17 August 2009

Ein Eintrag mit sprunghaften Ort- und Themenwechseln



Am Sonntag sah ich auf dem Dockville-Festival eine Frau, die sich hinter der endlosen Reihe der Dixieklos in die Büsche schlug und lieber dort den Rock lüftete. Ich beschloss, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen und die Dixieklos zu meiden.

Vor der Zeltbühne fanden drei Fans (w, w, m) ein paar Münzen und gingen danach nur noch mit gesenkten Köpfen übers Gelände. Oben am Deich hätte jemand meinetwegen gerne den Namen der Straße allzu wörtlich nehmen dürfen („Reiherdamm“), doch dafür fand ich keinerlei Beweise, deswegen bleibt die Pointe rein fiktiv. Nur wenige Meter weiter aber führte wenigstens der Notausgang direkt in einen Erdwall.


So, Dockville-Modus aus, Kiezmodus an.

Hier herrschte heute höchste Hygiene – zumindest im Copper House, wo man dank eines kulinarischen Schwerpunkts (nämlich Sushi) auch peinlich genau darauf achten muss. Dorthin entführte ich heute Abend unter generöser Deckung aller Kosten den Kollegen Mr. Starkey, weil er mir damals den entscheidenden Hinweis aufs ungenehmigte Senden meines Poizeieinsatzfilmchens durch Spiegel TV gegeben hatte.

Diese Sache ist inzwischen zu meiner vollständigen Zufriedenheit erledigt; mehrere Nachträge im Beitrag informieren über die Dramatik und Dramaturgie des Verlaufs.

Das Honorar, das Spiegel TV nachträglich äußerst klaglos entrichtete, nachdem RA Udo Vetter höflich darum ersucht hatte, ist übrigens höher als die Kosten, die dieses Blog im Lauf von knapp vier Jahren verursacht hat. Daher erschien es mir opportun, einen Teil dieses Honorars umstandslos in die Ankurbelung der kiezianischen Speisewirtschaft zu stecken.

„Aber warum ins Copper House?“, höre ich nun vorm inneren Ohr einige Gentrifizierungsgegner waidwund aufjaulen, schließlich hätte etwa der dänische Hotdoghöker an der Reeperbahn eine entsprechende Förderung gewiss nötiger gehabt. Doch Mr. Starkey hat – als Studiosus und notorischer Zwangsnebenjobber – einfach etwas Besseres verdient als Pölser.

Wer übrigens gerade ein kieznahes WG-Zimmer frei hat: Er sucht eins.


16 August 2009

Was in Künstlerinterviews wirklich gesagt wird

„Kann natürlich auch sein, dass einige Leute sagen, das geht zu weit, weil, mich interessiert überhaupt nicht, was er über seine Oma denkt, weißt du, aber es gibt genauso die anderen Leute, wenn ich jetzt Lieder mache, wie ich sie immer gemacht habe, einfach mit nem fetten Beat such, gute Reime such, und dann ist einfach n toller Flow und jetzt aber nich so, dann gibt’s eben auch die Leute, die sagen so, das is bestimmt gut für das, was er macht, aber toucht mich überhaupt nicht, und deshalb, das muss man immer für sich abschätzen, was man jetzt gerade machen will und welche Leute man womit erreichen will und jetzt gerade, das Feedback was ich krieg, eben dadurch, dass die Leute eben dann nich sagen: oah, das war jetzt ein fetter Beat, weißt du, und Kritik kam jetzt eh gar nicht die letzten Tage, keiner hat jetzt wirklich was zu kritisieren, und alle sagen mir so, ja, meine Oma, das war ja so, und weißt du, und fangen dann an zu reflektieren über ihr eigenes Leben, und das ist ja letztendlich, was ich auslösen will.“

(Authentischer Teil eines Interviews mit einem bekannten deutschen Rapper.
Um wen es sich handelt, wird hier verschwiegen. A
us humanitären Gründen.)

15 August 2009

Da lacht der Lachs



Einst, als ich erstmals über Freddy, den Hähnchenhöker, bloggte, hatte ich die sehenswerte Speisekarte über der Friteuse leider links hängen lassen.

Dabei gibt es dort viel zu entdecken, zum Beispiel ein drolliges „Seelachfilet“. Doch man kann bei Freddy auch einen „Chef Salatmitschinkenkaseundei“ kaufen, ebenso wie „Kraut Salat“ oder „Matjes mit Zwibeln“.

