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26 August 2007

Keine Moralapostel, o nein

Wie die Landeier stehen wir kurz vor Abfahrt des Zuges nach Lüneburg vorm Fahrkartenautomaten – und geben schließlich aus Verzweiflung und Zeitnot entnervt auf.

Wir verstehen einfach nicht, was genau das Gerät von uns will. Und immer, wenn wir es zu wissen glauben, will es doch etwas anderes, was wir allerdings nicht dechiffrieren können. Dabei haben wir beide studiert!

Na gut, dann lösen wir die Fahrkarten eben im Zug beim Schaffner, ist doch egal. Doch während der halbstündigen Fahrt kontrolliert uns kein Mensch, wir steigen unbehelligt in Lüneburg aus nach kostenloser Fahrt.

Und nun die Frage an alle Mahatma Gandhis, Martin Luther Kings und Dietrich Bonhoeffers unter uns: Hätten wir fairerweise in Lüneburg doch noch Hin- und Rückfahrt lösen sollen?

Immerhin haben wir ja eine kostenpflichtige Dienstleistung in Anspruch genommen, und die sollte ordnungsgemäß entlohnt werden; das Sklavenhalterzeitalter ist schließlich längst überwunden. Wenn ich einen Flohmarktstand betreibe, erwarte ich ja auch, dass niemand ihn plündert, nur weil ich mal kurz auf Toilette muss.


Trotz alledem erwiesen wir uns als moralisch verwahrlost und buchten nur Rückfahrttickets.

Später auf der Geburtstagsparty erzählte uns ein Freund, es wäre unmöglich gewesen, im besagten Zug nachzulösen. Man hätte uns mit je 40 Euro zur Kasse gebeten, wegen Schwarzfahrens.

Ms. Columbo feixt noch breiter als vorher. Ich auch. Aber ich habe das Gefühl, Mahatma Gandhi hätte uns nicht adoptiert.

29 Juni 2007

Polnischer Nachtrag: Der nasse Slip

Wir hatten uns ein paar Fahrkarten gekauft und in die Tram gesetzt, wie wir es oft tun in unbekannten Städten.

Einfach losfahren und irgendwann, irgendwo aussteigen, wo es hübsch ist. Später wieder ein- und umsteigen, ins Blaue hinein die Fremde erkunden, und alles für ein paar Zloty (die „Swoti“ ausgesprochen werden, aber das nur nebenbei).

So waren wir kreuz und quer durchs öffentliche Verkehrsnetz von Danzig mäandert und irgendwie in Brzezno gelandet, einem kleinen Vorort direkt am Meer, dessen Seebrücke auf dem Foto zu sehen ist.

Brösen, wie das Städtchen früher auf deutsch hieß, ist nicht so überdeutlich auf Touristen abgestimmt wie Zoppot. Nein, hier gehen traditionell die Arbeiterfamilien baden, hier verleiht niemand Strandkörbe.

Der Sand ist feinkörnig und weißgelb, man sinkt sanft ein beim Gehen, und an jenem Tag lag die Ostsee bereitwillig flach da und glitzerte in der Sonne wie eine einzige Verlockung. Unwiderstehlich.

Einziges Problem: Badesachen hatten wir keine dabei, und von FKK halten die Polen ungefähr so viel wie von Schwulen und Lesben, nämlich wenig. „Dann gehe ich eben in Unterhosen rein“, informierte ich Ms. Columbo und schritt sofort zur Tat.

Eine halbe Stunde lang erfreute ich mich meines aquatischen Daseins. Allmählich aber schob sich mir das Problem des Landgangs ins Bewusstsein.

Mein Slip nämlich flatterte mir schon im trockenen Zustand nicht gerade um den Hintern (und um alles andere, was so ein Slip zu umhüllen hat). Die Aussicht, damit aus dem Wasser zu steigen und einen Strand voller polnischer Familien mit sehr vielen Kindern zu betreten, bereitete mir zunehmend Unbehagen.

Und das war berechtigt. Denn der wassersatte Slip tat an der Luft genau das, was man von ihm erwarten durfte: Er schmiegte sich mir derart eng an die Haut, als wäre er aufgesprüht. Dabei arbeitete er sämtliche drunter liegenden Körpermerkmale aufs Deutlichste heraus.

