wie beim ersten Gang.
„Ach, lass nur“, murmele ich und schaue ihm die nächsten fünf Minuten einfach nur dumpf beim Schlingen zu.
„Heute habe ich Hunger“, verkündet der Franke mittags vergnügt, obwohl das praktisch für jeden beliebigen Zeitpunkt des Tages gilt, aber mittags ganz besonders, „heute brauche ich Nachschlag!“
Also geht es zum Inder. Die Portionen dort sind reichlich, geradezu üppig, schier ausreichend. Ohne es zu thematisieren kommen wir beide zu dem Schluss: Genug ist genug. Heute ist Nachschlag nicht nötig.
Wahrscheinlich wäre er sogar schädlich für die nachmittägliche Produktivität. Denn wie man weiß, fordert der Verdauungstrakt jeweils Ressourcen an, die sich proportional zur aufgenommenen Nahrungsmenge verhalten, und all das geht auf Kosten des Gehirns. Selbst das des Franken muss sich diesem Effekt regelmäßig beugen.
Plötzlich steht der junge Mann, der uns das Essen serviert hat, wieder am Tisch. Wie aus dem Nichts. „Wolle Sie Na’hschlack?“, fragt er und strahlt dabei wie der Lottomann, der montags klingelt, um dich über den Millionengewinn zu informieren (nehme ich zumindest an).
„Iss kein Proppläm“, fährt der Bursche ermunternd fort, „können ruhig sake!“ Ich sage auch – und zwar spontan ab. Dann schaue ich den Franken an. Ich weiß genau, was jetzt in ihm vorgeht. Und ich weiß, wie das alles ausgehen wird.
„NA GUT!“, bricht die Frankenfirewall zusammen wie ein Kartenhaus im Wirbelsturm Katrina. Dann reicht er seinen auf Spülmaschinenniveau abgeleckten Teller der Bedienung, die sich hocherfreut auf den Weg macht zur Quelle des Na’hschlacks.
„Weißt du was?“, wende ich mich müde an den Franken, „weder an der sittlichen Reife noch an der moralischen Standfestigkeit, einem solchen Angebot zu widerstehen, wirst du dich jemals in deinem Leben erfreuen können.“
„Was hat das mit Sitte und Moral zu tun?“, grinst der Spross fränkischer Krume jedoch keck und nimmt mit sicherem Griff den Nachschlagteller entgegen. Die Bedienung hat ihn mit praktisch der gleichen Menge gefüllt wie beim ersten Gang.
„Ach, lass nur“, murmele ich und schaue ihm die nächsten fünf Minuten einfach nur dumpf beim Schlingen zu.
17 Februar 2008
Kuri- bis furios
Dieser vermaledeite Multifunktionsdrucker! Seit Monaten machte er Probleme. Immer wieder geruhte er die schwarze Tinte unschön streifig aufs Papier zu schmieren, was zu höchst ärgerlichen Beeinträchtigungen der Lesbarkeit führte.
Stets ergriffen Ms. Columbo und ich daraufhin zornesbebend umfangreiche Maßnahmen. Von der einfachen über die Intensiv- bis zur Walzen- und gar Bodenreinigung war alles dabei, was das Handbuch hergab, ganz zu schweigen von der automatischen sowie manuellen Druckkopfausrichtung.
Ja, wir kalibrierten sogar! Und zwar ohne konkrete Vorstellung, was das überhaupt bedeutet. All das änderte selten etwas am Ergebnis: streifiges Schwarz.
Als Ultima Ratio wechselten wir schließlich blass vor Frust die Patronen, und meist erklärte sich der Multikonfusionsdrucker danach für eine Weile mit unserem Qualitätsanspruch solidarisch. Die Weilen aber wurden zuletzt immer kürzer, ja das Gerät steigerte die Häufigkeit seiner Rückfälle in die Streifigkeit sogar ins nur noch schwer Erträgliche.
Statt des finalen Patronenwechsel schwebte mir in zunehmend schwärzeren Fantasien bereits der Einsatz einer ganzen anderen Art von Patronen vor, doch mir fehlt eh die entsprechende Feuerwaffe.
Es half also alles nichts: Unsere psychische Gesundheit war ernstlich bedroht, jetzt musste eine Fachwerkstatt den gordischen Knoten zerschlagen. Wir brachten den Patienten hin, und nach nur einem Tag rief man uns zurück.
Der Drucker, eröffnete man uns, drucke klag- und streifenlos aus, zumindest mit ihren Patronen, und das seien Markenprodukte und keine von Fremdherstellern; es gäbe also ganz und gar nichts zu reparieren.
Ich überhörte den leisen Vorwurf, versuchte die Enttäuschung nicht als Schluchzen hörbar werden zu lassen und holte den Multikuriosdrucker wieder ab.
Ein von abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit begleiteter Probeausdruck mit den wieder eingesetzten alten Patronen ergab dann aber Überraschendes: keine Streifen, nirgends. Das vom Multigloriosdrucker aufs Papier gebrachte tintentiefe Schwarz hatte eine pure sinnliche Schönheit, die mir vor Rührung und Dankbarkeit Tränen des Glücks in die Augen trieb.
Seither gibt es keinerlei Probleme mehr mit dem Multifuriosdrucker. Vielleicht hat ihn der Ausflug in die Werkstatt, wo er erstmals alleine aushäusig übernachten musste, derart verstört, dass er solcherart Traumata künftig unter allen Umständen vermeiden will – und sei es um den hohen Preis eines streifenfreien Ausdrucks trotz nichtinstallierter Markenpatronen.
Letztlich will ich das aber gar nicht so genau wissen. Es klappt, das reicht mir. Die Wahrheit liegt nun mal aufm Platz, und der nächste Ausdruck ist immer der schwerste.
Stets ergriffen Ms. Columbo und ich daraufhin zornesbebend umfangreiche Maßnahmen. Von der einfachen über die Intensiv- bis zur Walzen- und gar Bodenreinigung war alles dabei, was das Handbuch hergab, ganz zu schweigen von der automatischen sowie manuellen Druckkopfausrichtung.
Ja, wir kalibrierten sogar! Und zwar ohne konkrete Vorstellung, was das überhaupt bedeutet. All das änderte selten etwas am Ergebnis: streifiges Schwarz.