Besonders auffällig: das topausgestattete Geflügelgericht „Pute mit Pute“. Zweifellos will Freddy damit subtil anspielen auf die kleinen Tricks der Lebensmittelindustrie, wo ja oftmals Schwein und Sein nicht deckungsgleich sind.

All diese Köstlichkeiten ringen u. a. mit einem „Linseneitopf“ hart um unsere Gunst. Doch für was man sich auch entscheidet: Dazu passt garantiert Freddys vorzügliches „Bier auser haus“.

Gleichwohl nehme ich wie immer das Hähnchen mit Pommes Frites, ich konservativer alter Sack.


Revolution ist auf Dauer langweilig



Wenn man sich samt Fahrrad vom Autoaufzug abseilen lässt an den Eingang des Elbtunnels, dann den Fluss unter– und auf der anderen Seite am Deich lang die Insel Wilhelmsburg überquert, ist man in weniger als 30 Minuten beim …



… Dockville-Festival. In weiter Ferne, so nah – zumindest mit dem Fahrrad. Verblüffend. Ich sehe mir in der Nachmittagssonne die Band Junopilot an, die einen hübsch psychedelischen Chilloutpostrockdub mit Mitwackelzwang spielt, und nicht weit davon …



… steht ein Verkaufsbus, der „Kaffee für den täglichen Aufstand“ verkauft, was mir echt zu viel wäre. Jeden gottverdammten Tag eine Revolution anzetteln? Das wird auf Dauer so langweilig wie täglich Kartoffelbrei, und man sehnte sich gewiss bald nach stinkgemütlichem Spießertum.

Deshalb lieber kein Kaffee. Stattdessen verspüre ich eine aufwallende Begehrlichkeit nach einem anständigen Milcheis und betrete den Aufstandsbus. Drinnen steht ein Typ, der mich merkwürdig anschaut, keine Ahnung warum. Er erklärt es mir: Ich habe die falsche Tür benutzt und stehe jetzt hinterm Verkaufstresen statt davor. Ups. Doch wo auch immer man steht in diesem Bus, man bekommt kein Milch-, sondern nur Wassereis, wegen der Salmonellen.




Draußen streckt derweil eine kopflose nackte Schaufensterpuppe die Beine hoch in den Himmel …



… also genau dahin, wo es sich eine dicke fette Wolke störrisch vor der Sonne gemütlich gemacht hat, was den Wilhelmsburger Gewerbebauten eine Aura aus postindustriellem Licht um die verdüsterten Häupter legt.



Auf der Rückfahrt prangt die Köhlbrandbrücke am Horizont wie ein Rieseninsekt, doch meine Speicherkarte ist voll, und ich muss ein Archivfoto aus einer ganz anderen Perspektive hervorkramen, das nicht mal ansatzweise etwas Insektenhaftes hat.

Wahrscheinlich glaubt man mir jetzt auch den ganzen Rest dieses wild zusammengestoppelten Blogeintrags nicht. Und womit? Mit Unrecht!


13 August 2009

Ei der Tauss!



Ach herrje, die SPD mal wieder …

Erst nennt heute-Moderatorin Petra Gerster den Spitzenkandidaten versehentlich „Vizemeier“ (kriegt aber wenigstens vorm eigentlich unweigerlichen „Steinkanzler“ noch die Kurve), und dann macht die Siegburger SPD-Filiale mit einem komplett merkbefreiten Plakat Wahlkampf (via Out of Uppen
).

Beim gemeinsamen Betrachten dieses … nun ja … diskutablen Entwurfs springt ausgerechnet der Franke den SPD-Layoutern bei. Die Siegburger SPD in Gestalt von Herrn Sauerzweig, führt er plausibel aus, sei einfach derart unschuldig und reinen Herzens, dass sie niemals auf jenen schmutzigen Gedanken gekommen wäre, den wir und der Rest der Welt natürlich sofort haben.

Ja, er hat Recht: Das Böse, Gemeine, Widerwärtige entsteht erst im Auge des Betrachters. Wir sind die Ekligen, nicht die Siegburger SPD! Im Grunde wird sie also gerade durch die besondere Art und Weise der Gestaltung dieses Plakates – jawohl! – wählbar.

Mich würde trotzdem interessieren, wie Ex-SPDler Jörg Tauss den Entwurf findet.



