1. iTunes ist echt lustig: Es vertröstet mich bis nach der Verrentung. Madonnas aktuelles Album müsste doch eigentlich früher zu beschaffen sein.
2. „Ich empfehle Daniel Kehlmann unbedingt Intelligenz, Beobachtungsgabe und fabelhafte Dialoge“, wird Marcel Reich-Ranicki auf dem Cover des Buches „Die Vermessung der Welt“ zitiert. Ein harter Verriss, wie ich finde; den hätte man lieber verschweigen statt aufs Cover drucken sollen. Auch als Werbestrategie seltsam, ja gewagt, wenn nicht kontraproduktiv. Dann fällt mir auf, dass mein rechter Daumen, mit dessen Hilfe ich das Buch halte, ein Satzzeichen verdeckt: den Punkt hinter „unbedingt“ …
3. Neue Google-Suchabfragen, die zu meinem Blog führten:
– „die musik beim fc st. pauli wenn ein tor fällt heißt“ (Muhl, Rheinland-Pfalz) Das Orakel von Google weiß es auch nicht. Es versteht auch die Frage nicht. Aber ich. Die Antwort lautet: „Song 2“ von Blur.
– „nippelzwirbler“ (Eschborn, Hessen) Bin selbst Hesse. Kann das verstehen. Irgendwo.
– „klaus & klaus wir kommen alle in den himmel lyrics“ (Brockton, Massachusetts, USA) Die Suche nach dem Text dieses trostreichen Liedes aus deutscher Produktion ist eigentlich gar nicht skurril. Es sei denn, man wohnt in Brockton, Massachusetts.
Ex cathedra: Die Top 3 des Querbeetsamplers, den Gunnar mir heute verehrte
1. „Wo ist zu Hause Mama“ von Johnny Cash
2. „About her“ von Malcolm McLaren
3. „Cross the green mountain“ von Bob Dylan
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
14 März 2006
13 März 2006
Der dunkle Trieb
Für Fahrradkuriere sind die Seitenstraßen rund um die Reeperbahn zurzeit eine echte Herausforderung. In die Schneeschicht auf dem Asphalt haben sich tiefe Reifenspuren eingegraben. Nach kurzem Antauen in der Mittagssonne froren die Furchen und Muster wieder zu – zum bizarren, passagenweise beinharten Parcours, der nur noch von Snowboardern zu bewältigen wäre.
Heute morgen sah man also vom Balkon aus einen schnittigen Kurier sein Rad wackligen Schrittes über den vereisten Seilerstraßengehweg schieben. Er schafft sein Pensum zurzeit ebensowenig wie die Postboten. Und drüben auf dem Heiliggeistfeld bauen fluchende Vermummte bei Frost und Schnee den sogenannten Dom auf, einen bundesweit bekannten Rummel, der dreimal im Jahr stattfindet und buchstäblich Millionen von Alk- und Achterbahnfans in unser Viertel lockt. Der am Freitag startende heißt Frühlingsdom, wird aber wohl winterlicher aussehen als der im November/Dezember; und der nannte sich Weihnachtsdom. Werden also kurzerhand die Mandelbrennereien aus dem Urlaub zurückbeordert? Der Frühlingsdom ist ja normalerweise eine Matjesdomäne.
Und werden sich die Besucher wirklich in jene eiswindumtoste Höhe begeben, in die das wirklich riesige Riesenrad vorstößt? Komischerweise traue ich mich alljährlich in dieses archaische Gefährt hinein, obwohl ich unter Höhenangst leide und auch sonst jedem zentrifugenähnlichen Herumwirbler auf dem Dom so fern bleibe wie die Gans dem Fuchs. Im Riesenrad sacke ich zwar tief in mich zusammen, rutsche halb vom Brett, umklammere krampfig mit weißlich schimmernden Fingerknöcheln die Sitzbankkanten und denke unablässig „Ogottogott!“, doch aus irgendeinem Grund habe ich mich ja dort hineinbegeben, also muss eine gewisse rationale Entscheidungsfindung vorausgegangen sein.
Früher war Ms. Columbo die Taffe von uns beiden, die das schief grinsende Häufchen Elend gegenüber mit besänftigendem Lächeln auf die grunsätzliche Harmlosigkeit der Gesamtsituation hinwies. Doch sie spürte ja auch nicht die Sogkraft des Abgrunds. Der Akrophobiker fürchtet sich nicht vor der Tiefe an sich, sondern vor einem dunklen Trieb in ihm selber, der beschwörend flüstert: Steh auf, erklimme das Geländer – und spring! Gruselig.
Vielleicht waren viele Selbstmörder gar keine, sondern einfach willensschwache Menschen mit Höhenangst, die der hypnotischen Stimme des dunklen Triebes keinen Wunsch abschlagen konnten. Heutzutage klammert sich Ms. Columbo übrigens mit genauso weißlich schimmernden Fingerknöcheln ans lächerlich schmale Sitzbrett, und ihr Lächeln ist nicht mehr besänftigend, sondern verbissen und schief. Das hilft mir allerdings noch weniger.
So fahren wir alljährlich mit dem Riesenrad hinauf in den Himmel über St. Pauli (Foto), zwei schockstarre Gestalten im Sandwich der Gefühle – zwischen Panik und schöner Aussicht.
Nächste Woche soll es Frühling werden. Und wir werden aus irgendeinem Grund wieder für sechs Euro zwei Riesenradkarten lösen. Hoffentlich hat der dunkle Trieb dieses Jahr nicht plötzlich neue Tricks auf Lager.
Ex cathedra: Die Top 3 der Hymnen an den Frühling, verkündet von BJ Andreas
1. „ Springtime“ von Jonathan Richman
2. „I live in the springtime“ von The Lemon Drops
3. „Spring rain“ von Go-Betweens
Heute morgen sah man also vom Balkon aus einen schnittigen Kurier sein Rad wackligen Schrittes über den vereisten Seilerstraßengehweg schieben. Er schafft sein Pensum zurzeit ebensowenig wie die Postboten. Und drüben auf dem Heiliggeistfeld bauen fluchende Vermummte bei Frost und Schnee den sogenannten Dom auf, einen bundesweit bekannten Rummel, der dreimal im Jahr stattfindet und buchstäblich Millionen von Alk- und Achterbahnfans in unser Viertel lockt. Der am Freitag startende heißt Frühlingsdom, wird aber wohl winterlicher aussehen als der im November/Dezember; und der nannte sich Weihnachtsdom. Werden also kurzerhand die Mandelbrennereien aus dem Urlaub zurückbeordert? Der Frühlingsdom ist ja normalerweise eine Matjesdomäne.
Und werden sich die Besucher wirklich in jene eiswindumtoste Höhe begeben, in die das wirklich riesige Riesenrad vorstößt? Komischerweise traue ich mich alljährlich in dieses archaische Gefährt hinein, obwohl ich unter Höhenangst leide und auch sonst jedem zentrifugenähnlichen Herumwirbler auf dem Dom so fern bleibe wie die Gans dem Fuchs. Im Riesenrad sacke ich zwar tief in mich zusammen, rutsche halb vom Brett, umklammere krampfig mit weißlich schimmernden Fingerknöcheln die Sitzbankkanten und denke unablässig „Ogottogott!“, doch aus irgendeinem Grund habe ich mich ja dort hineinbegeben, also muss eine gewisse rationale Entscheidungsfindung vorausgegangen sein.
Früher war Ms. Columbo die Taffe von uns beiden, die das schief grinsende Häufchen Elend gegenüber mit besänftigendem Lächeln auf die grunsätzliche Harmlosigkeit der Gesamtsituation hinwies. Doch sie spürte ja auch nicht die Sogkraft des Abgrunds. Der Akrophobiker fürchtet sich nicht vor der Tiefe an sich, sondern vor einem dunklen Trieb in ihm selber, der beschwörend flüstert: Steh auf, erklimme das Geländer – und spring! Gruselig.
Vielleicht waren viele Selbstmörder gar keine, sondern einfach willensschwache Menschen mit Höhenangst, die der hypnotischen Stimme des dunklen Triebes keinen Wunsch abschlagen konnten. Heutzutage klammert sich Ms. Columbo übrigens mit genauso weißlich schimmernden Fingerknöcheln ans lächerlich schmale Sitzbrett, und ihr Lächeln ist nicht mehr besänftigend, sondern verbissen und schief. Das hilft mir allerdings noch weniger.
So fahren wir alljährlich mit dem Riesenrad hinauf in den Himmel über St. Pauli (Foto), zwei schockstarre Gestalten im Sandwich der Gefühle – zwischen Panik und schöner Aussicht.
Nächste Woche soll es Frühling werden. Und wir werden aus irgendeinem Grund wieder für sechs Euro zwei Riesenradkarten lösen. Hoffentlich hat der dunkle Trieb dieses Jahr nicht plötzlich neue Tricks auf Lager.
Ex cathedra: Die Top 3 der Hymnen an den Frühling, verkündet von BJ Andreas
1. „ Springtime“ von Jonathan Richman
2. „I live in the springtime“ von The Lemon Drops
3. „Spring rain“ von Go-Betweens
12 März 2006
Die Tabascowette
Die nostalgische Story von Frau Modeste über den Grillteller Akropolis erinnert mich an die Lieblingspizzeria meiner Jugendzeit. Sie stand im hessischen Dillenburg, gegenüber vom Bahnhof. Wir fuhren mit der Clique einmal die Woche hin. Für mich bedeutete der Besuch des Rialto zugleich die Einführung in die Welt des geschmolzenen Käses.
Zu Hause nämlich war dieses so vielseitig verwendbare Lebensmittel aufs Höchste verpönt und wurde mit allen Anzeichen des Ekels sogar verbal weitgehend tabuisiert. Käse hatte kalt zu sein, basta. So die Direktive meines Vaters. Gegen diese offenbar naturgegebene Tatsache wurde auch mütterlicherseits niemals verstoßen, so dass mein erster Pizzeriabesuch mich zugleich mit der verführerisch verbotenen Welt des erhitzten Milchproduktes konfrontierte, obgleich mein anerzogener Ekel nur peu a peu weichen wollte.
Bald aber bestellte ich meine Pizza mit doppelt Käse, und heute scheint es mir, als sei diese Ungeheuerlichkeit die erste allegorische Andeutung der sich nur wenig später anbahnenden offenen Rebellion gegen meinen Vater gewesen. Was mit warmem Käse begann, erfasste bald auch die Sphäre des politischen Diskurses („Solange du die Füße unter meinen Tisch streckst …!“) und endete in Kriegsdienstverweigerung, Anti-Strauß-Buttons, Kirchenaustritt und konfrontativ gemeintem Politikstudium in Marburg, wo ich Ms. Columbo kennenlernte – der Rest ist Geschichte.
Und alles nur wegen doppelt Käse auf der Pizza.
Eigentlich wollte ich aber eine ganz andere Rialto-Geschichte erzählen, nämlich die von der Tabascowette. Auf die Doppelschicht Käse kippten wir uns stets einen Hauch Tabasco, jenes teuflische Höllengebräu, das schon bei der geringsten Überdosierung mit deiner Mundschleimhaut etwas anstellt, für das „Halloween“-Killer Michael Myers noch ein Fleischermesser benötigte. Manche in der Clique gingen dennoch deutlich weiter und färbten die Pizzaoberfläche streifig rot.
Der Wagemutigste von uns war W., ein grobschlächtiger Sympath, der später ebenso vergnügt wie erfolgreich eine Metzgerlaufbahn einschlug. Irgendwer regte angesichts W.s beeindruckender Tabascodosis eine Wette an, die wir alle rasch und gerne unterstützten. Wenn er, W., in der Lage sei, so die durchaus sadistisch grundierte Offerte, ein randvolles Schnapsglas Tabasco zu trinken, dann werde ihn der Pizzaabend im Rialto keinen müden Pfennig kosten; die Zeche übernähmen wir.
W. war ein Mensch der Tat, was er noch oft in seinem Leben beweisen sollte, ob im Schlachtraum oder bei mancher Schulhofschlägerei. Allerdings geriet er nun ins Grübeln, was die Dimension der Herausforderung unterstrich. Doch dann ließ er sich entschlossen ein Schnapsglas bringen, und einer von uns übernahm das Befüllen desselben.
Angesichts der wohlweislichen Konstruktion einer Tabascoflasche – stets verlässt trotz heftigen Schüttelns nur ein kleiner definierter Strahl den Flaschenmund – geriet dies zu einer recht langwierigen Aufgabe. Doch irgendwann war es geschafft, das Glas war voll, und sein Anblick erfüllte uns mit Demut und Respekt. Ein Schauder durchfloss uns, doch wir überspielten den Ernst der Lage mit derben Scherzen auf W.s Kosten.
Der Proband indes zögerte nicht lange; er wusste instinktiv: Ein Ende mit Schrecken war weiterem Hadern und Zaudern unbedingt vorzuziehen. Er verfuhr nach einer bewährten Hamburger Methode, welche ich allerdings erst viele Jahre später so pointiert kennenlernen sollte: Nich lang schnacken, Kopp in’n Nacken.
Ich erinnere mich an unser atemloses Schweigen. Und daran, wie wir W. mit riesigen Augen anstarrten. Er sagte nichts. Er saß einfach da, vor sich das leere Glas, und keuchte unterdrückt. Wir starrten und sahen, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Aber er sagte nichts. Dann kroch es ihm rot ins Gesicht, glitzernder Schweiß rann ihm von der Stirn und tropfte auf die Tischdecke, direkt neben das leere Glas.
Sein Kopf begann auszusehen wie eine mutierte Gentomate. W. sagte noch immer nichts. Wahrscheinlich waren seine Stimmbänder gelähmt. Doch tief unter dieser rotglühenden, immer keuchender atmenden, schweißnassen, um Struktur und Halt kämpfenden Oberfläche, die wir mit offenen Mündern anglotzten, gloste schon sein Triumph, und wir spürten ihn alle.
W. hatte vorsorglich Wasser geordert, was er nun in sich hineinzuschütten begann (es hätte unbedingt etwas Milchiges sein müssen, doch das weiß ich erst heute), er bestellte flaschenweise nach und litt triumphierend eine ganze Weile, viel länger, als es nötig gewesen wäre.
So wurde W. an einem einzigen Abend zum Helden – ach was: zur Legende. Er war der Junge, der ein Glas Tabasco auf ex kippte und alles durchlitt und ertrug, was unweigerlich folgte. Er war der Junge, der ein Glas Tabasco auf ex kippte und schwieg. Einige Jahre später erwischte ihn eine Hirnhautentzündung, er schwebte tagelang zwischen Leben und Tod, doch er überstand auch das.