Als Ultima Ratio wechselten wir schließlich blass vor Frust die Patronen, und meist erklärte sich der Multikonfusionsdrucker danach für eine Weile mit unserem Qualitätsanspruch solidarisch. Die Weilen aber wurden zuletzt immer kürzer, ja das Gerät steigerte die Häufigkeit seiner Rückfälle in die Streifigkeit sogar ins nur noch schwer Erträgliche.
Statt des finalen Patronenwechsel schwebte mir in zunehmend schwärzeren Fantasien bereits der Einsatz einer ganzen anderen Art von Patronen vor, doch mir fehlt eh die entsprechende Feuerwaffe.
Es half also alles nichts: Unsere psychische Gesundheit war ernstlich bedroht, jetzt musste eine Fachwerkstatt den gordischen Knoten zerschlagen. Wir brachten den Patienten hin, und nach nur einem Tag rief man uns zurück.
Der Drucker, eröffnete man uns, drucke klag- und streifenlos aus, zumindest mit ihren Patronen, und das seien Markenprodukte und keine von Fremdherstellern; es gäbe also ganz und gar nichts zu reparieren.
Ich überhörte den leisen Vorwurf, versuchte die Enttäuschung nicht als Schluchzen hörbar werden zu lassen und holte den Multikuriosdrucker wieder ab.
Ein von abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit begleiteter Probeausdruck mit den wieder eingesetzten alten Patronen ergab dann aber Überraschendes: keine Streifen, nirgends. Das vom Multigloriosdrucker aufs Papier gebrachte tintentiefe Schwarz hatte eine pure sinnliche Schönheit, die mir vor Rührung und Dankbarkeit Tränen des Glücks in die Augen trieb.
Seither gibt es keinerlei Probleme mehr mit dem Multifuriosdrucker. Vielleicht hat ihn der Ausflug in die Werkstatt, wo er erstmals alleine aushäusig übernachten musste, derart verstört, dass er solcherart Traumata künftig unter allen Umständen vermeiden will – und sei es um den hohen Preis eines streifenfreien Ausdrucks trotz nichtinstallierter Markenpatronen.
Letztlich will ich das aber gar nicht so genau wissen. Es klappt, das reicht mir. Die Wahrheit liegt nun mal aufm Platz, und der nächste Ausdruck ist immer der schwerste.
16 Februar 2008
„Herr Du Mont!“
Um mein Verhältnis zur Hamburger FDP komprimiert auf den Punkt zu bringen, wäre mir noch vor kurzem ein herzhaftes „Fock you!“ locker über die Zunge gegangen. Doch dann sah ich gestern im Kino diesen Wahlwerbespot mit Sky du Mont.
Er endet auf so erschütternde Weise unfreiwillig komisch, dass ich gar kurzzeitig erwog, am nächsten Sonntag aus purem Mitleid FDP zu wählen – wäre dieses Mitleid nicht noch überboten worden von einem unignorierbaren Schwall Fremdscham.
Fock und Sky bilden zweifellos das skurrilste Pärchen seit Plisch und Plum, Dick und Doof und vor allem Pat und Patachon.
Im Kino war das Gelächter natürlich groß. Könnte man den beiden keine eigene Comedyshow geben, ganz unabhängig von Wahlen? Darin dürfte Hinnerk Fock natürlich immer nur eine einzige Dialogzeile haben, und zwar „Herr du Mont!“
Immer nur „Herr du Mont!“, mit festgetackertem Grinsen. Der Brüller.
Jung und frisch
„Übrigens finde ich es toll“, sage ich während der Morgennachrichten zu Ms. Columbo, „dass Barack Obama oft als jung und frisch bezeichnet wird. Wir, also ich und Obama, sind nämlich fast gleich alt.“
Ms. Columbo erledigt irgendetwas an der Espressomaschine. Trotzdem hat sie zugehört. Ob man als jung und frisch gelte, erläutert sie nun, komme aber doch stark auf die Branche an.
Zugegeben, als Frontsänger einer Boyband sollte man circa 16 sein, um beiden Attributen gerecht zu werden, und als Lord im englischen Oberhaus eher 65. Dennoch protestiere ich reflexhaft und gebe mich verschnupft.
„Nein, nein, du und Obama“, beschwichtigt Ms. Columbo, während sie noch immer irgendetwas an der Espressomaschine erledigt, „ihr seid natürlich beide jung und frisch.“
Ich glaube ihr übrigens jedes Wort.
Foto: barackobama.com
Ms. Columbo erledigt irgendetwas an der Espressomaschine. Trotzdem hat sie zugehört. Ob man als jung und frisch gelte, erläutert sie nun, komme aber doch stark auf die Branche an.
Zugegeben, als Frontsänger einer Boyband sollte man circa 16 sein, um beiden Attributen gerecht zu werden, und als Lord im englischen Oberhaus eher 65. Dennoch protestiere ich reflexhaft und gebe mich verschnupft.
„Nein, nein, du und Obama“, beschwichtigt Ms. Columbo, während sie noch immer irgendetwas an der Espressomaschine erledigt, „ihr seid natürlich beide jung und frisch.“
Ich glaube ihr übrigens jedes Wort.
Foto: barackobama.com
15 Februar 2008
14 Februar 2008
Ein Gewinn erster Klasse
Mitten in der Nacht piept das Handy. Eine SMS.
Normalerweise schalte ich das Telefon abends aus. Diesmal habe ich es vergessen, und prompt piept es um halb fünf in der Früh. Doch die Nachricht, die sich mir nach dem Aufstehen präsentiert, ist nicht die schlechteste.
Wir hätten, heißt es, bei der Glücksspirale gewonnen. Und zwar in der Gewinnklasse 1. In der Tat spielen wir dort mit; es handelt sich also nicht um SMS-Spam. Und Gewinnklasse 1: Das klingt geradezu großartig.
Vom Lotto weiß ich, dass dort, in der Gewinnklasse 1, stets der Jackpotgewinner angesiedelt ist, also der mit den 20, 30 oder 40 Millionen. Auch beim Spiel 77 und der Super 6 ist die Gewinnklasse 1 eine Region, wo es hochinteressant wird.
Diese SMS klingt also nach einem neuen Leben, von heute auf morgen, mir nichts, dir nichts.
Mit einem hauchdünnen Schweißfilm auf der Oberlippe surfe ich zur Lottoseite im Internet. Da ist sie auch schon, die Spalte mit der Glücksspirale. Sie hat auch eine Gewinnklasse 1 – natürlich.
Doch als einzige von allen Lotterien kategorisiert sie die Gewinnklassen von unten nach oben. Nr. 1 ist also nicht die mit dem neuen Leben mir nichts, dir nichts. Sondern die mit den zehn Euro.