Edit 14.8.2009, 00:41

Das Plakat ist schon von 2008 und wurde von der Siegburger SPD längst eingemottet. Meine Quelle, das „Out of Uppen“-Blog, ist seit heute Abend plötzlich nicht mehr existent, doch es gibt viele Quellen im Netz, z. B. die hier. Das Plakat war demnach rund sieben Stunden bei der SPD Siegburg online; die Lücke klafft dort noch heute.



12 August 2009

Fundstücke (54)



1. Die Polizeiwache auf dem Heiligengeistfeld ist mit Sicherheit die traurigste in der ganzen Republik. Andererseits ist sie auch nur dann in Betrieb, wenn Dom ist, und dann können sich die Polizisten mit gebrannten Mandeln trösten.

2. Oha, ein Interview – mit mir.

3. Jemand hat bei Google den recht unspezifischen Suchbegriff „r“ eingegeben und ist trotz 2,33 Milliarden Treffern auf meinem Blog gelandet. Im Lotto hätte ich gern genauso viel Glück.

4. „Noch ist Sommer, aber der Herbst wird kommen. Das ist sicher.“ Die Firma Fleuresse vermittelt in einer Pressemitteilung verblüffende Erkenntnisse.

5. Unlängst beklagte sich ein Künstler in harschen Worten via Mittelsmann darüber, von mir in einer Rezension als „okkultophiler Vollspinner“ bezeichnet worden zu sein. Dabei ist er Engländer und dürfte a) die Bedeutung des Wortes gar nicht verstehen und b) die Rezension überhaupt nicht finden. Doofes Internet.


Der Kunde war König (solange er lebte)



Schon wieder Stoff dank Edeka, das nimmt allmählich überhand. Vielleicht sollte ich lieber mal wieder einen Tabledanceschuppen aufsuchen, statt immer nur im Einzelhandel rumzuhängen.

„Ach, das Schild …“, sagt die Edekaverkäuferin, nachdem sie den Hals gereckt und entdeckt hat, was ich während des Kassenschlangenstehens halb heimlich fotografiere.

Dabei hätte sie statt den Hals zu recken eigentlich zügig meine Tomaten und Bananen einscannen sollen. Doch Neugier ist ein Menschenrecht, und so fliege ich auf – wenngleich zu ihrer Beschämung.

Denn sie fühlt sich nun durchaus verpflichtet, die Existenz dieses Schildes schlüssig zu erläutern; schließlich stimmt es möglicherweise nicht in jedem Detail mit den allgemeinen Edekaregeln zum Umgang mit der Kundschaft überein.

Möglicherweise weiß die ebenfalls in Hamburg ansässige Zentrale nicht einmal, dass hier auf St. Pauli renitenten Kunden zügig mit Schusswaffeneinsatz gedroht wird. Dabei sind ja durchaus Beschwerden mit evidenter Existenzberechtigung denkbar, und eine Ladung Blei müsste man in einem solchen Fall als Überreaktion einstufen.

Unlängst etwa enttarnte ich erst an der Kasse eine kleine Schimmelstelle an einer Tomate, zwar nicht bei Edeka, aber hätte ja sein können. Und in dieser Situation wäre es mir schon unadäquat, ja geradezu unfair vorgekommen, bei meinem Protestversuch nur deshalb gleich erschossen zu werden, weil vor mir bereits zwei Kunden ähnlich beeinträchtigte Tomaten moniert hätten.

Jedenfalls startet die Verkäuferin einen kleinen Rettungsversuch. „Weiß gar nicht“, sagt sie, „wer das dahin geklebt hat.“

Mein Bauchgefühl sagt mir übrigens: Beim nächsten Einkauf wird es weg sein. Was schade wäre.


11 August 2009

(K)ein Cent zu wenig

Bei Edeka. Habe 2,60 Euro passend, aber 2,61 zu zahlen.

Um keinen Schein anbrechen zu müssen, entschließe ich mich zu einem Feldversuch, der sowohl ökonomische als auch soziologische Erkennt- und Ergebnisse bringen soll.

„Schauen Sie mal“, sage ich und halte der Verkäuferin meine 2,60 hin. „Schenken Sie mir einen Cent?“


Ich halte mich für ungeheuer originell. Die Kassendame indes rollt mit den gar nicht mal unhübschen Augen. „Sie sind heute schon der Zehnte!“, stöhnt sie – und nimmt ein präventiv neben der Kasse herumliegendes Centstück, packt es zu meinen 2,60 Euro, und gut is.

Die Welt ist voller Überraschungen. Und Edeka kiezadäquat flexibel, muss man schon sagen.