Mich beschlich sogar das Gefühl, seine einst weiße Farbe habe sich völlig verflüchtigt und einer weitgehenden Transparenz Platz gemacht, der polnische Familien mit sehr vielen Kindern nicht gerade mit uferloser Toleranz zu begegnen bereit wären.

Manchmal träumt man ja davon, aus heiterem Himmel öffentlich untenrum nackt dazustehen, und das sind keine schönen Träume, wirklich nicht. Doch das hier war kein Traum.

Ich zuppelte ein wenig am Slip herum in der Hoffnung, die dadurch einströmende Luft möge eine Art Blase unterm Stoff bilden, so dass darunter
alles einigermaßen im Vagen verschwände. Doch mit einem kurzen präzisen Schmatzen sog sich die Unterhose wieder fest – wie die Abgussform einer hyperrealistischen Skulptur, die in Polen nur ohne Jugendfreigabe ausgestellt werden dürfte, wenn überhaupt.

Mir fiel meine Mütze ein, mit der ich aus Sonnenschutzgründen schwimmen gegangen war. Ich nahm sie ab und hielt sie wie zufällig vor die problematische Region. Und so stapfte ich verkrampft durch den weißgelben Sand hoch zu Ms. Columbo, die mich mit spöttischem Grinsen empfing.

Die Situation war damit allerdings noch nicht überwunden. Ohne Handtuch war ich dazu verdammt, mich vom Brösener Wind trocknen zu lassen, ehe ich dazu übergehen konnte, mich wieder polengemäß korrekt zu kleiden. Und das zog sich hin.

Der Slip selbst hingegen, dessen besonders problematische Vorderseite ich noch immer mühsam mit der Mütze verdeckte, schien sich jeder Verdunstungsaktivität hämisch zu verweigern. Das würde Stunden dauern.

Eine schnellere Lösung musste her. Unterwegs hatten wir an einem Kiosk die einzige deutsche Tageszeitung gekauft, und sie erwies sich nun als Rettung. Ms. Columbo versuchte meine Körpermitte mithilfe der ausgebreiteten Blätter (ich glaube, es war der Sportteil) möglichst umfänglich zu verdecken, ich zog mir dahinter fahrig den verzweifelt klammernden textilen Wasserspeicher runter und die richtige Hose an.

Und so war doch wahrhaftig die Hamburger Tageszeitung Die Welt mal zu irgendetwas nütze.

26 Juni 2007

Mit Kutis Groove durch Westpommern



Wir jagen im Zug durch die Kaschubei nach Westen.

In Rumia sind alle Häuser schlammfarben, doch plötzlich strahlt ein blaues Dach surreal auf im Licht der launischen Sonne. Nah an den Gleisen schaukelt ein Kind, bewacht von seiner Mutter.

Ein halbfertiger Rohbau liegt rot und traurig da im Stillstand des Sonntags, während mir Grayson Capps sein „Mercy“ ins Ohr singt. Verlassen steht ein grüner Bus auf einem menschenleeren Platz in Wejherowo. Er ist der heimliche Bruder des traurigen Rohbaus; den Score dazu liefert Bert Janschs Folkmelancholie „Magdalina’s dance“.

Ich verbringe die meiste Zeit im Gang am offenen Fenster, und als mich niemand sieht, werfe ich ein gebrauchtes Papiertaschentuch heimlich hinaus in den Fahrtwind – Dünger für die polnische Krume …

In der weiten Tieflandebene vor Wiekowo steht ein Fuchs reglos auf einer Wiese zum baldigen Schaden einer Maus, lauernd, konzentriert und unbeeindruckt vom Rattern unseres Zugs, von der Zeit, dem Universum und davon, dass in zwölf Milliarden Jahren die Sonne die Erde auf großer Flamme braten wird, auch Polen.

Von Runowo bis Ulikowo, also fast durch halb Westpommern, legt Fela Kutis halbstündiges „Beast of no nation“ den richtigen Groove unters Stampfen des Zugs, während ich die Nase in den Wind halte, und ich verwettete Haus und Hof, dass noch nie irgendein Mensch die Zugfahrt zwischen Runowo und Ulikowo mit Kutis „Beast of no nation“ verbracht hat.