An diesen hauchdünnen Schweißfilm auf der Oberlippe könnte ich mich trotzdem gewöhnen.
Normalerweise schalte ich das Telefon abends aus. Diesmal habe ich es vergessen, und prompt piept es um halb fünf in der Früh. Doch die Nachricht, die sich mir nach dem Aufstehen präsentiert, ist nicht die schlechteste.
Wir hätten, heißt es, bei der Glücksspirale gewonnen. Und zwar in der Gewinnklasse 1. In der Tat spielen wir dort mit; es handelt sich also nicht um SMS-Spam. Und Gewinnklasse 1: Das klingt geradezu großartig.
Vom Lotto weiß ich, dass dort, in der Gewinnklasse 1, stets der Jackpotgewinner angesiedelt ist, also der mit den 20, 30 oder 40 Millionen. Auch beim Spiel 77 und der Super 6 ist die Gewinnklasse 1 eine Region, wo es hochinteressant wird.
Diese SMS klingt also nach einem neuen Leben, von heute auf morgen, mir nichts, dir nichts.
Mit einem hauchdünnen Schweißfilm auf der Oberlippe surfe ich zur Lottoseite im Internet. Da ist sie auch schon, die Spalte mit der Glücksspirale. Sie hat auch eine Gewinnklasse 1 – natürlich.
Doch als einzige von allen Lotterien kategorisiert sie die Gewinnklassen von unten nach oben. Nr. 1 ist also nicht die mit dem neuen Leben mir nichts, dir nichts. Sondern die mit den zehn Euro.
An diesen hauchdünnen Schweißfilm auf der Oberlippe könnte ich mich trotzdem gewöhnen.
13 Februar 2008
Fundstücke (36)
Am Ende seines Konzerts in der Insel am Alsterufer sagt der irische Sänger Brendan Keeley: „It’s the last song. I have to go home – because I live there.“ Entwaffnend.
Vorher, im Büro, erhielt ich eine CD mit der abgebildeten Karte. Dazu kann ich nur soviel sagen: Okay, ich werde mein Bestes tun. In einem Jahr schauen wir mal im Handelsblatt nach, ob ich einen guten Job gemacht habe.
Für einen unbekannten Spammer gilt das schon jetzt. Er schickte mir heute eine Mail mit folgendem Betreff: „It's time to bring your good willy hunting.“
Ich geb’s wirklich nicht gerne zu, aber das ist mal ein verdammt guter Spruch. Trotzdem gewann er mich nicht als Kunden.
Aus dem besten aller Gründe.
11 Februar 2008
Eine Begegnung mit Jane Birkin, im Dunkeln
Ich war in der Grundschule, als das von Jane Birkin schamlos-lustvoll gestöhnte Chanson „Je t’aime … moi non plus“ zum internationalen Skandal wurde. Fast 40 Jahre später – genauer gesagt: heute Abend – fasste mir dieselbe Jane Birkin an den Oberschenkel. Aber der Reihe nach.
Im Schauspielhaus, wo sie auftreten soll, haben Ms. Columbo und ich eine Dreierloge im zweiten Stock bekommen, mit bestem Blick auf die Bühne. Irgendwann geht Jane Birkin singend durchs Parkett. Wir lehnen uns übers Geländer und schauen uns das von oben an.
„Hier sind wir sicher“, sage ich erfreut zu Ms. Columbo, denn wir beide sind nicht gerade Rampensäue, die sich gern ins Scheinwerferlicht zerren lassen und dort dann ekstatisch einen Sirtaki improvisieren. Wirklich nicht.
Plötzlich ist Birkin verschwunden – und taucht in der Loge unter uns wieder auf. Spot an, Freude im Publikum. Oha, denke ich, die Einschläge kommen näher. „Die Gefahr wächst“, flüstere ich spaßeshalber Ms. Columbo zu. Unter uns erlischt der Scheinwerfer, man hört Birkin nur noch singen. Aber wo ist sie jetzt?
Die Tür zu unserer Loge öffnet sich, ein Livrierter vom Theater hält sie auf. Und dann kommt die Poplegende Jane Birkin persönlich hereingehuscht in unsere kuschelige Dreierloge. Sie geht geduckt, schließlich will sie den Saal überraschen. Es ist dunkel, sie tastet sich vorwärts, und jetzt kommt mein Oberschenkel ins Spiel.
Fast 40 Jahre nachdem ich kleiner Hosenscheißer zum ersten Mal eine Ahnung davon bekommen habe, wie es sich anhört, wenn eine Frau lustvoll stöhnt, fasst mir genau diese Frau an den Oberschenkel. Aus Gründen der Balance.
An der Brüstung richtet sie sich auf und singt. Der Scheinwerfer flammt auf und flutet unsere Loge mit Licht, und irgendwie schaffe ich es, ein supermieses Foto zu schießen, mit Ms. Columbos kupferbraun aufstrahlendem Haar überbelichtet im Vordergrund und dahinter, halb im Dämmer, der Rücken von Jane Birkin. Jubel im Publikum, das geschlossen zu uns hochschaut.
Birkin dreht sich um, noch immer im gleißenden Licht, ihre charakteristische Lücke zwischen den Schneidezähnen blitzt auf. Irgendwie überdreht schüttelt sie Ms. Columbo die Hand, lächelt mir und meinem Oberschenkel zu, huscht hinaus aus der Loge und entert wenige Sekunden später wieder die Bühne.
„Je t’aime … moi non plus“ stöhnt sie übrigens den ganzen Abend nicht. Aber das hatte ich sowieso nicht erwartet.
Den Rest allerdings auch nicht.
10 Februar 2008
Das möglicherweise bedeutsame Plattenbruchstück
Bei Penny schenkte ein leicht derangierter junger Mann der Kassiererin jenen Cent, den sie ihm gerade rausgegeben hatte. „Ein Glückscent“, sagte der Mann.
Lächelnd bedankte sich die Kassiererin und deponierte das Geldstück neben der Kasse. Die darauffolgende Kundin, eine adrett gekleidete und gut 70-jährige Greisin, die aus der Pennykundschaft herausstach wie eine Rose aus einem Distelbeet, hatte 5,01 Euro zu zahlen – aber denkst du, die Kassierin wäre auf die Idee gekommen, ihr den Cent zu erlassen und mit dem gerade geschenkt bekommenen zu verrechnen?