Keiner von uns folgte ihm je ins Tabascoland des Feuers und des Schmerzes, dessen Geheimnisse er allein geschaut hatte. Für mich war er eine Art Livingstone oder Amerigo Vespucci: einer, der tollkühn ins Unbekannte aufgebrochen war, um gereifter, weiser zurückzukehren in die Welt der Verzagten. In die Welt der Tabascotröpfler.
Und alles wegen einer Pizza mit doppelt Käse, für lau.
Ex cathedra: Die Top 3 der feurigsten Songs
1. „She's hot“ von The Rolling Stones
2. „Texas chili“ von Country Gentlemen
3. alles von den Red Hot Chili Peppers
Zu Hause nämlich war dieses so vielseitig verwendbare Lebensmittel aufs Höchste verpönt und wurde mit allen Anzeichen des Ekels sogar verbal weitgehend tabuisiert. Käse hatte kalt zu sein, basta. So die Direktive meines Vaters. Gegen diese offenbar naturgegebene Tatsache wurde auch mütterlicherseits niemals verstoßen, so dass mein erster Pizzeriabesuch mich zugleich mit der verführerisch verbotenen Welt des erhitzten Milchproduktes konfrontierte, obgleich mein anerzogener Ekel nur peu a peu weichen wollte.
Bald aber bestellte ich meine Pizza mit doppelt Käse, und heute scheint es mir, als sei diese Ungeheuerlichkeit die erste allegorische Andeutung der sich nur wenig später anbahnenden offenen Rebellion gegen meinen Vater gewesen. Was mit warmem Käse begann, erfasste bald auch die Sphäre des politischen Diskurses („Solange du die Füße unter meinen Tisch streckst …!“) und endete in Kriegsdienstverweigerung, Anti-Strauß-Buttons, Kirchenaustritt und konfrontativ gemeintem Politikstudium in Marburg, wo ich Ms. Columbo kennenlernte – der Rest ist Geschichte.
Und alles nur wegen doppelt Käse auf der Pizza.
Eigentlich wollte ich aber eine ganz andere Rialto-Geschichte erzählen, nämlich die von der Tabascowette. Auf die Doppelschicht Käse kippten wir uns stets einen Hauch Tabasco, jenes teuflische Höllengebräu, das schon bei der geringsten Überdosierung mit deiner Mundschleimhaut etwas anstellt, für das „Halloween“-Killer Michael Myers noch ein Fleischermesser benötigte. Manche in der Clique gingen dennoch deutlich weiter und färbten die Pizzaoberfläche streifig rot.
Der Wagemutigste von uns war W., ein grobschlächtiger Sympath, der später ebenso vergnügt wie erfolgreich eine Metzgerlaufbahn einschlug. Irgendwer regte angesichts W.s beeindruckender Tabascodosis eine Wette an, die wir alle rasch und gerne unterstützten. Wenn er, W., in der Lage sei, so die durchaus sadistisch grundierte Offerte, ein randvolles Schnapsglas Tabasco zu trinken, dann werde ihn der Pizzaabend im Rialto keinen müden Pfennig kosten; die Zeche übernähmen wir.
W. war ein Mensch der Tat, was er noch oft in seinem Leben beweisen sollte, ob im Schlachtraum oder bei mancher Schulhofschlägerei. Allerdings geriet er nun ins Grübeln, was die Dimension der Herausforderung unterstrich. Doch dann ließ er sich entschlossen ein Schnapsglas bringen, und einer von uns übernahm das Befüllen desselben.
Angesichts der wohlweislichen Konstruktion einer Tabascoflasche – stets verlässt trotz heftigen Schüttelns nur ein kleiner definierter Strahl den Flaschenmund – geriet dies zu einer recht langwierigen Aufgabe. Doch irgendwann war es geschafft, das Glas war voll, und sein Anblick erfüllte uns mit Demut und Respekt. Ein Schauder durchfloss uns, doch wir überspielten den Ernst der Lage mit derben Scherzen auf W.s Kosten.
Der Proband indes zögerte nicht lange; er wusste instinktiv: Ein Ende mit Schrecken war weiterem Hadern und Zaudern unbedingt vorzuziehen. Er verfuhr nach einer bewährten Hamburger Methode, welche ich allerdings erst viele Jahre später so pointiert kennenlernen sollte: Nich lang schnacken, Kopp in’n Nacken.
Ich erinnere mich an unser atemloses Schweigen. Und daran, wie wir W. mit riesigen Augen anstarrten. Er sagte nichts. Er saß einfach da, vor sich das leere Glas, und keuchte unterdrückt. Wir starrten und sahen, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Aber er sagte nichts. Dann kroch es ihm rot ins Gesicht, glitzernder Schweiß rann ihm von der Stirn und tropfte auf die Tischdecke, direkt neben das leere Glas.
Sein Kopf begann auszusehen wie eine mutierte Gentomate. W. sagte noch immer nichts. Wahrscheinlich waren seine Stimmbänder gelähmt. Doch tief unter dieser rotglühenden, immer keuchender atmenden, schweißnassen, um Struktur und Halt kämpfenden Oberfläche, die wir mit offenen Mündern anglotzten, gloste schon sein Triumph, und wir spürten ihn alle.
W. hatte vorsorglich Wasser geordert, was er nun in sich hineinzuschütten begann (es hätte unbedingt etwas Milchiges sein müssen, doch das weiß ich erst heute), er bestellte flaschenweise nach und litt triumphierend eine ganze Weile, viel länger, als es nötig gewesen wäre.
So wurde W. an einem einzigen Abend zum Helden – ach was: zur Legende. Er war der Junge, der ein Glas Tabasco auf ex kippte und alles durchlitt und ertrug, was unweigerlich folgte. Er war der Junge, der ein Glas Tabasco auf ex kippte und schwieg. Einige Jahre später erwischte ihn eine Hirnhautentzündung, er schwebte tagelang zwischen Leben und Tod, doch er überstand auch das.
Keiner von uns folgte ihm je ins Tabascoland des Feuers und des Schmerzes, dessen Geheimnisse er allein geschaut hatte. Für mich war er eine Art Livingstone oder Amerigo Vespucci: einer, der tollkühn ins Unbekannte aufgebrochen war, um gereifter, weiser zurückzukehren in die Welt der Verzagten. In die Welt der Tabascotröpfler.
Und alles wegen einer Pizza mit doppelt Käse, für lau.
Ex cathedra: Die Top 3 der feurigsten Songs
1. „She's hot“ von The Rolling Stones
2. „Texas chili“ von Country Gentlemen
3. alles von den Red Hot Chili Peppers
11 März 2006
10 März 2006
Der große Schnee
Der Kiez sieht aus, als wäre er zur idealen Disneyland-Winterlandschaft hergerichtet worden, und zwar von Michael Jackson als Artdirektor. Räumfahrzeuge haben es längst aufgegeben, die Reeperbahn zu räumen. Zwischen World of Sex und dem Schmidttheater gegenüber ist alles eine große weiße Fläche; sogar die gewaltige Baugrube, die einmal der Spielbudenplatz war, wird nivelliert vom Schnee.
Seit heute früh um 5 fällt er unablässig, wie mir eine glaubwürdige Augenzeugin – Renate vom Käseladen – mit Behagen berichtete. Und weil alles so harmonisch geweißt wurde im Lauf des Tages und des Abends, weil man nicht mehr sieht, wo der Gehweg aufhört und die Straße beginnt und es deshalb egal scheint, ob man nun an der Fußgängerampel oder irgendwo anders die Seite wechselt, stolpern die Touristen mitten auf der Reeperbahn herum und werden wütend angehupt von schneckenhaften Taxis.
Wie auf Kommando entschloss sich übrigens halb Hamburg, die jahrhundertwinterartige Wetterlage zu nutzen, um die Unfallstatistik ordentlich aufzumöbeln. Die Polizei zählte bis jetzt 300 Crashs. Wieso dieser Automatismus – schlechtes Wetter, viele Unfälle – immer wieder wirksam wird, ist vollkommen schleierhaft. Wenn die Welt dort draußen offensichtlich die wildeste Schnee- und Eisorgie seit anno dunnemals inszeniert, dann setze ich mich doch nicht ins Auto und rutsche mit Ansage in ein anderes. Nun: anscheinend doch.
Als ich heute Nachmittag nach Hause stapfe und am Burger King an der Ecke Reeperbahn und Davidstraße vorbeikomme, fällt mir das Interview mit Adam Green wieder ein, das ich heute bei Spiegel online las. Green sitzt, wie er sagt, liebend gern dort am Fenster, um den Prostituierten bei der Arbeit zuzuschauen, während er einen Burger mampft. Im Vorbeigehen habe ich reingeschielt, aber heute war er nicht da.
Es war auch noch zu früh; die Huren haben erst ab 8 Dienstbeginn. Und Green wäre eh nicht durchgekommen bis zum Kiez, bei dem Schnee.
Ex cathedra: Die Top 3 der Wintersongs
1. „Night shift“ von Bill Morrissey
2. „Snowin' on Raton“ von Townes van Zandt
3. „Winterlong“ von Neil Young
Seit heute früh um 5 fällt er unablässig, wie mir eine glaubwürdige Augenzeugin – Renate vom Käseladen – mit Behagen berichtete. Und weil alles so harmonisch geweißt wurde im Lauf des Tages und des Abends, weil man nicht mehr sieht, wo der Gehweg aufhört und die Straße beginnt und es deshalb egal scheint, ob man nun an der Fußgängerampel oder irgendwo anders die Seite wechselt, stolpern die Touristen mitten auf der Reeperbahn herum und werden wütend angehupt von schneckenhaften Taxis.
Wie auf Kommando entschloss sich übrigens halb Hamburg, die jahrhundertwinterartige Wetterlage zu nutzen, um die Unfallstatistik ordentlich aufzumöbeln. Die Polizei zählte bis jetzt 300 Crashs. Wieso dieser Automatismus – schlechtes Wetter, viele Unfälle – immer wieder wirksam wird, ist vollkommen schleierhaft. Wenn die Welt dort draußen offensichtlich die wildeste Schnee- und Eisorgie seit anno dunnemals inszeniert, dann setze ich mich doch nicht ins Auto und rutsche mit Ansage in ein anderes. Nun: anscheinend doch.
Als ich heute Nachmittag nach Hause stapfe und am Burger King an der Ecke Reeperbahn und Davidstraße vorbeikomme, fällt mir das Interview mit Adam Green wieder ein, das ich heute bei Spiegel online las. Green sitzt, wie er sagt, liebend gern dort am Fenster, um den Prostituierten bei der Arbeit zuzuschauen, während er einen Burger mampft. Im Vorbeigehen habe ich reingeschielt, aber heute war er nicht da.
Es war auch noch zu früh; die Huren haben erst ab 8 Dienstbeginn. Und Green wäre eh nicht durchgekommen bis zum Kiez, bei dem Schnee.
Ex cathedra: Die Top 3 der Wintersongs
1. „Night shift“ von Bill Morrissey
2. „Snowin' on Raton“ von Townes van Zandt
3. „Winterlong“ von Neil Young
09 März 2006
Der billige Hunni
Schau mal an: Plus online verkauft einen Hunderteuroschein für günstige 89 Euro (entdeckt via lawblog). Einen echten Hunni! Okay, der Versand kommt noch hinzu (3,95) – und sogar noch ein Stück Acryl. In das der Schein allerdings eingegossen ist.
Das scheint der einzige, wenngleich nicht unwesentliche Nachteil des Angebots zu sein. Mehrere beachtenswerte Aspekte ergeben sich aus dieser Offerte. Zum einen: Ganz offensichtlich verkauft Plus sein Produkt deutlich unter Einkaufspreis – und das ist wettbewerbswidrig. Was macht eigentlich die Gewerbeaufsicht so den ganzen Tag?
Zum anderen: Wäre man in der Lage, das Acryl abzukriegen, ohne den Hunderter auf nicht mehr gesellschaftsfähige Weise zu beschädigen, könnte man mit dem Schein einkaufen gehen, zum Beispiel bei Plus. Man könnte einen weiteren in Acryl eingegossenen Hunderter erwerben, erhielte zum zweitenmal 7,05 Euro zurück, hätte dann schon 14,10 Euro gutgemacht. Und so weiter. Leider ist das Ensemble auf 2000 Stück limitiert, was den Gesamtgewinn auf 14.100 Euro begrenzt. Aber immerhin!
Also: Wer hat eine Idee, wie man das Acryl abkriegt? Und auch wenn das (noch) nicht machbar ist: Man könnte den kompletten Bestand aufkaufen (Kosten: 185.900 Euro) und auf rasche Fortschritte bei der schonenden Entacrylisierung setzen.
Vielleicht bekommt man für dieses Geschäftsmodell sogar Überbrückungsgeld vom Arbeitsamt. Zumindest wüsste ich gern, wie die gucken, wenn man damit ankommt.
PS: Wie würde eigentlich Plus reagieren, wenn man einfach mit dem kompletten Acrylblock zur Kasse ginge und damit einen Kasten Astra kaufen wollte? Schließlich ist er ja echt, der billige Hunni. Auch wenn er kaum ohne rohe Gewalt in die Kasse passt.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Geld
1. „Money money money“ von Abba
2. „Brother can you spare me a dime“ von Bing Crosby
3. alles von Moneybrother
Das scheint der einzige, wenngleich nicht unwesentliche Nachteil des Angebots zu sein. Mehrere beachtenswerte Aspekte ergeben sich aus dieser Offerte. Zum einen: Ganz offensichtlich verkauft Plus sein Produkt deutlich unter Einkaufspreis – und das ist wettbewerbswidrig. Was macht eigentlich die Gewerbeaufsicht so den ganzen Tag?
Zum anderen: Wäre man in der Lage, das Acryl abzukriegen, ohne den Hunderter auf nicht mehr gesellschaftsfähige Weise zu beschädigen, könnte man mit dem Schein einkaufen gehen, zum Beispiel bei Plus. Man könnte einen weiteren in Acryl eingegossenen Hunderter erwerben, erhielte zum zweitenmal 7,05 Euro zurück, hätte dann schon 14,10 Euro gutgemacht. Und so weiter. Leider ist das Ensemble auf 2000 Stück limitiert, was den Gesamtgewinn auf 14.100 Euro begrenzt. Aber immerhin!
Also: Wer hat eine Idee, wie man das Acryl abkriegt? Und auch wenn das (noch) nicht machbar ist: Man könnte den kompletten Bestand aufkaufen (Kosten: 185.900 Euro) und auf rasche Fortschritte bei der schonenden Entacrylisierung setzen.