Das verändert den Blick auf die Landschaft, o ja, und der Blick verändert die Musik, das hätte ewig so weiter gehen können. Doch jetzt sind wir wieder zurück auf St. Pauli, die meisten polnischen Geschichten sind erzählt. Nur die noch nicht von mir in nasser Unterhose am Strand von Brzezno, aber die erzähle ich erst morgen.

Frühestens.

24 Juni 2007

Das dürfte knirschen beim Kauen




Polen ist derart durchkatholisiert, dass es selbst beim Übersetzen die „richtigen“ Fehler macht, nämlich gottgefällige.

Guten Appetit.


23 Juni 2007

Wo ist der Tiger?

Wir wollten einen Wodka trinken, und zwar in Dariusz Michalczewskis höchstpersönlicher Danziger Kneipe, dem Tiger Pub.

Als wir in der Rajska-Straße vorm Haus Nummer 4c standen, präsentierte sich uns allerdings nur eine fleckige Fassade samt traurig vor sich hin rottender Tür. Nichts davon hatte irgendeinen Boxbezug.


Offenbar war des Tigers Kneipierskarriere ähnlich zu Ende gegangen wie seine Boxerlaufbahn: mit einer Niederlage. Also gingen wir in eine Kneipe um die Ecke und orderten dort zwei Smirnoff.

Schon nach wenigen Schlucken erkundigte sich Ms. Columbo besorgt: „Kann es sein, dass ein Wodka mehr reinhaut, wenn man vorher keinen Wein getrunken hat?“

In dieser Kneipe schenkt man übrigens erheblich außergewöhnlichere Wodkaportionen aus, als es in Michalczewskis Tiger Pub der Fall gewesen wäre. Deshalb wurde es noch ein sssiemlich lussdiger Ahmd.


Lost in desorientation

Ich hätte gern einen perfekten Code, eine mathematische Methode, die ein für alle Mal meine erschreckende Desorientiertheit abschaffte.

Könnte ich zum Beispiel sicher sein, unser Hotel (Foto: eine Innenansicht) läge wirklich immer genau in der entgegengesetzten Richtung von der, die ich vermute, dann wäre alles gut. Ich stapfte einfach los in die „falsche“ Richtung und stünde alsbald vor der Unterkunft.

Manchmal ist es auch wirklich so – tätä! –, meistens aber ganz und gar nicht. Das Problem: Es gibt so viele Richtungen.

Vor allem die schrägen, diagonalen, abknickenden, ums Eck laufenden, auch die kurvigen, mäandernden, unmerklich gebogenen, Parallelität vortäuschenden machen mir zu schaffen. Sie verwirren mich. Und schon ist das Hotel ganz woanders.

Ich hätte gern deine Orientierungsgabe, seufze ich zu Ms. Columbo, und würde gern eine meiner Spezialfähigkeiten dagegen eintauschen. Welche denn, fragt Ms. Columbo. Zum Beispiel die, sage ich, noch in 100 Jahren sicher zu wissen, wer „Griechischer Wein“ geschrieben hat.

Reicht mir nicht, sagt Ms. Columbo. Na gut, rufe ich, dann dass Bernd Clüver einst im 20. Jahrhundert „Der Junge mit der Mundharmonika“ gesungen hat: Das würde ich hergeben für Orientierung!

Ms. Columbo aber will noch immer nicht tauschen. „Lady Bump“ von Penny McLean!, spiele ich meinen letzten von weiteren unübersehbar vielen Trümpfen aus. Doch sie will nur tauschen gegen eine echte Gabe und nicht, wie sie schonungslos offen darlegt, gegen Trashwissen.

Also werde ich weiterhin vermuten, das Hotel läge im Norden, werde daraus seine strikt südliche Lage ableiten und es am Ende im halblinken Mittelwesten wiederfinden.

Allerdings nur mit Ms. Columbos Hilfe.


22 Juni 2007

Die Wodkafrage

Am Strand von Sopot, unweit der Mole (Foto), habe ich wie neulich angekündigt nach Bernstein gegraben. Allerdings war das Spektakulärste, was ich fand, ein Vogelfuß.

Er war frisch abgerissen und hatte geradezu storchartige Ausmaße. „In der Ostsee gibt es doch Haie!“, verkündete ich aufgeregt. Als mich danach bei einem längeren Schwimmausflug etwas am Bein streifte, fiel mir dieser Satz wieder ein. Ich beschleunigte.