10 August 2009

Zeitenwechsel



Unzählige Moslems regen sich gerade schrecklich auf über eine Zeile im Vereinslied von Schalke 04, die 46 Jahre lang unbeanstandet geblieben war. Darin heißt es:

„Mohammed war ein Prophet
der vom Fussballspielen nichts versteht.”

Ganz abgesehen von der schwierigen Beweislage ist der Vers in der Tat höchst skandalös, da bin ich entschieden auf Seiten der Aufständischen.

Denn er wechselt auf beschämende Weise mittendrin den grammatischen Tempus, nur damit sich alles reimt. Und das geht gar nicht.


Verbieten!

PS: Das Foto passt überhaupt nicht und repräsentiert die Wetterlage heute überm Millerntorgebäude, bevor das gewaltige Gewitter losging, das bestimmt bald auch auf die lausigen Revierdichter von Schalke 04 niederprasseln wird.

09 August 2009

Bruce geht ran

Nach dem Sport frischgeduscht scheue ich den nächsten Schweißausbruch und entscheide mich wegen der drückenden Hitze gegen die Fahrradfahrt bergauf nach Hause.

Vorm Fitnessclub am Rödingsmarkt ist zum Glück eine U3-Haltestelle. Doch schon beim Einsteigen wird unmittelbar klar: Es war ein Fehler.

Der Waggon hat nämlich eine eineiige Zwillingsschwester, und die heißt finnische Sauna. Verschärfend hinzu kommt die heillose Überfüllung der Bahn. Ich finde kaum einen Platz für mich und mein Rad.

Hinter mir zudem steht ein Mann, der aussieht, als wäre er gern Bruce Willis zu „Die hard“-Zeiten. Sein Schweiß riecht nach verfaultem Heu, doch das wäre nicht mal so schlimm, wenn er nicht auch noch unauffällig Körperkontakt suchte. Er kommt wohl von der Christopher-Street-Day-Parade, die mit Wummertechno durch die Stadt zieht.

Zwischen Baumwall und St. Pauli versuche ich irgendwie zurückzuweichen, doch angesichts der beengten Situation – hinter mir der drängende Bruce, vor mir mein beharrlich immobiles Rad – bin ich chancenlos.

Manchmal muss man sich in sein Schicksal fügen. Und manchmal ist es überall besser, wo man grad nicht ist.


08 August 2009

Spinat, Baby!



In Tim Mälzers neuem Restaurant Bullerei bestellen German Psycho und ich mittags nur deshalb als Nachspeise Cremacatalanarotebeerentiramisu, weil Mälzer so wagemutig war, das Wort ohne einen einzigen Bindestrich auf die Speisekarte zu zwängen.

Allerdings wird der gute Eindruck nicht unwesentlich geschmälert durch ein bestürzendes Deppenleerzeichen in „Baby Spinat“ nur wenige Zeilen darüber. Geschmeckt hat die Cremacatalanarotebeerentiramisu übrigens ganz ausgezeichnet.

Später begegnen Ms. Columbo und ich in der Seilerstraße einer enorm asymmetrisch gebauten Frau, ein arg verblühtes Babe mit Tätowierungen auf den fleischigen Armen, aschblondem Haar und Zähnen aus erstarrtem Zigarrettenrauch.

Während ihr Oberkörper von unfassbar überdimensionierten Brüsten zur ballonartigen Form aufgebläht wird, wirkt sie untenrum wie auf Grashalme gebaut.

„Bestimmt ist sie eine altgediente Hure, die sich zur Ruhe gesetzt hat“, flüstere ich. „Ich hätte bei den spindeldürren Beinen eher auf Junkie getippt“, sagt Ms. Columbo.

Wahrscheinlich haben wir beide Recht, und es handelt sich um eine Kombination aus beidem. Eine ordentliche Portion Cremacatalanarotebeerentiramisu täte ihr auf jeden Fall gut – was immer das auch für lageverschärfende Folgen auf ihren Oberkörper hätte.


06 August 2009

Suchanzeige



Herrchen ist sehr traurig, denn seine Begleiterin auf allen Kiezwegen ist ihm durch ungeklärte Umstände abhanden gekommen.