Vielleicht bekommt man für dieses Geschäftsmodell sogar Überbrückungsgeld vom Arbeitsamt. Zumindest wüsste ich gern, wie die gucken, wenn man damit ankommt.
PS: Wie würde eigentlich Plus reagieren, wenn man einfach mit dem kompletten Acrylblock zur Kasse ginge und damit einen Kasten Astra kaufen wollte? Schließlich ist er ja echt, der billige Hunni. Auch wenn er kaum ohne rohe Gewalt in die Kasse passt.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Geld
1. „Money money money“ von Abba
2. „Brother can you spare me a dime“ von Bing Crosby
3. alles von Moneybrother
08 März 2006
Der iPope
Mitarbeiter von Radio Vatikan haben Papst Benedikt XVI einen iPod geschenkt. Allerdings knauserten sie und beließen es bei einem Nano mit nur zwei Gigabyte Speicher. Womit ich de facto 20-mal so viele Songs auf mein iPod-Modell packen kann wie der Papst. Das macht mich schon ein wenig stolz.
Wie der oben zitierten Meldung zu entnehmen war, bestückten die Papstbeschenker das Gerät mit recht frugalem Inhalt, nämlich (sicherlich öden) Sendungen besagter Radiostation sowie klassischer Musik; immerhin sollen sich darunter auch Werke des recht sinnenfrohen Wolfgang Amadeus Mozart befunden haben.
Ließe man mich hingegen ran an den päpstlichen Nano, würde ich eine Playlist erwägen, die nicht schlicht affirmativ bestätigte, was Benedikt eh schon denkt, fühlt und glaubt. Nein, die Auswahl müsste einer Maßgabe folgen, die auf An- und Aufregung setzt, die verkrustete Denkmuster hinterfragt und -treibt, die verblüffende Neudeutungen des Immerschongeglaubten ermöglicht.
Kurz: eine Playlist, die letztlich dazu geeignet wäre, aus Papst Benedikt XVI einen Menschen zu formen, der anders in die Welt hineinblickte als bisher – am besten sardonischen Blicks und wild entschlossen, in der Sahelzone eine Kondomfabrik zu gründen, mit sich selbst als Produkttester. Eine Playlist also, die ihm den Muff von 2000 Jahren aus dem Talar bliese.
Folgende Topten, sehr lose orientiert an den Zehn Geboten, würde ich anregen. Und ich wäre bereit, sie ihm jederzeit aufzuspielen, vielleicht mit Hilfe der technisch offenbar versierten Leute vom Vatikanradio. Es fängt soft an und wird immer heißer:
10. Imagine von John Lennon
9. Losing my religion von R.E.M.
8. Lie to me von Chris Isaak
7. Don't go home with your hard-on von Leonard Cohen
6. Fuck forever von Babyshambles
5. Das Kondom des Grauens von LuciLectric
4. Hells bells von AC/DC
3. Sympathy for the devil von The Rolling Stones
2. Steh doch auf, du armer Hund von Hannes Wader
1. God von John Lennon
Ach ja: Die dritte Mail, die den St.-Pauli-Bezug des heutigen Beitrags richtig benennt, gewinnt einen Matt’schen CD-Sampler. Aber keinen mit den obengenannten Stücken. Das wäre zu einfach.
Wie der oben zitierten Meldung zu entnehmen war, bestückten die Papstbeschenker das Gerät mit recht frugalem Inhalt, nämlich (sicherlich öden) Sendungen besagter Radiostation sowie klassischer Musik; immerhin sollen sich darunter auch Werke des recht sinnenfrohen Wolfgang Amadeus Mozart befunden haben.
Ließe man mich hingegen ran an den päpstlichen Nano, würde ich eine Playlist erwägen, die nicht schlicht affirmativ bestätigte, was Benedikt eh schon denkt, fühlt und glaubt. Nein, die Auswahl müsste einer Maßgabe folgen, die auf An- und Aufregung setzt, die verkrustete Denkmuster hinterfragt und -treibt, die verblüffende Neudeutungen des Immerschongeglaubten ermöglicht.
Kurz: eine Playlist, die letztlich dazu geeignet wäre, aus Papst Benedikt XVI einen Menschen zu formen, der anders in die Welt hineinblickte als bisher – am besten sardonischen Blicks und wild entschlossen, in der Sahelzone eine Kondomfabrik zu gründen, mit sich selbst als Produkttester. Eine Playlist also, die ihm den Muff von 2000 Jahren aus dem Talar bliese.
Folgende Topten, sehr lose orientiert an den Zehn Geboten, würde ich anregen. Und ich wäre bereit, sie ihm jederzeit aufzuspielen, vielleicht mit Hilfe der technisch offenbar versierten Leute vom Vatikanradio. Es fängt soft an und wird immer heißer:
10. Imagine von John Lennon
9. Losing my religion von R.E.M.
8. Lie to me von Chris Isaak
7. Don't go home with your hard-on von Leonard Cohen
6. Fuck forever von Babyshambles
5. Das Kondom des Grauens von LuciLectric
4. Hells bells von AC/DC
3. Sympathy for the devil von The Rolling Stones
2. Steh doch auf, du armer Hund von Hannes Wader
1. God von John Lennon
Ach ja: Die dritte Mail, die den St.-Pauli-Bezug des heutigen Beitrags richtig benennt, gewinnt einen Matt’schen CD-Sampler. Aber keinen mit den obengenannten Stücken. Das wäre zu einfach.
07 März 2006
Die Fundstücke des Tages (10)
1. Manche Fehlermeldungen haben etwas Philosophisches. Sie scheinen etwas verraten zu wollen über das Universum und das Wesen der Zeit, über Ewigkeit und Vergänglichkeit. Ich verstehe sie trotzdem nicht.
2. Neue Google-Suchabfragen, die zu meinem Blog führten:
– „ich war einmal eine forelle“ (via AOL) Diese Abfrage scheint auf Reinkarnationsgläubigkeit hinzudeuten. Nun sucht der Exfisch offenbar Menschen mit ähnlicher Vergangenheit. Um worüber zu sprechen – dass man Würmer mit Leinen dran beim nächsten Mal besser meiden soll? Bizarr.
– „schalke spielt gegen mailand, krasniqi will schmelings nachfolger werden, und was mache ich?“ (Coburg, Bayern) Eine höchst unheimliche Suchabfrage. Denn dieser Satz stand ganz genauso in meinem Eintrag vom 29. September, und natürlich erhielt der unheimliche Googler worldwidewebweit nur diesen einen Treffer … Bin baff.
3. Im Fitnessclub traute ich meinen Ohren nicht. Plötzlich erklang einer meiner Lieblingssongs und – wenn man das sagen kann – eine der schönsten Kompositionen überhaupt: Tim Buckleys „Song to the Siren“. An sich wäre das ein erfreuliches Faktum gewesen. Doch es war nicht die Fassung von Tim Buckley, sondern eine Blümchentechnoversion samt Hupfdohlengekiekse von irgendeinem ehrlosen Produzenten. Raubkopier sind Verbrecher? Dass ich nicht lache.
Ex cathedra: Die Top 3 der depressiven Songs nach joshuatrees Gusto
1. „Raining in Baltimore“ von Counting Crows
2. „Looks like Spencer Tracy now“ von Deacon Blue
3. „Floating world“ von King Swamp
2. Neue Google-Suchabfragen, die zu meinem Blog führten:
– „ich war einmal eine forelle“ (via AOL) Diese Abfrage scheint auf Reinkarnationsgläubigkeit hinzudeuten. Nun sucht der Exfisch offenbar Menschen mit ähnlicher Vergangenheit. Um worüber zu sprechen – dass man Würmer mit Leinen dran beim nächsten Mal besser meiden soll? Bizarr.
– „schalke spielt gegen mailand, krasniqi will schmelings nachfolger werden, und was mache ich?“ (Coburg, Bayern) Eine höchst unheimliche Suchabfrage. Denn dieser Satz stand ganz genauso in meinem Eintrag vom 29. September, und natürlich erhielt der unheimliche Googler worldwidewebweit nur diesen einen Treffer … Bin baff.
3. Im Fitnessclub traute ich meinen Ohren nicht. Plötzlich erklang einer meiner Lieblingssongs und – wenn man das sagen kann – eine der schönsten Kompositionen überhaupt: Tim Buckleys „Song to the Siren“. An sich wäre das ein erfreuliches Faktum gewesen. Doch es war nicht die Fassung von Tim Buckley, sondern eine Blümchentechnoversion samt Hupfdohlengekiekse von irgendeinem ehrlosen Produzenten. Raubkopier sind Verbrecher? Dass ich nicht lache.
Ex cathedra: Die Top 3 der depressiven Songs nach joshuatrees Gusto
1. „Raining in Baltimore“ von Counting Crows
2. „Looks like Spencer Tracy now“ von Deacon Blue
3. „Floating world“ von King Swamp
06 März 2006
Die Leiche im Innenhof
In der Regel ist das Leben auf St. Pauli auch nicht sonderlich anders als in – sagen wir – Bad Salzuflen. Mal abgesehen von der flächendeckenden Versorgung mit Sexkinos. Daran schlurft man als St. Paulianer gemeinhin gleichmütig vorbei – auf dem Weg zum ganz normalen Bäcker, Friseur, Gemüseladen oder Copyshop.
Von den Besonderheiten St. Paulis, den Ludenkriegen und Testosteroneruptionen, liest man immer nur in der Zeitung. Dabei haben wir hier die meisten Gewaltdelikte Hamburgs, meist Geprügel und Messerfuchteleien im Vollsuff. Wahrscheinlich sind wir damit sogar deutschlandweit vorn. Na ja, wenigstens in einer Disziplin; man nimmt ja jeden Rekord mit, in diesen Zeiten.
So waren wir eines Morgens im August 2000 auch wenig erstaunt, als wir die hassgeliebte Mopo aufschlugen. Ein kleiner Artikel informierte über einen Leichenfund in einem Innenhof.
Das Besondere daran: Es war unser Innenhof.
Der hintere Balkon war abgerissen und erneuert worden; am Fuß der Konstruktion, die bis zum Boden reichte, waren die Bauarbeiter auf ein skelettiertes Mordopfer gestoßen, das dort, wie sich bald herausstellte, seit 23 Jahren in der Erde gelegen hatte. Der mutmaßliche Mörder wäre, hätte er nicht selbst längst unbelangt das Zeitliche gesegnet, ein Nachbar von uns gewesen, ebenso wie das Opfer.
Doch wie gesagt: Von so etwas liest man immer nur in der Zeitung. Und so war es auch im August 2000: Wir hatten von der grausigen Entdeckung unserer Bauarbeiter schlicht nichts mitbekommen.
Man blickt übrigens anders vom Balkon seither. Wir benutzen ihn eigentlich kaum noch.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Todesfälle
1. „Tom Dooley“ vom Kingston Trio
2. „Delia’s gone“ von Johnny Cash
3. „Ode to Billy Joe“ von Bobbie Gentry
Von den Besonderheiten St. Paulis, den Ludenkriegen und Testosteroneruptionen, liest man immer nur in der Zeitung. Dabei haben wir hier die meisten Gewaltdelikte Hamburgs, meist Geprügel und Messerfuchteleien im Vollsuff. Wahrscheinlich sind wir damit sogar deutschlandweit vorn. Na ja, wenigstens in einer Disziplin; man nimmt ja jeden Rekord mit, in diesen Zeiten.
So waren wir eines Morgens im August 2000 auch wenig erstaunt, als wir die hassgeliebte Mopo aufschlugen. Ein kleiner Artikel informierte über einen Leichenfund in einem Innenhof.
Das Besondere daran: Es war unser Innenhof.
Der hintere Balkon war abgerissen und erneuert worden; am Fuß der Konstruktion, die bis zum Boden reichte, waren die Bauarbeiter auf ein skelettiertes Mordopfer gestoßen, das dort, wie sich bald herausstellte, seit 23 Jahren in der Erde gelegen hatte. Der mutmaßliche Mörder wäre, hätte er nicht selbst längst unbelangt das Zeitliche gesegnet, ein Nachbar von uns gewesen, ebenso wie das Opfer.
Doch wie gesagt: Von so etwas liest man immer nur in der Zeitung. Und so war es auch im August 2000: Wir hatten von der grausigen Entdeckung unserer Bauarbeiter schlicht nichts mitbekommen.
Man blickt übrigens anders vom Balkon seither. Wir benutzen ihn eigentlich kaum noch.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Todesfälle
1. „Tom Dooley“ vom Kingston Trio
2. „Delia’s gone“ von Johnny Cash
3. „Ode to Billy Joe“ von Bobbie Gentry
05 März 2006
Auf Rügen zwischen Baum und Borke
Zwar leben wir auf dem Kiez, und das ist auch schön und gut, doch manchmal müssen selbst wir der heimeligen Gesellschaft der Bordelle und Bordsteinschwalben, der Luden, Freaks und bayerischen Kegelvereine entsagen. Vom Urlaub auf Sardinien berichete ich ja bereits mehrfach, nämlich hier und da; doch nicht immer zieht es uns weit in die Ferne. Denn das Gute liegt so nah.
Als Beispiel für diese These möchte ich das auf immer und ewig „neue“ Bundesland Mecklenburg-Vorpommern anführen. Dort gibt es viel flaches Land sowie die kaum weniger flache Ostsee, und weil die schöne Insel Rügen zurzeit aus wenig schönen Gründen im Gespräch ist, möchte ich mit einem kleinen Reiserückblick an jene selige Zeit erinnern, als dort weder Menschen vor den Vögeln zittern mussten noch umgekehrt.
In jener Zeit waren keine toten Schwäne, sondern Schlaglöcher das große Ding. Wenn ich mal Millionär werden will, denke ich von Zeit zu Zeit immer noch versonnnen, dann verkaufe ich Stoßdämpfer auf Rügen. Ein todsicheres Geschäft, sofern es gelänge, eine Stammkundschaft zu gewinnen. Doch genau das ist die Schwierigkeit. Der gemeine Meckpommer hat nämlich die kürzeste Lebenswerwartung in der ganzen vereinigten Republik. Warum? Aus mehreren Gründen.
Zum einen säuft er wie ein Rügener Schlagloch; mit der guten alten Leberzirrhose steht der Meckpommer zeitlebens auf du und du. Darüberhinaus hat er weitere Techniken entwickelt, um seine Zeit hienieden zielgerichtet zu begrenzen. Dabei spielen Automobile als Hilfsmittel eine wichtige Rolle. Gerne misst der Insulaner zum Beispiel die Kräfte seines BMW mit jenen der wunderschönen Alleebäume, wobei ihm die sichtbaren Ergebnisse bisheriger Wettkämpfe dieser Art (nämlich je ein Kreuz mit Blumengebinde vor einem Baum mit Borkenschaden) nicht im mindesten vom Glauben abbringen, er werde der erste sein in der ruhmarmen Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns, der diesen Tort gewänne.