Meine vogelfußinduzierte Grundmulmigkeit wird zusätzlich verstärkt durch die hiesige Meeresfarbe. Es handelt sich um ein matschmattes Braungrün, welches schon nach wenigen Zentimetern jeden Blick in die Tiefe verhindert.

Wie nah meine Beine und Füße eventuell herumdümpelnder alienartiger Fauna kommen, bleibt also völlig im Trüben, erregt aber umso mehr die Fantasie. Ich beschleunige.

Abends nach dem Essen bestelle ich zwei Wodka, und der Ober rasselt mir ein halbes Dutzend zur Auswahl runter. „Ok, the best one!“, sage ich so ratlos wie forsch, wofür mich Ms. Columbo sogleich kritisiert.

„Ja, was hätte ich denn sagen sollen?“, errege ich mich, „the worst one? The cheapest one?“

„Nein“, sagt Ms. Columbo, „the strongest one.“ Versteh einer die Frauen.


Pragmatismus auf polnisch

Viele Männer hier humpeln. Wir sehen Krücken, steife Beine, grenzbelastete Gehstöcke. Polen scheint in orthopädischer Hinsicht eine Gefahrenzone zu sein. Der lahme Mann Europas.

Legte man eine normale Fortbewegungsfähigkeit zugrunde, dann kommt Polen ungefähr auf die Quadratwurzel davon. Zu dieser Problematik passt die abgebildete Telefonzelle.

Wie hat man sie zur behindertengerechten Version umgebaut? Man riss ihr einfach die Tür raus und setzte ein Rollstuhlsymbol aufs Dach.

Pragmatismus auf polnisch.

21 Juni 2007

Polnische Prioritäten


Link: sevenload.com


Dem Bier bringen die Polen viel Verehrung entgegen. Höchstens der Papst steht noch höher im Rang.

Trotzdem habe ich noch in keiner Danziger Kneipe eine derart altarähnliche Inszenierung Benedikts gesehen wie für dieses Fläschchen Heineken – siehe Clip.

Ich indes halte mich gerstensafttechnisch ans einheimische Ziwiec (sprich „Tschiwi-etsch“), nicht nur wegen der besseren Klimabilanz, sondern auch aufgrund eines ganz generellen Interesses an jeweils lokaler Kulinarik.

Zur Kuttelsuppe konnte ich mich trotzdem noch nicht durchringen.


20 Juni 2007

Ziemlich Grass

Wir unternahmen einen Ausflug in jenen Stadtteil Danzigs, wo Günter Grass geboren wurde: nach Langfuhr. Die Danziger nennen dieses Viertel allerdings nicht Langfuhr, sondern Wrzeszcz.

Das macht einen einsamen Vokal auf acht Buchstaben – und klingt, als versuchte man das Wort „Wirsingschaschlik“ auszusprechen, während man ein klitschnasses Leinenbeutelchen im Mund hat, das mit Günter Grass’ und Lech Walesas Schnurrbarthaaren gefüllt ist.

„Walesa“ ist übrigens eine lachhaft unzureichende deutsche Schreibweise für den Namen des polnischen Expräsidenten. Das hiesige durchgestrichene l ist in Wahrheit nämlich ein W-Laut, so ähnlich wie im englischen „water“. Und das e in Walesa hat ein Häkchen untendran, was es als Nasallaut kennzeichnet.

Man sagt also so etwas Ähnliches wie „Wawengsa“, wenn man von Lech spricht, was in Polen aber nicht mehr allzuviele Leute tun. Von Grass indes hört und sieht man hier auch wenig, und so richtig weiß man auch in Wrzeszcz nicht Bescheid über den Nobelpreisträger.

Wir waren frohgemut ohne Stadtplan hingefahren und wollten uns durchfragen. War schwierig. Von der Straße, in der sein Geburtshaus steht, der Ulica Lelewela, hatten zwar einige Wrzeszczer und Wrzeszczerinnen schon mal gehört, doch wo genau die liegt: großes Fragezeichen.

Schließlich standen wir doch vor einem grauen Reihenhaus mit tiefhängenden Fenstern, an dessen Fassade eine kleine weiße Gedenktafel an den berühmtesten Danziger erinnert. Dann verließen wir Wrzeszcz wieder, um uns an den Strand zu legen.

Abends aßen wir dann kein Wirsingschaschlik, sondern das polnische Nationalgericht Bigos, was aber wenigstens so ähnlich aussieht.