Keine Chance. Sie ließ die Dame lieber solange zittrig in der Börse wühlen, bis die endlich eine passende Winzmünze gefunden hatte. So kommen wir als Gesellschaft, als Sozialsystem, als Solidargemeinschaft keinen Millimeter weiter, so viel ist sicher.
Mittags lustwandelten Ms. Columbo und ich durch den verfrühten Frühling. Im Schlachthofviertel stießen wir auf eine Brache, wo mehrere zerbrochene Langspielplatten im Dreck lagen.
Eine davon stammte von den Pet Shop Boys, und das Bruchstück sah verblüffenderweise aus wie eine grobe antike Landkarte der Vereinigten Staaten von Amerika.
Was das zu bedeuten hat, weiß ich aber auch nicht.
Der Kiez meldet Frühlingsanfang
Da war er: der erste Tag des Jahres, an dem ich handschuhlos Fahrrad fahren konnte. Da geht dir glatt das Herz auf.
Man wird sogar vor der Zeit schon frühlingsmilde: Bei Spar schiss ich aus purer Gutgelauntheit nicht einmal jene Frau mit den wurstpellenengen Reiterhosen zusammen, die mit ihren bakterienbeladenen Fingern glaubte die Brötchen kontaminieren zu müssen.
Natürlich hätte ich sie trotz meiner Hochgestimmtheit sofort angemotzt, wenn auch mein Fach mit den Quarkbrötchen bedroht gewesen wäre. Denn auch mein Fass hat Grenzen. (Stromberg)
Selbst die Tatsache, an der Kasse genau einen verdammten Cent zu wenig fürs Begleichen der Rechnung in meinen Taschen vorzufinden, was normalerweise zu einem genussvoll ausgelebten paranoiden Schub führt, trübte heute meine Stimmung nur unwesentlich.
Denn über St. Pauli grinste die Sonne, ich fuhr handschuhlos Fahrrad, und im Gegensatz zu gestern versuchten heute keine drei verschiedene Autos, mich über den Haufen zu fahren.
Das Leben kann so leicht sein. Wenn es nur will.
Man wird sogar vor der Zeit schon frühlingsmilde: Bei Spar schiss ich aus purer Gutgelauntheit nicht einmal jene Frau mit den wurstpellenengen Reiterhosen zusammen, die mit ihren bakterienbeladenen Fingern glaubte die Brötchen kontaminieren zu müssen.
Natürlich hätte ich sie trotz meiner Hochgestimmtheit sofort angemotzt, wenn auch mein Fach mit den Quarkbrötchen bedroht gewesen wäre. Denn auch mein Fass hat Grenzen. (Stromberg)
Selbst die Tatsache, an der Kasse genau einen verdammten Cent zu wenig fürs Begleichen der Rechnung in meinen Taschen vorzufinden, was normalerweise zu einem genussvoll ausgelebten paranoiden Schub führt, trübte heute meine Stimmung nur unwesentlich.
Denn über St. Pauli grinste die Sonne, ich fuhr handschuhlos Fahrrad, und im Gegensatz zu gestern versuchten heute keine drei verschiedene Autos, mich über den Haufen zu fahren.
Das Leben kann so leicht sein. Wenn es nur will.
08 Februar 2008
Eine Botschaft aus Reihe null
Der Plan war gut – wie fast alle meine Pläne, die letztlich an der Wirklichkeit scheitern.
Der Plan lautete: Ich erledige all das, was freitagsnachmttags erledigt werden muss, esse gegen 18 Uhr vorgezogen zu Abend und gehe dann rüber ins Stadion, wo ich mir das Spiel des FC St. Pauli gegen Jena anschaue.
Guter Plan. Einziges Problem: Kurz vor halb sechs stelle ich erschrocken fest, dass der Anpfiff nicht etwa um 19, sondern bereits um 18 Uhr stattfindet. So schnell hat man mich noch nie zwei Käsebrote und einen Mix aus Rauke und Feldsalat reinschaufeln sehen.
Zwei Minuten vor Anpfiff erreiche ich hechelnd meinen Platz auf der Haupttribüne in der ersten Reihe, direkt hinter der Werbebande. Doch dort, auf Platz 73, sitzt schon jemand.
„Ähem“, hüstele ich, „das müsste mein Platz sein.“ Der junge Mann mit Wollmütze bleibt ganz ruhig. „Welche Reihe?“, fragt er. „Reihe eins“, sage ich, denn so steht es auf meiner Karte, und die Reihe hinter der Werbebande ist ja wohl Reihe eins, das kann ja gar nicht anders sein.
„Das hier ist Reihe null“, grinst der Mann, „das da ist die eins“, wobei er auf die gefühlt zweite Reihe zeigt. Heißt es nicht immer so schön, das hier sei der etwas andere Club? Quod erat demonstrandum. Wo sonst in Deutschland, Europa oder dem Rest der Welt gibt es eine Reihe null?
Kurz vor der Halbzeitpause meldet sich mein Magen. Die zwei Käsebrote plus Salatmix waren zu wenig. Am Grill ordere ich eine Currywurst. Mein Nachbar fragt: „Haben Sie auch Thüringer?“ Die Frau hinter der Theke bejaht und zeigt auf den riesigen runden Grillrost mit den diversen Sorten. „Das sind doch keine echten Thüringer!“, demonstriert der Mann Sachkunde. „Wohl“, antwortet die Frau. „Im Leben nicht!“, kontert der Mann – und bestellt zwei Krakauer.
Später trete ich versehentlich das Bier meines Sitznachbarn in Reihe eins um. Er will mich zum Nachschubholen verdonnern. Ich biete ihm ersatzweise das Umgießen meines Bieres in seinen ja nunmehr wieder aufnahmebereiten Becher an, was er ablehnt. Dann eben nicht. So geht dieses Duell genauso unentschieden aus wie das Spiel des FC St. Pauli gegen Jena.
Einer aus der Reihe vor mir (also null) dreht sich nach dem Abpfiff um und sagt: „Schon wieder zwei Punkte verloren, wie in Köln – so wird das nichts mit dem Aufstieg!“
Mit dem Aufstieg? Seit August vergangenen Jahres dreht sich mein ganzes Hoffen und Bangen um nichts weiter als das Vermeiden des Abstiegs, und der Typ aus Reihe null moniert gesunkene Aufstiegschancen?