Während seiner knapp bemessenen Zeit auf der Rügener Krume kümmert sich der Bewohner derselben also vor allem um dreierlei: das Verhindern von Straßenbauarbeiten, das Zusammennageln eines Kreuzes für Kumpel Perry (das Gebinde steckt die Verlobte) sowie das Erfinden allerwunderlichster Wörter. So begegneten uns auf Schritt und Tritt so skurrile Gesellen wie „Herrenhalbarmhemden“, „Fusselrasierer“, „Pachttoilette“ und „Superstimmungstag“. Wer nach all diesen inseltypischen Tätigkeiten noch Kapazitäten übrig hat, stellt sich an die Ostsee und wirft Angeln aus, ohne je etwas zu fangen, zumindest in meinem Beisein nicht.
Der Rügener ist also enorm ausgelastet, so dass er es natürlich nicht schaffen kann, auch noch tote Schwäne vom Strand zu klauben. Wobei damals, als wir dort waren, überhaupt keine Schwäne zu sehen waren, nicht mal lebendige.
Wer nun aber denkt, den Meckpommer bekümmerte sein statistisch kurzes Leben und all die anderen Umstände, die ihm das Inselleben vermiesen, der täuscht sich. Solange er seine Pulle knuddeln und mit dem Nachfolger von Kumpel Perry anstoßen kann, solange geht’s ihm prächtig. Außerdem bleibt ihm ja noch die Vorfreude auf anständige Schlaglöcher nachher auf der Heimfahrt, die er unbeschwert von Fischmorden und kräftig bedüdelt antritt. Oftmals entwickelt der Rügener, während er so durch die Alleen bollert, spontan die Idee, mal anzutesten, wer stärker ist, BMW oder Baum. Ergebnis: ein Kreuz mit Blumengebinde plus Borkenschaden – und ein Kunde weniger, der mich als Stoßdämpfermagnaten zum Millionär machen könnte.
Erstaunlicherweise schaffen es übrigens einige Inselbewohner dennoch bis zur wohlverdienten Zirrhose. Aber das soll ja auch auf dem Kiez vorkommen, wohin wir damals erleichtert, aber um viele Erfahrungen reicher zurückkehrten. Das Foto zeigt übrigens keine strandbummelnden Rügener, sondern Usedomer, weil ich auf Rügen keine Kamera dabeihatte, aber auf Usedom.
Wie man sieht, steht Mecklenburg-Vorpommern immer wieder auf unserem Reiseprogramm. Obwohl es uns beim Millionärwerden wahrscheinlich doch nicht entscheidend helfen kann.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs für den Strand
1. „On the beach“ von Neil Young
2. „Surfin’ USA“ von The Beach Boys
3. „Rockaway beach“ von The Ramones
Als Beispiel für diese These möchte ich das auf immer und ewig „neue“ Bundesland Mecklenburg-Vorpommern anführen. Dort gibt es viel flaches Land sowie die kaum weniger flache Ostsee, und weil die schöne Insel Rügen zurzeit aus wenig schönen Gründen im Gespräch ist, möchte ich mit einem kleinen Reiserückblick an jene selige Zeit erinnern, als dort weder Menschen vor den Vögeln zittern mussten noch umgekehrt.
In jener Zeit waren keine toten Schwäne, sondern Schlaglöcher das große Ding. Wenn ich mal Millionär werden will, denke ich von Zeit zu Zeit immer noch versonnnen, dann verkaufe ich Stoßdämpfer auf Rügen. Ein todsicheres Geschäft, sofern es gelänge, eine Stammkundschaft zu gewinnen. Doch genau das ist die Schwierigkeit. Der gemeine Meckpommer hat nämlich die kürzeste Lebenswerwartung in der ganzen vereinigten Republik. Warum? Aus mehreren Gründen.
Zum einen säuft er wie ein Rügener Schlagloch; mit der guten alten Leberzirrhose steht der Meckpommer zeitlebens auf du und du. Darüberhinaus hat er weitere Techniken entwickelt, um seine Zeit hienieden zielgerichtet zu begrenzen. Dabei spielen Automobile als Hilfsmittel eine wichtige Rolle. Gerne misst der Insulaner zum Beispiel die Kräfte seines BMW mit jenen der wunderschönen Alleebäume, wobei ihm die sichtbaren Ergebnisse bisheriger Wettkämpfe dieser Art (nämlich je ein Kreuz mit Blumengebinde vor einem Baum mit Borkenschaden) nicht im mindesten vom Glauben abbringen, er werde der erste sein in der ruhmarmen Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns, der diesen Tort gewänne.
Während seiner knapp bemessenen Zeit auf der Rügener Krume kümmert sich der Bewohner derselben also vor allem um dreierlei: das Verhindern von Straßenbauarbeiten, das Zusammennageln eines Kreuzes für Kumpel Perry (das Gebinde steckt die Verlobte) sowie das Erfinden allerwunderlichster Wörter. So begegneten uns auf Schritt und Tritt so skurrile Gesellen wie „Herrenhalbarmhemden“, „Fusselrasierer“, „Pachttoilette“ und „Superstimmungstag“. Wer nach all diesen inseltypischen Tätigkeiten noch Kapazitäten übrig hat, stellt sich an die Ostsee und wirft Angeln aus, ohne je etwas zu fangen, zumindest in meinem Beisein nicht.
Der Rügener ist also enorm ausgelastet, so dass er es natürlich nicht schaffen kann, auch noch tote Schwäne vom Strand zu klauben. Wobei damals, als wir dort waren, überhaupt keine Schwäne zu sehen waren, nicht mal lebendige.
Wer nun aber denkt, den Meckpommer bekümmerte sein statistisch kurzes Leben und all die anderen Umstände, die ihm das Inselleben vermiesen, der täuscht sich. Solange er seine Pulle knuddeln und mit dem Nachfolger von Kumpel Perry anstoßen kann, solange geht’s ihm prächtig. Außerdem bleibt ihm ja noch die Vorfreude auf anständige Schlaglöcher nachher auf der Heimfahrt, die er unbeschwert von Fischmorden und kräftig bedüdelt antritt. Oftmals entwickelt der Rügener, während er so durch die Alleen bollert, spontan die Idee, mal anzutesten, wer stärker ist, BMW oder Baum. Ergebnis: ein Kreuz mit Blumengebinde plus Borkenschaden – und ein Kunde weniger, der mich als Stoßdämpfermagnaten zum Millionär machen könnte.
Erstaunlicherweise schaffen es übrigens einige Inselbewohner dennoch bis zur wohlverdienten Zirrhose. Aber das soll ja auch auf dem Kiez vorkommen, wohin wir damals erleichtert, aber um viele Erfahrungen reicher zurückkehrten. Das Foto zeigt übrigens keine strandbummelnden Rügener, sondern Usedomer, weil ich auf Rügen keine Kamera dabeihatte, aber auf Usedom.
Wie man sieht, steht Mecklenburg-Vorpommern immer wieder auf unserem Reiseprogramm. Obwohl es uns beim Millionärwerden wahrscheinlich doch nicht entscheidend helfen kann.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs für den Strand
1. „On the beach“ von Neil Young
2. „Surfin’ USA“ von The Beach Boys
3. „Rockaway beach“ von The Ramones
Der Kunde ist nölig
Allsamstäglich ärgere ich mich über den Kiosk „Zafer Call Shop“ in der Clemens-Schulz-Straße. Trotzdem mache ich dort immer wieder Halt, um eine Morgenpost zu kaufen. Beides muss man mir unbedingt ankreiden: das Kaufen der Mopo, einer SPD-nahen Boulevardzeitung, deren inhaltliche und orthografische Fehlerquote so hoch ist wie die Regenneigung während eines Wirbelsturms; und das Aufsuchen von Zafers Call Shop, dessen Servicefreudigkeit so ausgeprägt ist wie Stoibers Liebe zu Berlin.
Trotzdem tauche ich dort immer wieder auf. Warum? Wahrscheinlich, weil der Laden so bequem auf dem Weg liegt und sporadisch aufflackernde Inkonsequenz zu meinen größten Schwächen gehört. Wenn ich samstags mit Frühstücksausstattung von Edeka zurückkehre, kann ich das Fahrrad an die Hauswand neben der Eingangstür lehnen, die Ladentür öffnen, sofort vorm Tresen stehen, aus unerfindlichen Gründen eine Mopo ordern – und ernte dafür beim Menschen hinter der Theke (Zafer?) nie das kleinste Fitzelchen Interesse.
Er ist stets mit Unaufschiebbarem beschäftigt. Zum Beispiel mit einem Telefonat, welches zu unterbrechen oder gar zu beenden ihm so absurd vorkommen muss wie Benedikt XVI eine Lobpreisung der Condomerie am Spielbudenplatz (Foto). Oder Zafer widmet sich mit der Aufmerksamkeit eines Examensprobanden einem fesselnden Computerspiel oder der Lektüre von Hürriyet. Ein Aufblicken, womit ja gleichsam eine Existenzbestätigung des verloren vorm Tresen herumstehenden Kunden verbunden wäre: nicht drin. Nie.
Ich gehe also, wo ich schon mal da bin, stets so vor: Eine Mopo vom Stapel nehmen und die Hand mit dem 50-Cent-Stück so weit über den Tresen schieben, dass sie in sein Sichtfeld gerät. Mit deutlichen Anzeichen des Ungehaltenseins – doch ohne den Blick von Hürriyet oder „Grand Theft Auto 4: Vice City“ zu wenden – greift er danach, tastet nach der Münze und murmelt etwas, das mit viel gutem Willen als Dankesbekundung deutbar ist.
Eine Verschärfung der Lage tritt ein, wenn ich zu meinen eigenen großen Ärger kein passendes Kleingeld dabeihabe und der Mann rausgeben muss. Er starrt weiter auf das Unterhaltungsmedium seiner Wahl, friemelt hinter sich in der Kasse herum, blickt für einen Sekundenbruchteil hinein, ruckt wieder herum, weil auf dem Bildschirm oder in der Hürriyet ja etwas Weltbewegendes passiert sein könnte, und drückt mir das Wechselgeld in die Hand.
Alle geschilderten Varianten führen regelmäßig dazu, dass ich kochend abziehe. Ich könnte mich ohrfeigen für den Automatismus meines freundlichen Abschiedsgrußes und schwöre mir innerlich, nie mehr hinzugehen. Nie mehr! Heute morgen war ich wieder da. Aber Zafer nicht. Der Laden war leer. Auf dem Bildschirm kein Computerspiel, sondern eine Warenliste. Eine von der Einkerbung des Aschenbechers in der Schwebe gehaltene und erst zu einem Viertel abgebrannte Zigarette genoss qualmend ihre seltene Ungestörtheit. Hinter dem Tresen sah ich die Kasse. Sie stand offen.
„Hallo?“ rief ich nach einer kleinen Anstandsweile, um niemanden allzusehr beim dringlichsten aller Geschäfte zu stören. Keine Reaktion. „Jemand da?“ rief ich lauter. Stille. Hm. An Kleingeld hatte ich drei 20-Cent-Stücke dabei. Einfach auf den Tresen legen, eine Mopo nehmen und gehen? Und Zafer zehn Cent mehr dalassen, als er verdient hätte? Aber für was? Für seinen überragenden Service an jedem verdammten Samstag? Pah.
Plötzlich öffnet sich die Tür, ein weiterer Kunde betritt den Laden. Und direkt hinter ihm stürzt Zafer herein. Er entschuldigt sich, sein Blick streift mich, ich beschließe, mich mitgemeint zu fühlen. „Eine Mopo“, sage ich aus unerfindlichen Gründen und halte ihm die drei Zwanzigerstücke hin. Er huscht um den Tresen, greift in die offene Kasse und händigt mir eine Zehnermünze aus.
Ich gehe. Und bin wahrscheinlich nächstes Wochenende wieder da. Aber warum?
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, in den Printmedien vorkommen
1. „A day in the life“ von The Beatles
2. „The cover of the Rolling Stone“ von Dr. Hook & The Medicine Show
3. „Wild west end“ von Dire Straits
Trotzdem tauche ich dort immer wieder auf. Warum? Wahrscheinlich, weil der Laden so bequem auf dem Weg liegt und sporadisch aufflackernde Inkonsequenz zu meinen größten Schwächen gehört. Wenn ich samstags mit Frühstücksausstattung von Edeka zurückkehre, kann ich das Fahrrad an die Hauswand neben der Eingangstür lehnen, die Ladentür öffnen, sofort vorm Tresen stehen, aus unerfindlichen Gründen eine Mopo ordern – und ernte dafür beim Menschen hinter der Theke (Zafer?) nie das kleinste Fitzelchen Interesse.
Er ist stets mit Unaufschiebbarem beschäftigt. Zum Beispiel mit einem Telefonat, welches zu unterbrechen oder gar zu beenden ihm so absurd vorkommen muss wie Benedikt XVI eine Lobpreisung der Condomerie am Spielbudenplatz (Foto). Oder Zafer widmet sich mit der Aufmerksamkeit eines Examensprobanden einem fesselnden Computerspiel oder der Lektüre von Hürriyet. Ein Aufblicken, womit ja gleichsam eine Existenzbestätigung des verloren vorm Tresen herumstehenden Kunden verbunden wäre: nicht drin. Nie.
Ich gehe also, wo ich schon mal da bin, stets so vor: Eine Mopo vom Stapel nehmen und die Hand mit dem 50-Cent-Stück so weit über den Tresen schieben, dass sie in sein Sichtfeld gerät. Mit deutlichen Anzeichen des Ungehaltenseins – doch ohne den Blick von Hürriyet oder „Grand Theft Auto 4: Vice City“ zu wenden – greift er danach, tastet nach der Münze und murmelt etwas, das mit viel gutem Willen als Dankesbekundung deutbar ist.
Eine Verschärfung der Lage tritt ein, wenn ich zu meinen eigenen großen Ärger kein passendes Kleingeld dabeihabe und der Mann rausgeben muss. Er starrt weiter auf das Unterhaltungsmedium seiner Wahl, friemelt hinter sich in der Kasse herum, blickt für einen Sekundenbruchteil hinein, ruckt wieder herum, weil auf dem Bildschirm oder in der Hürriyet ja etwas Weltbewegendes passiert sein könnte, und drückt mir das Wechselgeld in die Hand.