Name: Canon Ixus 970 IS


Merkmale: einäugig, silbrig schimmerndes Fell, etwas rundlich um die Hüften und überhaupt

besondere Eigenschaften: schaut überaus neugierig in die Welt, interessiert sich praktisch für alles, vor allem für Polizeieinsätze auf St. Pauli und unzüchtiges Verhalten in der Öffentlichkeit; schläft manchmal unverhofft ein mitten im Gucken, dann braucht sie eine gewisse Zeit, bis ihr Akku wieder aufgeladen ist (wie wir alle)

Charakter: sehr zutraulich, lässt sich von jedem drücken, leider!

zuletzt gesehen: am Dienstag, den 5. August, in meiner Umhängetasche

entlaufen: irgendwo zwischen Altona und St. Pauli

Finderlohn: ein Abend mit Herrchen im Copperhouse plus Lobpreis im Blog

PS: Die Fotos auf der Speicherkarte gehen KEINEN etwas an!
OKAY??


Ohne Worte (54): Stillleben mit Blüten, Bechern, Gras und Pumps



Entdeckt in der Talstraße, St. Pauli


05 August 2009

Mal wieder Brötchenprobleme

Heute bei Penny – die Filiale verschweige ich lieber – mustert die Verkäuferin missmutig die durchsichtige Brötchentüte des Kunden vor mir.

Es sind viele Semmeln drin, verschiedene Sorten gar, die Kassenfrau kann das Wirrwarr durch puren Augenschein nicht recht auflösen. Was also tut diese Pragmatikerin?

Sie öffnet die Tüte, greift herzhaft hinein, sortiert dort, im Tüteninnern, die Backwaren in hell und dunkel und tippt dann die unterschiedlichen Preise ein.

Warum dann allerdings drüben an der Selbstbedienungstheke Greifzangen an Ketten hängen, mit denen die Kundschaft die Brötchen rausholen soll wie Plüschteddys aus der Glasbox aufm Dom, das ploppt im Schatten dieses verblüffenden Ereignisses als große Frage auf.

„Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Verehrteste: Brötchen kann man übrigens nicht waschen“, sage ich keineswegs zur Verkäuferin, denn das wäre ja wohl der Text des betroffenen Kunden vor mir gewesen.

Die Schweinegrippe inkubiert übrigens bis zu vier Tage.

PS: Ja, ich habe dieses Foto schon mal verbloggt, und zwar am 15. Januar 2007.


03 August 2009

Immer weiterlächeln



Dieses „Smile“, Wolfsburgs Zufallsantwort auf Ursula von der Leyens Netzsperrenstoppschild, ist vielleicht nicht kritisch, sicher nicht ironisch, doch auf jeden Fall eins: tapfer.

Und es hat auf den ersten Blick keinen Autobezug, im Gegensatz zum mahnenden „Wer lenkt Sie eigentlich?“ – zu finden ebenfalls am Rande der sogenannten Autostadt, dieser Stadt in der Stadt, die ein gewaltiger Altar ist für den Verbrennungsmotor.

Nirgendwo anders in Deutschland dürfte man Schilder mit Werbesprüchen, die aufs Verwechselbarste offiziellen Verkehrsschildern nachempfunden sind, auf öffentlichem Grund installieren. Doch VW darf das, weil die Kommune nur der verlängerte Arm des Autobauers ist.

Denn die oft unterschätzte adrette Schönheit dieser Stadt, die patinalose, nie ganz das Sterile abstreifende Makellosigkeit ihrer Seen, Gärten und modernen Architektur, mit der sie ihre Geschichtslosigkeit und ihren schlimmen Geburtsfehler vergessen machen will: All das hängt am Tropf von VW, und ginge VW unter, die ganze Stadt ginge unter. So wie Detroit.

Der Untergang aber ist tabu in der Autostadt. Hier feiert VW noch immer ungebrochen die Ästhetik und die Verheißung des Autokaufs. Die Autostadt – mit der man jene von VW errichtete genauso bezeichnen kann wie ganz Wolfsburg – zelebriert mit aller Kraft und Kreativität den Erwerb von kunstvoll veschmolzenem Blech und Plastik. Sie verwandelt die Profanität des Warenkaufs in einen sakralen Akt.

Und die Zwillingstürme, in denen all diese Autos, die bald keiner mehr haben will, abholbereit herumstehen, glänzen riesig und gläsern in der Sonne wie Kathedralen.

Man sieht von draußen durch die Scheiben die winzigen Scheinwerfer der wartenden Wagen, wie sie hoffnungsfroh hinausschauen in die Ferne – den Käufern entgegen, die das alles hier am Leben erhalten (sollen).