19 Juni 2007

Einmal Hölle und zurück

Die Frau am Schalter kann englisch. „Two tickets to Hel“, sage ich und meine damit die Danzig vorgelagerte Halbinsel. Trotzdem verspüre ich aus rein phonetischen Gründen sofort das dunkle Bedürfnis, diesen Satz zu ergänzen: „And back, please!“, sage ich sicherheitshalber.

„To Hel only at weekends“, bedauert die Schalterfrau. Immerhin: Sie hätte mir ggflls. auch Rückfahrkarten verkauft. In einem erzkatholischen Land wie Polen nicht gerade selbstverständlich.

Die wahre Hölle begann übrigens in der Tat hier ganz in der Nähe, nördlich von Danzig nämlich: der Zweite Weltkrieg. Westerplatte heißt der Ort an der Weichselmündung, wo am 1. September 1939 das deutsche Schiff Schleswig-Holstein einen polnischen Militärstützpunkt anlasslos beschoss. Der Rest ist grausame Geschichte.

Wir lösten auf dem abgebildeten Dreimaster Lew zwei Karten, freilich ohne uns als Deutsche zu outen.

Am Wochenende geht es dann nach Hel, aber nur bei himmlischem Wetter.

18 Juni 2007

Dahin, wo Kinski einst wegging

Im Seebad Zoppot, nur 20 Zugminuten von Danzig entfernt, wurde Klaus Kinski geboren. Deshalb habe ich Christian Davids Biografie des Weltstars mit auf die Reise genommen und gestern Abend 200 Seiten davon weggelesen.

Natuerlich musste ich Ms. Columbo nach Zoppot verschleppen; sie wehrte sich nicht. Hier herrschte heute eine merkwuerdige Atmosphaere, sie erinnert an Louis Malles Film "Atlantic City". Dabei ist gar kein Winter mehr, sondern schon Vorsaison, das Meer hat bald 20 Grad.

Doch heute war dort die See bleigrau von den schweren Wolken, die der Wind von Westen herueberschickte, und ein halbherziger Regen benieselte lautlos die Mole.

Als wir kamen, verliess gerade die letzte Schulklasse stumm die ueber 500 Meter lange Bruecke. Wir standen schliesslich allein an der bugfoermigen Spitze und schauten hinaus auf die Ostsee, wo eine Phalanx von Schiffssilhouetten am Horizont festgefroren war.

Hinter uns - fast so weit entfernt, wie die Reeperbahn lang ist - verfiel unmerklich weiter das trutzige Grand Hotel, das schon in den spaeten 20ern hier gestanden haben muss, als der kleine Kinski am Strand nach Bernsteinbrocken grub.

In Bahnhofsnaehe liegt Kinskis Geburtshaus, dort haben sie nach langem, erbittertem Streit ueber den promisken Wueterich erst vor wenigen Jahren eine Gedenkstaette zugelassen und im Erdgeschoss einen schummrigen Pub mit burgunderfarbenen Waenden und Tischdecken eingerichtet.

Ich bestelle als Reminiszenz und auf eigenes Risiko ein Piwo Nosferatu von der rein polnischsprachigen Karte. Es kommt ein Bier, das mit rotem Saft (wahrscheinlich Blutorange) eingefaerbt wurde; der Strohhalm im Glas erschreckt mich sehr, doch das Ganze schmeckt nicht einmal uebel. Besser jedenfalls als Jungfrauenblut (wie ich vermute).

Von den Waenden schauen Kinskis in allen Posen und Rollen: als Aguirre, als Vampir, als Woyzeck und als duesterer Westernheld. Dazu laeuft die ganze Zeit Massive Attack. Wahrscheinlich haette Kinski nach Paganini gebruellt, den CD-Spieler durch die Scheibe gepfeffert und mit brennenden Kerzen nach der Bedienung geworfen.

Ausser im Pub an der Kosciuszki-Strasse 10 scheint der einzige Bewohner Zoppots, der es je zu Weltruhm brachte, in der Stadt nicht praesent zu sein. An der Mole konzentrieren sich die Strassenmaler auf Karikaturen von Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Angela Merkel, doch keiner kommt auf die Idee, auch Kinski zu malen.