Ich bin zu konsterniert, um mehr als ein hilfloses Grinsen hinzukriegen. Aber vielleicht sollte ich echt einen Aufstiegsplan schmieden für meinen kleinen Stadtteilverein. Mehr als an er Wirklichkeit scheitern kann er ja nicht, und mit so was kenne ich mich sehr gut aus.
Der Plan lautete: Ich erledige all das, was freitagsnachmttags erledigt werden muss, esse gegen 18 Uhr vorgezogen zu Abend und gehe dann rüber ins Stadion, wo ich mir das Spiel des FC St. Pauli gegen Jena anschaue.
Guter Plan. Einziges Problem: Kurz vor halb sechs stelle ich erschrocken fest, dass der Anpfiff nicht etwa um 19, sondern bereits um 18 Uhr stattfindet. So schnell hat man mich noch nie zwei Käsebrote und einen Mix aus Rauke und Feldsalat reinschaufeln sehen.
Zwei Minuten vor Anpfiff erreiche ich hechelnd meinen Platz auf der Haupttribüne in der ersten Reihe, direkt hinter der Werbebande. Doch dort, auf Platz 73, sitzt schon jemand.
„Ähem“, hüstele ich, „das müsste mein Platz sein.“ Der junge Mann mit Wollmütze bleibt ganz ruhig. „Welche Reihe?“, fragt er. „Reihe eins“, sage ich, denn so steht es auf meiner Karte, und die Reihe hinter der Werbebande ist ja wohl Reihe eins, das kann ja gar nicht anders sein.
„Das hier ist Reihe null“, grinst der Mann, „das da ist die eins“, wobei er auf die gefühlt zweite Reihe zeigt. Heißt es nicht immer so schön, das hier sei der etwas andere Club? Quod erat demonstrandum. Wo sonst in Deutschland, Europa oder dem Rest der Welt gibt es eine Reihe null?
Kurz vor der Halbzeitpause meldet sich mein Magen. Die zwei Käsebrote plus Salatmix waren zu wenig. Am Grill ordere ich eine Currywurst. Mein Nachbar fragt: „Haben Sie auch Thüringer?“ Die Frau hinter der Theke bejaht und zeigt auf den riesigen runden Grillrost mit den diversen Sorten. „Das sind doch keine echten Thüringer!“, demonstriert der Mann Sachkunde. „Wohl“, antwortet die Frau. „Im Leben nicht!“, kontert der Mann – und bestellt zwei Krakauer.
Später trete ich versehentlich das Bier meines Sitznachbarn in Reihe eins um. Er will mich zum Nachschubholen verdonnern. Ich biete ihm ersatzweise das Umgießen meines Bieres in seinen ja nunmehr wieder aufnahmebereiten Becher an, was er ablehnt. Dann eben nicht. So geht dieses Duell genauso unentschieden aus wie das Spiel des FC St. Pauli gegen Jena.
Einer aus der Reihe vor mir (also null) dreht sich nach dem Abpfiff um und sagt: „Schon wieder zwei Punkte verloren, wie in Köln – so wird das nichts mit dem Aufstieg!“
Mit dem Aufstieg? Seit August vergangenen Jahres dreht sich mein ganzes Hoffen und Bangen um nichts weiter als das Vermeiden des Abstiegs, und der Typ aus Reihe null moniert gesunkene Aufstiegschancen?
Ich bin zu konsterniert, um mehr als ein hilfloses Grinsen hinzukriegen. Aber vielleicht sollte ich echt einen Aufstiegsplan schmieden für meinen kleinen Stadtteilverein. Mehr als an er Wirklichkeit scheitern kann er ja nicht, und mit so was kenne ich mich sehr gut aus.
07 Februar 2008
Marions Kochbuch revisited revisited
Das ARD-Magazin PlusMinus hat gerade dankenswerterweise die Methoden der beiden Massenabmahner von Marions Kochbuch thematisiert. Auch ich gehöre ja zu den naiven Dummchen, die dem Duo kulinare ins Netz gegangen sind.
Vollends grotesk wurde der Abmahnamoklauf aber erst heute: Bloggerkollege René soll unfassbare 3500 Euro zahlen, weil er ein Bildschirmfoto aus dem PlusMinus-Beitrag gezeigt hat, auf dem Folkert Knieper, Fotograf von Marions Kochbuch, zu sehen ist.
Klingt wie ein kapitaler Hirnriss. Und diese Idee ist nicht etwa auf dem Mist der ARD gewachsen, welche die Rechte an dem Beitrag hält und ihn für jedermann abrufbar archiviert hat, sondern eine Geistesgeburt von Kochbuch-Knieper.
Der Mann ist also einerseits damit einverstanden gewesen, vor Millionen von Menschen im Fernsehen aufzutreten, bemüht aber sofort wieder die Gerichte, sobald jemand diesen Auftritt per Foto dokumentiert.
Als bisher lupenreiner Demokrat und brutalstmöglicher Fan unseres Rechtssystems beschlichen mich durchaus erste Zweifel am Sinn vons Janze, wenn der Mann sogar mit diesem miesen Aschermittwochsscherz noch durchkäme. Und an zunehmender Grundgesetzverdrossenheit kann doch nun wirklich kein Gericht Deutschlands ein Interesse haben.
Es sei denn, es will heimlich mein revolutionäres Potenzial fördern. Kann es natürlich haben.
Vollends grotesk wurde der Abmahnamoklauf aber erst heute: Bloggerkollege René soll unfassbare 3500 Euro zahlen, weil er ein Bildschirmfoto aus dem PlusMinus-Beitrag gezeigt hat, auf dem Folkert Knieper, Fotograf von Marions Kochbuch, zu sehen ist.
Klingt wie ein kapitaler Hirnriss. Und diese Idee ist nicht etwa auf dem Mist der ARD gewachsen, welche die Rechte an dem Beitrag hält und ihn für jedermann abrufbar archiviert hat, sondern eine Geistesgeburt von Kochbuch-Knieper.
Der Mann ist also einerseits damit einverstanden gewesen, vor Millionen von Menschen im Fernsehen aufzutreten, bemüht aber sofort wieder die Gerichte, sobald jemand diesen Auftritt per Foto dokumentiert.
Als bisher lupenreiner Demokrat und brutalstmöglicher Fan unseres Rechtssystems beschlichen mich durchaus erste Zweifel am Sinn vons Janze, wenn der Mann sogar mit diesem miesen Aschermittwochsscherz noch durchkäme. Und an zunehmender Grundgesetzverdrossenheit kann doch nun wirklich kein Gericht Deutschlands ein Interesse haben.