Es hat fast etwas Rührendes, wie die Autostadt, dieses komplett auf die Erotik des Kaufaktes abgestimmte Ensemble aus Gebäuden und Interieuer, ihren drohenden Untergang ausblendet. Und dafür hat Wolfsburg, die Stadt des durchästhetisierten öffentlichen Raumes, das perfekte Symbol gefunden.

Es ist ein tapferes weißes „Smile“ auf rotem Grund, ein Oktagon des Ausblendens.



01 August 2009

Fundstücke (53): Lieber kümmern



Offen gesagt finde ich ja, dieser Zahnarzt in Halstenbek hätte sich – auch wenn’s nicht in seinem Personalausweis steht – zwei Pünktchen übers u setzen sollen.

Einfach aus psychologischen Gründen.

31 Juli 2009

Papierentsorgung auf Kiezianisch



Auf dem Kiez gibt es Menschen, die wühlen in Mülleimern. Ich weiß nicht, ob es die gleichen sind, die auch im Altpapier wühlen, doch auch solche gibt es.

Bevorzugt wühlen sie in unserem Altpapier, das wir hier auf dem Kiez in Ermangelung einer hauseigenen Tonne regelmäßig an die Straße stellen müssen. Vielleicht vermuten diese Menschen in unseren alten, vor allem mit Zeitungen und Snailmailspam aufgefüllten Weinkartons widersinnigerweise Wein, keine Ahnung.

Jedenfalls reißen sie regelmäßig heimlich – mutmaßlich im Schutz der Dunkelheit – unsere Kartons auf, und je verbissener ich diese verschnüre und verklebe, desto rabiater geht die Spezies der Altpapierkartonaufreißer vor. Ein Wettstreit geradezu darwinesken Zuschnitts.

Eigentlich sollte es uns zwar egal sein, ob in Osttimor einer seinen Pickel ausdrückt oder uns jemand die Altpapierkartons aufreißt. Doch es ist uns nicht egal. Es kommt uns nämlich vor wie eine Verletzung unserer Intimsphäre. Als stünde plötzlich ein olfaktorisch unzulänglicher Fremder im Flur und würfe unter wissendem „So, so“-Gebrumm einen Blick in unser Schlafzimmer.

Deshalb hatte Ms. Columbo die genialische Idee, unsere Altpapierkartons zu beschriften. Diese Aufgabe obliegt mir. Gestern beließ ich es erstmals nicht bei einem militärisch knappen „Altpapier!“, sondern griff präventiv ein mögliches Missverständnis auf, welches durch die Aufschrift „Blu-ray-Player“ auf dem Karton eventuell entstehen könnte.

Wobei ich plötzlich das unbestimmte Gefühl habe, dass bei Menschen, die in Mülleimern oder unserem Altpapier wühlen, ein Blu-ray-Spieler sowieso eher Missmut statt Wohlgefallen hervorriefe.


30 Juli 2009

Fundstücke (52): Gepflastert



Seine übergroße Enttäuschung hat Jacob mit betont lapidarem Ton zu kaschieren versucht. Statt eines „Johannes, du vollverpeilter Transenbalg, wo steckst du!?“ dimmte er seinen Ärger auf ein schmallippiges „Schade“ herunter.

Wie tief gleichwohl seine Wunde ist, verrät ein Detail: das Pflaster, mit dem er seine Nachricht an die Haustür in der Detlev-Bremer-Straße pappte. Kein Tesa, nein: ein Pflaster. Allein dass Jacob ein solches Utensil anscheinend routinemäßig mit sich führt, lässt tiefe Einblicke in seine vulnerable Seele zu.

Johannes war übrigens auch abends, als wir dort vorbeikamen, noch nicht zurückgekehrt an den Ort seiner Terminflucht; sonst hätte er doch wohl Jacobs gepflasterte Nachricht abgenommen.



28 Juli 2009

„Gesundes Volksempfinden“ wird (fast) komplett ignoriert

Es ist einer der größten sprachlichen Ausrutscher seit Erstürmung des Führerhauptquartiers, doch kaum einer regt sich drüber auf:

CDU-Politiker Georg Schirmbeck (r., Pressefoto) nutzt das lachhafte Nichtmalskandälchen um Ulla Schmidts Dienstwagen, um den zuletzt von Joseph Goebbels benutzten Begriff des „gesunden Volksempfindens“ zu revitalisieren.

Der geschätzte Bloggerkollege German Psycho greift das Thema treffsicher auf – und das ist so bezeichnend wie unheimlich: Während die „Holzmedien“ sich begeistert auf die sog. Dienstwagenaffäre stürzen, darf ein Schirmbeck unkommentiert im braunen Sprachschlamm waten.