Keine Zoppot-Postkarte zeigt sein Konterfei, nirgends weist ein Schild auf sein Geburtshaus hin. Die Stadt scheint sich noch immer zu schaemen fuer ihn; was zu seinen Lebzeiten galt, gilt auch posthum: Mit Kinski kam und kommt keiner aus. Wir verlassen die Pub Galeria Kinski gegen 19 Uhr, kurz nach "Unfinished sympathy".

Jedes Seebad der Welt laesst sich deprimieren vom Nieselregen, ueberall. Und so ging es heute auch Zoppot. Kinski zog mit sechs hier weg und kam nie mehr zurueck.

Wir aber werden wiederkommen, mit Bikini und Badehose - sobald die Sonne die bleigraue Ostsee wieder blau faerbt.

Und ich werde am Strand nach Bernstein graben.

17 Juni 2007

Taubenfutter zweckentfremdet

Warum sieht man nach einer Nacht im Liegewagen eigentlich immer so aus, als wäre man Stefan Hentschels Sandsack? Uebrigens fuehlt man sich auch genauso. Dabei ist doch nichts weiter passiert, als dass man ein paar Stunden lang sehr beengt flachgelegen hat. 

Wir werden jedenfalls einen Tag brauchen, um hier in Danzig die Sandsackexistenz wieder einzutauschen gegen etwas Menschenaehnlicheres. Dabei hat es schon mal geholfen, den kleinen Jungen auf dem Marktplatz zu beobachten. 

Seine Eltern hatten ihm Taubenfutter gekauft, was auf St. Pauli strafbar wäre, hier aber als Touristenattraktion sogar gefoerdert wird. Der Kleine hatte aber eine bessere Idee: Er aß das Zeugs lieber selber. Aufschrei bei Mama, feixen bei Matt und Ms. Columbo. 

So kann es weitergehen.

11 Juni 2007

Unsere Nacht im Grand Hotel Kempinski

Während der turbulenten G-8-Tage fiel es uns plötzlich wieder ein: Auch Ms. Columbo und ich nächtigten einmal exakt dort, wo just Putin, Bush und Merkel um das Schicksal der Welt rangen – im Grand Hotel Kempinski von Heiligendamm.

Dies freilich taten wir nicht aus Großmannssucht und auch nicht aufgrund jener besonderen Ausprägung übergroßer Prominenz, die sich ihrer selbst mit der Buchung eines 17-Sterne-Hotels versichern muss. Nein, auch wenn es empörend klingt: Es geschah aus purer Not.


Damals, es war kurz nach der Wende, waren wir mit unseren ungewaschenem roten Polo ins Blaue losgefahren, immer die Ostseeküste lang. Wo es uns gefiel, suchten wir uns eine Pension oder ein privates Zimmer, schritten die Seebrücken ab, aßen ein ortsübliches Fischgericht und zockelten bald weiter gen Osten.

Einmal kamen wir bei einer muffeligen Familie unter in Boltenhagen, Bad Doberan oder so, die uns das Zimmer nur unter deutlichen Anzeichen des Missmuts aufschloss. Hier war klar: Man mochte keine Wessis, doch anders kam man halt nicht über die Runden.

Entsprechend war der Service. Das Frühstück gab es in einer beängstigend überfüllten Küche, die gleichwohl sämtliche Wohnfunktionen zugleich erfüllen musste (wahrscheinlich, weil man uns das Wohnzimmer vermietet hatte). Mehrere familieneigene Blagen lümmelten sich
maulfaul mit uns an den Tisch, während Mrs. Missmut rauchend an der Spüle herumlärmte und die Waschmaschine ächzend vor sich hin öttelte.

Diese Unterkunft, so stellte es sich hinterher heraus, markierte das eine Ende des Spektrums, preislich wie in allen anderen Kategorien. Am anderen Ende lag das Grand Hotel Kempinski, natürlich.

Dabei planten wir in Heiligendamm die gleiche Vorgehensweise wie bisher: ankommen, durchs Dörfchen gurken, „Zimmer frei“-Schilder orten, klingeln, einziehen, Seebrücke, Fischgericht. Doch wir fanden keine „Zimmer frei“-Schilder. Heiligendamm war ausgebucht, auch ohne G 8.

Nur das Grand Hotel Kempinski nicht, wo wir uns schließlich verzagt an der Rezeption wiederfanden. Dort war man sehr gerne bereit, uns zu beherbergen, doch forderte man dafür einen geradezu empörenden Preis. Allein: Was blieb uns übrig?