Es sei denn, es will heimlich mein revolutionäres Potenzial fördern. Kann es natürlich haben.
Der knarrenlose Kiez
Seit Dezember herrscht Waffenverbot auf St. Pauli. Bei den anfänglichen Kontrollen zog die Polizei trotzdem noch allerhand Quatsch aus dem Verkehr, vor allem Messer und Pfeffersprays.
Seit kurzem aber lässt die Fundfrequenz dramatisch nach. Und bei den letzten beiden Wochenendaktionen war das Ergebnis nach Zeitungsmeldungen besonders bestürzend: Man fand überhaupt keine Waffen mehr. Nichts. Keine einzige.
Die ganzen Muskeltürken, Irokesenalbaner, Glatzenfaschos, Lederjackenrussen, Ludenleibwächter und Kampflesben gehen also wirklich und wahrhaftig ohne Knarren und Klingen auf Kiezbummel. Bei Kontrollen klimpern sie handzahm mit den Wimpern, lassen sich so triumphierend wie ergebnislos abtasten und ziehen dann friedlich weiter über Reeperbahn und Seitenstraßen.
Vielleicht beantworten sie sogar das in den Kneipen unablässig vorgebrachte „Wolle Rose kaufe?“ nicht mehr mit Kieferbruch, sondern dem Kauf einer Rose. Alles ist möglich. Es scheint, als wären Löwen zu Lämmern geworden, einfach nur wegen eines gelben Schildes.
Oder hat man uns in ein Paralleluniversum gebeamt, und wir haben es bloß noch nicht gemerkt? Das finde ich noch heraus – und wenn ich mich zurückbeamen muss.
Seit kurzem aber lässt die Fundfrequenz dramatisch nach. Und bei den letzten beiden Wochenendaktionen war das Ergebnis nach Zeitungsmeldungen besonders bestürzend: Man fand überhaupt keine Waffen mehr. Nichts. Keine einzige.
Die ganzen Muskeltürken, Irokesenalbaner, Glatzenfaschos, Lederjackenrussen, Ludenleibwächter und Kampflesben gehen also wirklich und wahrhaftig ohne Knarren und Klingen auf Kiezbummel. Bei Kontrollen klimpern sie handzahm mit den Wimpern, lassen sich so triumphierend wie ergebnislos abtasten und ziehen dann friedlich weiter über Reeperbahn und Seitenstraßen.
Vielleicht beantworten sie sogar das in den Kneipen unablässig vorgebrachte „Wolle Rose kaufe?“ nicht mehr mit Kieferbruch, sondern dem Kauf einer Rose. Alles ist möglich. Es scheint, als wären Löwen zu Lämmern geworden, einfach nur wegen eines gelben Schildes.
Oder hat man uns in ein Paralleluniversum gebeamt, und wir haben es bloß noch nicht gemerkt? Das finde ich noch heraus – und wenn ich mich zurückbeamen muss.
05 Februar 2008
Die Katze beißt sich irgendwohin
Wir sehen hier einen der zahlreichen Ausgänge der S-Bahnstation Reeperbahn. Er befindet sich am östlichen Ende, und früher stand rechts um die Ecke immer ein Dealer.
Mich hat er nie angesprochen, was ich insgeheim immer ein wenig beleidigend fand. Warum ignorierte er mich? Wahrscheinlich sehe ich aus, als bräuchte ich alles, nur keine Drogen. Oder als sei ich abgebrannt. Offiziell jedenfalls war ich froh, beim üblichen Sprint zum Bahnsteig nicht in Verkaufsgespräche verwickelt zu werden.
Inzwischen steht hier schon lange kein Dealer mehr. Vielleicht eine anhaltende Spätfolge der Schill-Beust-Episode, die darauf setzte, die drogenaffine Klientel aus dem Blickfeld der Touristen zu drängen, damit Hamburg netter aussieht, als es ist.
Schlaumeier werden mich natürlich jetzt in den Kommentaren fragen wollen, woher ich überhaupt gewusst haben mag, dass es sich bei jenem Mann, der mich nie ansprach, um einen Dealer handelte, wo er mich doch erst einmal beweiskräftig hätte ansprechen müssen, um sich mir als solcher zu enttarnen.
Ihm hing ja schließlich, so werden die Schlaumeier sicherlich vorhaben fortzufahren, kein Schild mit der Aufschrift „Dealer“ um den Hals. Das stimmt. Aber ich wusste es trotzdem. Genauso wie ich intuitiv weiß, ob jemand hetero ist, eine Hure beim Arbeiten oder ein Franke in freier Wildbahn.
Oder ein Schlaumeier, der jetzt denkt, ich hätte den ganzen Beitrag hier nur so dahersalbadert, weil ich unbedingt das Foto unterbringen wollte.
04 Februar 2008
Beginn einer neuen Ära
Erinnert sich eigentlich noch jemand an Bücher? Ich meine nicht das, was man zu Weihnachten verschenkt, was in der Amazon-Bestenliste auftaucht und sich bei Thalia zu Bergen türmt.
Sondern das, was man aufschlägt und langsam Seite für Seite von vorne bis hinten in der richtigen Reihenfolge durchliest. Bücher. Diese zusammengehefteten Papierseiten, die mal wichtig waren, so verdammt wichtig. In der Ära vor dem Internet, vor Spiegel online, vor der iTunes-Bibliothek mit zehntausend Songs, vor dem Job, der sich immer tiefer hineingefressen hat in dein Leben, deine Freizeit, deinen Urlaub.
Echte Bücher, zerzaust und gealtert durch echtes Lesen. Ich habe festgestellt, dass ich mich kaum noch daran erinnere, aus all den genannten Gründen. Früher habe ich Bibliotheken verschlungen, wild durcheinander, Hauptsache Buchstaben – von „Perry Rhodan“ bis Dostojewski, von Goethe bis Kerouac, von Dan Shocker bis Nabokov und von Rimbaud über Highsmith bis Brussig.
Und jetzt reicht es Woche für Woche nur noch für die FAS und den Spiegel und ein paar Flackerblicke in Fach- und Konkurrenzzeitschriften. Das musste sich ändern, unbedingt. Und seit heute hat sich das geändert, zumindest ist ein Anfang gemacht.
Heute nämlich hatten Ms. Columbo und ich unsere erste gemeinsame Lesestunde. Wir setzten uns pünktlich um halb 10 hin mit je einem Buch – und lasen. Sonst nichts. Keine Musik nebenbei, kein Mailcheck zwischendurch, kein Film im Hintergrund. Nicht mal das Telefon hat geklingelt, danke schön.