Alle geschilderten Varianten führen regelmäßig dazu, dass ich kochend abziehe. Ich könnte mich ohrfeigen für den Automatismus meines freundlichen Abschiedsgrußes und schwöre mir innerlich, nie mehr hinzugehen. Nie mehr! Heute morgen war ich wieder da. Aber Zafer nicht. Der Laden war leer. Auf dem Bildschirm kein Computerspiel, sondern eine Warenliste. Eine von der Einkerbung des Aschenbechers in der Schwebe gehaltene und erst zu einem Viertel abgebrannte Zigarette genoss qualmend ihre seltene Ungestörtheit. Hinter dem Tresen sah ich die Kasse. Sie stand offen.
„Hallo?“ rief ich nach einer kleinen Anstandsweile, um niemanden allzusehr beim dringlichsten aller Geschäfte zu stören. Keine Reaktion. „Jemand da?“ rief ich lauter. Stille. Hm. An Kleingeld hatte ich drei 20-Cent-Stücke dabei. Einfach auf den Tresen legen, eine Mopo nehmen und gehen? Und Zafer zehn Cent mehr dalassen, als er verdient hätte? Aber für was? Für seinen überragenden Service an jedem verdammten Samstag? Pah.
Plötzlich öffnet sich die Tür, ein weiterer Kunde betritt den Laden. Und direkt hinter ihm stürzt Zafer herein. Er entschuldigt sich, sein Blick streift mich, ich beschließe, mich mitgemeint zu fühlen. „Eine Mopo“, sage ich aus unerfindlichen Gründen und halte ihm die drei Zwanzigerstücke hin. Er huscht um den Tresen, greift in die offene Kasse und händigt mir eine Zehnermünze aus.
Ich gehe. Und bin wahrscheinlich nächstes Wochenende wieder da. Aber warum?
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, in den Printmedien vorkommen
1. „A day in the life“ von The Beatles
2. „The cover of the Rolling Stone“ von Dr. Hook & The Medicine Show
3. „Wild west end“ von Dire Straits
03 März 2006
Die Fundstücke des Tages (9)
1. Das neue Preisrätsel. Die dritte Mail, die mir sagt, in welchem öffentlichen Gebäude ich diese spacige Wandlampe entdeckt habe, gewinnt einen liebevoll zusammengestellten CD-Sampler. Und welche Folgen so ein Unikat auf die soziale Kompetenz des Gewinners haben kann, beweist gerade der altruistische Kiezpiratenopa.
2. Es ist schon frustrierend: Die meisten Googler landen zurzeit auf meiner Seite, weil sie den Suchbegriff rache an der ex oder Abwandlungen davon eingeben. Dabei habe ich noch nie ein solches Sujet behandelt und gedenke dies auch künftig nicht zu tun. Diese fehlgeleiteten Googler wissen offenbar wenig über Suchterminologie. Wenn sie wirklich exakt diese Wortkombination finden wollten, müssten sie Anführungsstriche drumherum platzieren. Natürlich kommen in meinem Blog irgendwo, irgendwann die vier Worte „rache“, „an“, „der“ und „ex“ mal vor, aber niemals gemeinsam in Reih und Glied. Leute, die sich wirklich ernsthaft für Racheakte an früheren Lebensabschnittspartnern interessieren, vielleicht sogar zunehmend verzweifelt nach methodischer Inspiration für entsprechende Pläne suchen, erleben daher auf meiner Seite eine weitere bittere Produktenttäuschung. Möglicherweise trägt genau das zum endgültigen Verlust ihrer sozialer Kontrolle bei. Ich möchte das nicht. Das täte mir leid. Daher kann ich nur an euch appellieren, ihr Charles Bronsons da draußen in der wilden Weite des Webs: Lernt endlich googeln! Euer Leben wird erfüllter sein. Doof ist nur: Nach diesem Eintrag finden sie noch leichter hierher. Es gibt einfach kein richtiges Leben im falschen.
3. Im Pennymarkt an der Reeperbahn tuten die Strichcodescanner derart schrill und panisch, als läse man ihnen gerade Passagen aus Dieter Bohlens Memoiren vor. Die armen Menschen an der Kasse. Acht Stunden am Tag sitzen sie im Sperrfeuer panischer Strichcodescanner, und abends sollen sie einfach so nach Hause gehen, ohne amoklaufend auf dem Kiez Touristen niedermähen zu dürfen. Wer sich professionell um das Wohl von Legebatterienhühnern kümmert, sollte dringend auch Pennyverkäufer als schützenswerte Art in den Blick nehmen. Ehrlich jetzt.
4. „Warum klamüsert user denn im Netz rum? Weil man im sogenannten Real Life die Mitbürger nicht wegklicken kann.“ Kommentiert Acidmoon in einem Beitrag von webseeings.
5. Dieser frischentdeckte Kiezplan aus lauter kleinen Bannern und anderem Schnickschnack ist recht amüsant und für Besucher meines Viertels sogar ganz nützlich. Aaaber, meine Herren Programmierer, warum habt ihr zwischen Reeperbahn und Simon-von-Utrecht eigentlich die Seilerstraße unterschlagen? Setzen, Sex!
Ex cathedra: Die Top 3 der anzüglichsten Songs
1. „Gimme some lovin'“ von G. Love & Special Sauce
2. „Boys want sex in the morning“ von Uncle Bonsai
3. „Cylea“ von Christian Redl
2. Es ist schon frustrierend: Die meisten Googler landen zurzeit auf meiner Seite, weil sie den Suchbegriff rache an der ex oder Abwandlungen davon eingeben. Dabei habe ich noch nie ein solches Sujet behandelt und gedenke dies auch künftig nicht zu tun. Diese fehlgeleiteten Googler wissen offenbar wenig über Suchterminologie. Wenn sie wirklich exakt diese Wortkombination finden wollten, müssten sie Anführungsstriche drumherum platzieren. Natürlich kommen in meinem Blog irgendwo, irgendwann die vier Worte „rache“, „an“, „der“ und „ex“ mal vor, aber niemals gemeinsam in Reih und Glied. Leute, die sich wirklich ernsthaft für Racheakte an früheren Lebensabschnittspartnern interessieren, vielleicht sogar zunehmend verzweifelt nach methodischer Inspiration für entsprechende Pläne suchen, erleben daher auf meiner Seite eine weitere bittere Produktenttäuschung. Möglicherweise trägt genau das zum endgültigen Verlust ihrer sozialer Kontrolle bei. Ich möchte das nicht. Das täte mir leid. Daher kann ich nur an euch appellieren, ihr Charles Bronsons da draußen in der wilden Weite des Webs: Lernt endlich googeln! Euer Leben wird erfüllter sein. Doof ist nur: Nach diesem Eintrag finden sie noch leichter hierher. Es gibt einfach kein richtiges Leben im falschen.
3. Im Pennymarkt an der Reeperbahn tuten die Strichcodescanner derart schrill und panisch, als läse man ihnen gerade Passagen aus Dieter Bohlens Memoiren vor. Die armen Menschen an der Kasse. Acht Stunden am Tag sitzen sie im Sperrfeuer panischer Strichcodescanner, und abends sollen sie einfach so nach Hause gehen, ohne amoklaufend auf dem Kiez Touristen niedermähen zu dürfen. Wer sich professionell um das Wohl von Legebatterienhühnern kümmert, sollte dringend auch Pennyverkäufer als schützenswerte Art in den Blick nehmen. Ehrlich jetzt.
4. „Warum klamüsert user denn im Netz rum? Weil man im sogenannten Real Life die Mitbürger nicht wegklicken kann.“ Kommentiert Acidmoon in einem Beitrag von webseeings.
5. Dieser frischentdeckte Kiezplan aus lauter kleinen Bannern und anderem Schnickschnack ist recht amüsant und für Besucher meines Viertels sogar ganz nützlich. Aaaber, meine Herren Programmierer, warum habt ihr zwischen Reeperbahn und Simon-von-Utrecht eigentlich die Seilerstraße unterschlagen? Setzen, Sex!
Ex cathedra: Die Top 3 der anzüglichsten Songs
1. „Gimme some lovin'“ von G. Love & Special Sauce
2. „Boys want sex in the morning“ von Uncle Bonsai
3. „Cylea“ von Christian Redl
02 März 2006
Die verspätete Riesenkartoffel
Einige Blogleser und -leserinnen haben bang angefragt, welche physische Form des Franken sie eigentlich imaginieren müssten. Meine sehr auf die orale Zuführung von Lebensmitteln verengte Frankensaga legt offenbar eine Gestalt nahe, die morgens von Spezialkränen aus einem stahlgerahmten Bett gehievt werden muss.
Doch dem ist nicht so. Im Gegenteil: Der Franke erfreut sich zum Unverständnis seiner Umwelt einer schlanken, geradezu am Rande der Hagerkeit angesiedelten Körperlichkeit. Im Strom der Passanten fiele er nicht weiter negativ auf, zumindest rein physisch nicht.
Außerdem ist er – entgegen dem Eindruck, der hier erweckt wird – nicht immer und ausschließlich mit der temporeichen Zuführung immenser Mengen Nahrung beschäftigt. Sonst wäre ihm wohl kaum ein kleiner Franke gelungen, dessen Existenz ich bezeugen kann. Es muss also zumindest Momente in seinem Leben gegeben haben, an denen er sich nicht nur essensbezogenen Dingen widmete. Das lag natürlich lange vor unserem ersten Treffen und ist deshalb eine reine Hypothese, die zudem auf schwachen Füßen steht.
Heute etwa begaben wir uns ins türkische Bistro Kumpir in der Bahrenfelder Straße, und während des Wartens auf die gleichnamige überbackene Riesenkartoffel war der Franke völlig unfähig, meinen interessanten Ausführungen zur gestrigen Kickkatastrophe zu lauschen, obwohl er am Ballsport gemeinhin sehr interessiert ist. Nein, heute hing sein Blick sehnsuchtsvoll am fatalerweise einsehbaren Küchentresen, wo eine Riesenkartoffel nach der anderen den letzten Schliff erhielt, danach aber zu allen möglichen Tischen getragen wurde, nur nicht zu unserem.
Ein ums andere Mal entrang sich darob ein tiefer Seufzer der zusehends in sich einsinkenden Gestalt des Franken, während meine düsteren WM-Prophezeihungen ihn ungefähr so sehr interessierten wie Herrn Ahmadinedschad die technische Weiterentwicklung der Steinschleuder.
Es war erschreckend, den von ungestillter Gier befeuerten Verfall des Würzburgers live am Tisch mitverfolgen zu müssen. Immer tiefer gruben sich Falten in seine eh schon von vielen Büffetschlachten gefurchte Stirn, immer rauhaardackeliger wurde sein Blick – der allerdings in Nullzeit sonnengleich aufstrahlte, als die Kartoffel endlich geliefert wurde.
Seine Teilnahmslosigkeit hielt allerdings an. War es eben noch die stummmachende Kraft des Hungers gewesen, so brachte ihn nun die bedingungslose Konzentration aufs möglichst effiziente Zusammenspiel von Messer, Gabel, Mund und Schlund zum Schweigen. Zu tiefschürfenden Erkenntnissen kam es daher heute Mittag nicht. Aber wie schon Laotse sagte: Man kann nicht immer Spitze sein.
Dafür trug der Müll heute sehr hübsche Schneekrönchen.
Die komplette Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land
Doch dem ist nicht so. Im Gegenteil: Der Franke erfreut sich zum Unverständnis seiner Umwelt einer schlanken, geradezu am Rande der Hagerkeit angesiedelten Körperlichkeit. Im Strom der Passanten fiele er nicht weiter negativ auf, zumindest rein physisch nicht.
Außerdem ist er – entgegen dem Eindruck, der hier erweckt wird – nicht immer und ausschließlich mit der temporeichen Zuführung immenser Mengen Nahrung beschäftigt. Sonst wäre ihm wohl kaum ein kleiner Franke gelungen, dessen Existenz ich bezeugen kann. Es muss also zumindest Momente in seinem Leben gegeben haben, an denen er sich nicht nur essensbezogenen Dingen widmete. Das lag natürlich lange vor unserem ersten Treffen und ist deshalb eine reine Hypothese, die zudem auf schwachen Füßen steht.
Heute etwa begaben wir uns ins türkische Bistro Kumpir in der Bahrenfelder Straße, und während des Wartens auf die gleichnamige überbackene Riesenkartoffel war der Franke völlig unfähig, meinen interessanten Ausführungen zur gestrigen Kickkatastrophe zu lauschen, obwohl er am Ballsport gemeinhin sehr interessiert ist. Nein, heute hing sein Blick sehnsuchtsvoll am fatalerweise einsehbaren Küchentresen, wo eine Riesenkartoffel nach der anderen den letzten Schliff erhielt, danach aber zu allen möglichen Tischen getragen wurde, nur nicht zu unserem.
Ein ums andere Mal entrang sich darob ein tiefer Seufzer der zusehends in sich einsinkenden Gestalt des Franken, während meine düsteren WM-Prophezeihungen ihn ungefähr so sehr interessierten wie Herrn Ahmadinedschad die technische Weiterentwicklung der Steinschleuder.
Es war erschreckend, den von ungestillter Gier befeuerten Verfall des Würzburgers live am Tisch mitverfolgen zu müssen. Immer tiefer gruben sich Falten in seine eh schon von vielen Büffetschlachten gefurchte Stirn, immer rauhaardackeliger wurde sein Blick – der allerdings in Nullzeit sonnengleich aufstrahlte, als die Kartoffel endlich geliefert wurde.
Seine Teilnahmslosigkeit hielt allerdings an. War es eben noch die stummmachende Kraft des Hungers gewesen, so brachte ihn nun die bedingungslose Konzentration aufs möglichst effiziente Zusammenspiel von Messer, Gabel, Mund und Schlund zum Schweigen. Zu tiefschürfenden Erkenntnissen kam es daher heute Mittag nicht. Aber wie schon Laotse sagte: Man kann nicht immer Spitze sein.
Dafür trug der Müll heute sehr hübsche Schneekrönchen.
Die komplette Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land
01 März 2006
Die Bloggertour
Monatelang war ich nicht sonderlich erpicht darauf, andere Blogger kennenzulernen. Doch die Neugier auf diese seltsame Spezies stieg stetig, und nun hat sie gesiegt. Innerhalb von sieben Tagen traf ich mich mit vieren von ihnen. Ich gestattete – etwas bang, aber auch mit einem Kribbeln im Bauch – dem Virtuellen den Zugang zum Realen.
Zunächst traf ich Lyssa, die auf wundersame Weise das Feminine mit dem Taffen verbindet und Höflichkeit mit warmherzigem Spott. Dann German Psycho und Pat Bateman, zwei schnelldenkende Businessleute, die sich die Bälle schneller zuspielen als Becker und Lendl zu ihren besten Zeiten.