Es bleibt wohl an der Blogosphäre hängen, ein wenig Terz zu machen.

Einverstanden?


Gesichtsschwäger

„Ich brauche einen gelben Sack“, sage ich zum Mann im Recyclinghof, „kriege ich vielleicht sogar zwei?“

Er greift in den Vorratsbehälter und reicht mir drei. „Weil heute Samstag ist“, sagt er. „Und weil wir Gesichtsschwäger sind.“

Ich starre ihn an. Er hat Brillengläser wie Glasbausteine, von seiner Zahnsanierung könnten ganze Gemeinschaftspraxen leben, und sein Grinsen ist so windschief wie seine Pickel zahlreich. Gesichtsschwäger …? Ich schaue hinter mich.

Aber da steht keiner.


26 Juli 2009

Lady Gagas fäkales Versagen

Mit ihrem atemberaubenden Hintern könnte das neue Popwunder Lady Gaga sofort im Dollhouse anfangen. Leider kam ich heute Abend im Stadtpark nicht nah genug ran, um das niveauvoller zu verifizieren (nur 3-fach-Zoom).

Auch verbal drehte sich bei der Frau aus New York viel um besagte Körperregion – vor allem um das, was bisweilen dort zutage tritt. Wie viele andere englischsprachige Künstler versuchte auch Lady Gaga, sich mit radegebrochener Fäkalsprache bei uns einzuschmeicheln.

Zunehmend vergnügt rief sie also lauthals „Scheise!“. Allerdings tat sie das mit stimmhaftem s, wie in „Reise“.

Warum bringen Management, Labels und PR-Berater ihren Künstlern eigentlich nicht die korrekte Aussprache dieses beliebten Terminus bei? Sie errängen noch ganz andere Erfolge bei uns dem Fäkalen sehr zugeneigten Deutschen, sprächen sie es mit scharfem s aus.

Zumal nicht einmal anatomische Gründe dagegen sprächen. Denn auch Amerikaner wie Lady Gaga kennen diesen Zungenlaut von Wörtern wie „science“, die sie gewöhnlich unfallfrei bewältigen, also schafften sie das gewiss auch bei „Scheiße“, so ihnen nur irgendjemand das mal ordentlich verklickerte und vorspräche.

Doch wahrscheinlich wagt es keiner aus der Lakaienschar, den Star zu korrigieren. Falls du
also hier mitliest, Lady Gaga: Das s in „Scheiße“ wird so scharf ausgesprochen wie dein Hintern aussieht.

Und wenn es bei dir mal nicht mehr so läuft mit der Musik (was ich nicht glaube, denn du wirst so groß werden wie Madonna, garantiert), dann stelle ich gern den Kontakt zum Dollhouse her.


„Hinlegen! Oder ich schieße!“

Die drei liebreizenden Repräsentanten der Berliner Jeunesse dorée üben keineswegs aus purem Übermut Liegestütze unter unserem Balkon, nein: Sie erfüllen lediglich folgsam eine inständige Bitte der Hamburger Polizei („HINLEGEN! ODER ICH SCHIESSE!“).

Als dieser gebrüllte Befehl von draußen in unsere Wohnung dringt, begebe ich mich mit Ms. Columbo plus Kamera auf den Balkon, was sich als kluger Schachzug erweist.

Denn nicht die üblichen Dreharbeiten für „Großstadtrevier“ o. ä. sind der Grund, sondern ein waschechter Polizeieinsatz mit Knarren, Handschellen und literweise echtem Adrenalin, auf beiden Seiten.

Zweifellos St. Paulianer Balkonkino at its best – ein Klick aufs Bild und Film ab. Zwei der drei Hertha-Fans führten, wie sich herausstellt, Schreckschusswaffen mit sich. Warum eigentlich? Das hat keiner von ihnen der Polizei erklärt, auch nicht im weiteren Verlauf der Ereignisse (der Film ging etwas ereignisärmer noch ein paar Minuten weiter).

Die Hopsgenommenen in der oberen Bildhälfte versauten sich ihre schicken Oberhemden auf dem nassen Asphalt. Und irgendwie gönnte ich’s ihnen – ohne genau zu wissen warum.