Am kommenden Montag folgt die nächste Lesestunde. Vielleicht gehen wir irgendwann sogar auf zwei pro Woche. Eine neue Ära hat begonnen. Sie ist so was von 20. Jahrhundert.
Aber vielleicht hat sie eine strahlende Zukunft.
Sondern das, was man aufschlägt und langsam Seite für Seite von vorne bis hinten in der richtigen Reihenfolge durchliest. Bücher. Diese zusammengehefteten Papierseiten, die mal wichtig waren, so verdammt wichtig. In der Ära vor dem Internet, vor Spiegel online, vor der iTunes-Bibliothek mit zehntausend Songs, vor dem Job, der sich immer tiefer hineingefressen hat in dein Leben, deine Freizeit, deinen Urlaub.
Echte Bücher, zerzaust und gealtert durch echtes Lesen. Ich habe festgestellt, dass ich mich kaum noch daran erinnere, aus all den genannten Gründen. Früher habe ich Bibliotheken verschlungen, wild durcheinander, Hauptsache Buchstaben – von „Perry Rhodan“ bis Dostojewski, von Goethe bis Kerouac, von Dan Shocker bis Nabokov und von Rimbaud über Highsmith bis Brussig.
Und jetzt reicht es Woche für Woche nur noch für die FAS und den Spiegel und ein paar Flackerblicke in Fach- und Konkurrenzzeitschriften. Das musste sich ändern, unbedingt. Und seit heute hat sich das geändert, zumindest ist ein Anfang gemacht.
Heute nämlich hatten Ms. Columbo und ich unsere erste gemeinsame Lesestunde. Wir setzten uns pünktlich um halb 10 hin mit je einem Buch – und lasen. Sonst nichts. Keine Musik nebenbei, kein Mailcheck zwischendurch, kein Film im Hintergrund. Nicht mal das Telefon hat geklingelt, danke schön.
Am kommenden Montag folgt die nächste Lesestunde. Vielleicht gehen wir irgendwann sogar auf zwei pro Woche. Eine neue Ära hat begonnen. Sie ist so was von 20. Jahrhundert.
Aber vielleicht hat sie eine strahlende Zukunft.
Der stumme Besucher
Als ich heute morgen durchs Treppenhaus federe, um Brötchen zu holen, sehe ich es schon vom letzten Absatz aus. Wieder einmal sitzt ein Gestrandeter der Kieznacht von außen an der Glastür.
Ich weiß wirklich nicht, worin die heimelige Strahlkraft ausgerechnet unserer Haustür genau besteht, doch sie ist zweifellos da. Andere Häuser scheinen mir nämlich viel seltener heimgesucht zu werden.
Vorsichtig öffne ich die Haustür, es soll sich ja niemand verletzen. Mit Bata-Illic-hafter Geschwindigkeit strafft sich der Rücken, der mir zunächst halb entgegensackte. Er gehört zu einem derangierten Mann mit tiefen Gesichtsfalten. Ich schätze ihn auf etwa 50, vielleicht ein Russe. Seine rotschwarz karierte Jacke gibt ihm etwas Holzfällerhaftes.
„Würden Sie bitte den Eingang freimachen?“, sage ich. Er schaut wortlos und ohne sichtbare Regung hoch. Dann versucht er seinen widerständigen Körper ein paar Zentimeter nach rechts zu wuchten, damit ich vorbeikomme.
Er kann es natürlich nicht wissen, aber das reicht mir nicht. Nicht nach all dem, was da kumuliert schon vor unserer Tür saß im Lauf von zwölf Jahren; nicht nach all dem, was dort schon rauchte und soff, kiffte und kackte, schiffte und spritzte.
„Nein, ganz frei bitte“, präzisiere ich und bleibe halb hinter ihm stehen. Ächzend müht er sich hoch, und als er auf die Beine kommt, taumelt er zwei, drei Meter nach vorne, bis er den Aufstehschwung schadlos abgefangen hat. Er bleibt noch immer stumm.
„Danke“, sage ich und gehe an der nächsten Ecke die Zeitung holen. Als ich zurückkomme, schlurft er mir entgegen. Er schaut mich an mit halb gesenktem Kopf, sein Blick ist fast ausdruckslos. Doch um seinen Mund hat sich so viel Zerknirschung und Melancholie eingenistet, dass er mir plötzlich leid tut.
Und das ist das Einzige, was ich im Vorübergehen für ihn tun kann.
Ich weiß wirklich nicht, worin die heimelige Strahlkraft ausgerechnet unserer Haustür genau besteht, doch sie ist zweifellos da. Andere Häuser scheinen mir nämlich viel seltener heimgesucht zu werden.
Vorsichtig öffne ich die Haustür, es soll sich ja niemand verletzen. Mit Bata-Illic-hafter Geschwindigkeit strafft sich der Rücken, der mir zunächst halb entgegensackte. Er gehört zu einem derangierten Mann mit tiefen Gesichtsfalten. Ich schätze ihn auf etwa 50, vielleicht ein Russe. Seine rotschwarz karierte Jacke gibt ihm etwas Holzfällerhaftes.
„Würden Sie bitte den Eingang freimachen?“, sage ich. Er schaut wortlos und ohne sichtbare Regung hoch. Dann versucht er seinen widerständigen Körper ein paar Zentimeter nach rechts zu wuchten, damit ich vorbeikomme.
Er kann es natürlich nicht wissen, aber das reicht mir nicht. Nicht nach all dem, was da kumuliert schon vor unserer Tür saß im Lauf von zwölf Jahren; nicht nach all dem, was dort schon rauchte und soff, kiffte und kackte, schiffte und spritzte.
„Nein, ganz frei bitte“, präzisiere ich und bleibe halb hinter ihm stehen. Ächzend müht er sich hoch, und als er auf die Beine kommt, taumelt er zwei, drei Meter nach vorne, bis er den Aufstehschwung schadlos abgefangen hat. Er bleibt noch immer stumm.
„Danke“, sage ich und gehe an der nächsten Ecke die Zeitung holen. Als ich zurückkomme, schlurft er mir entgegen. Er schaut mich an mit halb gesenktem Kopf, sein Blick ist fast ausdruckslos. Doch um seinen Mund hat sich so viel Zerknirschung und Melancholie eingenistet, dass er mir plötzlich leid tut.