Und schließlich Opa Edi, einen freundlichen, begeisterungsfähigen, gegenüber einem fremden Besucher rührend herzlichen Ex-Seefahrer, der auf seiner 14 Stockwerke hohen Kommandobrücke die Piratenflagge gehisst hat und auf St. Pauli herabschaut wie die Philantropie in Person.
Alles Menschen, die ich nie kennengelernt hätte, wenn ich nicht im letzten September aus einer Schnapsidee heraus dieses Blog gestartet hätte. Und das wäre sehr, sehr schade gewesen. Jetzt erwäge ich sogar den Besuch bei einem Bloggertreffen.
Ex cathedra: Die Top 3 der heimeligsten Chillouttracks
1. „Searching“ von Pieter Nooten & Michael Brook
2. „Kisses“ von Bent
3. „Calmed“ von Brian Eno
Zunächst traf ich Lyssa, die auf wundersame Weise das Feminine mit dem Taffen verbindet und Höflichkeit mit warmherzigem Spott. Dann German Psycho und Pat Bateman, zwei schnelldenkende Businessleute, die sich die Bälle schneller zuspielen als Becker und Lendl zu ihren besten Zeiten.
Und schließlich Opa Edi, einen freundlichen, begeisterungsfähigen, gegenüber einem fremden Besucher rührend herzlichen Ex-Seefahrer, der auf seiner 14 Stockwerke hohen Kommandobrücke die Piratenflagge gehisst hat und auf St. Pauli herabschaut wie die Philantropie in Person.
Alles Menschen, die ich nie kennengelernt hätte, wenn ich nicht im letzten September aus einer Schnapsidee heraus dieses Blog gestartet hätte. Und das wäre sehr, sehr schade gewesen. Jetzt erwäge ich sogar den Besuch bei einem Bloggertreffen.
Ex cathedra: Die Top 3 der heimeligsten Chillouttracks
1. „Searching“ von Pieter Nooten & Michael Brook
2. „Kisses“ von Bent
3. „Calmed“ von Brian Eno
28 Februar 2006
Nur wenige hundert Meter
Heute traf ich den Koblenzer Wunderpianisten Martin Stadtfeld. Ein kleines Einladungskonzert beim NDR in der Rothenbaumchaussee stand an. Und wie immer, wenn ich irgendwo hin muss und mich die omniorientierte Ms. Columbo nicht ans Händchen nehmen kann, irre ich durch Hamburg wie Boris Becker durchs Dickicht der deutschen Sprache.
Am Ausgang der U Hallerstraße jedenfalls wende ich mich nach dem bekannt unzulänglichen Try-&-Error-Prinzip erst einmal nach rechts, checke ein paar Hausnummern und glaube mich auf die des NDR zuzubewegen, was sich aber nach nur wenigen hundert Metern als Irrtum herauszustellen scheint. Also Straßenseite wechseln, in die andere Richtung laufen. Plötzlich fallen die Hausnummern, obwohl sie doch steigen müssten. Wie das? War ich etwa vorhin doch in die richtige Richtung unterwegs gewesen?
Nach nur wenigen hundert Metern beschließe ich, diesen interessanten Gedanken einer näheren Prüfung zu unterziehen. Und siehe da: Er stimmt. Nach nur wenigen hundert Metern stehe ich vorm NDR-Gebäude und erreiche das Konzert just vor Beginn.
Alles fügt sich also (wie meistens) zum Besten; das ist das Schöne an meiner speziellen Desorientierung. Sie zeichnet sich übrigens nicht nur durch ein stets intuitives Falschabbiegen aus. Auch wenn ich bei einer Wahl zwischen A und B zufällig die richtige Entscheidung treffe (die Chance ist ja 50 Prozent), revidiere ich sie nach nur wenigen hundert Metern wieder, weil ich erfahrungsgemäß annehme, es sei die falsche gewesen.
Neunmalkluge werden jetzt den Gebrauch eines Stadtplans ins Spiel bringen. Doch entweder habe ich a) ihn zu Hause vergessen, b) ein Exemplar erwischt, in dem genau die Straße fehlt, in der ich mich befinde, oder c) ich halte ihn falsch herum.
Martin Stadtfeld jedenfalls ist unglaublich. Ich stand auf der Balustrade und schaute ihm direkt auf die Finger. Bei Schumanns „Toccata“ jagte seine linke Hand keck die rechte, die indes aufs Flinkeste den Attacken auswich.
Der Heimweg verlief unfallfrei, weil ich mir gemerkt hatte, wohin ich beim Verlassen des NDR-Geländes abbiegen musste: nach links. Und schon nach wenigen hundert Metern kam die U-Bahnstation. Ist doch pipileicht.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Richtungsentscheidungen
1. „Crossroads“ von Calvin Russell
2. „Wrong turn“ von Jack Johnson
3. „Go your own way“ von Fleetwood Mac
Am Ausgang der U Hallerstraße jedenfalls wende ich mich nach dem bekannt unzulänglichen Try-&-Error-Prinzip erst einmal nach rechts, checke ein paar Hausnummern und glaube mich auf die des NDR zuzubewegen, was sich aber nach nur wenigen hundert Metern als Irrtum herauszustellen scheint. Also Straßenseite wechseln, in die andere Richtung laufen. Plötzlich fallen die Hausnummern, obwohl sie doch steigen müssten. Wie das? War ich etwa vorhin doch in die richtige Richtung unterwegs gewesen?
Nach nur wenigen hundert Metern beschließe ich, diesen interessanten Gedanken einer näheren Prüfung zu unterziehen. Und siehe da: Er stimmt. Nach nur wenigen hundert Metern stehe ich vorm NDR-Gebäude und erreiche das Konzert just vor Beginn.
Alles fügt sich also (wie meistens) zum Besten; das ist das Schöne an meiner speziellen Desorientierung. Sie zeichnet sich übrigens nicht nur durch ein stets intuitives Falschabbiegen aus. Auch wenn ich bei einer Wahl zwischen A und B zufällig die richtige Entscheidung treffe (die Chance ist ja 50 Prozent), revidiere ich sie nach nur wenigen hundert Metern wieder, weil ich erfahrungsgemäß annehme, es sei die falsche gewesen.
Neunmalkluge werden jetzt den Gebrauch eines Stadtplans ins Spiel bringen. Doch entweder habe ich a) ihn zu Hause vergessen, b) ein Exemplar erwischt, in dem genau die Straße fehlt, in der ich mich befinde, oder c) ich halte ihn falsch herum.
Martin Stadtfeld jedenfalls ist unglaublich. Ich stand auf der Balustrade und schaute ihm direkt auf die Finger. Bei Schumanns „Toccata“ jagte seine linke Hand keck die rechte, die indes aufs Flinkeste den Attacken auswich.
Der Heimweg verlief unfallfrei, weil ich mir gemerkt hatte, wohin ich beim Verlassen des NDR-Geländes abbiegen musste: nach links. Und schon nach wenigen hundert Metern kam die U-Bahnstation. Ist doch pipileicht.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Richtungsentscheidungen
1. „Crossroads“ von Calvin Russell
2. „Wrong turn“ von Jack Johnson
3. „Go your own way“ von Fleetwood Mac
Labels:
live,
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persönliches,
promis
27 Februar 2006
Das unruhige Bild
Nicht oft verschlägt es mich nach Winterhude. Heute aber benötigte mein Rechner ein Ersatzteil aus dem dort angesiedelten Appleladen. Während der kranke Computer repariert wurde, bummelte ich durchs Einkaufszentrum an der Mundsburg und stieß zwischen Cafés und Handyshops auf eine Ausstellung, die sich mit Wahrnehmung beschäftigte. Ihr leicht verrutschter Name: „Irrsinn“.
Erstaunlich, wie superlustig es immer wieder ist, sich im Zerrspiegel zu betrachten; die dabei entstandenen Selbstporträts erspare ich allerdings der Öffentlichkeit. Aber nicht dieses verblüffende Bild aus lauter konzentrisch gemusterten Kreisen. Wenn man seinen Blick hin und her wandern lässt, beginnen sie sich zu drehen, manche mit- und manche gegeneinander – und alles nur, weil dein Hirn es so will aus irgendeinem wahrscheinlich jahrmillionenalten Grund.
Das funktioniert schon im Kleinen, in der (per Klick aufs Foto aktivierbaren) Großdarstellung hat es aber eine schier psychedelische Wirkung. Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Ex cathedra: Die psychedelischen Top 3
1. „Little red riding hood“ von Robert Wyatt
2. „Astronomy domine“ von Pink Floyd
3. „Whole lotta love (album version)“ von Led Zeppelin
Erstaunlich, wie superlustig es immer wieder ist, sich im Zerrspiegel zu betrachten; die dabei entstandenen Selbstporträts erspare ich allerdings der Öffentlichkeit. Aber nicht dieses verblüffende Bild aus lauter konzentrisch gemusterten Kreisen. Wenn man seinen Blick hin und her wandern lässt, beginnen sie sich zu drehen, manche mit- und manche gegeneinander – und alles nur, weil dein Hirn es so will aus irgendeinem wahrscheinlich jahrmillionenalten Grund.
Das funktioniert schon im Kleinen, in der (per Klick aufs Foto aktivierbaren) Großdarstellung hat es aber eine schier psychedelische Wirkung. Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Ex cathedra: Die psychedelischen Top 3
1. „Little red riding hood“ von Robert Wyatt
2. „Astronomy domine“ von Pink Floyd
3. „Whole lotta love (album version)“ von Led Zeppelin
26 Februar 2006
Der Kinskiglücksgriff
Als kopfschüttelnder Verehrer des Talentverschwenders Klaus Kinski suchte ich jahrelang nach Filmen und Devotionalien des durchgeknallten Mimen. Vor allem die gebundene 1975er Erstauflage seiner vor Saft, Kraft, Potenzprotzerei und allgemeiner Egozentrik platzenden Autobiografie „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ war ein begehrtes Objekt meiner Begierde.
Allerdings ist das Skandalbuch immens schwer aufzutreiben. Das liegt an Kinskis Brüdern, die sich damals davon schwer diffamiert fühlten und es schon nach wenigen Wochen per einstweiliger Verfügung vom Markt nehmen ließen. Die späteren Auflagen (z. B. „Ich brauche Liebe“) waren für mich nicht mehr so interessant; jede geschwärzte oder entfernte Stelle nimmt einem Original eben weit mehr als nur ein paar Sätze.
Ich streifte also allwöchentlich über Hamburger Flohmärkte, auch über den in der Neuen Großen Bergstraße, der alle paar Monate sonntags stattfindet. Mit der üblichen gelangweilten Wachsamkeit wühlte ich eines Tages wieder mal in der Bücherkiste eines jener professionellen Händler, die Nachlässe en gros für Winzbeträge aufkaufen oder Erben gar zur kostenlosen Abgabe bequatschen („Dann sind Sie ihn los, den Krempel, ist eh nichts mehr wert“) – und bingo: Da. War. Es.
Wer weder jagt noch sammelt, kann kaum ermessen, wie es sich anfühlt, nach Jahren der Suche endlich dem Jagdobjekt Aug in Aug gegenüberzustehen. Eine Begegnung, die mit deutlichen körperlichen Symptomen einhergeht. Wärme läuft dir über den Körper wie eine Armada Ameisen, im Nacken kribbelt es, deine Hände beginnen leicht zu zittern, und du atmest – nach kurzem schockartigem Stocken der Lungenmuskulatur – plötzlich so rasch, als seist du ein, zwei Etagen treppauf gelaufen. Puh.
Das Problem in dieser Sekunde: Der Händler darf nullkommanichts merken von deiner Veränderung. Du nimmst das Buch also äußerlich ruhig aus der Kiste, befühlst es, registrierst mit mikroskopischer Enttäuschung das Fehlen des Schutzumschlags (egal, egal …), schlägst es mit ostentativer Uninteressiertheit auf – und erstarrst. Schon wieder stockt dir der Atem, dann japst du, denn … denn … das Buch ist SIGNIERT.
Von. Klaus. Kinski. Persönlich.
Jetzt wird dir allmählich das ganze Ausmaß dieses Fundes klar. Jahrelang hast du gesucht, und dein Glück schien vollkommen, als du das Buch endlich entdecktest; das ist erst zehn Sekunden her, und jetzt muss dein Adrenalinhaushalt mit der Verzehnfachung deines Glücks zurechtkommen, während du äußerlich den angeödeten Allesschongesehenhaber mimen musst.
Bei diesem Buch nämlich – um das noch einmal in aller Deutlichkeit herauszustellen – handelt es sich nicht nur um die verbotene gebundene Erstauflage, sondern um ein Exemplar, welches dein gebrochener Held höchstpersönlich – per Hautkontakt! – mit seiner Aura, seinem Fluidum imprägniert hat.
„Wieviel willsten haben für das Kinskibuch?“ frage ich den Händler mit perfide erzwungener Ruhe. Er blickt kurz auf und sagt: „Fünf Mark.“ (Es war vor der Währungsumstellung.) Fünf Mark. Ich habe mich nicht verhört. Eine unmenschliche Willensanstrengung, auf die ich noch heute stolz bin, erlaubt mir, nicht laut loszuprusten. Ich krame wortlos in der Tasche, fingere das Geld hervor, drücke es ihm in die Hand.
Und dann, ich weiß selbst nicht mehr genau warum, schlage ich das Buch auf, halte ihm die signierte Seite hin und frage: „Ist das echt?“ Er wird sehr bleich. Und während ich abdampfe, ist meine Seligkeit zu groß, um mich für diese kleine Fiesheit zu schämen. Das kommt erst später.
Diese Begebenheit fällt mir wieder ein, weil ich just im Web auf einen Kinski-Clip von 1971 stieß. Der durchgeknallte Mime verwandelt sich während eines Interviews in einem Pariser Park ohne großes Zutun der braven Befragerin in einen Wüterich, der alle Anzeichen von Paranoia zeigt. Es ist witzig und traurig zugleich; und am liebsten würde man ihn sedierend knuddeln.
Vier Jahre nach der Pöbelei im Park hielt er mein Buch in den Händen, er schlug es auf, nahm einen schwarzen Filzstift und krakelte wild sein Autogramm hinein.
Fünf Mark!
Ex cathedra: Die Top 3 der geistreichsten Songtitel
1. „The law is an anagram of wealth“ von Ann Clark
2. „Je t'aime (moi non plus)“ von Serge Gainsbourg
3. „It takes a lot to laugh, but it takes a train to cry“ von Bob Dylan
Allerdings ist das Skandalbuch immens schwer aufzutreiben. Das liegt an Kinskis Brüdern, die sich damals davon schwer diffamiert fühlten und es schon nach wenigen Wochen per einstweiliger Verfügung vom Markt nehmen ließen. Die späteren Auflagen (z. B. „Ich brauche Liebe“) waren für mich nicht mehr so interessant; jede geschwärzte oder entfernte Stelle nimmt einem Original eben weit mehr als nur ein paar Sätze.