Das Spiel St. Pauli gegen Hertha BSC endete später übrigens 2:2. Für die extra aus Berlin angereisten Liegestützakrobaten dürfte dieses Remis allerdings weniger erinnerungswürdig bleiben als ihr inniger Kontakt mit der regennassen Seilerstraße. Jede Wette.

 


(Edit 30.06.2021, 13:50 Uhr)
Da die Sache inzwischen zwölf Jahre her ist und alle Beteiligten längst Bärte tragen oder Glatzen und sowieso (auch damals) nicht erkenntlich sind, verlinke ich den Film wieder. Dieses Zeitdokument sollte man der Welt nicht länger vorenthalten.

(Edit 27.07.2009, 21:41 Uhr)
Als mich ein Kommentator darauf aufmerksam machte, mein oben gezeigter Film (inzwischen aus rechtlichen Gründen gelöscht, mw) sei am 26. 7. auf RTL in der Sendung „Spiegel TV Magazin“ gelaufen, konnte ich es kaum glauben. Eine bisher als hochseriös eingeschätzte Redaktion klaut Filme aus dem Internet, um ohne Quellenangabe damit die Sendezeit zu füllen? Das schien mir doch zu absurd (zumal ich Spiegel-Abonnent bin …).

Doch siehe da: Es stimmt. Heute (27.07., 21.10 Uhr) lief die Wiederholung auf n-tv, und als Intro ist mein Film zu sehen.

Noch mal zur Verdeutlichung: Spiegel TV sucht sich im Internet fremde Inhalte, um u. a. damit Sendungen zu gestalten, mit denen Werbeeinnahmen generiert werden. Die Urheber der fremden Inhalte werden vorher nicht gefragt, und man bietet ihnen auch kein Honorar an.

Es ist überhaupt kein Problem für mich, wenn andere Blogs meine Texte, Fotos oder Filme verlinken und zitieren. Solange sie unkommerziell sind, ist das völlig in Ordnung; das gehört zu den Gepflogenheiten der Blogosphäre. Doch wenn ein kommerzieller Fernsehsender das tut, dann muss er a) fragen und b) zahlen.

Und das wird er auch noch tun – Fortsetzung folgt.
 

(Edit 28.07.2009, 20:22 Uhr)
Nach drei vergeblichen Mails an Spiegel TV, in denen ich um eine Stellungnahme bat, engagierte ich schließlich den bloggenden Rechtsanwalt Udo Vetter, der heute Mittag in meinem Namen Spiegel TV um eine Nachhonorierung ersuchte. Eine Mitarbeiterin von Spiegel TV hat sich inzwischen per Mail entschuldigt und unsere Forderung an die Rechtsabteilung weitergeleitet. Die Frist läuft bis zum 3. August; hier wird über den Fortgang der Ereignisse natürlich weiter informiert.


(Edit 29.07.2009, 18:02 Uhr)
Ich habe das Video inzwischen entfernt, weil sich einer der Beteiligten wiedererkannt zu haben glaubt und mich darum bat.

Spiegel TV möchte derweil klargestellt wissen, dass man sehr wohl versucht habe, mich zeitnah zu kontaktieren; allerdings scheint Herrn Vetters Fax nach meinen drei vergeblichen Mailversuchen etwa parallel mit dem ersten Antwortversuch von Spiegel TV eingetroffen zu sein. Tja, wer zu spät kommt, und sei es nur eine Minute … – es ist immer die alte Geschichte.

(Edit 29.07.2009, 23:52 Uhr)
Einer der im Video zu sehenden Männer hat mir inzwischen geschildert, wie es zu der Situation kam. Ein Freund von ihm hatte angeblich vorm Hotel seine Waffe aus der Reisetasche genommen und in den Kofferraum gelegt. Das hat ein Portier gesehen und die Polizei alarmiert, wobei er von drei Jugendlichen mit Waffen sprach – Voraussetzungen, die das Vorgehen der Polizei rechtfertigen, findet sogar der Betroffene. Allerdings endete nach seinen Angaben alles glimpflich, es gab keine Verhaftung und wird auch keine strafrechtlichen Folgen haben. Der durchaus dramatische Videoausschnitt (nur noch in der Spiegel-TV-Kurzfassung bei Stefan Niggemeier zu sehen) erweckt natürlich einen anderen Eindruck und legt einen für die Betroffenen fataleren Ausgang nahe.

(Edit 14.08.2009,15 Uhr)
Spiegel TV hat inzwischen anstandslos und ohne zu verhandeln bezahlt – und zwar exakt die (dreistellige) Summe, die ich gefordert hatte.