Ich glaube, wir zahlten schmerzverzerrt umgerechnet 80 Euro für die Nacht; ein Preis, bei dem der heutige Hoteldirektor gewiss in Lebensgefahr geriete, wegen seines Lachanfalls.

Jedenfalls war es toll. Wir frühstückten an einem weißen Tisch auf englischem Rasen, die Ostsee fächelte uns eine bedeutungsvolle Brise zu, als huldigte sie unserer übergroßen Prominenz, und den Nachmittagskaffee nahmen wir im hoteleigenen Strandkorb zu uns, umhegt von behandschuhten Livrierten, wenn ich mich recht entsinne.

Doch wie gesagt: Das alles geschah aus purer Not. Ehrlich wahr.

30 April 2007

Dresden (3. Tag)

Erst heute mittag hatte ich mir notiert, was Dresden alles nicht hat. Ganz vorn auf der Liste: schwarze Menschen, Moslems, Frühstückscafés, Zeitungskioske, Kaffeebars und montags geöffnet.

Heute Abend gingen wir auf die Suche nach einem würdigen Restaurant für Ms. Columbos Geburtstagsdinner, und nacheinander begegneten uns: ein Frühstückscafé, ein schwarzer Mensch, ein Kiosk und eine orientalisch anmutende Frau mit Kopftuch.

Wir nehmen all das als regelbestätigende Ausnahmen. Zumal die Kaffeebar bis zum Schluss nicht auftauchte. Was Dresden ebenfalls nicht hat, ist ein Holzindianer vor einem Behindertenparkplatz. Den hat nur Radebeul.

Er steht vorm Karl-May-Museum, welches aber ebenfalls montags nicht geöffnet hat.

29 April 2007

Dresden (2. Tag)

In Dresden wurden drei weltbewegende Dinge erfunden: die Kondensmilch, der Büstenhalter und der Kaffeefilter. Zwei davon sind meiner Meinung nach völlig unnötig. Aber meine Meinung zählt ja nicht, auch nicht die zur Frauenkirche, wo wir heute einmal hineinlinsten.

Nichts gegen geniale Architektur, doch die penible Rekonstruktion eines komplett zerstörten Bauwerks scheint mir doch widersinnig. Diese Frauenkirche hier wirkt wie das Ikea-Modell der Frauenkirche: alles zu hell, zu pastellfarben, zu perfekt, zu 1:1. Klar kann man alles nachbauen, aber muss man das auch?

Ein Barockbauwerk wirkt nur durch seine Patina, also genau das, was dem Nachbau eines Barockbauwerks notwendigerweise fehlt. Ein Riesenposter des Originals hätte es deswegen auch getan.

Egal, interessanter ist eh, was ich abends zufällig auf zwei Fotos entdeckte, die ich vom Ausflugslokal Luisenhof aus geschossen hatte: ein rundes Objekt mit Kometenschweif (oben rechts undeutlich zu erkennen). Eigentlich hatte ich Kondensstreifen im Visier (mich faszinieren Linien und ihre Relationen zueinander), doch dieses Etwas hatte sich mit auf die Bilder geschmuggelt.

Weiß irgendjemand etwas von einem brachialen Einschlag in Sachsen? Bei Spiegel online stand jedenfalls nichts.

Dresden (1. Tag)

„Lass uns am Montag zur PornNight in die DanceFactory gehen!“, rufe ich beim Anblick des abgebildeten Schildes in der Nähe der Semperoper erregt aus. Doch Ms. Columbos Begeisterung für diesen Vorschlag hält sich in engen Grenzen.

Sie verweist darauf, zufällig an diesem Tag Geburtstag zu haben, und an ihrem Ehrentag, vermutet sie schon jetzt, schwebe ihr hochwahrscheinlich ein anderer Ausgehwunsch vor, dessen meinerseitige Respektierung sie sich inständig erhoffe.

Dann eben keine PornNight.

Im Reiseführer hatte ich übrigens gelesen, Dresdner reagierten generell unwirsch, wenn man sich über ihren Dialekt belustige. Zunächst ergibt sich zur Verifizierung dieses Gerüchtes gar keine Gelegenheit. In der Innenstadt nämlich sind alle möglichen Dialekte zu hören, darunter Englisch und Bayerisch, aber kein Sächsisch.