Ich streifte also allwöchentlich über Hamburger Flohmärkte, auch über den in der Neuen Großen Bergstraße, der alle paar Monate sonntags stattfindet. Mit der üblichen gelangweilten Wachsamkeit wühlte ich eines Tages wieder mal in der Bücherkiste eines jener professionellen Händler, die Nachlässe en gros für Winzbeträge aufkaufen oder Erben gar zur kostenlosen Abgabe bequatschen („Dann sind Sie ihn los, den Krempel, ist eh nichts mehr wert“) – und bingo: Da. War. Es.
Wer weder jagt noch sammelt, kann kaum ermessen, wie es sich anfühlt, nach Jahren der Suche endlich dem Jagdobjekt Aug in Aug gegenüberzustehen. Eine Begegnung, die mit deutlichen körperlichen Symptomen einhergeht. Wärme läuft dir über den Körper wie eine Armada Ameisen, im Nacken kribbelt es, deine Hände beginnen leicht zu zittern, und du atmest – nach kurzem schockartigem Stocken der Lungenmuskulatur – plötzlich so rasch, als seist du ein, zwei Etagen treppauf gelaufen. Puh.
Das Problem in dieser Sekunde: Der Händler darf nullkommanichts merken von deiner Veränderung. Du nimmst das Buch also äußerlich ruhig aus der Kiste, befühlst es, registrierst mit mikroskopischer Enttäuschung das Fehlen des Schutzumschlags (egal, egal …), schlägst es mit ostentativer Uninteressiertheit auf – und erstarrst. Schon wieder stockt dir der Atem, dann japst du, denn … denn … das Buch ist SIGNIERT.
Von. Klaus. Kinski. Persönlich.
Jetzt wird dir allmählich das ganze Ausmaß dieses Fundes klar. Jahrelang hast du gesucht, und dein Glück schien vollkommen, als du das Buch endlich entdecktest; das ist erst zehn Sekunden her, und jetzt muss dein Adrenalinhaushalt mit der Verzehnfachung deines Glücks zurechtkommen, während du äußerlich den angeödeten Allesschongesehenhaber mimen musst.
Bei diesem Buch nämlich – um das noch einmal in aller Deutlichkeit herauszustellen – handelt es sich nicht nur um die verbotene gebundene Erstauflage, sondern um ein Exemplar, welches dein gebrochener Held höchstpersönlich – per Hautkontakt! – mit seiner Aura, seinem Fluidum imprägniert hat.
„Wieviel willsten haben für das Kinskibuch?“ frage ich den Händler mit perfide erzwungener Ruhe. Er blickt kurz auf und sagt: „Fünf Mark.“ (Es war vor der Währungsumstellung.) Fünf Mark. Ich habe mich nicht verhört. Eine unmenschliche Willensanstrengung, auf die ich noch heute stolz bin, erlaubt mir, nicht laut loszuprusten. Ich krame wortlos in der Tasche, fingere das Geld hervor, drücke es ihm in die Hand.
Und dann, ich weiß selbst nicht mehr genau warum, schlage ich das Buch auf, halte ihm die signierte Seite hin und frage: „Ist das echt?“ Er wird sehr bleich. Und während ich abdampfe, ist meine Seligkeit zu groß, um mich für diese kleine Fiesheit zu schämen. Das kommt erst später.
Diese Begebenheit fällt mir wieder ein, weil ich just im Web auf einen Kinski-Clip von 1971 stieß. Der durchgeknallte Mime verwandelt sich während eines Interviews in einem Pariser Park ohne großes Zutun der braven Befragerin in einen Wüterich, der alle Anzeichen von Paranoia zeigt. Es ist witzig und traurig zugleich; und am liebsten würde man ihn sedierend knuddeln.
Vier Jahre nach der Pöbelei im Park hielt er mein Buch in den Händen, er schlug es auf, nahm einen schwarzen Filzstift und krakelte wild sein Autogramm hinein.
Fünf Mark!
Ex cathedra: Die Top 3 der geistreichsten Songtitel
1. „The law is an anagram of wealth“ von Ann Clark
2. „Je t'aime (moi non plus)“ von Serge Gainsbourg
3. „It takes a lot to laugh, but it takes a train to cry“ von Bob Dylan
25 Februar 2006
Die Fundstücke des Tages (8)
1. Neue Google-Suchabfragen, die zu meinem Blog führten:
– „www.sex mit hund.de“ (Sickenreuth, Bayern. Im Ortsnamen scheint ein Kommentar zur Suchabfrage versteckt zu sein. Aber vielleicht interpretiere ich das auch über. Übrigens kommen die schweinischsten Suchabfragen immer aus Bayern. Wer weiß mehr?)
– „meine ersten dritten zähne“ (Kirchtimke, Niedersachsen. Hier würde interessieren, wie alt der Kirchtimker ist – vielleicht so alt wie Charlotte Roche?)
– „deudsche sagen“ (Burghaun, Hessen. Es ist eine Spezialität der Hessen, aus harten Konsonanten weiche zu machen. Allerdings dachte ich bisher, das geschähe nur beim Schbrechen.)
– „was gibt der staat jährlich für drogen aus“ (Halver, Nordrhein-Westfalen. Lustig, dass manche Menschen Google mit einem Allwissenden gleichsetzen, dem man Fragen stellen kann wie einst dem Orakel von Delphi. Die Frage selbst hat allerdings einen gewissen subversiven Charme.)
2. Wer kauft sich bloß Blogbesuche? Ein Ebayverkäufer bietet jedenfalls entsprechende Dienste an und kriegt wirklich Gebote. Dem höchstbietenden Blogger garantiert er fünf Besuche am Tag, und zwar vier Wochen lang. Mitgeliefert werden sinnvolle Kommentare. Die Offerte zielt auf Blogs, die unbeachtet in der Weite des Webs vereinsamen, also ganz frische oder ganz schlechte. Aber kann man sich wirklich darüber freuen, wenn man jemand dafür bezahlt, dass er vorbeischaut? Kann man sich in die eigene Tasche lügen? Man verwechselt doch auch die Dame eines Eskortservice nicht mit seiner Freundin. Richtig Geld via Ebay scheffeln könnten dagegen hochfrequentierte Blogger wie ix, indem sie ein Plätzchen auf ihrer Blogroll versteigerten. Unmoralischer als AdSense ist das auch nicht.
3. Der bescheuertste Songtitel des Monats heißt „Pompeii am Gotterdammerung“ und wurde verbrochen von der ansonsten unbescholtenen Band Flaming Lips.
4. Im „FISCHclub Blankenese“ knöpfte man uns heute für eine Tasse nesquickartiger Schokobrühe mit Sprühsahne – Gesamtmaterialwert, grob geschätzt: fünf Cent – drei Euro fünfzig ab. Offenbar haben sie uns mit Touristen verwechselt. Vielleicht mussten wir aber auch einfach nur den Blick (Foto) mitbezahlen; anders ist es ja im Tabledancelub auch nicht.
Ex cathedra: Die Top 3 der blödesten Songtitel
1. „Itsy Bitsy Teeny Weeny Yellow Polka Dot Bikini“ von Bryan Hyland
2. „Ring um meine Eier“ von Stefan Raab
3. „Deutscher Girls" von Adam Ant.
– „www.sex mit hund.de“ (Sickenreuth, Bayern. Im Ortsnamen scheint ein Kommentar zur Suchabfrage versteckt zu sein. Aber vielleicht interpretiere ich das auch über. Übrigens kommen die schweinischsten Suchabfragen immer aus Bayern. Wer weiß mehr?)
– „meine ersten dritten zähne“ (Kirchtimke, Niedersachsen. Hier würde interessieren, wie alt der Kirchtimker ist – vielleicht so alt wie Charlotte Roche?)
– „deudsche sagen“ (Burghaun, Hessen. Es ist eine Spezialität der Hessen, aus harten Konsonanten weiche zu machen. Allerdings dachte ich bisher, das geschähe nur beim Schbrechen.)
– „was gibt der staat jährlich für drogen aus“ (Halver, Nordrhein-Westfalen. Lustig, dass manche Menschen Google mit einem Allwissenden gleichsetzen, dem man Fragen stellen kann wie einst dem Orakel von Delphi. Die Frage selbst hat allerdings einen gewissen subversiven Charme.)
2. Wer kauft sich bloß Blogbesuche? Ein Ebayverkäufer bietet jedenfalls entsprechende Dienste an und kriegt wirklich Gebote. Dem höchstbietenden Blogger garantiert er fünf Besuche am Tag, und zwar vier Wochen lang. Mitgeliefert werden sinnvolle Kommentare. Die Offerte zielt auf Blogs, die unbeachtet in der Weite des Webs vereinsamen, also ganz frische oder ganz schlechte. Aber kann man sich wirklich darüber freuen, wenn man jemand dafür bezahlt, dass er vorbeischaut? Kann man sich in die eigene Tasche lügen? Man verwechselt doch auch die Dame eines Eskortservice nicht mit seiner Freundin. Richtig Geld via Ebay scheffeln könnten dagegen hochfrequentierte Blogger wie ix, indem sie ein Plätzchen auf ihrer Blogroll versteigerten. Unmoralischer als AdSense ist das auch nicht.
3. Der bescheuertste Songtitel des Monats heißt „Pompeii am Gotterdammerung“ und wurde verbrochen von der ansonsten unbescholtenen Band Flaming Lips.
4. Im „FISCHclub Blankenese“ knöpfte man uns heute für eine Tasse nesquickartiger Schokobrühe mit Sprühsahne – Gesamtmaterialwert, grob geschätzt: fünf Cent – drei Euro fünfzig ab. Offenbar haben sie uns mit Touristen verwechselt. Vielleicht mussten wir aber auch einfach nur den Blick (Foto) mitbezahlen; anders ist es ja im Tabledancelub auch nicht.
Ex cathedra: Die Top 3 der blödesten Songtitel
1. „Itsy Bitsy Teeny Weeny Yellow Polka Dot Bikini“ von Bryan Hyland
2. „Ring um meine Eier“ von Stefan Raab
3. „Deutscher Girls" von Adam Ant.
24 Februar 2006
Die Liederliste
Mit Listen (in der Blogsprache: „Stöckchen“) kriegt man mich immer. Diesmal ist zahnwart schuld und indirekt Anke Gröner. Und am Ende möchte ich das Stöckchen joshuatree zuwerfen.
1. Ein Lied aus deiner frühesten Kindheit:
„Wigwam bam“ von The Sweet.
2. Ein Lied, das du mit deiner ersten großen Liebe assoziierst:
„San Bernadino“ von Christie. Warum, steht hier.
3. Ein Lied, das dich an einen Urlaub erinnert:
„Tu t’en vas“ von Alain Barrière. 1975, auf Klassenfahrt in der Schweiz, am Fuß des Matterhorns. Ich: schmerzhaft verliebt in eine Supersüße aus der Parallelklasse. Sie: denkt nur an ihren Freund zu Hause. Schluchz.
4. Ein Lied, von dem du in der Öffentlichkeit nicht so gerne zugeben möchtest, dass du es eigentlich ganz gerne magst:
Hm, „If you think you know how to love me“ von Smokie? Nein, ich schäme mich nicht mehr für das, was ich höre. Ich gebe alles zu. Alles.
5. Ein Lied, das dich – geplagt von Liebeskummer – begleitet hat:
„Waiting“ von John Otway. Warum, steht hier.
6. Ein Lied, das du in deinem Leben vermutlich am häufigsten gehört hast:
„Sweet thing“ von Van Morrison. Liegt an meinem sich über Jahre hinziehenden manischen Versuch, Morrisons 1968er Album „Astral weeks“ zu verstehen. Methode: täglich hören. Irgendwann wöchentlich, dann monatlich. Aber ich höre es immer noch von Zeit zu Zeit. Und „Sweet thing“ am liebsten. Ich habe das Stück auch immer mal wieder auf Sampler gepackt, daher der Vorsprung gegenüber anderen Songs von „Astral weeks“.
7. Ein Lied, das dein liebstes Instrumental ist:
„The history of rain“ von Paul K. & The Weathermen.
8. Ein Lied, das eine deiner liebsten Bands repräsentiert:
„The kids are on high street“ von Madrugada.
9. Ein Lied, in dem du dich selbst wiederfindest oder in dem du dich auf eine gewisse Art und Weise verstanden fühlst:
„Northern sky“ von Nick Drake. Zumindest war das eine (lange) Zeit so. Ein typischer Fall von depressivem Song, der dich vor deiner Depression retten kann. Paradox, aber wahr.
10. Ein Lied, das dich an eine spezielle Begebenheit erinnert (und welche das ist):
„I’ll be there in the morning“ von Townes van Zandt. Marburg, 1993: Van Zandt war eigentlich zu betrunken, um zu spielen, er tat es dann aber doch, in Zeitlupe. Er war mental und physisch am Ende. Die Hälfte des Publikums schüttelte den Kopf oder lachte; es ging irgendwann. Der Rest, darunter ich, versuchte, diesen Mann zu retten. Es gelang – natürlich nicht endgültig, aber für eine Nacht. In der Pause traute ich mich in seine Garderobe, wo er schon wieder am Saufen war. Ich hatte alle meine Platten dabei, er signierte sie mir und malte mit zittrigen Fingern Kakteen darauf und Wüstenhighways, die sich in der Ferne verlieren. Das einzige echte Genie (außer Frank Zappa), mit dem ich jemals gesprochen habe. Das wunderbare Foto zeigt ihn, wie er knorrig aus dem Dunkel herauswächst, als habe ein Bildhauer ihn aus einem Baumstamm geschnitzt. Er grinst gequält und betrunken und wird gleich wieder zurücktreten ins Dunkel für immer. Geschossen hat es mein Freund Claus-Marco.
11. Ein Lied, bei dem du am besten entspannen kannst:
„Troll valley“ von Wavestar.
12. Ein Lied, das für eine richtig gute Zeit in deinem Leben steht:
„Talkin’ about a revolution“ von Tracy Chapman. Es war der Sommer, als ich im Freibad als Bademeister jobbte. Und Tracy lieferte den Soundtrack dazu. Unvergesslich.
13. Ein Lied, das momentan dein Lieblingssong ist:
„Exodus damage“ von John Vanderslice
14. Ein Lied, das du deinem besten Freund widmen würdest:
„Forever young“ von Bob Dylan.