Und das ist das Einzige, was ich im Vorübergehen für ihn tun kann.
03 Februar 2008
Als Weltretter fehlbesetzt
Neulich haben sie den mächtigen Ahorn (Foto: Oktober 2007) vorm Haus gefällt. Jetzt liegen dort nur noch Sägespäne. Die Stelle sieht aus wie ein geköpfter Ameisenhaufen.
Obwohl wir den Baum als Seilerstraßeninventar mochten, reagierten wir auf sein Ableben erschreckend emotionslos. Ich hätte wohl nicht einmal ernsthaft erwogen, mich an ihn zu ketten, wäre mir der Plan seiner Hinrichtung rechtzeitig zugetragen worden.
Jetzt ist er jedenfalls weg. Vom Balkon aus können wir das Treiben und Taumeln der Kieztouristen nun noch besser beobachten. Ganz schön bestürzend, diese pragmatische Sichtweise.
Und wo wir schon mal dabei sind: Vor einigen Wochen war doch ganz Deutschland aufgerufen, abends um acht für fünf Minuten das Licht zu löschen, als Zeichen gegen den Klimawandel. Der Ruf erging auch an Ms. Columbo und mich, denn nicht nur du, sondern auch wir sind Deutschland, jaha.
Wahrscheinlich hätte ich sie sogar überreden können, gemeinsam mitzutun (solange wir nicht hätten offline gehen müssen …), doch mir fiel die Aktion erst um elf wieder ein. Und es wäre ja wohl wirklich lächerlich gewesen, dann noch für fünf Minuten alleine im Dunkeln zu sitzen, während das viel klimasensiblere Restdeutschland bereits um acht seine bürgerliche Pflicht erfüllt hatte.
Nein, wir sind nicht richtig geeignet zum Weltretten. Ob ich am 24. Februar trotzdem grün wählen soll? Und darf?
Obwohl wir den Baum als Seilerstraßeninventar mochten, reagierten wir auf sein Ableben erschreckend emotionslos. Ich hätte wohl nicht einmal ernsthaft erwogen, mich an ihn zu ketten, wäre mir der Plan seiner Hinrichtung rechtzeitig zugetragen worden.
Jetzt ist er jedenfalls weg. Vom Balkon aus können wir das Treiben und Taumeln der Kieztouristen nun noch besser beobachten. Ganz schön bestürzend, diese pragmatische Sichtweise.
Und wo wir schon mal dabei sind: Vor einigen Wochen war doch ganz Deutschland aufgerufen, abends um acht für fünf Minuten das Licht zu löschen, als Zeichen gegen den Klimawandel. Der Ruf erging auch an Ms. Columbo und mich, denn nicht nur du, sondern auch wir sind Deutschland, jaha.
Wahrscheinlich hätte ich sie sogar überreden können, gemeinsam mitzutun (solange wir nicht hätten offline gehen müssen …), doch mir fiel die Aktion erst um elf wieder ein. Und es wäre ja wohl wirklich lächerlich gewesen, dann noch für fünf Minuten alleine im Dunkeln zu sitzen, während das viel klimasensiblere Restdeutschland bereits um acht seine bürgerliche Pflicht erfüllt hatte.
Nein, wir sind nicht richtig geeignet zum Weltretten. Ob ich am 24. Februar trotzdem grün wählen soll? Und darf?
02 Februar 2008
Nur gucken, nicht essen
Wir essen im La Sepia am Schulterblatt. Am Nebentisch sitzt ein illustres Herrentrio.
Einer ist klein und hüftvergoldet, trägt Schnauzer und eine merkwürdige Matrosenmütze mit der Aufschrift „Blues“. Der zweite hat sich zur Lederjacke eine strohfarbene Sturmfrisur im 80er-Jahre-Gedächtnisstil verpassen lassen, und der dritte ist ein Durchschnittsblonder.
All das schaue ich mir allerdings erst genauer an, nachdem Ms. Columbo mir unter Verweis auf die Sturmfrisur zuflüstert: „Schau mal, der sitzt die ganze Zeit vor seinem Teller und isst nichts.“
Das ist wahr. Der Limahlklon stiert versonnen ins Ungefähre, doch sein Besteck hat unverhofft frei. Doch erst, als der Kellner das Geschirr des Trios abräumt, wird das ganze Ausmaß der Merkwürdigkeit deutlich. Denn offensichtlich hat keiner der drei etwas gegessen.
Alle Teller weisen nach menschlichem Ermessen die exakten Liefermengen auf, sogar die Salatschüssel des Matrosenmützenmannes. An der eigenwilligen Speisekartenprosa, die „Ziegen uns Schaafs Käse“ anbietet und dafür sogar Geld verlangt, kann es nicht gelegen haben, denn dann hätten die Drei ja erst gar nicht bestellt.
Manche Rätsel lassen sich nur lösen, indem man jene befragt, die sein Geheimnis kennen. Wer das nicht tut, muss hinfort mit quälender Ungewissheit weiterleben.
Wie wir.
Einer ist klein und hüftvergoldet, trägt Schnauzer und eine merkwürdige Matrosenmütze mit der Aufschrift „Blues“. Der zweite hat sich zur Lederjacke eine strohfarbene Sturmfrisur im 80er-Jahre-Gedächtnisstil verpassen lassen, und der dritte ist ein Durchschnittsblonder.
All das schaue ich mir allerdings erst genauer an, nachdem Ms. Columbo mir unter Verweis auf die Sturmfrisur zuflüstert: „Schau mal, der sitzt die ganze Zeit vor seinem Teller und isst nichts.“
Das ist wahr. Der Limahlklon stiert versonnen ins Ungefähre, doch sein Besteck hat unverhofft frei. Doch erst, als der Kellner das Geschirr des Trios abräumt, wird das ganze Ausmaß der Merkwürdigkeit deutlich. Denn offensichtlich hat keiner der drei etwas gegessen.
Alle Teller weisen nach menschlichem Ermessen die exakten Liefermengen auf, sogar die Salatschüssel des Matrosenmützenmannes. An der eigenwilligen Speisekartenprosa, die „Ziegen uns Schaafs Käse“ anbietet und dafür sogar Geld verlangt, kann es nicht gelegen haben, denn dann hätten die Drei ja erst gar nicht bestellt.
Manche Rätsel lassen sich nur lösen, indem man jene befragt, die sein Geheimnis kennen. Wer das nicht tut, muss hinfort mit quälender Ungewissheit weiterleben.
Wie wir.
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