Erst vorm Zwinger plötzlich das Erfolgserlebnis: Eine junge Mutter spricht mit ihren zwei Rackern, und zwar in einen überdeutlich von den hiesigen Umständen beeinträchtigten Zungenschlag. „Sogar diese Frau“, raune ich Ms. Columbo erstaunt zu, „hat einen Sexualpartner gefunden. Obwohl sie so spricht.“

„Du bist fies!“, schimpft Ms. Columbo und schlägt mir auf den Oberarm. So schaffte es Dresden gleich am ersten Tag, Zwietracht zu säen.

28 April 2007

Auf nach Sachsen

Morgen geht es auf Kurzurlaub nach Dresden, und ich schwöre Ms. Columbo auf die Reise ein. „Wir müssen versuchen“, führe ich aus, „nicht über diese Menschen und ihre Sprache zu lachen. Wir müssen versuchen, uns auf den semantischen Kern ihrer Aussagen zu konzentrieren.“

Ms. Columbo ist grundsätzlich einverstanden, bringt aber eine Korrektur an. „Wir müssen vor allem versuchen“, sagt sie, „den semantischen Kern ihrer Aussagen zu verstehen.“ Ich nicke. Es ist ein Experiment. Neuland, Terra incognita. Sachsen eben.

Als Rüstzeug hole ich mir noch eine Kiezvolldusche in der Domschänke, wo die Zementierung des ersten Tabellenplatzes von St. Pauli (3:0 gegen Ahlen!) zünftig begangen wird. Während den Fans dank der Kombination aus Euphorie und Astra zunehmend die Gesichtszüge entgleisen, sind jene der zwei Domschänkenxanthippen wie in Beton gegossen.

Anders können die beiden solche Abende auch nicht überstehen. Und um die fragwürdige Statik des abgebildeten Bierturms mental zu ertragen, hilft nur genau jene Stoik, über die sie im Übermaß verfügen.

Der Astraturm brach übrigens den ganzen Abend über nicht zusammen, was man von einigen St.Pauli-Fans nicht unbedingt behaupten kann.

So, jetzt auf nach Sachsen. Haben die da überhaupt schon WLAN? Oder Strom?

15 Februar 2007

Das Geheimnis des Karnevals

Was ist eigentlich dran an diesem Karneval oder wie das bei euch da unten heißt? Was ist so toll daran? Heute habe ich einen Kölner am Homehandy und frage ihn genau das.

„Was so toll daran ist?“, fragt er rhetorisch zurück. „Nun ja: feiern, vögeln, saufen.“

„Kann ich nachvollziehen“, sage ich. „Nichts gegen feiern, vögeln, saufen – aber warum muss man dabei eine rote Pappnase tragen?“

„Weil dich dann morgen die Nachbarin, mit der du gefeiert, gevögelt und gesoffen hast, nicht mehr wiedererkennt“, sagt er.


Dann legt er auf, die Pappnase holen.
Und ich habe endlich den Karneval verstanden.


Foto: Düsseldorfer Altstadt

20 Januar 2007

Weg mit den Wischmopps!

Statt dezent herausgeputzten Privatiers vorauseilenden Alters begegnen wir nun wieder torkelnden Schnorrern in Kapuzensweatshirts – ja, wir sind zurück auf dem Kiez.

Zuvor waren wir im Karlsruher Bahnhof auf einen Stand gestoßen, der neben allerlei badischen Spezialitäten auch „Schmalz ohne Schwein“ darbot. Und unterwegs, im Zug irgendwo zwischen Frankfurt und Kassel, hatte der Himmel an einer mächtigen Skulptur gebaut; einer Drohkulisse aus Sturmerinnerung und Frühlingsahnung.

Nach der Fernseherfahrung der letzten drei Tage fordern wir übrigens ultimativ, mindestens ein Jahr lang keine zerzausten Außenreporter mehr sehen zu müssen, die phallische Wischmopps zutexten und vor der Schalte extra ihren Pferdeschwanz gelöst haben, um sich während der Übertragung ständig die Haare aus dem Gesicht fuchteln zu müssen.

Wäre das möglich, ihr n-tvs und RTLs und wie ihr alle heißt? Selbst wenn's mal wieder weht?

Danke SCHÖN.