15. Ein Lied, bei dem du das Gefühl hast, dass es außer dir niemand gerne hört:
„Lyin’ eyes“ von The Eagles.
16. Ein Lied, das du vor allem aufgrund seiner Lyrics magst:
„Cylea “ von François Villon, gesungen/rezitiert von Christian Redl
17. Ein Lied, das weder deutsch- noch englischsprachig ist und dir sehr gefällt:
„Voir un ami pleurer“ von Jacques Brel.
18. Ein Lied, bei dem du dich bestens abreagieren kannst:
„Memphis, Tennessee“ von Chuck Berry. Einer jener Songs, in denen die Urformel versteckt ist.
19. Ein Lied, das auf deiner Beerdigung gespielt werden sollte:
„It was a very good year“ von Frank Sinatra. Und „Worlds away“ von Strange Advance.
20. Ein Lied, das du zu den besten aller Zeiten rechnen würdest:
„Heroes“ von David Bowie.
1. Ein Lied aus deiner frühesten Kindheit:
„Wigwam bam“ von The Sweet.
2. Ein Lied, das du mit deiner ersten großen Liebe assoziierst:
„San Bernadino“ von Christie. Warum, steht hier.
3. Ein Lied, das dich an einen Urlaub erinnert:
„Tu t’en vas“ von Alain Barrière. 1975, auf Klassenfahrt in der Schweiz, am Fuß des Matterhorns. Ich: schmerzhaft verliebt in eine Supersüße aus der Parallelklasse. Sie: denkt nur an ihren Freund zu Hause. Schluchz.
4. Ein Lied, von dem du in der Öffentlichkeit nicht so gerne zugeben möchtest, dass du es eigentlich ganz gerne magst:
Hm, „If you think you know how to love me“ von Smokie? Nein, ich schäme mich nicht mehr für das, was ich höre. Ich gebe alles zu. Alles.
5. Ein Lied, das dich – geplagt von Liebeskummer – begleitet hat:
„Waiting“ von John Otway. Warum, steht hier.
6. Ein Lied, das du in deinem Leben vermutlich am häufigsten gehört hast:
„Sweet thing“ von Van Morrison. Liegt an meinem sich über Jahre hinziehenden manischen Versuch, Morrisons 1968er Album „Astral weeks“ zu verstehen. Methode: täglich hören. Irgendwann wöchentlich, dann monatlich. Aber ich höre es immer noch von Zeit zu Zeit. Und „Sweet thing“ am liebsten. Ich habe das Stück auch immer mal wieder auf Sampler gepackt, daher der Vorsprung gegenüber anderen Songs von „Astral weeks“.
7. Ein Lied, das dein liebstes Instrumental ist:
„The history of rain“ von Paul K. & The Weathermen.
8. Ein Lied, das eine deiner liebsten Bands repräsentiert:
„The kids are on high street“ von Madrugada.
9. Ein Lied, in dem du dich selbst wiederfindest oder in dem du dich auf eine gewisse Art und Weise verstanden fühlst:
„Northern sky“ von Nick Drake. Zumindest war das eine (lange) Zeit so. Ein typischer Fall von depressivem Song, der dich vor deiner Depression retten kann. Paradox, aber wahr.
10. Ein Lied, das dich an eine spezielle Begebenheit erinnert (und welche das ist):
„I’ll be there in the morning“ von Townes van Zandt. Marburg, 1993: Van Zandt war eigentlich zu betrunken, um zu spielen, er tat es dann aber doch, in Zeitlupe. Er war mental und physisch am Ende. Die Hälfte des Publikums schüttelte den Kopf oder lachte; es ging irgendwann. Der Rest, darunter ich, versuchte, diesen Mann zu retten. Es gelang – natürlich nicht endgültig, aber für eine Nacht. In der Pause traute ich mich in seine Garderobe, wo er schon wieder am Saufen war. Ich hatte alle meine Platten dabei, er signierte sie mir und malte mit zittrigen Fingern Kakteen darauf und Wüstenhighways, die sich in der Ferne verlieren. Das einzige echte Genie (außer Frank Zappa), mit dem ich jemals gesprochen habe. Das wunderbare Foto zeigt ihn, wie er knorrig aus dem Dunkel herauswächst, als habe ein Bildhauer ihn aus einem Baumstamm geschnitzt. Er grinst gequält und betrunken und wird gleich wieder zurücktreten ins Dunkel für immer. Geschossen hat es mein Freund Claus-Marco.
11. Ein Lied, bei dem du am besten entspannen kannst:
„Troll valley“ von Wavestar.
12. Ein Lied, das für eine richtig gute Zeit in deinem Leben steht:
„Talkin’ about a revolution“ von Tracy Chapman. Es war der Sommer, als ich im Freibad als Bademeister jobbte. Und Tracy lieferte den Soundtrack dazu. Unvergesslich.
13. Ein Lied, das momentan dein Lieblingssong ist:
„Exodus damage“ von John Vanderslice
14. Ein Lied, das du deinem besten Freund widmen würdest:
„Forever young“ von Bob Dylan.
15. Ein Lied, bei dem du das Gefühl hast, dass es außer dir niemand gerne hört:
„Lyin’ eyes“ von The Eagles.
16. Ein Lied, das du vor allem aufgrund seiner Lyrics magst:
„Cylea “ von François Villon, gesungen/rezitiert von Christian Redl
17. Ein Lied, das weder deutsch- noch englischsprachig ist und dir sehr gefällt:
„Voir un ami pleurer“ von Jacques Brel.
18. Ein Lied, bei dem du dich bestens abreagieren kannst:
„Memphis, Tennessee“ von Chuck Berry. Einer jener Songs, in denen die Urformel versteckt ist.
19. Ein Lied, das auf deiner Beerdigung gespielt werden sollte:
„It was a very good year“ von Frank Sinatra. Und „Worlds away“ von Strange Advance.
20. Ein Lied, das du zu den besten aller Zeiten rechnen würdest:
„Heroes“ von David Bowie.
23 Februar 2006
Der historische Tag
Von allen höchst erstaunlichen Un- und Eigenarten des Franken ist die erstaunlichste sein immenses Esstempo. Gäbe es eine Formel 1 in dieser Disziplin und wäre sie ähnlich dotiert wie die, in der Fernando Alonso tätig ist, so bräuchte sich der Franke um sein Auskommen nie mehr zu sorgen. Und seine Nachfahren auch nicht.
Jahrelang schlug er uns beim Essen um Längen, immer und überall. Regelmäßig wurde er so zum Gegenstand unseres süffisanten Spotts, der sich aus Hilflosigkeit ebenso speiste wie aus blankem Entsetzen.
Worin genau seine überlegene Esstechnik besteht, wie er auf dieses immense Tempo kommt, das offenbar niemand inner- und außerhalb Ottensens mitzugehen in der Lage ist, wurde übrigens bis heute nicht richtig erforscht. Dabei ist der Ablauf praktisch immer gleich: Das Essen wird serviert (bis dahin hat der Franke meist schon den Inhalt zweier Brotkörbe intus, minus jener Bröckchen, die der Rest von uns ihm mühsam entwand), alle beginnen mit dem Verzehr, das Gespräch dreht sich um dies und das, der Franke macht hier eine Bemerkung und da eine (er klinkt sich also nicht aus, wie man vermuten könnte), und schwuppdiwupp legt er plötzlich das Besteck beiseite, während Dagteller noch dabei ist, das zweite Salatblatt mit der Gabel anzuvisieren.
Man merkt einfach nicht, wie er das macht. Geräuschlos und ruhig saugt er in Sekunden zwei Nürnberger Rostbratwürste mit Salzkartoffeln und Sauerkraut weg. Und danach stiert er dir zufrieden grinsend auf den Teller und will dich nervös machen während der Viertelstunde, die du unweigerlich noch beschäftigt sein wirst mit deiner Portion.
Einmal aber geschah etwas, was bis heute schwer begreiflich ist: Er verlor. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Wenn man mich fragte, wo ich war, als Lady Di starb, würde ich sagen: in einem Flur in Wolfsburg. Und genauso deutlich weiß ich auch noch, wo ich war, als der Franke verlor: am gleichen Tisch wie er, in der Werkstatt 3 in Ottensen.
Aus irgendeinem Grund saß einer von uns plötzlich vor seinem blankgeputzten Teller, während der Franke gerade erst auf die Zielgerade einbog. Es war ein andächtiger Augenblick, der uns unwillkürlich gemeinsam innehalten ließ. Doch dieser Moment hatte auch etwas zutiefst Beunruhigendes. War der Franke krank? Ging es ihm nicht gut? War ein bislang inaktives Gen – vielleicht durch geheime militärische Experimente des Mossad in der Stratosphäre – zum Leben erwacht, welches ihm die Möglichkeit des Langsamessens, des Gönnenkönnens, des Nichtgewinnenwollens bot?
Es war vollkommen rätselhaft. Nach diesem gleichsam metaphysischen Moment allgemeiner Würdigung und Kontemplation am Tisch war es der Franke selbst, der die heilige Stille brach. „Du bist vor mir fertig“, stellte er fest, und zwar mit jener wuchtigen Nüchternheit, mit der Mose dereinst das erste Gebot verlesen haben muss. Wir alle wussten sofort: Dies war ein historischer Moment. Und wir durften dabei sein. Das unfassliche Ereignis wurde sodann zum Gespräch des Tages, wie auch anders. Jetzt diskutierten alle durcheinander, fassungslos, aufgebracht und rotwangig vor Erregung.
Wie sich herauskristallisierte, war der Franke gottlob keineswegs krank, sondern hatte es lediglich beim Frühstück versäumt, die Kalorienzufuhr leidlich im Rahmen zu halten, was sein mittägliches Esstempo auf unerwartet enorme Weise abbremste. Und so konnte jemand aus der Bezirksklasse den Champ besiegen, ein einziges Mal.
Nach diesem Tag beschlossen wir, den Themenkomplex nicht mehr anzuschneiden. Kein Spott mehr, keine Süffisanzen. Wir hatten die Sonne gesehen, jetzt war es nicht mehr wie früher. Ein Mythos war zerstört.
Natürlich folgten Jahre, in denen er uns wieder unerbittlich in Grund und Boden aß. Doch jener Tag, als einer von uns vor ihm fertig war, wird für immer unvergessen bleiben. Wie der 4. Juli 1954 im Berner Wankdorfstadion. Oder der, als die Dinosaurier ausstarben.
--> Weitere Teile der Frankensaga:
Der Alditag
Der Faschingskrapfen
Der Klozechpreller
Der Dude
Jahrelang schlug er uns beim Essen um Längen, immer und überall. Regelmäßig wurde er so zum Gegenstand unseres süffisanten Spotts, der sich aus Hilflosigkeit ebenso speiste wie aus blankem Entsetzen.
Worin genau seine überlegene Esstechnik besteht, wie er auf dieses immense Tempo kommt, das offenbar niemand inner- und außerhalb Ottensens mitzugehen in der Lage ist, wurde übrigens bis heute nicht richtig erforscht. Dabei ist der Ablauf praktisch immer gleich: Das Essen wird serviert (bis dahin hat der Franke meist schon den Inhalt zweier Brotkörbe intus, minus jener Bröckchen, die der Rest von uns ihm mühsam entwand), alle beginnen mit dem Verzehr, das Gespräch dreht sich um dies und das, der Franke macht hier eine Bemerkung und da eine (er klinkt sich also nicht aus, wie man vermuten könnte), und schwuppdiwupp legt er plötzlich das Besteck beiseite, während Dagteller noch dabei ist, das zweite Salatblatt mit der Gabel anzuvisieren.
Man merkt einfach nicht, wie er das macht. Geräuschlos und ruhig saugt er in Sekunden zwei Nürnberger Rostbratwürste mit Salzkartoffeln und Sauerkraut weg. Und danach stiert er dir zufrieden grinsend auf den Teller und will dich nervös machen während der Viertelstunde, die du unweigerlich noch beschäftigt sein wirst mit deiner Portion.
Einmal aber geschah etwas, was bis heute schwer begreiflich ist: Er verlor. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Wenn man mich fragte, wo ich war, als Lady Di starb, würde ich sagen: in einem Flur in Wolfsburg. Und genauso deutlich weiß ich auch noch, wo ich war, als der Franke verlor: am gleichen Tisch wie er, in der Werkstatt 3 in Ottensen.
Aus irgendeinem Grund saß einer von uns plötzlich vor seinem blankgeputzten Teller, während der Franke gerade erst auf die Zielgerade einbog. Es war ein andächtiger Augenblick, der uns unwillkürlich gemeinsam innehalten ließ. Doch dieser Moment hatte auch etwas zutiefst Beunruhigendes. War der Franke krank? Ging es ihm nicht gut? War ein bislang inaktives Gen – vielleicht durch geheime militärische Experimente des Mossad in der Stratosphäre – zum Leben erwacht, welches ihm die Möglichkeit des Langsamessens, des Gönnenkönnens, des Nichtgewinnenwollens bot?
Es war vollkommen rätselhaft. Nach diesem gleichsam metaphysischen Moment allgemeiner Würdigung und Kontemplation am Tisch war es der Franke selbst, der die heilige Stille brach. „Du bist vor mir fertig“, stellte er fest, und zwar mit jener wuchtigen Nüchternheit, mit der Mose dereinst das erste Gebot verlesen haben muss. Wir alle wussten sofort: Dies war ein historischer Moment. Und wir durften dabei sein. Das unfassliche Ereignis wurde sodann zum Gespräch des Tages, wie auch anders. Jetzt diskutierten alle durcheinander, fassungslos, aufgebracht und rotwangig vor Erregung.
Wie sich herauskristallisierte, war der Franke gottlob keineswegs krank, sondern hatte es lediglich beim Frühstück versäumt, die Kalorienzufuhr leidlich im Rahmen zu halten, was sein mittägliches Esstempo auf unerwartet enorme Weise abbremste. Und so konnte jemand aus der Bezirksklasse den Champ besiegen, ein einziges Mal.
Nach diesem Tag beschlossen wir, den Themenkomplex nicht mehr anzuschneiden. Kein Spott mehr, keine Süffisanzen. Wir hatten die Sonne gesehen, jetzt war es nicht mehr wie früher. Ein Mythos war zerstört.
Natürlich folgten Jahre, in denen er uns wieder unerbittlich in Grund und Boden aß. Doch jener Tag, als einer von uns vor ihm fertig war, wird für immer unvergessen bleiben. Wie der 4. Juli 1954 im Berner Wankdorfstadion. Oder der, als die Dinosaurier ausstarben.
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Der Alditag
Der Faschingskrapfen
Der Klozechpreller
Der Dude
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